Das Schicksal Mittelerdes (RPG) > Imladris

Die Wildnis rings um Imladris

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Adamin:
Antien vom Alten Wald


Viele Monde sind gewachsen und wieder vergangen, seit Antien von seiner Heimat aufgebrochen war. Auf seinem bisherigen Weg durch die westlichen Lande hatte er unsagbar viele neue Dinge und Wesen gesehen. Die Meisten waren ihm freundlich gesinnt, unter anderem einige Hobbits. Mit ihnen konnte er lachen, tanzen und ruhen. Doch er traf auch Menschen deren Verhalten und vor allem Gemütszustand ihm völlig fremd waren. Ihre Mundwinkel schienen einfach lieber in die verkehrte Richtung zu zeigen.

Nun war er allerdings schon fast an seinem ersten Ziel angelangt. Seiner Karte nach zu urteilen, trennte ihn nur noch ein Pass von Bruchtal. Gemütlich spazierte er den gewundenen Pfad hinunter, als er sich plötzlich gewahr wurde, dass die Bäume nicht so im Wind rauschten, wie sie es sonst immer taten. Irgendetwas oder Irgendjemand hockte da in den Baumkronen und beobachtete ihn. Fröhlich grinsend blieb Antien stehen, stemmte seine Arme in die Seite und begrüßte die versteckten Gestalten.
„Heho! Wer pflückt zu dieser späten Stunde noch Kirschen am Wegesrand?“

Einen kurzen Moment wurde alles still, dann erklang helles Lachen zwischen den Ästen. Drei Elben lösten sich aus den Schatten und sprangen auf den Weg. Ihr Anführer nickte Antien zu. „In den Schatten dieser Tage haben wir das Kirschenpflücken ganz vergessen. Wärt ihr in glücklicheren Zeiten nach Bruchtal gekommen Bruder, so hätten wir euch mit Laternen und Gesang begrüßt. Verzeiht, dass unser Gemüt durch die Wacht getrübt wurde. Mein Name ist Gildor Inglorion. Was führt euch nach Imladris?“

Nachdem Antien sich vorgestellt hatte und seine Absichten erklärte, drückte er Gildor seine Karte in die Hand.
„Nun, Gandalf müsste sich momentan bei unseren Verwandten in den goldenen Wäldern aufhalten und eine Schlacht geschlagen haben.“, sprach der blonde Elb nachdenklich und fuhr mit dem Finger über die Karte, „Ihr müsstet von hier aus einen Pass über die Nebelberge erklimmen und dann nach Süden in Richtung Loth -“
Gildor stockte und hob eine Augenbraue.
„Der goldene Wald ist hier etwas größer eingezeichnet, als er es dieser Tage ist... Vor allem ist er seit sehr langer Zeit nicht mehr mit dem Grünwald verbunden...  Und die Ländereien von Beleriand gibt es auch nicht mehr... Deine Karte ist etwas – veraltet, Eruantien.“
Antien grinste. „Ach, ich werde meinen Weg mit ihr schon finden. Ich danke euch für die Auskunft und wünsche euch noch eine geruhsame Nacht. Auf bald.“
Gildor strich sich nachdenklich über das Kinn. „Wartet noch einen Augenblick. Wir wollten ohnehin einige Heilkundige Elben mit Verpflegung und Arznei auf dem Weg nach Lothlórien schicken. Du könntest mit ihnen über das Gebirge gehen und deine Vorräte noch bei uns auffüllen.“
Die Augen von Antien leuchteten bei diesem Angebot hell auf. Zwar war er nie wirklich alleine auf seinem bisherigen Weg gewesen, aber mit einer kleinen Gruppe zusammen würde sich die restliche Reise sicherlich sehr angenehm werden. „Ich danke euch für dieses Angebot und nehme es gerne an.“, Antien verbeugte sich vor den Elben. „Hoffentlich kennen meine neuen Reisegefährten einige schöne Lieder.“


