Celebithiel von ihrer Wohnung in der StadtDer Morgen kündigte sich in einer trüben Mischung aus Nebel und dampfigen Temperaturen an. Es hatte einen kleinen Graupelschauer gegeben, aber dennoch waren die Temperaturen für Celebithiel ungewöhnlich warm um diese Jahreszeit. Wenn sie es gewöhnt war, dass in Imladris um dieses Jahreszeit an den meisten Orten noch glitzernder Schnee zu finden war, so herrschten in Dol Amroth bereits Temperaturen, die sie in den Nordlanden vielleicht Ende April vorfinden konnte. Auch schien die Vegetation weiter zu sein. Der Zitronenbaum direkt neben ihren Balkon stand bereits in voller Blüte und in den letzten Tagen hatte sie gerne an den saftig-grünen Blättern gerochen, um diesen exotischen Duft einzufangen.
Die Elbe wusch sich nun auch nicht mehr mit Lavendelwasser, sondern hatte ihre Magd gebeten ihr Wasser mit diesem Zitronenduft zu bringen.
Während Celebithiel ausgiebig gähnte und sich auf den Hocker niederließ, um sich zu waschen flatterte die Nachtigall auf ihre Schulter und pickte ihr liebevoll ins Ohr.
„ Zu lange ist es her, meine alte Freundin“, flüsterte die rotblonde Elbe, wobei ihre Worte sich viel mehr zu eine Art Singsang zusammenfügten.
„ Aber dennoch ist deine Zeit gekommen zu gehen. Dein Platz ist in Lórien bei Faendir und der Herrin Galadriel“, zwitscherte sie gütig und liebkoste die Nachtigall, die nun auf die Kommode gehüpft war und ein paar Schlucke des Zitronenwassers probierte.
Das Herz der Elbe wäre fast übergegangen voll Glück, als die Nachtigall am gestrigen Abend in ihr Zimmer geflattert kam und ihre eine Nachricht Galadriels aus Lórien brachte:
Voll Kummer sind diese Worte mein Kind,
denn Schatten am aufziehen sind.
Der Berg, des Zwergen Heimat, im hohen Norden,
beherbergt nun einen dunklen Orden.
Khamul nun der Oberste der Neun,
und Herrscher über Berg und Wald,
wird keine Mühe scheuen,
und dunkles Gelächter an unsere Ohren schallt.
Doch sei unbesorgt meine Schöne,
Lóriens Töchter und Söhne,
werden verteidigen diesen heiligen Ort,
bis unser Odem in den Himmel dringt,
die Schatten unsere Seelen tragen hinfort,
und uns den Tode bringt.
Du nun die Trägern des Feuers bist,
und bis wir uns wiedersehen,
wenn du die Flagge des Friedens hisst,
und die Schatten in Mordor vergehen.
Der Fall des Erebors hatte Celebithiel zwar geschockt, aber sie war sich bewusst, dass es irrwitzig gewesen wäre auch dort von einem Sieg auszugehen. Die unerwartete Befreiung Rohans hatte Saurons Zorn nur gestärkt und seinen Willen verfestigt den östlichen Norden Mittelerdes unter seine eiserne Faust zu bringen. Umso wichtiger war es nun, dass Dol Amroth nicht fiel. Als letztes südliches Bollwerk gegen den Zorn der Dunkelheit.
„ Flieg!“, rief sie der Nachtigall hinterher, die sofort von den wabernden Nebelfeldern verschluckt wurde.
Flieg und bringe Lórien Trost und Sicherheit…Sie öffnete eine kleine Schatulle auf der Kommode und zog ein feingliedriges Armband heraus, an dem kleine, zierlich verarbeitete Figuren baumelten. Sie legte es der Länge nach hin und musterte die winzigen Figuren und Symbole.
Als erstes konnte sie ein aus silber und gold gegossenes Blatt erkennen, wie die der Broschen welche die Elbenmäntel Lóriens zusammenhielten. An zweiter Stelle war dort ein sichelförmiger Halbmond, der auf ihre Namenanspielte. An dritter Stelle ein, mit einem kleinen Rubin versehenes, Herz. Die letzte Stelle bildeten zwei Buchstaben, ein verschnörkeltes
G[/] und C.
Kühle Morgenluft breitete sich in Lórien aus, als Celebithiel die Stufen Caras Galadhons hinunter schritt. Sie hatte ein großes Bündel bei sich, indem ihre wichtigsten Sachen verstaut waren, die sie brauchte, um Amrûn nach Imladris nachzueilen.
Dennoch barst ihr das Herz in der Brust, wenn sie daran dachte Lórien und die Menschen, die sie liebte zu verlassen. Ihre Haare waren zu einen strengen Zopf geflochten und sie hatte sich einen Mantel aus dichten Fell übergezogen, damit sie es bei ihren Ritt nicht fror.
Sie schlenderte noch ein letztes Mal durch die Gärten Galadriels, welche nun zwar keine blühenden Sträucher und Blumen mehr zeigte, denn der Herbst war eisig und kalt dieses Jahr, aber dennoch das Schönste war was Celebithiel je gesehen hatte.
