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Autor Thema: Balanjar  (Gelesen 3889 mal)

Eandril

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Balanjar
« am: 30. Jun 2019, 00:58 »
~~Der Gestürzte~~

In Balanjar gab es keine Kerker, keine Gefängniszellen. Mit mehr Zeit hätte Krastan diese gesamte Karikatur einer Stadt von Grund auf verändert - die Jurten und Zelte wären verschwunden, und hätten einer ordentlichen Stadt aus gemauerten Häusern Platz gemacht, mit einem Palast, der seinen Status als Fürst deutlich widergespiegelt hätte. Doch dazu war es nie gekommen, denn Krastans Herrschaft hatte nicht einmal ein ganzes Jahr gedauert, und während der ganzen Zeit hatte noch immer der große Krieg getobt.
So kam es, dass er lediglich mit dem Rücken an eine hölzerne Stange in der Mitte eines großen Zeltes gefesselt war, das zuvor ihm als Gefängnis gedient hatte. Wo nun er, der Verwandte des Königs von Rhûn und Fürst von Balanjar, angekettet war, hatten zuvor gewöhnliche Verbrecher und Aufrührer auf ihre Hinrichtung gewartet. Welch eine Demütigung! Er hustete, und ein wenig Blut lief ihm aus dem Mundwinkel in den schwarzen Bart, den er sich nach Art der Menschen von Balanjar unter dem Kinn zu einem kurzen Zopf geflochten hatte. Auch die Haare trug er so, wie es bei ihren Kriegern Sitte war, lang über die Schultern fallend. Er hatte sogar die Tochter ihres verräterischen Fürsten zur Frau genommen, dieses dürre schwarzhaarige Ding. Wehmütig dachte er an die Geliebte, die er in Gortharia zurückgelassen hatte - das war eine Frau gewesen, groß, gut ausgestattet, und mit seidigem blonden Haar... Wenn seine kleine Gemahlin wenigstens schwanger geworden wäre, oder ihm ein wenig Vergnügen im Bett bereitet hätte... stattdessen hatte sie immer unter ihm gelegen wie ein Stück Holz und stumm abgewartet, bis er fertig war. Und hinterher hatte sie ihn manchmal lange mit ihren schwarzen Augen betrachtet, bis ihm eine Gänsehaut den Nacken hinauf kroch.
Er war ein Fürst gewesen, einer der fünf Pfeile Rhûns! So hoch war niemand aus der Familie seines Vaters aufgestiegen, weshalb er auch nicht lange gezögert hatte, als sein Vetter Goran ihm das Angebot gemacht hätte. Hätte er geahnt, wie schwierig dieses Volk war, wie unwillig, ihn als einen der ihren, als ihren rechtmäßigen Fürsten anzuerkennen... Er schüttelte den Kopf, und lachte leise und bitter auf. Er hätte wissen müssen, dass diese Frucht vergiftet war, doch wann bekam man schon eine solche Gelegenheit?
Vor dem Zelteingang bewegten sich dunkle Gestalten. "Es ist soweit", sagte er leise, und leckte sich die aufgesprungenen Lippen. Die Wunde unter seinen Rippen schmerzte, ebenso wie seine Beine vom langen, aufrechten Stehen, an den Pfahl gefesselt. Vielleicht war es gut so, und doch wollte er leben. Sie würden ihn gehen lassen, wenn er darum bat, da war Krastan sich sicher. Sollten sie ihr Fürstentum behalten, seinetwegen auch seine Frau. Er würde nach Gortharia zurückkehren, zu seinen eigenen Ländereien, von denen es sich auch nicht schlecht leben ließ. Oder zu Goran an den Hof.. und vielleicht würde er eines Tages nach Balanjar zurückkehren, an der Spitze eines Heeres. Krastan grinste nervös. Das sollte er ihnen aber vielleicht nicht verraten...
Die Zeltplane wurde zurückgeschlagen, und flackerndes Fackellicht erhellte des düstere Innere des Zeltes.
"Der Mond steht hoch am Himmel", sagte der weißhaarige, aber ungebeugte Mann, mit den harten, schwarzen Augen. "Und die Zeit der Abrechnung ist gekommen." Vier weitere alte Männer traten neben ihn, zwei zu jeder Seite. "Krastan Iram, wir haben beschlossen, dass ihr sterben müsst."