Antien nach Lothlórien

Vexor:
Elea und Brianna aus Elronds Haus


Die kühlen Sonnenstrahlen streichelten sanft Briannas Haut, als sie im kalten Moos erwachte. Wie die feingliedrigen Hände eines Sterbenden tastete sich die Sonne durch das Geäst und die Pflanzen des nördlichen Waldbodens.
Selbst hier, mehrere Meilen von Bruchtal entfernt, war der Schnee nur mäßig eingekehrt und bedeckte kaum den Waldboden, welcher immer noch von den unterschiedlichsten Arten von Flora bedeckt war.
Sie hatte sich die Decke fest um sich geschlungen und war am gestrigen Abend, erschöpft vor Müdigkeit neben Elea eingeschlafen. Auch ihr Lagerfeuer war bereits niedergebrannt und die schwarze Asche der Holzscheite lag inmitten des steinernen Kreis.
Brianna streckte sich und gähnte dabei herzhaft, als sie bemerkte, dass Elea bereits aufgestanden war und an einem Baum lehnend eine Karte studierte.
" Guten Morgen Elea. Habt ihr gut geschlafen?", fragte Brianna freundlich und stand auf und fegte mit einer Handbewegung die winzigen Äste und Nadeln, die sich die Nacht über auf ihrem Kleid angesammelten hatten, herunter.
Verdutzt zögerte Elea einen Moment, als würde sie Brianna nicht erkennen, aber antwortete dann freundlich : " Ah Brianna ihr seid bereits aufgestanden. Meine Nacht war erstaunlich geruhsam, auch wenn meine Träume mich hin fort geführt haben. In die südlichen Gefilde Gondors, hin zu meinen Gatten."
Sie seufzte kurz, bevor sie wieder lächelnd fort fuhr: " Und ihr? Wie war eure Nacht?"
" Ach ich hatte in den letzten Monaten schon schlimmere, glaube ich", gestand Brianna mit einem Lachen, während sie ihre Decken zusammenlegte. " Wir können Elrond dankbar sein, dass er uns diese warmen Wolldecken mitgegeben hat, denn die Nächte werden von Tag zu Tag immer kälter!".
"Ja, das ist wahr. Ich habe übrigens schon unsere Route für heute festgelegt. Wir können dankbar sein, dass Rohan von den widerwärtigen Klauen Saurons befreit wurde, denn sonst bliebe uns nur der Weg über das Nebelgebirge. Einen Weg, den ich nur ungern eingeschlagen hätte."
"Da habt ihr Recht, Elea. Auch wenn sich in den Gebieten um Dunland immer noch der Abschaum des Dunklen Herrschers herumtreiben könnte. Jedoch sind wir mit Schwert und Bogen ausgerüstet und wissen uns zu verteidigen", tönte Brianna mit leicht geschwollener Stimme und beide Frauen verfielen in lauthalses Gelächter.

Nachdem sich Brianna in einem nahe gelegenem Tümpel das Gesicht gewaschen hatte, schulterten sie ihr Gepäck und marschierten gemeinsam weiter, ihren Weg entlang.


Elea und Brianna nach Eregion

Eandril:
Oronêl, Mathan, Celebithiel, Finelleth und Kerry aus Eregion...

Sie waren früh am nächsten Morgen aufgebrochen, als der herbstliche Nebel, der vom Glanduin und dem Sirannon hinaufgekrochen war, die Ruinen von Ost-in-Edhil einhüllte. Mathan und Kerry hatten lange und leise mit Halarîn und Faelivrin gesprochen, bevor sie sich verabschiedet hatten, und gerade Mathan und Halarîn schien der Abschied schwer zu fallen. Oronêl hatte sie verstanden, denn ihm und Calenwen war es nicht anders gegangen, wenn er in den Krieg gezogen war - und auch wenn Mathan vermutlich in keine Schlacht zog, würde seine Reise doch nicht weniger gefährlich sein.
Auch Oronêl hatten sich von ihren zurückbleibenden Gefährten verabschiedet, und dann waren sie aufgebrochen. Oronêl ging mit Mathan, der sich in dieser Gegend am besten auskannte und seine neue Waffe auf dem Rücken trug, an der Spitze, dicht gefolgt von Finelleth und Kerry, die während des Abstechers nach Dunland eine neue Stufe der Vertrautheit erreicht zu haben schienen, und unbeschwert miteinander plauderten. Den Schluss bildete meistens Celebithiel, die ihren verletzten Arm in einer Schlinge trug und oft nachdenklich schwieg.