Plötzlich spürte sie ein warmes Hauchen im Nacken und es war ihr als könnte sie den Herzschlag Glorfindels spüren. Und die Worte, die er sprach flossen ihr direkt ins Herz und genüsslich gab sie sich seinen Worten und Berührungen hin.
„Schmerz kommt in vielen Formen vor. Das leichte Zwicken, ein bisschen Brennen, der zufällige Schmerz. Das sind die normalen Schmerzen, mit denen wir jeden Tag leben.
Aber es gibt auch den anderen, den man nicht ignorieren kann. Ein so heftiger Schmerz, der alles andere verdrängt. Der die ganze Welt verblassen lässt, sodass wir an nichts anderes mehr denken können außer daran, wie weh es tut.
Wie wir mit unserem Schmerz umgehen, liegt an uns. Schmerz – wir betäuben ihn, wir halten ihn aus, umarmen ihn oder ignorieren ihn. Und für manche von uns ist der beste Weg mit ihm umzugehen, sich einfach durchzubeißen.
Schmerz – man muss ihn einfach aushalten und hoffen, dass er von allein wieder weggeht. Hoffen, dass die Wunde, die er ausgelöst hat, verheilt. Es gibt keine wirklichen Lösungen. Und auch keine leichten Antworten. Am besten atmet man tief ein und aus und hofft, dass der Schmerz nachlässt.
Meistens kann man den Schmerz kontrollieren. Aber manchmal erwischt er einen da, wo man es nicht erwartet hat. Er trifft einen unter der Gürtellinie und hört nicht mehr auf wehzutun.
Schmerz – man muss sich ihm einfach stellen. Denn die Wahrheit ist, dass man ihm nicht entkommen kann. Das Leben bringt ständig neuen Schmerz.
Ich liebe dich so sehr Celebithiel und dennoch müssen wir uns trennen…“.
Er stockte und Celebithiel wusste, wie sehr es ihn schmerzte sie zu verlassen. Vielleicht noch mehr, als sie damit kämpfte ohne ihn zu leben. Sie drehte sich um und blickte in seine klaren Augen und streichelte zart seine Wange.
Sie sagte kein Wort, doch ihre ozeanblauen Augen sprachen für sie. Glorfindel fuhr nach einer Weile mit gepresster Stimme fort: „ Ich weiß wir können nicht zusammen sein, aber dennoch möchte ich dein Gemahl werden. Ich möchte, wenn Saurons Hülle leblos am Boden liegt und der Schatten aus Mittelerde vertrieben ist, mir dir gemeinsam alt werden. Mir ist egal, wo das ist. Auf dem höchsten Berggipfel, oder am Grunde des weiten Ozeans…“.
Und auf einmal zog er ein in Seide gehülltes Päckchen hervor und reichte es Celebithiel. Sie packte es aus und zog das Armband heraus.
Ihre Augen glänzten und mit belegter Stimme entgegnete sie:
„Man weiß vorher nicht ob es der schönste Tag im Leben wird. Die Tage von denen man es erwartet entpuppen sich manchmal als nicht so schön. Sie sind nie so schön wie man sie sich vorgestellt hat, es sind die gewöhnlichen Tage. Meistens fängt so ein Tag ganz normal an. Und am Ende des Tage stellt man fest das war der schönste Tag.
Man weiß vorher nicht ob es der schönste Tag im Leben wird, erst wenn es geschieht. Man erkennt den schönsten Tag seines Lebens erst wenn man mittendrin steckt. Und man sich etwas, oder jemanden ganz hingibt. Während einem das Herz gebrochen wird, während man seinen Seelen verwandten begegnet. Und dann erkennt man, dass die Zeit nicht reichen wird. Man merkt man will ewig leben. Und das sind die schönsten Tage. Die perfekten Tage. Nicht wahr?“
Glorfindel nickte und küsste Celebithiel heftig, bevor er ihr ins Ohr flüsterte: „ Wir werden uns wiedersehen!“
Sie zog die Tür kräftig hinter sich zu und ging durch die Straßen der Stadt. Das triste Wetter hatte die Straßen leer gefegt und sie traf kaum eine Menschenseele. Celebithiel war aber froh, um diesen Frieden, denn ihre Augen waren immer noch leicht errötet und verquollen. Sie hoffte nur, dass sich das legen würde, bis sie den
Platz der tausend Schwanenfedern erreicht hatte.
Der Menschenauflauf auf dem Platz war gewaltig und sie schlängelte sich geschickt durch die Menge von Leuten, die sich vor dem kleinen Podest aufgebaut hatte, auf dem bereits Imrahil saß und sich eifrig mit einen Berater unterhielt.
Das Publikum war bunt gemischt. Sie erkannte Frauen, Kinder und alte Menschen. Aber auch kräftige Männer und Soldaten aus allen Schichten und Klassen waren versammelt. Die Not und Dringlichkeit hatte sie zusammengetrieben.
Celebithiel räusperte sich kurz, um Imrahil höflich auf sich aufmerksam zu machen, der sich abrupt umdrehte und sie freudig anlächelte.
