Hilgorn, Aerien, Ladion, Serelloth und Damrod aus Tum-en-Dín...Auf dem schmalen Feldweg, der sie nach Bar-Erib führen würde, war höchsten genug Platz dass zwei Leute nebeneinander gehen konnten. Ladion übernahm die Spitze, in einigem Abstand von Serelloth und Aerien gefolgt, die angeregt miteinander plauderten - wobei Serelloth mit Abstand am meisten sprach. Hilgorn bildete gemeinsam mit Damrod den Schluss, und nachdem sie schweigend ein ganzes Stück weg zurückgelegt hatten, sagte Damrod: "Ihr habt... etwas von der Rückkehr des Königs gesagt. Wir haben Gerüchte davon gehört, aber es natürlich nicht wirklich geglaubt. Und ich muss sagen, selbst jetzt... fällt es mir schwer, es wirklich zu glauben."
Hilgorn lächelte in sich hinein. Hätte er dem König nicht von Angesicht zu Angesicht gegenüber gestanden, wäre es ihm selbst vermutlich schwer gefallen daran zu glauben. "Ich verstehe", erwiderte er. "In diesen Tagen fällt es schwer, wirklich zu hoffen. Doch in diesem Fall... lasst die Hoffnung zu. Ihr werdet nicht enttäuscht werden."
Das müde und grimmig wirkende Gesicht des Waldläufers entspannte sich etwas. "Ich habe ihn auf dem Pellenor gesehen, als er das feindliche Heer vor Minas Tirith zerschmetterte - bevor er nach Osten aufbrach und nicht zurückkehrte. Ich hoffe, es geschieht nicht noch einmal. Dieser kurze Moment der Hoffnung, und dann die Niederlage. Das würde Gondor nicht überleben."
"Vieles hängt von dem ab, was unsere Verbündeten tun", meinte Hilgorn ernst. "Die Rückkehr des Königs wird unsere Männer beflügeln, doch ohne Hilfe aus dem Norden - oder dem Süden - wird auch das nicht reichen, fürchte ich." Von Harad zu sprechen lenkte seine Gedanken auf die Verbindung zwischen Damrod und Aerien, und er fügte hinzu: "Woher kommt euer Misstrauen Aerien gegenüber? Die Rückkehr des Königs ist zu einem großen Teil ihr Verdienst, und sie hat sich auch auf unserer jetzigen Reise bislang als vollkommen vertrauenswürdig erwiesen."
Damrod kratzte sich das stoppelige Kinn. "Sie hat euch nicht viel über ihre Vergangenheit erzählt, nicht wahr?" Als Hilgorn den Kopf schüttelte, fügte er hinzu: "Nun, dann steht es mir auch nicht zu, das zu tun. Es gibt gewisse Dinge, die es schwer machen, ihr zu vertrauen - auch wenn meine Tochter das anscheinend vollständig tut, und ich es gerne können möchte."
Hilgorn nickte nur stumm und verzichtete auf die Frage, die ihm auf den Lippen brannte. Damrods Tonfall machte sagte eindeutig, dass das Thema für ihn erledigt war.
Nur wenig später erreichten sie eine Hügelkuppe, und konnten von dort auf Bar-Erib hinunter blicken. Der Sitz Gilanors war um einiges herrschaftlicher als Tíncar - an eine Bergflanke geschmiegt blickte die aus hellgrauem Stein erbaute Burg nach Nordosten auf das breite, flache Tal hinunter. Im Gegensatz zu Tíncar besaß Bar-Erib gleich drei Türme, einen Burggraben mit Zugbrücke und eine deutlich dickere und höhere Ringmauer.
"Ich hoffe, es wird kein Frontalangriff nötig sein", meinte Aerien, die Hand auf den Schwertgriff gestützt, beim Anblick der Festung.
