Eiskalt brüllte der Aufseher uns an und trieb uns unbarmherzig immer weiter durch die glutheiße Hitze. Mehrere von uns waren bereits auf dem Weg zusammengebrochen. Meist waren es jene, die zu wenige oder zu viele Monde erlebt hatten. Unsere Wächter waren binnen eines Augenschlags bei jenen gewesen und haben den durstigen Sand unter unseren Füßen ihr Blut schmecken lassen. Ursprünglich waren wir 50 kräftige Sklaven gewesen. Als die Sonne blutrot unterging waren wir nur noch 22. Alle Sklaven waren Gefangene aus dem Westen, größtenteils durch die Wagenkriege hierher verschleppt. Nun wurden wir immer weiter nach Osten gebracht, in das Nichts, wo nur Felsen und Sand war, weg von den fruchtbaren Wiesen, die zu dem Zeitpunkt einen Tagesmarsch entfernt lagen und die bald von dem Blut unzähliger Ostlinge befleckt sein sollten. Niemand hatte uns etwas gesagt, doch wussten wir alle weshalb wir weggebracht wurden:
Ein Gerücht hatte die Runde gemacht, ursprünglich nur ein Flüstern ähnlich einer leisen Windböe; Borlad, der Tyrann und unrechtmäßige Herrscher über Rhûn hatte nur zwei Jahre nach seiner Machtübernahme mit dem Sohn seines Vorgängers zu kämpfen.
Mit der Zeit wurde dieses Flüstern immer lauter, immer mehr Sklaven hörten die Soldaten flüstern, sahen sie unruhig werden und rochen ihre Angst.
Schließlich war es so weit, es brach erneut Krieg aus und dieses Mal schien Borlad zu unterliegen. Die gesamten Armeen Rhûns standen sich gegenüber, die Masse der Soldaten war so gewaltig, dass die Schlacht so lang zu werden drohte, wie Borlads Herrschaft kurz war.
Doch wir Sklaven wurden weggebracht, keiner von uns sollte bei der Schlacht anwesend sein, keiner sollte sehen wie die Soldaten zu Berserkern werden, alle Ehre vergessend selbst Leichen zerstückeln, oder aber auch weinend, wie kleine Kinder rennen.
Wir Sklaven galten als Hindernis, wir hätten rebellieren können. Darum wurden wir weg gebracht, weit weg in die Wüste, wo Borlad uns sicher glaubte, wir nichts gegen ihn tun konnten und falls er unterlag keiner von seinen Gegnern wissen würde, wo wir waren, sodass wir kläglich verdursten würden.
Nachdem die Sonne untergegangen war wurde es kaum erträglicher für uns. Der sengenden Hitze folgte eine klirrend kalte Nacht. Doch wir rannten weiter.
Ich rannte und stütze mit letzter Kraft noch meine Frau, die noch immer unser Kind in den Armen hielt. Sie hasste es von mir gestützt zu werden, es verletzte ihren Stolz, doch unser Kind musste leben und nur gemeinsam waren wir stark genug es auch noch nach diesem langen Fußmarsch zu tragen. Sollten wir es nicht mehr schaffen gäbe es wieder eine neue Leiche, die unseren Weg mit beschrieb.
Das Gelände wurde langsam unebener, es ging immer steiler bergauf, große Felsen lagen um uns herum und Felswände zwangen unseren vorher geraden Kurs aufzugeben und in Kurven über verschlungene Pfade zu gehen. Unsere Aufseher waren unruhig geworden. Sie hatten länger gebraucht, als sie erhofft hatten und nach dem langen Ritt waren auch ihre Pferde am Rand der Erschöpfung und strauchelten immer häufiger.
Gerade als wir eine Kluft durchqueren wollten geschah es. Vor uns erschien ein einzelner Mann und der gesamte Zug erstarrte.
„Halt.“, sagte er trotzdem noch unnötigerweise. „Ihr habt das Reich der Bezuanen betreten. Die Uniformen von euch Soldaten zeigen deutlich, dass ihr Diener des Verräters seid.“
Einer von den Sklaventreibern trat vor.
„Die Bezuanen sind schon lange nicht mehr. Borlad hatte den Stamm ausgelöscht als er an die Macht kam. Die letzten Überbleibsel von euch waren in die Wüste gejagt worden. Ihr habt keine Macht mehr. Nun geht aus dem Weg und wir werden euer unwürdiges Erscheinen hier vergessen.“
„Ihr könnt nicht vorbei.“
„Was?“
„Ich sagte: Ihr könnt nicht vorbei. Dieser Pfad wurde freigelegt von jenen, die verbannt sind. Und die Verbannten halten ihn.“
Blitzschnell drehte der Sklaventreiber sich um und erkannte, dass sie in einer Falle saßen. Überall um sie herum waren Krieger in schwarzen Gewändern erschienen unter denen schimmernde Rüstungen zu erahnen waren.
