Aiwyn und Jutan von: Wälder Lothlóriens IIEs dauerte nicht lange, bis Jutan wieder bei seinem Schlaflager angekommen war. Er wollte zuerst seine Sachen packen und sich gleich darauf bei Maethor, Gwilwileth und Nîdanadh verabschieden. Wahrscheinlich waren sie allesamt schon auf den Aufbruch vorbereitet.
Viel hatte er sowieso nicht mitzunehmen, da er auch nicht viel besaß. Ein wenig Elbenbrot, mehrere Streifen Dörrfleisch, sowie sein Schwert und seine Rüstung, mehr hatte er nicht. Er entschloss sich, seine leichte Elbenrüstung sofort anzulegen und mit ihr zu reisen. Wenn er und Aiwyn auf dem Weg nach Rohan von Orks überfallen würden, dann hätte er sowieso nicht mehr Zeit, sie sich anzuziehen. Langsam streifte er sich sein Kettenhemd über, doch kaum saß es richtig, begann die Wunde an seiner linken Schulter unter der Berührung des Kettenhemdes fürchterlich zu brennen.
Jutan stöhnte auf. Mit den Fingern seiner rechten Hand bahnte er sich den Weg zu den lila Äderchen, und dann hob er die Ringe aus Elbenstahl weg von seiner Wunde, die augenblicklich aufhörte zu brennen.
Was für eine dunkle Magie liegt nur in dieser Wunde, dass sie nicht in Berührung mit elbischem Metall kommen will? Wie soll ich denn meine Kettenrüstung anlegen, wenn nicht so?Sein Entschluss war schnell gefasst. Er streifte sich sein Kettenhemd noch einmal ab, dann Riss er die Ärmel seines Hemdes ab und verband damit so dick und flächendeckend wie möglich seine linke Schulter. Dann zog er sich sein Kettenhemd wieder über. Nun, mit dem dicken Stoffpolster, begann seine Wunde nicht mehr, unter dem Elbenstahl zu brennen. Das war auch gut so. Schnell streifte er sich die restlichen Teile seiner Rüstung über: Die Arm- und Beinschienen, die Schulterplatten und den Brustharnisch. Dann packte er seine Sachen zusammen.
Erst in diesem Moment fiel ihm ein Brief auf, den jemand an sein Schlaflager gelegt hatte. Vorsichtig brach er das ihm unbekannte Wachssiegel und las die elbischen Schriftzeichen. Als er geendet hatte, wurde ihm klar, dass er Gwilwileth wohl nicht mehr in Lothlorien finden würde. Sie wollte Rache nehmen für ihre Famile, und daher war sie schon aufgebrochen. Zum Glück hatte er bereits eine neue Weggefährtin gefunden.
Nîdanadh war dann wahrscheinlich auch schon fort, also ging es nur noch darum, Maethor zu finden. Am vorigen Tag war er nich in seiner Schlafstatt nahe der Jutans gelegen, doch nun war er fort. Als Jutan sich zum Bett des Kriegers hindrehte, spürte er plötzlich eine Hand auf seiner rechten Schulter. Blitzschnell drehte er sich um und legte die Hand an den Griff seines Schwertes, doch es war kein Feind, der ihm gegenüber stand.
Langes goldenes Haar wallte vom Kopf des Elben, und sein gesamter Körper schien von einer Aura des Lichts umgeben zu sein, ähnlich wie die Schatten, die den Hexenkönig umgeben hatten, nur ermutigend anstatt entmutigend. Seine Rüstung glänzte im Schein der Sonne, und er wirkte wie aus einer anderen Welt.
Es war Glorfindel, einer der mächtigsten Elben Mittelerdes, derjenige, der die Mission zur Tötung des Hexenkönigs angeführt hatte. Er war es gewesen, der Jutan verweigert hatte, mitzukommen, doch durch Maethors gutes Zureden war er dennoch mitgekommen.
Als hätte der Elb Jutans Gedanken erraten, sagte er: "Ich muss mich wohl bei dir bedanken, dass du trotz meines Verbotes dennoch mit meiner Truppe mitgekommen bist. Ohne dich wäre vermutlich ganz Lothlorien verloren gewesen." Ein angedeutetes Lächeln spielte sich um die Lippen Glorfindels. "Du hast in der Schlacht bewiesen, dass auch jene, denen man es nicht zutrauen würde, große Taten vollbringen können. Dein Mut ist sehr groß, ebenso wie diene Entschlossenheit. Ich bin sehr beeindruckt von dir, Jutan, Haleths Sohn. Auch diejenigen Elben, die du dazu gebracht hast, in Mittelerde zu bleiben und für ihre Heimat zu kämpfen, sagen, sie wären durch deine Hoffnung davon überzeugt worden, dass es doch noch Hoffnung auf einen Sieg gäbe."
