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Autor Thema: Das Ordensversteck der schwarzen Rose  (Gelesen 7507 mal)

Vexor

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Das Ordensversteck der schwarzen Rose
« am: 16. Okt 2011, 12:47 »
Fiora und weitere Ordensmitglieder vom Platz des goldenen Drachen


Die ersten Sommertage des Jahres 3022 rieselten dahin, und Fiora schritt durch die Straßen eines Gorthariass, auf dem ein aschener Himmel lastete und dunstiges Sonnenlicht auf die gepflasterte Straße filterte. Gedankenverloren spielte sie mit dem silbernen Emblem, welches um ihren schlanken Hals lag.


 "Fiora, was du heute sehen wirst, darfst du niemandem erzählen", sagte ihre Großmutter. "Nicht einmal deinem Freund Tomás. Niemandem."
"Auch nicht Mama?" fragte Fiora mit gedämpfter Stimme.
Meine Großmutter seufzte hinter ihrem traurigen Lächeln, das sie wie ein Schatten durchs Leben verfolgte.
"Aber natürlich", antwortete sie gedrückt. "Vor ihr haben wir keine Geheimnisse. Ihr darfst du alles erzählen."

Kurz nach einem Krieg gegen die Korsaren hatte eine aufkeimende Cholera Fioras Großvater, Tante und offenbar auch ihren Vater dahingerafft. An ihren vierten Geburtstag beerdigten sie sie auf dem Friedhof des höchsten Hügel Ringlós. Das einzige woran sich Fiora noch erinnerte war , daß es den ganzen Tag und die ganze Nacht regnete und daß ihrer Mutter, als Fiora sie fragte, ob der Himmel weine, bei der Antwort die Stimme versagte. Sechs Jahre später war die Abwesenheit eines Vaters für sie noch immer eine Sinnestäuschung, eine schreiende Stille, die ich noch nicht mit Worten zum Verstummen zu bringen gelernt hatte. Fiora wuchs inmitten von Büchern auf und gewann auf zerbröselnden Seiten, deren Geruch ihr noch immer an den Händen haftet, unsichtbare Freunde. Als Kind lernte sie damit einzuschlafen, daß sie ihrem Vater im dämmrigen Zimmer die Ereignisse zwischen Morgen und Abend, ihre Abenteuer in der Schule erklärte und was sie an diesem Tag gelernt hatte. Sie konnte seine Stimme nicht hören und seine Berührung nicht fühlen, aber sein Licht und seine Wärme glühten in jedem Winkel des Anwesen, und mit der Zuversicht dessen, der ihre Jahre noch an den Fingern abzählen kann, dachte sie, wenn sie nur die Augen schlösse und mit ihm spräche, könnte er sie vernehmen, wo immer er auch sein mochte. Manchmal hörte ihr Fioras Mutter im Eßzimmer zu und weinte verstohlen.
Fiora erinnerte sich, daß sie in jener Junimorgendämmerung schreiend erwachte. Das Herz hämmerte ihr in der Brust, als wollte sich die Seele einen Weg bahnen und treppab stürmen. Erschrocken stürzte meine Großmutter ins Zimmer und nahm mich in die Arme, um mich zu trösten.
"Ich kann mich nicht mehr an sein Gesicht erinnern. Ich kann mich nicht mehr an Papas Gesicht erinnern", keuchte Fiora.
Meine Großmutter umarmte sie fest.
"Hab keine Angst, Fiora. Ich…ich“, aber ihre Stimme versagte
Sie schauten sich im Halbdunkel an und suchten nach Worten, die es nicht gab. Das war das erste Mal, daß Fiora merkte, daß ihre Großmutter alterte und ihre Augen, Augen aus Nebel und Verlust, immer in die Vergangenheit blickten. Sie stand auf und zog die Vorhänge zurück, um das laue Frühlicht hereinzulassen.
"Los, Fiora, zieh dich an. Ich möchte dir etwas zeigen", sagte sie.
"Jetzt? Um fünf Uhr früh?"
"Es gibt Dinge, die man nur im Dunkeln sehen kann", gab mein Großmuttermit einem rätselhaften Lächeln zu verstehen.



Noch dämmerten die Straßen matt in Dunst und Nachttau dahin, als Fiora unterwegs war. Flimmernd zeichneten die Fackeln der Straßen eine diesige Allee, während die Stadt sich reckte und streckte und ihr blasses Nachtgewand ablegte. Fiora folgte Cáha auf diesem engen Weg, eher Scharte als Straße, bis sich der Abglanz des großen Platzes hinter ihnen verlor. In schrägen Quentchen sickerte das helle Morgenlicht von Balkonen und Karniesen bis knapp über den Boden. Endlich blieb Cáha vor einem von Zeit und Feuchtigkeit schwarz gewordenen Portal stehen. Vor uns ragte etwas auf, was mir wie die verlassenen Überreste eines Palastes oder eines Museums aus Echos und Schatten vorkam.

Ein Männchen mit dem Gesicht eines Raubvogels und silbernem Haar öffnete ihnen die Tür. Unergründlich heftete sich sein durchdringender Blick auf Fiora.
"Guten Morgen, Isaar", verkündete Fiora mit gedämpfter Stimme.
„ Des Taues Glanz, erhellt den Morgen im Rosenkranz.“
Mit einem leichten Nicken bat uns Isaar herein. Bläuliches Halbdunkel hüllte alles ein, so daß die Konturen einer breiten Marmortreppe und eine Galerie mit Fresken voller Engels- und Fabelfiguren gerade eben angedeutet wurden. Sie folgten dem Aufseher durch einen prächtigen Gang und gelangten in einen riesigen, kreisförmigen Saal, wo sich eine regelrechte Kathedrale aus Dunkelheit zu einer von Lichtgarben erfüllten Kuppel öffnete. Ein Gewirr aus Gängen und von Büchern überquellenden Regalen erstreckte sich von der Basis zur Spitze und formte einen Bienenstock aus Tunneln, Treppen, Plattformen und Brücken, die eine gigantische Bibliothek von undurchschaubarer Geometrie erahnen ließen. Mit offenem Mund schaute Càha Fiora an. Sie lächelte und blinzelte ihr zu.
"Willkommen im Friedhof der Vergessenen Bücher, Cáha."

In den Gängen und Lichtungen der Bibliothek verstreut, zeichneten sich ein Dutzend Gestalten ab. Einige von ihnen wandten sich um und grüßten aus der Ferne, und Fiora  erkannte bekannte und unbekannte Gesichter. Teilweise waren es Mitglieder des Ordens, den Fiora wieder ins Leben gerufen hatte, teilweise Gesichter der Gefangenen, die Fiora in der Nacht zuvor befreit hatte. Wie merkwürdig, wie verschwörerisch sahen diese Männer und Frauen auf einmal aus!
Fiora nickte in die Runde und auf einmal war leises Fußgetrappel zu hören, welches sich in den Reihen aus Büchern und Geschichten verlor.
Das runde Dutzend an Männern und Frauen stand nur vor ihr.

"Was ihr hier seht, Brüder und Schwestern, ist ein geheimer Ort, ein Mysterium. Jedes einzelne Buch hat eine Seele. Die Seele dessen, der es geschrieben hat, und die Seele derer, die es gelesen und erlebt und von ihm geträumt haben. Jedesmal, wenn ein Buch in andere Hände gelangt, jedesmal, wenn jemand den Blick über die Seiten gleiten läßt, wächst sein Geist und wird stark. Schon vor einigen Jahren, als ich zum ersten Mal hierherkam, war dieser Ort uralt. Vielleicht so alt wie die Stadt selbst. Niemand weiß mit Bestimmtheit, seit wann es ihn gibt oder wer ihn geschaffen hat. Hier leben für immer die Bücher, an die sich niemand mehr erinnert, die Bücher, die sich in der Zeit verloren haben, und hoffen, eines Tages einem neuen Leser in die Hände zu fallen.
Dieser Ort dient als Versteck unseres Ordens. Als Hauptquartier bei unserer Bemühung den König zu stürzen und Rhûn aus der Tyrannei Khamuls zu führen. Die Schwarze Rose ist so alt wie dieser Ort selbst und auch wenn der König denkt, er hätte den Orden zerschlagen. Hätte alle Mitglieder ausgerottet, so irrt er sich.
Ich überlebte als einziges Mitglied und werde ihre Tradition fortführen. Ihre Sitten-“
Ein raschen und ein dumpfer Aufschlag war zu hören. Irgendwer aus dem Haufen hatte ein Buch aus dem Regal fallen lassen. Fiora konnte im dunstigen Licht nicht genau erkennen wer es war, aber sie glaubte die Umrisse des Elben zu sehen, der sie bereits in der Nacht mit seltsamem Ausdruck gemustert hatte.
Unbeirrt fuhr Fiora in ihren Ausführungen fort und als sie geendet hatte forderte sie das Dutzend auf ihr zu folgen.
Fast eine halbe Stunde spazierten sie durch dieses Labyrinth, das nach altem Papier, Staub und Magie roch. Sachte fuhr sie mit der Hand über die Rücken der ausgestellten Bücher. Auf den verwaschenen Bänden erkannte sie Titel in Sprachen, die sie erkannte, und viele andere, die sie nicht einzuordnen vermochte. Sie lief durch gewundene Gänge und Galerien mit Hunderten, Tausenden von Bänden, die mehr über Fiora und die Anwesenden zu wissen schienen als sie über sie. Bald befiel Fiora der Gedanke, hinter dem Einband jedes einzelnen dieser Bücher tue sich ein unendliches, noch zu erforschendes Universum auf und jenseits dieser Mauern verschwendeten die Menschen ihr Leben an Banalitäten, zufrieden damit, kaum über ihren Nabel hinauszusehen.