„Wir kennen keine Gnade gegenüber den Dienern Borlads, des Verräters an unserem König und unserem Gott. Sauron selbst hat Ulfast in sein Amt gesetzt. Euer Herrscher hat ihn unrechtmäßig gestürzt und sich selbst auf den Thron gesetzt, der ihm nicht gehörte. Wir dienen nur Ulfasts Sohn Baugi und seinem, sowie unserem Gott. Ihr habt Glück – morgen ist der Tag des Gottes. Wir werden ihm wie jedes Jahr ein Opfer darbringen, ihr habt die Ehre daran teilzunehmen. Euer Blut wird Sauron gefallen. Nehmt sie fest.“
„Nein, wartet!“, schrie der Aufseher entsetzt, doch es war zu spät. Die vermummten Gestalten stürmten von allen Seiten auf sie zu, packten die Krieger, die verzweifelt versuchten sich zu wehren, fesselten sie und verschwanden mit ihnen wieder in der Dunkelheit.
Es waren nun nur noch die Sklaven und ein paar der schwarzen Krieger da.
„Ihr seid alles Sklaven des Verräters.“, fuhr der Redner fort. „Somit seid ihr seine Feinde gewesen. Ihr wart auch unsere Feinde, doch dies war einmal. Ihr dürft bei uns leben. Solange ihr keine Waffen benutzt und unsere Sitten und Bräuche achtet. Dieses Angebot gilt für alle Menschen unter euch.“
Erschöpft hob ich den Kopf und starrte ihn an. Seine Augen funkelten zurück. „Doch die Elben werden hier nicht wohnen können. Baugi verlangt das rechtmäßige Eigentum seines Vaters zurück. Für euch steht bereits ein Wagen und eine Eskorte bereit. Noch heute werdet ihr von hier verschwinden. Baugi wird uns für diesen Fang reich belohnen. Ihr Menschen aber, folgt mir, ich bringe euch zu eurer Unterkunft.“
Die Sklaven folgten zögernd dem Befehl. Während sie langsam verschwanden blieb ich mit meiner Gemahlin stehen. Wir schauten uns an und verstanden. Wir waren beide glücklich. Wir lebten noch und Baugi würde uns nicht töten wollen. Dessen waren wir sicher, ansonsten wären wir jetzt schon tot gewesen.
„Er ist gerade aufgewacht Araiôn“, flüsterte sie mir zu. Vorsichtig beugte ich mich über den Lumpenbeutel in ihren Armen. Große blaue Augen starrten mich an. Ein Lächeln umspielte den Mund des Babys. Ungewollt musste ich auch lächeln. „Er hat nichts davon mitbekommen.“, murmelte ich glücklich. „Nichts von dieser Flucht. Hoffen wir, dass er nie so etwas durchstehen muss. Nun komm Iriell. Dort vorne kommt der Wagen. Bald werden wir bei Baugi sein. Er wird uns nicht töten. Ich werde über euch wachen.“
Holpernd fuhr der Wagen über den steinigen Untergrund. Iriell lag mit geschlossenen Augen auf dem harten Holz, erschöpft, aber trotzdem lächelte sie. Seit sie entführt worden waren, war ihr Leben immer schlimmer geworden. Sie waren gedemütigt, gepeinigt und misshandelt worden. Sie hatten keine Zeit der Ruhe gehabt. Ständig musste sie auf ihr Kind aufpassen und trotzdem noch alle Arbeiten erledigen, doch jetzt konnte sie zum ersten Mal still sitzen. Seit sie von Dûrmarth übergeben worden waren, war sie in keinem Wagen mehr gefahren, alle Wege hatten sie zu Fuß bewältigen müssen. Sie wusste nicht wie es weitergeht, doch war sie zuversichtlich. Sie wusste, Araiôn würde Baugi überreden können, dass sie lebendig nützlicher waren als tot. Schlimmer konnte es zumindest nicht kommen. Die Nacht war fast vorbei, doch hatten weder sie noch ihr Gemahl geschlafen gehabt. In der Ferne hatten sie bereits vor längerem schon kleine Lichtpunkte entdeckt. Dies schien ihr Ziel zu sein.
Als die Sonne rot den neuen Tag begrüßte kamen sie an. Sie waren mitten in einem riesigen Lager, welches aus unzähligen Zelten bestand. Überall rannten Leute umher und brüllten hektisch Befehle, als ob jederzeit etwas Entscheidendes passieren könnte. Einige blieben stehen, doch es war schwer ob sie versuchten zu erkennen wer die beiden Personen und das Baby in dem Wagen waren, oder ob sie von den Bewachern, die sie den ganzen Weg über begleitet hatten, überrascht waren. Jedenfalls wurden alle, die ihnen im Weg standen, gewaltsam zur Seite gedrückt, wenn sie nicht freiwillig Platz machten. Schließlich blieb der Wagen stehen. Iriell schaute auf und erkannte, dass sie auf einem kleinen Platz vor einem großen Zelt waren, auf dem die Symbole Rhûns und des Königs gestickt waren.
Ein Soldat kam begleitet von zwei weiteren aus dem Zelt heraus und redete kurz mit gedämpfter Stimme mit einem der Krieger, die sie begleitet hatten. Nach einer kurzen Besprechung kehrte der Soldat wieder in das Zelt zurück. Doch sie mussten nicht lange warten, keine zehn Atemzüge später erschien wieder ein Mann, gefolgt von dem Soldat, der das erste Mal gekommen war und neun weiteren Soldaten. Es war unschwer zu erkennen wer er war – seine Haltung, seine Rüstung und sein Gesichtsausdruck ließen nur einen Schluss zu:
Dies war Baugi, rechtmäßiger Thronerbe Rhûns.
Auch er redete kurz mit dem einen Krieger, dann gab er einen Wink und ging zurück in das Zelt.
