Dragan von In den Straßen von GorthariaDem Schützen war dies Antwort genug, er ließ seine Waffe sinken und drängelte sich ohne weitere Worte an den beiden Frauen vorbei, ins Innere des Hauses. Die nackte Frau schien scheinbar keine Scham zu zeigen und winkte ihn herein. Sie begrüßte ihn freundlich, während sein „Kontakt“ bedeutete ihr zu folgen. Dragan kam dabei nicht umhin sich im engen Flur an der Nackten vorbei zu quetschen. Währenddessen spürte er sehr deutlich ihre Rundungen, dabei lächelte sie anzüglich.
„Lass ja die Finger von ihr, sie ist eine Verrückte. Sie denkt an nichts anderes und all ihre „Besucher“ werden nach einigen Wochen nie wieder gesehen.“ warnte ihn seine Führerin. Kurz meinte Dragan irgendwo im Haus ein Poltern zu hören und andere Geräusche, die auf eine bestimmte Sache hindeuteten. „Ignoriere alles, was du hier hörst und siehst, auch die Verrückte. Das ist alles nur Tarnung, ein notwendiges Übel.“, sie schob einen Vorhang beiseite und zog eine verborgene Tür auf. „Mein Name ist Anastia und scheinbar hast du einen sehr einflussreichen Vater.“
Doch Dragan hörte nicht weiter zu, er starrte nur Anastia an, ihre wallenden blonden Haare und das Gesicht, dass er zuvor nicht erkennen konnte. Gaffend folgte er ihr und hörte nicht, was sie sagte. Scheinbar brabbelte sie etwas von einem Widerstand doch ihn interessierte das nicht.
„Glotz mich nicht so an, ich bin keine Kuh auf dem Markt.“, fuhr Anastia ihn an und seufzte: „Ja, ich bin ihre Cousine, ja ihr Bruder ist auch in der Stadt und ja sie ist auch hier. Bevor du jetzt ausrastest, hör mir zu: Cheydan ist nicht in Gefahr, aber ihr Zustand ist wenig wünschenswert.“
Doch diese Information genügte um Dragan komplett aus der Spur zu bringen. Er machte zwei schnelle Schritte nach vorn und packte Anastia an den Schultern, sie zuckte zurück, als sie seine blitzenden Augen sah.
„Wo ist sie? Sag mir sofort wo sie ist.“, verlangte er und konnte sich mit größer Mühe davon abhalten sie zu schütteln.
„Im Moment unerreichbar, denn zuerst müssen wir die aus dem Weg schaffen, die den Weg zur ihr versperren.“, antwortete Anastia ruhig und schob mühselig seine Hände von ihren Schultern.
Er roch, dass sie anfing zu schwitzen, doch er beharrte darauf zu wissen wo Cheydan sei. Die Antwort blieb die Gleiche, bis der Bogenschütze von vorhin den Raum betrat. Er runzelte die Stirn als er sah, wie nah die Beiden beieinander standen, zuckte jedoch mit den Schultern.
„Ihr müsst euch irgendetwas einfallen lassen, die Gardisten sind in wenigen Augenblicken- “, ein Klopfen vom Eingang unterbrach den Mann. Die drei sahen sich an und fieberhaft überlegten sie, was sie tun sollten.
„Du gehst zur Tür, sag der Verrückten Bescheid, dass sie die anderen warnen sollte und-“, ein lautes Krachen ertönte und ließ alle erstarren. Schwere Schritte polterten auf den Dielen. Ein erstickter Schrei ertönte. Blutüberströmt torkelte die Verrückte an das verborgene Zimmer und zog die Tür zu. Dragan erkannte, dass sie mit der Wunde in der Brust ihre letzte Kraft aufgebracht hatte um ihnen ein wenig Zeit zu verschaffen. Anastia erwachte aus ihrer Schockstarre als Erste, während von oben Schreie, Waffengeklirr und Kampfgeräusche tönte. Sie wies den Bogenschützen an, die Tür zu verbarrikadieren, sie selbst ging in eine Ecke des kleinen Raumes und schob einen Tisch zur Seite. Darunter kam ein verrosteter Eisenring zum Vorschein.