Fioras Großmutter zog eine kleine Schatulle aus dem Regal und reichte es ihr mit zittriger Hand.
„Öffne es.“
Ihre Stimme klang brüchig, aber die Neugier war stärker als die Furcht, die langsam in ihr aufkeimte und sie öffnete die Schatulle. Dort in weinroten Samt eingehüllt lag ein silbernes Emblem auf dem ein verschnörkeltes S eingraviert war.
Der fragende Ausdruck auf Fioras Gesicht muss so markant gewesen sein, dass ihre Großmutter antwortete bevor die Frage über ihre Lippen gekommen war.
„ Dies ist ein Schmuckstuck, dass dein Vater dir hinterlassen hat. Es war sein Wunsch, dass du eines Tages erfahren solltest, wer er war…da…da…da du ihn nie kennenlernen konntest.
„Aber…aber…“
Ihre Großmutter schloss die Augen und eine Träne rann bebend ihre Wange hinab.
„ Ach Liebes….dein Vater ist nicht an der Cholera gestorben…dein Vater war ein Spielmann aus Thal.“



Die Ordensmitglieder blieben vor einem staubigen Wandteppich hängen, der vom diffusen Licht erhellt wurde.
„ Hier hinter ist das eigentliche Versteck des Ordens, denn diese Bibliothek ist königlicher Besitz. Nur ist mein werter Stiefvater zu dumm und naiv die Macht und Schönheit von Büchern zu würdigen. So dass er es öffentlich verpönte die Bibliothek aufzusuchen. Nur selten kommt hier jemand vorbei, aber trotzdem solltet ihr euch nicht zu oft hier oben aufhalten. Isaar bewacht diesen Ort zwar schon seit vielen Jahrzehnten im Dienste des Ordens, aber dennoch kann er nicht immer dafür sorgen uns zu warnen.“
Von manchen war ein Nicken zu vernehmen und so zog Fiora den Teppich beiseite und offenbarte eine Treppe, die hinab in ein Kellerabteil offenbarte, die einer Katakombe glich.
« Letzte Änderung: 26. Aug 2016, 12:33 von Fine »


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Re:Das Ordensversteck der schwarzen Rose
« Antwort #1 am: 19. Okt 2011, 19:29 »
Mallos' Start:

Stumm lief Mallos durch die großen Hallen. Er kannte sie schon lange, oft hatte er hier Ruhe gefunden. Die Bücher hatten eine sanfte Ausstrahlung, die ihn immer in seiner Zeit als Attentäter beruhigt und an glückliche Tage hatten denken lassen, obwohl er nicht wusste, woran dies lag – heute wusste er es. Bei seiner Masse an Schriften, die er geschrieben hatte, war es nur natürlich, dass er eine gewisse Liebe zu Orten hatte, wo sich Bücher und andere Schriften stapelten.
Sanft atmete er ein und genoss den Geruch von altem Pergament, dem Leder, das teilweise seit Jahrhunderten die Bücher umschloss und all den anderen Gerüchen, die ihm so lange gefehlt hatten. In Bruchtal hatte er zwar auch viel Zeit in den Bibliotheken verbracht, jedoch schafften es seine Artgenossen ihre Schriften so zu versiegeln, dass sie nicht so stark unter der Zeit litten. Nur fehlte ihnen dann auch der Geruch von Papier, den er bei den Menschen kennen und lieben gelernt hatte. Während er durch die Gänge strich, fuhr er vorsichtig mit den Händen über all die Blätter, Rollen und Bücher, die bis zur Decke gestapelt vor den Wänden lagerten. Niemand wusste, was hier für Schätze lagen, dessen war er sicher. Für die meisten waren das hier einfach alte Werke, Legenden oder unnütze Schriften. Doch er wusste, was für Schätze hier vergraben lagen – nicht nur weil er selbst viele der Blätter hier beschrieben hatte. Aus diesem Grund lief er immer weiter, er suchte ein paar ganz bestimmte Bücher.
Er erkannte viele der Überschriften, die den meisten Schriften standen, doch kaum einer gönnte er mehr als einen Moment der Aufmerksamkeit, bevor er weiter lief.
Schließlich – er wusste nicht, wie lange er schon durch die Gänge lief – hatte er gefunden, was er gesucht hatte.Vorsichtig zog er ein einzelnes Blatt aus einem großen Bündel heraus und setzte sich in eine Ecke und fing an zu lesen.
Es war zwar dunkel, doch kleine Beleuchtungen spendeten ihm genügend Licht, dass er die Zeilen entziffern konnte. Nach diesem Pergament hatte er früher schon lange gesucht gehabt, doch war dies in einem Bereich der Bibliothek, die ihm damals verboten war – und als er sich schließlich hatte frei bewegen können, hatte er sich dank der Gedächtniswäsche durch seinen König an nichts mehr erinnern können.
Auch wenn viele Teile des Briefes verdreckt oder anderweitig unleserlich waren, erfüllte es Mallos mit einer Zufriedenheit, dass er es gefunden hatte, wie er sie das letzte Mal beim Öffnen von Dûrmarths Grab empfunden hatte, obwohl dieses Mal auch ein bisschen Angst dabei war – obwohl er so lange gesucht hatte, wusste er nicht, ob er es wirklich lesen wollte. Doch er dachte nicht lange nach, setzte sich hin und begann zu lesen.

Dies sind die letzten Zeilen der Königssklaven Iriell und Araiôn.
Diese Schrift soll die Wahrheit beinhalten und nichts als die Wahrheit soll in ihr stehen. Dies ist der Wille des Königs, genauso wie es sein Wille ist, dass niemals und zu keiner Zeit dies an die Öffentlichkeit gelangen soll. Nur zukünftige Könige sollen dies lesen können, damit sie die Wahrheit erfahren, wieso die Königssklaven nach Osten gebracht wurden. Nie hat er seinem Sohn diese Schmach verziehen.

Lange Jahre war Prinz Ulfar im Osten gewesen und hatte dort viele Kämpfe durchstanden. Doch ein größerer Triumph blieb aus, größtenteils waren es nur kleine Scharmützel, selbst wenn diese hoch gelobt und oft besungen in unseren Hallen anders dargestellt wurden. Die meisten der Kämpfe war Prinz Ulfar auch nur in seinem Zelt gewesen, um sich dort an den Freuden des Leibes zu erfreuen.
Während sein Kommando anfangs nur ... musste, wurde es mit der Zeit problematischer, da immer  ... Überfälle von feindlichen Stämmen auf unser Hoheitsgebiet ausgeführt wurden. Anstatt jedoch um zusätzliche Truppen zu bitten, missachtete er die Ratschläge seiner Generäle, da er zu stolz war, um sich einzugestehen, dass er zu wenig Truppen mitgebracht hatte. Während einem seiner vielen Gelage geschah schließlich das Unausweichliche: Sein Lager wurde überrannt, seine Soldaten alle getötet und er geriet in Gefangenschaft.
…Truppen, die dem König von Khand ergeben waren...massive Truppenverbände im Osten... Verhandlungen um die Freilassung des Prinzen. Dies waren die Ergebnisse:
...ngriffspackt zwischen den zwei Ländern für die nächsten... und zu jeder Zeit in der sie dem Auge dienten.
...Übergabe der beiden Königssklaven...


Mallos wollte nicht weiterlesen und selbst wenn er gewollt hätte – seine Augen füllten sich so schnell mit Tränen, dass er das Blatt achtlos zur Seite warf und schluchzend wegrannte. All die Jahre hatte er es geahnt – jetzt wusste er es sicher. Er hatte seine Eltern verloren... weil ein kleiner Mensch nicht seinen Stolz überwinden konnte und anstatt zu Kämpfen lieber seine Untertanen kämpfen lies und selbst nichts tat, als sich in weiblicher Gesellschaft aufzuhalten. Zum Glück hatte er nicht lange gelebt – noch bevor sein Vater gestorben war, hatte er einen tödlichen Unfall und sein jüngerer Bruder wurde König.
Mallos wünschte, dass der Prinz noch leben würde. Wie gern würde er jetzt sich an ihm rächen und ihm so viele Schmerzen wie möglich zufügen. Doch er wusste, dass dieser Mensch schon seit Jahrhunderten Tod war. Immerhin etwas.

Während Mallos durch die Hallen rannte kam er langsam wieder zu sich. Seine Suche war zwar erfolgreich gewesen, doch er wünschte, dass er sie nicht begonnen hätte. Vorsichtig trat er schließlich wieder in eine der vorderen Hallen, wo sie ursprünglich angekommen waren. Während er die Halle betrat hörte er neben den lauten Geräuschen der Menschen, die trampelnd durch den Raum liefen von der anderen Seite ein paar leise Bewegungen – ihre Gastgeberin und Retterin vom letzten Abend schien wieder da zu sein. Er erinnerte sich noch gut an sie – Fiora... es war richtig gewesen sie damals nicht zu töten und ihr verdankte er auch sein gesamtes Gedächtnis. Sie kam ihm zwar etwas komisch vor, doch er würde ihr helfen. Zum einen aus Dank für sein Gedächtnis und die Rettung, zum anderen, weil er selbst dem König so viel schaden wollte, wie er nur konnte.
Er gesellte sich unauffällig zu denjenigen, die am Vortag gerettet worden waren und zusammen gingen sie zu ihr.

"Was ihr hier seht, Brüder und Schwestern, ist ein geheimer Ort, ein Mysterium. Jedes einzelne Buch hat eine Seele. Die Seele dessen, der es geschrieben hat, und die Seele derer, die es gelesen und erlebt und von ihm geträumt haben.“, begann sie. Wie Recht sie hatte. Und viele haben eine elbische Seele. Doch davon weiß hier niemand etwas.

„Jedesmal, wenn ein Buch in andere Hände gelangt, jedesmal, wenn jemand den Blick über die Seiten gleiten läßt, wächst sein Geist und wird stark. Schon vor einigen Jahren, als ich zum ersten Mal hierherkam, war dieser Ort uralt.Vielleicht so alt wie die Stadt selbst. Niemand weiß mit Bestimmtheit, seit wann es ihn gibt oder wer ihn geschaffen hat. Hier leben für immer die Bücher, an die sich niemand mehr erinnert, die Bücher, die sich in der Zeit verloren haben, und hoffen, eines Tages einem neuen Leser in die Hände zu fallen.“
Womit du nur teilweise Recht hast. Ich war damals dabei, als dieser Ort gegründet wurde... damals, vor vielen Hundert Jahren. Und ich war auch dabei, als du das erste Mal hierher kamst. Der König lies mich schon am Anfang abwechselnd alle Neulinge im Palast bewachen, die deine Mutter mitgebracht hatte. Da liegt tatsächlich viel Zeit dazwischen. Viele der Werke hier sind jedoch auch froh nicht gelesen zu werden, denn sie bieten dem Leser nichts als Schmerz.

