Die Zeit verging ungeahnt ruhig und schnell für die Wanderbaus und im Dienste des Postamtes konnten sie sich auch erstmals wirklich an einem Ort einleben und die Umgebung kennenlernen. Auch oder auch gerade deshalb, dass zumindest einer der beiden älteren zumeist Briefe austeilen musste, integrierten sich die Hobbits schnell in ihrer Umgebung und aufgrund ihrer harten und gewissenhaften Arbeitseinstellung genossen sie auch einen wahrhaft fabelhaften Ruf in ihrer Umgebung. Iris war zu dieser Zeit selbstverständlich zu jung um ihren Eltern während der Arbeit helfen zu können und lebte daher die Vormittage meist bei ihrem Onkel im Büro. Natürlich war sie ebenfalls zu jung um ihm irgendwie helfen zu können, doch immer wenn gerade kein Kunde oder Assistent bei ihnen im Zimmer war, zeigte er ihr stolz allerhand Berichte, Tabellen und Formulare, die sie weder lesen, noch verstehen konnte, selbst nachdem sie ihr erklärt wurden.
"Weißt du, meine Kleine, in diesen Berichten stehen Dinge geschrieben, die unser aller Leben regeln. Für uns Postbeamte sind sie das wichtigste unserer Verwaltung und ohne diese bräche das gesamte Auenland in seiner Vernetzung zusammen. Was meinst du, möchtest du lernen sie zu verstehen?"
Iris hob nur ihre Schultern. Weder wusste sie was eine Verwaltung sei, noch wie man sich eine Vernetzung vorzustellen hätte, die einzigen Netze, die sie zur Genüge kannte, waren die der Spinnen, die in ihren meisten Hütten der letzten jahre hausten. Sie konnte sich noch immer nicht den Sinn dieser Schriften erklären und verzweifelte mit jeder neuen Erklärung an ihren wirren Vorstellungen, die die fremden Worte in ihr hervorriefen. Warum schien keiner in ihrer Umgebung zu verstehen, wie alt sie eigentlich war? Sie nickte halbherzig, wahrscheinlich nur aus der Hoffnung heraus danach zumindest diese große Unbekannte endlich gelöst zu haben, doch erfuhr sie kurz darauf, dass viel mehr hinter diesen Dokumenten stand als nur das reine Verständnis: "Sehr schön. Kannst du schon lesen?"
Sie schüttelte ihren Kopf, "Mami meinte dass uns die Zeit dazu fehlen würde. Ich kenne nur ein paar Buchstaben und ein paar Zahlen."
"Das ist doch schon mehr als genügend", sagte ihr Onkel anerkennend, "Du bist noch jung und mit meiner Hilfe wirst du schon schnell vorankommen. Ich denke aber auch, dass deine Mutter dir nun helfen kann.", auf einen fragenden Blick von Iris fügte er hinzu, "Sie hatte in den letzten Jahren leider zu viel zu tun um dir Wissen zu übermitteln, welches in euren Kreisen nicht unbedingt von Belang war. Hier habt ihr aber genug Zeit und auch Bedürfnis nach dieser Kunst."
In den nächsten Wochen zeigte er ihr den Umgang mit den vormals so inhaltsleeren Buchstaben, ihre Zusammensetzung, Aussprache und alles andere, was Iris in diesen Wochen in ihren Kopf aufnahm. Es war eine anstrengende Arbeit für einen Hobbit ihren Alters, doch für sie war es irgendwie entspannend – je mehr sie über das Leben der Buchstaben und Wörter verstand, desto näher fühlte sie sich ihrer Umgebung und desto kräftiger fühlte sie sich auch selbst. Als schließlich ddie Zeit kam, wo sie sich bereit fühlte diese so fremdartigen Dokumente zu lesen, fühlte sie sich jedoch enttäuscht: Die Wörter, wie sie auf dem Blatte standen, waren nun zwar lesbar, teilweise in Konstruktionen, die ihr bekannt waren, doch unter all dem Bekannten fanden sich Aneinanderreihungen von Buchstaben (Iris konnte sie nicht Wörter nennen", die für sie keinen Sinn ergaben, die einfach weiterhin fremd blieben! Auf Nachfragen konnte ihr ihr Onkel auch nur selten eine vernünftige "Definition" (Eines der Worte, die er erklären konnte) dieser Begriffe geben, da er diese bereits so fest in seinem Wortschatz hielt, dass er keine Entsprechungen der "gewöhnlichen" Sprache mehr fand. Meist erzählte er in solchen Fällen nur ganz grob den Zweck dieses Wortes auf, sodass Iris gelegentlich entweder eine grobe Vorstellung aus sich selbst gewann oder eines der "einfachen" Worte diese "großen" umfasste.
