Gwilwileth stand nun abseits der Gruppe Ents, die sich nun um den schwer verletzten Baumbart, und Antien gestellt hat. Der sonore Gesang der Ents dröhnte ihr noch immer in den Ohren. Sie lehnte sich an einen Baum, der mit olivgrünem Moos bedeckt war. Die kühlende Nässe war unsagbar angenehm für Gwilwileth. So viel war in den letzten Wochen passiert, die ihr das Gemüt trüben ließen; Unzählige Bilder schossen ihr durch den Kopf ...Das Schlachtgetümmel....der Tod Maedhros...der Wortstreit mit Maethor...das Bündel des schwarzen Dieners...der Abschied der weißen Frau...der Abschied von Jutan...der Abschied von Nîdanadh...und nun auch noch das Elend, welches Saurons dunkle Diener an der Saat Yavannas angerichtet hatte.
Plötzlich regte sich Wut in Gwilwileth, wie heiße Lava stieg sie in ihr empor und verbrannte jedes andere Gefühl. Sie ballte ihre Fäuste und eine Ader in ihrem Gesicht fing an sich abzuzeichnen und pulsierte schnell und unkontrolliert.
Wie sehr sehne ich mich danach endlich Rache zu nehmen an den Mördern meiner Familie, meiner Freunde und an allem was mir lieb war.
Als Gwilwileth jedoch Antiens Lied vernahm legte sich die Wut und machte einem neuen Gefühl Platz – der Einsamkeit.
Sie fühlte sich so schrecklich allein, obwohl Antien so nah war. Sie war auf einem Floß auf einem weiten Ozean und obwohl sie schrie sah Antien, der auf einer blühenden Insel stand, sie nicht.
Ich bewundere Antien für seinen Mut. Ich hingegen empfinde viel zu viel Respekt und Scheu vor diesen weisen und ältesten Geschöpfen Mittelerdes. Noch nie zuvor sah ich einen der Onodrim und zugleich zum ältesten ihrer Art zu gehen, verdient meinen größten Respekt und meine tiefste Bewunderung.
Sie wandte ihre Augen wieder dem Schaubild zu und beobachtete, wie Baumbart sogar anfing zu lachen. Bei diesem Bild musste Gwilwileth lächeln. Stunden lang sah Gwilwileth Antien einfach nur zu, wie er dort kniete, neben dem Ondorim, und sang. Er sang mit goldener Stimme und alle ihre Sinne richteten sich nach dem wundervollen Gesang Antiens. Jene wohlklingenden Töne verabschiedete das gleißende Sonnenlicht, hieß die Dämmerung willkommen und führte den strahlenden Vollmond an seine altvordere Stelle.
Besonders ist dieser Elb...Jedoch wünsche ich mir auch so gerne etwas tun zu können für den Herr der Baumhirten...doch wie immer bin ich nutzlos und nur eine Last.
Beklommenheit machte sich in Gwilwileth breit und sie verließ den Schauplatz und folgte ein wenig dem Verlauf des Stromes, des Onodló, einem der ältesten Flussläufe der Welt. Schon bald fand sie einem Stein, der groß genug war, um sich auf ihn zu setzen.
Sie streifte die ledernen, silbern matten, Stiefel ab und stieg in das kristallklare Wasser, welches sich angefangen hatte vor dem Stein anzustauen und nun Gwilwileth bis zu den Knien ging. Ihr weißes Kleid, welches an Ärmeln und Kragen mit silbernen Stickereien verziert war erstrahlte im Mondlicht. Sie bückte sich und wusch ihr Gesicht.
Als sie damit geendet hatte, sah sie sich um. Das Mondlicht hatte die Lichtung um sie herum in ein besonderes Licht getaucht.
Von vielen Augen fühlte sie sich beobachtet, aber dies war ihr nicht unangenehm. Sie empfand sie mehr als schützende, als bedrohende Blicke. Die einzigen Geräusche, die sie nun noch vernahm war das sanfte wiegen der tausend Jahre alten Baumkrönen im Wind und das plätschern des Onodló.
Plötzlich verspürte sie eine tiefe Sehnsucht in ihrem Herzen, zu singen. Schon so lange hatte sie nicht mehr singen dürfen. Das letzte Mal in den Wäldern Lothloriens, wo sie Nîdanadh getroffen und lieben gelernt hatte. So sang sie nun mit voller Stimme und alle Bäume in ihrer Umgebung verstummten. Der Onodló schwieg und hörte der trauernden und verletzten Seele zu, die ihre Gefühle durch ein Lied Preis gab. Gwilwileth sang ein Lied, welches sie nicht kannte. Es war ihr Lied. sie sang es mit lauter Stimme und der Wind trug dieses Lied in jeden Winkel Mittelerdes. Das Lied erschallte in den tiefsten Winkeln Mittelerdes, vom Nest der Alder im Nebelgebirge bis hin zum tiefsten Verließ in Barad-Dûr. Auch, wenn nur wenige den Text verstanden, so war die Melodie doch für viele greifbar und ein paar Elben in den Grauen Anfurten vernahmen deutlich Text und Melodie und schrieben sie nieder. Sie nannten es „ Die Ode der Elbenmaid an das Leid“.