~~Der Priester~~

Die Augen des gestürzten Fürsten zuckten nervös hin und her. "Das... wird nicht nötig sein", sagte er. "Ich werde nach Gortharia zurückkehren. Ihr könnt euer Drecksloch von einem Fürstentum behalten, Priester. Und eure Enkelin meinetwegen auch, nur lasst mich gehen."
Sie ist meine Großnichte, dachte Darzan bitter. Aber ihr habt euch nie dafür interessiert wer sie ist, und jetzt werdet ihr den Preis zahlen. Er würdigte Krastan keiner Antwort, und nickte stattdessen den Männern neben sich zu. "Ergreift ihn, und bringt ihn zum Tempel."
Drei Tage zuvor hatte es begonnen. Seit Krastan beschlossen hatte, mitten im Herbst, zur Erntezeit, weitere Männer nach Mordor zu entsenden, hatte Darzan aktiv begonnen, seinen Sturz zu planen, und vor drei Tagen hatten sie ihren Plan in die Tat umgesetzt - alte Männer, Priester, und Frauen, denn die meisten Krieger waren im Namen Mordors in den Kampf gegen den Westen gezogen. Viele waren gefallen, viele andere waren noch immer dort. An der Grenze zu Rohan, im besetzten Gondor, oder im Norden am Erebor. Nur wenige waren bislang nach Balanjar zurückgekehrt.
Mit Stolz dachte Darzan an seine Großnichte, während er gemessenen Schrittes den anderen Priestern, die Krastan an den Armen gepackt hatten und mit sich schleiften, voranging. Irri hatte eigenhändig zwei von Krastans Leibwächtern überwältigt und dem Fürsten - ihrem Gemahl, doch nicht mehr lange - den Dolch an die Kehle gesetzt. Sie hatten offensichtlich nicht mit der Wehrhaftigkeit der Frauen von Balanjar gerechnet, denn im Norden war das so nicht üblich. Die Köpfe von Krastans Getreuen waren vor dem Schrein aus schwarzem Stein in der Mitte der Stadt auf Pfähle gespießt worden. Auf Krastan wartete ein anderes Schicksal.
Sie erreichten den Platz vor dem Schrein, auf dem sich trotz der fortgeschrittenen Stunde eine beträchtliche Menschenmenge versammelt hatte. Vor dem Schrein war ein Ring von Fackeln aufgestellt worden, in dem Darzan nun niederkniete. "Götter des Grases, der Winde und des Himmels", begann er zu sprechen. "Einst war dies der Ort, an dem euch gehuldigt wurde. Viele von uns haben euch vergessen, haben den dunklen Gott Mordors als ihren Gott angenommen. Doch in manchen von uns hat das Gedenken an euch überlebt. Und von diesem Tag an sollt ihr wieder über unser Volk wachen. Balanjar soll wieder frei sein von der Herrschaft des Dämons aus Mordor, der niemals unser Gott war, und niemals wieder unser Gott sein soll!"
Mit einem Gefühl der Befriedigung beobachtete er, wie die Menge aus Alten, Frauen und Kindern um ihn herum auf die Knie fiel - ihm und dem Kreis aus Flammen zugewandt, nicht dem schwarzen Schrein von Morgoth. Hinter ihm spuckte Krastan verächtlich einen blutigen Schleimklumpen ins Gras, und einer seiner Bewacher versetzte ihm einen Fausthieb ins Gesicht. "Eure Götter werden euch nicht beschützen können, wenn die Macht Mordors über euch kommt", sagte er dennoch. "Doch es läge in meiner Macht es zu verhindern. Dieser alte Mann bringt euch nur Tod."
Darzan kam mit knackenden Gelenken auf die Füße, und sein weißer Bart wehte im Nachtwind. "Mordor hat uns Tod gebracht. Die Herrschaft Gortharias hat uns Tod gebracht", erwiderte er. "Wo sind unsere Männer, Krastan? Unsere Söhne, unsere Brüder, unsere Ehemänner, unsere Krieger? Sie sind gefallen in einem Krieg, der nicht er unsere ist."
