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Autor Thema: In den Straßen von Gortharia  (Gelesen 25819 mal)

Rohirrim

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In den Straßen von Gortharia
« am: 5. Apr 2013, 23:17 »
Bijans Start:

Es war heiß. Die Sonne knallte in die Straßen von Gortharia. Bijan schwitzte am ganzen Körper. Seine Rüstung fühlte sich schwer an, und er hatte das Bedürfnis sie abzulegen. Doch das konnte er nicht. Er war immer noch ein stolzer Soldat Rhûns. Auch wenn er vorhatte gegen seinen Herrscher zu rebellieren, so kämpfte er immer noch für das Volk der Ostlinge. Außerdem war seine Uniform gleichzeitig auch eine gute Tarnung. Ein Soldat Rhûns wurde respektiert, und seine Handlungen wurden nur selten hinterfragt.
Ein leichter Windzug strich kühlend über Bijans Gesicht. Es war ein angenehmes Gefühl, doch es währte nur wenige Sekunde. Anschließend war er wieder der Hitze ausgesetzt. Doch er hatte wichtigeres zu tun, als sich über die Hitze sorgen zu machen. Er musste irgendwie Kontakt zu der Untergrundbewegung aufnehmen, doch er wusste nicht wie. Er hatte weder einen Namen, noch eine Adresse. Er wusste lediglich von ihrer Existenz.

„Was soll ich jetzt tun? Ich muss doch irgendwie Kontakt aufnehmen können. Aber es ist nicht leicht. Ich könnte die Leute fragen, doch ich muss behutsam vorgehen. So etwas wie in Riavod darf mir nicht noch einmal passieren. Es wäre sehr unwahrscheinlich, dass mir nochmal die Flucht gelänge. Ich muss auf jeden Fall aufpassen. Vielleicht sollte ich zunächst mal versuchen Gespräche zu belauschen. Am besten in einer der ärmeren Gegenden.“

Darüber nachdenkend, wie weiter vorgehen sollte, ging Bijan weiter durch die Straßen. Er entfernte sich weiter vom Stadtzentrum und ging in die Regionen, in denen die Auswirkungen der Unterdrückung durch Khamûl am deutlichsten sichtbar waren. Bijan sah Leute auf den Straßen liegen. Vermutlich hatten sie ihr Häuser verloren. Bijan versuchte Gesprächsfetzen aufzufangen, die irgendetwas mit einer Untergrundbewegung zu tun hatten, doch lange Zeit blieb er erfolglos.

Bijan durchstreifte die Stadt bis es dunkel wurde, blieb dabei aber erfolglos. Hin und wieder konnte er Gespräche frustrierter Bürger aufschnappen, aber keins davon ließ auf eine organisierte Untergrundbewegung schließen. Frustriert ging er weiter durch die Straßen, als ihm plötzlich etwas interessantes zu hören kam:

„Erinnerst du dich noch an den Barden im humpelnden Säufer, der die alten Könige gelobt hat, und Khamûl kritisiert hat?“ „Ja, natürlich! Wie könnte ich das vergessen.““Weißt du noch seinen Namen. Oder vielleicht seine Adresse? Ich habe das Gefühl, dass dieser Mann uns dabei helfen könnte die Freiheit wiederzuerlangen.“ „Psst! Nicht so laut. Ich glaube die Wache dort drüben sieht zun uns herüber. Hoffentlich hat sie das nicht gehört.“ „Mist! Er kommt auf uns zu. Das ist...“

„Keine Sorge“, flüsterte Bijan, während er den beiden näher kam. Sie blickten Bijan ängstlich an.. „Ich bin nicht hier um euch zu verhaften. Ich suche nach Informationen.“ „Informationen? Worüber denn?“ „Ach tu doch nicht so. Es geht um den Barden. Ich habe es doch gehört.“ „Ach der...nun...das ist ähm...Wir haben uns nur darüber unterhalten, wie einmal im humpelnden Säufer ein Barde es gewagt hat die Herrschaft Khamûls zu kritisieren. Aber wir haben ihn natürlich sofort geschlagen und verjagt.“

