Ich dachte mir, dass diese Antwort kommt, es ist sehr sehr komplex, Tolkiens gedankengang zu diesem Thema nachzuvollziehen, aber da ich sowohl die englische Originalausgabe, als auch die Übersetzungen von Krege und Carroux besitze, versuche ich es dir einwenig zu erläutern. ( Ich stütze mich hierbei auf die Carroux Ausgabe und hoffe man verzeihe mir das Offtopic, aber ich finde es doch wichtig an dieser Stelle zu erläutern).
Ich bin der Ansicht, dass Gollum von Sauron kontrolliert wurde, bzw. dass ihm befohlen wurde nach dem Ring zu suchen, deswegen wurde er auch freigelassen, diese Theorie stütze ich auf folgende Monologe im ersten und zweiten Kapitel des vierten Buches ("Smeagols Zähmung" & "Die Durchquerung der Sümpfe")
"Dann schlugen plötzlich seine Stimme und seine Redeweise um, er schluchzte röchelnd, und nun sprach er nicht mehr zu den Hobbits. >>Lass mich in Frieden, gollum! Du tust mir weh! (...) Ich kann ihn nicht finden. Ich bin müd. Ich, wir können ihn nicht finden, gollum, gollum, nein nirgendwo. (...) Ich kann ihn nicht finden. Ach!<< Er stand auf, ballte die lange, fleischlose Hand zur Faust und schüttelte sie gen Osten. >>Wir tun's nicht!<< rief er. >>Nicht für dich!<< (...) >>Sieh nicht her! Geh weg! Geh schlafen!<< >>Er wird nicht auf deinen Befehl weggehen oder einschlafen, Smeagol<< sagte Frodo. >>Aber wenn du wirklich von ihm wieder frei werden willst, dann musst du mir helfen." (Die Zwei Türme, Buch 4. Kap. 1, S. 649)
Gollum spricht hier eindeutig Sauron an, oder etwa nicht? Und will sich von ihm "freimachen". Hat Sauron eine gewisse Kontrolle über ihn, weil er den Ring so lange getragen hat oder sind das noch die Nachfolgen der grausamen Verhörung Gollums durch Sauron.
Die zweite Stelle:
>>(...) die den Schatz haben. Wir müssen ihn haben!<< >>Aber ER wird es sehn, ER wird's erfahren. ER wird ihn uns wegnehmen!<< >>ER sieht es. ER weiß es. ER hat gehört, wie wir das dumme Versprechen gegeben haben - gegen SEINEN Befehl, ja. Müssen ihn nehmen. Geister suchen schon. Müssen ihn nehmen.<< >>Aber nicht für IHN!<< >>Nein, Herzchen! Siehst du mein Schatz: Wenn wir ihn haben, können wir entkommen, sogar IHM, was?" (Die Zwei Türme, Buch 4. Kap. 2, S. 668)
Zwar wechselt Tolkien hier die Erzählperspektive mit den "<<,>>" um anzudeuten das jetzt Smeagol bzw. Gollum spricht, aber es ist kein typisches Streitgespräch der Beiden. Im Gegenteil, beide wiederholen sogar die selben Sätze und sprechen für den Anderen.
Mit ER in Großbuchstaben ist wieder Sauron gemeint. Anscheinend befiehlt er Gollum auch aus weiter Ferne und ohne das einer von beiden den Ring besitzt und hört sogar durch Gollum oder was Gollum sagt.
ER sieht es. ER weiß es. ER hat gehört, wie wir das dumme Versprechen gegeben haben
Sauron hat ihm während seiner Gefangenschaft befohlen den Ring zu finden und ihn zu ihm zurückzubringen. Dieser Befehl lastet noch immer auf ihm und Gollum versucht sich Sauron zu widersetzen. Das die Gefangenschaft Jahre her ist, zeigt wie schlimm es ist Sauron entblößt gegenüber zu treten. Sogar jetzt noch bereitet ihm (gollum) das Eindringen in seinen "Geist" solche Schmerzen, dass er wehmütig dagegen anzukämpfen versucht. Er gesteht Sauron, dass er den Ring, nach jahrelanger Suche, nicht finden kann und selbst wenn, würde er ihn nicht zu ihm bringen. Mit "ER wird es sehen, ER wird es erfahren" meint Gollum, dass Sauron spürt wenn jemand seinen Ring aufsetzt und sich sogar traut, den Ring als sein Eigen zu benennen.
Jedoch bin ich zu der Auffassung durch Lesen der Originalausgabe zu folgendem Schluss gekommen:
Ich denke nämlich die entscheidende Textstelle hierzu dürfte folgende Beschreibung Frodos an den Hängen des Schicksalsberges sein:
'No, I am afraid not, Sam,' said Frodo. 'At least, I know that such things happened, but I cannot see them. No taste of food, no feel of water, no sound of wind, no memory of tree or grass or flower, no image of moon or star are left to me. I am naked in the dark. Sam, and there is no veil between me and the wheel of fire. I begin to see it even with my waking eyes, and all else fades.' (Book VI, Chapter 3, Mount Doom)
Frodo meint hier, es sei kein Schleier mehr zwischen ihm und dem Feuerrad (=>dem Auge Saurons). Durch den Ring kann Frodo in die Geisterwelt eintreten, zudem verleiht er ihm schärfere Sinne (u.a. wird das in Moria beschrieben). Gleichzeitig ist Sauron stetig bestrebt den Ring zu finden, er sucht danach und entdeckt Frodo beinahe am Amon Hen, als er dort den Ring verwendet.