„Hilf mir mal, du Nervensäge.“, wies sie Dragan an und gemeinsam hoben sie einen Steinquader aus dem Boden. Jetzt verstand er auch, warum dies der einzige Raum war, der einen gepflasterten Boden hatte. Der Quader war nicht massiv und zur Hälfte abgeschnitten, sodass man ihn mit zwei Leuten einfach herausheben konnte.
„Los, spring hinein.“, forderte Anastia ihn auf.
Doch Dragan zögerte, überlegte ob er sich in den Kampf werfen sollte. Der Bogenschütze, der inzwischen unzählige Fässer, Tische und andere schwere Dinge vor die Tür gestapelt hatte, fluchte in einer ihm unbekannten Sprache.
„Nun macht schon!“, rief er ihnen zu und warf ein Fässchen mit Tinte aus dem Fenster. Ein Klirren zusammen mit einem Schmerzensschrei ertönte. „Sie kommen gleich durchs Fenster, los!“, rief er nun panisch und schoss Pfeil um Pfeil.
Ein Wurfspieß nagelte den Mann unvermittelt gegen die Barrikade, die er errichtet hatte. Dragan empfand wenig Mitleid für ihn, er wusste gar nicht, warum der Kerl sein Leben für sie riskiert hatte. Doch der Mann wand sich und rollte mit dem Fuß ein Fass in ihre Richtung. Unvermittelt wurde er nach hinten gezogen und fiel. Es war ein kurzer Fall, doch er weckte ihn aus seiner Starre. Anastia verschloss den Eingang zu dem Keller und es wurde stockfinster. Es war kühl, roch nach einem undefinierbaren Geruch und Schweiß, von oben hörten sie Schritte. Stimmen ertönten, doch er konnte nichts verstehen. Holz wurde umhergeworfen und dann verschwanden die Schritte.
Sie beide atmeten erleichtert aus, Dragan ließ sich zu Boden fallen und landete überraschend auf weichem Untergrund. Auf die Frage, wo sie sind, sagte seine Begleiterin nichts.
„Eine Notunterkunft.“, sagte sie schließlich nach eine langen Pause und es raschelte. „Gut, ich werde dir jetzt einige Dinge erklären und du hörst einfach nur zu.“, begann Anastia und setzte sich scheinbar neben ihn, denn ihr Arm berührte ihn. „Hier ist nicht viel Platz, es ist nur eine Lagerstatt für eine Person. Eigentlich ist sie dem Geheimniswahrer vorbehalten, aber ihre Brust wurde ja durchbohrt.“, erklärte sie nüchtern und wartete auf seine Reaktion.
„Also die Verrückte war…? Was?“, er verstand nichts und Anastia seufzte.
„Wir waren eine kleine Gruppe von Leuten, denen es nicht gefallen hat, wie es in dem Land zugeht. Wir waren nicht viele, aber immerhin mehr als dreißig. Aus allen Berufsgruppen, selbst einen Adligen hatten wir in unseren Reihen.“, begann sie zu erzählen. Dragan lehnte sich zurück und griff in etwas Feuchtes, wahrscheinlich Stoff. Angewiderte wischte er seine Hand am Hosenbein ab, er wollte gar nicht wissen was es war.
„Wenn hier die Verrückte gehaust hat, dann fühle mich umso unwohler. Allein die Tatsache, dass hier ständig eine Nackte geschlafen hat…“, ihm schauderte es. Energischer rieb er seine Hand am Hosenbein und unterdrückte den Impuls daran zu riechen. Er wusste, dass er das nicht wollte.
„Nun, war ihr Beruf war, kannst du dir denken. Oh, und sie lässt ständig ihre gebrauc-“
„Nein, das will ich nicht hören!“, unterbrach Dragan Anastia aufgebracht und rieb umso heftiger an seinem Hosenbein. Sie lachte leise und unterdrückte mühsam ein lautes Prusten.
