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Autor Thema: Geschichtsthread  (Gelesen 68177 mal)

CynasFan

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Re: Geschichtsthread
« Antwort #255 am: 5. Okt 2015, 22:56 »
Vielen Dank für diese Antwort (Palland)Raschi :)

Hier habe ich auch noch direkt eine neue Frage, zeitlich etwa in der selben Spate anzusiedeln.
Und zwar würde ich gerne mit euch diskutieren, weshalb die sogenannte "Luftschlacht über England" abgebrochen wurde.

Natürlich weiß ich, dass sowohl die neuen Spitfires der englischen Streitkräfte als auch die Messerschmitts der Deutschen von etwa gleicher Qualität waren, was die Flugzeuge selbst anging, wodurch die Piloten wichtiger wurden. Ebenso ist mir das Radar Englands durchaus bewusst (wobei übrigens auch Deutschland eines hatte, welches sogar teils fortschrittlicher war xD) und womit sich dann die Angriffe besser abwehren ließen.

Was mir aber sauer aufstößt ist folgendes: Die Wehrmacht kam nicht rein nach England, OK, aber wieso war man so, entschuldigt bitte die Ausdrucksweise, bescheuert und hat weitere Angriffe abgeblasen?

England hätte ganz sicher niemals einfach so aufgegeben, nur weil die Deutschen die Lust verloren hatten! Das man dann noch eine zweite Front in Europa (Ostfront gegen die UdSSR) eröffnete müsste doch selbst dem unerfahrensten General sagen, dass so eine Tat militärischer Blödsinn ist.
Man kann doch nicht erwarten, nur weil man selber nicht mehr angreift, dass ein angegriffenes Land dann auch mit seinem Krieg gegen den Aggressor aufhört, insbesondere da England zu dieser Zeit bereits starke Unterstützung von Ländern wie Kanada oder den USA erhielt, was dem deutschen Generalsstab ebenfalls gut bekannt war. Warum hat man dennoch nicht weiter angegriffen und sich in die dumme Position eines Zwei-Fronten-Krieges gestürzt?
Gruß, CynasFan
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(Palland)Raschi

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Re: Geschichtsthread
« Antwort #256 am: 5. Okt 2015, 23:16 »
Zitat
Was mir aber sauer aufstößt ist folgendes: Die Wehrmacht kam nicht rein nach England, OK, aber wieso war man so, entschuldigt bitte die Ausdrucksweise, bescheuert und hat weitere Angriffe abgeblasen?

Also DEN Grund wird man nur schwer ausmachen können. Es gibt eine Reihe von Erklärungsmöglichkeiten, die auch in einem Zusammenhang als Ganzes gesehen werden können.

Ein Gesichtspunkt ist sicherlich, dass es Hitlers Ziel eigentlich nie war, mit Großbritannien im Krieg zu stehen. Er wollte möglichst zügig Frieden mit den Briten schließen, um sich dann ungestört nach Osten zu wenden. Entsprechend halbherzig war das gesamte Invasionsunternehmen auch geplant. Es war vielleicht mehr eine Art "Überzeugungsversuch", der die Übermacht der deutschen Armee darstellen und die Aussichtslosigkeit der Lage klarmachen sollte, sodass es zügig zu Friedensgesprächen gekommen wäre.

Weiterhin hat Hitler oft nicht rational entschieden, vorallem auch militärisch nicht. Er wollte so schnell wie möglich den Lebensraum im Osten erobern. Dass er die Tragweite seiner Handlungen nicht erkannte und in vielen Situationen auf Glück spielte zeigt das deutlich. Und diesmal hatte er eben Pech und sein Plan ging nicht auf. Die Briten konnten fast problemlos große Teile des deutschen Reichs aus der Luft plätten, da die meisten Jagdgeschwader nicht an der Heimatfront stationiert waren, sondern vorallem im Osten.
Vor dem Hintergrund dürfte man auch deine Aussage sehen
Zitat
England hätte ganz sicher niemals einfach so aufgegeben, nur weil die Deutschen die Lust verloren hatten! Das man dann noch eine zweite Front in Europa (Ostfront gegen die UdSSR) eröffnete müsste doch selbst dem unerfahrensten General sagen, dass so eine Tat militärischer Blödsinn ist.
Zitat
Und zwar würde ich gerne mit euch diskutieren, weshalb die sogenannte "Luftschlacht über England" abgebrochen wurde.