Bijan wusste dass sie lügen. Er hatte es mit eigenen Ohren gehört. Doch sie hatten zu viel Angst vor ihm, und er war nicht hier um die guten Bürger Rhûns zu verhören und zu verängstigen. Also ging er weiter. Immerhin hatte er jetzt eine Spur. „Ein Barde war also im humpelnden Säufer. Vielleicht weiß man da ja etwas über die Untergrundbewegung“, sagte Bijan leise zu sich selbst. Dann lief es ihm plötzlich kalt den Rücken herunter. Ihm wurde bewusst, dass er die Worte eben nicht gedacht, sondern gesagt hatte. Nervös blickte er sich um. Er hatte das Gefühl, dass ihn jemand beobachtet. Doch er konnte keine Wachen entdecken. Und auch sonst war niemand in seiner Nähe. Bijan beruhigte sich wieder ein wenig. Doch er musste wachsam sein. Kein Soldat durfte erfahren, was er vorhatte... noch nicht!

Uns so machte sich Bijan auf den Weg zur Kneipe “Der humpelnde Säufer“.


Bijan zur Kneipe “Der humpelnde Säufer“
« Letzte Änderung: 20. Feb 2016, 11:23 von Fine »
RPG:
Char Zarifa in Rhûn

Rohirrim

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Re:In den Straßen von Gortharia
« Antwort #1 am: 4. Mai 2013, 22:57 »
Bijan von der Kneipe "Der humpelnde Säufer"

Früh am nächsten Morgen erwachte Bijan in seinem Zimmer. Er hatte kaum geschlafen. Er musste pausenlos an seinen Schwur gegenüber Mehzad denken. Er würde es zu Ende bringen. Das hatte er  versprochen. Doch nun lag er in diesem schäbigen Gasthof und wusste nicht mehr weiter. In der Nacht war ihm klar geworden, dass er einen glücklichen Zufall brauchen würde, um sich den Untergrundkämpfern anschließen zu können. Niemand wusste etwas, und wenn jemand etwas wusste, so würden sie es ihm nicht erzählen.
Er setzte sich auf. Sonnenlicht drang durch das Fenster und durchflutete den Raum mit Licht. Der größte Teil des Zimmers war verstaubt. Die Gemälde an der Wand sahen so aus, als wären sie seit mehreren Jahren nicht mehr angefasst worden. In der Ecke stand ein hässlicher, vollkommen verstaubter Schrank, dessen Türgriff abgefallen war und ein ein paar Meter daneben auf dem Fußboden lag. Hoffentlich musste er hier nicht mehr allzu lange bleiben.

Bijan stand nun auf und legte seine Rüstung an. Er liebte das Gefühl sich die Rüstung überzustreifen. Er liebte die Wärme, die die Rüstung bot. Er liebte das Gefühl von Sicherheit, das ihm die Rüstung verlieh. Er liebte das Geräusch. Er liebte den Geruch des Metalls. Und er liebte das Gefühl in dieser Rüstung für sein Heimatland zu kämpfen.
Mit dem Anlegen seiner Rüstung schöpfte Bijan auch wieder frischen Mut. Seine Aufgabe war zu wichtig, als das er jetzt einfach aufgeben könnte. Und so verließ er das Zimmer und ging nach unten. Nach einem kurzen Frühstück verließ er den Gasthof und betrat die Straßen von Gortharia.

Es war noch früh, und die Straßen war noch nicht so voll. An vielen Häusern sah Bijan Fenster aufgehen, und hin und wieder kamen ihm einige Frühaufsteher entgegen. Aus einigen Häusern kam der Geruch von frisch gebackenem Brot. Bijan ging durch die Straßen und dachte nach.