„Keine Sorge, es sind nur ihre Unt-“ er unterbrach sie erneut mit einem lauten Knurren, was sie zum Kichern brachte. „Hör auf damit! Erzähl mir, was hier los war.“, verlangte er ungeduldig.
„Nun, diese Leute wollten sich heute hier treffen und eine große Aktion planen, wie wir unsere Missgunst gegenüber der herrschenden Klasse zum Ausdruck bringen konnten. Scheinbar war einer davon nicht vertrauenswürdig, denn wie du gesehen hast, wurden alle bis auf uns entweder abgeschlachtet oder gefangengenommen. Es hieß, dass jemand sich mit uns treffen würde, der Zugang zum inneren Zirkel des Königs hätte, aber bevor dieser aufgetaucht ist, kamen die Gardisten.“
Anastias Stimme war aufgewühlt, er spürte, dass die ganze Sache sie mehr mitgenommen hatte, als sie zugeben würde. Er tätschelte ihr so gut es ging auf den Rücken und hörte weiter zu.
„Darius haben sie einfach getötet, er war der Adlige, der das ganze Geld besorgt hatte.“, erklärte sie leise und schüttelte wohl den Kopf, denn ihre Haare berührten ihn ein paar Mal.
„Von der Verletzung her, müsste er eigentlich durchkommen müssen, wenn er zu einem Heiler gebracht wurde. Aber die Gardisten sind ja nicht für ihre Samthände berühmt.“, mutmaßte Dragan und änderte seine Sitzposition, peinlich darauf achtend, dass er nichts berührte.
„Das waren keine Gardisten, das ist die Handschrift von Königsmeuchlern. Sie werden extra dafür ausgebildet und halten Ausschau nach Unzufriedenen. Dann warten sie, bis diese sich treffen, infiltrieren die Gruppe, die sich bildet. Zum Schluss sorgen sie dafür, dass es mehr werden, so kann man sie einfacher kontrollieren, bis man sie alle mit einem Schlag ausradiert. So wie es heute der Fall war und auch bei anderen Leuten passiert ist.“
Anastia lehnte sich an ihn und murmelte nur davon, dass sie plötzlich müde sei und ließ ihren Kopf auf seinen Schoß sinken. Prompt schlief Cheydans Cousine ein und Dragan war allein mit seinen Gedanken. Bis auf das regelmäßige atmen, der ihm noch recht fremden Anastia war es still. Dabei hatte er so viele Fragen und vor allem wunderte es ihn, dass sie so schnell und plötzlich eingeschlafen war. Dragan hatte zwar davon gehört, dass es wohl eine Krankheit gab, bei denen Menschen ein enorm hohes Bedürfnis nach Schlaf hatten. Dennoch hätte er nie gedacht, dass diese das Problem hatten, dass sie überall einschliefen, selbst nach so einem enormen Stress.
Leicht neidisch spielte er mit ihrem Haar und wunderte sich insgeheim, dass sie ihm so sehr vertraute, dass sie keine Probleme hatte zu zwei in einer so engen Kammer zu schlafen. Selbst ihm war das unbehaglich, auch wenn er bei weitem nicht zimperlich war. Dragan rieb sich die Augen und fragte sich, wie lange sie wohl schon hier unten waren, sein Zeitgefühl hatte er schon fast verloren. Er schätzt, dass es Nacht war, denn als der Überfall stattfand war es bereits am Dämmern. Von oben hörte er gelegentlich Fußtrappeln, was darauf hindeutete, dass dort eine Wache sein musste. Doch als er längere Zeit keinen Ton hörte fielen auch ihm die Augen zu, denn das regelmäßige Atmen und die Wärme von Anastia machten es enorm schwer wach zu bleiben. Kurz leistete er der Müdigkeit noch widerstand, gab aber auf nach dem anstrengenden Tag und schlief kurz darauf ein.