Schlechte Planung, unfähiges Großmaul Göring, ungeeignete Flugzeuge.

Der Wehrmacht fehlten 4 motorige Langstreckenbomber. Das große Problem war der Geleitschutz, da die Bf.109 nicht lang genug in der Luft bleiben konnte, und die Bf. 110 zu sperrig war. Außerdem verlor man viele Piloten, da diese in Gefangenschaft gerieten, die gegnerischen aber erneut eingesetzt werden konnte.

Die Planung war fehlgeleitet, da man sich auf die Städte konzentrierte und nicht auf die Einrichtungen der RAF. Deren Einheiten hätten diese Angriffe nicht abwehren können. Trotz schlechter Ausgangslage war ein Luftsieg daher möglich, aber nur mit richtiger Priorisierung, die leider fehlte.

Den Rest besorgte Göring selber.

Zitat
Warum hat man dennoch nicht weiter angegriffen und sich in die dumme Position eines Zwei-Fronten-Krieges gestürzt?

Hitler und logisches Handeln passt nicht zusammen. Daher erübrigt es sich, dieser Fragestellung nachzugehen ^^
MfG Raschi

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Saruman der Bunte

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Re: Geschichtsthread
« Antwort #257 am: 8. Okt 2015, 19:04 »
Hi, ich wollte mal einen Vorschlag machen; wir könnten doch Stück für Stück versuchen, verbeitete '"historische Mythen", falsch wiedergegebene Informationen, usw. zusammenzutragen und zu berichtigen.
Als Anfang: kolibri hat ja schon öfter mal erwähnt, das der weitverbreitete Glaube an Stände im Mittelalter, aus denen mann nicht raus könne, so nicht stimme. Darum würde mich jetzt interessieren; was genau ist falsch an diesem "Mythos", wie war es 'eigentlich' (bzw. nach dem neusten Stand der Geschichtswissenschaft)?


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Re: Geschichtsthread
« Antwort #258 am: 8. Okt 2015, 19:10 »
Also mit ständen meint ihr die "klassen", also adel, volk, kaiser, könig us?
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Re: Geschichtsthread
« Antwort #259 am: 8. Okt 2015, 19:12 »
Das was in der Schule unterrichtet wird spricht ja von einer "festen" Einteilung in 1.Stand (Klerus), 2.Stand (Adel) und 3.Stand (Bürger). Und darüber der Fürst (Herzog/König/Kaiser, usw.).


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Re: Geschichtsthread
« Antwort #260 am: 8. Okt 2015, 19:14 »
Klerus waren doch die Heiligen/Geistlichen (Priester, Kirchlichen etc)?
Was treiben ein Elb, ein Mensch und ein Zwerg hier in der Riddermark? Sprecht rasch!

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CynasFan

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Re: Geschichtsthread
« Antwort #261 am: 8. Okt 2015, 19:16 »
Es kommt darauf, von welchem Stand, von welcher Zeit und von welchem Ort man spricht!
Mal als klassisches Beispiel und dem Ursprung des Sprichwortes zu Grunde: nach Jahr und Tag
Damit meinte man, wenn jemand als Leibeigener etwa in einer Stadt für ein Jahr und einen Tag lebte und der Besitzer nichts sagte, dann war man offiziell frei! Man war kein Bürger der Stadt, aber es gab niemandem der einen einfach so befehlen durfte (mal von Adel und Klerus abgesehen ;)).
Ein weiteres Beispiel wäre Jeanne D´Arc, welche vom König in den Adelsstand erhoben wurde (zuvor war sie die Tochter von Bauern), aber das kam selten vor. xD
Gegenbeispiele wären natürlich, als freie Bauern ihr Land aufgaben und sich freiwillig in die Unfreiheit von Großgrundbesitzern und Adligen begaben, da sie so besser leben konnten oder wenn mal ein Adeliger sich derart falsch verhielt, dass er seines Standes enthoben wurde (wenn sich mal ein Fürst seinem König widersetzte oder man wurde exkommuniziert).

