"Wo ist eigentlich Euer Freund hin?", fragte Selonîn und das schwache Lächeln, was sich während ihrer Erklärung auf Aiwyns Gesicht gebildet hatte, schwand. Sie konnte zwar seine Gefühle nachvollziehen, doch trotzdem schmerzte es in dieser Stuation von ihm verlassen worden zu sein. Machtlos hatte sie alleine bei Barlae verharrt und musste ansehen, wie sie litt und dem Tode Nahe stand, ohne dass sie etwas dagegen tun konnte. Doch ausgerechnet hier, wo wo auch die Hoffnung selbst, die sie die letzten Jahre bei den unwahrscheinlichsten Trennungen antrieb, zu schwinden drohte, war sie allein. Seit sie in Seestadt ankam, hatte sie ihn aus verschiedensten Gründen aufgesucht, verfolgt oder bei sich in der Nähe gesucht: Selbsterhaltung, Sympathie, Hoffnung, Freundschaft, Angst,
Liebe. Jahrelang wollte sie ihn von ihren Gefühlen her bei sich haben, doch jetzt wo sie ihn wirklich brauchte und gebraucht hatte, war er verschwunden.
"Weggegangen", brummte sie nur und Selonins Gesicht legte sich in Falten. Nach ein paar gescheiterten Versuchen einen Satz zu bilden, sagte sie: "Nehmt dies, danach fühlt Ihr Euch besser!". Sie reichte ihr einen Laib Brot, den Aiwyn gierig verschlang, "Ich würde Euch ja raten sofort mit ihm zu reden, doch ich denke Ihr beide braucht zuerst einen ruhigen Tag. Ihr seid weit gereist und standet unter Dauerstress und mit den heutigen Ereignissen würde dieses Gespräch nur weiteren Stress hervorrufen."Aiwyn versuchte ihr zu erklären, was Bogan gerade fühlte, doch Selonîn schüttelte nur den Kopf, "Auch wenn viele sagen, dass der Zauber Loriens verflogen ist, wirkt noch immer eine starke Kraft in diesen Wäldern. Mit den Geschehnissen der letzten Jahre ist es uns zwar unmöglich Zeit und Wuchs in alter Pracht zu regeln, doch es heißt dass ein jeder hier die Erkenntnis seiner Selbst erlangen kann, wenn er von dem Krieg gezeichet wurde. Denn auch wenn Lorien nun offiziell Kriegsgebiet ist, liegt uns viel an dem Wohl jener, die es verteidigt hatten."
Aiwyn seufzte, sie hatte schon bei ihrem ersten Aufenthalt in Lorien gemerkt, dass es sinnlos war mit Elben zu argumentieren und sie fühlte auch, dass es Treffen in ihrem jetzigen Zustand nicht zielführend wäre.
"Verzeiht wenn ich so offen frage, doch hättet ihr vielleicht Interesse über Euch beide zu reden?", fragte Selonîn, "Ich muss gestehen, dass ich schon etwas neugierig bin und Herr Elrond sagte mir damals, dass Reden eine überaus heilenden Einfluss haben kann."
"Hrm, ich rede nicht gerne über mich", sagte Aiwyn, "Selbst Bogan weiß kaum etwas über meine Vergangenheit."
"Dann wird es vielleicht Zeit dafür. Schon bei unserem ersten Treffen wart ihr vollgesaugt von versteckten und verdrängten Gefühlen und nun scheint ihr fast zu explodieren."