Dort übrigens ringt Frodo ebenfalls mit Sauron:
"He heard himself crying out: Never, never! Or was it: Verily I come, I come to you? He could not tell. Then as a flash from some other point of power there came to his mind another thought: Take it off! Take it off! Fool, take it off! Take off the Ring!" (Book II, Chapter 10,The Breaking of the Fellowship)
Daraus schließe ich, dass der Ringträger in der Geisterwelt auf irgendeine Weise Saurons Anwesenheit "spürt" und umgekehrt auch Sauron den Ringträger leichter aufspüren kann (ebenso die Ringgeister). Doch wie das obige Zitat zeigt, beschränkt sich dieses "Spüren" von Saurons Präsenz längst nicht nur auf die Geisterwelt, der Ringträger muss den Ring nicht verwenden um immer mehr und mehr von Saurons Gegenwart in seinen Gedanken zu spüren. An den Hängen des Schicksalsberges trägt Frodo den Ring nicht - und trotzdem sieht er Sauron "mit wachen Augen", er fühlt sich seinem Blick preisgegeben. Das Besitzen des Ringes reicht also aus, um diese "Sensibilisierung" gegenüber Saurons Präsenz zu erwerben. Damit wäre auch klar, wieso Gollum/Smeagol in den vorher von mir angesprochenen Zitaten gedanklich mit Sauron ringt und ihn irgendwie zu spüren scheint, denn Gollum war sehr lange im Besitz des Ringes und dürfte unter diesem Effekt noch weit stärker leiden als Frodo. Umgekehrt ist aber Sauron selbst nicht davon betroffen, er scheint den Ringträger nur intensiver zu bemerken, wenn dieser den Ring trägt. Trägt er ihn nicht, bleibt er für Sauron weiter verborgen, während der Ringträger Sauron spürt.
Zusätzlich dürfte auch noch die Nähe zu Sauron eine Rolle spielen, als Frodo ihn "mit wachen Augen" sieht, befindet er sich im Zentrum von Saurons Reich und Saurons Macht dürfte hier am größten, seine Präsenz am intensivsten sein.
Zusammenfassend würde ich also nicht sagen, dass Sauron Gollum aus der Ferne "kontrolliert", es ist vielmehr so, dass Gollum, welcher den Ring sehr lange besessen hatte, eine Art Sensibilität gegenüber Saurons Präsenz in der Geisterwelt erlangt hat, er spürt Sauron schon in den Sümpfen und sieht das "wheel of fire", das Auge Saurons vor sich und versucht es abzuwehren. Sauron im Gegenzug dürfte sich dieser winzigen Präsenz Gollums, die ihn aus der Ferne "erkennt", nicht oder nur in sehr geringem Umfang bewusst sein (wäre es anders, würde es schlicht der Handlungslogik widersprechen, weil Sauron dann unvermeidlich Frodo in Mordor hätte spüren müssen).
Diese Sensibilität scheint mir also weitgehend eine "Einbahnstraße" zu sein - bis zu dem Zeitpunkt, an dem der Ringträger den Ring auf den Finger steckt.
Ein weiterer sehr interessanter Aspekt ist ebenfalls folgendes:
Wie ich bereits gesagt habe, dürfte Sauron Smeagol wohl befohlen haben, den Ring zu suchen und zu ihm zurück zu bringen. Gegenüber Frodo schwört Gollum allerdings:
"Would you commit your promise to that, Sméagol? It will hold you. But it is more treacherous than you are. It may twist your words. Beware!'Gollum cowered. 'On the Precious, on the Precious! ' he repeated. `And what would you swear? ' asked Frodo.`To be very very good,' said Gollum. Then crawling to Frodo's feet he grovelled before him, whispering hoarsely: a shudder ran over him, as if the words shook his very bones with fear. 'Sméagol will swear never, never, to let Him have it. Never! Sméagol will save it. But he must swear on the Precious.'" (Book IV, Chapter 1, The Taming of Sméagol)
Damit widerspricht das Versprechen, das er Frodo gab, dem Befehl Saurons.Wie oben beschrieben, kann die Sensibilisierung aus der Handlungslogik heraus nur in eine Richtung funktionieren, solange der Ring nicht getragen wird. Ich denke daher, dass Smeagol nur glaubt, dass Sauron das Versprechen gehört hat, also eine Art "Verfolgungswahn", er glaubt, Sauron wäre sich seiner Gegenwart ähnlich bewusst wie er Sauron spüren kann - und Sauron könne ihn demnach jederzeit entdecken bzw. unvorsichtige Versprechen auf den Ring "mithören". Dass dies nur eine Illusion Gollums ist, erscheint mir am sinnvollsten.
Ich hoffe du bist des Lesens nicht müde und verstehst meine Argumentation und ich hoffe auch, dass diese Antwort nicht verschoben wird, da ich sie an dieser Stelle für wichtig erachte um dir zu erläutern, wieso Gollum freigelassen wurde. Abgesehen hat es mich einige Zeit gekostet, die entsprechenden Textzitate zusammenzufügen, aber dieser gewaltige Aufwand war es mir wert.
Gruß Harun