Die Gruppe folgte in etwa dem Weg, den Oronêl und Orophin wenige Monate zuvor auf ihrer Reise gegangen waren, doch als sie nach fünf Tagen die Stelle erreichten, in der sie damals in das düstere Tal zwischen Haupt- und Seitenkette des Gebirges geraten waren, schwenkten sie rechtzeitig nach Westen um. "Dies war die nördlichste Grenze von Eregion", erklärte Mathan als sie den westlichsten Ausläufer der Berge erreicht hatten. Vor ihnen lag ein hügeliges, spärlich bewaldetes Land, dass sich auf den ersten Blick nicht groß von Eregion unterschied. "Bis zur Grenze von Imladris war dies fast immer ein Niemandsland, Wildnis."
"Niemandsland klingt doch gut", meinte Kerry fröhlich. "Wo niemand ist, sind auch keine Feinde."
"Darauf würde ich leider nicht wetten", warf Finelleth ein. "Immerhin bildet Saruman sich ein, dieses Land stünde ihm zu, wie ganz Eriador."
Oronêl schüttelte den Kopf. "Ich glaube nicht, dass wir hier auf Orks treffen werden - dennoch sollten wir nicht unvorsichtig werden." Er dachte an die Heerscharen von Orks, die er und Orophin in dem Tal zwischen den Bergen hatten lagern sehen. Doch diese Orks liebten die Dunkelheit, und sie würden nicht in das offene Land herauskommen, wenn ihr Herr es ihnen nicht befahl. Und im Augenblick würde Saruman genug damit zu tun haben, das Gebirge selbst in seiner Hand zu behalten.
Sie stießen bald auf den schmalen Pfad, das Überbleibsel der alten Straße, nicht unweit der Stelle, an der Oronêl und Orophin ihn damals nach ihrer Überquerung der Bergkette gefunden hatten. Auf dem Pfad kamen sie ein wenig schneller voran, wenn auch nicht so schnell wie damals. Damals waren sie nur zu zweit und in Eile gewesen, heute waren sie fünf. Und auch wenn Kerry sich als ausdauernde Wanderin herausgestellt hatte und sich selten beklagte, konnte sie sich mit Ausdauer und Geschwindigkeit der Elben nicht messen. Doch es störte Oronêl nicht, dass sie etwas langsamer vorankamen als es ihm alleine möglich gewesen wäre. Sie hatten keinen dringlichen Auftrag, wurden nicht verfolgt, und er genoss es durch die Wildnis zu wandern, umgeben von Freunden.

Am frühen Abend des fünften Tages nachdem sie die Nordgrenze Eregions überschritten haben, erreichten sie den Südrand des Tals von Imladris. Die Sonne ging im Westen allmählich unter, und im Schatten des Tals leuchteten die Lichter von Elronds Haus. Einen Augenblick verharrte die Gruppe am Rand des Tals und blickte hinab.
"Es ist so... friedlich. Idyllisch", sagte Kerry leise und offensichtlich beeindruckt. Oronêl lächelte, ließ den Blick über die Lichter, die Gärten und die vielen kleinen Wasserfälle schweifen, und sagte: "Man nennt es nicht ohne Grund das letzte heimelige Haus östlich der See. Hier ist jeder willkommen, der in Frieden kommt, und bis hierhin sind die Schatten noch nicht vorgedrungen. Eine letzte Zuflucht, wenn man so will."
"Es ist seltsam, es zu sehen...", sagte Celebithiel wie zu sich selbst, und verfiel wieder in Schweigen. Oronêl konnte sich unschwer vorstellen, welche Bedeutung dieser Anblick für sie haben musste, immerhin war sie in Bruchtal aufgewachsen und seit Beginn des Ringkrieges nicht mehr dort gewesen.
Auch Mathan schien ein wenig in Erinnerungen versunken zu sein. "Es ist lange her, dass ich zuletzt hier war. Ich frage mich, ob mein Onkel und mein Vetter noch immer hier leben."
"Cinad und Vinard?", fragte Celebithiel. "Als ich Imladris verlassen habe, waren sie noch dort. Ich bin sicher sie werden sich freuen, dich zu sehen."
Oronêl lächelte belustigt, und meinte mit leichtem Spott: "Du scheinst überall in Mittelerde Verwandte zu haben, Mathan. Ich könnte dich beinahe darum beneiden." Der Spott war jedoch nur aufgesetzt, denn wenn Oronêl ehrlich zu sich selbst war, beneidete er Mathan tatsächlich ein wenig darum. Mathan hatte eine große und starke Familie, die in diesen Zeiten zusammenhielt, und was war von Oronêls eigener Familie übrig? Viel war es nicht, was vom Haus Lenwe geblieben war.
Auch Mathan musste lächeln, als er erwiderte: "Nun, bei manchen Verwandten ist es besser, wenn man sie nicht allzu häufig sieht..." Es war deutlich, dass er auf seine ein wenig anstrengenden Schwestern anspielte, doch es war leichthin gesagt und offensichtlich nicht wirklich ernst gemeint.
Schließlich rissen sie sich vom Anblick Bruchtals los, und folgten dem Verlauf des Tals nach Nordwesten, wo sie zur Brücke über den Bruinen kommen würden.

