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Autor Thema: Dunharg und das Hargtal  (Gelesen 9935 mal)

Thorondor the Eagle

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Dunharg und das Hargtal
« am: 29. Jan 2012, 15:51 »
Antien, Faendir, Amrûn, Oronêl, Celebithiel und Amrothos von Morthond und die Pfade der Toten.

Amrûn war froh, diese feindlichen Lande und diese unterdrückende Dunkelheit hinter sich gelassen zu haben. Der Hinterhalt in Gondor hatte sie in eine heimtückische, tödliche Gefahr gebracht und dies alles wegen Amrothos.
Es hätte keine andere Möglichkeit gegeben als ihn mitzunehmen, denn hier, weit weg von all dem Misstrauen und Verrat war er sicher, doch quälte ihn hier die Unsicherheit über den Verbleib seines Vaters und seiner Freunde.

Die Dämmerung hatte bereits eingesetzt, als sie die Bergfeste Dunharg erreichten. Als sie aus dem schmalen Tal auf die Hochebene trafen, wurden sie von zwei Soldaten überrascht.
„Halt!“, befahlen sie halblaut.
„Guten Abend“, begrüßte ihn Antien in seiner wie üblich gut gelaunten Stimmung.

Die roten Fackeln leuchteten ihnen ins Gesicht: „Ihr kommt sehr spät. Längst schon werdet ihr erwartet.“
Überrascht schaute Amrûn die Soldaten an und hegte sofort Vermutungen wer gekommen sein mag. War Aratinnuíre ebenfalls dabei? Hatte sie den weiten Weg gewagt um Amrûn du sehen?

Die Gruppe marschierte hinter dem Soldaten her. Sie passierten einige provisorische Holzhäuser, aus deren Innerem Kerzenlicht herausflackerte. Bis sie eine Schenke erreichten, die sich an die Felswand lehnte.
„Wundert euch nicht, es sind zahlreiche Menschen hier. Seit der Rückeroberung unseres Landes haben sich viele Menschen in die Befestigungen zurückgezogen. Wir haben viel zu wenig Platz um alle unterzubringen, daher die Zelte und die einfachen Häuser.

Höflich öffnete er ihnen die Türe, folgte ihnen allerdings nicht. Es war nicht anderst, als der Soldat sagte. Auf den Tischen und an der Theke waren unzählige Menschen, doch keiner schien etwas zu essen oder zu trinken, sondern sie saßen nur ihre Zeit ab. Manche hatten sich auf die Holzbänke gelegt um ein wenig Schlaf zu finden, andere schliefen im Sitzen.
Da entdeckte Amrûn die Elben auf dem Tisch in der hinteren Ecke. Einer von ihnen war Orophin, der Grenzwächter aus Lorien und einige wenige seiner Schar.

„Willkommen!“, begrüßte er sie herzlichst „Ihr habt länger gebraucht, als wir angenommen hatten.“
„Ja. Das haben wir. Überraschenderweise kamen wir in einen Hinterhalt einer Bande Verräter. Sie haben uns nichts anhaben können, doch stahlen sie uns die Zeit“, entgegnete Amrûn ein wenig ironisch und von der Kampfkraft seiner Gefährten überzeugt „Wenn ihr wollt, können wir heute gleich aufbr…“

Plötzlich stockte Amrûn der Atem. Während er sprach sah er sich die verzweifelten Gesichter der Menschen auf den Nachbartischen. Inmitten der bedrückenden Stimmung begengete ihm ein Lächeln. „Kann es denn sein?“, sagte er zu sich selbst und ging eiligst zu dem Tisch. Das kleine Mädchen stand auf und stieg über die Sitznachbarn hinweg um dem Elben in die Arme zu fallen.

Armûn umfasste sie mit festem Griff und streichelte über ihr dunkelblondes Haar.
„Das ich dich noch einmal sehen darf“, flüsterte er und kämpfte dabei mit den Tränen, einen Kampf, den das Mädchen längst verloren hatte „Meine kleine, tapfere Irwyne.“
„Hallo Amrûn!“, schluchzte sie.
„So oft hab ich an dich gedacht, habe gehofft, dass du überlebt hast. Ich sah dein Lächeln vor meinen Augen und hörte deine helle klare Stimme. Wie lange ist es denn her?“

Sie rang sich ein lächeln ab und blickte ihm ins Gesicht:
„Ein Jahr… mehr als ein Jahr ist es her, dass meine Mutter, mein Onkel, meine Tante und meine Vetter ermordet wurden. Mehr als ein Jahr, dass du mich alleine in Firnharg hast zurück gelassen. Unzählige Tage…“, antwortete sie in leicht vorwurfsvollem Ton.
„Alle sind in der Schlacht gestorben? Nein! Nein, das wollte ich nicht.“
„Ich auch nicht, doch es ist nunmal so geschehen. Ich bin nur froh, dass es dir gut geht.“
„Damals wurde ich überwältigt und sie nahmen mich gefangen. Ich sah, wie sich die Dorfbewohner noch verteidigten, doch dann wurde ich ohnmächtig. Ich erwachte erst wieder weit im Norden nahe Isengart, wo ich von meinen Freunden befreit wurde. Ich hätte dich niemals mit Absicht alleine dort gelassen.“
„Das weiß ich doch.“
Nochmals umarmte sie Amrûn.
„Komm, setzt dich zu uns und erzähle mir von damals, wie du, tapferes Mädchen, überlebt hast und bis hierher gekommen bist und ich stelle dir meine Freunde vor.“

Die mittlerweile 16-jährige Irwyne setzte sich zu Amrûn an den Tisch und die wenige Zeit die sie hatten sprachen sie über das vergangene Jahr. Das Mädchen erzählte von der schwierigen Wanderung von Firnharg nach Edoras, das sie vollkommen zerstört vorfand und ihrem weiteren Weg nach Dunharg. Ein Jahr lang war sie einsam, hatte keine Familie, keine Freunde und fand nirgends Anschluss in diesem misstrauischen Land.

Er erzählte von seinem vergangenen Jahr. Vom Fall Isengarts, dem Triumph Sarumans und der schleichenden Gefahr der Lothlorien nun ausgeliefert war.

„Morgen schon werden wir weiterreiten. Es bleibt nicht viel Zeit, so vermuten wir ehe Saruman zum ersten Schlag ausholt. Wir können leider nur Ahnen wo uns dieser treffen wird.“
„Dann lässt du mich ein weiters Mal zurück.“
„Doch nun in sicherer Umgebung. Dunharg ist nur schwer einzunehmen, wenn es Menschen gibt die es verteidigen.“
„Da magst du Recht haben, aber was ist, wenn ich dich bitte mit dir zu kommen? Hier habe ich keine Freunde, keine Familie. Ich hab nur dich.“
„Ich habe dir einst ein Versprechen gegeben, auf dessen Einhaltung du noch wartest. Natürlich kannst du mitkommen, doch da wo ich hingehe ist es gefährlich und vielleicht kommen wir für lange Zeit nicht mehr zurück.“

Für einen kurzen Moment überlegte sie, doch dann nickte sie mir zustimmend zu.
Noch ehe der Morgen graute saßen die Elben, Amrothos und Irwyne auf die Pferde auf und ritten in Richtung des goldenen Waldes.

Antien, Faendir, Amrûn, Oronêl, Celebithiel, Amrothos, Irwyne und die Grenzwächter auf dem Weg nach Lothlorien.
« Letzte Änderung: 27. Sep 2013, 08:52 von Eandril »
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Melkor.

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Re: Dunharg und das Hargtal
« Antwort #1 am: 16. Mär 2017, 00:22 »
Cynewulf aus Helms Klamm

Nach einer tagelangen Reise durch die grünen, flachen Steppen Rohans erreichte Cynewulf schließlich das Hargtal und die Umgebung von Hochborn. Obwohl er die Gegend bestens kennen sollte, erkannte er seine Heimat kaum wieder. Die alten Felder mussten schon länger brach liegen, den sie waren mit wildem Gras bewachsen. Je näher er an das Dorf kam, desto weniger große Bäume waren zu sehen. Sie waren dem Feuer zum Opfer gefallen, das Hochborn verwüstet hatte als die Orks es überfallen hatten. Im Dorf angekommen erlebte Cynewulf ein Grauen, wie er es lange nicht erfahren hatte. Er hatte gehört dass Hochborn verwüstet worden war, hatte es sich jedoch nie so schlimm vorgestellt. Sämtliche Gebäude waren niedergebrannt. Der Boden war an vielen Stellen schwärzlich verfärbt. Langsam schritt Schildbrecher durch das Dorf. Vor einem Gebäude stoppte Cynewulf sein Ross und saß ab. Er nahm einen Apfel aus der Tasche die seitlich am Sattel hing und hielt ihn dem Pferd hin. Dankbar nahm des Tier die Gabe an. Dann setzte er den Weg durch das Dorf fort.

Schließlich stand Cynewulf vor der ehemaligen Türschwelle des Familienhofes seiner Eltern. Dutzende Erinnerung stiegen vor seinem inneren Auge auf. In den Gehegen fand er einzelne Knochen der Pferde oder Rinder die dort gehalten worden waren. Er ging weiter. Vor dem Überresten von Cynerics Haus blieb er kurz stehen und betrat danach die Hausruine. Den Grundriss der Zimmer konnte er noch erkennen, da diese aus Stein gemauert worden waren. Im ehemaligen Zimmer seiner Nichte blieb er stehen. Erneut zogen dutzende Erinnerung, schöne Erinnerungen, an ihm vorbei. Die Sonne stand mittlerweile fast senkrecht über dem Dorf und Cynewulf konnte etwas Glitzerndes im Dreck liegend entdecken. Langsam ging er auf den sonderbaren Gegenstand zu und hob ihn vorsichtig auf. Es war eine alte Kette, einfach und schlicht gehalten die einen kleinen Anhänger in Form einer Träne hatte, dennoch war sie für Cynewulf vom größten Wert. Er hatte sie mit größter Anstrengung selbst geschmiedet und sie später der kleinen Déorwyn zu ihrem sechsten Geburtstag geschenkt...

~~~

"Vorsichtig, du musst keine Angst vor ihm haben," beschwichtigte Cynewulf das kleine Mädchen.
"Ich will nicht runterfallen," gab sie ängstlich zurück.
"Wirst du schon nicht, du musst nur ein bisschen lockerer werden und dich nicht so verkrampfen," ermunterte er sie und gab der jungen Déorwyn neuen Mut. Heute war ihr sechster Geburtstag und auf Bitten seines Bruders nahm Cynewulf seine kleine Nichte für einige Stunden in seine Obhut. Er verbrachte gerne Zeit mit Déorwyn und machte oft Blödsinn mit ihr. "Ja, Ja so macht man das, weiter so," meinte er und lief neben dem Pferd her, auf dem seine Nichte ritt, die Hand stets nur wenige Zentimeter vom Zügel entfernt.
Mit der Zeit wurde Deorwyn immer sicherer. Nach gut einer Stunde kam Cyneric zurüc um nach ihr zu sehen. "Schau, Papa, ich kann reiten" rief sie zu ihm.
"Ich sehe es," antwortete ihr Vater mit gewisser Verwunderung. "Aber jetzt komm - wir haben eine kleine Überraschung für dich."
Cynewulf nahm die Zügel in die Hand, stoppte das Pferd und hob Déorwyn schließlich wieder herunter. Im Haus angekommen bekam Déorwyn einige kleine Geschenk und so überreichte Cynewulf seiner kleinen Nichte die Kette. Mit einem Satz sprang sie ihm um die Schultern und umarmte ihn fest. "Dankeschön," sagte sie und löste die Umarmung.
"Sie scheint dir zu gefallen," gab Cynewulf zurück.
"Ja das tut sie." Déorwyn lächelte glücklich.


~~~

Das Bild verschwomm wieder und Cynewulf kehrte in die Gegenwart zurück. Er steckte die Kette in einer der Taschen. Ich werde dich wieder finden, meine kleine Déorwyn, versprach er sich und ging zurück zu seinem Pferd. Mit einem Satz schwang er sich auf den Rücken seines Hengstes und lenkte ihn Richtung Gondor, das Hargtal hinauf. Er hoffte, in Gondor Hinweise über den Verbleib seiner Familie finden zu können...

Cynewulf zu den Pfaden der Toten
« Letzte Änderung: 27. Mär 2017, 07:39 von Fine »
Er hat noch gezuckt weil ich ihm meine Axt in seine Nervenstränge getrieben habe.

-Gimli Gloinssohn zu Legolas, Schlacht bei Helms Klamm-

Fine

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Stormhére
« Antwort #2 am: 9. Apr 2018, 15:36 »
Valion aus dem Schwarzgrundtal


Valion passierte das Tor zum Dimholt, der engen Schlucht die jenseits des Eingangs zu den Pfaden der Toten lag und die bei den Rohirrim einen schlechten Ruf hatte. Und kaum war er hindurch, landete ein großes Netz in seinem Gesicht und riss ihn vom Rücken seines Pferdes. Unsanft landete er auf dem weichen Grasboden neben der Straße, die durch die Schlucht führte. Seine Augen brauchten einen Augenblick, um sich nach der Finsternis der Pfade der Toten an die Helligkeit draußen zu gewöhnen, weshalb er anfänglich nur verschwommene Schemen erkennen konnte, die sich über ihn beugten. Was er allerdings allzu gut spürte, war die kalte Speerspitze, die man ihm auf die Brust setzte.
“Was soll denn das,” beschwerte er sich ächzend. “Herr Duinhir schickt mich.” Er hob den linken Arm, an dem das schwarze Stück Stoff befestigt war und das ihn als Gesandten Gondors kennzeichnete.
Mehrere Stimmen tauschten einige Worte auf Rohirrisch aus, ehe jemand Valion unter die Schultern griff und ihn auf die Beine zog. Endlich konnte er erkennen, dass er von Wachen der Eorlingas umstellt war, die Speere und Schwerter gezogen hatten. Doch waren ihre Klingen zuvor noch auf Valion gerichtet gewesen, ließen sie sie nun sinken.
“Ihr müsst entschuldigen,” sagte einer, der der Anführer zu sein schien. Bart und Haare waren grau, und er trug im Gegensatz zu seinen Kumpanen keinen Helm. “Es gab vor wenigen Stunden einen Vorfall. Jemand kam durch die Pfade, der behauptete, im Namen Gondors zu sprechen. Als man das Siegel des Herrn Duinhir nicht an ihm fand, erschlug er kurzerhand zwei gute Männer und entkam nach Nordosten, auf einen kleinen Gebirgspfad hier in der Nähe.”
“Dieser Mann ist der Grund, weshalb ich hier bin,” erklärte Valion und rieb sich den schmerzenden Rücken. “Er hat Verrat und Verbrechen gegen Gondor begangen und ist auf der Flucht. Ich werde ihn aufhalten und zur Rechenschaft ziehen.”
“Auch die Söhne Eorls werden sich nun an ihm rächen wollen,” meinte der Wachhauptmann. “Das Blut der Unschuldigen schreit nach Vergeltung.”
“Dann tätet ihr gut daran, mich gehen zu lassen, damit ich ihm weiter nachjagen kann,” schlug Valion vor.
Der Alte nickte. “Reitet rasch weiter nach Dunharg, weniger als eine Meile von hier entfernt. Und dort, auf der Ostseite der Bergfestung, gibt es einen kleinen Pfad, der erst vor Kurzem entdeckt wurde und der hinab in die Ostfold führt. Pferde können ihn nicht benutzen; dafür ist er zu steil und zu steinig. Dort werdet Ihr die beste Gelegenheit bekommen, diesen Mörder einzuholen. Ist er erst auf den Ebenen der Ostfold angekommen, wird sich die Suche als deutlich schwieriger erweisen.”
Valion lief los und rief dem Wachhauptmann im Laufen zu: “Entsendet dennoch Reiter durch das Hargtal zu der Stelle, an der der Pfad das Gebirge verlässt! Vielleicht seid ihr schnell genug, um ihn dort abzufangen.”

Dunharg lag auf einem breiten Plateau zwischen zwei großen Berggipfeln, das nach Nordwesten an einer gewaltigen Felskante endete. Dort ging es viele hundert Meter steil nach unten hinab. Zugang zu der Bergfestung bot ein sich windender, steiler Weg, der in die Felskante hinein gegraben worden war. Oberhalb dieses Weges standen die Zelte der Wächter des Dimholts, doch auch einige relativ neu aussehende Häuser waren dort erbaut worden und Dorfbewohner gingen ihren Tätigkeiten nach. Sogar einige Kinder waren zu sehen, die zwischen den Häusern spielten. Doch Valion hatte keine Zeit, um anzuhalten. Er fand den Pfad, den der Wachhauptmann ihm beschrieben hatte, am nordöstlichen Ende Dunhargs gelegen. Zwischen zwei aufrecht stehenden Felsen schlängelte sich ein steiniger Weg hinauf ins Gebirge, dessen Gipfel die Bergfestung an drei Seiten umgaben. Valion stieg ab und ließ sein Pferd dort stehen. Die Rohirrim würden sich gut darum kümmern, das wusste er.
Er kam gut voran, denn da er den Großteil des Weges von Anfalas hierher auf dem Rücken seines Reittiers zurückgelegt hatte, war er trotz der Strapazen des langen Rittes noch mehr oder weniger ausgeruht und schlug ein rasches Wandertempo an. Umgeben von steilen Bergwänden schlängelte sich der Pfad in grober nordöstlicher Richtung weiter und weiter in das Weiße Gebirge hinein, und Valion stieg höher und höher. Dunharg war nicht mehr zu sehen, als er auf den ersten Hinweis stieß.

Mitten auf dem Weg lag ein toter Ork. Daneben lehnte ein Soldat Rohans an einem großen Felsen, das vom schwarzen Blut befleckte Schwert neben sich. Er schien sehr erschöpft zu sein, denn er bemerkte Valion erst, als dieser bereits heran gekommen war.
“Seid Ihr verletzt, guter Mann?” fragte Valion rasch.
“Nein, nein, nur etwas außer Atem,” erwiderte der Eorling. “Dieser hinterlistige Bursche hat mich überrascht, und es hat mich einiges an Anstrengung gekostet, ihn loszuwerden.” Er versetzte dem toten Ork einen schwachen Tritt und lächelte. “Eigentlich war ich hinter dem Mistkerl her, der zwei meiner Gefährten am Dimholt ermordet hat. Aber obwohl unsere Königin Rohan von der Besetzung durch die Orks Mordors befreit hat, gibt es in letzter Zeit immer wieder Angriffe aus dem Gebirge. Herr Erkenbrand glaubt, dass sich die letzten Überlebenden der ehemaligen Besatzer im Gebirge gesammelt haben und inzwischen mutig genug geworden sind, um immer wieder Überfälle gegen uns zu starten.”
“Zumindest diesen Überfall scheint Ihr im Griff zu haben,” erwiderte Valion, der es eilig hatte. “Seid unbesorgt. Ich jage denselben Mörder wie Ihr, und ich bin ausgeruht genug um ihn einzuholen. Bleibt hier und ruht Euch aus - ich setze die Jagd fort.”
“Möge Eure Klinge ihr Ziel rasch finden,” wünschte ihm der Soldat Glück. Als Valion schon beinahe außer Hörweite war, rief der Mann ihm noch hinterher: “Wenn Ihr die Stormhére trefft, versucht sie nicht wütend zu machen...“
Was das wohl zu bedeuten hat? fragte sich Valion, doch er entschied, dass ihm die Zeit für eine ausführliche Erklärung fehlte, und so eilte er weiter.