Dennoch war der wohl einfachste Weg über die Städte und da Geld zu verdienen und als Kaufmann richtig reich zu werden.
Oder natürlich die Dreier-Regel: Der erste Sohn übernimmt das Gut, den zweiten Sohn bekommt die Kirche und den dritten bekommt der Krieg. xD
Gruß, CynasFan

Edit: Saruman, du hast da was falsch!
Der erste Stand war der Adel, der zweite der Klerus. Nicht umgekehrt. ;)
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Re: Geschichtsthread
« Antwort #262 am: 8. Okt 2015, 20:36 »
Edit: Saruman, du hast da was falsch!
Der erste Stand war der Adel, der zweite der Klerus. Nicht umgekehrt. ;)

Also wir lernen in der Schule das der 1 Stand die Kirche/Geistlichen sind.
Weiß aber nicht was jetzt stimmt^^

Es gab doch später dann in der Stadt auch "Stände" oder "Schichten".....
Vom Henker,über einfache Handwerker bis hin zum wohhabenden Kaufmann.
Also mit ständen meint ihr die "klassen", also adel, volk, kaiser, könig us?
Kaiser und König gehören schon zum Adel :P
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Danke für das Dain Bild ;)

CynasFan

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Re: Geschichtsthread
« Antwort #263 am: 8. Okt 2015, 20:44 »
Zum ersten: Ich habe es immer so gelernt und gehört. xD

Zu den Schichten/Ständen:
Die gab es natürlich auch in der Stadt, das war ja die von Gott gewollte Ordnung aller Dinge, so glaubten die Menschen. 8-|
Allerdings waren die Stände dort anders aufgebaut. Es gab da eigentlich folgende: Bettler und Sklaven, Arbeiter, Zunftmitglieder und Kaufleute; sowie Bänker und ähnliches, Geistliche und zuletzt den Adel, die Juden waren da noch eine eigentlich separierte Gruppe.
Gruß, CynasFan
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Re: Geschichtsthread
« Antwort #264 am: 8. Okt 2015, 20:51 »
Zitat
Als Anfang: kolibri hat ja schon öfter mal erwähnt, das der weitverbreitete Glaube an Stände im Mittelalter, aus denen mann nicht raus könne, so nicht stimme.

Ich zietiere mich zu der Ausgangsthese mal selber, denn ich halte es nicht vollumfänglich für einen Mythos:

Zitat
Denn gerade im Mittelalter hieß Land zu besitzen auch Macht zu haben. Daran orentiert man sich natürlich auch bei der Einteilung der Stände.
Man kann natürlich theoretisch annehmen, diese seien funktionaler Natur, und das mag auch gedanklich richtig sein, dass ein schnelles Wechseln der Stände gewünscht war. Faktisch allerdings war der Austausch zwischen den Ständen recht selten und sehr schwierig. Gerade auch weil Land eben ein endliches Gut ist, und das Lehen relativ schnell erblich wurde, war beispielsweise der Wechsel in den Wehrstand höchst kompliziert.
Das dürfte auch das reiche Stadtbürgertum sehr gestört haben.

Ich habe wegen der theoretischen Möglichkeit des Wechsels ja auch nicht von Kaste geschrieben, wie man sie in Indien findet.
Gerade allerdings für die Mehrheit der Menschen, das heißt unfreie Bauern dürften diese Gedanken in sehr weiter Ferne gelegen haben.
Ich gebe allerdings zu, dass dies auch in der gesamten Neuzeit und teilweise auch darüberhinaus der Fall war.
Einzig die geistlichen Ämter waren gangbar, und vielleicht von Erfolg gekrönt.
Insofern wieder ein Punkt für die Kirche, der durchaus fortschrittlich war.
MfG Raschi

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kolibri8

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Re: Geschichtsthread
« Antwort #265 am: 9. Okt 2015, 17:23 »
Also, das größte Problem, das das Wort Stand mit sich bringt, ist die Tatsache, dass das Wort Stand für viele verschiedene Dinge benutzt wird.