Oronêl, Mathan, Kerry, Finelleth und Celebithiel nach Bruchtal

Fine:
Oronêl, Mathan, Ardóneth, Celebithiel, Finelleth, Mírwen und Kerry aus Elronds Haus


Finelleth ging voran, da sie den Weg zum Hohen Pass erst vor wenigen Monaten gegangen war, und da sie von Oronêl inoffiziell zur Anführerin der kleinen Reisegruppe gemacht worden war. Kerry ging neben der Waldelbin her und betrachtete das Gesicht ihrer Freundin, in dem sie eine Mischung aus Vorfreude, Anspannung und Sorge las. Finelleth schlug ein schnelles Tempo an, doch niemand beklagte sich. Sie alle hatten nur wenig Lust darauf, ihre Zeit im Gebirge zu verschwenden. Es sollte eine schnelle Überquerung werden. Doch zunächst mussten sie den Pass auch erreichen. Kerry wusste, dass die Entfernung zwischen Imladris und dem Aufstieg zum Pass, den die Elben Cirith Forn en Andrath, den Pass des hohen Aufstiegs nannten, oft unterschätzt wurde. Seitdem sie das verborgene Tal, in dem Elronds Volk wohnte, verlassen hatten, waren sie einem gut ausgetretenen Pfad in Richtung Nordosten gefolgt, der die Fortsetzung der Großen Oststraße darstellte. Es ging stetig leicht bergauf, da sie mit jedem Schritt weiter in die flachen Ausläufer der mächtigen Nebelberge vorrückten. Schon bald würden sich die Gipfel bis über ihre Köpfe erheben und hoch in den klaren Herbsthimmel ragen.