„Dieser Ort dient als Versteck unseres Ordens. Als Hauptquartier bei unserer Bemühung den König zu stürzen und Rhûn aus der Tyrannei Khamuls zu führen. Die Schwarze Rose ist so alt wie dieser Ort selbst und auch wenn der König denkt, er hätte den Orden zerschlagen. Hätte alle Mitglieder ausgerottet, so irrt er sich.“
Mallos seufzte – das Meiste vom letzten Teil war wohl jedem hier klar, doch es musste wohl gesagt werden. Er ließ kurz seinen Blick über das Regal neben sich fahren und stockte plötzlich. Wie automatisch griff seine Hand zu einem Buch und zog es mit zittrigen Fingern heraus. Hypnotisiert öffnete er es – und lies es sofort fallen.
Kurz stoppte Fiora mit ihrer Rede und schaute zu ihm herüber, doch fast sofort fuhr sie unbeirrt fort.
Er hörte kein weiteres Wort von dem was sie sagte, sondern starrte nur das Buch an. „Märchensammlungen – Geschichten für Kinder aus der alten Zeit“ stand auf dem Einband. Es war kein Buch, was zu den anderen großen Büchern passte, doch gehörte es hier hin, das wusste Mallos. Schon allein, weil der Autor – oder besser: Die Autorin – so viele Werke in dieser Bibliothek geschrieben hatte: Iriell, seine Mutter.
Während Fiora sie anschließend durch die Gänge führte, folgte Mallos der Gruppe, ohne wirklich geistig anwesend zu sein. Das war das Buch seiner Kindheit, dort waren fast alle Märchen aufgeschrieben, die er gehört hatte. Als sie losgelaufen waren, hatte er es unter seine Kleidung gesteckt. Wenn er Zeit hätte, würde er die Geschichten noch einmal lesen. Bis dahin würde niemand  das Buch finden, dessen war er sicher. Selbst Fiora, die diese Bilbiothek anscheinend ziemlich gut kannte, wusste wahrscheinlich nicht um all ihrer Geheimnisse. Doch er kannte ein paar Verstecke, die niemand finden würde.
Schließlich blieben sie vor einem Wandvorhang stehen. Ah, dachte Mallos. Hier versteckt sich jetzt also die Schwarze Rose. Da haben wir wirklich alle Glück gehabt, denn diesen Ort kennt weder unser werter Herr König, noch irgendeiner seiner Diener, wenn sich nicht viel in den letzten Jahren geändert hat. Hier sollten wir tatsächlich sicher sein.


Der Reihe nach betraten sie die Treppe, die sich hinter dem Vorhang offenbare. Sie führte nicht weit unter die Erde, aber weit genug, dass man nirgends etwas von den Räumen dahinter bemerkte. Ein paar Fackeln lieferten gerade genügend Licht, dass man den gesamten Raum sehen konnte. Von ihm gingen noch ein paar einzelne Wege weg, die zu weiteren tiefer gelegten Räumen weggingen. Doch vorerst blieben sie in dem vordersten Raum. Während sie langsam zum Stehen kamen spähte Mallos zu einem Gang links von ihnen. Zweiter Gang nach links... dort müsste ein Raum sein, dessen Boden mit großen Pflastersteinen bedeckt ist. Mich würde wirklich interessieren, ob jemand von dem Orden schon Mal den vierten Stein von vorne und zweiten von links probiert hat hochzuheben.
Doch vorerst behielt er diese Frage für sich. Fiora klärte sie darüber auf, dass sie dieses Versteck niemandem je zeigen dürften und falls sie dies taten, dann würde sie persönlich dafür Sorge tragen, dass derjenige den nächsten Morgen nicht erleben würde. Zusätzlich wurde ihnen gezeigt, wo sie sich zum Schlafen legen konnten, denn niemand hatte in den letzten Tagen viel geschlafen. Den Rest würde sie ihnen am Nachmittag sagen, wenn sie etwas geschlafen hätten. Die meisten begaben sich daraufhin zu den angegebenen Orten und legten sich schlafen, doch Mallos war wach. Er hatte in den letzten Tagen genug geschlafen und wollte lieber den Ort hier genauer betrachten. Es war faszinierend, wie sich die Räume hier geändert hatten. Das letzte Mal, als er hier war, war noch alles voller Spinnweben gewesen, Steine lagen im Raum und teilweise war auch der Boden kaputt gewesen. Doch jetzt war alles sauber, der Boden war größtenteils ausgebessert und ein massiver Tisch stand in der Mitte des Raumes, drum herum einige Holzstühle. An den Seiten hingen einige Halter für Fackeln, wovon gerade einmal ein Bruchteil benutzt wurde. Wenn wirklich überall Fackeln brennen würden, dann würde es deutlich heller im Raum sein. Zusätzlich war am unteren Ende der Treppe noch eine dicke Holztür. Wenn man sie schließen würde, dann könnte man hier unten so laut werden, wie man wollte – durch den Wandteppich am oberen Ende würde so gut wie kein Laut dringen.
 Er musste zugeben – er war beeindruckt, dass jemand diesen Raum gefunden hatte und auch wie gut er hergerichtet worden war. Der Orden war besser organisiert und ausgerüstet, als er gedacht hatte.
« Letzte Änderung: 19. Feb 2016, 10:54 von Fine »

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Re:Das Ordensversteck der schwarzen Rose
« Antwort #2 am: 10. Nov 2011, 15:19 »
Klack, Klack, tönten Fioras Schritte durch die dunklen Gänge unter der Bibliothek.
Sie war ganz in einen knöchellangen, schwarzen Reiseumhang gehüllt und hatte sich die Kapuze tief ins Gesicht gezogen.
Der Seitengang, dem sie folgte war meterlang und nur die Kerze in Fioras Hand erhellte den Weg. Hier hinten war es bereits um einiges schäbiger, da den Gang nur wenige benutzen. An den Wänden bröckelten bereits die Steinplatten, oder Seitengänge waren komplett eingestürzt.

Das Gangsystem unter der Bibliothek zieht sich fast durch die gesamte Stadt. Einzig die Gänge direkt zum Palast und direkt in die Verließen sind verschüttet. Dies war das Werk des Königs, als er den Orden ausschalten wollte. Zum Glück hat er nie etwas von dem Gang, der aus der Stadt hinausführte erfahren.

Sie machte Halt und stand vor einer steinernen Sackgasse. Das spärliche Licht offenbarte nur wenig und beleuchtete die Szenerie auf bizarre Weise, als Fiora die Kerze auf den Boden stellt. Vorsichtig tastete sie über Mauer bis sie einen kleinen Schlitz entdeckte, wo gerade Mal zwei Finger hineinpassten.
Als sie die Finger wieder hinauszog war ein Rasseln zu hören und ein spaltgroßer Durchgang offenbarte sich, indem sich Fiora gerade so durchzwängen konnte.
Die feurige Morgenröte schmerzte ihr ein wenig in den Augen, als sie die Falltür von unten aufstieß und sich agil nach oben zog.
Ihr Blick schwankte noch links und vor sich erblickte sie die abweisenden Steinmauern Gortharias. Ein Lächeln huschte über ihre Lippen.

Ach König wenn du wüsstest, wie leicht man in deiner Stadt ein und ausgehen kann.
Zu ihrer Rechten hörte sie Flügelrascheln und erblickte den großen Taubenschlag, den die Händler und Bauern nutzten, um mit anderen im In- und Ausland zu kommunizieren.
Ihre hellbraunen Augen suchten einen Augenblick die graue Taube mit den schwarzen Tupfern am Kopf.
„Ah da bist du ja“, flüsterte Fiora und streckte ihre Hand aus, woraufhin sich die Taube sofort dort niedersinken ließ.
Es war ein ganz schönes Stück Arbeit gewesen die Taube so zu dressieren, dass sie an diesen Taubenschlag nur von Fiora angefasst werden konnte, aber schlussendlich gelang es.
Behutsam nahm sie die Pergamentrolle aus der Halterung an ihrem Rücken und breitete sie aus.
„ Sehr geehrter Herr Neûs,
ich möchte mich für die Bestellung von zwanzig Rollen Pergament, drei Gänsekielen und Eisengallustinte bedanken. […]

Mit freundlichen Grüßen,
Letro von Chár“

Es dauerte nur einen Moment bis Fiora die Nachricht dechiffriert hatte, um die nötigen Informationen ihres Kontaktmanns zu erfahren.
Astana, Baghir, Naryn, Talas und Lethoria…wunderbar….

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Sie betrachtete die Taube noch ein wenig, bevor sie wieder die Falltür hinabstieg.
Erst nachdem sie den Mechanismus der Steinmauer wieder geschlossen hatte, nahm sie die Kerze und marschierte zurück zu der großen Halle, wo immer noch die befreiten Gefangenen weilten. Einige waren allerdings schon wach. Saßen stumm auf ihren Feldbetten, oder betrachteten den Raum.
Betrachteten die riesige Karte Rhûns, die auch Teile des Düsterwaldes, Mordors und des Dagorlandes abbildeten.

Als Fiora die schwere Holztür hinter sich schloss und mit einem filigranen, goldenen Schlüssel zusperrte drehten sich ein paar erschrocken um.
„Guten Morgen!“, sagte sie mit autoritärer, aber dennoch freundlicher Stimme, „ Ich hoffe ihr habt gut geschlafen!“
Ein Murmeln ging durch die Menge und die Wachen versuchten die noch schlafenden zu wecken und nach guten zehn Minuten saßen alle an der hölzernen Tafel, um Fiora mit wachen Augen und Ohren zu lauschen.

„Nur weil ihr euch gemeldet habt, um den Orden zu dienen, heißt es noch lange nicht, dass ihr auch fähig seid selbiges zu tun. Der alte Orden der Rose war nicht nur ein Orden voller Assassinen. Sie hatten überall Spione, Händler und Mägde in ihren Dienste, damit die Ordensstruktur und Mission funktionierte.“
Sie ging auf eine stämmig wirkende Frau zu, die einen ungefähr zehnjährigen Sohn auf dem Schoss hielt und blickte ihr in die Augen bevor sie fragte: „ Wie heißt du?“
„ Rilila, Tochter des Jenôls von Thal! Und das ist mein Sohn Hierur.“
Fioras Augenlied zuckte kurz, als sie den Namen Thal hörte, fuhr aber unbeirrt fort.
„ Was war deine Profession dort, Rilia?“
„ Ich war Köchin des Prinzen von Thal, Herrin“, stotterte sie und blickte Fiora ehrfürchtig an.
Jene musste lächeln und sagte fast belustigend: „Nenn mich niemals Herrin, das gilt für jeden von euch. Ich bin eure Ordensschwester oder Fiora, aber ganz sicher nicht eure Herrin. Das ist gut Rilia. Du wirst als Köchin im Palast dienen und uns mit den wichtigsten Informationen versorgen. In der Küche wird viel getratscht, lerne das Wichtige vom Unwichtigen zu trennen. Und dein Sohn wird beim Stallmeister Kreos arbeiten. Jener braucht immer fähige junge Burschen und der König reitet mindestens einmal in der Woche zur Jagd aus.“
„Aber wie sollen wir das alles bewerkstelligen Fiora? Wie komme ich zum Beispiel in den Palast?“, erwiderte sie und Fiora erkannte eine Mischung aus Bewunderung und Furcht in ihrer Stimme.
„ Lass das meine Sorge sein Schwester“, entgegnete sie kühler als sie es gewollt hatte.