"Wahrscheinlich nicht." Hilgorn betrachtete die Mauern nachdenklich. "Ich denke nicht, dass das Reinkommen die Schwierigkeit sein wird."
"Vielleicht wäre es das beste, ich bliebe außerhalb der Festung", schlug Ladion vor. Die Augen des Elben wanderten aufmerksam über die Umgebung von Bar-Erib. "Wenn ihr bis Mitternacht kein Signal gegeben habt, hole ich euch raus." Es war leicht dahingesagt, doch sein Tonfall ließ keinen Zweifel aufkommen dass Ladion meinte, was er sagte.
"Serelloth wird ebenfalls draußen bleiben." Auf Damrods Worte hin öffnete Serelloth empört den Mund, doch ihr Vater schüttelte nur knapp den Kopf. "Das war ein Befehl." Serelloth senkte den Blick, widersprach aber nicht, und Hilgorn sah Aeriens Mundwinkel belustigt zucken. "Man muss sich nicht immer selbst in Gefahr begeben", sagte sie an Serelloth gewandt. "Wenn etwas schief geht seid du und Ladion unsere Rückversicherung."
"Hoffen wir, dass es nicht dazu kommt", schloss Hilgorn, und folgte dem Weg den Hügel hinunter in Richtung der Burg.
Die Zugbrücke von Bar-Erib war hinuntergelassen, doch das Tor verschlossen. Ohne lange zu zögern hieb Hilgorn mit der Faust dagegen, was das dicke Holz dumpf erzittern ließ. Nachdem er dem Tor zwei Schläge versetzt hatte, öffnete sich eine in einen Torflügel eingelassene Tür und ein Soldat mit dem Wappenrock der Herren von Bar-Erib trat hinaus. "Wer seid ihr und was führ euch nach Bar-Erib."
"Hilgorn Thoron, General von Gondor", stellte Hilgorn sich vor, und bemerkte zufrieden, wie der Soldat zusammenzuckte. "Wir hätten gerne mit Meister Gilanor gesprochen."
"Äh... mein Herr empfängt zu dieser Stunde keine Gäste mehr", erwiderte der Soldat nervös.
Hilgorn zuckte mit den Schultern, und setzte unauffällig einen Fuß so vor die Tür, dass sie nicht zugeschlagen werden konnte. "Wir sind keine Gäste, sondern haben etwas dringendes mit Gilanor zu besprechen. Ich rate dir also, die Tür freizugeben, mein Sohn", sagte er leise.
"Mein Herr empfängt im Augenblick nicht", wiederholte der Soldat, und versuchte, rasch die Tür zu zu ziehen - scheiterte aber daran, dass Hilgorn die Tür mit dem Fuß geöffnet hielt. Hilgorn machte einen Schritt nach vorne und nickte gleichzeitig Damrod zu. Der Waldläufer holte aus und versetzte dem Wächter einen Fausthieb an die bloße Schläfe, der den Mann bewusstlos zusammensacken ließ.
"Der Weg nach draußen wird also vermutlich tatsächlich der schwierigere sein", merkte Aerien an, als sie hinter Hilgorn über den bewusstlosen Wächter stieg.
Der Innenhof von Bar-Erib lag im rötlichen Abendlicht verlassen da. "Das gefällt mir nicht sonderlich", knurrte Damrod, die Hand auf dem Griff seines Schwertes. Hilgorn stimmte ihm zu. "Mir auch nicht sonderlich. Ich fürchte, hier geht mehr vor sich als man auf den ersten Blick sieht."
Sie überquerten den Hof vorsichtig, jederzeit mit einem Angriff rechnend, doch nichts geschah. Der Eingang zum Hauptgebäude war unbewacht und stand offen, doch an der Tür zur Halle der Herren von Bar-Erib warteten zwei Wächter mit Speeren in der Hand.
"Wie seid ihr hier hereingekommen?", fragte der rechte der Wächter misstrauisch. Durch die Tür in seinem Rücken drangen viele gedämpfte Stimmen - offenbar hatten sich eine ganze Menschenmenge in der Halle versammelt.