„Wie kann es sein, dass die Menschen auf den Dörfern und aus der Vorstadt jeden Tag ums Überleben kämpfen, und die Menschen hier so leben als ob nichts wäre? Sie stehen auf, gehen einkaufen und backen sich ihr Brot, während Menschen in der selben Stadt aus Mülleimern essen und auf der Straße schlafen. Wie kann es sein, dass niemand etwas dagegen unternimmt? Wie kann es sein, dass ein Nazgûl unseren König kontrolliert und unser Volk unterdrückt, ohne dass es zu einer Revolution kommt? Und vor allem; Wie kann es sein, dass ich jahrelang Teil dieses Systems war, im Glauben unser Volk in ein besseres Zeitalter zu führen?
Einst zog ich als stolzer Soldat Rhûns in den Krieg gegen Gondor. Ich befolgte willig die Befehle meiner Vorgesetzten und tötete viele Feinde Rhûns. Wofür?
Im Namen Saurons zog ich, gemeinsam mit dem vereinten Heer Rhûns in den Krieg. Wofür?
Auf Cair Andros starb einer meiner besten Freunde, Aran. Wofür?
Auf den Pelennor Feldern kämpfte ich, an der Seite meiner Einheit, obwohl unsere Verbündeten schon längst geflohen waren. Wofür?
All dies tat ich, in dem festen Glauben, Sauron wäre unser Erlöser. Ich war mir sicher, dass er uns in eine glorreiche Zukunft führen würde. Alles was ich tat diente dem Zweck, meine Familie, mein Volk aus der Unterdrückung Gondors zu befreien. Meines Feindes Feind ist mein Freund, also folgte ich Sauron, ohne an ihm zu Zweifeln. Doch was wenn sich herausstellt, dass dieser Freund schlimmer ist als der gemeinsame Feind? Wie verhält man sich, wenn alles woran man glaubt, alles was einem wichtig ist, alles wofür man kämpft in sich zusammenbricht? Wenn man erkennt, dass alles was man im Leben getan hat nur Leid hervorgerufen hat? Wie kann man das wiedergutmachen? Wie kann ICH das wiedergutmachen?
Ich habe es versucht. Zusammen mit Mehzad ging ich nach Riavod, um herauszufinden, was wir tun können. Doch auch dort habe ich nur Leid verursacht. Ich alleine habe Elinjas Tod zu verantworten. Ich alleine habe Mehzads Tod zu verantworten. Ich alleine habe den Tod der Patroullie zu verantworten.
Und jetzt? Jetzt bin ich hier in Gortharia, laufe durch die Straßen und stelle fest, dass ich trotz meiner guten Absichten immer noch nichts erreicht habe.“


„Hey! Bijan!“ Sofort wurde Bijan aus seinen Gedanken gerissen. Er blickte auf und sah einen zwei Soldaten Rhûns, von denen einer ihm begeistert zuwinkte. Er kannte diesen Mann, konnte ihn aber keinen Namen und keine Taten zuordnen. Die beiden Soldaten kamen näher, und der, der ihn gerufen hatte fing sofort begeistert an zu reden.

„Bijan, alter Freund. Ich wusste gar nicht, dass du wieder hier bist. Hast du deinen Dienst wieder aufgenommen? Ich sags dir, du hast echt was verpasst. Die glorreiche Schlacht um den Erebor...Eine Schande das du nicht dabei gewesen bist. Erinnerst du dich überhaupt noch an mich?“
Und genau in diesem Moment viel es ihm wieder ein. Es war Navid. Ein Soldat der Armee, der immer Stimmung an den Laden brachte. Stets gewann er jedes Trinkspiel und hatte immer einen guten Spruch auf den Lippen. Auf Dauer wirkte er jedoch etwas aufdringlich und ging vielen zum Teil auf die Nerven.
„Navid, richtig?“ „Genau! Man vergisst seine alten Freunde niemals, nicht wahr? Also, was machst du hier? Bist du hier, um dich wieder der mächtigen Armee Rhûns anzuschließen, die das große Zwergenreich Erebor in einer glorreichen Schlacht zu Fall gebracht hat? Ich sags dir, wir sind die beste und schlagkräftigste Armee in ganz Mittelerde. Niemand kann uns stoppen. Schon gar nicht, wenn dein Streithammer wieder an unserer Seite wäre.“
Bijan zögerte. Was sollte er darauf antworten? Navid war offensichtlich begeistert von Khamûls Herrschaft über Rhûn. Er war ein Feind, obwohl er es nicht wusste. Wahrscheinlich wusste er nicht einmal wofür er wirklich kämpft.
„Ähm, also momentan bin ich noch freigestellt. Ich weiß noch nicht wann ich zurückkehren werde“, antwortete Bijan. „Ach das ist jetzt auch nicht wichtig. Hast du Lust uns ein wenig zu begleiten und zu quatschen?“
Bijan wusste in diesem Moment keinen Ausweg, also willigte er ein. Er wusste sowieso nicht, wie er weiter vorgehen sollte, also konnte es nicht schaden. Und vielleicht konnte er von Navid ein paar Informationen aufschnappen.
So verbrachte Bijan fast den ganzen Tag mit seinem ehemaligen Kriegskumpanen. Der zweite Soldat war neu, und von genau dem selben Schlag wie Navid. Sie erzählten Bijan von den Schlachten um Thal und um den Erebor, den wohl größten Schlachten die sie je geführt hatten. Und dabei sparten sie nicht an Witzen und coolen Sprüchen. Bijan gab sich alle Mühe zu lächeln und mitzureden, doch es viel ihm schwer. Wie sie begeistert davon redeten, dass sie für Sauron Menschen und Zwerge getötet hatten...Da fällt es schwer nicht aus der Haut zu fahren. Doch Bijan gelang es den Tag zu überstehen ohne verdächtig zu wirken.