Es dauerte zwei Stunden, in denen Valion sich mühselig durch das Gebirge kämpfte. Der Pfad war an vielen Stellen überaus steil, nur um dann wieder tief hinab abzufallen und durch dunkle Schluchten zu führen, in die nur wenig Sonnenlicht hinab fiel. Die Gipfel ringsum waren bereits von einer frischen Schicht Schnee bedeckt. Der Weg selbst war erst vor wenigen Jahren angelegt worden und war an einigen Stellen von herabgestürzten Steinen blockiert, die Valion vorsichtig überklettern musste. Dann endlich erreichte er die obere Kante eines weiteren steilen Hanges, auf den der Pfad in Schlangenlinien hinauf führte. Oben angekommen konnte er zum ersten Mal auf die andere Seite des Gebirges blicken und sah die weiten, grünen Felder von Rohans Ostfold, die sich vor ihm ausbreiteten. Für einen Augenblick blieb Valion stehen und nahm den Anblick in sich auf. Es war das erste Mal in seinem Leben, dass er nach Rohan kam.
Ein lautes Geräusch zog seine Aufmerksamkeit auf sich und er entdeckte weiter unten, wo der Pfad zur Ebene hinab abstieg, zwei Gestalten, die offenbar miteinander kämpften. Das Klirren von Stahl auf Stahl war zu hören. Rasch setzte sich Valion in Bewegung. Je näher er kam, desto sicherer wurde er sich, dass er den Verräter Gilvorn endlich gefunden hatte. Doch sein Weg führte Valion steil bergab, und er musste aufpassen, dass er nicht stürzte.
Endlich war er nahe genug gekommen. Es gab nun keinen Zweifel mehr: Gilvorn, der Valions Großvater kaltblütig ermordet und Verrat gegen Gondor und Dol Amroth begangen hatte, kämpfte dort gegen eine Gestalt, die einen grauen Umhang mit Kapuze trug und in jeder Hand eine Waffe trug: links ein Schwert, rechts eine Axt. Valion konnte Gilvorns Gegner nur von hinten sehen, doch er nahm an, dass es sich dabei um einen der Rohirrim-Wächter handeln musste, der den Verräter eingeholt und gestellt hatte. Rasch zog Valion seine eigenen Schwerter und machte sich bereit, in den Kampf einzugreifen.
Er war nur noch wenige Schritte entfernt, als Gilvorn sich unter einem gegen seinen Kopf gezielten Axthieb wegduckte und mit seinem eigenen Schwert einhändig zuschlug. Sein Gegner parierte den Angriff, doch es war nur eine Finte gewesen. Gilvorns Dolch, den er mit der freien linken Hand gezogen hatte, blitzte auf und ein lauter Schmerzensschrei ertönte. Valion war überrascht als er erkannte, dass es sich um die Stimme einer Frau handelte.
“Du kommst zu spät, Valion,” sagte Gilvorn keuchend, aber mit einem Lächeln im Gesicht. Seine Gegnerin taumelte und fiel getroffen rücklings zu Boden. “Wie immer zu spät.” Gilvorn steckte Schwert und Dolch weg und machte mehrere Schritte rückwärts, den Hang hinab.
“Ich lasse nicht zu, dass du dich deiner gerechten Strafe entziehst,” entgegnete Valion und setzte sich in Bewegung, um Gilvorn zu folgen.
“Oh, das würde ich an deiner Stelle nicht tun,” sagte Gilvorn. “Jemand muss sich um sie kümmern, oder sie verblutet. Ich kenne dich - so kaltherzig bist du nicht.”
“Hör nicht auf ihn und schnapp ihn dir, du Idiot,” kam es von der Verletzten, die beide Hände auf ihren Unterleib gepresst hatte. Die Rüstung aus festem Leder, die sie trug, hatte den Dolch Gilvorns nicht aufhalten können. Ein stetig wachsender roter Blutfleck drang zwischen ihren Fingern hervor.
Gilvorn schüttelte mahnend den Kopf. “Selbst dem Tode so nahe ist ihre Zunge noch immer so scharf,” sagte er. “Soll Herr Duinhir so also auch noch sein drittes und letztes Kind verlieren?”
Erst jetzt fiel Valion das Abzeichen von Erech auf, das unter dem Weißen Baum auf der Lederrüstung prangte: eine schwarze Kugel, die für den geheimnisvollen Stein Isildurs stand, der nahe Erech auf dem Gipfel eines kleinen Hügels ruhte. Und wie aufs Stichwort fiel der jungen Kriegerin die Kapuze vom Gesicht und er konnte ihr Gesicht sehen. Rotblonde Haare, die zu einem breiten Zopf geflochten waren rahmten hübsche, aber schmerzverzerrte Gesichtszüge ein und in den grünen Augen brannte ein wildes Feuer. So traf Valion zum ersten Mal Rinheryn von Erech, die Erbin des Tales von Morthond, die von den Rohirrim Stormhére getauft worden war.
“Verdammt,” fluchte er, als er erkannte, dass Gilvorn recht hatte. Er konnte Rinheryn nicht einfach verbluten lassen. Das war er Duinhir schuldig, der bereits seine beiden Söhne Duilin und Derufin auf den Feldern des Pelennor verloren hatte.
“Vielleicht bleibt dir noch genügend Zeit, um sie zu retten, vielleicht aber auch nicht.” Gilvorn klang tatsächlich so, als würde er sich um das Leben der jungen Kriegerin sorgen, doch Valion wusste genau, dass der Verräter sich nur um sich und um sein eigenes Volk scherte.
“Ich werde dich erneut finden, und endgültig aufhalten,” versprach er Gilvorn.
“Rechne besser nicht damit, Valion,” antwortete dieser. “Es ist ein großes, weites Land dort unten. Ich werde längst fort sein, wenn du die Ostfold erreichst.”
“Wir werden sehen, Verräter.”
Gilvorn drehte sich um und eilte davon, ohne eine weitere Antwort zu geben.

“Du... halsstarriger Narr,” stieß Rinheryn angestrengt hervor. “Ich hatte ihn... beinahe.”
Valion kniete sich neben sie und schnitt rasch von ihrem Umhang genügend Stoff ab, um eine einfache Bandage daraus zu fertigen. Doch er konnte sehen, dass die Blutung noch nicht gestillt worden war. Er erkannte, dass er die junge Frau zu einem Heiler bringen musste.
Rinheryn schien das ebenfalls erkannt zu haben. “Dort unten... ist ein Dorf der Rohirrim... es heißt Firnharg.” Sie deutete angestrengt in die Richtung, in die Gilvorn gegangen war. “Stütze mich, dann... sollte ich es schaffen... bis dahin... durchzuhalten.”
Er legte ihren Arm um seine Schulter und half ihr vorsichtig auf die Beine. Langsam machten sie sich auf den Weg nach Nordosten, auf die Ostfold zu.
“Du bist also Duinhirs Tochter?” fragte Valion, während sie weitergingen. “Wo warst du denn, als deine Heimat angegriffen wurde?”
“Du meinst die Schlacht... im Tal? Ich war hier, in Rohan... und habe Orks gejagt,” antwortete Rinheryn. “Einige von ihnen... waren auch in Morthond gesichtet worden... und ich schwor, keinen von ihnen... entkommen zu lassen. Also folgte ich ihnen... bis nach Rohan. Die Rohirrim... nahmen meine Hilfe nur zu gerne an. Doch was... tust du hier? Wer bist du?”
“Ich bin Valion vom Ethir, und jage Gilvorn, den Verräter. Wärest du nicht gewesen, hätte ich ihn bereits erwischt.” Er hatte es nicht so anklagend gemeint, wie es geklungen hatte, also fügte er rasch hinzu: “Nichts für ungut, äh... wie heißt du eigentlich?”
“Valion vom Ethir. Wirklich. Und ich bin die Königin Berúthiel von Gondor.” Rinheryn sprach nun mit weniger Problemen. Vermutlich war ihre Blutung inzwischen versiegt, doch sie schwebte noch immer in Lebensgefahr.
“Du glaubst mir also nicht.”
“Wärest du wirklich dieser selbstverliebte, schwerenötige Schönling Valion, hättest du ein einziges Mal in deinem Leben das Richtige getan und hättest mich links liegen lassen. Ich wäre schon zurecht gekommen.”
Trotz der Umstände musste Valion lachen. “Du wärst wenige Minuten nach meinem Abgang verblutet.”
“Und du hättest den Verräter erwischt. Das wäre es wert gewesen. Es wäre gerecht gewesen. Dafür wäre mein Tod kein zu großes Preis gewesen.”
“Ein ausgeprägter Sinn für Gerechtigkeit, wie mir scheint,” sagte Valion. “Und dennoch glaubst du mir nicht, wenn ich dir die Wahrheit sage? Ich bin Valion, Held von Gondor, der die Herrin Lothíriel aus Umbar gerettet und sicher nach Hause gebracht hat.”
Rinheryn musterte ihn, während sie sich mühsam den Pfad hinab schleppte. “Also gut. Du bist vermutlich wirklich Valion vom Ethir. Das klang gerade schon eher nach dir. Ich bin Rinheryn von Erech... aber das ist ein unsinniger, blöder Titel. Er macht mich nicht zu etwas Besonderem... das mache ich selber. Du kannst mich Rinya nennen.”
“Rinya also. Kurz und prägnant. Gefällt mir.”
“Halt den Mund und geh schneller. Die Schmerzen sind gerade noch so zu ertragen.”
“Dort vorne liegt schon das Dorf. Halte durch, es ist nicht mehr weit.”


Valion und Rinheryn nach Firnharg am Weißen Gebirge
« Letzte Änderung: 26. Apr 2018, 12:21 von Fine »
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Die Ruinen von Hochborn
« Antwort #3 am: 18. Dez 2018, 22:51 »
Oronêl und Kerry aus Edoras


Die Straße von Edoras, die durch das Hargtal hinauf bis nach Dunharg führte, stieg zunächst nur sehr sanft an. Der Ausgang des Tales war geprägt vom Fluss Schneeborn, der aus dem Gebirge hinab strömte und sich jenseits von Edoras mit der Entwasser vereinte. Oronêl und Kerry hatten den Fluss auf einer breiten Holzbrücke direkt außerhalb der Hauptstadt Rohans überquert und waren dann der Straße nach Süden gefolgt. Die Spitzen des Weißen Gebirges ragten weit oben über ihren Köpfen hinauf. Drei besonders markante Gipfel stachen daraus hervor, wie ein breites Massiv, das das Land der Pferdeherren bewachte. Kerry, nein Déorwyn, kannte ihre Namen seit ihrer frühsten Kindheit, war sie doch in deren Schatten aufgewachsen: Starkhorn, Irensaga, und in der Mitte der düstere Dwimorberg.
Mit jedem Schritt, den Kerry auf Oronêls Spuren ins Hargtal hinein tat, wurde ihr mehr bewusst, dass sie tatsächlich ihre alte Heimat wiedersehen würde. Hochborn, die kleinste der drei Siedlungen im Hargtal, lag zwar etwas abseits der Straße nach Dunharg, doch man konnte das Tal nicht hinauf gehen, ohne das Dorf zumindest von Weitem zu sehen.
Kerry seufzte. Ihre Zweifel an ihrem Vorhaben, Oronêl irgendwie auf dem Weg nach Dol Amroth von seiner Fahrt in den Westen aufzuhalten, waren seitdem sie die Grenzen Rohans überschritten hatte, immer wieder angewachsen. Jetzt, da sie das Weiße Gebirge erreicht hatte, konnte sie deutlich sehen, was die Berge für sie darstellten: Eine Entscheidung, die sie treffen musste. Jenseits der Berge lag Gondor - ein Land, das Kerry niemals betreten hatte. Sie hatte Geschichten darüber gehört, doch diese hatten meistens von Kampf und Krieg gehandelt, und davon hatte sie im Norden bereits genug erlebt. In Gondor lag der Hafen von Dol Amroth - Oronêls Ziel und dem Plan nach letzter Aufenthaltsort in Mittelerde. Doch abgesehen davon gab es nichts, was Kerry dazu motivierte, das Gebirge zu durchqueren und sich weiter gen Süden zu wenden.
Denn auf der Nordseite des Weißen Gebirges lag so vieles, das sie zum Bleiben rief. Der Weg nach Eregion führte durch die Pforte von Rohan und zum Wiedersehen mit Mathan, Halarîn und den übrigen von Kerrys elbischen Freunden. Eigentlich alle, die Kerry kannte, lebten in Eriador oder in Rhovanion - in Gondor wäre es nur Oronêl, der, sollte Kerry scheitern, bald schon verschwunden wäre und sie ganz allein in einem ihr fremden Land zurücklassen würde. Außerdem lag Dunland auf dem Weg nach Eregion, und Aéd selbst, den Kerry in Edoras knapp verpasst hatte, war sogar nach Rohan gekommen. Er würde es sich ganz gewiss nicht nehmen lassen, Kerry auf dem Weg nach Eregion zu begleiten. Und Kerry war einem Wiedersehen mit dem Wolfskönig der Dunländer ganz gewiss nicht abgeneigt.
Rohan selbst bot weitere Gründe dafür, auf der Nordseite der Berge zu bleiben. Kerry konnte sich im Hargtal nach alten Bekanntschaften umhören und vielleicht herausfinden, ob noch jemand aus Hochborn überlebt hatte. Und sie konnte nach Aldburg gehen und mit etwas Glück einen Hinweis auf den Aufenthaltsort ihres Vaters erfahren oder dort auf seine Rückkehr warten.
Erschrocken stellte Kerry fest, dass es allein Oronêls Schicksal war, das jenseits des Gebirges lag. Abgesehen davon gab es nichts, was Kerry weiter nach Süden zog. Sie rieb sich die Schläfen. Ihr Kopf tat weh vom vielen Nachdenken.
"Kerry?" fragte Oronêl, der stehen geblieben war und sich nach ihr umblickte. "Ist alles in Ordnung?"
Sie antwortete nicht. Denn sie hatte keine Antwort auf diese Frage.
"Kerry," sagte Oronêl, mit etwas mehr Nachdruck. "Lass' uns weitegehen. Ich hatte gehofft, vor Einbruch die Pfade der Toten zu erreichen und entweder in Dunharg zu übernachten oder vielleicht sogar noch bis nach Gondor vorzurücken."
Kerry blickte sich um und stellte fest, dass sie das Dorf Unterharg bereits passiert hatten und den Weg bis nach Dunharg schon bis zur Hälfte hinter sich gebracht hatten. Die Landschaft, die von der bereits tief stehenden Sonne erhellt wurde, kam ihr unglaublich vertraut vor. Jenseits des kleinen Wäldchens, das sie gerade durchquerten, lag die Wegkreuzung von Hochborn. Kaum einen Steinwurf von der Straße entfernt hatte Déorwyns Heimatdorf einst gestanden. Und nun, so nahe an der Heimat, musste Kerry feststellen, dass sie vor Anspannung kein Wort herausbekam. Sie musste Hochborn sehen.
Sie rannte los, verfolgt von Oronêls verwirrten Rufen. Doch sie schenkte ihm keine Beachtung. In diesem Moment zählte es nicht, was er von ihr denken mochte. Ihre Füße vergaßen die Strapazen der langen Reise vom Waldlandreich bis nach Rohan und sie sprintete aus dem Wäldchen hinaus, mitten auf die Felder, die sich in das enge Tal rings um Hochborn schmiegten. Und dann sah sie es. Sie war ... zu Hause.

Hochborn lag vor ihr. Die meisten Häuser waren noch in demselben Zustand wie in ihren Erinnerungen, die sich nun nicht länger verdrängen ließen. Vor ihrem inneren Auge loderten die Flammen des Krieges erneut auf und verschlangen das Dorf, in dem sie ihr ganzes Leben lang gewohnt, gelacht und gelebt hatte. Kerry blinzelte heftig und rieb sich die Augen. Rauch und Feuer verschwanden und zeigten ihr die kalten, verkohlten Ruinen des Dorfes, die in all den Jahren beinahe unangetastet geblieben waren. Die wenigen Überlebenden mussten sich wohl in Dunharg angesiedelt haben, vermutete sie. Schweigend stolperte sie durch das verlassene Hochborn. Ohne dass sie ihre Schritte bewusst lenkte, trugen ihre Füße sie zu dem kleinen Haus, das am Westrand des Dorfes nahe der Klippen des Starkhorns gestanden hatte. Nur die Grundfesten waren davon übrig geblieben. Daneben war ein einsamer Grabstein in den Boden getrieben worden. Kerry musste die Runen darauf nicht lesen, um zu wissen, dass hier ihre Mutter begraben lag. Sie hätte weinen sollen, doch ihre Augen blieben trocken. Zu viel war geschehen, und zu wenig hatte sie verarbeitet, was hier geschehen war, um die richtigen Gefühle zu finden und Schmerz und Verlust anzunehmen. Sie fiel auf die Knie und schloss die Augen, unfähig, irgend etwas anderes zu tun.