Die Landschaft hatte sich seit Bruchtal nur wenig verändert. Noch immer war es grünes Hochland, das von vielen großen Felsen durchsetzt war. Kiefern und dunkle Tannen standen vereinzelt oder in kleinen Gruppen auf den flachen Hängen, und große und kleine Büsche füllten die Lücken in der Landschaft. Je weiter sie nach Osten kamen, desto besser wurde der Blick zurück, denn da der Weg dem sie folgten langsam, aber stetig anstieg, konnten sie mit jedem Höhenmeter mehr über die Länder Eriadors hinausblicken. Kerry wurde dabei zum ersten Mal vollständig klar, dass sie kurz davor stand, die Grenzen des Reiches zu verlassen, das sie nun beinahe vier Jahre bewohnt hatte. Sie würde Eriador hinter sich lassen, und nach Rhovanion gehen, das in Rohan auch als Wilderland bekannt war. Die Grenze zur Wildnis hatte die Gruppe längst passiert. Jeder Schritt würde sie nun den Gefahren der Einöde und des Gebirges näher bringen.
"Du bist in Gedanken schon dort, nicht wahr?" fragte Kerry leise.
Finelleth blinzelte und brauchte einen Moment um sich zu fassen. Ganz offensichtlich war sie tiefen inneren Gedanken nachgehangen und durch Kerrys Frage daraus aufgeschreckt worden. "Du meinst..." setzte sie schließlich an und blickte Kerry einen langen Augenblick in die Augen, während sie weitergingen. "Im Waldlandreich. Zuhause. Ja, du hast Recht. Ich habe ständig daran gedacht, wie es wohl sein wird. Habe mir alle möglichen Szenarien ausgemalt. Wir wissen noch immer nicht, was mit meinem Vater und den Elben des Grünwalds geschah, nachdem sie Dol Guldur als Teil von Sarumans Heer verlassen haben. Ich habe sie dort im Stich gelassen, Kerry. Aber ich konnte es einfach nicht mehr mitansehen."
"Nein, du hast keinen Fehler gemacht," versuchte Kerry Finelleth zu beruhigen. "Du hast Irwyne nach Bruchtal in Sicherheit gebracht. Wärst du nicht dort gewesen, hättest du niemals Oronêl getroffen und hättest ihn nicht bei seiner Mission unterstützen können."
"Mhm," machte Finelleth nachdenklich. "Vermutlich hast du Recht. Aber dennoch frage ich mich ständig, was wohl geschehen ist. Glaubst du, Sarumans Angriff hatte Erfolg? Werden wir auf ein intaktes Reich stoßen, das von meinem Vater regiert wird, so wie es einst war? Oder werden wir nichts als Zerstörung vorfinden? Oder vielleicht etwas gänzlich unterwartetes?"
"Das werden wir sehen wenn wir dort sind," meinte Oronêl, der zu ihnen aufgeschlossen hatte. "Es macht keinen Sinn, jetzt Gedanken daran zu verschwenden, was sein könnte. Wenn wir den Saum des Düsterwalds erreicht haben, können wir darüber beraten, wie wir vorgehen. Aber bis dorthin sollten wir uns auf den Weg konzentrieren."
Er hatte nicht streng oder harsch gesprochen, aber Kerry kamen Oronêls Worte vor wie die eines älteren Bruders, der seiner deutlich jüngeren Schwester eine Lektion erteilt. Und noch etwas Anderes fiel ihr auf: Mírwen, die sich ihrer Gruppe in Imladris angeschlossen hatte, verfolgte Oronêl mit ihren Blicken und schien jedem seiner Worte besonders aufmerksam zu lauschen. Kerry zupfte nachdenklich an einer Haarsträhne, die ihr zwischen Stirn und Ohr herunterfiel. Da steckt doch mehr dahinter, dachte sie. Aber was?
Finelleth seufzte tief. "Am liebsten wäre ich jetzt schon dort," sagte sie. "Die Anspannung wird mit jedem Schritt unerträglicher."
"Nun, vielleicht bringt dich ein Eimer voll Eiswasser auf andere Gedanken," überlegte Oronêl mit einem verschmitzten Lächeln. "Ich habe vorhin einen Bach in der Nähe plätschern hören."
"Wage es ja nicht," erwiderte Finelleth und drohte ihm mit dem Finger. Doch auch sie konnte ihr Lächeln nicht lange verbergen. Sie stand Oronêl gegenüber und ihr Finger ruhte auf seiner Brust. "Du wirst schon sehen, meine Rache kommt eines Tages - genau dann, wenn du sie am wenigsten erwartest."
Oronêl strich ihr freundschaftlich durchs Haar. "Ich werde warten," sagte er.
Mírwen hatte sich ihnen genähert und trat seitlich zwischen die Beiden, sodass Finelleth unwilkürlich einen Schritt rückwärts machte. "I-ich denke wir sollten weitergehen!" sagte die rothaarige Elbin, deren Armbrust beim Laufen immer wieder sachte gegen ihren Rücken schlug.
Finelleth blickte sie einen Augenblick mit einer Mischung aus Verärgerung und Verwunderung an, doch dann fasste sie sich wieder. "Du hast recht, schätze ich. Es ist bereits Nachmittag, und wir haben noch einen weiten Weg vor uns."
"Dann auf," sagte Oronêl. "Geh' voran, große Anführerin Faerwen."
Die Angesprochene streckte ihm kurzerhand die Zunge heraus und setzte sich wieder an die Spitze der Gruppe.