Am Ende des Tages verabschiedete sich Bijan von den beiden Soldaten. Inzwischenwar es Abend geworden. Der ganzen Tag hatte er damit verbracht, zwei Soldaten zu begleiten. Doch es war nicht völlig vergebens. Navid hatte erwähnt, dass er erst vor einem Monat nach Gortharia beordert worden war. Und er war nicht der einzige. Offenbar ahnte die Herrscherriege Rhûns etwas, denn die Stadt und vor allem der königliche Palast waren voll von Soldaten. Navid glaubte der Herrscher wolle seine Macht unter Beweis stellen, doch Bijan vermutete etwas anderes. Man fürchtete um die Sicherheit des Herrschers. Navid hatte ihm erzählt ihm, dass er ständig von zwei Soldaten begleitet wurde.
Doch Bijan hatte immer noch keine Ahnung, wie er Kontakt zur Untergrundbewegung aufnehmen sollte. Frustriert ging er zurück in den Gasthof und bezahlte für eine zweite Nacht. Es war zwar kein schönes Zimmer, aber es war günstig. Er trank noch zwei Bier und aß etwas, dann ging er zu Bett.
« Letzte Änderung: 4. Mai 2013, 23:00 von Rohirrim »
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Char Zarifa in Rhûn

Rohirrim

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Re: In den Straßen von Gortharia
« Antwort #2 am: 12. Feb 2016, 17:42 »
Am nächsten Morgen wurde Bijan früh von einem Klopfen an seiner Tür geweckt.
„Bijan! Ich bins Navid! Steh auf, ich habe dir etwas Wichtiges mitzuteilen.“
Vollkommen überrascht und immer noch müde, versuchte Bijan seine Gedanken zu ordnen. Navid, sein alter Weggefährte, stand vor der Tür und wollte etwas von ihm. Was konnte das sein? Gestern hätte er den ganzen Tag Zeit gehabt ihm alles zu erzählen. Warum musste er ihn jetzt so früh aufwecken? Und woher wusste Navid überhaupt von seinem Aufenthaltsort? War ihm etwa versehentlich etwas raus gerutscht?
Noch einmal klopfte es. „Bijan, jetzt komm schon! Es ist wichtig.“

Bijan überlegte, was er tun sollte. Sein alter Freund hielt ihn nach wie vor für einen treuen Soldaten. Oder etwa nicht? Hatte er sich etwa doch verraten? Hatte Navid von seinen Plänen erfahren und war nun beauftragt worden ihm nachzustellen? Was sonst sollte ihn dazu verleiten, so früh an seiner Tür zu klopfen? Ein Gefühl der Angst breitete sich in ihm aus und mit leicht zitternder Stimme antwortete Bijan:
„Worum geht es denn? Ich würde eigentlich noch lieber etwas weiterschlafen.“
„Ich habe gerade von einer wichtigen Sache erfahren. Lass mich rein, dann erzähle ich dir mehr.“
„Navid scheint allein zu sein. Wenn es Beweise gegen mich gäbe, wären doch sicherlich mehr Soldaten hier“, ging es Bijan durch den Kopf. Es konnte nicht schaden, seinen alten Freund hereinzulassen. Und so öffnete er die Tür. Tatsächlich stand dort nur Navid, der Bijan mit einem freundlichen Lächeln begrüßte. Bijan erwiderte die Begrüßung und bat den Soldaten herein.