Gwilwileth sang das Lied mehrere male, doch selber erinnerte sie sich kaum an den Text, obwohl er, wie ein Spiegel ihrer Seele war.
Wann der silberne Mond durch die Gesträuche scheint,
Und ein schlummerndes Licht über den Rasen streut,
Und die Nachtigall flötet,
Wand†™l ich traurig von Busch zu Busch.
Selig preis ich dich dann, flötende Nachtigall,
Weil dein Weibchen mit dir wohnet in einem Nest,
Ihrem singenden Garten,
Tausend trauliche Küsse gibt.
Überhüllt von Laub, girret ein Taubenpaar
Sein Entzücken mir vor; aber ich wende mich,
Suche dunklere Schatten,
Und die einsame Träne rinnt.
Wann, o lächelndes Bild, welches, wie Morgenrot
Durch die Seele mir strahlt, find ich auf Erden dich?
Und die einsame Träne
Bebt mir heißer die Wange herab.
Nachdem sie es einige Male gesungen hatte verstummte ihre Stimme und Dunkelheit umhüllte Gwilwileth. Sie stand da, aber die Stille kehrte nicht zurück, denn dort war eine Stimme, die die Schatten vertrieb. Sie war warm und freundlich, aber voller Bestimmtheit und reich an Macht. Sie war, wie ein milder Sommerabend, an dessen Himmel sich, aber schon dunkle Gewitterwolken abzeichnen. Die Stimme sprach Gwilwileth direkt ab, aber Gwilwileth wagte es nicht sich umzudrehen, da sie viel zu viel Angst vor dem Gewitter hatte, sie wollte das Gefühl des warmen Sommerabends nicht verlieren, deshalb blieb sie einfach nur stehen.
„ Von Trauer sangst du, von Leid und Schmerz. Doch höre mir zu Gwilwileth-Dúlin , ich kenne deine Geschichte und das Leid, welches dir wiederfahren ist, und doch sollte nicht die Trauer das vorwiegende Gefühl in deinem Herzen sein, denn soviel Freude und Zuversicht hat in deinem Herzen noch Platz und sollte dort Einkehr halten.“
Sie vernahm die Worte, und langsam und behutsam drehte sich Gwilwileth um und sah eine weiße Gestalt vor sich, auf einen Stab gestützt.
„ Oh du weißer Zauberer, wie gerne würde ich dir glauben, doch sitz die Trauer, wie ein schwarze Spinne in meinem Herzen und spinnt ihr Netzt dort, wo Freude und Zuversicht sein sollten. Und jeder meiner Versuche sie zu vertreiben war zwecklos und so habe ich mich mit diesem Gefühl abgefunden und mit meinem Schicksal die ewig trauernde zu sein.“
„ Glaub mir Gwilwileth, dieses Wesen haben wir alle in unseren Herzen. Selbst die weisesten unter uns sind oft nicht im Stande es los zu werden. Doch war deinerseits keine Bemühung sie loszuwerden, es war für dich das einfachere, bequemere Schicksal, die ewig trauernde zu sein.“
Gandalf hielt kurz inne, denn er merkte, dass diese Worte hart gewesen waren, aber Gwilwileth nickte bestätigend, als er sich entschuldigen wollte, deshalb fuhr er fort.
„ Dein Name Gwilwileth, der Schmetterling, strahlt allein schon so viel Freude aus. Dieser allein sollte in der Lage sein, die Schatten in deinen Herzen zu bändigen“, führte Gandalf weiter aus. Er nahm, die unsichere, Gwilwileth bei der Hand und führte sie zu dem Stein und setzte sich auf ihn. Wolken waren mittlerweilen aufgezogen und verdeckten den silbernen Mond.
Gwilwileth merkte nun, wie sehr sie es fror, nachdem sie die ganze Zeit im kalten Wasser des Onodló gestanden hatte. Sie schwieg und hoffte darauf, dass Gandalf fortfahren würde ihr Mut zu machen, jedoch schwieg Gandalf und starrte tief in den Wald hinein. So saßen die beiden nur eine Weile nebeneinander, bis Gwilwileth den Entschluss fasste Gandalf zu antworten. Die Worte auszusprechen fielen Gwilwileth zu Beginn schwer und sie fühlte sich voller Scham, wie ein gescholtenes Kind.
„ Gandalf, ja mein Name ist Gwilwileth-Dúlin, doch langsam verabscheue ich diesen Namen, der in Relation mit soviel Leid und Kummer steht. Ich möchte ja das Wesen in mir töten, aber in meinen Namen hat es sich zum Teil ebenfalls eingenistet. Ich...“
Gwilwileth verstummte, denn sie wusste nicht mehr was sie sagen sollte, denn Gandalf starrte immer noch in den tiefen Fangorn hinein. Als Gwilwileth schon die Hoffnung aufgegeben hatte, nahm er Gwilwileth am Kinn und zwang sie somit ihm in die Augen zu schauen. Gwilwileth war überwältigt von der Intensität und der Willensstärke, die Gandalfs Augen ausstrahlten.