Kerry hatte die Szene mit großem Interesse verfolgt, konnte sich jedoch noch keinen Reim darauf machen. Irgendetwas schien da zwischen Finelleth und Mírwen passiert zu sein... doch was? Sie beschloss, sich Hilfe zu suchen, und ließ sich zurückfallen, bis sie neben Celebithiel und ein Stück hinter Adrdóneth herging. Hinter ihnen bildete Mathan das Schlusslicht der Gruppe.
"Sag' mal," begann Kerry. "Hast du vielleicht eine Ahnung, was da gerade passiert ist?"
Celebithiel betrachtete sie einen Moment und sagte dann: "Ich habe nicht alles gesehen, tut mir Leid... ich habe an Glorfindel gedacht."
Rasch fasste Kerry die Geschehnisse zusammen. Celebithiel zog die Augenbrauen hoch und meinte: "Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich sagen, Finelleth ist... nein, das ist zu abwegig. Er ist wie ein Bruder für sie. Und du bist dir sicher, dass Mírwen ihn seit unserem Aufbruch kaum aus den Augen gelassen hat?"
"Es ist mir erst vorhin so richtig aufgefallen," antwortete Kerry. "Ich kann es nicht mit Sicherheit sagen."
"Dann sollten wir die Lage weiter beobachten, eher wir vorschnelle Schlüsse ziehen. Vielleicht wollte Mírwen wirklich nur einen Streit verhindern oder sie möchte noch schneller als Finelleth oder ich ins Waldlandreich kommen."
"Vielleicht," sagte Kerry.

Als sie bei Sonnenuntergang ihr Nachtlager aufschlugen, hatten sie den Aufstieg zum Hohen Pass erreicht. Der ausgetretene Weg, dem sie seit Bruchtal gefolgt waren, ging hier in einen steinigen Pfad über, der sich ins Gebirge hinaufschlängelte. Kerry musste den Kopf in den Nacken legen, um bis zu den höchsten Gipfel hinaufblicken zu können. Ihr war aufgefallen, dass Mathan auf der Reise hierher äußerst schweigsam gewesen war und beinahe immer am Ende der Gruppe gegangen war. Selbst Ardóneth hatte sich mit dem Rest der Gruppe unterhalten und sie besser kennengelernt. Kerry beschloss, den Grund für das Verhalten ihres Vaters herauszufinden und blickte sich nach ihm um. Sie entdeckte Mathan schließlich einige Meter vom Nachtlager entfernt, in dem Ardóneth gerade ein kleines Feuer in Gang brachte. Mathan stand auf einer Anhöhe und blickte stumm nach Norden. Vorsichtig trat Kerry neben ihn und fragte: "Was ist los, Ontáro?"

