Das Schicksal Mittelerdes (RPG) > Arnor

Alter Wald

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Fine:
Kerry saß auf einem Felsen oberhalb des Wasserfalls der Weidenwinde nahe Toms Haus, der die letzten Sonnenstrahlen des Tages hell schimmernd reflektierte, allein mit ihren Gedanken. An der Besprechung der Weisen mochte sie nicht teilnehmen, obwohl es sie durchaus interessiert hatte worüber dort wohl alles gesprochen wurde. Ich hab' das Gefühl, dort nicht willkommen zu sein, dachte sie und ließ die Beine baumeln. Sie löste den einfachen Zopf, zu dem sie ihr Haar zu Beginn der Reise durch den Alten Wald geformt hatte und ließ es offen über ihre Schultern fallen.

Sie starrte gedankenverloren in das von den Klippen herabstürzende Wasser. Der Wasserfall war nicht sehr hoch, überragte Tom Bombadils Haus jedoch um ein Stück.
"Hörst du der Stimme des Flusses beim Singen zu?" fragte eine helle Stimme seitlich hinter ihr. Kerry dreht sich halb um und entdeckte Goldbeere, die sie freundlich anlächelte.
"Kann sein - wovon singt der Fluss denn?" wollte sie wissen.
"Von vielen Dingen," antwortete ihre Gastgeberin. "Vom Laub, das auf dem Wasser gen Westen getragen wird. Von den Wurzeln, die aus dem Erdreich am Ufer ragen. Von den Fischen, die sich durch die Strömung bewegen. Er singt vom Leben."
Goldbeere setzte sich neben sie. Als sie sah, wie Kerry sich die Haare beiseite strich, die ihr übers Gesicht gefallen waren, bot sie an, es zu flechten. Etwas überrascht aber dennoch dankbar nahm Kerry das Angebot der Flusstochter an.
"Tom und ich haben nur selten Besuch," sagte Goldbeere nach einer Weile. "Und noch seltener kommt es vor, dass Frauen unter den Besuchern sind. Ich kann mich schon kaum mehr daran erinnern, wann ich zuletzt einer anderen als mir selbst die Haare geflochten habe."
"Dann hast du ja Glück, dass ich hier bin," sagte Kerry leichthin.
"Ich denke nicht, dass es Glück war das dich hierher brachte," erwiderte Goldbeere.
"Wie meinst du das?"
"Vieles geschieht momentan in der Welt. Dinge verändern sich. Dies ist eine ungewöhnliche Versammlung der Weisen, ob sie nun zufällig ist oder nicht. Dennoch ist sie von einiger Bedeutung. Du gehörst nicht zu ihnen, aber dennoch glaube ich, dass es einen Grund gibt, weshalb du hier bist."
"Ich bin hier, weil der Dúnadan hier ist," sagte Kerry.
"Das mag stimmen, doch zu welchem Zweck bist du hier? Kannst du sicher sein, dass der Zauberbann Sarumans auch gebrochen worden wäre, hättest du Arwen nicht zu ihrem Vater begleitet?"
"Ich.. weiß nicht?" gab Kerry verwundert zurück. Was will sie damit sagen?
"Ich meine, dass wir nicht wissen können, wie die Dinge verlaufen werden. Kannst du sagen, welchen Weg eines der Blätter, die auf dem Fluss treiben, nehmen wird? Wie weit es kommen wird? Oder ob es vielleicht an der nächsten Biegung an einer Wurzel festhängen bleiben wird? Einige, die heute hier sind, sind mit der Gabe der Weitsicht gesegnet, doch selbst sie werden mir diese Frage nicht beantworten können. Frage dich nicht, wieso du hier bist. Ich glaube, es steckt mehr dahinter, als du denkst."