Oronêl war lautlos heran gekommen. Kerry spürte mehr als dass sie es wirklich wahrnahm, dass er da war. Doch dann legte er ihr die Hände auf die Schultern und das brachte sie dazu, tief einzuatmen.
"Dies war... Hochborn? Deine Heimat," stellte er fest, einen seltsamen Klang in der Stimme.
Sie nickte und fragte sich, ob er sich wohl über den Umweg ärgerte, zu dem Kerry ihn gezwungen hatte.
"Auch ich habe mein Zuhause an ein Feuer verloren," fuhr Oronêl fort. "Du bist mutiger als ich es bin, Kerry, wenn du die Kraft gefunden hast, hierher zurückzukehren."
"Ich... ich konnte doch nicht einfach... daran vorbeigehen," stammelte Kerry.
Oronêl seufzte. "Nein, vermutlich nicht."
"Lass uns heute Nacht hier bleiben," bat Kerry und erhob sich, drehte sich zu Oronêl um. Sie erschrak, als sie den Unwillen in seinen Augen sah. "Bitte," fügte sie leise hinzu. "Das Nachbarshaus ist noch beinahe intakt. Ich... kann heute nicht weitergehen, Oronêl, ich kann einfach nicht."
Oronêl schien mit sich zu kämpfen. Sie sah, wie Mitleid über sein Gesicht huschte und mit dem Wunsch stritt, so rasch wie möglich Dol Amroth zu erreichen.
"Nur eine Nacht," flehte Kerry. "Gondor wird doch gewiss auf uns warten, oder nicht?"
Die Art und Weise, wie Oronêls Brauen sich um eine Winzigkeit bei ihren letzten Worten hoben, machten Kerry klar, dass sie zuviel gesagt hatte. "Auf uns?" wiederholte Oronêl und er verschränkte die Arme vor der Brust. "Kerry, du willst doch gar nicht wirklich nach Süden gehen. Dein Gesichtsausdruck, seit wir Rohan betreten haben, spricht Bände. Alles was dir wichtig ist, ist auf dieser Seite des Gebirges."
Kerry, erstaunt und verärgert darüber, wie leicht es Oronêl offenbar fiel, ihre Gedanken zu erraten, holte tief Luft. "Du hast mir nicht zu sagen, was ich will, oder nicht. Ich habe mir vorgenommen, auf dem Weg nach Dol Amroth nicht mehr über deinen hirnrissigen Plan, in den Westen zu segeln zu sprechen, aber du kanntest den Preis dafür. Ich komme mit, bis du an diesem verdammten Hafen in Gondor stehst, und ich werde dich davon abbringen, dieses Schiff zu betreten, egal, was es mich kostet." Sie hatte die Hände in die Hüften gestemmt und funkelte Oronêl zornig an.
Auch sein Gesichtsausdruck war hart geworden. "Es ist Torheit, mich davon abbringen zu wollen, und Torheit, jetzt nach Gondor zu gehen, Kerry. Du wirst dort nichts erreichen, denn meine Entscheidung steht fest. Und dann wirst du in Dol Amroth auf dich allein gestellt sein, ohne Freunde und Bekannte, und dir wünschen, in Rohan geblieben zu sein."
"Und wessen Schuld wird es gewesen sein, wenn ich einsam am Hafen zurückbleiben muss?" hielt Kerry dagegen.
"Ich streite mich nicht mit dir darüber," sagte Oronêl, eindeutig verärgert. "Hör auf meinen Rat und lass mich ziehen. Bleibe in Rohan."
"Auch wenn du mich im Stich lassen würdest, würde ich dir so etwas niemals antun, Oronêl," schrie Kerry und jetzt begannen ihre Tränen zu fließen. Sie stolperte rückwärts, weg vom Grab ihrer Mutter und weg von Oronêl, dessen Arm sich für einen Augenblick in ihre Richtung bewegte, ehe er ihn wieder sinken ließ. "Ich lasse dich nicht alleine, und ich lasse dich nicht gehen, denn... denn dazu liebe ich dich zu sehr!"

Oronêls Mund öffnete und schloss sich wieder. Er war sprachlos. Kerry konnte ihn nicht länger ansehen, seinen Anblick keine Sekunde länger ertragen. Sie drehte sich um und hastete auf das Nachbarshaus zu. Die Tür stand offen. Sie kam in einem leeren Zimmer, in dem nichts bis auf ein staubiges Bett stand. Kerry schniefte und schlug die Tür hinter ihr zu. Dann warf sie sich auf das Bett und wollte nichts mehr hören oder sehen.
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Eandril

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Re: Dunharg und das Hargtal
« Antwort #4 am: 21. Dez 2018, 12:34 »
Oronêl verharrte wie angewurzelt, ohne sich zu rühren, während die Sonne sich im Westen allmählich dem Horizont entgegen senkte und die Spitzen der Berge rot erglühen ließ. Schließlich, es war sicherlich mehr als eine Stunde vergangen und die Sonne war beinahe vollständig untergegangen, schüttelte er langsam den Kopf, und wandte den Blick von der Tür ab, hinter der Kerry verschwunden war. Stattdessen wandte er sich dem  niedrigen Grabstein hinter sich zu, und fuhr sanft mit dem Finger über die bereits moosbewachsenen Runen. Féorthryth, stand dort, und etwas in der Sprache Rohans, das Oronêl nicht lesen konnte. Kerrys Name hingegen fehlte, und es gab auch keinen eigenen Stein für sie. Cyneric hatte seine Tochter nie ganz aufgegeben, wurde Oronêl klar, solange er keinen Beweis für ihren Tod gehabt hatte. Nie aufgeben... doch jene, die Oronêl liebte, waren wirklich tot oder fort.
Seine Hand betastete gedankenverloren die rauhe Oberfläche des Steins, während das letzte Sonnenlicht schwand und die ersten Sterne am Himmel blinkten. Mit einem Mal überkam Oronêl ein so heftiges Bedürfnis, seine eigene Tochter zu sehen und mit ihr zu sprechen, dass es beinahe schmerzte. Hier, vor dem Grabstein von Kerrys Mutter wurde Oronêl zum ersten Mal klar, wie sehr seine eigene Geschichte der ihres Vaters ähnelte. Sie beide hatten ihre Heimat in Flammen und Tod verloren, beide hatten ihre Frau verloren, jahrelang ihre Tochter verloren geglaubt, Freunde an den Krieg verloren, und lebten in einer Welt, in der es nichts mehr für sie zu geben schien.
Und doch... es gab keinen Grabstein für Kerry - für Déorwyn. Wo Oronêl aufgegeben hatte, erhielt Cyneric sich den kleinsten Funken Hoffnung. Doch für Cyneric gab es keinen Ausweg, es gab keinen Weg nach Westen, zu einem Wiedersehen mit seinen geliebten Menschen. Vielleicht hatte Kerry recht mit dem, was sie ihm in Rhosgobel vorgeworfen hatte, vielleicht war er ein Feigling, der nach dem leichteren Weg suchte, anstatt den schwereren bis zum Ende zu gehen. Zum ersten Mal seit langem begann Oronêl an seiner Entscheidung zu zweifeln.
Leichtfüßig kam Oronêl auf die Füße und wandte sich um. Die Tür des Nachbarhauses war noch immer geschlossen, und nichts regte sich dahinter. Kurz vor der Tür hielt er inne, die Hand ausgestreckt. Was sollte er sagen? Er konnte Kerry keine Hoffnung geben, denn ihm fehlte die Kraft, sich von seinem eingeschlagenen Weg abzuwenden. Und Kerry würde es auch weiterhin nicht verstehen können, ganz gleich, was er sagte, also... Oronêl unterbrach seine Gedanken, als er leisen Hufschlag vom Eingang des Dorfes hörte. In der Dunkelheit erkannte er zwei Reiter, die sich langsam der Dorfmitte näherten. Ohne einen Laut zu machen, huschte Oronêl um das Haus herum, und beobachtete die Neuankömmlinge aus dieser Deckung heraus.
"Müssen wir wirklich in diesem Geisterdorf übernachten?" Eine weibliche Stimme. "Hier ist es ziemlich gruselig."
"Ich habe dir meine Gründe erklärt, Zarifa", erwiderte eine männliche Stimme. Der Mann sprach mit einem beinahe unhörbaren singenden Akzent, der den Bewohnern Rohans zu eigen war. Dennoch blieb Oronêl ohne Bewegung in seinem Versteck, während die beiden Reiter absaßen. Wer sein Nachtlager in einem verlassenen, niedergebrannten Dorf aufschlug, hatte in der Regel seine Gründe dafür - und es wäre ein merkwürdiger Zufall, sollten noch andere ehemalige Bewohner Hochborns ausgerechnet an diesem Tag ihre alte Heimat besuchen. Die Frau stieß einen leisen Fluch aus, in einer Sprache, die Oronêl nicht kannte - was seine Besorgnis nur verstärkte. Er würde etwas unternehmen müssen, bevor Kerry das Haus verließ und den Neuankömmlingen direkt in die Arme lief.
Während jene versuchten, ein kleines Feuer in Gang zu bringen, schlich Oronêl um das Haus herum, sodass er sich nun in ihrem Rücken befand. Er brachte die wenigen offenen Meter zwischen ihnen lautlos hinter sich, schlang der jungen Frau den rechten Arm um den Hals und setzte ihr mit der Linken die Spitze seines Dolchs an den Rücken. Sie stieß einen erstickten Laut des Schreckens aus, und im selben Augenblick sagte Oronêl: "Lass deine Waffen fallen und dann dreh dich langsam um." Der Mann, der vor dem inzwischen schwach brennenden Feuer hockte, richtete sich langsam auf, und schnallte mit sparsamen Bewegungen, die einen lebenslangen Krieger verrieten, seinen Schwertgurt ab. Dabei sagte er: "Wer immer ihr seid, wir sind keine Feinde Rohans." Das Mädchen - Zarifa, erinnerte Oronêl sich, zappelte ein wenig mit den Beinen, hielt aber erneut still, als er den Druck seines Dolches verstärkte. "Sagen könnt ihr viel", erwiderte Oronêl. "Ich will..." Als der Mann sich umdrehte, verstummte Oronêl vor Überraschung und hätte beinahe den Dolch fallen gelassen. Er ließ das Mädchen los, dass sofort einen Schritt von ihm weg machte, und ihn mit einer gleichermaßen überraschten und zornigen Miene anstarrte. Oronêl musste leise über die Seltsamkeit der Situation lachen. "Cyneric, Cynegars Sohn. Ich muss gestehen, euch hätte ich hier nicht erwartet."

Oronêl - Edrahil - Hilgorn -Narissa - Milva

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Ein lang erwartetes Wiedersehen
« Antwort #5 am: 23. Dez 2018, 15:59 »
Zarifa und Cyneric aus der Wold


Nach ihrer Übernachtung in einem der kleineren Dörfer jenseits der Entfurt hatte Cyneric eigentlich vorgehabt, zunächst direkt nach Aldburg zu reiten und Erkenbrand seinen lange fälligen Bericht über die Situation zu erstatten. Doch gerade in dem Moment, als sie mit der Morgensonne aufgestanden waren (wobei Zarifa deutlich unwilliger als Cyneric die weichen Betten im Gasthaus hinter sich gelassen hatte), war ein berittener Bote in das Dorf gekommen. Der Reiter war unterwegs zur Nordgrenze Rohans und hatte kaum länger als einige Minuten Pause gemacht, um sein Pferd gegen ein frisches Ross auszutauschen. In einem eher beiläufigen Gespräch mit dem Stallburschen hatte der Bote erwähnt, dass er aus Edoras kam und der Wiederaufbau dort im vollen Gange sei.
Cyneric, der die Unterhaltung zufällig mit angehört hatte, hatte kurzerhand entschlossen, sich den Fortschritt des Wiederaufbaus mit eigenen Augen anzusehen. Er war damals dabei gewesen, als Edoras ein Opfer der Flammen des Krieges geworden war und freute sich darüber, dass die Herrscher Rohans sich nun endlich dazu entschlossen hatten, ihre rechtmäßige Hauptstadt wieder aufzubauen. Außerdem gab es einen weiteren Grund, der ihn dazu brachte, direkt nach Süden und nicht nach Osten nach Aldburg zu reiten. Jenseits von Edoras lag das Hargtal, Cynerics Geburtsort, und dort stand der Grabstein seiner Frau. Zarifa hatte er nichts davon erzählt, doch als er sein Pferd in Richtung Edoras gelenkt hatte, hatte sein Entschluss festgestanden, den Umweg bis nach Hochborn auszudehnen.

Als sie Edoras am Mittag desselben Tages erreicht hatten, wartete eine weitere Überraschung auf Cyneric. Am Tor war tatsächlich sein alter Gefährte Dunstan Wache gestanden. Er war Teil der Gruppe von heimatlosen Rohirrim gewesen, der sich Cyneric nach seiner Rückkehr aus dem Krieg in Gondor angeschlossen hatte und mit der er ein langes Jahr über Orks in Rohan gejagt hatte, bis sie sich dem Heer Éowyns und Faramirs angeschlossen hatten.
Die beiden alten Freunde hatten sich herzlich begrüßt und Dunstan hatte dem staunenden Cyneric gut gelaunt berichtet, dass es hauptsächlich Dunländer waren, die den Wiederaufbau von Edoras voran brachten.
„Und das sind noch nicht alle guten Neuigkeiten,“ hatte Dunstan lächelnd hinzugefügt. Unter Zarifas prüfendem (oder vielmehr entnervtem) Blick hatte der altgediente Krieger gesagt: „Dein kleines Mädchen, deine Déorwyn, ist hier gewesen, erst vor ein paar Stunden. Sie ist mit einem der Elben ins Hargtal gezogen.“
Cyneric war sich sicher gewesen, dass ihm Dunstan den hastigen Abschied nicht übel genommen hatte. Vielleicht würde er schon bald nach Edoras zurückkehren, an der Seite seiner Tochter, und sie würden sich in Ruhe alles erzählen können, was seit ihrem letzten Treffen geschehen war.

Der Ritt das Hargtal hinauf kam Cyneric vor, als trüge ihn Rynescéad durch einen vielschichtigen Traum. Ein leichter Nebel hatte sich zwischen den Niederungen des Tals gesammelt, während die Sonne hinter den Gipfeln verschwand und verlieh den Feldern, die Cyneric einst so gut gekannt hatte, ein geheimnisvolles und beinahe fremdes Erscheinungsbild. Sie ließen die Pferde im Schritt gehen, während sie das Dorf Unterharg passiert. Lichter von Lampen und Fackeln in der Ferne luden sie ein, die heraufziehende Nacht dort zu verbringen, und als Zarifa das Gasthaus am Eingang des Dorfes entdeckte, wollte sie ihr Pferd bereits dorthin lenken, doch Cyneric hielt sie auf.
„Wir können noch nicht anhalten,“ sagte er, mehr zu sich selbst als zu der jungen Südländerin. „Wir müssen weiter gehen... Vielleicht können wir im nächsten Dorf übernachten.“
„Wieso?“ wollte sie berechtigterweise wissen.
„Weil dort weniger Leute sind,“ gab er ihr eine knappe Antwort. Sein Mund war trocken, so trocken wie schon lange nicht mehr. Ein Teil von ihm wollte Rynescéad zum vollen Galopp antreiben, doch da waren noch immer Zweifel, die ihm eine tief sitzende Angst einflößten. Was, wenn seine Hoffnungen im letzten Moment enttäuscht wurden? Er hatte von Orks gehört, die seit der Befreiung Rohans im Weißen Gebirge ihr Unwesen trieben. Was würde sein, wenn er in Hochborn erneut nur die Leiche eines Mitglieds seiner Familie vorfinden würde?
Während sie das Wäldchen passierten, das zwischen Unterharg und Hochborn lag, musste Cyneric an seinen jüngeren Bruder Cynewulf denken, der in Helms Klamm stationiert war. Beinahe wünschte er sich, Cynewulf an seiner Seite zu wissen und sich dem, was in Hochborn auf ihn wartete, gemeinsam zu stellen. Doch dafür war es nun zu spät. Bis nach Helms Klamm war es mindestens ein Tagesritt, und wenn Cyneric jetzt zögerte, würde Oronêl mit seiner Tochter weiter nach Gondor ziehen, wie Finelleth es angekündigt hatte. Und dort würde sich ihre Spur vermutlich wieder verlieren.
Er straffte sich innerlich und beschleunigte seinen Ritt, um das Wäldchen hinter sich zu lassen.

Hochborn tauchte aus den Nachschatten auf. Es hatte sich in den Jahren seit Cynerics Rückkehr aus dem Krieg nicht verändert. Kein einladendes Feuer brannte auf dem kleinen Platz im Zentrum des Dorfes und keine Lampen spendeten den Dorfbewohnern Licht. Die Ruinen der Häuser waren nicht wieder aufgebaut worden - vermutlich hatten die wenigen Überlebenden des Ork-Angriffes sich nach Dunharg geflüchtet.
Cyneric fiel auf, dass er unbewusst den Atem angehalten hatten, sobald sie das zerstörte Dorf betreten hatten. Zarifa hingegen schien nicht dasselbe Unbehagen zu verspüren, das von Cyneric in Hochborn Besitz ergriffen hatte.
„Müssen wir wirklich in diesem Geisterdorf übernachten?“ beschwerte sie sich, als sie sich, noch immer beritten, langsam der Mitte des Dorfes näherten. „Hier ist es ziemlich gruselig.“
„Ich habe dir meine Gründe erklärt, Zarifa,“ wiegelte Cyneric sie ab. Noch immer wagte er nicht, mehr zu sagen. Eine unerklärliche Angst davor, kurz vor seinem Ziel enttäuscht zu werden, hielt ihn davon ab.
Zarifa fluchte. Cyneric hatte inzwischen genügend Zeit mit ihr verbracht, dass er die Bedeutung der haradischen Wörter, die die junge Frau ausstieß, recht gut erkannte. Er warf ihr einen Blick zu, der halb Bitte und halb Zurechtweisung sein sollte. Zarifa verdrehte die Augen und stieß vom Pferd.
Während Cyneric ebenfalls aus dem Sattel glitt, blickte er sich vorsichtig um. Zarifa hatte Recht gehabt: Hochborn wirkte finster und verlassen, was dem Dorf etwas Unheimliches verlieh. Es war zu dunkel, um nach Spuren von anderen Reisenden zu suchen. Cyneric beschloss, für etwas Licht zu sorgen und begann, auf der freien Fläche im Dorfzentrum ein kleines Feuer in Gang zu bringen. Glücklicherweise regnete oder schneite es nicht.
Ein ersticktes Geräusch, das von Zarifa zu stammen schien, ließ Cyneric mitten in der Bewegung erstarren. Eine Stimme hinter ihm sagte: „Lass deine Waffen fallen und dann dreh dich langsam um.“ Cyneric, bedacht darauf, den Unbekannten nicht durch hastige Bewegungen zu provozieren, schnallte vorsichtig seinen Schwertgurt ab. Die Waffe landete sanft im weichen Gras zu seinen Füßen.
„Wer auch immer Ihr seid - wir sind keine Feinde Rohans,“ sprach er und begann sich zu Zarifa umzudrehen.
„Sagen könnt Ihr viel. Ich will...“ Der Fremde verstummte, als seine Augen Cynerics Blick trafen.
Zarifa befreite sich aus dem Griff, in dem der Mann sie gehalten hatte. Seine Haare waren lang, doch welche Farbe sie hatten, war im Dunkeln nur schwer zu erkennen. Doch da fiel das erste Licht des langsam aufflackernden Feuers auf sein Gesicht.
„Cyneric, Cynegars Sohn. Ich muss gestehen, Euch hätte ich hier nicht erwartet,“ sagte Oronêl, Herr von Lothlórien und Finelleths Blutsverwandter.
„Herr Oronêl,“ stieß Cyneric hervor - weniger erstaunt als Oronêl es war, hatte ihm Finelleth doch bereits erzählt, in wessen Begleitung Déorwyn reiste. „Wie schön, dass Euch Euer Weg nun tatsächlich einmal nach Hochborn geführt hat.“
Zarifa warf verwirrte Blicke zwischen den beiden Männern hin und her. „Du kennst ihn?“ fragte sie Cyneric mit einem eindeutig gereizten Unterton.
„Wo sind denn meine Manieren,“ sagte Oronêl, in dessen Stimme nichts mehr von der Schärfe lag, mit der er wenige Augenblicke zuvor noch Cyneric dazu aufgefordert hatte, die Waffen fallen zu lassen. Der Waldelb deutete eine Verbeugung an und sagte: „Mein Name ist Oronêl Galion, und wenn mich meine Ohren nicht trügen - und das tun sie dieser Tage selten - lautet deiner Zarifa, richtig?“
Die junge Südländerin verschränkte die Arme vor der Brust. „Hast du uns etwa belauscht, Oronelgalion?“
„Das ist jetzt nicht wichtig, Zarifa,“ sagte Cyneric beschwichtigend. „Stattdessen...“
Oronêls Blick traf seinen. „Dort,“ sagte der Elb und deutete auf eines der wenigen noch intakten Häuser. „Ich weiß, weshalb du hier bist, Cyneric. Geh zu ihr.“
Cyneric folgte Oronêls ausgestrecktem Finger. Er erkannte das Haus. Eine junge Familie hatte dort gelebt, bis der Krieg nach Rohan gekommen war. Sie waren freundliche Nachbarn gewesen. Das Paar war bei Cynerics erster Rückkehr nach Hochborn unter den vielen Opfern der Orks gewesen.
Er begann mit langsamen Schritten darauf zuzugehen.