„Also, was gibt es so Wichtiges?“, fragte Bijan unmittelbar nachdem er Navid den einzigen Stuhl in diesem Zimmer angeboten hatte.
„Also, pass auf!“, fing Navid an und klang dabei sehr enthusiastisch. Gestern Nacht kam eine dringende Meldung von Khamûl in den königlichen Palast. Dol Guldur wird von einem vereinten Heer der Feinde Saurons angegriffen. Laut bisherigen Einschätzungen sind die Angreifer der Festung und den dort stationierten Truppen ebenbürtig. Daher plant Khamûl eine schnell einberufene, kleine Armee aus Rhûn als Verstärkung zu senden und ich wurde zum Anführer ernannt. Ich soll innerhalb von maximal fünf Tagen eine schlagfertige Truppe zusammenstellen, welche die Schlacht zu unseren Gunsten entscheidet. Wir brauchen nicht allzu viele Soldaten dafür, also sollte das machbar sein. Wir haben bereits eine Handvoll Freiwillige und planen den Rest durch Zwangsrekrutierungen zusammenzubekommen.“ Navid machte eine kurze Pause, um Luft zu holen. Er hatte sich während seiner Ausführungen vor Begeisterung fast überschlagen.
„Also, vermutlich kannst du dir schon denken, warum ich hier bin. Direkt nachdem ich zum Anführer der Verstärkungsarmee ernannt wurde, musste ich an unser gestriges Treffen denken. Ich dachte, du hättest vielleicht Interesse daran, wieder in den Kampf zu ziehen. Wie in alten Zeiten! Mit dir und deinem Hammer an unserer Seite können wir gar nicht scheitern. Obwohl ich denke, dass wir ohnehin gewinnen würden, wäre es doch ein unheimlicher Trumpf, wenn du dabei wärst.
Daher habe ich auch darauf bestanden, dich zu suchen und dir dieses Angebot persönlich zu unterbreiten. Also: „Willst du, Bijan, dich wieder der Armee Rhûns anschließen? Willst du erneut Ruhm und Reichtum ernten? Willst du Teil eines weiteren großen Sieges von Sauron werden?“
Navid beendete seinen Vortrag und sah ihn mit einer fast schon unheimlichen, erwartungsvollen Begeisterung an. 
Währenddessen schossen eine Vielzahl von Gedanken durch Bijans Kopf und er brauchte zunächst einen Moment, um überhaupt strukturiert nachdenken zu können. Er wollte nicht mehr für Sauron kämpfen. Er hatte sich geschworen gegen die Unterdrückung durch Sauron zu kämpfen. Für Mehzad, Elinja und all die anderen Menschen, die unter dem Regime leiden mussten. Aber wie konnte er sich jetzt aus dieser Sache rauswinden, ohne verdächtig zu wirken? Und außerdem... bot eine erneute Anstellung in der Armee nicht auch eine Chance? Immerhin war Bijan nun schon zwei Tage lang durch Gortharia geirrt, ohne auch nur eine Kleinigkeit zu bewirken. Vielleicht konnte er entgegen des Vorschlags von Navid dafür sorgen, dass die freien Völker die Schlacht gewannen. Das wäre ein echter Schlag gegen Khamûl und könnte auch seinem Volk langfristig helfen. Auch wenn diese Elben und Menschen kaum besser waren als der dunkle Herrscher, stellten sie im Augenblick das geringere Übel dar. Und hatte Navid nicht Zwangsrekrutierungen erwähnt? Wären diese nicht potentielle Verbündete? Und auch Navid war ein guter Kerl. Vielleicht konnte er ihn überzeugen...
„Ist alles in Ordnung?“, fragt Navid, aufgrund der nicht vorhandenen Reaktion Bijans, etwas verunsichert und riss Bijan damit aus seinen Gedanken.
„Ja... ja alles in Ordnung. Ich war nur überrascht, das ist alles. Natürlich bin ich dabei. Ich bin zwar eigentlich noch freigestellt, aber wie könnte ich mir eine solche Gelegenheit entgehen lassen? Mein Streithammer wird sich sicher freuen wieder ein paar Knochen brechen zu dürfen“, antwortete Bijan mit gut gespielter Begeisterung. Tatsächlich löste der Gedanke an seinen Streithammer und an die gebrochenen Knochen seiner früheren Gegner ein ungeduldiges Kribbeln in seinen Fingern aus.
„Also gut. Dann kommst du am besten direkt mit. Die Armee sammelt sich in einem kleinen Lager vor der Stadt“, erklärte Navid sichtlich erleichtert.
„Alles klar, ich ziehe mir nur schnell die Rüstung an. Wir treffen uns unten.“ Mit diesen Worten öffnete Bijan die Tür und Navid ging hinaus.
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Rohirrim