Ohne Worte befahlen die Soldaten um sie herum Iriell und Araiôn abzusteigen und ihnen zu folgen.
Auch sie betraten das Zelt.
Iriell ließ ihren Blick umherschweifen. Um sie herum waren prunkvolle Rüstungen, Waffen, Helme und Schilde. Zudem waren viele Rollen aus Pergament in Urnen und einige lagen ausgebreitet auf ein paar der Tischen, die vor ihnen i Raum standen. Baugi hatte sich auf einen großen Stuhl gesetzt und musterte sie mit einer unschwer zu erkennenden Neugier.
Doch zuerst wandte er sich an ihre Begleiter.
„Die Bezuanen standen immer treu hinter dem wahren König. Dafür wurdet ihr verbannt. Doch dies war ein Fehler des Thronräubers. Er hat sich mit euch einen Feind geschaffen, den er unterschätzt hatte. Ihr wart ein Stamm, der groß war und vieles geleistet hat. Am heutigen Tage habt ihr eurem wahren König und dem Gott, der über allem steht, einen großen Dienst erwiesen. Ihr seid wahrhaft würdig, die Sohne eurer Ahnen zu sein! Sobald der Verräter Borlad gestürzt ist werdet ihr fürstlicher belohnt werden, als jeder andere Stamm, der sich mir angeschlossen hat. Übergebt diese Nachricht eurem Fürsten. Nun geht!“
Mit einer tiefen Verbeugung drehten sich ihre Begleiter um und verschwanden aus dem Zelt. Nun wandte sich der Königsohn den beiden Elben zu.
„Ihr seid also der Grund, weshalb Borlad überhaupt erst an die Macht kam. Ich habe Geschichten gehört... eine haarsträubender als die Andere. Es heißt ihr seid mächtige Zauberer, große elbische Magier aus dem Westen, die mit Borlad gemeinsame Sache gemacht hatten, um den König zu stürzen. Angeblich habt ihr Feuer auf die Feinde derjenigen regnen lassen, die sich euch widersetzten, die Familien derer verflucht, die sich euch nicht anschließen wollten.“
Unruhig wippte Iriell ihr Kind in den Armen.
„Ihr wurdet beschrieben, als Elben, die im Zorn ihre Größe verdreifachen und als Riesen über uns kommen, denen kein Mensch gewachsen ist und die jeden zermalmen, der nur nah genug zu ihnen kommt. Ihr sollt ganze Dörfer der Feinde Borlads mit einer Skorpionenplage belegt haben, sodass keiner der Anwohner die Nacht überlebt hat.“
Araiôn machte den Mund auf, doch Baugi gehieß ihm mit einer Handbewegung zu schweigen. „All dies klingt für mich übertrieben. Ich kannte Borlad seit ich ein Kind war. Er hat immer schon nach dem Thron getrachtet und war gut dabei den Aberglauben der Bevölkerung auszunutzen. Ihr wirkt mehr wie einfache Sklaven, als fremde Zauberer, zudem seht ihr eher aus, als ob ihr in den letzten Jahren in Steinbrüchen oder Minen geschuftet habt.
Was ich von euch hören will ist die Wahrheit. Danach werde ich über euer Leben entscheiden. Diese Person hier,“ er machte kurz seine Pause und deutete auf eine Person in einem schwarzen Umhang, die bisher in den Schatten im hinteren Eck des Zeltes gestanden war. „ist ein Gesandter Saurons, unseres Gottes. Er wird erkennen, ob ihr die Wahrheit sagt.
Nun sprecht.“
Iriell musterte den Gesandten. Er war voll und ganz in einen schwarzen Umhang gehüllt und nur seine Augen funkelten böse hervor. Seine Arme waren vor seinem Körper verschränkt. Völlig reglos stand er da und wartete.
„Werter König“, begann nach einer kurzen Pause Araiôn zu erzählen. „Wenn ich die Macht hätte zu zaubern und ganze Dörfer auszulöschen... dann wären meine Gemahlin und ich erst garnicht hierher gekommen, sondern wären noch im Westen, bei unseren Verbündeten, den Feinden Angmars.
Doch der Kampf Angmars gegen Arnors war unser Untergang. Die Elite des Hexenkönigs, wir nannten sie die 'Schwarze Garde' hat uns eines Nachts überfallen und entführt. Wir sollten als
Geschenk an euren Vater übergeben werden. Dies dürftet auch ihr noch wissen. Borlad war derjenige, dem wir übergeben wurden und der uns nach Rhûn bringen sollte. Wir waren in der gesamten Zeit nie mehr als Sklaven, gut genug um die niedersten Aufgaben zu machen. Borlad hat uns gerade genug gegeben, dass wir überlebten. Er wusste, dass sein gesamter Herrschaftsanspruch auf uns basierte. Doch bekamen wir deshalb keine bevorzugte Behandlung.Die wahre Geschichte ist so wahr, wie sie kurz ist. Als Sklaven konnten wir keine der uns zugeschrieben Taten vollbringen.“
Er verbeugte sich und trat zurück.
Erwartungsvoll schaute Iriell den Gesandten aus Mordor an. Er gab ein dunkles Krächzen von sich und sagte etwas in einer unbekannten Sprache zu Baugi.