Das Haus lag unweit der Felswand, die das Hargtal in westlicher Richtung begrenzte. Auf dem Weg dorthin kam Cyneric am Grabstein seiner Ehefrau vorbei. Er hielt für einen Augenblick inne und beugte das Haupt in Erinnerung an Féortryth, die ihm so viele schöne Tage beschert hatte. Inzwischen war es leichter, an sie zu denken, als damals, als er sie tot auf der Schwelle seines Hauses gefunden und zu Grabe getragen hatte.
Ich frage mich, was Milva wohl von all dem hier halten würde, dachte er unwillkürlich.
Dann stand er vor der Tür des Nachbarhauses. Sie war verschlossen, aber nicht verriegelt. Im Inneren war es dunkel. Als Cyneric die Hand auf den Türgriff legte, stellte er fest, dass er zurückschreckte. Was, wenn sich jenseits dieser Tür nicht seine Tochter befand? Was, wenn Finelleth und Oronêl sich geirrt hatten? Er blieb wie versteinert stehen.
Mehrere Minuten vergingen. Dann fasste er sich ein Herz und kehrte zum Feuer zurück, um sich eine Fackel anzuzünden. Die Situation, die er dort vorfand, wäre zu jeder anderen Zeit äußerst komisch gewesen: Oronêl, der sein Messer reinigte, warf hin und wieder beiläufige Blicke zu Zarifa hinüber, die ihm am Feuer gegenüber saß und den Waldelben feindselig anstarrte. Offenbar war seit Cynerics Weggang kein Wort zwischen den beiden gefallen. Er seufzte leise. Noch etwas, worum ich mich kümmern muss, dachte er, ehe er alle Gedanken an Oronêl und Zarifa für den Moment aus seinem Kopf verbannte.
Mit der entzündeten Fackel in der Hand kehrte er zu der Tür zurück, vor der er zurückgeschreckt war. Auch diesmal gelang es ihm nicht gleich, sie zu öffnen. Doch dann gab er sich einen innerlichen Ruck und öffnete die Tür - vorsichtig und leise. Er trat über die Schwelle und warf einen Blick in den Raum, der vom Fackellicht erhellt wurde. Bis auf ein Bett in der hinteren Ecke war das Zimmer leer. Cyneric holte tief Luft und kam näher. In dem Bett lag eine schlafende Gestalt, in eine dünne braune Decke gewickelt. Ihr Rücken war Cyneric zugewandt.
Als er das Bett erreicht hatte, hielt Cyneric die Anspannung kaum noch aus. Blonde Haare lugten unter der Decke hervor. Sanft berührte er das schlafende Mädchen an der Schulter. Keine Reaktion antwortete ihm.
Er setzte sich auf die Bettkante und drehte sie vorsichtig auf den Rücken. Dann strich er ihr die Haare aus dem Gesicht und erkannte... seine Tochter. Sie war es wirklich.
„Déorwyn,“ flüsterte er. Sein Herz wollte in seiner Brust schier zerspringen. Seine Kehle schnürte sich zu und Tränen sammelten sich in seinen Augenwinkeln. Sie war es wirklich und sie war am Leben. Endlich hatte er sie gefunden.
Er wiederholte ihren Namen. Doch sie erwachte nicht. Ihm fiel auf, dass sich ihre Brust nicht bewegte. Sie wirkte als wäre sie tot.
Nein, dachte er entsetzt. Das darf nicht sein... Er erhob sich und blickte sich hastig im Raum um, als gäbe es dort irgend etwas, das ihm jetzt noch helfen könnte.
„...wer ist da? Oronêl? Ich... will nicht mit dir reden,“ murmelte eine verschlafene Stimme hinter ihm. Ihre Stimme. Er fuhr herum.
Und da war sie, halb im Bett aufgerichtet, einen wachsamen Ausdruck in ihren grünen Augen. Ihr Gesichtsausdruck, geprägt von einer Zarifa gar nicht unähnlichen Verärgerung, löste sich, als sie ihn erkannte. Große Freude und Überraschung spiegelten sich auf ihrem Gesicht und ihre Augen leuchteten.
„Déorwyn,“ sagte er voller Wärme und da fiel sie ihm um den Hals.
Seine Arme schlossen sich um sein kleines Mädchen und Cyneric wollte sie am liebsten nie mehr loslassen. Leicht wie eine Feder hielt er sie, während ihre Freudentränen seine Brust benetzten. Er legte ihr die linke Hand auf den Kopf und strich ihr sanft durchs Haar, bis sie die Sprache wiederfand.
„Wie... wie kann es nur sein, dass du hier bist?“ sagte Déorwyn.
„Ich habe dich gesucht, meine Kleine,“ antwortete er und vor seinem inneren Auge sah er erneut die lange Reise, die er hinter sich gebracht hatte, um an diesen so glücklichen Moment zu gelangen. „Es... ist eine lange Geschichte.“
„Ich will sie hören. Von Anfang an,“ forderte sie. Und da stellte er fest, dass sie, obwohl sie noch immer seine Tochter war, erwachsener geworden war. Ihr Blick huschte an ihm vorüber, zur Tür hin, und Cyneric drehte sich um. Dort stand Oronêl, gelehnt an den Türrahmen. Und hinter ihm tauchte Zarifa auf, die zwar noch etwas verärgert wirkte, aber als sie Déorwyn entdeckte, einen weicheren Gesichtsausdruck bekam.
„Ich denke, es wäre am besten, wenn wir uns in Ruhe über... all das hier unterhalten,“ sagte Oronêl. „Es gibt einige Dinge zu sagen.“
„Vermutlich hast du recht,“ antwortete Cyneric. „Doch zuerst sollten wir etwas essen - Zarifa und ich haben seit dem Mittag keine Mahlzeit mehr gehabt.“
« Letzte Änderung: 23. Dez 2018, 18:08 von Fine »
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Gegenwart und Vergangenheit
« Antwort #6 am: 31. Dez 2018, 12:23 »
Zu viert versammelten sie sich rings um das Feuer, das Oronêl inzwischen geschürt hatte und teilten ihren gemeinsamen Proviant untereinander auf. Kerry hatte so viele Fragen an ihren Vater, die sie eine nach der anderen stellen würde, und als endlich alle vier etwas zu Essen in den Händen hielten, legte sie los.
"Wie hast du mich gefunden?"
An Stelle von Cyneric antwortete das braunhaarige Mädchen, das Kerry noch nicht vorgestellt worden war. "Indem er nach dir gesucht hat," sagte sie mit einem schiefen Grinsen. "Und zwar geradezu obszessiv."
Kerrys Vater lachte. "War ich wirklich so schlimm, Zarifa?" fragte er, was die Angesprochene mit einem fröhlichen Nicken bestätigte.
"Er hat seit unserem Aufbruch aus der Hauptstadt Rhûns von kaum einem anderen Thema gesprochen."
"Und woher wusstest du, dass ich wieder in Rohan sein würde?" fragte Kerry zwischen zwei Bissen weiter.
"Die Königin des Waldlandreiches hat es mir erzählt," beantwortete ihr Vater die Frage.
"Ihr habt mit Finelleth gesprochen?"
"Offensichtlich, Kerry," warf Oronêl ein.
"Aber wie kam es, dass ihr überhaupt in den Düsterwald gegangen seid? Und wer ist Zarifa eigentlich?" wollte Kerry wissen.
Cyneric hob die Hand. "Ich glaube, es ist wohl am Besten, wenn ich ganz von vorne anfange." Er holte tief Luft und begann zu erzählen, was ihm seit seiner letzten Begegnung mit seiner Tochter zugestoßen war. Staunend hörte Kerry zu und erfuhr, wie ihr Vater Hochborn brennend und zerstört vorgefunden hatte, nachdem er aus dem Krieg in Gondor heimgekehrt war und wie er Kerrys Mutter beerdigt hatte. Wie er anschließend zwei Jahre in Dunstans Gefolge Orks in Rohan gejagt und viele Male nur knapp dem Tode entronnen war. Wie er sich schließlich Éowyns und Faramirs Heer in der Wold angeschlossen und für die Befreiung Rohans gekämpft hatte und danach seinen Posten als Gardist des Königshauses in Aldburg wieder aufgenommen hatte. Wie er Oronêl und Irwyne dort kennengelernt hatte und im Feldzug der Freien Völker gegen Dol Guldur gezogen war. Diesen Teil der Geschichte kannte Kerry bereits aus Erzählungen Irwynes und Finelleths, doch sie nun aus der Sichtweise ihres Vaters erneut zu hören, war beinahe ebenso interessant wie von den Dingen zu hören, die sie noch nicht wusste.
Als Cyneric gerade davon gesprochen hatte, wie er sich nach der Belagerung von Dol Guldur von Finelleth, Antien und Irwyne, die nach Bruchtal gingen, verabschiedet hatte, sah Kerry, wie Oronêl sich regte und zu den Sternen am Nachthimmel hinauf blickte. "So viel ist seitdem geschehen," hörte sie den Waldelb murmeln und musste wieder daran denken, dass Oronêl nach wie vor plante, nach Dol Amroth zu gehen und von dort in den Westen zu fahren. Eine Dringlichkeit ergriff sie, die für den Moment die Freude über das Wiedersehen mit ihrem Vater und ihren Wissensdurst über Cynerics Abenteuer überflügelte.
"Hör zu," sagte sie auf rohirrisch zu ihm, ehe er weitersprechen konnte. "Oronêl hat vor, Mittelerde zu verlassen. Deshalb ging ich mit ihm bis hierher, um ihn umzustimmen. Aber er hört einfach nicht auf mich. Du musst etwas unternehmen, ehe es noch zu spät sein wird!"
Ihr Vater betrachtete Kerry mit einem seltsamen Blick. Die plötzliche Stille lag schwer über der kleinen Gruppe. Oronêl, der vermutlich kein Wort verstanden aber ganz sicher seinen Namen aus Kerrys Satz herausgehört hatte, blickte sie gefasst, aber aufmerksam an. Zarifa hingegen, die als Einzige ihre Mahlzeit noch nicht beendet hatte, schaute erwartungsvoll in die Runde und schien darauf zu warten, dass Cyneric seine Geschichte weitererzählte.
Schließlich regte Cyneric sich. Kerry konnte ihm deutlich ansehen, dass sie ihn in eine schwierige Lage gebracht hatte. Soweit sie es verstanden hatte, sah Cyneric Oronêl als jemanden an, der im Stand deutlich über ihm selbst stand, denn er war bei der Ratsversammlung der Freien Völker in Aldburg als Herr von Lothlórien vorgestellt worden und teilweise auch so behandelt worden. Als Gardist war es Kerrys Vater gewohnt, die Wünsche und Entscheidungen der Adeligen nicht in Frage zu stellen. Doch da er Kerrys Aufforderung nicht sofort widersprochen hatte, lag es auf der Hand, dass er ihren Wunsch nicht einfach so abtun würde. Hatte ihn die gefährliche Reise nach Rhûn so sehr verändert?
"Oronêl," begann Cyneric und sah dem Waldelb offen ins Gesicht. "Ich möchte dir von ganzem Herzen danken, dass du Déorwyn sicher nach Hause gebracht hast - ob es nun Zufall oder deine freie Wahl war. Doch ich sehe nun, was zwischen dir und meiner Tochter steht und weshalb ihr, trotz der engen Freundschaft die euch offenbar verbindet, derzeit nicht sonderlich gut auf einander zu sprechen seid."
"Sie hat dir erzählt was ich zu tun gedenke, nehme ich an," erwiderte Oronêl knapp.
Cyneric nickte. "Ich habe in meinem Leben nur wenig mit Elben und ihrer Lebensweise zu tun gehabt," fuhr er fort. "Deshalb maße ich mir nicht an zu verstehen, was dieser Schritt für dich bedeuten mag."
"Welcher Schritt?" warf Zarifa verwundert ein. "Wovon sprecht ihr überhaupt?"
"Oronêl hat vor, diese Welt zu verlassen und nach Westen zu fahren," sagte Kerry und es gelang ihr nicht, ihre Stimme frei von Vorwurf zu halten. "Von dort kehrt niemand jemals wieder zurück."
Zarifa nahm diese Information schweigend auf. Sie blickte nachdenklich in das flackernde Feuer.
"Déorwyn, es steht dir nicht zu, Oronêl eine Entscheidung aufzuzwingen," sagte Cyneric mit überraschender Strenge. "Du kannst sie in Frage stellen und Argumente dagegen vorbringen, doch wenn das seinen Entschluss nicht ändert, solltest du etwas Respekt zeigen und versuchen, die Dinge aus seiner Sicht zu sehen."
Kerry prallte überrascht zurück. Sie hatte auf die Unterstützung ihres Vaters gehofft, nicht auf eine Zurechtweisung. Doch Cyneric war noch nicht fertig.
"Und dich, Oronêl, bitte ich, zumindest ein letztes Mal mit Déorwyn über deinen Plan, nach Westen zu fahren, und dir ihre Argumente dagegen in Ruhe anzuhören, falls dies nicht bereits geschehen ist. Ich kenne sie und bin mir sicher, dass es einen guten Grund dafür gibt, dass sie nicht damit locker zu lassen scheint und nun auf meine Hilfe setzt." Er blickte Kerry und Oronêl nacheinander an und sagte: "Bitte denkt beide noch einmal über eure Beziehung zueinander nach und entscheidet, ob diese Meinungsverschiedenheit es wert ist, eure Freundschaft zu riskieren."
"Ja," sagte Zarifa bekräftigend. "Äh... genau was er gesagt hat. Ihr habt Zeit, bis Cyneric seine Geschichte zuende erzählt hat." Sie stopfte sich das letzte Stück Brot in den Mund und versuchte, einen selbstsicheren Ausdruck aufzusetzen, was ihr einigermaßen gut gelang.