"Eure Vorfahren haben auch früher gegen die Westmenschen Krieg geführt. Was ist so anders an diesem?"
"Früher haben wir für uns gekämpft. Jetzt kämpfen wir für eine Macht, für die wir nicht mehr sind als Spielfiguren, die beliebig geopfert werden können."
Krastan lachte laut auf. "Ihr wart schon immer Spielfiguren, nur habt ihr es nicht begriffen."
"Vielleicht." Darzan trat aus dem Kreis der Fackeln hinaus, und gab den anderen Männern einen Wink, woraufhin sie Krastan nach vorne stießen und grob in der Mitte des Kreises auf die Knie zwangen. "Doch jetzt sehen wir die Schnüre, an denen wir baumeln, und wir haben sie durchtrennt." Er sprach mit lauter, klingender Stimme. "Ihr habt Recht, Krastan. Ihr habt die Macht, uns vor Mordors Zorn zu schützen - in eurem Blut."
Bei diesen Worten trat Irri neben ihm, in ein weißes Gewand gekleidet. Darzan zog den uralten, gekrümmten Dolch mit geschwärzter Klinge aus seinem Gürtel, und reichte ihn seiner Großnichte mit dem Griff voran. Drei Fürsten hatte er als Priester zur Ruhe gebettet. Zuerst seinen Vater, dann seinen älteren Bruder, und zuletzt Arran, dessen Sohn, der Irris Vater gewesen war. Dieses Begräbnis hatte in aller Heimlichkeit stattfinden müssen, und das war die Schuld des Mannes, der gefesselt vor ihnen kniete. Irri nahm den Dolch entgegen, und blickte ihm in die Augen. "Danke, Onkel", sagte sie leise. Sie war das letzte, was ihm von seine Familie blieb.
Irri trat in das Innere des Flammenkreises, und kniete vor Krastan nieder. "Mein Eheweib", sagte er spöttisch, doch die Furcht in seiner Stimme war nicht zu überhören. "Bist du gekommen, um mich vor diesen Wahnsinnigen zu erretten?"
"Wenn du das glaubst, bist du er einzig Wahnsinnige hier, mein Gemahl", erwiderte Irri, und nahm beinahe sanft seine rechte Hand. "Ich bin gekommen, um eine Rechnung zu begleichen." Mit einer raschen Bewegung zog sie die Schneide des Dolches über seinen Unterarm hinab bis zum Handgelenk, genau entlang der Pulsadern. Während Krastan noch einen Laut von sich gab, der eher von Überraschung als Schmerzen zeugte, wiederholte sie das Ganze an seinem linken Arm, und erhob sich dann.
Im Licht der Fackeln wirkte das Blut, dass aus im gleichmäßigen Rhythmus aus den Wunden quoll und ins Gras sickerte, beinahe schwarz. Krastan betrachtete die Wunden mit weit aufgerissenen Augen. "Ihr... ihr werdet alle sterben", sagte er. "Sterben." Seine Haut wurde langsam immer blasser, während sein Lebensblut vor ihm in den Boden sickerte. "Alle Menschen müssen sterben", sagte Irri leise. "Doch du zuerst."
Darzan hob die Arme. Jahrelang hatte er Menschen auf dem Altar des Großen Dunklen geopfert, bevor er den Weg zurück zu den alten Göttern seines Volkes gefunden hatte. Bevor er erkannt hatte, des der Weg Mordors zum Untergang führte, für alle Menschen, egal auf welcher Seite sie standen. "Götter des Grases, des Windes und des Himmels, nehmt das Opfer an! Wir geben euch das Blut Krastans, des falschen Fürsten, Abkömmling von Königen!"
Krastan lächelte, als er diese Worte hörte. "Das Dunkel... wird euch... verschlingen", brachte er mühsam hervor. Er öffnete noch einmal den Mund, als wollte er etwas sagen, doch dann fiel er vornüber, in das von seinem Blut getränkte Gras. "Beschützt uns vor dem Dunkel, das im Süden lauert, und führt uns den Weg in die Freiheit und ins Licht!", sprach Darzan weiter, während Irri nur Augen für ihren sterbenden Gemahl hatte. "Lasst Balanjar wieder frei sein!"