Dieser nickte und sagte mit ernster Miene:
„Ihr habt Glück gehabt. Eure Geschichte scheint wahr zu sein. Das erleichtert vieles. Ich hatte nicht vor euch nicht töten. Ich werde Borlads eigene Waffe gegen ihn verwenden. Ihr wart Sklaven – und das werdet ihr auch weiterhin bleiben. Zuerst werdet ihr mir helfen die bevorstehende Schlacht zu gewinnen – anschließend werde ich für euch bestimmt andere passende Dienste für euch finden. Ich denke jedoch, dass ihr in anderen Orten nützlicher sein werdet, als in Steinbrüchen.“
Düster war noch die junge Nacht
doch überall waren Feuer entfacht.
Zwei große Armeen standen in den Dämpfen am Abend
bereit zum Kämpfen, an der Angst der andren labend.
Doch zuerst, so war es Brauch
die beiden Feinde in der Mitte der Armeen
Baugi und Borlad trafen sich auf der toten Erde
gefolgt von vielen Fürsten ritten sie zu Pferde
beide waren Herrscher über so manche Lehen,
ein paar Soldaten kamen auch.
„Nun höre Baugi“, sprach der Thronräuber.
„Du wirst zu Grabe tragen deiner Leute Leiber.
Außer du gibst nun auf und unterwirfst dich mir
Dem wahren König von Saurons Gnaden – jetzt und hier!
Meine Armee besteht aus mehr, als nur Truppen
Du wärest unter mir ein großer Anführer!
Nun, Baugi, bedenke meine Worte gut
und gebe auf. Das wäre wahrer Mut!
Ansonsten bleibst du nur ein Aufrührer
und deine Leute sterben als willenlose Puppen.
Nur kurz überlegte Baugi seine Worte
und wies mit der Hand auf seine Eskorte.
„Diese Soldaten.“, sagte er laut vernehmlich.
Halten, genau wie ich, das Aufgeben für erbärmlich.
Du bist ein Mann er großen Worte Borlad.
Deine Macht wird gebrochen sein, noch ehe der Tag zu Ende geht.
Denn nun habe ich Saurons Geschenk auf meiner Seite.
Darum sag ich dir: Borlad, renn! Such lieber das Weite!
Ich werde es sein, nicht du, der diese Schlacht heil übersteht!
Diese Schlacht gewinnst du nicht. Das wird ein Blutbad!“
Und weiter sprach der König:
„Nun Borlad werde hörig.
Zwei Geschenke bekamst du durch den obersten der schwarzen Reiter.
Du nahmst sie an, gewiss des Sieges durch sie. Fröhlich und Heiter.
Doch wie gewonnen, so zerronnen sage ich.
Du warst ihrer nicht würdig, so nahm Sauron sie dir wieder
Die Elben wurden mir von Sauron gegeben!
Mit ihnen schenkte er mir ein neues Leben.
Darum Borlad: Knie vor dem wahren König nieder!
Ich bin nun unser König. Darum akzeptiere mich!
Voll Zorn floh Borlad in die Mitte seiner Krieger.
Er wusste um die Wahrheit der Worte,
und wusste, Baugi war der Sieger.
Doch wollte er kämpfen, für Tod und Glorie
denn er war keiner von der aufgebenden Sorte.
An diesem Tag starb mehr, als nur eine Familie.
Sehr, sehr viele von Borlads Soldaten
verrieten den Verräter und seine Maden
Sie brachten Baugi am Schluss den Sieg
und so endete in Rhûn der Bruderkrieg.
Des Verräters Ende war vorherbestimmt,
der wahre König seinen Thron erklimmt.
Gedicht Iriells über die Schlacht auf dem goldenen Boden
über die Niederlage Borlads gegen Baugi.
Aufbewahrt in der Bibliothek von Gortharia
„Mama, erzähl mir wieder eins von deinen Märchen.“, verlangte Mallos mit erschöpfter, während er leicht die Augen öffnete. Seit Tagen lag er nun schon im Bett. Fast die gesamte Stadt war an einer Grippe erkrankt. Seine Eltern waren wundersamerweise nicht betroffen, aber er war ans Bett gefesselt. Er war in der Zwischenzeit zu einem kleinen Jungen herangewachsen. Knapp über 30 Jahre war er nun schon alt. Seine Augen waren blau wie das Meer und seine Haare waren in einem kräftigen braun.
„Eine Geschichte noch, dann muss ich gehen. Der König verlangt die Anwesenheit von deinem Papa und mir. Firiel wird wieder da sein und sich um dich kümmern.“, sagte Iriell lächelnd.
„Aber ich mag sie nicht.“, protestierte Mallos. „Früher sah sie genauso jung aus wie du, doch sie hat sich nun schon total verändert! Du siehst genauso aus, wie ich dich immer in Erinnerung habe. Doch sie ist nicht mehr die Gleiche wie früher!“
Traurig lächelte seine Mutter auf ihn herab. „Ja, sie hat sich verändert. Doch wir... Dein Vater, du und ich... Sind anders.“, sagte sie zögernd. „Du wirst wenn du älter bist mehr darüber erfahren. Doch jetzt nicht. Jetzt kommt meine letzte Geschichte für heute. Ich habe dir bereits von einigen unserer Vorfahren erzählt. Wie die Bäume das Sprechen lernten, wie sie ihre ersten Bewegungen machten, wie Ea erschaffen wurde und wie Sonne und Mond entstanden. Jetzt will ich dir eine sehr unbekannte Geschichte erzählen. Nur wenige kennen sie und die meisten denken, dass es ein Märchen ist, nicht mehr. Doch diese Legende ist wahr.