Cyneric setzte seinen Bericht fort. Schon bald schwirrte Kerry der Kopf voller fremder Namen, Orte und Ereignisse im geheimnisvollen Rhûn. Sie erfuhr, wie ihr Vater dort im Auftrag Erkenbrands eingetroffen und schon bald in die Machenschaften der unheimlichen Schattenläufer verstrickt worden war. Wie er neue Freunde und Bekanntschaften in Gortharia, der Hauptstadt der Ostlinge gefunden und sich gleichzeitig auch neue Feinde gemacht hatte. Sie erschrak als sie von den Morden hörte, an denen Cyneric beteiligt gewesen war und stellte fest, dass der Mann, den sie vor dem Krieg gekannt hatte, von den Jahren des Verlustes verändert worden war. Doch was ihr ebenso auffiel, war dass während Cynerics Geschichte immer wieder der Name Milva fiel, der Kerry aufhorchen ließ. Was hatte es mit dieser merkwürdigen Frau auf sich, und in welcher Beziehung stand sie zu ihrem Vater? Kerry gelang es nicht, es genau herauszuhören und sie nahm sich vor, Cyneric später eingehend dazu zu befragen.
Als ihr Vater sich dem Ende der Geschichte näherte, erfuhr Kerry wie er Zarifa aus der Sklaverei befreit und mit ihr gemeinsam Gortharia verlassen hatte. In Thal war ihnen der junge Ostling begegnet, den Kerry am Erebor verschont hatte und dank Ainos Hinweis hatten sie Kerrys Spur im Waldlandreich aufgenommen. Ein rascher Ritt durch Rhovanion hatte Cyneric und Zarifa bis nach Rohan gebracht, wo sie von Dunstan in Edoras erfahren hatten, wohin Oronêl und Kerry gegangen waren.
"Und so kamen wir heute Abend hierher... nach Hause," schloss Cyneric. Und als er diese Worte sagte, musste Kerry daran denken, wie es hier einst ausgesehen hatte. Hochborn war nie ein sonderlich großes Dorf gewesen, doch trotz seiner Lage im Hargtal hatte dort oft die Sonne geschienen und bis zum Fall Rohans hatte stets Frieden geherrscht. Kerry - oder genauer gesagt, Déorwyn war als einziges Kind ihrer Eltern wohl behütet aufgewachsen und hatte eine glückliche Kindheit voller kleinerer Abenteuer gehabt. Als ihr Vater in die Königsgarde in Edoras aufgenommen wurde, hatte sie ihn oft in der Hauptstadt besucht. Im Hargtal hatte sie viele Freundinnen gehabt und war nur selten einsam gewesen. Tatsächlich war ihr die Einsamkeit erst begegnet, als sie beim Untergang von Hochborn mit Glück den Orks und den Flammen entkommen und ganz alleine durch Rohan hindurch bis zu den Isenfurten geflohen war. Traurigkeit machte sich in ihr breit, als Kerry zum ersten Mal richtig wahrnahm, was sie damals alles verloren hatte. Sie hatte geglaubt, Freunde und Familie verloren zu haben. Doch im Norden hatte sie neue Freunde gefunden, wie Oronêl und Rilmir, und nun saß sie neben ihrem Vater, der wider aller Hoffnung überlebt hatte.
Sie stand mit einem Ruck auf und ging zielstrebing in die Dunkelheit davon. Erst vor dem Grabstein ihrer Mutter hielt sie an. Leise Schritte hinter ihr kündigten die Ankunft ihres Vaters an, der ihr gefolgt war.
"Ich vermisse sie," sagte Kerry leise.
Eine tröstende Hand legte sich auf ihre Schulter. "Ich auch, meine Kleine. Ich auch."
Sie drehte sich zu ihm um und barg ihr Gesicht an seiner Brust. Schützende Arme legten sich um sie und zum ersten Mal seit ihrem Aufbruch aus Eregion fühlte sie sich wahrhaft geborgen und sicher. Das Ausmaß ihres Verlustes war ihr bewusst geworden, doch sie entschied in diesem Moment, sich nicht davon definieren zu lassen. Sie hatte ihren Vater wiedergefunden und sie besaß eine Familie, die auf sie wartete. Die Zukunft mochte ungewiss sein, doch Kerry fühlte sich bereit, sich dem zu stellen, was sie für sie bereithalten mochte. Ihre Familie und ihre Freunde würden ihr beistehen... da war sie sich sicher.
Sie nahm Cynerics Hand und gemeinsam kehrten sie zum Lagerfeuer zurück. Oronêls Blick fand ihren und sie schauten einander einen langen Augenblick an, ohne etwas zu sagen. Und da erkannte Kerry, was sie miteinander verband - ein Elb, so alt wie die ältesten Bäume hier im Tal, und ein Menschenmädchen, kaum alt genug um als erwachsen bezeichnet zu werden. Und obwohl sie sich kaum ein Jahr kannten, war zwischen ihnen ein Band geknüpft worden, das jede Trennung überdauern würde. Das war es, was Kerrys Herz ihr in diesem Moment sagte.
Sie ließ ihren Vater los und ging zu Oronêl, um ihn wortlos zu umarmen. Es war kein Abschied - noch nicht. Dem würde sie sich stellen, wenn es soweit war. Denn Kerry hatte noch ihre Geschichte zu erzählen. Sie konnte sehen, wie Zarifa und Cyneric sie erwartungsvoll anblicken. Als Oronêl sanft nickte, löste sie sich von ihm. Sie würden miteinander sprechen, doch nicht jetzt. Jetzt würde Kerry von ihren Abenteuern berichten.
"Wie mein Vater vor mir fange ich am besten ganz am Anfang an," sagte sie. "Ich bin hier in Hochborn geboren, als das Dorf noch stand, und es war sechzehn Jahre lang meine Heimat, bis der große Krieg gegen Mordor began..."
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Déorwyns Geschichte
« Antwort #7 am: 9. Jan 2019, 12:21 »
Cyneric lauschte gespannt der Erzählung seiner Tochter. Déorwyn berichtete von ihrer Flucht aus dem brennenden Hochborn und Cyneric wurde klar, dass er sie wahrscheinlich nur um wenige Stunden verpasst hatte, als er aus dem Krieg in seine zerstörte Heimat zurückgekehrt war. Doch der Schmerz von damals zählte jetzt nicht mehr. Er hatte Déorwyn gefunden und hatte nicht vor, sie wieder zu verlieren.
So erfuhr Cyneric von den Reisen und Abenteuern Déorwyns, die sie über die Furten des Isen durch Dunland hindurch bis nach Bree, einer Stadt im Zentrum Eriadors geführt hatten. Er war froh, dass sich der Waldläufer Rilmir seiner Tochter angenommen hatte und auf sie Acht gegeben hatte. Von ihrer Zeit in Bree berichtete Déorwyn nur knapp, ehe sie ausführlich von allerlei Fahrten an Rilmirs Seite berichtete. Cyneric hätte schwören können, dass Déorwyn diesen Rilmir als mehr als nur einen Freund zu betrachten schien, doch als er später von Rilmirs Verlobung erfuhr, legten sich diese Befürchtungen. Die Lande im Norden, die Cynerics Tochter so ausschweifend beschrieb, hatte Cyneric in seinem Leben bislang noch nicht mit eigenen Augen gesehen. Eigentlich schade, dachte er, während Déorwyn gerade von einer Reise entlang der Wetterberge berichtete. Eriador klingt nach einem Ort, der mir gefallen könnte.
Erstaunt hörte Cyneric von Déorwyns weiteren Erlebnissen und von den Persönlichkeiten, denen sie mehr oder weniger zufällig über den Weg gelaufen war. Da waren der Zauberer Gandalf, die Elbenherrscher Elrond und Galadriel, und allerlei weitere Anführer und Herrscher der unterschiedlichsten Lande im Norden. Die Begegnung Déorwyns mit Schlangenzuge im Auenland ließ Cyneric verbissen mit den Zähnen knirschen, doch die Erwähnung des jungen Meriadocs, den Déorwyn ebenfalls getroffen hatte, erfreute ihn. Interessiert lauschte er dem Bericht über die Befreiung des Auenlandes und Déorwyns Ankunft in der alten Stadt Fornost, wo alsbald eine große Schlacht gegen ein Heer Sarumans geschlagen wurde. Hierbei war Déorwyn sowohl Oronêl als auch Finelleth und Irwyne begegnet, die Cyneric bereits kannte.
"Welch schöne Überraschung," sagte er an dieser Stelle. "Irwyne ist mir in unserer gemeinsamen Zeit ans Herz gewachsen. Wisst ihr, wo sie inzwischen ist?"
Déorwyn hob einen Finger. "Dieser Amrothos hatte wohl vor, sie mit in seine Heimat zu nehmen. Ich weiß nicht recht, was ich davon halten soll. Dass Oronêl in dieser Hinsicht keinerlei Einwände zu haben scheint, kommt mir merkwürdig vor."
Oronêl, der offenbar teilweise mit eigenen Gedanken beschäftigt gewesen zu sein schien, blinzelte bei Déorwyns Worten. "Wie, worum geht es? Irwyne? Ah, ich verstehe. Mach' dir keine Sorgen, Kerry. In Dol Amroth wird sie in Sicherheit sein, und..." Er verstummte, als ihm offenbar ein neuer Gedanke gekommen war.
Déorwyn schien das Thema Dol Amroth im Augenblick zu meiden, weshalb Cyneric sie sanft dazu aufforderte, ihre Erzählung fortzuführen. Dankbar nickte sie und begann erneut.

Dass Déorwyn von Elben adoptiert worden war, war etwas, das Cyneric nachdenklich stimmte. Einerseits war er froh, dass es jemanden gab, der auf Déorwyn Acht gab und an den sie sich in Cynerics Abwesenheit hatte wenden können, doch andererseits hatte er eigentlich nicht vor, seine Verantwortlichkeiten als Vater zu teilen oder gar aufzugeben. Er nahm sich vor, mit dem Elb namens Mathan in Ruhe darüber zu sprechen, wenn sie sich eines Tages begegnen sollten.
Déorwyns Entführung lenkte ihn rasch wieder von dem Thema ab. Dass ein alter Feind Oronêls dafür verantwortlich war, dass Déorwyn von Fornost bis in die Verliese Carn Dûms im eisigen Angmar gebracht worden war, ließ Cynerics Sorge um die Sicherheit seiner Tochter wieder wachsen. Selbst inmitten von so mächtigen Personen wie Gandalf, Oronêl oder Mathan war sie nicht vor diesem Laedor sicher, dachte er. Voller Spannung hörte er zu, als Déorwyn von ihrer Befreiung durch Mathan und Oronêl berichtete, und wie sie nach einer langen Reise durch Eis und Wildnis schließlich an die Elben-Anfuhrten von Mithlond gekommen waren, wo sie erneut auf Gandalf und Irwyne getroffen waren.
"Den Ozean zu sehen war etwas ganz Besonderes. Diesen Anblick werde ich wohl nie vergessen," sagte Déorwyn verträumt.
Zarifa erwiderte trocken: "Nach einer Woche hast du dich daran gewöhnt." Die junge Südländerin war in einer Hafenstadt aufgewachsen, wie Cyneric sich erinnerte. Für sie war vermutlich der Schnee, der in sanften Flocken vom Himmel rieselte, deutlich interessanter als der Anblick des Meeres.
Déorwyn schmunzelte über Zarifas Worte, dann fuhr sie mit ihrem Bericht fort. Cyneric hatte von Irwyne in Aldburg bereits Andeutungen darüber erhalten, welchen Auftrag Oronêl damals von der Herrin Galadriel erhalten hatte, doch nun erfuhr er die wahren Hintergründe. Oronêls Mission hatte damals dafür gesorgt, dass er Irwyne in Cynerics Obhut zurücklassen musste. An der Seite von Mathan und Finelleth war Oronêl die Zerstörung der beiden Ringe der Macht schließlich in den Schmieden Eregions gelungen - ein sehr beachtliche Leistung, wie Cyneric fand. Dass seine Tochter dabei ebenfalls einen Teil beigetragen hatte, erfüllte ihn mit Stolz.
Er schenkte Oronêl ein anerkennendes Nicken und zollte ihm seinen Respekt für den erfüllten Auftrag, den Galadriel ihm gegeben hatte. Dann erfuhr er von Déorwyns weiterer Reise über Bruchtal, den Hohen Pass und das Tal des Anduins bis in den Düsterwald, wo sich Mathan von ihr verabschiedet hatte, um in eigener Angelegenheit weiter nach Norden zu ziehen.
"Und dann haben wir dabei geholfen, den Düsterwald von Saruman zu befreien," fuhr Déorwyn fort. Den Großteil der jetzt folgenden Geschichte kannte Cyneric bereits aus dem Bericht Finelleths, doch bei der Nennung des Namens Helluin horchte er auf. Es dauerte einige Minuten, bis er sich daran erinnerte, wo er diesen Namen zuvor gehört hatte. Dann fiel es ihm ein, als Déorwyn gerade von der Befreiung Seestadts erzählte. Als Cyneric mit dem Heer Rohans auf der Ebene von Celebrant gelagert hatte, war er einer Frau namens Elea begegnet, die ihren Sohn, Helluin, von der Abkehr von Saruman hatte überzeugen wollen - erfolglos. Dass dieser Helluin nun Déorwyns Pfad gekreuzt und auch noch ein spürbares Interesse an Cynerics Tochter gezeigt hatte, sorgte dafür, dass Cyneric umso froher war, dass Helluin nun sowohl aus Sarumans Diensten als auch aus dem Norden verschwunden war.

"Als ich hörte, dass Oronêl vorhatte, Mittelerde zu verlassen, konnte ich nicht anders als mit ihm zu gehen. Ich wollte versuchen, ihn umzustimmen," sagte Déorwyn, nachdem sie vom Tod Thranduils und dem Rückzug Sarumans nach Dol Guldur berichtet hatte.
"Und versucht hast du es wahrlich," warf Oronêl ein und blickte zu den Sternen hinauf.
"Jedenfalls war das der Grund, weshalb wir nun hier sind. Ich frage mich, ob es Schicksal war, das mich dazu gebracht hat, gerade jetzt nach Rohan heimzukehren, wo mein Vater sich auf die Suche nach mir gemacht hat."
"Schicksal oder nicht - ich bin froh, dass du jetzt hier bist, Déorwyn," sagte Cyneric warm.
"Das bin ich auch," sagte Zarifa, die bislang gespannt gelauscht und nur hin und wieder eine Verständnisfrage gestellt hatte. "Ehrlich gesagt hatte ich bis zu unserem Eintreffen im Düsterwald nur wenig Hoffnung, dass wir dich wirklich finden würden, Kerry. Umso schöner ist es, dass ich mich getäuscht habe."
"Danke dir," erwiderte Déorwyn und kam zu Zarifa hinüber, um die etwas verdutzte Südländerin spontan zu umarmen.
Cyneric belächelte seine Tochter innerlich ein klein wenig dafür, dass sie sich auf ihren Reisen so viele unterschiedliche Namen angeeignet hatte. Für ihn würde sie immer seine kleine Déorwyn bleiben, egal unter welchem Namen ihre Freunde sie kannten. Er war sich sicher, dass Déorwyn das nicht störte.
"Schon gut," sagte Zarifa und Déorwyn ließ sie los. "Ist noch etwas von dem Wegbrot übrig, dass uns die Elbenkönigin mitgegeben hat?"
"Bedaure," sagte Cyneric schmunzelnd. "Eine gewisse Zarifa hat vorhin, bei unserer Pause in Edoras die letzte Portion verspeist."
"Schade," sagte Déorwyn. "Ich hätte jetzt nichts gegen einen Bissen davon einzuwenden."
Cyneric unterdrückte ein Gähnen. "Es wird spät, Kinder," sagte er und zwinkerte Déorwyn und Zarifa zu, die beide wenig erfreut auf diese Anrede hin dreinblickten. Ehe die beiden Mädchen jedoch Einwände vorbringen konnten, erhob sich Oronêl und bot an, die Nachtwache zu übernehmen, was Cyneric mit Freunden annahm. So richteten sie sich in dem kleinen Haus, in dem Cyneric Déorwyn gefunden hatte, zum Schlafen ein, während draußen der Schneefall zunahm und die Ruinen Hochborns nach und nach mit einer weißen Schneeschicht bedeckte.
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Re: Dunharg und das Hargtal
« Antwort #8 am: 11. Jan 2019, 11:56 »
Die Nacht war weit fortgeschritten, und ein erster bleicher Schimmer war bereits im Osten hinter den Bergen zu erahnen, als das kleine Feuer, dass Oronêl während seiner Nachtwache gehütet hatte, zu erlöschen drohte. Er unterbrach sich, um vorsichtig einige weitere Äste aufzulegen, und einen kurzen Moment später hatten diese Feuer gefangen. Ein Stück vom Feuer entfernt hatte Oronêl alles aus seinem Beutel aufgestapelt, das er nicht mit sich nehmen wollte - darunter der Rest der Vorräte, die sie von Radagast bekommen hatten. Bereits jetzt hatte sich eine dünne Schneeschicht darauf gelegt, die Oronêl mit einer kleinen Bewegung herunter wischte. Dann kam er auf die Füße, warf einen letzten Blick auf das kleine Haus hinter sich, und wandte sich dann ab.
Er hatte kaum drei Schritte die Dorfstraße entlang gemacht, als Oronêl ein leises Geräusch hinter sich hörte - wie von einer knarrenden Tür. Er wandte sich um, und sah zu seiner Erleichterung Cyneric - nicht Kerry - ins Freie treten. "Ihr geht, Oronêl?", fragte Cyneric, der die Situation rasch erfasst zu haben schien, ohne Vorwurf in der Stimme. Oronêl nickte. "Ich gehe, Cyneric. Und du brauchst mich nicht wie einen Herrn anzusprechen - das bin ich nicht."
"Ich dachte, ihr... du würdest dich von Déorwyn verabschieden wollen." Es gelang Cyneric nicht vollständig, den Vorwurf aus seiner Stimme herauszuhalten. Oronêl musste lächeln, dass Cyneric ihm nicht so sehr seine Entscheidung, Mittelerde zu verlassen, übel zu nehmen schien, sondern viel mehr, dass er seine Tochter verletzen könnte. "Das will ich auch, glaub mir." Oronêl fuhr sich mit der Hand durch die Haare, und Schnee rieselte davon herab. "Aber... es würde alles schwieriger machen, fürchte ich. Verstehst du?"
Cyneric schüttelte leicht den Kopf. "Nein, ich verstehe nicht. Aber ich glaube, dass du meiner Tochter nicht absichtlich mehr Schmerzen als nötig zufügen würdest, also... gibt es etwas, dass ich ihr sagen soll?" Oronêl überlegte einen Augenblick, in dem rasche Bilder vor seinen Augen vorüberzogen, bis zu dem Moment, in dem Kerry das erste Mal vor ihm gestanden hatte. Im Chaos der Schlacht um Fornost, in den Händen Verbände, die sie genutzt hatten, um Irwyne und Mírwen das Leben zu retten. Bei dem Gedanken an Mírwen verlor Oronêl kurz den Faden, und blinzelte zweimal schnell. "Sag ihr...", begann er dem noch immer wartenden Cyneric zu antworten. "Sag ihr, es tut mir leid, dass ich mich auf diese Weise davonschleiche. Und dass sie mich eine Zeit dafür hassen mag, aber ich immer an sie denken werde, ganz gleich, wo ich bin, weil sie die beste Freundin ist, die ich mir hätte wünschen können. Und..." Er löste Hatholdôr von seinem Gürtel, und hielt die Axt Cyneric mit dem Griff entgegen. "Gib ihr dies. Im Westen werde ich keine Waffen brauchen." Cyneric legte zögerlich eine Hand auf den Axtgriff, bevor er den Kopf hob und Oronêl in die Augen blickte. "Ich glaube nicht, dass meine Tochter eine Kriegerin sein möchte."
"Und das soll sie auch nicht sein, wenn es nicht ihr Wille ist", erwiderte Oronêl. "Das hier... ist nur ein Andenken."
Offensichtlich beruhigt schloss Cyneric seine Hand um den Axtgriff, und im gleichen Augenblick ließ Oronêl los. Es war ein merkwürdiges Gefühl, Hatholdôr freiwillig aus der Hand zu geben - sein Vater hatte damit in den Schlachten Beleriands gekämpft, und Oronêl hatte sie selbst über Jahrtausende geführt. Als er Laedor die Waffe in Carn Dûm wieder abgenommen hatte, hatte er sich auf eine gewisse Art vollständig gefühlt, doch jetzt... jetzt war es ein gutes Gefühl, die Axt fortzugeben. Er wollte den Krieg hinter sich lassen, und dies schien ihm ein guter Schritt zu sein.
"Leb wohl, Cyneric", sagte Oronêl leise. "Ich wünsche dir und Déorwyn alles Glück dieser Welt, und möget ihr Leben, bis hellere Tage über Mittelerde heraufziehen." Ohne Cynerics Antwort abzuwarten, wandte er sich um und eilte mit langen Schritten die Dorfstraße entlang, dem Weg entgegen, der ihn über das Gebirge nach Gondor bringen würde. Seine Füße hinterließen kaum eine Spur im Schnee.