Curanthor:
Nachdenklich ging Mathan am Ende der Gruppe und beobachtete abwechselnd seine Reisegefährten. Ihm war klar, dass er sie nicht die ganze Zeit begleiten konnte, aber er konnte auch sie nicht mitnehmen. Seine Hand lag auf seinem Umhang aus Gondolin, in dessen Innentasche er das Stück Pergament trug, das Elrond ihm überlassen hatte. Kurz vor seiner Abreise war er dem Rat seines Onkels gefolgt und zu dem Herrn Bruchtals gegangen, der noch ein paar zusätzliche Informationen über die Expedition in den Norden ausgegraben hatte. Als sie schließlich ein Lager aufschlugen und Ardóneth ein Feuer entzündete, setzte sich Mathan etwas von der Gruppe an und blickte dabei in den Himmel. Seine Gedanken schweiften weit ab und waren bei seiner Familie, seiner Mutter, an die er sich kaum erinnert, seinem Vater, der stets etwas schräg wirkte und seine Frau, die er ebenfalls vermisste. Ihm ging erneut das Gespräch mit Cinad durch den Kopf, als er plötzlich Schritte vernahm. Durch die lange Reise mit ihr, kannte er ihre Art sich zu bewegen und vernahm sogleich ihre Stimme: " "Was ist los, Ontáro?"
Mathan blickte noch einmal nach Norden, wo die Expedition einst entlang gereist ist, ehe er sich umwandte. Er bemerkte den besorgten Blick seiner Tochter und legte ihr sanft eine Hand auf dem Kopf. "Gar nichts...", erwiderte er und hielt ihren fragenden Blick stand, "Nur habe ich eine Dinge erfahren, die mich ziemlich beschäftigen."
Kerry wollte schon nachfragen, doch er nahm seine Hand von ihrem Kopf und legte sie ihr auf die Schulter. Mit der anderen Hand zog er das Medaillon unter seiner Kleidung hervor und hielt es in den flackernden Schein der Flammen. "Meine Mutter", sagte er leise und öffnete das Schmuckstück. Ein glattes Stück Eis mit einem eigentümlichen Schimmer war darin zu sehen, "Es ist von ihr, das weißt du. Nun habe ich noch mehr über sie erfahren." Die Augen seiner Tochter blitzten aufgeregt.
"Aber das ist doch gut", erwiderte Kerry freudig und legte neugierig den Kopf schief, "Was ist es denn?"
"Nun, ob es gut ist weiß ich nicht. Mein Vater war nicht ganz ehrlich zu mir..."
Seine Antwort ließ die Freude aus Kerrys Gesicht verschwinden, ein trauriger Ausdruck lag nun in ihren Zügen. "Aber ich dachte, Elben lügen nie!", rief sie sichtlich schockiert und nahm Mathans freie Hand, "Warst du deswegen so schweigsam die ganze Zeit, Ontáro?"
Mathan atmete tief durch und nickte, was Kerry nur bestürzt seinen Handrücken streicheln ließ. Sie schwiegen für einen Weile und er war froh, dass sie nicht weiter bohrte. Eigentlich besprach er so Etwas gerne mit Halarîn, aber Kerry gehört auch zu seiner Familie und sie hatte ein Recht darauf, zu erfahren wie die Dinge stehen.
"Meine Mutter - deine Großmutter - verschwand  vor einer langen Zeit, ich weiß gar nicht mehr genau wann...", er schüttelte jedoch den Kopf und korrigierte sich: "Ich weiß es ganz genau, denn seitdem habe ich immer an sie gedacht. Mehr als dreitausend Jahre ist es nun her, als ich ihre sanfte Stimme gehört habe."
Kerry machte große Augen und ließ beinahe seine Hand los, sichtlich erschüttert und unfähig ihre Gefühle in Worte zu fassen. Mathan lächelte gequält, denn er wusste, dass seine jüngste Tochter sehr emotional sein konnte. Er beugte sich zu ihr hinab und gab ihr einen sanften Kuss auf die Wange, ehe er sich wieder aufrichtete und nach Norden blickte. Der Wind war ruhig und kaum eine Brise ging, nur das Knistern des Feuers war zu hören. Die Gespräche ihrer Gefährten war nur ein Murmeln im Hintergrund, während Vater und Tochter schweigsam auf der Anhöhe standen. Ganz weit in der Ferne vernahmen seine Elbenohren einen Kautz, vereinzelt eine Nachtigall und einen einsamen Wolf. Es dauerte eine Weile, bis Kerry sich wieder gefangen hatte und wieder begann seinen Handrücken zu streicheln, was ihm ein Lächeln entlockte.
"Deswegen gehst du nach Norden... um sie zu suchen?", fragte sie schließlich leise und blickte nun ebenfalls auf die Gipfel der Nebelberge, so als ob sie in den kalten Norden blicken könnte. "Ich kann mir gar nicht vorstellen wie es ist, eine so lange Zeit...", murmelte sie leise und Mathan drückte sanft ihre Hand, als Zeichen, dass er es wertschätzte, dass sie da war.