Darauf fiel Kerry keine Antwort ein. Goldbeere flocht ihr die Haare mit geübten Handgriffen und steckte zum Abschluss eine Seerosenblüte hinein. Dann stand sie auf und blickte zum Waldrand hinüber.
"Die Unterredungen sind zu Ende - für's Erste. Du solltest losgehen und Elrond finden," sagte sie und zeigte in Richtung der Lichtung.
"Oh, stimmt! Der Dúnadan wollte mit ihm sprechen. Ich gehe. Vielen Dank für alles!"
Goldbeere lächelte freundlich und betrat Tom Bombadils Haus durch die offen stehende Tür. Kerry ging daran vorbei und machte sich auf den Weg zur Lichtung, auf der die Weisen sich beraten hatten. Unterwegs traf sie auf Rilmir, der offenbar am westlichen Flussufer unterwegs gewesen war.
"Schöne Frisur, Kerry," sagte er und berührte die Blüte in ihrem Haar.
Schnell senkte sie den Blick, um ihre Errötung zu verbergen. "Danke," murmelte sie verlegen. Rilmir blickte sie verwundert an, doch bevor er etwas sagen konnte trat Elrond in Arwens Begleitung hinzu, während die übrigen Elben und Zauberer langsamen Schrittes an ihnen vorbei in Richtung des Hauses gingen. Kerry fiel auf, dass Gandalf sich nun auf einen hellbrauen Stab stützte.
Arwen schien die Situation mit einem Blick zu erfassen und schenkte Kerry ein freundliches Lächeln. Elrond hingegen wandte sich an den Waldläufer:
"Meine Tochter hat mir bereits erzählt, weshalb Ihr meinen Rat sucht, Rilmir von den Dúnedain. Ich bitte Euch zunächst, mir zu erzählen, wieviele Dúnedain Ihr auf dem Amon Súl getroffen habt, und wie groß die Widerstandsgruppe ist, wenn Ihr etwas darüber wisst."
"Es sind ihrer nicht viele," antwortete Rilmir. "Belen, Berens Sohn, führt sie an. Sie nennen ihn Aravorn II, denn er ist ebenfalls aus Isildurs Linie, und ein Nachfahre Aravorns, Aragosts Sohn. Sie tun, was sie können gegen die Verräter in Sarumans Diensten, aber es ist schwierig herauszufinden, wer dem Zauberer aus Verblendung folgt und wer ihm aus Furcht vor dessen Rache an den Familien dient."
"Ihr selbst habt keine engeren Verwandten mehr, richtig?" fragte Elrond.
"Das stimmt, Meister Elrond. Ich bin der letzte meines Hauses, das einst von Hallatan dem Númenorer gegründet wurde."
Rilmir zeigte Elrond seinen Ring, auf dem ein Wappen mit einem Segel und einer Blüte darauf zu erkennen war. Dieser nickte. "Nun, Rilmir, als Hallatans Erbe sage ich Euch: Seid mutig wie Euer Vorfahr, der in die Schatten Mordors ging und siegreich zurückkehrte. Kämpft mit Euren Gefährten für die Freiheit des Nordens, und fürchtet nicht die Rache Sarumans. Er hat andere Dinge im Blick, die weit im Osten von hier liegen. Und was Eure verblendeten Brüder angeht: Ihr werdet erkennen, wer wahrlich gefallen ist, wenn es Zeit ist."
Rilmir blieb einen Moment still. "Ich danke Euch für Euren Rat, Meister Elrond. Ich hoffe, ich habe Euch nicht von der Erholung abgehalten, die Ihr nach den Ereignissen dieses Tages und der darauffolgenden Besprechung gewiss ersehnt."
"Die Besprechung war in der Tat anstrengend," sagte Arwen. "Mithrandir musste so vieles, das geschehen ist, erfahren, und schien doch so wenig zu verstehen. Mehrfach mussten wir die Dinge wiederholen."
"Es wird noch seine Zeit dauern," fügte Elrond hinzu. "Dennoch bin ich froh, dass wir Sarumans Bann gebrochen haben."
"Schlau von euch, ihm eine Stütze zum Gehen zu geben," sagte Kerry.
"Er erhielt den Stab von Tom Bombadil, als wir unsere Besprechung beendeten," erklärte Elrond. "Aber täusche dich nicht - ein Stab in der Hand eines Zauberers ist mehr als nur eine Stütze für einen alten Mann. Sie ist ein Symbol seiner Stellung im Orden der Istarí, und ermöglicht es ihm, seine Macht leichter zu bündeln oder zu konzentrieren. Wie Pallando berichtete bezieht Saruman Teile seiner neu gefundenen Macht aus dem Stab, den er Gandalf in Isengard stahl. Deshalb ist es gut, dass Gandalf nun einen neuen erhalten hat."
"Jetzt will ich auch so einen Stab," sagte Kerry verdrossen, und die beiden Elben lachten leise.