Zum einen gibt es das Wort Stand (im lat. Ordo) in einer von Gott gegebenen Ordnung in der die Gesellschaft aufgeteilt wird. Es gab Priester, und auch Könige die diese Idee vertreten haben (insb. Adalbero von Laon). Diese Einteilung gibt es seit der Antike, zunächst in Laien und Priester, später wird der Laienstand in Arbeiter und Krieger unterteilt. Das wichtige aber ist, diese Aufteilung ist rein funktional. Wir haben da eine Gruppe die Betet für alle (wichtig, damit alle ins Paradies kommen), eine Gruppe die für alle arbeitet (damit alle was zu essen haben) und eine Gruppe, die für die anderen kämpft und diese beschützt.
Aus dieser funktionalen Dreiteilung lässt sich aber keine Rangfolge per se herleiten. Dem ersten Stand/der ersten Gruppe, dem stand der Oratores/Beter ("Klerus"), wird dabei besondere Bedeutung zugemessen, weil er für das Seelenheil der Menschen sorgt (was im MA das wichtigste war).

Alfred der Große schreibt einmal von einer Aufteilung der Menschen in weorcmen (Werkmänner, Arbeiter), fyrdmen (Fyrd-Männer, Krieger) und gebedmen (Gebetsmänner, Beter), damit hat die Idee einer funktionalen Aufteilung durchaus eine gewisse Verbreitung gefunden, ist aber dennoch kein Spiegel der sozialen Wirklichkeit.

Zitat von: Oexle: Die funktionale Dreiteilung der "Gesellschaft" bei
Adalbero von Laon. S. 3-4
Die Lebenswelt der Menschen des Früh- und Hochmittelalters war gekennzeichnet durch eine Fülle von societas (= 'Gesellschaften'), das heißt: sozialen Gruppen oder 'Gemeinschaften', zu deren Bezeichnung eine verwirrende breit gefächerte Terminologie zur Verfügung stand; der Begriff der Gesellschaft als einer Gesamtheit aller sozialen und ökonomischen Prozesse war jenen Menschen fremd. Nicht anders verhält es sich mit Begriffen wie 'Kaste', 'Klasse' und 'Stand', mit deren Hilfe gleichwohl immer wieder die Struktur der mittelalterlichen 'Gesellschaft' beschrieben werden soll. Vor allem der Begriff des Standes ist für eine Beschreibung der sozialen Wirklichkeit des früheren Mittelalters wenig geeignet, weil sowohl der Begriff als auch die in ihm begriffenen sozialen und politischen Phänomene seit dem Mittelalter außerordentliche Wandlungen erfahren haben und schließlich der alteuropäische  Ständebegriff durch die Auseinandersetzungen des 19. und 20. Jahrhunderts über Ständeordnung, Klassenkampf und Parteiendemokratie zusätzlich überlagert wurde.

Es gibt natürlich durchaus einen Gegensatz zwischen Geblütsadel und Nicht-Geblütsadel, sei das der Geld- oder Stadtadel oder einfach die Nichtadeligen. Man wird sicherlich Texte finden, in denen der Adel als Stand bezeichnet wird, das ist aber nicht umbedingt der selbe Standbegriff, wie in einer von Gott gegebenen Ständeordnung. Eines der Probleme der Ständeordnung ist die Tatsache, dass es möglich ist als Vertreter mehrere Stände aufzutreten, ein Tempelritter ist Beter und Krieger, gehört also zwei Ständen an.  Ein Bauer der sich bewaffnet um sich vor Ungarn, Sarazenen, Wikingern zu schützen, tritt als Krieger auf und verlässt seinen Arbeiterstand. Das fand der oben genannte Adalbero von Laon nicht so toll (oder er fände es nicht so toll, die Gründung geistlicher Ritterorden hat er nicht mehr erlebt, hat aber eine Art Satire geschrieben, in der ein Mönch als Ritter auftritt) deshalb hat er sich in einem Brief an seinen König gewandt und den gebeten, er solle doch bitte seiner Aufgabe (als Krieger) nachkommen und die Bauern vor den Fehden der Fürsten und den Plünderungen der Heiden schützen (also nicht nur die bösen Bauern, die sich anmaßen Krieger zu sein, sondern auch die bösen Krieger die ihre Aufgabe die Bauern zu schützen, vernachlässigen).