Vom Düsterwald weit im Westen hab ich dir bereits erzählt, oder? Dort stehen riesige Bäume, größer als jeder Baum, den du hier bisher gesehen hast. Jeder einzelne ist groß genug, dass sich zehn Leute drum herum stellen könnten und sie würden ihn nicht vollständig einschließen können, wenn sie sich an die Hände fassen. Das Blätterdach ist so dicht, dass es die meiste Zeit nur schwaches Dämmerlicht gibt. Das Ausmaß des Waldes ist so gigantisch, dass du mehrere Tage von brauchst, um von der Westgrenze nach Osten zu kommen und sogar Wochen, um vom Norden zum Süden zu gelangen. Die Bewohner dieses Waldes werden 'Waldelben' genannt. Die meisten von ihnen leben glücklich in den Wäldern und erfreuen sich der Dinge, die Illuvatar uns geschenkt hat.
Doch es gab auch einige unter ihnen, die selbst Dinge erschaffen wollten. Sie wollten selbst solch ein gewaltiges Werk erschaffen. So betraten sie die Höhlen unter dem Düsterwald, die durchdrungen sind von riesigen Ketten aus kleinen und großen Kristallen. Dort begannen sie wie die Zwerge zu graben. Sie legten gewaltige Bereiche frei und formten die Kristalle ganz nach ihrem Belieben. Sie bauten riesige Wälder auf, ließen Säulen gen Decke steigen und versuchten den Wald über ihren Köpfen zu übertreffen. Sie waren glücklich bei dem was sie machten, denn sie dachten, sie würden die Welt über sich übertreffen. Sie waren sich sicher, dass sie etwas Schöneres geschaffen hatten.
Doch eines Tages verirrte sich ein Kind der Waldelben, die noch im Wald und nicht unter Erde lebten zu ihnen.
Voll stolz zeigten sie dem Kind all ihre Werke. Doch als das Kind die Bäume sah schüttelte es nur den Kopf. 'Aber wo ist das Leben in ihnen? Bäume bewegen sich im Wind, du kannst zuhören, wie sie flüstern. Du hörst ihnen zu, wenn die Blätter im Wind rauschen. Das hier unten wäre nichts für mich, hier ist alles tot. Es sieht schön aus, aber mehr nicht. Den wahren Wald, die Schöpfung Illuvatars hat euer Werk noch nicht erlangt.'
Voll Schmach erkannten sie, dass das Kind Recht hatte. All ihren Werken fehlte es an Lebendigkeit, an ständiger Veränderung, die es nur in dem Wald über ihnen gab. Ihre Hallen jedoch veränderten sich nur, wenn sie selbst Hand anlegten. Sie konnten nie etwas Neues finden, außer sie erschafften es selbst, während es im Wald ständig neues zu entdecken gab. So verließen sie die Höhlen, zerstörten alle Eingänge, auf dass niemand mehr ihren Versuch, für den sie sich nun schämten, Illuvatars Werk zu übertreffen sehen solle.“
Lächelnd machte Iriell eine Pause und fuhr dann wieder fort.
„Dies war eine kurze Zusammenfassung einer alten Geschichte. Bisher hat fast niemand diese Höhlen gesucht und mir ist keiner bekannt, der sie gefunden hat. Doch weiß ich, dass sie existieren.
Nun muss ich aber wirklich gehen. Wir sehen uns heute Abend wieder Mallosschatz. Bleib ruhig und sei nicht zu böse zu Firiel. Sie ist ein gutes Mädchen.“
Kaum war seine Mutter draußen drehte sich Mallos um und dachte nach. Er hasste es allein mit welchen zu sein, die nicht aus seiner Familie waren. Er hatte schon früh gemerkt, dass er anders war. Alle anderen in seinem Alter, die er kannte, waren schon viel schneller gewachsen... er war immer noch so klein, während die anderen schon so alt waren und viele seiner früheren Freunde begegneten ihm ständig mit Hochmut und Arroganz, als ob er auf einmal weniger Wert war. Was seine Mutter ihm heute gesagt hatte hat diese Ansicht nur noch bekräftigt. Vielleicht würde er es schaffen, dass Firiell ihm mehr erzählte...
„Mein Sohn...“, begann Araiôn und Mallos wusste bereits was er sagen wollte. Er hatte es schon lange geahnt und hatte genug Beweise gefunden, die alle dasselbe belegten. „Du bist nun schon 157 Jahre alt und genauso lange sind wir auch schon als Sklaven im Osten. Die ersten Jahre hast du nicht mit bekommen, sei froh darüber. Doch wir haben dir alles über diene Vergangenheit erzählt. Wir haben dir erzählt, welche Wurzeln du hast, warum du als Sklave dennoch Ansehen genießt, wieso wir versklavt wurden und wer uns von Angmar nach Rhûn gebracht hat. Doch nun... ist etwas passiert.“
Mallos bemerkte, dass die Stimme seines Vaters am Ende leicht zitterte. Glaubte sein Vater wirklich er hätte nichts davon gemerkt?