„ Es ist keine Lüge, was mir von dir berichtet wird Gwilwileth- Dúlin. Du bist eine gebrochene Frau und das sehe ich in deinen Augen. Viel Leid kann ich deinen Augen erkennen, das ist wahr, jedoch sehe ich eine Weisheit und Güte in deinen Augen, die viele der höchsten Elbenfürsten, vielleicht sogar einige der Maia nicht aufbringen können.
Doch diese beiden Eigenschaften werden verdeckt von einem Schleier, denn du dir selbst auferlegt hast. Viele haben mir von deinen Augen berichtet.
Elrond und Galadriel waren fasziniert über die Wirkung, die sie auf Fremde haben, denn nicht viele können dir lange in die Augen schauen. Auch ich, obwohl sie mich faszinieren, stoße hierbei an meine Grenzen.. Doch die schönste Geschichte wurde mir von deinem Vater erzählt Gwilwileth.“
Gwilwileth sah Gandalf verwundert an, woraufhin er erwiderte: „ Ja Gwilwileth ich kannte deinen Vater, ebenso wie deine Mutter. Oft besuchte ich ihn in Imladris und er erzählte mir von seiner Tochter, einer ungewöhnlichen Elbin mit rotem Haar und blauen Augen, die die Geschichte Mittelerdes erzählen. Und dasselbe sehe ich und sah auch Galadriel. Du bist etwas ganz besonders und deine Augen tragen die Geschichte Mittelerdes in sich. Du kannst nur zu dieser großen Elbin werden, wenn du die Trauer aus deinen Herzen verbannst. Große Bürden hast du bereits getragen, doch noch mehr kannst du tragen, wenn du bereit bist den Schleier der Trauer aus deinem Geist zu verbannen.“
Gandalfs Stimme war nun sehr ernst und in seinen Augen sah Gwilwileth, dass es Gandalf nicht darum ging sie aufzumuntern, sondern er schöpfte Hoffnung aus ihren Augen. Zum ersten Mal nach einer langen Zeit erkannte Gwilwileth, dass sie doch nicht so nutzlos war, wie sie immer gedacht hatte.
„Ja ich will es.“ Mehr konnte Gwilwileth nicht sagen, mehr wollte sie auch nicht sagen, denn Gandalf hatte ihr so viel Vertrauen und Mut beschert, wie schon lange niemand mehr.
Ohne ein weiteres Wort bedeutete Gandalf Gwilwileth, dass sie sich wieder in die Mitte des kleinen Sees stellen solle, wo sie vorher schon gesungen hatte. Sie watete zur Mitte des Sees und obwohl sie nicht wusste, was sie tun sollte, schloss sie instinktiv die Augen, während Gandalf selbiges Tat und einfach nur da saß.
Zunächst fühlte Gwilwileth sich seltsam und befremdlich, wie sie so da stand, mit den Beinen bis zum Knie in Wasser getaucht. Doch mit der Zeit löste sich in Gwilwileth etwas. Eine Lawine aus Trauer und unterdrückten Gefühlen wurde losgetreten. Und plötzlich fing sie an zu weinen, bitterlich zu weinen, daraufhin schrie sie, vor Schmerz, Wut und Einsamkeit. Diese Emotionen wechselten sich ab.
Im Nachhinein konnte sich Gwilwileth nicht erinnern, wie lange sie geweint und geschrien hatte, doch es kam ihr, wie eine Ewigkeit vor. Als sie nicht mehr weinen und schreien konnte, öffnete Gandalf die Augen.
„ Ich gratuliere dir, du hast die Trauer und die Einsamkeit aus deinem Herzen verbannt. Nun kannst du eine neue Elbin werden, die von Bedeutung für das Schicksal Mittelerdes sein wird. Deshalb wirst du, sofern du das willst, nun einen neuen Namen bekommen.“
Während Gandalf dies sprach verzogen sich die Wolken wieder und der Mond erhellte wieder den See und erleuchtete Gwilwileths Haupt.
„ Ab heute bist du Celebithiel, die silbergekrönte Tochter des Mondes.“
Celebithiel...Celebithiel ..Celebithiel
Immer wieder wiederholte sie diesen Namen, ihren neuen Namen. Ein Name, der unbehaftet war von Trauer und Schmerz, ein Name der noch rein war und dessen Geschichte sie nun schreiben würde. Tief in ihrem inneren war sie noch immer Gwilwileth, aber die dunklen Gedanken waren nun verschwunden und nun trat sie ihr neues Schicksal als Celebithiel an.
Celebithiel streifte sich die die silbernen Stiefel wieder über und ging zusammen mit Gandalf wieder zurück zu Baumbarts Hügel.†ƒ