Nach einer Weile sagte er nachdenklich: "Ich habe schon oft nach ihr gesucht, monatelang viele Länder von Mittelerde bereist, doch nie gab es ein Zeichen. Kaum eine Spur erwies sich als wertvoll. Und nun, wenn das Übel nach dieser Welt greift und ich dich treffe, dann geschieht Etwas."
Kerry nickte und drückte seine Hand etwas fester, ehe sie antwortete: "Ich bin mir sicher, dass du sie finden wirst. Die Dinge geschehen nicht umsonst, selbst die Schlechten." Ihre Stimme klang ermutigend, auch als er in ihre Augen blickte, schien sie auch irgendwie sich selbst zu ermutigen.
"Vielleicht hast du Recht, meine Kleine", sagte er stirnrunzelnd und drehte das Medaillon in der freien Hand, "Vielleicht fühlt es sich deswegen auch anders an. Die Kälte spricht zu mir, zumindest glaube ich es, denn es ist ein Gefühl, wie ein Zerren nach Norden."
"Ich mag es nicht wenn es zu kalt ist. Dann friere ich ständig." Kam die prompte Antwort, woraufhin Mathan skeptisch eine Braue hob und sie sich rasch verbesserte: "Äh... ich meinte... was hat es mit dem Zerren nach Norden auf sich?
"Ich denke, die Winde des Nordens weisen mir den Weg... oder irgendetwas. Es ist wie damals, als mich nichts an einem Ort gehalten hat, ein Fernweh", antwortete Mathan nachdenklich und versuchte sich auf die ganze Sache einen Reim zu machen, doch er konnte es nicht. Als er zu Kerry blickte, bemerkte er, dass sie ebenfalls nicht verstand was er meinte und lachte leise. Es war befreiend und sie lächelte ebenfalls.
"Sei einfach nur vorsichtig und komm wieder zurück, Ontáro.", bat Kerry ihn leise und er nickte sogleich.
"Das werde ich, Ténawen", antwortete er fest und zog sie in eine sanfte Umarmung, "Immerhin möchte ich nicht die Geburt deines kleinen Geschwisterchens verpassen."
Sofort breitete sich ein glückliches Lächeln auf dem Gesicht von Kerry aus, als sie sich lösten. "Vielleicht kannst du ihm oder ihr dann einen Namen geben, wenn es soweit ist."
Das Lächeln auf ihrem Gesicht wurde noch eine Spur breiter und ihre Augen funkelten, ganz anders als zuvor. Eifrig nickte Kerry und Mathan begann, ausgelöst durch die gute Laune leise von seiner Mutter zu erzählen. Wie sie ihn damals immer an die Hand genommen hatte und sie gemeinsam durch die Felder gestreift sind. Meist wirkte seine Mutter distanziert, doch hatte sie eine unbeschreibliche Herzlichkeit, die er kaum in Worte fassen konnte. Doch scheinbar war es ausreichend, denn Kerry war äußerst interessiert. "Erzähl mir bitte mehr über Großmutter", bat sie schließlich und gemeinsam setzten sie sich auf einen umgestürzten Baumstamm.
"Nun, meine Mutter hat sich oft in die Sonne gesetzt und ich bin vor ihren Füßen umhergelaufen. Natürlich war ich damals sehr klein gewesen und sie hatte nicht viel Erfahrung, da ich ihr erstes Kind war. Sie gab sich aber viel Mühe und konnte ein herzerweichendes Lächeln aufsetzen, mit dem jeder Ärger über sie verflog. So konnte ich ihr nie böse sein. Als ich ein wenig älter wurde, bemerkte ich, dass sie auch sehr respekteinflößend sein konnte. Sie war...ist eine stolze Frau und verfügt über einen großen Wissensschatz. Ich weiß zwar nicht genau was ihre Talente waren, doch genoss sie höchstes Ansehen, selbst von den Mächtigen unseres Volkes. Ich bin mir sicher, du hättest ihr gefallen", bei den letzten Worten musste er erneut leise lachen, "Sie mochte eigensinnige Charakterzüge und war selbst sehr unabhängig. Ich bin mir sicher, falls ich sie jemals finden würde, könnte sie die sehr viel beibringen, womöglich noch mehr als ich."
Bei einem Seitenblick bemerkte er, dass Kerry plötzlich sehr nachdenklich schien. Beruhigend legte er ihr eine Hand auf den Rücken und sagte eindringlich: "Sorge dich nicht, sie ist keine schlechte Frau und noch habe ich sie nicht gefunden ,aber du solltest dich bald schlafen legen", er nickte zum Mond, der hoch am Himmel stand, "Es ist spät und für den Pass brauchst du alle Kraft. Sorge dich nicht um Dinge, die noch in ferner Zukunft liegen."

Mathan, Oronêl, Finelleth, Ardóneth, Celebithiel, Mírwen und Kerry zum Hohen Pass

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