So machte es Fiora mit allen der restlichen zehn Menschen, die am Tisch weilten. Neben einem Goldschmied, einem Gerber und einen Kaufmann, fand sie sogar einen älteren Mann, der sich bereit erklärte als Priester im großen Tempel Saurons zu dienen.
Ebenso fand sie eine junge Frau und einen Mann mittleren Alters, die perfekte Kandidaten waren in die Assassinenlehre bei Fiora zu gehen.
Zu guter Letzt saß dort der Elb, der Fiora immer noch so seltsam vertraut vor kam.

„ Und was warst du Elbensohn vor deiner Gefangennahme?“, sprach Fiora, während ihre Augen versuchen seine Gedanken zu ergründen; versuchten zu erkennen, woher sie ihn kannte.


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Re:Das Ordensversteck der schwarzen Rose
« Antwort #3 am: 29. Dez 2011, 23:43 »
Nur die Augen sprechen die Wahrheit“, erinnerte sich Mallos als Fiora ihre Antwort gestellt hatte. Fioras Augen wirkten ein bisschen müde. „Sie war also auch die Nacht nicht wirklich lange im Bett.
Zusätzlich waren sie nicht ruhig, sondern huschten immer wieder kurz über sein Gesicht. Doch jedes Mal, wenn sie ihm wieder in die Augen schaute schienen sie zu versuchen in ihn hinein zu blicken und zu versuchen etwas Verborgenes herauszufinden.
Sie scheint also bemerkt zu haben, dass sie mich schon einmal gesehen hat… Aber noch weiß sie es nicht sicher, sucht aber weiter.
„Meine He…“, begann er, doch als er sah, wie ihre Mundwinkel zuckten verbesserte er sich sofort. „Schwester Fiora. Ich war nur ein reisender Elb, der von Ort zu Ort zog, um Menschen und Elben gleichermaßen mit Geschichten verschiedenster Arten zu erfreuen und lange Abende mit Hilfe von Liedern kurz erscheinen zu lassen. Meine Aufgabe war es die Dunkelheit in der Nacht zu vertreiben und ein bisschen Licht in große Hallen und kleine Zimmer zu bringen. Ich war also ein Mensch der Worte – ein Poet.“
Fiora antwortete nicht sofort. „Sie ist sich unsicher, ob sie mir glauben soll. Sie sagt es nicht, doch ihre Augen versuchen eine Lüge zu finden, doch in meinen Augen erkennt sie nur die Wahrheit. Denn es stimmt. Zumindest war ich in den letzten Jahren nichts anderes.
„Werter Elb.“, sagte sie schließlich. „Habt ihr jemals in Gortharia eure Kunst zum Besten gegeben?“
Vor Jahrhunderten war der Barde oft meine Tarnung, sowohl hier in dieser Stadt, als auch in anderen Orten und Städten des Landes. Sie würde meine Lüge erkennen. Sie ist aufmerksam und sieht viel… für einen Menschen
 „Glaubt ihr wirklich, werte Schwester, dass es für einen Elb ratsam wäre in der Hauptstadt von Rhûn aufzutreten? In meinen Augen wäre es Selbstmord, wenn ich mich unter Menschen begeben würde.“ „Und doch tat ich es… doch ich war nicht nur Dichter… sondern hatte lange Jahre der Ausbildung hinter mir und wusste es zu verschleiern wer ich bin
. „Zu wahr.“ antwortete Fiora zögernd, noch immer konnte sie keine Lüge feststellen – schließlich hatte er nicht gelogen. „Wartet hier bis ihr eine Aufgabe erhaltet. Euere bisherige Arbeit könnt ihr hier wohl nicht - “

„Fiora?“ unterbrach ein Mann sie leise. Es war der Mann, der meist über die Tür wachte. Isaar hieß er, zumindest wenn Mallos den Namen richtig verstanden hatte.
Er flüsterte etwas leise in ihr Ohr. Mallos konnte nichts verstehen, doch wenn sie Fioras blick richtig deutete ging es gerade um ihn. „Warte hier.“ Sagte sie knapp und eilten in eine andere Ecke des Raums, wo sie mit einem anderen der befreiten Gefangenen kurz redeten. Leider standen zu viele Leute im Weg, sodass Mallos nicht genau erkennen konnte worum es ging. Doch wenn er es richtig deutete, dann würde er es sowieso erfahren. Seufzend setzte er sich auf einen kleinen Hocker und wartete darauf, dass Fiora wieder kam.

Sie enttäuschte ihn auch nicht und nur wenige Augenblicke sah er sie wieder auf sich zukommen. „Elb. Sagt mir zuerst einmal euren Namen.“
„Namen sind Schall und Rauch. Sie sagen nichts über den Menschen aus, der sie trägt. Man kannte mich unter einigen Namen, doch in den letzten Jahrzehnten trug ich meist wieder meinen Geburtsnamen, welcher wahrscheinlich der ist, der euch interessiert: Mallos.“
„Dann werde ich euch auch so nennen.“ antwortete sie. „Mallos, ich habe deine Geschichte geglaubt. Doch muss ich an deiner Loyalität zweifeln. Verrate mir eins, bevor ich über dich urteile: Was sucht ein Poet, zudem noch ein Elb, nachts in den Straßen von Gortharia. Ich glaube kaum, dass du heute Nacht nur frische Luft schnuppern wolltest. Und versuche erst gar nicht deinen Ausflug abzustreiten.“
Innerlich fluchte Mallos.
Und fluchte anschließend gleich noch mal. „Wieso konnte ich nicht auf meine Gedanken aufpassen? Das hat sie bestimmt gesehen.“ Er wusste zu gut, wie es aussieht, wenn Menschen fluchen, es war einfach zu erkennen.
„Ich streite es nicht ab.“ Fing er zögernd an und fuhr mit festerer Stimme fort. „Doch ist es eine lange Geschichte, zu lange um sie jetzt vollständig zu erzählen. Ich werde daher versuchen sie auf das Notwendigste zusammenzufassen:
Ich war mein Spiel zu Ende spielen. Ich hatte einen Auftraggeber, der mir eine Zeit lang meinen Lebensunterhalt finanzierte. Ich wusste, dass er hier in Gortharia wohnt und war in der Nacht in seinen Gemächern und habe getan, was ich eigentlich schon vor Jahren getan hatte. Heute früh wird er sehen, dass ich ihm nicht mehr diene.“
„Wovon redest du?“
Fioras Augen waren nun nicht mehr neugierig und freundlich, sondern folgten jeder seiner Bewegungen, bereit um sich zu verteidigen oder auch ihn anzugreifen, falls er eine falsche Bewegung tat.
Langsam griff Mallos unter sein Hemd und zog ein Pergament heraus. „Ich ließ ein Pergament mit genau dem gleichen Inhalt in seinen Gemächern zurück.“ Er öffnete es und zeigte Fiora den Inhalt. Es war nicht viel, doch es war eindeutig.
„Ich erinnere mich wieder. Meinen Dienst bei euch sehe ich als beendet an. Cuillan
Fiora starrte die Nachricht an. „So fein verarbeitetes Pergament… das gibt es nur an einem Ort.“
„Das stimmt.“ bestätigte Mallos sie. „Ich habe es auf ein Pergament aus dem Palast geschrieben.“
„Wem“, flüsterte sie. „habt ihr diese Nachricht hinterlassen? In wessen Gemächern seid ihr gewesen und wie seid ihr dorthin gekommen?“
„Ich bin ein Elb. Ich kann mich lautlos bewegen. Wenn ich nicht will, dass man mich hört, dann wird man mich nicht hören.“
„Wem habt ihr diese Nachricht überbracht?“, fragte Fiora erneut.
Mallos kniete sich auf den Boden und starrte zu Boden. „Dem König.“ sagte er gerade laut genug, dass sie ihn hören konnte. Eigentlich wollte ich es nicht sagen. Nur was hätte ich sagen sollen? Sie hätte jede Lüge erkannt. Vielleicht erkennt sie nun woher sie mich kennt, hoffentlich nicht. Wenn sie mich töten will, dann ist es nur gerecht, doch klug wäre es nicht. Unser Feind ist derselbe.