„ Schön, dass du kommen konntest“, sagte er mit offenen Armen und küsste sie links und rechts auf die Wange.
Als wäre die Elbe alles gewesen auf was er gewartet hatte, trat Imrahil an das Rand des Podestes und ein leichter Paukenschlag, brachte die murmelnde Menge zum verstummen.
„ Meine lieben Bürger und Bürgerinnen von Dol Amroth,
die Zeiten sind wahrlich finster, aber das muss ich euch nicht erzählen. Selbst habt ihr mitbekommen, wie Edhellond geplündert wurde. Viele Flüchtlinge des Elbenhafens weilen mitten unter uns. Die erste Belagerung vor fast einem Jahr hat uns ebenso viele Bewohner, Ehemänner und Väter geraubt, wie so manche Schlacht mit den Korsaren in den Jahren zuvor.
Aber dennoch dürfen wir den Schatten, den Sauron wie eine giftige Wolke über ganz Mittelerde ausstreut, nicht in unsere Herzen kriechen und dort nisten lassen.
Wir müssen uns wehren, unsere Heimat und alles Gute und Recht auf dieser Erde verteidigen.
Meine Späher berichten, dass sich in Minas Tirith etwas rührt. Die Bevölkerung wird unruhig und schreit nach Freiheit und Frieden. Herumor scheint der Lage langsam nicht mehr Herr zu werden!“
Ein freudiges Raunen und Klatschen ging durch die Menge und Celebithiel erkannte, dass der Statthalter Minas Tiriths bei den Bewohnern der Schwanenstadt nicht äußerst beliebt war. Mit einem leichten Heben seiner Arme kehrte wieder Ruhe ein, bevor Imrahil nun mit deutlich ernster Stimme und bedrückendem Gesichtsausdruck fort fuhr.
„ Ja Minas Tirith erhebt sich, aber gleichzeitig holt Sauron zu einem neuen Schlag aus. Nach seinem Triumph über den Erebor, wie ich heute erfahren habe, scheint er sich mächtig genug sich erneut gegen Dol Amroth zu stellen. Meine Späher berichten mir, dass das Heer Saurons und der verteufelten Südlinge gestern den Ringló überquert hat. In wenigen Tagen wird es die Stadt erreicht haben.“
Celebithiel beobachtete die Menge, niemand schon besonders erschrocken oder bestürzt zu sein. Die Gefahr und die Bedrohung einer zweiten Belagerung durch Sauron war anscheinend allgegenwärtig in Minas Tirith zu sein.
„ Aber verzag nicht, denn wir erhielten Hilfe aus dem Norden. Vor einigen Tagen erreichten Elben aus den Norden die Stadt und sie bringen uns Unterstützung im Namen der Herrscher Galadriel von Lórien und Elrond von Bruchtal, sowie dem Zauberer Mithrandir!“
Helle Begeisterung machte sich breit und Celebithiel bemerkte, wie sie leicht rosa anlief und Imrahil sich umdrehte, um Celebithiel zu ihm nach vorne zu bitten. Zögern stand sie auf und wurde jubelnd von der Menge empfangen.
„ Frau Celebithiel wird mit mir als oberste Heerführerin agieren und die Horden Mordors an den Mauern der Schwanenstadt zerschellen lassen. Herr Amrûn, hingegen, der andere Elb inspiziert gerade die Flotten der Stadt und wird die Schlacht zur See gegen die dreckigen Korsaren fuhren!“
Die Menge war nun völlig aus dem Häuschen, denn dies war der Moment auf dem sie monatelang gewartet hatten. Sie wussten was auf sie zukommen würde, es hatte sich in ihren Köpfen und Herzen gestaut, wie Wasser eines riesigen Dammes. Und jetzt, wo Imrahil den Kriegszustand offiziell ausgerufen hatte, war dieser Damm gebrochen und die aufgestauten Gefühle wurden frei. Es war keine Angst, keine Verzweiflung, sondern unbändiger Tatendrang.
Die Menge stob nach Imrahils Rede auseinander, wehrtüchtige Männer und Frauen trugen sich in Listen ein. Die übrigen Frauen fingen an Essen zusammenzutragen, alte Waffen und Kettenhemden aus Kellern und Speichern zu suchen.
Celebithiel saß mittlerweilen neben Imrahil, der dem Treiben zufrieden zuschaute.
„ Hab ich dir schon erzählt, warum der Platz, Platz der tausend Schwanenfedern heißt?“.
Die Elbe schüttelte irritiert den Kopf.
„ Das hohlen wir bald nach, das ist eine interessante und lustige Geschichte“, feixte der Mensch.
Celebithiel wollte gerade ansetzen etwas zu sagen, als ein leichtes Räuspern und eine Verneigung sie unterbrach.
„Herr Imrahil, Fräulein Celebithiel?“, es war der Ziehsohn der Elbe der sich genähert hatte, „ für die Elbe ist eine Lieferung aus den Grauen Anfurten angekommen. Sie soll sich am Pier persönlich in Empfang nehmen.“
Irritiert standen alle drei auf und gingen zum Hafen.
Celebithiel und Imrahil zu den Mauern