"Durch das Tor", antwortete Hilgorn trocken. "Wir haben dringendes mit Meister Gilanor zu besprechen, und der Tag neigt sich dem Ende zu."
Die Wachen wechselten einen Blick, und einer von ihnen schlüpfte durch die Tür in die Halle hinein. Während sie warteten, fragte Hilgorn den verbliebenen Wächter: "Wie lange stehst du schon in Gilanors Diensten?"
"Bald zwanzig Jahre", erwiderte sein Gegenüber, dem sichtlich unwohl zumute war.
"Mhm", machte Hilgorn. "Ich hoffe, hier ist alles wie immer? Nichts hat sich zum schlechteren verändern in der letzten Zeit?"
Der Wächter schluckte sichtlich, und wich seinem Blick aus. "Ich bin nicht befugt, darüber zu sprechen."
"Das heißt wohl ja", warf Aerien leise ein. "Seltsam, wie stumm Menschen werden, wenn es darum geht schlecht über ihre Herren zu sprechen."
Die Tür zur Halle öffnete sich erneut, als der zweite Wächter zurückkehrte und seinen Gefährten erlöste: "Der Herr von Bar-Erib wird euch empfangen - gebt mir eure Waffen, wir werden sie hier für euch aufbewahren."
Aerien und Damrod machten gleichzeitig einen Schritt zurück, und der Waldläufer hatte sogar eine Hand auf den Griff seiner Waffe gelegt. Hilgorn schüttelte den Kopf. "Dies ist noch immer Gondor, nicht wahr? Euer Herr ist Ardamir von Belfalas verpflichtet, und jener wiederum dem König von Gondor - in dessen Auftrag wir hier sind."
Beide Wächter stutzten, und der Ältere der beiden hätte vor Schreck beinahe seinen Speer fallen gelassen. "Der... König?"
Hilgorn lächelte. "König Elessar ist aus der Gefangenschaft nach Gondor zurückgekehrt, dem Willen Mordors zu Trotz. Gilanors lächerliche Fehde gefährdet den Frieden innerhalb des Königreichs, und endet am heutigen Tage auf Befehl des Königs. Ich schlage also vor, dass ihr uns auf der Stelle eintreten lasst, wenn ihr nicht die Schuld des Verrats auf euch laden wollt." Beide Männer tauschten einen Blick, und traten dann zur Seite. Als Hilgorn zwischen ihnen hindurch ging stellte er fest, dass sie bereits aufgeregt zu tuscheln begonnen hatten.
Die Halle der Herren von Bar-Erib war hoch und luftig, mit hohen Glasfenstern nahe der Decke, durch die das letzte Abendlicht hinein fiel. Drinnen hatte sich eine kleine Menschenmenge versammelt, der Kleidung zu folge vornehmlich kleinere Adlige aus der Umgebung und ihr Gefolge. Gilanor von Bar-Erib, ein kräftiger Mann von etwa sechzig Jahren mit schulterlangen, von Grau durchzogenen hellbraunen Haaren, saß auf dem etwas erhöhten Sitz am hinteren Ende der Halle, und blickte Hilgorn, Aerien und Damrod entgegen.
"Ihr seid doch einer von Ithons Söhnen", sagte er ungehalten, als Hilgorn auf wenige Schritt herangekommen war. "Welcher seid ihr?"
Hilgorn verneigte sich bewusst so knapp, dass es beinahe unhöflich war. "Hilgorn Thoron, General von Gondor."
"Aaaah", machte Gilanor, und rutscht ein wenig auf seinem Sitz hin und her. "Ich nehme an eure Mutter hat euch geschickt, Junge?"