Gnomi

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Re:Das Ordensversteck der schwarzen Rose
« Antwort #4 am: 8. Feb 2012, 18:11 »
Was für eine Ironie… hier knie ich, der beste Attentäter des Königs und warte auf das Urteil eines Menschen. Jahrhundertelang war ich ein Mörder, der nie auch nur einen kleinen Fehler gemacht hat… und jetzt wurde ich schon zum zweiten Mal dazu gebracht einen Fehler zu machen. Ich hätte sie nicht belügen sollen, aber was hätte sie getan, wenn sie die Wahrheit erfahren hätte? Sie darf es nicht erfahren!
Langsam hob er den Kopf und schaute Fiora an.
„Seit ihr uns befreit habt, habt ihr mich immer wieder angeschaut, als ob ihr mich kennen würdet.“, fuhr er leise fort. „Doch habt ihr es bis jetzt nicht herausgefunden… So wie ihr ausseht denke ich, dass ihr schon lange hier in Rhûn lebt, wahrscheinlich sogar schon lange in dieser Stadt. Wahrscheinlich ist es daher wahr… ihr kennt mich. Ich sagte euch bereits, dass ich dem König diente… doch das ist lange her. Ihr denkt, dass ihr schon lange in dieser Stadt wohnt? Ich lebte länger hier. Ihr glaubt, dass ihr diese Stadt kennt? Nur weil ihr seit vielleicht ein bis zwei Jahrzehnten hier wohnt? Ich kenne diese Stadt besser, weil ich sie mit erbaut habe. Ihr glaubt ihr habt einen Grund den König zu hassen? Ich hasse ihn mehr, ihr – „, Fiora unterbrach ihn mit einer kurzen Handbewegung. Schwer atmend merkte Mallos, dass er aufgestanden war und immer lauter geredet hatte. Um sie rum war alles still geworden und alle beobachten sie. „Lass uns dieses Gespräch woanders fortführen.“, sagte sie leise und drehte sich um. Still folgte er ihr in einen kleinen Nebenraum, es war zwar nur eine dünne Holztür, die diesen vom Hauptraum trennte, jedoch waren sie so nicht mehr im Mittelpunkt des Geschehens. Kaum hatte Fiora die Tür geschlossen, fuhr Mallos mit gedämpfter Stimme fort. „Ihr glaubt, dass ihr wisst, wie ihr den König bekämpfen könnt? Ihr glaubt, dass ihr durch eure Spione alles Wichtige über den König erfahren könnt? Das kann keiner, wenn dann kann ich euch ein paar Dinge sagen, die für euch wichtig wären. Im Gegensatz zu meinem Wissen über diese Stadt und den König seid ihr nur wie ein kleines Kind, das nicht weiß, wie gefährlich sein Spielzeug ist. Ihr wisst zu wenig über euren Feind, um ihn bekämpfen zu können.“
Eine kurze Pause folgte in der Fiora ihn weiter musterte, während er versuchte sich wieder etwas zu beruhigen.
„Wer seid ihr?“
„Wie ich sagte gibt es für mich viele Namen. Mallos habt ihr wahrscheinlich sogar schon Mal gehört, wenn ihr euch für die Königsgeschichte interessiert habt und das Wissen dieser Bibliothek genutzt habt.
Ein ehemaliger König tat alles, um meinen Namen vergessen zu machen, jedoch hab ich zu Großes dafür getan, ich war zu bekannt.“
Wer seid ihr?“, fragte Fiora erneut.
„Das Wesen auf Erden, das die Königslinie von Rhûn wohl am meisten hasst. Meine Eltern kamen zur Zeit des großen Krieges zwischen Angmar und Arnor nach Rhûn und hier wurde ich geboren.
Seither diente ich am Hof des Königsgeschlechts. Viele nannten mich den ‚Königssklaven’. Viele der alten Werke in diesem Gebäude sind von meinen Eltern oder mir gefertigt. Wahrscheinlich sind auch noch irgendwo Bilder von uns. Wahrscheinlich habt ihr so eins Mal gesehen und mich dann wiedererkannt. Auch wenn die normale Bevölkerung mich vergessen hat – die Könige wussten immer von mir und auch von meiner Bedeutung für das Reich. Doch ich hatte es geschafft zu fliehen. Seit langer Zeit bin ich nun zum ersten Mal wieder in Gortharia. Ich wollte mit meiner Vergangenheit abschließen und den König wissen lassen, dass er einen neuen Feind in seiner Stadt hat, den er wahrscheinlich nicht erwartet hätte.

Versteht ihr nun, warum ich für euch von Vorteil sein kann? Ich kenne diese Stadt besser, als je irgendein anderer sie kennen wird und die Könige Rhûns haben das Leben meiner Eltern und meins zerstört. Wenn ihr nicht mir vertrauen wollt… dann vertraut meinem Hass auf die Könige, denn dieser wird immer in mir brennen.

Und nun fällt euer Urteil! Wenn ihr mich für meinen Ausflug heute Nacht bestrafen wollt, so tut es. Ich werde euch nicht daran hindern… jedoch würde ich es euch nicht raten, da ihr dann Wissen über die Stadt wegwerfen würdet, wie ihr es euch nicht einmal in euren kühnsten Träumen erträumt hättet.“

Die ganze Zeit über war Mallos ruhiger geblieben, als er es anfangs war, als sie noch im großen Raum waren. Er wollte nicht, dass jeder alles mithörte – er traute keinem der anderen im großen Raum, bei Fiora war er sich jedoch sicher, dass sie ein gnadenloser Feind des Königs war, schließlich wusste er, was sie in ihrer Kindheit alles durchgemacht hatte.

Vexor

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Re:Das Ordensversteck der schwarzen Rose
« Antwort #5 am: 14. Feb 2012, 17:02 »
Fioras feingliedrigen, langen Finger fuhren nervös über die raue Tischplatte, die zwischen ihr und ihrem gegenüber lag. Sie ertastete die stellenweise spröde und rissige Maserung, die wie eine Lebenskarte des Baumes war, aus dem der Tisch gefertigt worden waren.
Still verfolgte sie die emotionalen Ausführungen Mallos, der zum Ende hin immer temperamentvoller argumentierte.
Dennoch schwieg sie und versuchte einen klaren Kopf zu behalten, sich nicht von eigenen Gefühlen, vom Hass gegen den König anstecken zu lassen. Ab und an, während sie dem Fremden ihr gegenüber lauschte, huschte ihre Hand hoch zu ihren dunkelblonden Haaren. Jene hatte sie zu einen strengen Knoten zusammengebunden, aber drei kleine, weiße Perlen schmückten es.
„…, wie ihr es euch nicht einmal in euren kühnsten Träumen erträumt hättet.“, schloss Mallos, dessen Herzschlag sich langsam wieder beruhigte und er sich in seinen Stuhl zurücksinken ließ.
Die Menschenfrau hingegen stand auf. Ihre Gedanken kreisten und so ging sie, leise murmelnd auf und ab. Die einzige Fackel im Raum spendete kaum Licht und als Fioras makelloses Gesicht in den Glanz der Flamme trat, huschten hunderte Schatten, wie schwarze Schleier, über ihr Wangen.
Ihre Augen schmolzen wie weiches Karamell dahin, als sie sich wieder umdrehte, einmal tief ausatmete und sich wieder setzte.

„Nun gut Mallos! Auch wenn mein Herz euch schon einmal zu kennen glaubt und zwar nicht aus Bildern und Geschichten, die mir im Palast erzählt worden sind, so möchte ich euch glauben und vertrauen.
Eure Kenntnisse über die Stadt sind, wie ihr zu Recht angemerkt habt, von großem Wert. Im Orden existiert neben mir und dem Wächter dieser Hallen niemand mehr, der Gortharia kennt.
So soll eure Aufgabe sein, eurer alten Profession nachzugehen!“
Es traf sie der fragende Blick des Elben, der die Stirn in Falten legte und Fiora ein Schmunzeln bescherte.
„Vorerst werdet ihr Gedichte und Lieder schreiben und durch die Straßen Gortharias ziehen. Erfüllt eure Texte mit Freude, Glück und Wahrheit. Der letzte Punkt ist besonders wichtig. Ihr dient als Sprachrohr, versucht gerade die untere Bevölkerung, die unter der Ausbeutung des Königs leiden, zu mobilisieren. Sie werden der Sturm sein, auf dem wir reiten werden, hin zum Palast um den König zu tö…zu stürzen“, beendete Fiora ihre Ausführungen und bei den Gedanken an den Tod des verhassten Stiefvaters krallte sie ihre Fingernägel tief in die rissige Tischplatte und als sie merkte, wie sich Holzsplitter in ihr Nagelbett bohrten, schmerzte es sie nicht, sondern brachte ihr Genugtuung.
„Wenn dies euer Begehr ist, werde ich dieser Aufgabe nachgehen“, erwiderte Mallos kühl, auch wenn Fiora nicht einschätzen konnte, ob er jene nun gerne oder voll Abneigung ausführte.
„Die Zeit wird zeigen, ob ihr dazu qualifiziert seid, größere Aufgaben zu übernehmen, Bruder!“, fügte die Frau hinzu und streckte Mallos symbolisch die Hand aus, der sie schüttelte und den Raum verließ.
Als sie die Tür hinter sich schließen hörte, ließ Fiora sich auf den Stahl sinken und betrachtete ihre linke Hand, welche mit feinen Blutlinien überzogen waren, deren Quelle Mittel- und Ringfinger waren.

„Glaubst du wir können ihn vertrauen?“, flüsterte ihr die vertraute Stimme ins Ohr und streichelte ihr sanft über den Kopf.
„Ich weiß es nicht Càha, aber ich konnte es ihm nicht abschlagen“, entgegnete die Frau und ließ zu, dass die schwarzhaarige liebevoll das Blut von ihren Fingern leckte.
„Wer einmal den Tod als Gast einlädt, wird ihn nicht mehr los“, kicherte Càha, bevor sie Mallos nach draußen folgte.
Irritiert folgte Fiora mit ihren mandelförmigen Augen der mysteriösen Schwarzhaarigen, bevor sie sich ebenfalls entschloss den Raum zu verlassen. Sie löschte die Fackel und überließ den Raum pechschwarzer Dunkelheit.
« Letzte Änderung: 14. Feb 2012, 17:41 von Vexor »


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Gnomi

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Re:Das Ordensversteck der schwarzen Rose
« Antwort #6 am: 20. Feb 2012, 12:34 »
Mallos lehnte sich müde zurück. Den Tag nach seinem Gespräch mit Fiora hatte er damit verbracht sich die Karten des Ordens anzuschauen und hatte traurigerweise feststellen müssen wie wenig diese Menschen doch über ihre eigene Stadt wussten. Selbst der König wusste nur so wenig von den vielen Geheimnissen der Stadt, doch der Orden der schwarzen Rose schien auch nicht arg viel mehr zu wissen. Seufzend hatte er eine Karte nach der anderen markiert, wo er noch Kleinigkeiten ergänzen und verändern wollte. Doch das hätte zu viel Zeit gebraucht, Zeit, die er sich noch nicht nehmen wollte. Die Nacht danach war wieder kurz und voller Albträume gewesen. Und seitdem saß er jetzt vor ein paar Blättern, die er versuchte mit wohlklingenden Worten zu füllen.
Nachdem schließlich die ersten von ihren täglichen Arbeiten wiederkamen sammelte er alles ein und verschwand in der Bibliothek. Garantiert würden ihm einige neugierige Blicke folgen, aber er wollte so viele wie möglich abschütteln. Er hatte den Auftrag das Volk aufzurütteln und gegen den König zu hetzen, dabei konnte er nicht zu viele wissende Leute um sich rum gebrauchen. Rasch ging er durch die verzweigten Wege der Bibliothek, wechselte mehrfach die Richtung, bis er sicher war, dass ihm niemand mehr folgte. Er traute den Mitgliedern des Ordens nicht. Bei Fiora wusste er, dass sie den König hasste und darum nichts für ihn unternehmen würde, bei den anderen wusste er es nicht. Jeder von ihnen könnte ein Spitzel sein.
Nach unzähligen Kurven machte er schließlich halt. Er war in einem Bereich angelangt, der in fast völliger Schwärze unterzugehen schien. Vorsichtig fühlte er mit den Füßen den Boden. Ein, zwei, drei, vier gerade aus. Eins, zwei gerade aus. Genau hier müsste es sein.
Er beugte sich hinab, wischte etwas Dreck und Mäusekot zur Seite und hob vorsichtig eine Kante der schweren Steinplatte vor sich nach oben. Sobald sie hoch genug war, dass er durchpasste, glitt er lautlos in das Loch darunter und ließ die Platte langsam wieder an die ursprüngliche Stelle herab sinken. Mallos legte sich flach auf den Boden und begann sich langsam in den Schacht, der von hier wegführte, vorzuarbeiten. Alles war noch genauso, wie er es in Erinnerung hatte, zum Glück war nirgends etwas eingestürzt und binnen kurzer Zeit war er am Ende angelangt. Er hob eine weitere Steinplatte an und kroch wieder hinaus. Es sah fast genauso aus, wie in dem Raum von dem er losgekrochen war – der Startraum war fast vollständig dunkel gewesen. Hier sah man rein gar nichts. Doch Mallos wusste wo er sich befand: Die war ein kleiner Waffenraum relativ nah am Stadtrand. Rasch fand er die Tür und öffnete sie lächelnd. Niemand würde jemals eine Waffenkammer von außen mit einem Riegel zusperren. Wer sollte denn von innen auch heraus kommen ohne zuerst herein gekommen zu sein?
Vorsichtig lief er durch den nächsten Raum und verschwand unbemerkt durch die Eingangstür.