~~Die Prinzessin~~

Im Osten ging eine blutrote Sonne auf, als Irri die Spitze des großen Turmes erreichte. Es handelte sich dabei um eine uralte Konstruktion hölzerner Streben, die sich über die Zelte von Balanjar erhob. Von der schmalen Plattform an seiner Spitze konnte man in alle Richtungen weit über die sanft gewellten Graslande blicken, doch ihre Augen wurden von dem dunklen Streifen am südlichen Horizont angezogen - dem Aschengebirge. Auch ihr Onkel blickte in jene Richtung, auf einen hölzernen Stab gestützt. Sie wusste, dass er den Stab nicht wirklich als Stützte benötigte, sondern nur, um Eindruck zu schinden. Die Tatsache, dass er ihn bei sich hatte, verriet ihr, dass sie nicht mit ihrem Onkel sprechen würde, sondern mit dem Hohepriester der Götter des Grases, des Windes und des Himmels.
"Du wolltest mich sprechen, Onkel", sagte sie. Darzan nickte, und deutete gen Süden. "Dort liegt das Land des Schattens. So nah, dass wir es mit bloßem Auge sehen können. Nah genug, dass sein Schatten bis hier her fallen könnte." Er wandte sich nach Nordosten. "Und im Norden liegt Gortharia, dessen König Mordor treu ergeben ist. Wir sind auf allen Seiten von Feinden umgeben."
"Dann müssen wir etwas daran ändern", meinte Irri entschlossen. Die letzten Monate hatte sie diesen Teil von sich weggesperrt, und nur existiert, nicht gelebt. Doch jetzt hatte sich alles geändert. "Jetzt, wo ich Fürstin bin, könnten wir..." Ihr Onkel wandte sich ihr mit gerunzelter Stirn zu. "Das bist du nicht." "Ich bin nicht..." Sie schüttelte verwirrt den Kopf. "Ich bin das einzige Kind meines Vaters, und er war das einzige Kind seines Vaters. Du bis der einzige Bruder meines Großvaters, und du bist ein Priester, kannst also nicht der Fürst werden. Also..."
"Unser Volk ist niemals von einer Frau beherrscht worden", stellte Darzan fest. "Die Götter wissen, wie stolz ich auf dich bin", fuhr er fort, und legte eine faltige Hand auf ihre Wange. "Aber viele in unserem Volk würden dich nicht akzeptieren, und andere werden in dir nur die Frau unseres ungeliebten letzten Fürsten sehen. Es würde unser Volk entzweien, und nichts könnte uns im Augenblick mehr schaden."
Zornig entzog Irri sich seiner Hand. "Bevor ich Krastans Frau war, war ich Arrans Tochter. Nach seinem Tod wäre ich die Fürstin geworden, wenn König Goran nicht anders entschieden hätte." Sie legte die Hand auf den Griff des kurzen Reiterschwertes, das sie heute am Gürtel trug. "Ich kann das Schwert führen, ich kann ein Kriegspferd reiten, und meine Pfeile treffen ebenso gut wie die der meisten Krieger.  Mein Vater hat mir alles beigebracht, was er wusste, und er hätte mich zu seiner Erbin erklärt. Wer wäre besser zum Herrschen geeignet als ich?"
"Ein Mann", erwiderte Darzan mit schonungsloser Offenheit. "Du wirst Fürstin werden, sicherlich. An der Seite eines geeigneten Gemahls."
"Meinem letzten Gemahl habe ich letzte Nacht die Pulsadern geöffnet und sein Blut den Göttern des Grases, des Windes und des Himmels geopfert. Und du erwartest, dass ich bald erneut heirate?"
"Wenn du Fürstin sein willst, musst du das tun. Bis du einen geeigneten Gemahl gefunden hast, werden die Priester im Namen der Götter über Balanjar herrschen."
Irri presste die Lippen aufeinander. Sie wusste, dass sie niemals gegen den Willen der Priester die Macht über Balanjar erlangen konnte, nicht nach der Rolle, die sie bei Krastans Sturz gespielt hatten. Also fragte sie: "Und was haben die Priester vor, falls Saurons Horden über uns herfallen?"
"Ich werde verhindern, dass die Nachricht von Krastans Sturz sich verbreitet, so lange wie es möglich ist", antwortete Darzan. "Und wenn Mordor kommt, werden wir uns zerstreuen, über die Ebenen. Im Gras werden sie uns niemals zur Strecke bringen."
Der Plan eines Feiglings, dachte Irri. Nein, der Plan eines alten Mannes. Auf diese Art und Weise würde ihr Volk mit Sicherheit untergehen.
"Darf ich mich entfernen?", fragte sie, und ihr Onkel nickte, den Blick bereits wieder gen Süden gerichtet.
Nur eine Stunde später verließ sie die Stadt unbemerkt in östlicher Richtung. Eine weitere Stunde später schlug sie im Bett eines Baches einen Bogen nach Norden, und dann nach Westen. Wenn ihr Onkel sich verstecken wollte, sollte er das tun. Währenddessen würde sie etwas anderes tun - Hilfe bei einem uralten Feind suchen.