Dann gibt es im Reich die Reichsstände, da haben wir wieder das Wort Stand in einer anderen Bedeutung, und bezeichnet grob einfach nur die Leute die im Reichstag sitzen.

Was auch gerne benannt wird ist eine "Ständepyramide", die aber eher Schichten darstellt statt Stände und irgendwie eine Vermischung von funktionaler Dreiteilung und Reichsschildordnung ist. Und in der Reichsschildordnung kommen Bauern gar nicht vor, sondern sie zeigt nur die Rangfolge der Fürsten im Reich auf.
Eine "Ständepyramide" gab es nicht.

Punkt soziale Mobilität, wie ich bestimmt schon genannt habe, gab es beispielweise Ministerale. Das sind Leute, die ursprünglich unfreie Bauern sind. Sich irgendwie bewährt haben, und daher von ihrem Grundherrn mit besonderen Aufgaben betraut wurden, z.B. der Sicherung von Landstraßen mithilfe einer Burg. Mit der Zeit wurden aus diesen Unfreien selbst Burgherren, die schließlich Freie wurden und in den Ritterstand aufstiegen. Hätten wir eine Ständegesellschaft nach dem gerne propagierten, kastenartigen Muster, wäre das nicht möglich.

Und noch ein Zitat von Oexle:
Zitat von: Oexle: Die Entstehung politischer Stände im Spätmittelalter. S. 143-4.
Dabei ist zu erinnern, daß es Stände ja nicht 'wirklich' gibt, so wie Individuen und Gruppen. Stände sind keine historischen Subjekte; sie handeln nicht. Stände (wie auch 'Schichten' oder 'Klassen') gibt es nur insofern, als Menschen davon überzeugt sind, es gebe sie. Sie sind 'wirklich' nur als Elemente einer 'gedachten Wirklichkeit' (einer "société idéale" im Sinne von Émile Durkheim).
Der ganze Aufsatz ist interressant und (leider nur) teilweise bei Google Books zulesen: Oexle, Otto Gerhard: Die Entstehung politischer Stände im Spätmittelalter - Wirklichkeit und Wissen, in: Blänkner, Reinhard/ Jussen, Bernhard (Hrsg.): Institutionen und Ereignisse. Über historische Praktiken und Vorstellungen gesellschaftlichen Ordnens, Göttingen 1998, S. 137-162.

Wäre im übrigen leichter, wenn ihr euch die Aufsätze selbst mal durchlest, dann muss ich sie nicht immer referieren [ugly].
Außerdem:

Oexle, Otto Gerhard: Die funktionale Dreiteilung der "Gesellschaft" bei Adalbero von Laon. Deutungsschemata der sozialen Wirklichkeit im frühen Mittelalter, in: Frühmittelalterliche Studien 12, 1978, S. 1-54.

und:
Oexle, Otto Gerhard: Stände und Gruppen. Über das Europäische in der europäischen Geschichte, in: Borgolte, Michael (Hrsg.): Das europäische Mittelalter im Spannungsbogen des Vergleichs, Berlin 2001, S. 39-48.

Der letzte ist recht kurz, das sollte jeder von euch schaffen ;).

Einen Aufsatz von Oexle (Das Bild der Moderne vom Mittelalter und die moderne Mittelalterforschung; von 1990) hätte ich noch als PDF, falls jemand Interesse hat? :P

Im Übrigen, was die Mythen übers Mittelalter angeht, es gibt da ein Buch einer französischen Historikerin: Régine Pernoud: Those Terrible Middle Ages! Debunking the Myths. Ist eine (englische) Übersetzung, es ist auch ganz gut geschrieben, auch wenn es nicht die Anforderungen eines wissenschaftlichen Buches erfüllt (oder französische Historiker ticken anders als deutsche :D).


was genau ist falsch an diesem "Mythos", wie war es 'eigentlich' (bzw. nach dem neusten Stand der Geschichtswissenschaft)?