Mallos zur Kneipe „Der humpelnde Säufer“
« Letzte Änderung: 19. Feb 2016, 10:54 von Fine »

Eandril

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Re: Das Ordensversteck der schwarzen Rose
« Antwort #7 am: 17. Jun 2017, 13:08 »
Milva aus den Straßen von Gortharia

Milva war Fiora und Vadim schier unendlich durch die dunklen, engen Gänge und Tunnel unter Gortharia gefolgt. Das ganze System musste ebenso gewaltig sein wie die Stadt selbst, denn sie kamen nicht ein einziges Mal an einer Stelle vorbei, die Milva von ihren vorherigen Ausflügen in den Untergrund bekannt vorkam.
Schließlich hatten sie eine eisenbeschlagene, hölzerne Tür erreicht, die Fiora mit einem kleinen Schlüssel aufgesperrt, und einen von Fackeln erhellten Raum betreten, der offenbar als eine Art Wachraum diente. Dort saß ein bewaffneter Mann an einem Tisch, der bei ihrem eintreten nur kurz den Kopf hob, Fiora erkannte, und sich wieder seiner Mahlzeit widmete. Von dem Wachraum aus ging es eine schmale Treppe nach oben, die in einer großen Halle mit einer etwas höheren Decke mündete. In der Mitte des Raumes stand ein massiver Tisch, der von mehreren Holzstühlen umgeben und von Papieren und Karten übersät war. Am Kopfende des Tisches saß ein kräftiger Mann, dessen schwarze Haare und Bart von einigen grauen Strähnen durchzogen waren. Er trug ein wertvolles, weinrotes Gewand, dass jedoch bei genauerer Betrachtung ein wenig abgetragen wirkte - beinahe, als hätte er nur noch dieses eine. Neben ihm an dem beinahe thronartigen Holzstuhl lehnte ein Krummsäbel, an dessen Knauf er gedankenverloren herumspielte.
Als Milva hinter Fiora und Vadim den Raum betreten hatte, hob der Mann den Kopf und fragte mit kräftiger, befehlsgewohnter Stimme: "Wen bringst du zu mir, Fiora?"
Fiora neigte den Kopf, obwohl Milva den Eindruck hatte, dass es ihr schwer fiel. Offenbar war die junge Frau nicht allzu zufrieden damit, dass dieser Mann so selbstverständlich über sie verfügte. "Ihr Name ist Milva aus Dorwinion. Und sie... steht in Diensten der Schatten." Bei Fioras letzten Worten blickte der Mann Milva zum ersten Mal direkt an. Um seine Augen zog sich ein Kranz feiner Fältchen, der bei anderen vielleicht sympathisch gewirkt hatte - doch die Augen dieses Mannes strahlten nur kalte Berechnung aus. "Und dies ist Ulfang, rechtmäßiger König von Rhûn und... Anführer der Schwarzen Rose", sprach Fiora weiter, und verzog für einen winzigen Augenblick das Gesicht, als würden ihre eigenen Worte ihr nicht gefallen.
Und auch Milva gefielen die Worte ganz und gar nicht. Ihr gegenüber saß der Mann, dessen Vater über Rhûn geherrscht hatte, seit sie denken konnte, und Ulfang war derjenige gewesen, der sein Volk für Mordor in den Krieg geführt hatte - den Krieg, in dem Miran gefallen war. Sie spürte wie kalter Hass in ihr aufstieg, und wünschte sich in diesem Moment nichts mehr, als ihren Bogen dabei zu haben.
Ulfangs Augen verengten sich kurz, und er stieß ein amüsiertes Schnauben aus. "Da kann mich jemand überhaupt nicht leiden. Doch das spielt keine Rolle. Wenn du für Merîl und ihre Schergen arbeitest, bist du viel, viel Schlimmere als mich gewohnt."
"Ich glaube nicht, dass jemand viel schlimmer sein könnte als der König, der sein Volk für Mordor in den Krieg führt", gab Milva mit kalter Stimme zurück, und versuchte das hasserfüllte Zittern darin zu unterdrücken.
Ulfang zuckte mit den Schultern. "Ich glaube nicht, dass du wichtig genug bist, um so mit mir zu sprechen", sagte er leichthin, doch in seinen Augen lag ein harter Ausdruck. "Aber ich gebe zu, dass es ein Fehler war, Mordor in den Krieg zu folgen - sieh doch, wohin es mich gebracht hat. Ich sitze hier im Untergrund, während dieser Emporkömmling Goran sich auf meinem Thron breitgemacht hat. Und glaub mir, er ist ein viel, viel schlechterer König als ich."
"Niemand könnte ein schlechterer König als ihr sein", erwiderte Milva, und jetzt stand wirklich Zorn in Ulfangs Gesicht. "Schaff sie mir aus den Augen", fuhr er Fiora an. "Und finde heraus, was sie über die Pläne der Schatten weiß - mir egal, wie."
Fiora nickte knapp, packte Milva am Arm, und begann sie in Richtung einer dicken Holztür zu ziehen. Als Milva sich gegen ihren Griff wehrte, zischte sie ihr leise ins Ohr: "Lass das. Ich habe nicht vor, dir irgendetwas zu tun."
Das war nicht Milvas Befürchtung gewesen, doch ein Teil von ihr hatte in dem Raum bleiben und Ulfang hier und jetzt töten wollen. Sie hatte zwar ihren Bogen nicht dabei, trug aber wie immer ihr Jagdmesser an der Seite - und auch damit konnte man einem Menschen das Leben nehmen. Doch ein anderer Teil von ihr wusste, dass sie keine Chance gehabt hätte. Dieser Teil gewann die Oberhand, und ließ sich von Fiora widerstandslos von Ulfang wegführen - es würde andere Gelegenheiten geben.
« Letzte Änderung: 17. Jun 2017, 14:00 von Eandril »