Oronêl nach Dol Amroth
« Letzte Änderung: 1. Feb 2019, 10:16 von Fine »

Oronêl - Edrahil - Hilgorn -Narissa - Milva

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Re: Dunharg und das Hargtal
« Antwort #9 am: 19. Jan 2019, 01:41 »
Zarifa saß glücklich am Feuer in Hochborn. Endlich hatten sie Déorwyn gefunden. Wochenlang waren sie durch ganz Mittelerde gereist und hatten verzweifelt nach Spuren von Cynerics Tochter gesucht. Dabei war es Zarifa oft zu schnell, zu hektisch und zu unbequem zugegangen, doch dieser Moment war die Strapazen der Reise wert gewesen. Das Glück, das man in Cynerics grauen Augen beobachten konnte, nun da er nach all den Jahren endlich wieder mit seiner Tochter vereint war, konnte einem nur das Herz erwärmen. Zarifa hatte den Mann aus Rohan als zielstrebigen und hilfsbereiten, aber teilweise auch grimmigen Charakter kennengelernt. Als jemanden, der grundsätzlich freundlich aber auch sehr bestimmt und gehetzt wirken konnte. Als jemanden, der ab und zu auch mal zu Scherzen auferlegt war, doch meistens eher ernst blieb. Doch noch nie hatte sie diesen Mann, der sie aus dem brennenden Haus ihres ehemaligen Meisters gerettet hatte, so wahrhaft glücklich erlebt. Seine Tochter lebte noch, war gesund und saß nun hier gemeinsam mit ihm am Feuer und lauschte seinen Worten. Für den Augenblick waren für Cyneric alle Sorgen vergessen und er konnte den Abend einfach genießen. Zarifa wünschte, das Gleiche auch für sich selber behaupten zu können.
Schon halb in Gedanken an ihre eigenen Sorgen und Probleme versunken, horchte Zarifa auf, als Déorwyn auf einmal die Sprache wechselte und Zarifa sie nicht mehr verstehen konnte. Sie schien nicht zu wollen, dass jemand außer Cyneric sie verstand. Der blickte nun nachdenklich und ein wenig ratlos in die Leere. Zarifa war verwirrt.
„Oronêl“, begann Cyneric schließlich und richtete seinem Blick zu dem Elben. „Ich möchte dir von ganzem Herzen danken, dass du Déorwyn sicher nach Hause gebracht hast - ob es nun Zufall oder deine freie Wahl war. Doch ich sehe nun, was zwischen dir und meiner Tochter steht und weshalb ihr, trotz der engen Freundschaft die euch offenbar verbindet, derzeit nicht sonderlich gut auf einander zu sprechen seid.“ Verwirrt blickte die junge Haradan abwechselnd von Cyneric, zu Oronêl und zu Déorwyn. Was ging hier nur vor?
„Sie hat dir erzählt was ich zu tun gedenke, nehme ich an“, erwiderte Oronêl knapp.
Cyneric nickte. „Ich habe in meinem Leben nur wenig mit Elben und ihrer Lebensweise zu tun gehabt“, fuhr er fort. „Deshalb maße ich mir nicht an zu verstehen, was dieser Schritt für dich bedeuten mag...“
Das wurde Zarifa nun zu viel. Es gefiel ihr nicht, die einzige hier am Feuer zu sein, die keine Ahnung hatte, was vor sich ging. Und noch bevor sie sich selbst bremsen konnte, warf sie ein: „Welcher Schritt? Wovon sprecht ihr überhaupt?“ Sie bemühte sich dabei freundlich zu bleiben, doch so ganz gelang es ihr nicht ihren Ärger aus der Stimme herauszuhalten.
„Oronêl hat vor, diese Welt zu verlassen und nach Westen zu fahren,“ entgegnete Déorwyn und auch ihr gelang es nicht, den Ärger in ihrer Stimme zu verbergen. „Von dort kehrt niemand jemals wieder zurück.“
Zarifa war auf vieles vorbereitet gewesen, doch diese Antwort hatte sie nicht erwartet. Schweigend nahm sie die Information auf und blickte ins Feuer, während die anderen weiterdiskutierten. Was war dieser „Westen“ von dem niemand jemals zurückkehrte? Und wieso wollte der Mann, der sie vor noch nicht einmal einer Stunde gepackt und gewürgt hatte, dort hin? Hatte er keine Lust mehr auf diese Welt? War im Westen etwa alles besser?
Zarifa hatte bereits von der Unsterblichkeit der Elben gehört und sich gefragt, warum es nicht eigentlich viel mehr von ihnen gab. War das etwa die Antwort? Gab es im Westen einen Ort, wo man hinkonnte, um seine Sorgen zu vergessen? Würde Oronêl sie eventuell mitnehmen?
Zarifa verwarf diesen Gedanken. Sie wusste überhaupt nichts über diesen „Westen“, den Déorwyn gerade erwähnt hatte. Vielleicht war es ja auch ein sehr gefährlicher Ort, von dem niemand je zurückkehrte, weil jeder der diesen Ort besuchte, starb. Ihre Vorstellung war kindisch gewesen. Sie hatte sich einen Ort gewünscht, an dem sie all ihr Leid und all ihre Sorgen einfach vergessen können würde und ihn sich deshalb vorgestellt. Doch ein solcher Ort existierte nicht. Sonst würde ihn ja einfach jeder aufsuchen.
„Wie albern“, dachte Zarifa und wandte sich wieder dem Gespräch zu, das sie in der Zwischenzeit vollkommen vernachlässigt hatte.
Bitte denkt beide noch einmal über eure Beziehung zueinander nach und entscheidet, ob diese Meinungsverschiedenheit es wert ist, eure Freundschaft zu riskieren."
"Ja," sagte Zarifa bekräftigend. "Äh... genau was er gesagt hat. Ihr habt Zeit, bis Cyneric seine Geschichte zu Ende erzählt hat." Nachdenklich aß sie den letzten Rest von ihrem Brot auf und versuchte den Moment zu überspielen. Sie wollte diesen Augenblick nicht kaputt machen.

Und so setzte Cyneric seinen Bericht fort. Den Großteil der Geschichte kannte Zarifa bereits, doch einige Details waren neu. Insbesondere fiel ihr die häufige Erwähnung von Milva auf. War diese arrogante Kuh für ihn etwa mehr als nur eine Freundin? Ein unerträglicher Gedanke, den Zarifa in diesem Moment nicht weiter verfolgen wollte.
Schließlich gelangte der rohirrische Gardist zu den Geschehnissen in Gorak. Als er schließlich die Geschichte um die Ermordung Radomirs und die Verstrickung Alvars in die ganze Sache erwähnte, wollte Zarifa ihn schon unterbrechen, denn ihrer Meinung nach stellte er das Geschehene nicht ganz richtig dar. Doch sie besann sich anders, als sie überlegte, dass niemand die grauenhaften Details dieser Geschichte unbedingt hören musste. Es war schlimm genug, dass sie jede Nacht erneut die Ereignisse durchlebte. Das musste sie niemand anderem aufbürden. Zumindest noch nicht.
Als Cyneric schließlich mit seiner Geschichte fertig war, stand Déorwyn – oder Kerry, wie sie von Oronêl genannt wurde, unvermittelt auf und ging in die Dunkelheit davon. Zarifa glaubte zu sehen, wie sie eine Träne von ihrer Wange wischte. „Ich glaube sie ist auf dem Weg zum Grab eurer Frau. Ihr solltet ihr nachlaufen, Cyneric“, meinte Oronêl mit einem Blick, den Zarifa nicht deuten konnte.  Cyneric ließ sich das ganze nicht zweimal sagen und ließ Zarifa allein mit dem Elben zurück, der sie nun mit zusammengekniffenen Augen ansah. Zarifa wusste nicht, was sie sagen sollte und wich seinem Blick aus. Sie wusste immer noch nicht recht, was sie von ihm halten sollte. Das erste, was sie von diesem Elben gesehen hatte, war sein Arm, der sie am Hals gepackt hatte. Gleichzeitig hatte er noch ein Messer in ihren Rücken gedrückt, nur um sie dann beim Anblick Cynerics fallen zu lassen wie ein Stück Holz. Genau wie Radomir, Kazimir und Yasin, schien er sie keineswegs als gleichberechtigtes lebendes Wesen wahrzunehmen. Zwar hatte er sich kurz bei ihr entschuldigt, kurz bevor sie zu Déorwyn und Cyneric gegangen waren, doch für besonders wichtig schien er die Sache nicht gehalten zu haben. Wusste er denn nicht, wie Zarifa sich jedes mal fühlte, wenn sie gegen ihren Willen berührt wurde? Wenn ihr Gewalt angetan wurde?
Doch andererseits schien Cynerics Tochter, die auf Zarifa bisher einen durch und durch freundlichen Eindruck gemacht hatte, sehr an diesem Elben zu hängen. So sehr, dass sie ihn auf eine potenziell gefährliche Reise begleitet hatte, nur um ihn irgendwie von seinem Entschluss, in den Westen zu reisen, abhalten zu können. Zarifa beschloss schließlich, die Stille zu durchbrechen und zum Angriff überzugehen.

„Also, ist es unter Elben eigentlich so üblich, einander zur Begrüßung zu würgen und mit einem Dolch zu bedrohen? Oder machst du sowas nur bei Menschen?“, wollte sie wissen und bemühte sich dabei in keiner Weise, den Ärger in ihrer Stimme zu unterdrücken. Oronêl schien von dieser Frage ziemlich überrumpelt und entgegnete eine Weile lang nichts, sondern blickte Zarifa nur an. „Ich versichere euch, es war nichts Persönliches“, sagte er schließlich. „Man kann dieser Tage nicht vorsichtig genug sein. Ich wollte bloß sichergehen, dass Kerry in Sicherheit ist. Da konnte ich einen bewaffneten Mann im Dorf nun einmal nicht gebrauchen.“ Zarifa schnaubte. Der Elb hatte sie gerade tatsächlich mit „euch“ angeredet. Er hatte wirklich Nerven.
„Und anstatt dich direkt dem bewaffneten Mann zu stellen, dachtest du dir, es wäre deutlich einfacher, die unbewaffnete Frau zu bedrohen? Das sagt ziemlich viel über deinen Charakter aus. Feigling!“ Noch bevor sie diese Worte zu Ende gesprochen hatte, wusste sie, dass sie gesessen hatten. Oronêl öffnete den Mund, um etwas zu entgegnen, schloss ihn dann jedoch wieder. Er senkte den Blick Richtung Boden und wandte sich schließlich komplett von Zarifa ab. Das hatte sie so nicht erwartet. Ein wenig verwirrt, doch auch erleichtert und froh darüber, Oronêl die Meinung gegeigt zu haben, beobachtete sie, wie Cyneric und Kerry zurückkehrten. Kerry lief zielstrebig auf Oronêl zu und schloss ihn fest in ihre Arme. Vermutlich hatte dieser Elb auch seine guten Seiten. Nur hatte Zarifa diese bisher noch nicht zu Sehen bekommen. Das Gesicht eines kleinen Jungens, der beobachtet, wie sein Vater ermordet wird, kam Zarifa in den Sinn. Und nun senkte auch sie den Blick.
Cyneric und Déorwyn setzten sich zurück ans Feuer und Déorwyn begann mit ihrer Geschichte. Einer Geschichte, die mit der Flucht aus eben diesem Dorf hier begann und damit endete, dass sie einem Elben ausreden wollte, Mittelerde zu verlassen. Es war also doch so, wie Zarifa vermutet hatte. Es gab einen Ort außerhalb Mittelerdes, an dem man gehen konnte, wenn man des Lebens überdrüssig war. Und für Oronêl war dieser Moment anscheinend gekommen. Zarifa empfand nun deutlich positivere Gefühle für den Elben. Er hatte Kerry mehrmals das Leben gerettet und trotz seines hohen Alters und seiner Verluste immer weiter gekämpft. Doch inzwischen konnte er nicht mehr. Das Leid war ihm zu viel geworden und er wollte nur noch weg. An einen Ort, wo er sich endlich zur Ruhe setzen und sich nicht mehr ständig sorgen müsste – ein Gedanke, den Zarifa sehr gut nachvollziehen konnte.

„Jedenfalls war das der Grund, weshalb wir nun hier sind. Ich frage mich, ob es Schicksal war, das mich dazu gebracht hat, gerade jetzt nach Rohan heimzukehren, wo mein Vater sich auf die Suche nach mir gemacht hat“, schloss Déorwyn ihren Bericht.
„Schicksal oder nicht - ich bin froh, dass du jetzt hier bist, Déorwyn“, entgegnete Cyneric warmherzig und Zarifa sah erneut das Glück in seinen Augen. Sie konnte nicht anders und lächelte ebenfalls.
„Das bin ich auch“, fügte Zarifa schließlich hinzu. „Ehrlich gesagt hatte ich bis zu unserem Eintreffen im Düsterwald nur wenig Hoffnung, dass wir dich wirklich finden würden, Kerry. Umso schöner ist es, dass ich mich getäuscht habe.“
„Danke dir“, erwiderte Déorwyn und lächelte Zarifa an. Etwas unsicher lächelte Zarifa zurück. Sie war in ihrem Leben nur auf wenige Menschen getroffen, die ohne großes Kennenlernen und ohne Bedingungen freundlich zu ihr gewesen waren. Und zwei dieser Personen saßen aktuell hier gemeinsam mit ihr am Feuer. Und während Zarifa so darüber nachdachte, was für ein Glück es gewesen war, dass sie in einem Augenblick voller Verzweiflung auf Cyneric getroffen war, kam Déorwyn unvermittelt auf sie zu und schloss die junge Südländerin fest in ihre Arme. Ein wenig verdutzt erwiderte Zarifa die Umarmung, freute sich jedoch insgeheim sehr darüber.
„Schon gut“, meinte die Südländerun schließlich und Déorwyn ließ sie los. Zarifas Magen knurrte.
„Ist noch etwas von dem Wegbrot übrig, dass uns die Elbenkönigin mitgegeben hat?“
„Bedaure“, sagte Cyneric schmunzelnd. „Eine gewisse Zarifa hat vorhin, bei unserer Pause in Edoras die letzte Portion verspeist.“ Bei diesem Kommentar musste Zarifa nun ebenfalls schmunzeln. Sie hatte in letzter Zeit tatsächlich ziemlich großzügig gegessen, wenn man es mit den äußerst dürftigen Tagesrationen in der Sklaverei verglich. Oder mit den Mengen, die sie sich früher jeden Tag in Umbar mühsam erstohlen hatte. Bei diesem Gedanken wurde ihr erstmals so richtig bewusst, welch ein Privileg sie inzwischen genoss, nun da sie sich nicht mehr jeden Tag ums Überleben sorgen musste. „Auch das habe ich Cyneric zu verdanken“, dachte sie und blickte ihren Körper hinab, der inzwischen längst nicht mehr so abgemagert wie noch vor ein paar Monaten in Gorak war.
„Es freut mich, dass er jetzt auch endlich glücklich ist.“
« Letzte Änderung: 19. Jan 2019, 01:45 von Rohirrim »
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Char Zarifa in Rhûn

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Re: Dunharg und das Hargtal
« Antwort #10 am: 26. Jan 2019, 21:03 »
Zarifa beobachtete, wie Cyneric und seine Tochter vor dem Schlafen gehen noch kurz ein paar Worte wechselten. Dabei konnte sie nicht aufhören, an die Ereignisse des vergangenen Tages zu denken. Nach wochenlanger Reise durch halb Mittelerde hatten sie endlich Cynerics Tochter Déorwyn gefunden. Vater und Tochter waren endlich wieder glücklich vereint. Doch Zarifa fühlte sich ein wenig, als stünde sie zwischen diesem Glück. Immer wieder schossen ihr blitzartig Gedanken in den Kopf, die ihre Stimmung trübten. Immer wieder hatte sie plötzlich ohne erkennbaren Anlass den Wunsch einfach wegzulaufen und Cyneric und Déorwyn ihrem Glück zu überlassen. Sie wollte Cyneric nicht erneut Sorgen bereiten, wo er doch gerade zum ersten Mal seit vielen Jahren seine Sorgen vergessen konnte. Doch wie würde er seine Sorgen wirklich vergessen können, wo er sich doch ständig mit ihr herumschlagen musste – einer ständigen Erinnerung an die Grausamkeit in Mittelerde.
Zarifas Gedanken rasten zu den Orten zurück, an denen ihr in ihrem Leben großes Leid zugefügt worden war. Die Kerker von Umbar. Das Sklavenlager von Fürst Radomir. Die umliegenden Berge von Gorak. Sie versuchte sich zu zwingen, an etwas anderes zu denken, doch es war, als würde sie ihre eigenen Gedanken nicht mehr kontrollieren können. Unwillkürlich begann sie zu weinen, während vor ihrem geistigen Auge nach wie vor ein schreckliches Bild nach dem anderen vorbeizog. Sie wollte wegrennen, doch ihre Beine rührten sich nicht. Wie aus weiter Ferne drang Déorwyns Stimme an ihre Ohren, so als wollte ihr Körper sie zwingen, zuzuhören.
„Wieso hast du Zarifa überhaupt mitgeschleift? Wozu brauchen wir eine Begleitung, deren Stimmung sich oftmals ohne konkreten Anlass von Fröhlichkeit in das komplette Gegenteil verwandelt? Ohne sie, wären wir doch wesentlich besser dran.“
„Das Gefühl habe ich auch. Vielleicht sollten wir uns einfach fortschleichen, sobald sie eingeschlafen ist?“
Zarifa war schockiert. Wie konnte Cyneric so etwas sagen? Sie dachte, sie wären befreundet gewesen. Zarifa wollte auf sich aufmerksam machen. Wollte, dass Cyneric und Déorwyn merkten, dass sie belauscht wurden. Doch nach wie vor reagierte ihr Körper nicht. Stocksteif stand sie da, unfähig sich zu bewegen. Sie konnte nur zusehen, wie die beiden sich langsam zu ihr umdrehten und ihr schließlich direkt ins Gesicht blickten. Alvar und Yasin starrten sie gierig an und Zarifa fuhr erschrocken aus dem Schlaf.

Es dauerte einige Sekunden, bis Zarifa realisierte, dass sie das alles nur geträumt hatte. Sie lag schweißgebadet in der Schlafstelle, die sie sich in dem verlassenen Haus eingerichtet hatte. Und das obwohl es eigentlich eiskalt war. Vorsichtig blickte Zarifa sich um. Ihr war schlecht. Déorwyn lag noch im Bett und schien zu schlafen, doch Cynerics Schlafstelle war verlassen. Und auch von Oronêl war keine Spur zu sehen. Zarifa dachte sich jedoch nichts weiter dabei. Vermutlich waren die beiden Männer einfach schon aufgestanden und bereiteten gerade ein Frühstück zu. Doch danach war Zarifa jetzt überhaupt nicht zumute. Stattdessen blieb sie noch ein wenig liegen und dachte über den Traum nach. War sie für Cyneric und Déorwyn wirklich nur eine Belastung? Wünschten sich insgeheim beide, dass Zarifa verschwinden würde?
„Das ist doch Blödsinn“, sagte Zarifa streng zu sich selbst. „Cyneric und Déorwyn waren bisher beide überaus freundlich zu mir. Wenn ich jetzt gehe, würden sie sich nur Sorgen machen. Cyneric hat mir angeboten, mich mitzunehmen und würde bestimmt nicht wollen, dass ich jetzt einfach gehe. Er war in letzter Zeit fast wie ein Vater zu mir. Und auch Déorwyn schien sich nicht an meiner Anwesenheit zu stören. Ich frage mich nur, ob sich das eventuell bald ändern wird.“
Déorwyn schnarchte laut auf und schnellte aus ihrem Bett hoch. Zarifa zuckte ob dieser plötzlichen Bewegung leicht zusammen, während die junge Frau aus Rohan hektisch durchs Zimmer blickte. Zarifa entschied sich, die Stille zu durchbrechen:
„Guten Morgen.“
„Ah, guten Morgen Zarifa“, entgegnete Déorwyn etwas zerstreut und blickte weiterhin hektisch hin und her.
„Hast du etwas Schlimmes geträumt?“, versuchte Zarifa sie zu beruhigen, doch Cynerics Tochter schien sie kaum zu hören.
„Ähm, weißt du, wo Oronêl ist?“
„Nein“, entgegnete Zarifa etwas verdutzt. „Draußen vermute ich.“
„Ich habe gerade geträumt, dass er sich mitten in der Nacht fortgeschlichen hat. Mein Vater hat ihn dabei beobachtet und ihn nicht aufgehalten“, erklärte Déorwyn hektisch. „Aber du hast vermutlich recht. Es war nur ein Traum. Mein Vater hätte das nicht zugelassen. Sie sind bestimmt beide draußen und bereiten das Frühstück zu. Wollen wir uns zu ihnen gesellen?“
„Ich weiß nicht recht“, begann Zarifa, ohne dabei zu wissen, wo dieser Satz eigentlich hinführen sollte. Sie wusste nur, dass sie lieber noch ein wenig liegen bleiben würde.
„Ach komm schon“, meinte Déorwyn nun sichtlich fröhlicher. „Du musst etwas essen.“ Sie war inzwischen aufgestanden und dabei sich etwas anzuziehen. Nur widerwillig tat Zarifa es ihr gleich.