Um es also auf die Frage zu konkretisieren: MMn ist es so: Es gibt Leute, vor allem Priester die von einer Einteilung der Gesellschaft in gottgegebene Stände gepredigt haben, vor allem um zu verhindern, das Menschen ihre Stände verlassen. Das hat aber, lapidar gesagt, nicht geklappt. Solche Priester haben dann im Spätmittelalter, statt von ursprünglich drei Ständen, von fast 30 Ständen gesprochen. Der Grund ist einfach: Die Mittelalterliche Gesellschaft lässt sich nicht in Stände einpferchen, dafür ist sie zu komplex und vielfältig, und vor allem sozial mobil. Von daher kann man nicht sagen, das die Gesellschaft im Mittelalter in drei (oder mehr) Stände geteilt war.

Ihr seht ja schon selbst, das ihr sagt, das war von Zeit, Ort, Situation, sonst was abhängig und unterschiedlich. Die Tatsache, das die Ständeordnung nicht überall, und die ganze Zeit gleich aufgebaut ist, deutet mehr auf eine Ständeunordnung hin.

So ich hoffe der Text ist jetzt noch inhaltlich geschlossen und macht Sinn :D.
RPG:
1. Char Alfward bei Dol Guldur.
2. Char Qúsay in Aín Sefra.

Das Wiki zum RPG. Schaut mal ruhig vorbei ;).

Neu im RPG und Probleme mit dem Namen? Schickt mir einfach 'ne PM ;).

Geschichtsfragen? Hier gibt's Antworten.

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Re: Geschichtsthread
« Antwort #266 am: 9. Okt 2015, 17:54 »
Ok, das ist sehr interessant, kolibri! Danke für die Erklärung! :)

Außerdem:
Zitat
Einen Aufsatz von Oexle (Das Bild der Moderne vom Mittelalter und die moderne Mittelalterforschung; von 1990) hätte ich noch als PDF, falls jemand Interesse hat?

Ja, mich würde es durchaus interessieren! Kannst du ihn mir schicken?


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CynasFan

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Re: Geschichtsthread
« Antwort #267 am: 9. Okt 2015, 18:19 »
Hier noch ein Mythos:
Die Grenzöffnung der DDR durch Günther Schabowski

Oftmals wird das ja als Versprecher gehandhabt, aber in Wahrheit wusste Schabowski selber nicht, was er da vorlas! :o
Er hat diesen Text vom Politbüro bekommen und KEINE weiteren Informationen zu den Regelungen der Ausreise und auch bei den ganzen Gesprächen zu diesem Thema und der Erarbeitung des Konzepts zu dieser Öffnung war Schabowski gar nicht dabei. Ich glaube sogar, der wusste nicht einmal vorher etwas von diesen Gesprächen.
Also das war ein ebenso großes Missverständnis zwischen den Menschen und Schabowski, wie gestern beim Katapult der Ered Mithrin, wo dieses von einigen Usern heftig Kritik abbekam, weil es leicht OP sein könnte und Ea da noch weitere Erklärungen nachgeschoben hat. Also das soll jetzt einfach mal einen kleinen aktuellen Vergleich bieten!
Durch das Update vom Team wird die BRD wohl kaum auseinanderbrechen! [ugly] :D
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Re: Geschichtsthread
« Antwort #268 am: 9. Okt 2015, 20:06 »
Ok, kolibri8 hat wohl grad mal einen rausgehauen. Wahrscheinlich genau sein Dissertationsthema oder so  xD
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Re: Geschichtsthread
« Antwort #269 am: 9. Okt 2015, 22:02 »
Mich würde mal interessieren was ihr zu vor Kriegsgeschichte des 2.Weltkrieges sagt:)in der Schule erfährt man leider gar nichts darüber, dort wird nur kurz erwähnt Deutschland hat Schuld gut ist es...Aber was ist mit dem 16. Punkte Plan(Korridor-Frage/Danzig Problematik) bzw. der aggressiven Außenpolitik von Polen (3 Kriege geführt in nur 20 Jahren) oder den Kriegsprovokation durch England wenn es denn eine gab (man liest im Internet etliche Zitate von Churchill darüber das England Krieg mit Deutschland wollte)?Ich selber bin da etwas uninformiert und wir werden das Thema demnächst in der Q2. Wiederholen
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