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Eandril

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Re: Das Ordensversteck der schwarzen Rose
« Antwort #8 am: 22. Jun 2017, 19:30 »
Fiora führte sie durch die schwere Holztür an der Stirnwand des Raumes und dann eine lange, dunkle Treppe hinauf. Am Ende der Treppe traten sie hinter einem staubigen Wandbehang hervor, und hinaus in einen Raum voller... Bücher. Für Milva, der Tochter eines kleinen Bauern, die noch nie in ihrem Leben ein Buch in der Hand gehalten hatte, verströmte der hohe, kreisförmige Raum ein starkes Gefühl der Fremdartigkeit und... der Faszination. Ohne auf Fiora zu achten, trat sie einen Schritt nach vorne, und strich zaghaft mit den Fingerspitzen über die ledernen Buchrücken im Regal vor ihr.
Der ganze Raum war in ein staubiges Halbdunkel getaucht, doch durch das Licht, dass durch die Kuppel weit über ihnen einfiel, offenbarte sich Milva an den Wänden über ihr ein Gewirr aus Gängen und Regalen, Tunneln und Treppen, Plattformen, Brücken und Geländern, das sie an das Innere eines Bienenstocks erinnerte. Im schwachen Licht erkannte sie Gestalten, die sich leise und langsam zwischen den Regalen bewegten, Bücher herauszogen, und lasen. Es roch nach Staub und Papier, nach dem Holz der Regale und ganz schwach nach dem Leim, mit dem die Seiten an den Buchrücken befestigt waren - zumindest vermutete Milva, dass das die Quelle des Geruchs war.
Sie wandte sich wieder zu Fiora um, die mit verschränkten Armen vor dem Wandteppich stand, und auf deren Gesicht ein schwaches Lächeln zu sehen war. "Dies ist der Friedhof der vergessenen Bücher", sagte sie. "Er ist ein geheimer Ort, ein Mysterium. Jedes einzelne Buch hier hat eine Seele. Die Seele dessen, der es geschrieben hat, und die Seele derer, die es gelesen und erlebt und von ihm geträumt haben. Jedesmal, wenn ein Buch in andere Hände gelangt, jedesmal, wenn jemand den Blick über die Seiten gleiten lässt, wächst sein Geist und wird stark. Schon vor einigen Jahren, als ich zum ersten Mal hierher kam, war dieser Ort uralt. Vielleicht sogar so alt wie die Stadt selbst, ich weiß es nicht. Niemand weiß mit Bestimmtheit, seit wann es ihn gibt, und niemand weiß, wer ihn geschaffen hat. Hier leben für immer die Bücher, an die sich niemand mehr erinnert, die Bücher, die sich in der Zeit verloren haben, und hoffen, eines Tages einem neuen Leser in die Hände zu fallen."
"Ich glaube...", begann Milva langsam. "Ich glaube, ich habe noch nie jemanden so über Bücher sprechen hören. Es ist gerade so, als wären sie deine Freunde."
Fiora zuckte mit den Schultern. "Das sind sie auch. Es wäre eine traurige Welt, wenn es sie nicht gäbe."
"Dort, wo ich herkomme, können nur wenige Leute lesen und schreiben - und sie tun es nicht zum Vergnügen, sondern weil sie ihr Geld damit verwalten können." Milva spürte, wie ihr das Blut in die Wangen stieg. "Und ich kann nicht einmal lesen - nun, jedenfalls nicht besonders gut", berichtigte sie sich schnell. "Aber ich fange an, es zu lernen, glaube ich."
"Das Lesen kann eine nützliche Fähigkeit sein", erwiderte Fiora, und strich gedankenverloren über eine Reihe mächtiger Wälzer. "Aber es hat nicht nur einen offensichtlichen Nutzen. Bücher können deinen Horizont erweitern, deinen Geist für neues öffnen. Man kann sich für einige Zeit in ihnen verlieren, dem eigenen Leben für einen Moment entfliehen und neue Kraft schöpfen. Sie können Mut spenden und Rat geben, und dich zu einer anderen - zu einer besseren - Person machen." Milva war überrascht von dem Grad der Leidenschaft in Fioras Stimme. Offenbar meinte die junge Frau wirklich, was sie sagte - nur selten hatte Milva jemanden überhaupt so über etwas scheinbar unnützes sprechen hören, und es berührte sie auf überraschende Weise. Mit einem Mal hatte sie selbst das Verlangen, durch diese stillen, dämmrigen Gänge zu schlendern, und sich in der Welt der Bücher zu verlieren. Die Stille in dem Gebäude erinnerte sie an die Stille des Waldes auf der Jagd, die sie liebte - das Rascheln der Buchseiten war das Rascheln der Blätter unter ihren Füßen.
"Vielleicht... vielleicht kann ich irgendwann zurückkommen", meinte sie langsam und zögerlich, unsicher wie Fiora reagieren würde. "Wenn ich besser Lesen gelernt habe, meine ich." Zu ihrer Erleichterung lächelte Fiora. "Wenn es soweit ist, darfst du zurückkehren. Du wirst dir ein Buch mitnehmen, es lesen und irgendwann wieder hierher bringen - und dann wird auch ein Stück von deiner Seele darin wohnen, und ein Stück von der Seele des Buches in dir." Ein Schatten huschte über ihr Gesicht, und sie machte einen Schritt den Gang entlang. "Für den Moment haben wir allerdings... andere Dinge zu besprechen. Komm mit."
Milva folgte ihr durch den Gang, ein wenig traurig, dass der Moment vorüber war. Trotz Fioras Antwort war sie nicht sicher, dass sie jemals Gelegenheit haben würde, an diesen Ort zurück zu kehren.
Fiora führte sie bis zu einer niedrigen Tür, hinter der sich ein kleines Zimmer befand. Die Wände des Raumes waren ebenfalls hinter Bücherregalen verborgen, und Milva begann sich zu fragen, ob es hier vielleicht jedes Buch gab, das jemals auf der ganzen Welt geschrieben worden war. So viele konnten es doch nicht sein - oder? Fiora ließ sich in einem gepolsterten, etwas abgenutzt aussehenden, Sessel nieder, und Milva tat es ihr nach kurzem Zögern gleich.
"Also", begann Fiora. Jede Spur von Verträumtheit und heimlichen Stolz auf diesen Ort war verschwunden. "Was weißt du über die Pläne der Schatten bezüglich Fürst Radomir?"
"Ich... habe keine Ahnung, wovon ihr sprecht", erwiderte Milva wahrheitsgemäß. "Den Namen höre ich gerade zum ersten Mal." Sie wusste, dass der Fürst von Dorwinion bis vor kurzem Ulwarth, der Bruder von König Ulfang, gewesen war, bevor Ulfang gestürzt und sein Nachfolger einen Mann aus dem Süden Rhûns zum Fürsten von Dorwinion gemacht hatte - Yalçın, oder so ähnlich. Einen Fürst Radomir kannte sie nicht.
Auf Fioras Gesicht malte sich Unglauben. "Du hast noch nie von Fürst Radomir von Gorak gehört - Radomir der Gestrenge?" Milva schüttelte den Kopf, und Fiora lehnte sich ungläubig in ihrem Sessel zurück. "Er ist zum Fürsten ernannt worden, als Goran an die Macht kam, ist einer seiner getreuesten Anhänger und regiert sein Fürstentum härter als alle anderen Fürsten zusammen", erklärte sie. Das erklärte natürlich, warum die Schattenläufer Interesse an ihm haben könnten - Gorak lag nicht weit von Gortharia entfernt, Milva erinnerte sich daran, dass sie auf ihrer Reise von Dorwinion in die Hauptstadt die Berge von Gorak durchquert hatte. Damals hatte es beinahe so hartnäckig geregnet, wie heute.
"Und er hat seinen Besuch in der Hauptstadt angekündigt", fuhr Fiora fort. "Damit begibt er sich natürlich direkt in die Reichweite deiner Freundinnen. Einen solchen Mann zu töten, wäre von großem Vorteil für sie."
"Das klingt nachvollziehbar", meinte Milva. "Aber ich weiß wirklich nichts darüber." Sie fragte sich, worauf Fiora hinauswollte.
"Hm." Es klang unzufrieden. "Ich dachte mir, dass es vielleicht von Vorteil wäre, wenn Orden und Schatten in dieser Angelegenheit zusammenarbeiten. Immerhin möchte Ulfang jeden von Goran eingesetzten Fürsten lieber heute als morgen tot sehen." Bei Ulfangs Erwähnung versteifte Milva sich unwillkürlich, was Fiora offensichtlich nicht entging. "Du möchtest etwas über Ulfang sagen, aber wagst es nicht", stellte sie äußerst scharfsinnig fest, und seufzte. "Nur zu. Ich bin nicht Ulfangs gehorsame Dienerin, obwohl es vielleicht so ausgesehen haben mag."
Milva zögerte einen Augenblick, doch dann beschloss sie, Fiora zu glauben. "Also schön", begann sie. "Ich frage mich, wie das zusammenpasst - der gestürzte König von Rhûn, der die Leute ebenso unterdrückt hat wie sein Nachfolger, und die Schwarze Rose, die das Los der Menschen von Rhûn verbessern und den Adel stürzen möchte. Wie kann das sein?"
"Du bist nicht die erste, die sich diese Frage stellt", erwiderte Fiora ernst. "Und es ist eine gute Frage." Milva entspannte sich ein wenig. Offenbar nahm Fiora ihr ihre Frage tatsächlich nicht übel, und würde sie nicht an Ulfang ausliefern.
"Die Schwarze Rose ist ein uralter Orden, beinahe so alt wie die Schattenläufer. Allerdings war sie einige Zeit beinahe in Vergessenheit geraten, bis ich ihn nach meiner Flucht aus dem Palast wiederbelebt habe." Auf Milvas fragenden Blick hin lächelte die junge Frau mit den schwarz-blonden Haaren bitter. "König Goran ist mein Stiefvater. Meine Mutter und ich kommen aus Gondor, und mein Großvater war im Krieg dazu gezwungen, meine Mutter mit Goran zu verheiraten, um das Überleben seines Hauses zu sichern." Sie blickte zu Boden, wobei ihr die Haare vor das Gesicht fielen und es verdeckten, und atmete tief durch. "Nach Gorans Aufstieg zum König gebar sie ihm einen Sohn, und danach ließ er... ließ er sie öffentlich hinrichten, weil bekannt wurde, dass ich ihre Tochter war und mich der Schwarzen Rose angeschlossen hatte."
Milva schwieg einen Augenblick. Sie konnte sich nur schwer vorstellen, welche Schuldgefühle Fiora empfinden musste, wo doch ihre Taten der Grund für die Hinrichtung ihrer eigenen Mutter gewesen waren. Und wie sehr sie König Goran dafür hassen musste.
"Und wie... kam es dazu, dass Ulfang nun der Anführer der Schwarzen Rose ist, und nicht du?", fragte sie schließlich zögerlich. Fiora schniefte, räusperte sich und fuhr mit belegter Stimme fort: "Ich weiß nicht, wie er uns gefunden hat, aber irgendwann war er hier. Er bot uns seine Hilfe an - selbst gestürzt konnte er uns noch vieles bieten: Geld, Informationen, und wertvolle Kontakte. Er forderte im Gegenzug nur zwei Sachen. Nach Gorans Sturz will er seinen Thron zurück, und er wollte Anführer der schwarzen Rose werden. Es... war keine leichte Entscheidung, doch ich habe eingewilligt. Ich sah darin eine Möglichkeit, Goran viel schneller zu stürzen und zu töten, als ich erwartet hatte. Ich... war vom Hass geblendet, könnte man sagen, und habe mit dieser Entscheidung viele andere Verbündete verloren. Und... wieso erzähle ich dir das überhaupt? Ich kenne dich ja gar nicht."
Bei den letzten Worten hatten sich Fioras Augen misstrauisch verengt, und Milva hatte plötzlich das Gefühl, eine vollkommen andere Person vor sich zu haben. Sie hob abwehrend die Hände. "Ich werde es niemandem weitererzählen, versprochen."
"Ich hoffe, du hältst dich daran", gab Fiora kühl zurück. "Sonst könnten die Folgen unangenehm für dich werden... Worüber haben wir gerade gesprochen?"
"Ursprünglich über... Fürst Radomir von Gorak", antwortete Milva verwirrt. Fiora schien vollkommen den Faden ihres Gesprächs verloren zu haben. "Ach ja, richtig." Fiora rieb sich mit der flachen Hand über die Stirn.
"Fürst Radomir hat eine Schwester, Rhiannon, die ihn nach Gortharia begleiten wird. Sag deinen Freundinnen von den Schatten, dass sie sie in ihre Gewalt bringen sollen, wenn sie etwas gegen Radomir unternehmen."
"Wäre es nicht besser, sie beide zu töten?", fragte Milva, ein über sich selbst erschrocken. War sie wirklich die gleiche, die noch vor einigen Tagen darüber entsetzt gewesen war, dass sie Schattenläufer bereit waren, Unschuldige für ihr größeres Ziel zu opfern?
Fiora schüttelte ablehnend den Kopf. "Das wäre kurzsichtig. Rhiannon ist bekannt dafür, dass sie mit der brutalen Politik ihres Bruders nicht allzu einverstanden ist. Sie könnte nützlich sein, um nach Gorans Tod die Kontrolle über Gorak zu gewinnen." Milva nickte langsam. Der Gedankengang leuchtete ihr ein, doch dann kam ihr ein anderer Gedanke. "Und warum willst du, dass sie Schattenläufer sie in ihre Finger bekommen? Warum nicht ihr?"
Fiora lachte bitter auf. "Die Hände der Schwarzen Rose sind im Augenblick die Hände Ulfangs. Was glaubst du, wozu der Fürst von Gorak seine unverheiratete Schwester mit in die Hauptstadt bringt - zu einem König, der kürzlich verwitwet ist?" Bei diesen Worten loderte unheilvoller Hass in ihren Augen auf.
"Natürlich", meinte Milva, und schalt sich innerlich dafür, dass sie diesen Zusammenhang nicht von selbst gesehen hatte. "Er will sie mit dem König verheiraten."
"Damit würde er Goran enger an sich binden, eine Verwandschaft zum Königshaus aufbauen, und seine aufsässige Schwester loswerden", ergänzte Fiora. "Und Ulfang würde das nur äußerst gerne vereiteln, um sich selbst mit Rhiannon zu verheiraten. Stell dir das vor, Radomir wird ermordet, und Ulfang besteigt an Rhiannons Seite den Fürstenthron von Gorak - das wäre doch eine herrliche Ausgangslage für ihn, um Goran zu beseitigen."
"Aber ist es nicht das, was du willst?", fragte Milva, und Fiora beugte sich heftig vor. "Das ist nicht was ich will", zischte sie leise. "Ich will Goran das Herz herausschneiden und den Hunden zum Fraß vorwerfen, aber ich will nicht, dass an seiner Statt wieder Ulfang den Thron besteigt. Ich habe mich mit ihm verbündet, aber halte mich nicht für blind - ich weiß genau, was er ist." Milva war vor der Heftigkeit ihrer Antwort unwillkürlich zurückgezuckt, und bevor sie etwas sagen konnte, betrat eine weitere Person den Raum.
"Ah, Fiora", sagte die schwarzhaarige Frau leise, und ihre Stimme erinnerte Milva an das Schnurren einer Katze. Die Frau streichelte Fiora sanft über den Kopf, und Fioras Schultern entspannten sich sofort sichtlich. "Da ist jemand merkwürdiges an der Tür... Isaar hat sie aufgehalten, aber sie fragt nach dir." Der Blick der Schwarzhaarigen richtete sich auf Milva, die spürte, wie sich die Härchen auf ihren Unterarmen aufrichteten. "Und sie fragt nach einer blonden Jägerin."