Bei Gilanors letzten Worten beschloss Hilgorn, auch auf den letzten Rest Höflichkeit zu verzichten. "Keineswegs", erwiderte er, was nur halb gelogen war. "Eure widerrechtliche Besetzung von Tugobel stört den inneren Frieden des Königreichs. Ich würde ja fordern, eure Männer abzuziehen, wenn sie nicht bereits tot wären."
Er stellte mit einiger Befriedigung fest, dass Gilanor das Blut aus dem Gesicht wich, und ein Raunen durch die Anwesenden ging. Der Herr von Bar-Erib beugte sich ein wenig vor. "Wenn ihr sie getötet habt, habt ihr den Frieden in diesen Landen gebrochen! Ich habe sie entsandt um einen rechtmäßigen Teil meiner Ländereien zu sichern, und ihr habt sie getötet - ist das die Gerechtigkeit, die wir aus Dol Amroth zu erwarten haben?"
Seine Worte erinnerten Hilgorn nur allzu sehr an das, was vor nicht zu langer Zeit in Anfalas und den Pinnath Gelin vor sich gegangen war. Was, wenn Gondor am Ende nicht durch Mordor zu Fall gebracht wurde, sondern durch die eigene Uneinigkeit? "Söldner aus dem Osten", gab er zurück. "Ausgeschickt, um Ländereien zu besetzen die durch das Recht Gondors meinem Neffen Belegorn gehören."
"Dessen Stiefvater ihr praktischerweise kürzlich geworden seid." Gilanor lehnte sich wieder zurück, offenbar überzeugt, die Oberhand zurückgewonnen zu haben. "Kein Wunder, dass ihr ein solches Interesse an der Sicherung seines angeblichen Erbes habt - offenbar ist Imrahil von Dol Amroth nicht sonderlich großzügig dabei, seine treuen Diener zu entlohnen."
Hilgorn spürte, wie Aerien ein wenig näher an ihn heran trat. "Sie versuchen uns einzukreisen", flüsterte sie so leise, dass er es kaum verstehen konnte. Hilgorn berührte sie leicht am Arm zum Zeichen, dass er verstanden hatte, und sagte an Gilanor gewandt: "Es gibt andere Beweggründe zu handeln als Gier nach Macht. Der König von Gondor ist zurückgekehrt."
Schlagartig wurde es still in der Halle. Sämtliche Überheblichkeit war mit einem Schlag von Gilanor abgefallen, als er schließlich die Stille brach: "Der... König? Aber... sie haben gesagt... es ist unmöglich."
"So erscheint es, nicht wahr? Doch ich habe ihn mit meinen eigenen Augen - nun, Auge - gesehen, und ich bin gerne bereit jeden Eid zu schwören, dass König Elessar selbst nach Dol Amroth zurückgekehrt ist." Als wären seine Worte ein Signal gewesen, breitete sich aufgeregte Geflüster und Getuschel in der Halle aus. Eine ältere Frau in kostbarer Kleidung trat vor. "Ich glaube, dass ihr die Wahrheit sagt - ich will es gerne glauben. Aber... wie konnte er aus Mordor entkommen? Und was bedeutet das für uns?"
Bevor Hilgorn antworten konnte, drängte sich ein hochgewachsener, schwarzhaariger Mann, der wie eine jüngere Ausgabe von Gilanor aussah, durch die Menge. "Das sind gute Fragen. Kaum jemandem gelingt die Flucht aus Mordor, schon gar nicht aus dem Dunklen Turm selbst. Wie können wir uns sicher sein, dass dies keine Täuschung ist?"
"Berenor!", stieß Gilanor hervor. "Dies ist nicht der richtige Zeitpunkt, mein Sohn." Sein Sohn beachtete ihn nicht, und sprach weiter: "Was, wenn Mordor ihn absichtlich freigelassen hat, damit er uns verraten kann? Es wäre schließlich nicht das erste Mal." Bei diesen Worten warf er Hilgorn einen vielsagenden Blick zu, und Hilgorn biss die Zähne aufeinander. Er wusste sehr genau, worauf Berenor anspielte. "Und ist es nicht verdächtig, dass der König bei seiner Ankunft in Gondor von jemandem aus dem Volk begleitet wurde, dass man die schwarzen Númenorer nennt? Jenen Nachfahren Númenors, die seit Jahrtausenden dem Dunklen Herrscher dienen?"