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Eandril

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Re: Balanjar
« Antwort #1 am: 9. Okt 2019, 12:17 »
Pallando aus Gortharia

Aus der Sicht Pallandos:

In Balanjar herrschte Chaos. Die Hauptstadt des gleichnamigen Fürstentums war kaum als solche zu bezeichnen, sondern eher eine Ansammlung von Zelten, Hütten und Jurten. Kaum ein Haus war zu sehen. Das einzige Gebäude, dass sich höher als zehn Fuß über den Boden erhob, war der hölzerne Wachturm nahe der Mitte der Stadt. Alles in allem hatte Balanjar sich seit Pallandos letztem Besuch äußerlich kaum verändert.
Dennoch fühlte sich die Stadt anders an. Eine fieberhafte Hektik hatte die Einwohner ergriffen, Männer, Frauen und Kinder eilten hin und her, packten ihre Habseligkeiten zusammen. Pallando jedoch bahnte sich ohne große Mühe einen Weg durch die Menschenmengen, denn nach einem Blick auf sein blaues Gewand wichen die meisten Menschen instinktiv zur Seite. Wie immer fürchteten sie, dass die Ankunft eines Zauberers Unheil bedeutete.
Auf seinem Weg durch das Fürstentum hatte Pallando verschiedene widersprüchliche Gerüchte über das, was in Balanjar geschehen war, gehört, doch nach und nach hatte sich die Wahrheit heraus kristallisiert. Krastan, der Adlige aus Gortharia, der erst vor kurzem als Fürst eingesetzt worden war, war gestürzt, und die Priesterkaste hatte die Macht übernommen. Sie hatten alles getan, um die neuesten Ereignisse zu verschleiern, doch die Nachrichten hatten sich schließlich doch verbreitet und zwar bis nach Mordor, fürchtete Pallando.