Aiwyn blickte die Elbe an und versuchte etwas zu erwidern, doch kein Ton entwich ihr. "Natürlich", sagte Selonîn freundlich, "Ihr seid wahrscheinlich nervös und fragt Euch, warum ich soviel Interesse an Euch habe. Lasst mich zuerst meine Geschichte erzählen, vielleicht hilft euch das etwas: Ich wurde am Ende des zweiten Zeitalters in Bruchtal geboren, am Tag bevor sich die Soldaten unter Herrn Elrond zum letzten Bündnis zusammenschlossen. Ich war schwer krank und meine Eltern fürchteten um mich, denn kein Heiler Bruchtals konnte irgendetwas ausrichten. Herr Elrond persönlich hat mich gerettet und mir eine Prophezeiung und meinen Eltern eine Nachricht hinterlassen: '
Es liegen blutige Zeiten vor uns und viele unserer Brüder werden die nächsten Tage nicht überleben, viele heilenden Hände werden von Blut befleckt darstehen und nie wieder das Leben schenken können. Dieses Mädchen ist meine letzte Tat als Heiler bevor ich mich dem Blut ergebe und vielleicht auch meine letzte überhaupt, doch sie zeigt uns allen, dass die alten Künste nicht vergessen sind. Möge sie als Zeichen dienen, dass es neben dem großem Krieg noch immer Hoffnung und Leben gibt.'. Danach lehnte er sich zu mir herunter und flüsterte mir zu: '
Selonîn, ich habe in dein Herz geblickt und deine Zukunft gesehen. In fernen Landen wirst du lernen, in dunklen Zeiten wirst du helfen und im goldenen Wald dein Schicksal empfangen. Aus der tiefsten Ferne kommend wird es zu dir gelangen und sich bei seiner Wiederkehr schließen und dich vor schlimmer Pein schützen. Vertraue ihm und der größte Schatten kann vorübergehen.'", sie blickte Aiwyn kurz an und fuhr fort: "Ja, wir Elben sind nach Eurem verständnis etwas seltsam gestrickt, doch für uns passt dies nunmal alles zusammen. Aber nun weiter mit der Geschichte: Nach dem Krieg kehrte Herr Elrond als einer der wenigen Hochrangigen zurück und trotz des Sieges wirkte er niedergeschmettert - sie hatten am Ende versagt und den Krieg nur noch weiter aufgeschoben. Obwohl ich noch sehr jung war, begann hier schon meine Ausbildung als Heilerin. in den nächsten Jahrhunderten reiste ich durch fast ganz Mittelerde und lernte einiges über den Körperbau von Mensch und Elb, verschiedene Kräuter und verschiedenster Krankheiten. Obwohl mich diese Erfahrung und diese Vielfalt an Wissen bald zu einer vielversprechenden Heilerin machte, die nach den zahlreichen Verlusten am Dagorlad schon ziemlich weit oben in der Liste stand, war die Heilerei für mich nicht mehr als ein Dienst an Mittelerde. Ich tat es um dem Werke Elronds zu würdigen, das Leben über den Tod zu stellen und um diesen Ort lebenswerter zu machen. Bei meiner dritten Reise in diese Wälder hier entdeckte ich meine wahre Leidenschaft: Die Erschaffung elbischer Kleidung. Dieses Zusammenspiel des einzigartigen Aussehens und der speziellen Eigenschaften, die weit über die einfachen Stoffes hinausgehen faszinieren mich einfach. Ich habe meinen Kopf zwar mit Wissen über Heilung vollgestopft und die Umstellung ist kompliziert, doch mit der Zeit wird das schon. Ich bin zwar noch Anfänger, doch ich lerne immer mehr dazu. Eines der wenigen Vorteile der Unsterblichkeit - man hat Zeit seine Leidenschaften zu perfektionieren. Dieses Kleid was ihr tragt, ist eines meiner neueren Werke. Leider kein Vergleich zu denen der großen Meister, aber meines Erachtens trotzdem relativ brauchbar."
"Relativ brauchbar? Auch wenn ich es lange nicht eingestehen wollte, ist es perfekt! Es trocknet schnell, wärmt und kühlt wie es sollte, stört weder beim Kampf, noch in der Natur und wird einfach nicht dreckig."
Selonîn errötete und sagte nur ein einfaches "Danke", bevor sie ihre Geschichte beendete: "Das war im Grunde alles wichtige, leider wird mit den Jahrhunderten alles etwas eintönig und vieles verschwimmt in der Erinnerung. Aber genug davon, was ist mit Euch? Fühlt Ihr Euch bereit?"
Aiwyn überlegte, sie hasste es zu viel über sich zu reden und hatte es seit sie aus dem Osten entkommen war immer aufgeschoben oder sich drumrum geredet. Sie wusste nicht einmal, ob sie es überhaupt halbwegs hinbekommen würde, aber könnte sie Selonîn diesen einfachen Wunsch abschlagen? Sie hatte sie und Bolwarth gerettet und ihr gerade eben ihr eigenes Leben offenbart. Langsam begann sie:
Wiederholungen und nicht perfektionierter Sprachstil in diesem Spoiler!