Hilgorn spürte, wie es ihm bei diesen Worten eiskalt den Rücken herunter lief. Er wollte es nicht zulassen, doch Berenors Worte rührten an seine eigenen Zweifel, die er unterdrückt und tief verborgen hatte - wieso sollte der dunkle Herrscher mit dem König von Gondor nicht genau das getan haben, was Arnakhôr mit Hilgorn selbst vorgehabt hatte? Wäre nicht das der beste Weg, Gondor ein für alle Mal ins Verderben zu stürzen? Und da war noch etwas... Berenor hatte von einer aus dem Volk der schwarzen Númenorer gesprochen. Er konnte nicht Narissa gemeint haben, denn ihre Abstammung war eindeutig, also... Hilgorn blickte zu Aerien, die bleich geworden war, und nur stumm den Kopf schüttelte. Sie machte den Eindruck, als würde sich ein alter Albtraum für sie wiederholen.
Ohne es bewusst zu bemerken hatte Hilgorn das Schwert gezogen, und für einen Augenblick zögerte er, wusste nicht, gegen wen er es richten sollte - Aerien, falls das überhaupt ihr Name war, oder Berenor. Nach einigen qualvollen Augenblicken richtete er die leicht zitternde Spitze auf Berenor.
"Gilanor von Bar-Erib", sagte er mit mühsam beherrschter Stimme. "Ihr und euer Sohn habt den Frieden Gondors gebrochen, nur für ein Stückchen Land und Einfluss. Ihr habt Söldner aus den Landen des Feindes ins Land geholt, nur für ein wenig Land und Einfluss - Damrod von Ithilien wird dies bezeugen können." Damrod nickte grimmig, die Hand immer noch auf dem Schwertgriff. "Ich erkläre euch im Namen des Königs beide für verhaftet, und ihr werdet euch in Dol Amrothd er Gerechtigkeit des Königs stellen."
Gilanor erhob sich langsam aus seinem Sitz, doch Berenor hatte bereits sein eigenes Schwert in der Hand. "Mutig mutig", zischte er. "Einen Mann in seiner eigenen Halle verhaften zu wollen. Vergesst nicht, dass ihr nur zu dritt seid..."
"GENUG!", donnerte Gilanor, und kam zwei Stufen von seinem erhöhten Sitz hinunter. "Leg dein Schwert nieder, mein Sohn. Hier wird heute kein Blut vergossen."
"Was bist du nur für ein Jämmerling, Vater", stieß Berenor verächtlich hervor, doch sein Vater unterbrach ihn. "Ich erkenne, was hier vorgeht. Ich weiß, woher deine
Freunde kommen, die dir die deine Ideen und Pläne eingeflüstert haben. Unseren Nachbarn Land zu stehlen. Die Männer, die du über den Gilrain geschmuggelt hast. Genug." Gilanor hatte die letzten Stufen zurückgelegt, und stand nun direkt vor seinem Sohn, das Schwert zwischen ihnen. "Der König ist zurückgekehrt. Ich bin ihm nach Pelargir gefolgt, und weiter in die große Schlacht auf den Pelennor. Niemand, nicht einmal Sauron selbst könnte diesen Mann unterwerfen. Die Schleier, die du und deine Freunde um mich gelegt haben, sind zerissen. Ich werde kein Diener Mordors sein!"