Seit Jahren hatten seine Eltern ihm beigebracht,wie er sich hier alleine zurecht fand. Sie hatten ihm beigebracht, wie er es sich bei hohen Leuten einschmeicheln kann und wie er teilweise ihre Gedanken auf einen bestimmten Weg lenken kann. Wenn seine Eltern weiter da sein würden, dann hätten seine Eltern ihm nichts davon beibringen müssen. „Wir müssen dich verlassen.“, fuhr nun seine Mutter leise fort. „Wir beide, dein Vater und ich wurden verkauft – das ist das Schicksal der Sklaven. Noch heute werden wir in den Osten aufbrechen und weit im Osten einem neuen König übergeben werden. Du wirst nun auf dich allein gestellt sei. Dies wird wohl ein Abschied für immer werden. Ich glaube nicht, dass wir uns wiedersehen werden.“
„Dunkel und traurig wird dieser Tag in meiner Erinnerung sein.“, fuhr sein Vater fort. „Durch dich haben wir so viel gewonnen. Mein Sohn, mein Ein und Alles. Ich will dich nicht verlieren, doch nichts kann ich dagegen tun. Vielleicht sehen wir uns eines schönen Tages wieder. Vielleicht schaffen wir es alle nach Westen zu segeln, dorthin wo alle Elben kommen, sobald ihre Zeit hier vorüber ist. Dort werden wir uns wiedersehen.“
Gemeinsam standen sie alle drei auf und traten aus dem Haus. Obwohl sie Sklaven waren, konnten sie sich zumindest in gewissen Bereichen frei bewegen. Sie hatten schon mehreren Generationen von Rhûns Königen gedient und sich im Laufe der Jahrzehnte ihr Vertrauen erworben. Sie waren bei öffentlichen Empfängen anwesend, sie halfen dabei Landkarten zu zeichnen, sie schrieben die Taten des Königs und die anderen großen Ereignisse auf, die im Königreich passierten und wurden für ihre Treue mit Freiheiten belohnt, die ansonsten kein anderer Sklave genoss.
Doch fliehen konnten sie trotz allem nicht. Egal wo sie waren, sie wurden immer beobachtet. Mallos hatte es früher nicht erkannt, doch in der Zwischenzeit sah er all jene Leute, die auf sie aufpassten. Egal wo sie waren, sie waren nie allein.
Als er am nächsten Morgen aufwachte blieb er erst noch einmal mit geschlossenen Augen liegen. Er wusste was passiert war, er wusste dass er nun allein war. Dennoch wollte er es nicht glauben. Allein als elbischer Sklave mitten unter den Menschen aus Rhûn, die seit Jahrhunderten sein Volk hassten.
Schließlich machte er dann doch die Augen auf. Er war in dem kleinen Zimmer in dem er schon immer gewohnt hatte. Neben der schweren Holztür an der einen Seite standen Schränke, die bis zur Decke ragten. Sie waren voll mit Pergamenten, Lederhäuten oder kleinen Steintafeln auf die er Notizen oder längere Texte geschrieben hatte. Teilweise waren es Texte oder Bilder, die er für den König zur Zeit erschuf, teilweise auch Dinge, die er für sich machte. Von Zweitem wusste jedoch niemand etwas.
Auf der rechten Seite stand sein Bett, in dem er gerade lag. Auch das Bett war aus Holz gebaut, gerade groß genug, dass er Platz darin hatte. An der Seite gegenüber hing ein Bild, welches einst seine Mutter gemalt hatte. Es zeigte einen Menschen, der von Schatten umhüllt zu Boden sank. Das Gesicht war nicht zu erkennen, auch dies war größtenteils schwarz, doch die beiden Augen funkelten böse hervor. In der Hand hatte er ein Schwert. Es war ein altes Schwert, aber auch ein sehr Mächtiges. Zudem waren verschiedenfarbige Kristalle in die Scheide eingelassen.
Obwohl der Mensch auf dem Bild nicht schön anzuschauen war und einem eigentlich Angst machen sollte, mochte Mallos das Bild. Er erkannte, dass der Mensch Angst hatte und der Mensch gerade in einem Kampf unterlegen war. Und kaum einem anderen Menschen, als diesem einen wünschte er den Tod so sehr, wie diesem einem, der seine Eltern an Rhûn übergeben hatte.
Auf der letzten Seite des viereckigen Raums, gegenüber der Tür stand ein großer Tisch und darüber war ein riesiges Fenster, durch das bereits die ersten Sonnenstrahlen den Raum erhellten.
Langsam stand der Elb auf und dachte an den letzten Tag. Sein Vater hatte ihm zum Abschied zu geraunt „Habe Geduld. Du wirst es schaffen... doch habe Geduld und nutze deine Begabungen.“ Dann hatte er sich umgedreht und war den Soldaten gefolgt, die ihn und Iriell wegbrachten. Noch lange war er stehen geblieben und hatte ihnen nachgeschaut. Er hatte gesehen, wie sie die Stadt verließen, wie sie auf die Wägen stiegen und losfuhren und schließlich wie sie am Horizont verblassten und aus seinem Blickfeld entschwanden. Erst danach hatte er sich wieder seinen Arbeiten zugewandt.
Noch immer lagen über den Tisch in seinem Zimmer verschiedene Blätter verstreut. Sie beinhalteten Gedichte und andere Werke über den derzeitigen König. Mallos fiel es schwer etwas Gutes an ihm zu finden, dass er für die Nachwelt festhalten könnte. Er hätte schrieben können, dass der König immerhin die Macht Rhûns nicht verkleinerte, aber er hatte das Gefühl, dass der König nicht wirklich davon begeistert wäre. Also raffte er sich auf. Vor dem Frühstück schaffte er es öfters noch Dinge zu schreiben, die ihm des Königs Wohlwollen sicherten.