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Re: In den Straßen von Gortharia
« Antwort #3 am: 16. Feb 2016, 03:06 »
Bijan nutzte die kurze Zeit, in der er allein war, um noch mal intensiv über alles nachzudenken.

„Das ist es also. Mein erster Schlag gegen Khamûl und sein Regime in Rhûn wird in Dol Guldur stattfinden. Das ist zwar nicht ganz das, was ich mir vorgestellt habe, aber es ist die beste Möglichkeit meine Ziele zu verfolgen und gleichzeitig unentdeckt zu bleiben. Je länger niemand von meinem Verrat erfährt, desto besser. In Dol Guldur kann ich dafür sorgen, dass Khamûl verliert, ohne dass jemand davon erfährt, was ich getan habe. Navid sagte, unsere Truppe wird klein sein. Es müsste möglich sein, einige von seiner Sache zu überzeugen. Der Rest würde auf dem Schlachtfeld sterben und er könnte untertauchen, bevor jemand wusste, was geschehen war. Vielleicht wird diese Niederlage dafür sorgen, dass Khamûl sein Augenmerk mehr auf die freien Völker richtet und daher die innere Sicherheit Rhûns vernachlässigt. Das könnte mir die Gelegenheit geben, einen Widerstand zu organisieren. Das Ganze ist etwas riskant, aber es könnte klappen. Das ist zumindest besser als weiterhin unter den Augen der Herrscher Gortharias durch die Stadt zu irren und am Ende noch erwischt zu werden.
Die Zwangsrekrutierungen, die Navid erwähnt hat, könnten eine gute Chance sein. Diese Leute werden es wohl kaum gutheißen, das sie aus ihren Häusern gerissen und für den Kampf ausgerüstet wurden. Die Tatsache, das man ohne mit der Wimper zu zucken Leute von zu Hause fortreißt und in den Krieg schickt, zeigt doch schon, dass wir für den dunklen Herrscher nichts weiter sind als Kanonenfutter. Kanonenfutter, das man seinen Feinden entgegenwirft, um selber nicht in die Schusslinie zu geraten. So kann es nicht weitergehen. Wenn ich kann, werde ich die Zwangsrekrutierten auf meine Seite ziehen und gemeinsam mit ihnen einen Plan für den Widerstand schmieden.“


Während Bijan diese und noch viele weitere Gedanken durch den Kopf schossen, zog er sich seine Rüstung an und betrachtete sich im Spiegel. Unabhängig davon, für wen er kämpfen würde, freute er sich darauf, wieder auf einem Schlachtfeld stehen zu können. Dort gehörten er und sein Streithammer hin.
Als Bijan nach unten ging, erwartete Navid ihn gemeinsam mit zwei weiteren Soldaten.  „Ah, da bist du ja. Bijan, das sind Aatos und Kalervo. Aatos und Kalervo, das ist Bijan. Wir machen uns am besten gleich auf zum Lager. Wir haben noch einiges zu tun.“

Bijan in das Lager der Verstärkungsarmee
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Curanthor

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Eine merkwürdige Kontaktperson
« Antwort #4 am: 8. Okt 2016, 02:17 »
Dragans Start