Sie verbrachten die folgende Nacht in Toms Haus, da sie wenig Lust verspürten, den Alten Wald bei Dunkelheit zu durchqueren. Am folgenden Tag würden sie alle bis auf Radagast, der sich bereits verabschiedet und gleich darauf verschwunden war, nach Norden zur großen Straße und zu den wartenden Galadhrim zurückkehren.
Kerry war nicht überrascht, als sie feststellte, dass bis auf Tom und Goldbeere (die ihr eigenes Zimmer im Obergeschoss hatten) alle im selben Raum schlafen würden. Viel mehr Zimmer gibt es hier in diesem kleinen Haus ja auch nicht, dachte sie. Schließlich war aber mehr Platz, als sie gedacht hatte, denn die Elben blieben in der Eingangshalle, und nur jeweils zwei Zauberer und Menschen legten sich im Raum schlafen.

Tief in der Nacht wachte Kerry auf - weshalb, konnte sie nicht sagen. Sie zog ihre Decke bis an die Schultern, und lauschte auf die Geräusche, die durch das offene Fenster hineinzogen. Leises Rauschen der Blätter der nahen Bäume im Wind, ab und zu ein tiefes Knarzen, hin und wieder ein Rascheln wie von Ästen, die zur Seite schwingen. Waldgeräusche. Kein Grund zur Angst, versuchte sie, sich selbst zu beruhigen. Sie setzte sich im Bett auf, viel zu wach um gleich weiterzuschlafen. Irgendetwas schien sie zu drängen, aufzustehen und das Haus zu verlassen. Aber wieso? Dort gibt es nichts für mich.
Schließlich stand sie dennoch auf, stieg vorsichtig über die Schlafenden hinweg und trat durch den Türrahmen in die Eingangshalle hinaus. Mit Verwunderung blickte sie sich um, denn die Elben schliefen nicht - mit offenen Augen schauten sie mit nach innen gerichteten Blicken in weite Ferne und nahmen keine Notiz von Kerry. Unschlüssig blieb sie einige Momente stehen. Die Vordertür des Hauses war geschlossen. Der Drang, nach draußen zu gehen, hatte nachgelassen. Kurz darauf entschied sie, Lindir zu den Schlafgewohnheiten der Elben zu befragen, wenn sie zur Straße zurückgekehrt waren, und ging zurück in ihren Schlafraum.

Als sie den Waldläufer schlafend erblickte, konnte sie nicht anders, als sich einige Zeit neben ihn zu setzen. Sie atmete tief aus und betrachtete den Dúnadan, dessen Brust sich regelmäßig auf und ab senkte. Bin ich für dich wirklich nicht mehr als nur eine hübsche Begleiterin? Sie fand keine Antwort auf ihre Frage, und seufzte leise. Schließlich nahm sie Rilmirs Hand und schloss ihre Finger darum. Erschrocken hielt sie den Atem an, als sie spürte wie der Schlafende ihren Griff erwiderte. Wenn er jetzt aufwacht, ist das der Gipfel der Peinlichkeit für mich. Doch der Moment verstrich, und sie ließ die Hand wieder los, ließ den Waldläufer seinen Träumen nachjagen. Sie nahm die Blüte aus ihrem Haar und legte sie auf sein Kissen, ohne wirklich zu wissen, warum.
Bald darauf schon lag sie wieder in ihrem eigenen Bett, und schloss die Augen.

Fine:
Der Morgen kam, und brachte einen hellen Sonnenaufgang, bei dem sich die meisten Wolken zerstreuten. Es würde ein angenehm warmer Tag werden, was Kerry nur recht war. Sie stand auf und packte ihre Sachen zusammen, denn heute würde die Gruppe gemeinsam zur Großen Oststraße zurückkehren. Ihr Haar steckte sie mit mehreren geschickten Handgriffen hoch, damit es nicht im Weg war, und machte sich anschließend auf dem Weg zum Frühstück, zu dem Tom Bombadil und Goldbeere bereits gerufen hatte.

Kerry war erstaunt, dass Gandalf am Tisch fehlte. Sie hatte den Zauberer seit dem vorigen Abend nicht mehr gesehen. Doch niemand der Anwesenden schien darauf einzugehen und das Frühstück nahm seinen Lauf. Es gab einfache Kost und ihre Gastgeber hatten reichlich aufgetragen. Für Kerry war es eine willkommene Abwechslung zu dem, was sie normalerweise unterwegs frühstückte, ob es nun Cram oder eine andere Art von Hartgebäck war. Selbst das Wegbrot der Elben muss wohl irgendwann anfangen, fad zu schmecken, dachte sie. Die Gelegenheit, es zu probieren, hatte sie bisher noch nicht gehabt. Vielleicht eines Tages irgendwann.