Am Fuß des Wachturmes traf er auf Darzan, den Hohepriester Balanjars. Er kannte den Mann von seinem letzten Besuch in Balanjar vor einigen Jahren, als Darzan gerade Hohepriester und sein Neffe Arran Fürst geworden war. Damals hatte Pallando ihnen einen Aufstand gegen die Macht Gortharias ausgeredet. Heute ahnte er, dass es ein Fehler gewesen war - wie so vieles, das er und Alatar in Rhûn getan hatten. Ein mächtiges, stabiles Reich, würde nicht so rasch unter Saurons Einfluss geraten, hatten sie geglaubt, und so hatte Alatar in Gortharia seine Netze gesponnen, während Pallando durch den Osten gereist war, um ihre Pläne in die Tat umzusetzen. So war es immer gewesen.
"Ihr!", stieß der alte Hohepriester hervor, als er Pallando erblickte. "Es stimmt, was die Leute sagen. Ein Zauberer trifft immer ein, wenn die Not bereits am größten ist."
Pallando zog die Brauen zusammen, und stieß seinen Stab in den weichen Erdboden. "Euer Volk scheint sich in großer Hast zu befinden, Darzan." Darzan lachte bitter auf. "Ihr würdet euch auch in großer Hast befinden, wenn eine gewaltige Armee auf euch zumarschieren würde." Tatsächlich näherte sich über die Ebene im Süden eine schwarze Wand, die einer unaufhaltsamen Welle gleich auf Balanjar zu rollte.
"Ihr wusstet, dass Mordor früher oder später auf eure Rebellion reagieren würde", stellte Pallando fest. Das hier war also der Grund, warum Sauron aus Barad-Dûr verschwunden war. Er konnte nicht dulden, dass das Reich von Gortharia zerbrach, denn das würde seine Kriegspläne empfindlich stören. Es würde die direkte Verbindung zwischen Mordor und dem Erebor unterbrechen, eine neue Front gegen Mordor schaffen und somit Mordors sämtliche Feinde stärken. Und das, wo Harad im Bürgerkrieg versunken war und von dort keine Unterstützung für Mordor zu erwarten war. Als sich alles zu einem klaren Bild zusammenfügte, lief Pallando ein Schauer über den Rücken.
Der Tag, vor dem sie sich gefürchtet hatten, war gekommen. Sauron hatte Mordor verlassen, und zog selbst in die Schlacht.
"Ihr müsst fliehen, Darzan", fuhr er eindringlich fort. "Sauron persönlich hat den Barad-Dûr verlassen. Ich fürchte, er ist ganz nah." Jetzt wurde ihm auch klar, woher das diffuse Grauen stammte, dass ihn seit seiner Ankunft in Balanjar befallen hatte. Es war Saurons Gegenwart, die er spürte.
Darzan erbleichte, als ihm das Blut aus dem Gesicht wich. "Der Dunkle persönlich kommt nach Balanjar? Dann ist mein Volk verloren."
"Das wird es sein, wenn ihr nicht schnell handelt. Lasst alles zurück, was nicht unbedingt zum Überleben notwendig ist, und flieht so weit und schnell ihr könnt."
"Und wohin sollen wir fliehen?", fragte der Priester. "Nach Westen, wo die Hälfte meines Volkes im großen Strom ertrinken wird? Nach Osten, wo die Soldaten des Königs uns abschlachten und versklaven werden? Nach Norden in den verzauberten Wald, wo Gespenster umgehen? Oder nach Süden, direkt in Mordors Arme?" Er schüttelte den Kopf, und im selben Augenblick ertönte ein hoher Schrei am Himmel über ihnen. Dann ein zweiter, und ein dritter, und aus der grauen Wolkendecke über Balanjar lösten sich geflügelte Gestalten. Es waren sechs an der Zahl.
Die Nazgûl kreisten über Balanjar, und ihr hohes, kaltes Kreischen erfüllte die kühle Luft. Die Menschen, eben noch hektisch mit Vorbereitungen zum Fliehen oder Kämpfen beschäftigt, erstarrten, viele ließen sich auf die Knie sinken.
Pallando wusste, dass er handeln musste. Er konnte sich nicht offenbaren, denn dann würden die Nazgûl ihn unerbittlich jagen, und er würde es nicht mit sechs gleichzeitig aufnehmen können.
Er stieß erneut den Stab auf den Boden, und donnerte mit aller Macht: "Flieht! Flieht, ihr Narren!" Seine Worte schienen die Menschen um ihn herum aus ihrer Erstarrung zu lösen - und sie stattdessen in Panik zu versetzen. Voller Furcht eilten die Menschen hin und her, während die Panik sich über die ganze Stadt ausbreitete, und die Nazgûl noch immer am Himmel kreisten.
Pallando fühlte eine Hand auf seiner Schulter, und wandte sich um. "Sie werden nicht entkommen", sagte Darzan mit tonloser Stimme. "Sie werden sie alle töten - wenn wir nichts tun." Sein Blick war erwartungsvoll, doch Pallando schüttelte kummervoll den Kopf. "Ich kann nichts tun. Sie würden mich vernichten, fürchte ich."
Die Furcht in Darzans Blick wandelte sich zu todesverachtender Entschlossenheit. "Also werde ich etwas tun müssen. Priestergarde, zu mir!"