Natürlich hatte er keinen Platz zum Schlafen bekommen und war etwas außerhalb der großen Stadt in ein Lagerhaus eingebrochen. Zu seinem Pech wurde er am Morgengrauen fast von einer der zahlreichen Stadtwachen erwischt und musste schon sehr früh sein Versteck verlassen. Dragan faltete den Brief von Cheydan und legte ihn neben sich auf die Mauer. Wie so oft saß er da herum und tat nichts. So würde es zumindest für einen arglosen Beobachter aussehen, denn Dragan saß auf einer Mauer, unweit des Stadttors im Westen. Seine verschiedenfarbigen Augen waren das Einzige, das die Leute dazu veranlasste, ihm Aufmerksamkeit zu schenken. Abgesehen davon war er nur einer der zahlreichen Menschen in der Stadt, die auf den flachen Mauern saßen und den kühlen Schatten genossen, während sich fast unablässig Menschen in Massen durch die Straßen schob. Gortharia war groß, selbst die Tatsache, dass er schon oft hier war, hielt Dragan nicht davon ab sich über die schiere Größe der Stadt zu wundern.
Er zupfte den Brief an einem Zipfel zu sich, um ein davonwehen des Windes zu vermeiden. Die enge Handschrift war sorgsam in feinen Zügen ausgeführt worden und sprach zu ihm in sehr persönlichen Ton, niemals würde er Fremden es erlauben auch nur die ersten drei Buchstaben zu lesen. Und so starrte er jeden böse an, der auch nur einen Blick auf das Pergament warf, seinen Sitznachbarn schlug er damit erfolgreich in die Flucht. Selbstzufrieden grinste er, als der Braunhaarige, hagere Kerl aufstand und schnellen Schrittes verschwand. Mit den Daumen drehen saß der Fürstensohn dort und wartete auf den Kontaktmann, den sein Vater erwähnt hatte.
„Es gibt viele Strömungen in dieser Stadt, sei vorsichtig, traue niemanden.
Der König ist verrückt und schlau, seine Spitzel sind überall.“, rief er sich in Erinnerung was sein Vater gesagt hatte. „ Wenn du kannst, versuche den Kerl zu treffen, er ist ein Mitglied einer der vielen Widerstandsnester.“
„Schön und gut, aber wo ist der Dreckssack?“, fluchte Dragan ungehalten und hielt Ausschau nach der Person, die sein Vater beschrieben hatte.