Nachdem das Frühstück beendet und die Elben, Menschen und Zauberer schließlich alle zum Aufbruch bereit waren versammelten sie sich auf der Wiese vor Tom Bombadils Haus. Ihre Gastgeber kamen Hand in Hand durch die Vordertür des Hauses, gefolgt von Gandalf, der sich auf seinen neuen Stab stützte. Dieser neue Gandalf verhält sich so unterschiedlich zu dem Gandalf, den ich in Erinnerung hatte, dachte Kerry, der der Anblick nicht sonderlich gefiel. Er hat seinen Mut und seine Zuversicht verloren. Nachdenklich zog sie an einem der Lederriemen, die um ihre Hüfte befestigt waren, bis Elrond schließlich das Wort nahm und sich an die Anwesenden richtete:
"Freunde und Verbündete, lasst uns nun aufbrechen und zu den Galadhrim zurückkehren. Wir danken euch, Tom und Goldbeere, für eure Gastfreundschaft, und dafür, dass ihr euch um Gandalf gekümmert habt während er schlief, und blicken nun voller Zuversicht in die Zukunft."
Tom winkte lächelnd ab. "Geht nun, bevor die Sonne noch höher steigt und euch einen Stich verpasst!"
Sie verabschiedeten sich von den beiden. Als Kerry an Tom Bombadil vorbeikam, sagte er: "Elben im Allgemeinen und Meister Elrond im Besonderen machen gerne große Worte beim Abscheid," und lachte leise.
"Das habe ich gehört," erklang Elronds Stimme von weiter vorne, doch ihm war eine gewisse Belustigung anzuhören.

Sie durchquerten den Alten Wald auf einem anderen Weg als auf dem Hinweg. Es schien eine Abkürzung zu sein. Zumindest sagten die Elben das. Kerry blieb eine Weile direkt hinter Celeborn, der voraus ging, und betrachtete den Wald, der ihr nun deutlich weniger bedrohlich als am Tag zuvor vorkam. Ob er durch die Anwesenheit der hier versammelten Persönlichkeiten beeinfluss wird? Kann ein Wald ... eingeschüchtert sein?, überlegte sie.
Einige Zeit später ließ sie sich ein Stück zurückfallen um neben Gandalf her zu gehen, der schweigend durch den Wald marschierte. Er hatte einen grüblerischen Ausdruck im Gesicht und schenkte ihr zunächst keine Beachtung. Schließlich jedoch wandte er ihr den Kopf zu und sagte unwirsch: "Hier sind wir nun, eine Versammlung der wahrscheinlich weisesten Personen Mittelerdes - und von all jenen willst gerade du, die Jüngste, mit mir reden?"
"Ich bin vielleicht nicht weise," sagte Kerry leicht verärgert. So etwas hatte sie nicht erwartet. "Aber ich bin schlau. Schlau genug zu erkennen, dass mit dir so einiges nicht stimmt, Gandalf."
Der Zauberer zog die Brauen zusammen und musterte sie mit einem stechenden Blick. "Was willst du damit sagen, Kerevalline?"
"Ich will damit sagen, dass ich mich frage, was mit dir passiert ist. Ich hatte dich ganz anders in Erinnerung, auch wenn ich dich damals nur kurz gesehen habe. Du warst voller Entschlossenheit und Autorität, warst eben Gandalf der Weiße. Jetzt bist zu ziemlich verblasst, um ehrlich zu sein."
"Verblasst! Das ist ein starkes Wort, meine Liebe."
"Ich verstehe sowieso nicht ganz, wie du so einfach die Farbe wechseln konntest," wunderte sie sich.
"Ich wurde zurückgeschickt. Ich habe Sarumans Farbe übernommen, weil ich seinen Platz im Orden übernommen hatte. Er hat seine Stellung verloren und ist nun farblos," erklärte Gandalf.
"Wenn er seine Macht verloren hat, wieso fürchtest du dich dann vor ihm?" wollte Kerry wissen?
"Er hat seine Stellung im Orden der Istarí verloren, nicht seine Macht. Und durch den Stab, den er mir stahl, hat er zusätzliche Stärke gewonnen. Auch du tätest gut daran, ihn zu fürchten," gab der Zauberer zurück.
"Vielleicht solltest du ab sofort Gandalf der Ängstliche genannt werden," sagte sie streng.
Der Zauberer blickte sie mit einer Mischung aus Verärgerung und Verwunderung an, doch bevor er etwas erwidern konnte hörten sie den Klang vieler Stimmen von vorne. Sie hatten die Große Oststraße erreicht.


Gandalf, Elrond, Galadriel, Celeborn, Pallando, Arwen, Celebithiel, Kerry und Rilmir zur Großen Oststraße

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