Während der nun einsetzenden Pause versuchte Jutan erst einmal, seine Gedanken zu ordnen. Es war wahr, einer der mächtigsten Elben Mittelerdes stand vor ihm und rühmte ihn wegen seiner Tapferkeit und seines Einsatzes für die Rettung Lothloriens! Er wusste gar nicht, was er antworten sollte, doch irgend etwas musste er doch sagen, damit der Elb ihn nicht für einen Trottel hielt. Schließlich brachte er ein halb gemurmeltes: "Danke, mein Herr" zustande.
Das Lächeln auf dem Gesicht Glorfindels wurde nun ein wenig deutlicher, und er breitete seine Arme aus: "Nicht nur ich, sondern hunderte Elben verdanken deinem Heldenmut ihr Leben, daher musst du dich nicht für den Ruhm, der dir zusteht danken. In den Geschichtsbüchern Mittelerdes wird dein Name sicher noch lange geschrieben stehen, Jutan. Ich sehe, du willst die Wälder verlassen. Wohin führt dich dein weiterer Weg, Menschensohn?"
"Ich möchte nach Rohan, um meine Heimat dem Griff Saurons zu entreißen. Meine Familie hat dort gelebt, und es leben sicher noch genug Menschen in diesem Land, um sie gegen den Mund Saurons aufzubringen und ihn zu stürzen. Das Volk Rohans ist noch keineswegs geschlagen, ihr Mut ist nur erloschen und wartet auf einen Funken, der ihn wieder entzünden wird."
Der Elb nahm Jutans Hand zum Kriegergruß: "So gehe denn, Jutan, Haleths Sohn! Ich bin sicher, dein Mut und deine Überzeugung werden dazu beitragen, den Kampfgeist des Volkes Rohans wieder zu entzünden. Zur Zeit begeben sich viele kleinere Gruppen nach Rohan, um Aufstände gegen den Mund Saurons zu schüren. Du kannst dich sicherlich einer dieser Gruppen anschließen. Faramir, der rechtmäßige Statthalter Gondors, ist ihr Anführer."
Jutan erwiderte den kräftigen Händedruck Glorfindels und antwortete ihm: "Ich habe bereits eine Weggefährtin gefunden, werter Glorfindel. Es war mir eine Ehre, mit Euch in dieselbe Schlacht ziehen zu dürfen, doch nun trennen sich unsere Wege wohl. Ich hoffe darauf, Euch eines Tages wieder zu sehen."
"Spätestens in den Hallen des Mandos, in welche die Toten gehen, werden wir uns wieder treffen. Ich gebe dir aber noch einen Ratschlag mit: Lass deinen Mut zu deiner Waffe werden, verwechsle Mut jedoch nie mit übertriebener Tollkühnheit. Mut macht dich Stärker, Tollkühnheit bringt dich ins Verderben."
"Ich gebe dir auch meine besten Wünsche mit", ertönte eine dritte Stimme. Jutan drehte sich um und erblickte den einarmigen Maethor, welcher gerade hinter einem Baum hervorgetreten war und auf ihn zuging. Wortlos gab er ihm den Kriegergruß und drehte sich wieder um. Jutan erwiderte ihm noch: "Maethor, ich bin froh, dass wir Seite an Seite gegen unseren übermächtigen Gegner kämpfen durften. Dir gebührt mindestens genauso viel Ruhm wie mir, denn nur gemeinsam ist es uns gelungen, den Hexenkönig zu besiegen und sein Heer in die Flucht zu schlagen."
Der einarmige Krieger hielt in seiner Bewegung inne, und ohne sich umzudrehen, sagte er noch: "Mein Leben lang war ich auf der Suche nach immer mächtigeren Gegnern, doch nun werde ich noch eine Zeit lang hier bleiben. Die Wunden, die mir diese Schlach geschlagen hat, sind größer, als du sie dir vorstellen kannst. Ich bewundere deine Willensstärke, trotz der Morgulwunde weiterzuziehen, doch ich werde nicht mitkommen. Vielleicht sehen wir uns einmal wieder, Haleths Sohn."
Maethor ging weiter auf seine Schlafstatt zu, und Jutan machte keinen weiteren Versuch mehr, seinen Kampfgefährten noch einmal anzureden. Stattdessen wandte er sich wieder an Glorfindel: "Ich danke Euch für Euren Rat, Herr Glorfindel, und ich werde ihn in meinem Herzen tragen. Nun muss ich jedoch gehen, denn meine Gefährtin erwartet mich bei Sonnenuntergang, und die Sonne steht schon sehr tief."
Die beiden gaben sich noch einmal den Kriegergruß, und dann wandte Jutan sich ab, in die Richtung des Einganges der Heilhäuser Lothloriens...