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Eandril

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Re: Balanjar
« Antwort #2 am: 26. Okt 2019, 10:47 »
Arnakhôr aus Gondor

Arnakhôr blickte über die Ebene auf die erbärmliche Stadt aus Zelten und Hütten, die gewagt hatte, sich dem Gebieter zu widersetzen. Das einzige Gebäude, das ein wenig höher aufragte, war ein zerbrechlich wirkender Turm aus Holzstreben ungefähr in der Mitte der Stadt - doch auch dieser Aussichtsposten hatte den Einwohnern Balanjars wenig genützt, denn die Armee Mordors war die letzten Meilen bis zur Stadt mit außergewöhnlicher Geschwindigkeit marschiert, angetrieben von ihrer Treue zum Gebieter.
Arnakhôrs Blick wanderte ein wenig nach rechts, und etwas in seinem Inneren zog sich vor einer wohlbekannten Mischung aus Furcht und Treue zusammen. Bislang hatte er dieses Gefühl nur verspürt, wenn er nach Barad-Dûr selbst gerufen worden war. Doch der Gebieter hatte seine endgültige körperliche Gestalt angenommen und seinen Turm verlassen. Dort stand er, mehr als 10 Fuß groß, in seiner Ehrfurcht gebietenden schwarzen Rüstung mit dem maskenartigen Helm. Jede Zacke der Rüstung schien das schwache Sonnenlicht einzusaugen und verschwinden zu lassen. In der Hand trug er seinen mächtigen Streithammer, der so schwer war, dass zwei Männer ihn kaum heben konnten. Der Gebieter jedoch führte ihn mit Leichtigkeit, und niemand konnte hoffen, im Kampf gegen ihn zu bestehen.
Ein Schauer lief Arnakhôrs Rücken hinunter, und er hatte das merkwürdige Bedürfnis, auf die Knie zu fallen. So war es immer in der Gegenwart des Gebieters, seit er seine Gestalt angenommen und den Turm verlassen hatte. Doch in diesem Moment war es nicht nötig, seine Ergebenheit anders zu zeigen als die Feinde des Gebieters zu töten.
Die immer noch über der Stadt kreisenden Nazgûl änderten plötzlich, wie auf ein unhörbares Kommando, ihre Richtung und blieben über den Köpfen des Gebieters und seiner Getreuen in der Luft stehen. Über den schmalen Streifen Grasland zwischen den äußersten Zelten und Mordors Streitkraft kam eine Gruppe Männer marschiert - ungefähr ein Dutzend, schätzte Arnakhôr. Eine theatralische Geste, die den Balanjari nichts nützen würde. Ihr Untergang war in Barad-Dûr, an dem Tag, als die Nachricht ihrer Rebellion dort eingetroffen war, beschlossen worden. Arnakhôr war nicht dabei gewesen, doch er wusste es - anders konnte es nicht sein. Die erbärmlichen Menschen des Westens, die seit ewigen Zeiten gegen den Gebieter kämpften, waren schlimm genug. Doch die Balanjari hatten sich Mordor unterworfen, hatten für den Gebieter gekämpft, und nun hatten sie ihn verraten. Dafür gab es in diesen Zeiten nur eine Strafe.