Als sie das Haus verlassen hatten, erblickten sie augenblicklich Cyneric, der an einem Feuer stand, welches er offensichtlich gerade erst entzündet hatte. Oronêl war jedoch nirgends zu sehen. Die beiden jungen Frauen gingen rasch auf Cyneric zu und nach einer sehr kurzen Begrüßung, wollte Déorwyn von ihrem Vater wissen, wo Oronêl war. Cyneric senkte den Blick. Er hatte offensichtlich gehofft, das Thema anders anschneiden zu können.
„Was ist?“, hakte Déorwyn nach und Zarifa hörte, wie ihre Stimme leicht zitterte. Ihr gefiel nicht, worauf das Ganze hinauslief. Cyneric blickte seiner Tochter nun fest in die Augen. Er schien seine Worte mit besonderer Vorsicht auszuwählen. 
„Hör zu, Déorwyn“, begann er und legte seine Hand behutsam auf Déorwyns Schulter „Es war nicht meine Absicht, dass dies geschieht. Doch Oronêl hat sich entschieden, im Schatten der Nacht fortzugehen. Er wird nicht zurückkehren.“
Déorwyn blinzelte. Es schien einige Sekunden zu dauern, bis sie die Information verarbeitet hatte. Zarifa blickte abwechselnd von Vater zu Tochter. Nun wünschte sie sich umso mehr, dass sie im Bett geblieben wäre. Sie konnte förmlich sehen, wie die Fröhlichkeit aus Déorwyns Gesicht wich und einer Mischung aus Wut, Traurigkeit und Verzweiflung Platz machte. Sie schien zunächst zu versuchen, ihre Gefühle im Zaum zu halten und die nächsten Worte mit Bedacht zu sprechen, doch die schaffte es nicht. Nachdem einige Sekunden verstrichen waren, platzten die folgenden Worte nur so aus ihrem Mund:
„Fort? Was soll das heißen, er ist fort? Und woher weißt du das? Und wenn du ihn gesehen hast, warum hast du ihn nicht aufgehalten? Hat er etwas gesagt? Und warum stehen wir hier eigentlich noch rum? Wir müssen sofort aufbrechen und ihm nach. Er darf Mittelerde nicht verlassen. Das darf er einfach nicht. Ich werde … Ich werde …“ Einen weiteren Satz bekam Déorwyn nicht mehr heraus. Sie begann heftig zu weinen und brach in den Armen ihres Vaters zusammen. Zarifa konnte das Ganze nicht mit ansehen. Bisher hatte Déorwyns Fröhlichkeit fast ein wenig ansteckend auf sie gewirkt. Sie jetzt so verzweifelt zu sehen, ließ auch in Zarifa wieder die Verzweiflung hochkochen. Sie wusste nicht, was sie tun sollte. Sie machte sich Vorwürfe, weil sie vermutete, dass es ihre Worte gewesen sein könnten, die Oronêl zu seiner plötzlichen Abreise gebracht hatten. Hatte sie ihn wirklich derart verletzt?

Cyneric tätschelte seiner Tochter behutsam den Rücken und versuchte  sie zu beruhigen, was ihm jedoch nur bedingt gelang.
„Hör mir zu. Ich weiß, das Ganze ist schwer für dich. Ich weiß, dass ihr beiden euch sehr nahe standet. Und genau aus diesem Grund ist Oronêl nun fort. Er hatte nicht die Kraft für einen Abschied. Er hat seine Entscheidung gefällt und will nicht, dass ihn jemand aufhält.“
Déorwyn schluchzte. „Aber das war doch der gesamte Sinn dieser Reise. Wir müssen ihm hinterher. Wir können ihn bestimmt noch einholen. Ich kann nicht akzeptieren, dass er jetzt einfach für immer fort ist. Dass ich ihn niemals wiedersehen werde.“ Bei diesen Worten musste Zarifa unweigerlich an Tekin und Ziad denken – ein Gedanke, der sie nicht gerade aufheiterte.
„Es nützt nichts, ihm jetzt noch hinterherzureisen. Er ist bereits vor Stunden losgezogen.“
„Aber dein Pferd ist schnell. Wir können ihn doch bestimmt noch einholen.“
„Ja, Rynescéad ist in der Tat sehr schnell. Aber Oronêl ist ein Elb, der nicht gefunden werden möchte. Wir werden wohl kaum in der Lage sein, ihn aufzuspüren. Er weiß seine Spuren exzellent zu verbergen.“
„Das ist mir egal. Ich will es zumindest versuchen. Ich kann nicht einfach untätig hier herumsitzen und akzeptieren, dass er ohne ein Wort des Abschieds in den Tod geht.“
„Aber er geht nicht in den Tod. Er …“
„Jaja, ich weiß, er geht nur in den Westen? Na und? Für mich bedeutet das genau das Gleiche. Er verlässt diese Welt und kehrt niemals zurück. Ich werde ihn niemals wiedersehen. Ist das wirklich etwas anderes als der Tod?“, fragte Déorwyn hysterisch und weitere Tränen kullerten ihre jungen Wangen herunter.
„Hör mir zu, Kerry“, begann Cyneric erneut den Versuch, Déorwyn zu beruhigen. Die Tatsache, dass ihr Vater sie mit ihrem selbst gewählten Spitznamen anredete, schien die junge Frau zumindest kurzzeitig abzulenken. Etwas verdutzt blickte sie ihren Vater an. „Ich habe Oronêl gesehen, als er wegschlich und mit ihm geredet. Ich habe versucht ihm einzureden, sich von dir zu verabschieden, doch sein Entschluss stand fest. Er sagte, er wolle den Abschied vermeiden, weil das die Situation für ihn nur noch schwieriger machen würde.“
„Achso, und dass er es mit dieser Aktion für mich sehr viel schwieriger machen würde, ist ihm dabei nicht in den Sinn gekommen?“
Zarifa konnte Déorwyns Ärger sehr gut nachvollziehen. Oronêl hatte sich  auch aus ihrer Sicht sehr egoistisch verhalten.
„Doch, das ist ihm bewusst und er bedauert das sehr. Er sagte, ich solle dir ausrichten, dass es ihm Leid tut. Dass er sich bewusst ist, dass du ihn wohl eine ganze Weile dafür hassen wirst.  Und dass er trotzdem immer an dich denken wird, weil du die beste Freundin für ihn warst, die er sich jemals hätte wünschen können.“
Bei diesen Worten kullerten neue Tränen Déorwyns Wangen herunter. „Aber … Aber …“ Ihr schien nichts einzufallen, was sie zu dieser Situation noch weiter sagen sollte. Stattdessen vergrub sie ihr Gesicht in den Händen und schluchzte lautstark. Zarifa wollte sie trösten, wusste jedoch nicht wirklich wie. Vorsichtig legte sie ihrem Arm um Déorwyns Schulter und als diese nicht protestierte, umarmte Zarifa sie, ohne dabei ein Wort zu sagen. Das lag in erster Linie daran, dass ihr nichts einfiel, was sie hätte sagen können, doch es schien auch so seine Wirkung zu haben.
„Danke Zarifa“, schluchzte Déorwyn, als die beiden sich schließlich voneinander lösten. Zarifa blickte zu Cyneric, der die beiden jungen Frauen nun mit einem schwierig zu deutenden Gesichtsausdruck ansah. Er wirkte einerseits grimmig, doch anderseits auch mitfühlend und liebevoll. Zarifa kannte diesen Gesichtsausdruck nur zu gut. Er erinnerte sie mehr als alles andere auf der Welt an Ziad – den Mann, der sie aufgezogen und beschützt hatte, als sie noch ein Baby war. Den Mann, der vor ihren Augen umgebracht worden war. Es war eben dieser Gesichtsausdruck, der Zarifa überhaupt dazu gebracht hatte, diesem damals völlig fremden Mann zu vertrauen.
Dieser inzwischen nicht mehr völlig fremde Mann schien nun etwas sagen zu wollen, zögerte jedoch ein wenig. Schließlich zog er aus seiner Kleidung eine Axt hervor und sagte: „Bevor Oronêl ging, hat er noch das hier zurückgelassen. Er wollte, dass du es bekommst. Als Andenken an ihn und  an die Zeit, die ihr miteinander verbracht habt.“ Vorsichtig überreichte er diese Axt an seine Tochter, die mit einem äußerst unsicheren Gesichtsausdruck zugriff. Zarifa glaubte zu wissen, was in ihr vorging. Man konnte es förmlich an ihrem Gesicht ablesen. Einerseits war sie nach wie vor wütend auf Oronêl und würde diese Axt und alles andere, was etwas mit diesem Elb zu tun hatte am liebsten gegen die nächste Wand werfen und für immer zurücklassen. Doch andererseits war dies das letzte Andenken an einen Freund, den sie womöglich niemals wiedersehen würde. Schließlich, nach mehreren Augenblicken ließ sie die Axt sinken. „Also gut, Oronêl. Ich werde Hatholdor behalten. In der Hoffnung, dich doch noch eines Tages wiederzusehen und sie dir zurückgeben zu können.“



Wenige Minuten später hatte Cyneric ein dürftiges Frühstück zubereitet. Ihre Vorräte waren inzwischen äußerst knapp. Zarifa erinnerte sich an ihre Zeit in Umbar zurück, als sie jeden einzelnen Tag mit mangelnden Vorräten zu kämpfen gehabt hatte. Damals hatte sie sich entweder direkt die Mahlzeiten gestohlen oder aber mit gestohlenem Geld etwas gekauft. Doch seit sie Cyneric kennengelernt hatte, war dires nicht mehr nötig gewesen. Stets bezahlte er für alles, was er sich kaufte oder er bekam Sachen von Freundinnen wie der Königin des Waldlandreichs geschenkt. Und stets hatte er all seine Vorräte mit Zarifa geteilt. Genauso wie Ziad es früher getan hatte. Genauso wie Cyneric es jetzt für Déorwyn tat. 
„Hier Zarifa, nimm du dir auch etwas“, meinte Kerry und bot ihr ein belegtes Brot an. Doch Zarifa war nach wie vor nicht nach Essen zumute. Sie kannte dieses Gefühl inzwischen zu gut. Sie nahm das Brot in die Hand, nahm jedoch keinen Bissen zu sich. Genau vor diesen Momenten hatte Zarifa Angst gehabt. Genau von diesen Momenten hatte sie letzte Nacht geträumt. Von Momenten, in denen sie sich wie komplett Fehl am Platz fühlte. Von Momenten, in denen die Bilder von früher sie überwältigten und sie nichts tun konnte, um ihre schlechte Stimmung zu verbergen – geschweige denn sie loszuwerden. Ein silberner Dolch kam ihr in den Sinn. Ein silberner Dolch, der durch Ziads Brust gerammt wurde und ihre Kleidung mit Blut befleckt hatte. Blut, welches sie anschließend gezwungen war von dem Dolch zu entfernen. Sie dachte an Hilfeschreie, die von niemandem gehört wurden. An ein ekelerregendes Geräusch. An Tekins wunderschönen Kopf, der abgetrennt vor ihrem Gesicht baumelte. An ein zahnloses Grinsen und den Hieb einer Peitsche.
Nun war es Zarifa, der die Tränen ins Gesicht schossen. Rasch wischte sie diese weg in der Hoffnung, dass weder Cyneric noch Déorwyn etwas bemerkt hatten. Déorwyn hatte heute schon genug Schmerz ertragen müssen und sich gerade erst wieder ein wenig beruhigt. Sie wollte sie nicht noch weiter beunruhigen. Und das Gleiche galt auch für Cyneric, der gerade erst seine Tochter wiedergefunden hatte. Und doch konnte sie nicht mehr lange so tun, als wäre nichts. Sie würde die Fassade nicht länger aufrecht erhalten können. Es war, als wären zwei Seelen in einem Körper gefangen.
Zarifa blickte traurig auf das Brot in ihrer Hand. Sie konnte es im Moment einfach nicht essen. Sie blickte auf und sah, dass Déorwyn sie genau beobachtete.
„Was ist los, Zarifa“, fragte sie und legte ihre Hand auf Zarifas Schulter.
„Ach nichts. Ich denke grad nur über den merkwürdigen Traum nach, den ich letzte Nacht hatte“, antwortete Zarifa ausweichend und als sie bemerkte, dass Déorwyn nachhaken wollte, schob sie rasch hinterher: „Es ging um Cyneric, der sich darüber beschwert hat, dass sein Leben in letzter Zeit nur noch von Frauen bestimmt würde und dass er sich davon befreien wollte. Doch dann ist ihm aufgefallen, dass er alleine leider überhaupt nichts kann.“
Déorwyn gluckste, doch Cyneric wirkte eher besorgt. Er kannte Zarifas Angewohnheit bereits, unangenehme Situationen mit Humor zu überspielen. Er sah Zarifa erneut mit diesem merkwürdigen Blick an. Diesem grimmigen Gesichtsausdruck durchzogen von Mitgefühl und Freundlichkeit. Mehr denn je erkannte sie in diesem Mann nun Ziad wieder. Den Mann, der für sie wie ein Vater gewesen war. Und nun wusste Zarifa, was sie zu tun hatte. Früher oder später würde sie keine andere Wahl mehr haben. Und je länger sie wartete, desto schlechter würde es allen Beteiligten gehen. Noch bevor Cyneric, der gerade den Mund geöffnet hatte, etwas sagen konnte, sprudelten die folgenden Worte aus Zarifas Mund: „Ich bin schwanger.“
RPG:
Char Zarifa in Rhûn

Fine

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Mit der Vergangenheit abschließen
« Antwort #11 am: 31. Jan 2019, 16:55 »
"Waaaaaa~??"

Kerry gelang es kaum, ein verständliches Wort von sich zu geben. Gerade eben noch hatte sie über Zarifas Witz auf Kosten ihres Vaters gekichert, doch nun fühlte sie sich, als wäre ihr der Boden unter den Füßen weggezogen worden. Zarifa? Sie... sie ist schwanger? Ein hastiger Blick auf Zarifas Bauch zeigte ihr, dass sich dort noch keine verräterische Wölbung zeigte, also konnte es noch nicht allzu lange her sein, dass sie...

Dass sie...

Kerry lief knallrot an und blickte zu Boden. Sie wusste nicht, was sie sagen sollte. Der vergangene Tag war voller schockierender Ereignisse gewesen, doch das schlug dem Fass nun den Boden aus.
Cyneric hingegen reagierte vollkommen anders auf Zarifas Enthüllung. Er blieb ruhig, was Kerry ihm hoch anrechnete, und legte der jungen Südländerin sanft eine Hand auf die Schulter.
"Bist du dir sicher, Zarifa?" fragte er in neutralem Ton.
"Ja natürlich bin ich das," gab diese zurück. Etwas schroff.
"Sie wird es wohl noch am besten wissen," warf Kerry ein. Wie konnte er dies überhaupt in Frage stellen?
"Ich kenne die Anzeichen von Schwangerschaft," sagte Cyneric, "ich habe sie einst bei deiner Mutter gesehen, Déorwyn." Er seufzte leise und blickte dann wieder Zarifa an. "Alvar ist der Vater, nicht wahr?"
"Ich... ich... er hat...," stieß Zarifa hervor, die den Tränen nahe zu sein schien. "Es ist..." Der Rest ihres Satzes ging in einem lauten Schluchzen unter.
Kerry sprang auf und nahm Zarifa in den Arm. Ihre linke Schulter und ihr Zopf wurden von den Tränen der Südländerin befeuchtet, doch sie ließ Zarifa nicht los. "Alles wird gut," flüsterte Kerry beruhigend. "Wir kriegen das hin, hörst du? Wir kriegen das zusammen wieder hin. Alles wird gut, Zarifa."
Zarifa schien etwas sagen zu wollen, brachte jedoch kein Wort heraus. Es dauerte mehrere Minuten, bis sie sich weit genug beruhigt hatte, um wieder sprechen zu können.
"Ich bin doch bloß eine Last für euch," stieß sie hervor. "Ihr solltet euch über eurer Wiedersehen freuen, und euch nicht mit meinen Problemen beladen. Lasst mich einfach zurück..." murmelte sie traurig.
"Das kommt ü-ber-haupt nicht in Frage," stellte Kerry klar. "Wir würden niemals jemanden im Stich lassen, der unsere Hilfe braucht."
"A-aber du, du bist doch nur wegen Oronêl hier, Déorwyn..." schniefte Zarifa.
"Oronêl ist aber jetzt gerade nicht wichtig." Kerry biss die Zähne zusammen. Sie hatte zwar inzwischen akzeptiert, dass Oronêl seine Wahl getroffen und sie verlassen hatte, um nun doch in den Westen zu fahren, doch ihr Zorn darüber war noch lange nicht verraucht. "Wichtig ist, dass mit dir und dem Leben, das du in dir trägst, alles in Ordnung ist. Vater, wir müssen sie zu jemandem bringen, der etwas davon versteht."
Cyneric schien einen Augenblick darüber nachzudenken, dann nickte er. "Also gut. Hier können wir sowieso nicht bleiben - auch wenn dieses Dorf einst unsere Heimat war, nun ist es eine Ruine. Ich denke, wir sollten nach Aldburg gehen."
"Aldburg?" fragte Kerry. "Die alte Stadt in der Ostfold?"
"Seit dem Brand in Edoras ist es unsere Hauptstadt," erklärte ihr Vater ihr. "Dort residiert die Königin, und dort ist Marschall Erkenbrand, dem ich noch einen Bericht über die Erfahrungen, die ich in Rhûn gemacht habe, schulde. Und dort wird es auch jemanden geben, der sich Zarifa ansehen kann und ihre Gesundheit beurteilen kann."
"Sehr gut. Dann ist es beschlossen. Wir reiten nach Aldburg." Kerry ließ Zarifa los und bot ihr die Hand an, um ihr auf die Beine zu helfen. Dabei fiel ihr das Stück Brot auf, dass die Südländerin in der Hand hielt. Es war noch immer unangetastet.
"Denk daran, dass du jetzt für zwei essen musst, Zarifa," mahnte Kerry. "Du solltest nicht mit leerem Magen unterwegs sein."
"Aber..." versuchte Zarifa noch Einwand zu erheben.
"Na mach schon," sagte Kerry mit gespielter Strenge. "So furchtbar wird es schon nicht schmecken."