"Wenn du willst, kannst du aber mal versuchen einen Bericht so zu schreiben, dass er vom einfachen Volk UND von diesen elendigen Bürokraten versta..." Er hielt an und seufzte, denn der fragende Blick seiner Nichte sagte ihm alles, was er wissen musste: "Ähm, ein Bürokrat ist ein, äh, Hobbit, der, äh, solche Dokumente nicht etwa benutzt um mit ihnen sein Leben zu vereinfachen und Ordnung zu schaffen, sondern sie mi..gebraucht um in ihnen Fehler zu finden und aus den Zetteln selbst eine Ordnung zu machen."
"Äh danke", begann Iris, sie hörte von Bürokraten hier zum ersten Mal, doch klang dies jetzt schon überaus negativ für sie, "aber eigentlich wollte ich etwas anderes sagen: Ich kann nicht schreiben um solche Berichte normal zu schreiben ohne dass diese...ähm Büroratten Probleme machen."
Ihr Onkel lachte kurz über diese ungewollte Beleidigung und sagte dann erschöpft: "Schreiben ist im Grunde nichts anderes als Lesen: Beim Lesern saugst du die Wörter von einem Medium direkt in deien Kopf, beim Schreiben gibst du diese Wörter von deinem Kopf auf ein Medium. Mit der Zeit, sobald du deinen Kopf frei von dieser Überlast an aktuellem hast und dieses fest gespeichert hast, wirst du beides problemlos machen können."
Der kleine Hobbit lächelte, prinzipiell konnte sie jetzt also lesen und schreiben, sie konnte es schon kaum mehr erwarten nach den Leseversuchen mit den zahlreichen Dokumenten endlich erste Schreibversuche zu unternehmen. Doch gerade als sie eine herumliegende Feder ergreifen wollte, fiel ihr Blick auf etwas anderes: Auf dem Tisch lag ein Zettel, auf dem keines der großen, fremden Wörter stand, sondern lediglich Zahlen und Zahlen, lediglich unterbrochen von Zeichen, die, wie ihr Onkel ihr erklärt hatte, zum Hinzuzählen, Abziehen und Verfielfachen von Zahlenwerten standen. Ihr Onkel folgte ihrem Blick und seufzte erneut, "Lass mich raten, du willst wissen wie man mit diesen Zahlen umgeht."
Iris antwortete nicht. Sie blickte weiter auf dieses Papier. "Zwei..Zweiundvierzig", murmelte sie leise, als sie die Zahlen zusammengezählt hatte. "Nein, nein", antwortete ihr Onkel freundlich, "Dreiundvierzig", sagte er, während er mit dem Finger auf eine eingekreiste Zahl am Ende des Blattes zeigte, "Aber nah dra..." Er verstummte augenblicklich. Auch er starrte auf das Dokument und mit offenem Mund erkannte auch er: Er hatte sich verrechnet! Er, der über ein jahrzehnt Jahr für Jahr solche Rechnungen aufstellte, hatte sich verzählt und seine Nichte, seine keine sechs Jahre alte Nichte hatte dies bemerkt? Während all seine Assistenzen dies übersahen oder ignorierten? Er wusste, dass er zornig sein sollte, wer weiß wie viel Geld er durch solche Rechenehler in den letzten Jahren verloren hatte und er wusste, dass er sich beschämt fühlen sollte, nach einem solch vermeidbaren Fehler, doch stattdessen fühlte er nur ein seltsamen Gefühl von Stolz: Iris hatte diese Gleichung ganz alleine gelöst und dies in einer Zeit, die er vielleicht einem doppelt so alten Hobbit zugetraut hätte.
"Wie hast du das denn gelöst", fragte er neugierig. Iris zeigte mit ihren Händen die Zahlen an, "Zwei und zwei sind vier, vier und sechs sind zehn. Eine Doppelhand. Vervielfacht mit zwei haben wir zweizig, zweite Doppelhand voll. Zusammen mit drei und vier haben wir nochmals sieben dazu, also zwei Doppelhand sieben. Dann kommt eine fünf.", sie zeigte fünf Finger an ihrer Hand und knickte drei weg, "Drei von diesen ergeben drei Doppelhand Rest zwei.", ihr Onkel schlug sich kurz an den Kopf, offenbar verärgert über seine Dummheit, während Iris fortfuhr: "Hier haben wir noch zwei und vier, also sechs und eine weitere zwei, also alles zusammen vier Doppelhand. Vier Doppelhand und eins und eins sind zweiundvierzig." Ihr Onkel nickte beeindruckt, damit hatte er nun wirklich nicht gerechnet. "Woher kannst du das?"
"Meine Mutter brachte mir früh die kleinen Zahlen bei.", sagte sie schulterzuckend, "Leider muss sie immer so viel arbeiten, also verbringe ich meine Zeit in dem ich Dinge zähle. Diese Zeichen sind da nur eine Erweiterung dafür." Er lachte erneut aus. "Du bist ein außergewöhnlicher junger Hobbit", sagte er und strich ihr kurz durchs Haar, "Vergiss das ja nicht, dann kannst du alles erreichen!"