Keiner der Männer, die ihnen entgegentraten, war jung, der in der Mitte wirkte sogar besonders alt. Dennoch ging er nicht gebeugt, und den Stab trug er nur zur Zierde. Etwa zehn Schritte vom Gebieter entfernt blieben er und seine Begleiter stehen.
"Ihr werdet Balanjar nicht betreten", sagte der Alte mit fester Stimme. "Und ihr werdet meinem Volk kein Leid zufügen. Die Götter würden euch vernichten."
Ein unheimlicher Laut erschallte in Arnakhôrs Kopf und, gemessen an den Reaktionen der Umstehenden, auch in allen anderen Köpfen. Nach einem Augenblick der Verwirrung begriff Arnakhôr, dass der Gebieter lachte. Der Gebieter hatte niemals zuvor gelacht.
Es gibt keine Götter, alter Narr, erklang diese Stimme, deren Klang Arnakhôr immer gefürchtet und gleichzeitig geliebt hatte. Der einzige Gott dieser Welt bin ich.
Die Balanjari waren einige Schritte zurückgewichen, hatten sich jedoch wieder gefangen. "Ich bin Darzan, Hohepriester der Götter des Grases, des Windes und der Himmel." Der Alte zog das Schwert, dass er an der Seite getragen hatte, und seine Gefährten taten es ihm gleich. "Und die Götter sind mit uns."
Der Gebieter trat vor. Jeder Schritt den er machte war so weit wie zwei Schritte eines gewöhnlichen Mannes. Als er seine Gegner erreicht hatte, bewegte er sich schneller, als jeder außer seinen Getreuen es von ihm erwarten konnte. Der Streithammer stieß vor, traf einen der Männer genau in die Brust und schleuderte ihn rückwärts. Die Brust des Mannes war ein blutiges Durcheinander, und er regte sich nicht mehr. Einer nach dem anderen, von einem Herzschlag auf den anderen, fielen die anderen, bis schließlich der Hammer von oben auf Darzan niederging und ihn zerquetschte.
Arnakhôr sog den Angriff der zerquetschten und verstümmelten Leichen in sich auf, genoss den Geruch des Blutes. So würde es allen ergehen, die sich dem Gebieter widersetzten. Die ganze Welt sollte erfahren, was ihnen bevorstand.
Tötet die Hälfte der Bewohner, erklang die Stimme des Gebieters erneut. Gleich, ob Mann, Frau oder Kind. Versklavt die andere Hälfte. Sie werden und in den Minen dienen. Die gesichtslose Maske seines Helms wandte sich Arnakhôr zu. Und vernichtet die Stadt.
"Ja, Gebieter", flüsterte Arnakhôr, und zog sein schwarzes Schwert. Sein Herz pochte aufgeregt. Heute begann der wahre Krieg.
Die Nazgûl stießen auf die Stadt nieder, und Arnakhôr befahl den Angriff.
« Letzte Änderung: 26. Okt 2019, 11:07 von Eandril »

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