Während Cyneric ihr Gepäck auf den Rücken seines Pferdes lud, sorgte Kerry dafür, dass Zarifa ihr Frühstück beendete. Sie würden versuchen, im nächsten Dorf ein weiteres Pferd zu leihen und dann auf schnellstem Wege nach Aldburg zu reiten. Als alles bereit war, ging Cyneric voran, der Rynescéad am Zügel führte, dicht gefolgt von der schweigsamen Zarifa, die halb ungläubig, halb dankbar dreinblickte. Kerry hingegen warf einen letzten Blick auf das Dorf, in dem sie aufgewachsen war.

Ich bin froh, hierher zurückgekehrt zu sein, dachte sie. Ich verstehe nun besser, was damals eigentlich geschehen ist. Ich weiß, was für schlimme Dinge mir zugestoßen sind und ich weiß, dass ich von Glück reden kann, überlebt zu haben. Anderen Menschen ist es in diesem Krieg deutlich weniger gut ergangen, wie zum Beispiel die arme Zarifa. Sie seufzte und blickte zu den schneebedeckten Gipfeln hinauf, die über ihr in den Himmel ragten. Jenseits der Berge lag Gondor, durch dessen Täler Oronêl inzwischen wandern musste. Du hast gewonnen, Oronêl. Ich... werde dich ziehen lassen, so sehr es auch schmerzt. Geh' deinen Weg zu einem Wiedersehen mit Calenwen. Aber um eines bitte ich dich... Sie packte Hathôldors Griff, der sich ungewohnt in ihren zu kleinen Händen anfühlte.

"Déorwyn!" rief Cyneric, der sich bereits in einiger Entfernung das Tal hinab befand. "Nicht trödeln, meine Kleine, hörst du?"

Wenn du die unvergänglichen Lande erreichst, Oronêl... dann vergiss mich nicht. Bitte...

Sie schloss für einen letzten, langen Moment die Augen und atmete tief durch. Dann kehrte Kerry Hochborn den Rücken zu und eilte Zarifa und ihrem Vater nach, der Straße das Tal hinab folgend.


Zarifa, Cyneric und Kerry nach Aldburg
« Letzte Änderung: 6. Feb 2019, 16:14 von Fine »
RPG:

Eandril

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Re: Dunharg und das Hargtal
« Antwort #12 am: 10. Feb 2020, 12:48 »
Narissa, Aerien, Aragorn, Gandalf, Amrothos und Irwyne aus Edoras

Immer weiter führte der Weg nach Süden durch das Hargtal ins Gebirge hinauf. Zunächst war das Tal breit, mit sanften Hängen, und von vielen Gehöften gesäumt. Von einigen Höfen stieg Rauch auf, und diese wirkten, als wären sie vor nicht allzu langer Zeit erst gebaut worden, während die übrigen verlassene Ruinen waren.
"Das Volk Rohans kehrt allmählich zurück", erklärte Gandalf.
"Aber längst nicht alle", bemerkte Narissa, mit einem Blick auf die deutlich zahlreicheren Ruinen. Gerade führte der Weg an einem großen Haus vorüber, dessen Dach vollkommen verschwunden war. Die Balken der Wände ragten wie abgebrochene Zähne in den kalten Winterhimmel.
Irwyne, die mit einem Mal blass war und unbehaglich wirkte, sagte: "Es sind viele getötet worden, als Mordor kam. Und manch einer möchte vielleicht nicht an den Ort zurückkehren, an dem er Familie verloren hat." Sie blickte zu Boden, und fügte leiser hinzu: "Ich kann das gut verstehen."
Narissa warf ihr einen Blick zu. "Was ist passiert?", fragte sie sanft. "Ich meine - natürlich nur, wenn du darüber sprechen möchtest."
Irwyne lächelte schwach. "Schon gut. Es ist jetzt zwei Jahre her, also... Als Mordor Rohan besetzt hatte, wurden meine Eltern von Orks getötet, gar nicht weit von hier. Ich habe nur überlebt, weil Amrûn mich gerettet hat."
"Amrûn klingt nicht wie jemand aus Rohan", warf Aerien, die an Narissas rechter Seite ritt, ein, und Irwyne schüttelte den Kopf. "Nein, Amrûn ist - war ein Elb. Er ist in Lórien gefallen, als Saruman angegriffen hat."
"Das tut mir leid, ich... ich weiß wie das ist", sagte Narissa.
Irwyne richtete sich ein wenig im Sattel auf, und setzte ein tapferes Lächeln auf. "Aber ich habe neue Freunde gefunden - und Familie. Und jetzt ist Gandalf hier, also wird Mordor Gondor bestimmt nicht erobern. Als er nach Rohan gekommen ist, sind die Orks auch vertrieben worden."
Narissa erwiderte nichts. Sie hoffte nur, dass Aragorn und Gandalf genug sein würden, um Gondor zu helfen...

Der Weg führte immer weiter das Tal hinauf, durch ein wieder bewohntes Dorf, das Gandalf Unterharg nannte, dann durch ein Wäldchen einen steileren Hang wie eine Schwelle hinaufführte. Oben hatte es offenbar vor kurzem kräftig geschneit, und in der aufkommenden Dämmerung hätte Narissa die Ruinen eines Dorfes an der Westseite des Tales unter der dicken Schneedecke übersehen.
"Hierher ist offenbar noch niemand zurückgekehrt", sagte sie, und stellte überrascht fest, dass ihr Atem kleine Wölkchen vor dem Mund bildete. Tatsächlich war es hier oben deutlich kälter als noch in Edoras.
Gandalf warf einen langen Blick in Richtung der Ruinen, und sagte dann geheimnisvoll: "Einige schon. Für eine kurze Zeit."
Narissa warf Irwyne einen fragenden Blick zu, doch diese zuckte nur mit den Schultern und meinte: "Gandalf spricht gern in Rätseln, das weiß jeder, der ihm begegnet ist."
"Ich spreche nicht in Rätseln, meine Liebe", erwiderte Gandalf, der den kurzen Austausch mitbekommen hatte. "Ich spiele lediglich auf Ereignisse an, die mit euch beinahe nichts zu tun haben." Sein Blick streifte Irwyne, und er fügte hinzu: "Fast nichts jedenfalls."
Irwynes Mund bildete ein stummes Oh, bevor sie sagte: "Das ist Hochborn, oder? Dann haben Oronêl und Kerry hier Kerrys Vater getroffen, das hat Oronêl mir erzählt." Beide Namen kamen Narissa bekannt vor - Kerry war das Mädchen, dass Helluin suchen wollte, und Oronêl war oft in Irwynes recht verworrenen Erzählungen vorgekommen, doch sie fragte nicht weiter nach. Stattdessen betrachtete sie Umgebung, die unter einer dicken Schneeschicht verborgen lag. Unten am Fuß des Gebirges hatte der Schnee höchstens als feine Schicht auf den Dächern gelegen, doch hier mussten sich die Pferde geradezu eine Spur hindurch bahnen. Sie schätzte, dass der Schnee hier beinahe einen ganzen Fuß hoch lag.
"Ich wusste gar nicht, dass so viel Schnee liegen kann", sagte sie leise zu Aerien, die den Kopf schüttelte. "Ich hatte davon gehört, aber gesehen... du weißt ja, in - da wo ich herkomme, fällt kein Schnee."
"Es gefällt mir ganz gut", meinte Narissa. "Die Landschaft sieht dadurch so unberührt aus. Irgendwie unschuldig und friedlich. Wenn es dabei nur nicht so kalt sein müsste." Sie schauderte unwillkürlich. In Aldburg hatten sie wärmere Kleidung bekommen, was auch dringend notwendig gewesen war, doch selbst durch den pelzbesetzten Mantel begann Narissa die Kälte zu spüren. Wenigstens schienen Gandalf und Irwyne genug davon zu haben, die Ruinen anzustarren, und setzten sich wieder in Bewegung, weiter das Tal hinauf.

Die Sonne war beinahe vollkommen hinter den westlichen Bergspitzen verschwunden, als sie das Ende des Hargtals erreichten. Die steilen Berghänge traten hier eng zusammen, und nach Süden hin versperrte ihnen ein beinahe senkrechter Hang den Weg.
"Und jetzt?", fragte Narissa, als sie ihr Pferd gezügelt hatte. "Ich dachte, hier führt ein Weg weiter nach Gondor, aber das sieht wie eine Sackgasse aus." Sie sah sich im schwindenden Licht um, konnte aber keinen Pfad entdecken.
"Das ist unser Weg", sagte Aragorn unter seiner Kapuze hervor, und deutete auf die Felswand vor ihnen. "Ein gewundener Pfad führt dort hinauf nach Dunharg. Doch es ist kein Weg, den man im Dunkeln und im Schnee nehmen sollte. Wir werden bis zum Morgengrauen rasten."
Während die anderen das Lager bereiteten, bemerkte Narissa, dass Aerien allein auf einem einzelnen Felsblock saß und nach Norden das Tal hinunter blickte. Narissa setzte sich leise neben sie, und stieß sie sanft mit dem Finger an.
"He. Ist alles in Ordnung?"
"Ja. Nein. Ich weiß nicht recht." Aerien seufzte tief, wehrte sich aber nicht dagegen, dass Narissa ihre Hand ergriff. "Die ganze Zeit habe ich das Gefühl, mich an irgendetwas wichtiges nicht erinnern zu können."
Narissa erwiderte nichts, doch sie spürte ihr Herz schneller schlagen. Früher oder später würde vermutlich ohnehin herauskommen, was in Durthang geschehen war, doch sie konnte es nicht über sich bringen, etwas zu sagen. Zumindest nicht jetzt. Stattdessen strich sie einfach stumm mit dem Daumen über Aeriens Handrücken, bis diese tief durchatmete und sagte: "In letzter Zeit... hatte ich beinahe vergessen, wie schön es in dieser Welt sein kann."
Narissa folgte ihrem Blick das Tal hinunter. Die letzten Sonnenstrahlen ließen die schneebedeckten Bergspitzen rötlich erstrahlen, während das Tal bereits in tiefem Schatten lag. Dennoch war es nicht vollständig dunkel, wenn die weiße Schneedecke schien geradezu von selbst zu leuchten.  "Mhm. Wenn es dabei nur nicht so eisig wäre."
"Wäre es wärmer, würde der Schnee schmelzen", erwiderte Aerien. "Aber du musst dich nicht daran gewöhnen, ich glaube, in Gondor wird es wärmer sein. Vor allem an der Küste, in Dol Amroth."
"Ich kann es kaum erwarten."

Der Morgen zog gerade erst klar und kalt herauf, als sie schon wieder aufbrachen. Im ersten Tageslicht erkannte Narissa nun auch den gewundenen Weg, der den Hang hinaufführte, und dem sie nun folgten. An jeder Kehre des Weges standen grob gemeißelte, bedrohlich wirkende Steinstatuen. "Die Puckelmänner nennt man sie", erklärte Irwyne. "Niemand weiß genau, wer sie gemacht hat und warum, doch sie stehen hier schon seit die Rohirrim nach Rohan gekommen sind."
Als sie schließlich oben ankamen, hatte sich die Sonne über die östlichen Berge geschoben, und Narissa genoss die Strahlen auf ihrem Gesicht, auch wenn sie kaum wärmten. Sie hätte sich trotz der Kälte gerne ein wenig umgesehen, doch Aragorn und Gandalf schienen es eilig zu haben, und ritten bereits ohne anzuhalten weiter, direkt auf den drohenden, massigen Berg zu, der ihnen nach Süden im Weg stand. Am südlichen Rand der Hochebene führte zwischen Reihen stehender Steine ein schmaler Pfad weiter, auf dem sie nur hintereinander reiten konnten.
Sie kamen zwischen Geröllfeldern auf beiden Seiten des Pfades hindurch, und schließlich, als der gewaltige Berg direkt vor ihnen aufragte, durch einen kleinen Wald dunkler Bäume, an dessen Ende sich eine schmale Höhlung in der Felswand öffnete.
"Die Pfade der Toten", sagte Amrothos, der bereits abgesessen war. "Zumindest sind sie das früher gewesen. Die Toten sind fort, aber ein besonders angenehmer Weg ist es trotzdem nicht."
"Und doch der sicherste und kürzeste Weg zwischen Gondor und Rohan", erwiderte Gandalf, der einen weißen Kristall an die Spitze seines Stabes gesetzt hatte. Er sagte leise ein unverständliches Wort, und der Kristall leuchtete auf und verbreitete ein weißes Licht.
Aragorn hatte gerade eine Fackel entzündet, und fügte hinzu: "Wenn man nicht den weiten Weg über das Kap von Andrast auf sich nehmen möchte - und dazu fehlt uns die Zeit."
Gandalf setzte sich an die Spitze. "Folgt mir. Die Toten mögen fort sein, doch der Weg ist dunkel und gefahrvoll, wenn man den Pfad nicht kennt."

In dem Tunnel, der sich lang hinzog und viele Biegungen machte, war die Luft stickig und trocken, und Narissa fühlte sich eingeengt und gefangen. Irgendwann verlor sie das Zeitgefühl, und sie hätte nicht sagen können, ob sie erst seit einigen Augenblicken in den Tunneln unterwegs waren, oder schon seit Tagen. Sie blickte stur geradeaus auf Aeriens Rücken, den sie im schwachen Licht der Fackel und von Gandalfs Stab geradeso erkennen konnte, und die Wärme ihres Pferdes neben ihr versicherte ihr, dass sie nicht alle längst gestorben waren.
Schließlich, nach einer gefühlten Ewigkeit die sie stumm im Dunkeln marschiert waren, verbreiterte sich der Gang, und von vorne fiel ein kaltes Licht hinein. Schon im nächsten Augenblick stolperte sie hinter Aerien hinaus ins Licht des Tages.
Die Sonne war, seit sie die Pfade der Toten betreten hatten, schon weit den Himmel hinaufgeklettert, und schien ihnen jetzt von Süden aus beinahe direkt ins Gesicht. Narissa schloss für einen Augenblick die Augen und genoss die Sonnenstrahlen, bevor sie sich nach den anderen umsah.
Aerien, Irwyne und Amrothos wirkten alle ebenso blass und erschöpft wie sie selbst sich fühlte, während Gandalf vollkommen unverändert aussah. Aragorn stand ein wenig abseits und blickte über das grüne Tal hinunter nach Süden.
Hier auf der südlichen Seite des Gebirges lag weitaus weniger Schnee als in Rohan. Nur die höchsten Hänge waren schneebedeckt, und weiter unten wurde die weiße Schicht immer dünner und hörte schließlich ganz auf. Jenseits der Hänge des Gebirges breitete sich ein hügeliges, grünes Land aus, mit kleinen Wäldern und weiter im Süden kahlen Getreidefeldern. Und ganz weit im Süden glaubte Narissa den fernen Glitzer der Sonne auf dem Meer wahrzunehmen, aber vielleicht war das auch eine Sinnestäuschung.
Während sie noch nach Süden über das Land blickte, warf Aragron mit einer plötzlichen Bewegung seine Kapuze ab.
"Ich möchte mich nicht wie ein Dieb in der Nacht nach Gondor schleichen", sagte er. "Dies ist mein Königreich, vom Gebirge bis zum Küstenstrich, und zumindest für diesen Augenblick will ich Elessar sein, der König von Gondor, und nicht Streicher aus dem Norden."
Er wandte sich zum Rest der Gruppe an, und in diesem Augenblick schienen sämtliche Furchen und Spuren von Zeit und Leiden aus seinem Gesicht verschwunden zu sein, und er wirkte ganz und gar wie ein König. Ohne ein bewusste Entscheidung ging Narissa auf ein Knie nieder, den Schnee nicht achtend, und sagte: "Ich werde dir bei allem was kommt so gut zur Seite stehen, wie ich kann. Mein Vorfahr Palandras schwor deinem Vorfahr Isildur einst einen Eid - Nai i vorondar endoron, hyarna yo formenya i utúlië númenórello, óven astaroya sé oht'ill ta nai hain númeheruvir ohilyar. Nai tiruvantes i hárar mahalmassen mi númen.. Und daran werde ich mich halten." Als Kind hatte sie die Quenya-Worte auswendig gelernt, und sie nie vergessen.
Auf einmal kniete Aerien neben ihr, und senkte den Kopf. "Es gibt keinen Eid, den meine Vorfahren deinen schworen, also werde ich die erste sein. Doch ich schwöre, ich werde an deiner Seite kämpfen, bis die Dunkelheit besiegt ist und darüber hinaus... mein König."
Mit langsamen Schritten trat Amrothos näher, und auf seinem Gesicht mischten sich ungläubiges Erstaunen und Ehrfurcht. "Ich hatte eure Rückkehr für unmöglich gehalten", sagte er, bevor er an Narissas anderer Seite auf die Knie ging. "Mein Schwert und alle Hilfe, die ich euch bieten kann, stehen euch zur Verfügung, mein Lehnsherr."
Aragorn räusperte sich, und der Augenblick verging. Mit einem Mal sah er nicht mehr aus wie ein König aus alter Zeit, sondern wie der Waldläufer, mit dem sie seit Mordor gereist waren. "Ich danke euch, meine Freunde, und... erhebt euch." Er setzte seine Kapuze wieder auf, und wandte sich an Amrothos und Irwyne. "Ich muss euch bitten, geheimzuhalten, was ihr gerade erfahren habt. Sprecht mit niemandem darüber, bis ich selbst beschließe, mich zu offenbaren." Beide nickten, Amrothos ernst und Irwyne eifrig, während Aragorn sich Gandalf zuwandte, dessen Miene nicht zu deuten war.
"Verzeih mir, alter Freund. Doch ich konnte nicht anders."
"Was geschehen ist, ist geschehen", erwiderte der Zauberer. "Lass uns hoffen, dass der Feind keine Späher in der Gegend hat. Mordor wird noch früh genug erfahren, dass der König nach Gondor zurückgekehrt ist, und die Vergeltung wird dann rasch erfolgen - und zwar hart."

Aragorn, Gandalf, Amrothos, Irwyne, Narissa und Aerien nach Gondor
« Letzte Änderung: 12. Mär 2020, 13:19 von Fine »

Oronêl - Edrahil - Hilgorn -Narissa - Milva