"Meine Zeit im Osten ist voll von Erinnerungen, die verschwommen sind oder die ich nicht im Detail erzählen kann und will. Ich war die Tochter eines Regionalherrschers und als solche für fast jeden nur ein Symbol, ja fast ein Gegenstand. Über mich versuchte man nach oben zu kommen oder bewunderte mich nur egal was ich tat und jeder Fehler wurde entweder ignoriert oder öffentlich ausgeschlachtet. In dieser Zeit hatte ich nur eine einzige wirkliche Freundin, die mir die Kraft gab nicht diesem Wahn um meine Stellung nachzugeben. Was auch immer dann passierte, endete damit, dass mein eigener Vater mich an einen Saurontreuen verkaufen wollte um seine eigene Macht zu sichern! Seine eigene Tochter! Dann schickt er mich auch noch in ein Wahnkommando, dass entweder abgeschlachtet würde oder mich ausliefert!" Sie wischte sich über die Augen, auch nach all den Jahren schmerzte es noch immer daran zu denken und darüber zu sprechen war um einiges schlimmer. Sie unterdrückte ihre Gefühle und fuhr belegt fort: "Ich landete in Seestadt, wo Bogan mich aufnahm und vor Strafe schützte. Ich weiß noch immer nicht wieso er sich damals so entschieden hat, aber in den nächsten jahren war er der einzige, der für mich da war und mich nicht mit purem Hass behandelte oder mich nur als Ostling sah. Die Jahre vergingen und der Hass der Menschen wurde stärker, doch Bogans Rückhalt überwuchs all dies und obwohl ich fremd und verhasst war, begann ich mich einzuleben und es zeitweise sogar zu genießen.", sie machte eine kurze Pause und dachte an das was folgte: Ihr Treffen mit Bolwarth, ihren Auftrag und ihre anschließende Feier und dann das lange Vergessen, was sie befallen hatte, bis sie in der Klamm wieder ihren Namen hörte. Se beschloss dies auszusparen und fuhr mit ihrer Gefangennahme fort: "In diesem verdammten Loch wartete ich also und erneut rettete er mich und führte mich hinaus in die Wildnis. Hier wurde mir das erste mal bewusst, was ich eigentlich empfinde, doch ich traute mich nicht es auszusprechen. Wir zogen weiter, landeten hier in Lorien, wurden wieder vertrieben, landeten getrennt in Rohan, kämpften uns durch und durchschritten das ganze Land, befreiten einige Dörfer und Städte und schafften es sogar einige verzweifelte Geister zu finden, die uns aufnahmen, doch auch hier endete es vielerorts in Vorurteilen und Hass und am Ende wurden wir in Dunland wieder vertrieben, nachdem Saruman es an sich gerissen hatte. Mit all diesem Hass und den ganzen Vertreibungen fühlte ich mich zeitweise am Ende, doch seit ich vor dem Düsterwald stand, hatte ich tief in mir einen Traum: Irgendwo ein friediches, ruhiges Leben aufbauen und endlich allgemein als Mensch akzeptiert zu werden. Bis dahin waren Bogan und Barlae die einzigen, die mir die Kraft gaben dieses Ziel weiter zu verfolgen, denn die beiden glaubten daran und allein die Hoffnung bei ihnen zu sein reichte um mich voranzutreiben. In Rohan bin ich hunderte Meilen gelaufen, habe ein ganes Lager Abtrünnige in den Tod getrieben, die Wiedereroberung der Klamm geplant und all dies nur, weil ich diesen Traum folgte. Als ich sie dann wiede sah, hatten wir es fast geschafft, doch im Dunland, unserer letzten Aufgabe in Rohan scheiterten wir und nun sind wir hier und erfahren vom Erebor. Was auch immer wir tun, wir kommen nie zur Ruhe!"
Auf einmal brachen alle aufgestauten Emotionen heraus, die Gedanken an ihre Zeit in Rhun, die ständigen Zwschenfälle, die sie davon abhielten zur Ruhe zu kommen, ihr Scheitern im Dunland, Barlaes Verletzung und Bogans Fortgang, alles drehte sich auf einmal in ihrem Kopf. Unkontrolliert sprangen Tränen aus ihren Augen und sie schaffte es nicht mehr die Bilder aus ihrem Kopf zu verjagen. "Es ist eigentlich nicht meine Art, doch seit dem Düsterwald überkommt es mich immer wieder", brachte sie schwer hervor. Selonîn umarmte sie fest und flüsterte ihr dabei ins Ohr: "Vielleicht ist es doch deine Art und man hat sie dir nur ausgetrieben. Irgendwann findest du dein wahres Ich und wirst daran weiter wachsen. Von deinen Anlagen her hast du alles wichtige was du brauchst, du musst nur noch das Richtige finden!"
Aiwyn schluchzte stärker, so weit sie sich zurückerinnern konnte wurde sie nur einmal in ihrem Leben tröstend umarmt: Damals auf der ewigen Sandwüste, als sie dem Tod nahe stand und ihre Kenntnisse teilte. Es war ein schönes Gefühl und doch traf es sie tief erneut an die alte Zeit erinnert zu werden und endlich wieder Zuneigung von einem Fremden zu erfahren ohne diesen vorher durch Errungenschaften dazu genötigt zu haben.
Sie brachte ein leises "Danke" über die Lippen und, als sie sich beruhigt hatte, fühlte sie sich trotz der düsteren Umgebung wunderbar.
Am nächsten morgen fühlte sie sich befreit und ruhig wie lange nicht mehr. Sie verließ das Bett, setzte sich für ein paar Minuten neben Barlae und suchte dann Selonîn auf, "Könnt Ihr ein besonderes Auge auf Barlae werfen? Ich muss Bogan suchen!" Die Elbe nickte und das Gefühl der Schwere kehrte in Aiwyn zurück - Eine Sache musste sie noch erledigen, bevor sie sich wirklich frei fühlen konnte, doch dieses bereitete ihr schon vom Gedanken her Schwierigkeiten.
Aiwyn, nach: Aussprache am See