Und so begann er zu schreiben.
Die Mittagszeit näherte sich bereits, als er die Feder weglegte. Irgendwie schaffte er es nicht etwas Gutes zu schreiben. Vielleicht würde er wann anders etwas Besseres zustande bringen.
Rasch stand er auf und zog sich an. Für das Frühstück hatte er keine Zeit mehr, denn es waren einige Fürsten des Königs angekündigt und er musste sie begrüßen. Seufzend begab er sich zu der nun lichtdurchfluteten Eingangshalle, die ihm so verhasst war. Schon immer war sie für ihn das Zeichen der Versklavung seiner Eltern gewesen. Er wusste nicht warum, aber jedes Mal lief es ihm kalt den Rücken herunter, wenn er diesen unnützen Prunk betrachten musste.
Den Kopf schüttelnd betrachtete Mallos die Nachricht, die er in der Hand hielt. Seit Jahrhunderten lebte er nun schon an dem Königshof und hatte viele Generationen überlebt. Sie alle hatten von seinem Wissen und seinem Ideenreichtum profitiert und schon lange hatte es keinen großen Krieg mehr gegeben, wodurch Rhûn immer mächtiger geworden war. Doch vor einigen Jahren war ein neuer König an die Macht gekommen. Mallos konnte sich noch gut an ihn erinnern. Schon als Kind war Wonred von Ruhm und Ehre begeistert gewesen und hatte alle Kämpfe nur mit einen rosaroten Schleier gesehen. Für ihn waren Kämpfe dafür da, um gewonnen zu werden und Ruhm und Ehre zu erlangen. Alles andere ignorierte er gekonnt. Mallos hatte ihm von dem Feldzug abgeraten, doch Wonred hörte lieber auf seine anderen Berater, die ihn alle zum Krieg ermunterten. Speziell sein Sohn Halfdan hat ihn immer wieder dazu ermuntert.
Seit Monaten waren nun schon die Armeen unterwegs und in einen endlosen Krieg mit Rohan verstrickt. Anfangs hatten sie rasch Land gewonnen, doch schon seit langem war es zu einem Stillstand gekommen. Nur noch wenige erfreuliche Nachrichten waren zu hören, doch Wonred wollte den Feldzug nicht abbrechen. Trotz der ständigen Verluste und der immer größer werdenden Unruhen in seiner Armee hielt er an seinen Plänen fest.
Voller Unmut stieg Mallos eine große Treppe hoch, die direkt zum Thronsaal führte. Genau überlegte er, wie er es dem König vorsichtig beibringen sollte und legte sich sorgsam die passenden Worte zurecht. Schließlich kam er bei der gewaltigen vergoldeten Tür an, die noch zwischen ihm und dem Saal lag. Sachte klopfte er an. Er hörte rasch Schritte näher kommen und ein Junge öffnete ihm. Mallos erkannte ihn, er hatte ihn bereits mehrfach hier gesehen, er war einer der Sklaven des Königs. Ordan... oder Irdan oder vielleicht auch Fuldrag. Der Menschen Leben war so kurz und sie starben so schnell, dass sich Mallos nur bei wenigen Wichtigen die Mühe gab die Namen zu merken.
„Sag deinem Herren, dass ich eine Nachricht für ihn habe.“
Die Tür wurde wieder geschlossen und wieder hörte Mallos die leisen Schritte. Kurze Zeit später wurde die Tür ganz aufgemacht und er trat ein.
Es war ein riesiger Raum, mit langgezogenen Wänden und großen, verzierten Säulen, die die Decke stützten. Von der bebilderten Decke hingen goldene Kronleuchter.
An den Wänden hingen Bilder von gewaltiger Größe, wie sie Mallos aus keinem anderen Raum kannte. Überall waren ruhmreiche Krieger dargestellt. Die meisten waren erst vor kurzem entstanden, da die Künstler aus dem ganzen Land zusammengerufen waren, um diese Bilder zu malen. Doch die beiden Gemälde, die hinter dem König hingen kannte er besser als alle anderen. Beide zeigten einen Krieger in prunkvoller Rüstung, in der einen Hand eine Pike auf die er sich stützte und in der Anderen ein riesiges Schwert, welches die Krieger schräg gen Himmel empor hoben. Die Brustpanzer gaben den beiden Kriegern eine breite Statur, die jedoch immer noch dünn genug war, dass sie sich schnell bewegen konnten und nicht zu träge aussahen. Die Helme verdeckten das Gesicht, sodass man nur die Augen erkannte, die jedoch so glänzten, wie die Augen der Krieger, die gerade siegreich aus einem Kampf kamen.
Mallos selbst hatte diese Bilder gemalt, daher kannte er sie so gut. Er wusste was für eine Verschwendung sie waren. Gold und Silber war in einer Menge in sie eingearbeitet, wie er es bisher bei keinem anderen Bild gesehen hatte. Doch einer der vielen Könige, denen er bereits gedient hatte, hatte es so gewollt. Und dort, genau zwischen den beiden Bildern saß auf einem überdimensional großen Thron Wonred, der Rhûn zur Zeit ins Verderben führte.
Während Mallos auf dem rotem Teppich mit reichhaltigen goldenen Verzierungen näher kam, wandte der König die Augen nicht von ihm ab.