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Re: Das Ordensversteck der schwarzen Rose
« Antwort #9 am: 8. Aug 2017, 14:55 »
"Danke, Cáha", sagte Fiora leise, bevor sie sich wieder Milva zuwandte und eine schmale Augenbraue in die Höhe zog. "Deine... Freunde scheinen große Sehnsucht nach dir zu haben, wenn sie dir sogar bis hierher folgen."
Milva rutschte unbehaglich auf ihrem Sessel hin und her, denn Fioras Miene drückte unmissverständlich Verärgerung aus. "Ich habe keine Ahnung, woher sie wissen, dass ich hier bin." Das war natürlich gelogen, denn natürlich wusste Milva, woher die Schattenläufer ihr Wissen über Ereignisse und Dinge, von denen sie eigentlich nichts wissen konnten, bekamen.
"Natürlich nicht." Ein Hauch von Bitterkeit schwang in Fioras Stimme mit, als sie den Kopf schüttelte. "Na schön, da sie schon hier ist... bitte sie doch herein, Cáha."
Die Schwarzhaarige verschwand ohne ein weiteres Wort, und Milva atmete verstohlen auf - Cáha war ihr auf unbestimmte Weise unheimlich gewesen, auch wenn Fiora sich in ihrer Gegenwart sehr wohlzufühlen schien. Einen Augenblick herrschte Stille, bis Cáha zurückkehrte - in Begleitung von Morrandir. Milva versuchte die Überraschung auf ihrem Gesicht zu verbergen, vermutlich erfolglos, denn Morrandir sagte, als hätte sie ihre Gedanken gelesen: "Ryltha ist mit anderen Dingen beschäftigt, deswegen bin ich hier." Sie trug einen dunklen Ledermantel mit Kapuze, von dessen Saum Regenwasser tropfte und eine dunkle Spur auf dem staubigen Boden hinterlassen hatte.
"Morrandir von den Schattenläufern", sagte Fiora, die sich demonstrativ gelassen in ihrem Sessel zurückgelehnt hatte. Es wirkte unnatürlich, denn man konnte jeder Faser ihres Körpers die Anspannung ansehen. Cáha hatte sich hinter sie gestellt und die Hände auf Fioras Schultern gelegt. "Ich hätte nicht gedacht, dass ich euch so bald wiedersehe nach unserem letzten Treffen."
"Das wäre auch nicht geschehen, wenn die Schwarze Rose nicht anfangen würde, ihre Finger nach unseren Leuten auszustrecken", erwiderte Morrandir kühl. "Was hattet ihr und Ulfang vor, sie über all unsere Pläne und Geheimnisse auszuhorchen?"
Fiora schüttelte ärgerlich den Kopf. "Nun mal langsam. Milva war bei unserem vorherigen Treffen nicht dabei, woher also sollten wir wissen, dass sie zu euch gehört?  Sie war uns bei einer unserer Aktionen aufgefallen, und im Gegensatz zu euch werden wir stärker, je mehr wir sind."
"Wäre die Schwarze Rose so aufmerksam wie die Situation es verlangt, hättet ihr es gewusst", gab Morrandir zurück, und in ihrer Stimme schwang ein eindeutig herablassender Unterton mit. "Aber das spielt nun keine Rolle. Milva gehört uns, und sie wird jetzt mit mir kommen." Milva wusste nicht, was ihr weniger gefiel: Die Tatsache, dass Morrandir und Fiora über sie sprachen, als wäre sie nicht dabei, oder die Formulierung Milva gehört uns. Der Gedanke ließ ihr einen Schauer über den Rücken fahren.
"Ist es denn so schlimm, wenn ich mit der Schwarzen Rose spreche?", wandte sie ein, und alle Augen richteten sich auf sie. "Immerhin verfolgen wir doch die selben Ziele."
"Das tun wir...", meinte Morrandir ein wenig zögerlich, wobei sie Fiora keinen Herzschlag lang aus den Augen ließ - und Fiora sie ebenfalls nicht. "Aber dennoch haben wir kein Interesse daran, unsere Geheimnisse einfach zu verraten, nicht einmal unseren Verbündeten. Du konntest zwar keinen großen Schaden anrichten, aber nun werden wir gehen." Milva erhob sich langsam aus ihrem Sessel, doch gerade als Morrandir sich abgewandt hatte, sagte Fiora: "Wartet." Sie war ebenfalls aufgestanden. "Ihr wisst, dass Fürst Radomir von Gorak in die Stadt kommt."
"Das wissen wir", antwortete Morrandir, ohne sich zu ihr umzudrehen.
"Ihr wisst, dass seine Schwester ihn begleitet."
"Das wissen wir ebenfalls."
"Dann wisst ihr auch, dass sie nach ihm der Schlüssel zu diesem Fürstentum sein könnte."
"Auch das wissen wir... worauf wollt ihr hinaus, Fiora?"
"Wenn die Schwarze Rose sie in die Finger bekäme, hätte Ulfang ein mächtiges Werkzeug an der Hand, um Goran zu stürzen und seinen Thron zurück zu erlangen. Mit er Macht von Gorak im Rücken... wenn er schnell zuschlägt, kann er es schaffen. Allein."
"Ich verstehe", erwiderte Morrandir, und Milva glaubte zu sehen, dass ein Lächeln um ihre Mundwinkel spielte - was merkwürdig war, denn bei ihren wenigen Begegnungen hatte Milva den Eindruck gewonnen, dass Morrandir niemals lächelte. Aber vielleicht lag es auch nur daran, dass sie von ihrer Position aus nur eine Hälfte von Morrandirs Gesicht sehen konnte. "Wir müssen nun allerdings gehen. Ich danke euch für eure Gastfreundschaft, Fiora."

Zu Milvas eigener Überraschung verspürte sie ein leichtes Bedauern, als sie mit Morrandir den Friedhof der vergessenen Bücher verließ. Sie konnte nicht lesen - zumindest noch nicht wirklich - also hatte dieser Ort ihr eigentlich nichts zu bieten. Und dennoch hatten die büchergefüllten Hallen und Gänge eine merkwürdige Anziehungskraft auf sie ausgeübt. Draußen auf den Straßen hatte der Regen noch immer nicht nachgelassen, und nur kurze Zeit später tropfte das Wasser aus dem Ende ihre Zopfes. Eine Zeit lang folgte Milva Morrandir schweigend, bis diese schließlich leise sagte: "Du solltest dir keine Ablenkungen leisten, Milva. Es mag dir im Augenblick nicht so erscheinen, aber was du tust ist wichtig für unsere Pläne."
"Warum?", wagte Milva zu fragen. "Im Augenblick sieht es so aus, als könntet ihr den König einfach ermorden, und all eure Ziele erreichen - wenn der neue König euch ebenfalls nicht gefällt, bringt ihr ihn einfach auch um."
"Leider", erwiderte Morrandir und schüttelte den Kopf. "Leider ist es nicht ganz so einfach. Natürlich könnten wir den König ermorden, und auch seine Nachfolger, wenn sie uns nicht gefallen. Aber zum einen wäre das keineswegs so einfach wie du glauben magst, und zum anderen würde es das Reich in ein Chaos aus blutigen Bürgerkriegen stürzen - und diejenigen, die am meisten darunter leiden würden, wären die einfachen Leute. Leute wie du. Willst du erneut erleben, dass jemand den du liebst für diesen oder jenen König in einen Krieg gerufen wird, und nie heimkehrt?"
Milva wäre beinahe über ihre Füße gestolpert. Der einzige in dieser Stadt mit dem sie darüber gesprochen hatte, war Cyneric - hatte sie sich in dem Mann aus Rohan so sehr getäuscht? Hatte er alles, was sie ihm erzählt hatte, ohne zu zögern an die Schattenläufer weitergegeben? "Ich habe... nein, natürlich nicht, ich..." Wieder bildete Milva sich ein, etwas wie ein halbes Lächeln auf Morrandirs Gesicht gesehen zu haben.
"Sehr schön", fuhr Morrandir fort, als hätte sie nicht bemerkt, was ihre beiläufige Bemerkung in Milva ausgelöst hatte. "Herrin Velmira Bozhidar hat verkünden lassen, dass sie zur Feier zum Ende des Regens eine große Jagd ausrichten wird, an der sie selbst teilnehmen wird. Du solltest diese Gelegenheit nutzen."
Als Milva sich ihr zuwenden und eine der vielen Fragen stellen wollte, die ihr durch den Kopf gingen, war sie allein, von Morrandir keine Spur. "Großartig", murmelte sie vor sich hin, legte den Kopf zurück und streckte das Gesicht dem Regen entgegen. Die feinen, kühlen Tropfen auf ihrer Haut ließen sie für einen Augenblick alles vergessen, die Schattenläufer, die Schwarze Rose, Gortharia - einfach alles. Für einen Moment fühlte sie sich sauber.

Milva in die Gebiete südwestlich von Gortharia
« Letzte Änderung: 1. Okt 2017, 21:33 von Eandril »

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