Berenors Schwerthand zuckte, als würde er mit dem Impuls kämpfen, seinen Vater einfach niederzustechen, doch bevor irgendjemand handeln konnte, zischte etwas durch die Luft und ein schwarzer Pfeil durchbohrte Berenors Hals. Der Erbe von Bar-Erib tastete verwirrt nach dem in seinem Hals steckenden Stück Holz, bevor er zusammensackte. Er öffnete den Mund, doch nur ein Schwall Blut kam heraus. Gilanor sank neben seinem sterbenden Sohn auf die Knie, während Hilgorn nach oben zu den Fenstern blickte.
"Einem Fenster fehlt das Glas", stellte Damrod fest. "Der Schütze muss dort oben gestanden haben. Soll ich..."
Hilgorn nickte knapp, und der Waldläufer eilte davon, das Schwert in der Hand, während Aerien wie angewurzelt stehen blieb, noch immer totenbleich. Berenors Augen brachen, während sein Vater neben ihm kniete. Gilanor schloss mit einer Bewegung Berenors Augenlieder, und betastete dann den Schaft des schwarzen Pfeils. Als er sich wieder erhob wirkte er um Jahre gealtert.
"Ich... habe geahnt, dass es ein böses Ende nehmen würde", sagte er mit zitternder Stimme, und blickte hinab auf das blasse Gesicht seines Sohnes und die sich rasch ausbreitende Blutlache. "Aber..."
"Kein Vater sollte sein Kind sterben sehen", sagte Hilgorn leise. "Ganz gleich, was seine Taten gewesen sein mögen."
Gilanor nickte, den Blick auf das geheftet, was er vom Pfeil gezogen hatte - eine kleine, blutbeschmierte, Rolle Papier. "Dann... nun, es ist eine Botschaft an euch." Mit einem unguten Gefühl in der Magengrube nahm Hilgorn das Papier entgegen.
General Hilgorn,
ihr macht mehr Ärger als man euch zutrauen würde. Nach dem Zusammenstoß mit meinem Bruder sollte man glauben, dass ihr euch von meiner Familie fernhalten würdet. Ich schlage euch einen Tauschhandel vor: Ihr bringt mir meine Schwester Azruphel und bekommt dafür euren Neffen zurück. Kommt morgen um Mitternacht zu dem verlassenen Hof östlich von Bar-Erib.
Balakân Balákanar von DurthangHilgorn wandte sich langsam zu Aerien um, das Schwert noch immer in der Rechten, die Botschaft in den zitternden Fingern der linken Hand. Er streckte Aerien das Papier entgegen, und sie nahm es zögerlich entgegen, wobei sie seinem Blick auswich. Nachdem sie es gelesen hatte, fragte er leise: "Wirst du freiwillig mitkommen? Oder..."
Er musste den Satz nicht beenden. "Ich werde mitkommen. Es... tut mir leid." Da war eine Müdigkeit in ihrer Stimme, als hätte sie genau das schon einmal erlebt, doch Hilgorn verschloss sich gegen das aufkommende Mitgefühl. Ihretwegen befand sich Belegorn in der Gefangenschaft Mordors - ein kaum zehnjähriger Junge, und Faniels eigener Sohn, der Junge, den Hilgorn als seinen eigenen Sohn angenommen hatte.
"Ich muss mich um das Begräbnis meines Sohnes kümmern", durchbrach Gilanors erschöpfte Stimme das unangenehme Schweigen. "Danach werde ich mit eurer Erlaubnis nach Dol Amroth aufbrechen, um mich der Gerechtigkeit des Königs zu stellen. Bis dahin seid ihr in Bar-Erib willkommen, um euch auf die nächsten Schritte vorzubereiten."
Hilgorn nickte nur abwesend, ohne den Blick von Aerien abzuwenden. "Gib mir dein Schwert", sagte er leise. Sie zögerte nicht, schnallte den Schwertgurt ab und hielt ihm die Waffe entgegen. Nachdem Hilgorn sie entgegengenommen hatte, sagte er tonlos: "Und nun geh mir aus den Augen."