Als Mallos vor ihm angekommen war und sich verbeugte erhob Wonred die Stimme.
„Nun Mallos, Sklave und Berater. Du hast eine Nachricht für mich, wie lautet sie? Gibt es Neuigkeiten von der Front?“
„Das gibt es. Gerade traf eine Nachricht ein. Der Winter, der sich gerade auch in Rhûn ausbreitet, ist anscheinend in Rohan deutlich schlimmer. Unsere Soldaten werden unruhig und sie scheinen immer mehr den Mut und die Lust am Krieg zu verlieren. Euer Heerführer schrieb zum Beispiel:
Kürzlich musste ich zwei unserer Krieger hängen, da sie versuchten die anderen gegen dich, oh ruhmreicher König aufzuhetzen. Sie glaubten, dass dieser Krieg nicht zu gewinnen sei. Ich verhehle nicht, dass viele andere, auch einige Generäle, diese Ansicht insgeheim teilen. Der Krieg zieht sich länger hin, als wir dachten und wir können schon lange keine großen Siege mehr davon tragen, um die Moral aufrecht zu erhalten. Die Rohirrim haben ihre Taktik gewechselt und greifen nun nur noch aus dem Hinterhalt an. Diese Zermürbungstaktik zeigt bereits Erfolg und ist einer der Gründe, weshalb unsere Krieger die Lust am Krieg verlieren. “
Stirnrunzelnd schwieg der König und befahl mit einem Winken fortzufahren.
„Mein Herr... ich bin mir durchaus gewusst, dass ihr einen großen Sieg erlangen wollt. Doch wenn ihr jetzt nicht aufhört, dann wird es euer Tod sein. Ihr könnt diesen Kampf nicht gewinnen.“
„Ich werde meine Soldaten nicht zurück holen. Ich will nicht als der schwache König in Erinnerung bleiben, der nach so langer Zeit der Vorbereitung den Krieg verlor. Warum werden nicht die letzten Festungen gestürmt? Wenn es keine Festungen mehr gibt, dann hat er Feind verloren. So einfach ist das. Muss ich denn alles selbst machen?“
„Die Hornburg ist uneinnehmbar, solange sie von den Rohirrim verteidigt wird. Schon seit geraumer Zeit wird sie belagert. Doch selbst wenn der Damm fallen würde... eine unvorstellbare Anzahl von Truppen wäre nötig, um sie zu stürmen.“
„Ich will, dass sie gestürmt wird.“
„Bei der Kälte und dem Schnee wäre das der Tod eurer Armee!“
„Ich lasse mir nichts von einem Sklaven sagen.“, donnerte der König und sprang auf. „Ich habe gesagt, dass sie gestürmt werden soll. Entweder wird sie fallen, oder meine Armee wird besiegt werden. Unsere Kriegsmaschinerie lief seit mehreren Jahren ununterbrochen! Dies soll nicht vergebens gewesen sein!“
„Eure Rammen sind gewiss besser, als die Baumstämme, die die Rohirrim benutzen würden....“, antwortete Mallos düster. „Aber einen Sieg könnt ihr nur mit solchen Geräten nicht erringen. Eure Leute sind erschöpft und werden nicht frohen Mutes in den Krieg ziehen. So wird es zu dem größten Massaker unter Rhûnmenschen kommen, dass -“
„Still! Du hast mich gehört. Richte meinen Befehl dem Boten aus und schick ihn wieder zurück.“
Steif antwortete der Sklave: „Jawohl... Mein
Gebieter.“
Der Krieg ist vorbei. Der lange Winter hatte den Krieg beendet – wenigstens eine gute Sache. Leider sind die anderen Auswirkungen nicht so erfreulich. Hungersnöte im ganzen Land, zum einen durch die Zerstörung der Ackerflächen während des Winters, zum anderen aufgrund fehlender Bauern, da die meisten im Krieg gefallen waren, und Plünderer, überall wo man nur hinschauen kann. Ganz Rhûn droht im Chaos zu versinken. Einst viele geeinte Nationen sind sie nun wieder alle nur auf das eigene Überleben bedacht und fallen wie wilde Tiere übereinander her. Dunkle Tage stehen dem Reich bevor, wenn die Bewohner nun nicht zur Vernunft gebracht werden. Doch wer soll es tun? Der König hat keinen Einfluss mehr. Es ist ein offenes Geheimnis, das er wohl nicht mehr lange auf dem Thron sitzen wird. Der verlorene Krieg und die Unmut aufgrund der Hungersnöte werden ihn stürzen. König Wondred wollte als Held in die Geschichte eingehen, nun geht er als ein König in die Geschichte ein, der Rhûn beinahe vollständig ruiniert hat und alles zerstört hat, was in den letzten Jahrhunderten aufgebaut wurde.
Wahrscheinlich wird demnächst sein Sohn, Halfdan, die Führung übernehmen. Doch wie die Übernahme aussehen wird ist noch ungewiss.
Ich hoffe nur, dass ich mich täusche und wir einen anderen König bekommen. Halfdan mag eine starke Führungspersönlichkeit sein und das Land einen, doch ist er grausam und neigt zu Kurzschlusshandlungen und Überreaktionen.
Gedanken des Königssklaven
Mallos über das Ende des Krieges.
Aufbewahrt in der großen Bibliothek von Gortharia