Plötzlich kam Bewegung in die Masse, sie machte Platz, zwar nicht viel aber sie lichtete sich ein wenig. Der Weg vom Stadttor zum großen Platz war immer voll, deswegen war es wunderlich, dass es plötzlich eine andere Bewegung gab. Er reckte den Hals und erspähte einen Trupp Soldaten in den typischen Farben der Armee. Geflüster und Getuschel breitete sich aus, der Lärmpegel ebbte aber nicht ab. Dragan verstand die unzähligen Dialekte nicht, bekam aber mit, dass es wohl Soldaten vom Feldzug im Westen waren. Er runzelte die Stirn, die meisten der Männer waren doch schon hier? Die Ablenkung war schnell vorbei und der Trupp verschwunden. Neben ihm saß nun eine andere Person, natürlich in einer grauen Kutte, eine Kapuze tief im Gesicht.
„Wenn ihr unauffällig gewesen sein wolltet, das habt Ihr gründlich vermasselt.“, begrüßte er den Fremden und drehte sich halb zu ihm. „Sich am hellen Tag zu vermummen ist nicht so klug, um nicht zu sagen, dämlich.“, setzte Dragan nach.
„Nun, nicht so dämlich um den ganzen Tag hier herumzusitzen und darauf zu warten, dass man von einem fremden Person angesprochen wird, nur um sie gleich zu beleidigen.“, antwortete eine überraschend sanfte Stimme.
„Ah es hat weibliche Merkmale. Aus der Küche ausgebrochen?“, frage Dragan spitz und rechnete mit einer Ohrfeige.
„Ja, ich hatte letztens einen Kaufmann das Bier vergiftet.“, kam es zurück und feine Zähne blitzten unter der Kapuze auf. „Und zwischen meinen Beinen hängt nichts, das mich beim Laufen behindern würde, korrekt erkannt. Du bist sehr scharfsinnig.“
„Pass auf, dass du nicht die Mauer mit deiner scharfen Zunge zerschneidest.“, lachte Dragan belustigt und steckte seinen Dolch weg, den er zuvor gezogen hatte.
So eine Antwort hatte er definitiv nicht erwartet, doch das reichte nicht, um sein restliches Misstrauen zu beseitigen. Er wartete ab was sie als nächstes tat, dabei musterte er sein Gegenüber: die lange Kutte verbarg ihren Körper fast vollständig, aber wenn man genau hinsah, konnte man die leichten Erhebungen an der Brust erkennen. Sie war klein und drahtig, wirkte trittsicher und selbstbewusst, auch hatte sie etwas vertrautes an sich, das in Dragan dumpfen Schmerz auslöste.
Die fremde Frau sprang von der Mauer und reichte ihm die Hand. Eine befremdliche Geste, weswegen er zögerte. Seine Neugierde siegte und er ließ sich von ihr durch die Gassen der Stadt führen. Dragan rechnete jederzeit mit einem Hinterhalt und hielt den Dolch Griffbereit. Nach einem längeren Marsch kamen sie an einem unscheinbaren Steinhaus an, das im Süden der Stadt lag. Der Weg dorthin war alles andere als aufmunternt, das Elend war überall. Er verschloss die Augen davor, dazu war jetzt keine Zeit.
„Da wären wir.“, sagte die Fremde und klopfte an der Tür.
Während sie auf Antwort warteten schaute Dragan sich um. Die Gegend war bei weitem weniger einladend, die meisten Häuser hier waren aus Holz gebaut und es roch unangenehm. Der Türgriff wies deutliche Gebrauchsspuren auf, auch die Türschwelle war enorm abgewetzt. Und auch, dass es das Einzige Steinhaus weit und breit war, ließ seinen Verdacht erhärten. Ein Grinsen schlich sich auf sein Gesicht
„Wollt ihr mich verführen und mich dann dafür bezahlen lassen?“, fragte er leise und steckte eine Hand in die Tasche. „Ich erkenne ein Hurenhaus, besonders wenn ich darauf warte in selbiges eingelassen zu werden.“, setzte er nach.
Die Fremde lachte jedoch leise und schwieg, bis er einen Kommentar machte, dass er so oder so kein Geld hätte.
"Das brauchst du auch nicht.", antwortete sie schlicht und brachte ihn damit zum kochen.
"Und warum bin ich dann hier?", fragte er gereizt und blickte erneut genervt um sich.
Seine Begleiterin seufzte jedoch nur hörbar und drückte ihm einen Taler in die Hand. Es war ein Taler aus seiner Heimat, den ein Stadtbekannter Präger an Sammler verkaufte. Ein ausgesprochendes lohnendes Geschäft, der Mann war über die Grenzen des Fürstentums bekannt.
"Ich bin auf deiner Seite.", sagte die Fremde und nahm den Taler wieder an sich. "Und starr mich bitte nicht so feindselig an."
"Tue ich aber, weil ich komplett die Orientiereung verloren habe... oder weil ich es lustig finde. Vielleicht aber auch weil ich nicht anders kann.", antwortete Dragan schnell sprechend und drehte sich erneut im Kreis. "Oder weil ich nach fünf Jahren wieder in einer der größten, stinkenden Städten in diesem Breitengrad bin. Oder weil mir bei diesem ganzem Elend hier die Galle hochkommt.", setzte er sauer nach und hörte das Blut in seinen Ohren rauschen.
"Ist ja gut.", sagte die Frau in der Kutte und hob die Hände. "Wir werden etwas dagegen tun.", verriet sie geheimnissvoll und bedeutete ihm zu schweigen.
Er schwieg. Für etwa drei Herzschläge.
Dann beugte er sich wie ein Ast langsam zu ihr herüber. Er hörte, wie sie genervt ausatmete.
"Wie?", fragte er flüsternd und übertrieben heimlichtuerisch.
Sie beugte sich ebenfalls zu ihm herüber.
Ein "Schhht." war allles, was er zu hören bekam.
Dragan grinste und dehnte sich noch ein Stück näher an sie heran, sodass seine Haare ihre Kapuze berührten.
Er schwieg erneut. Für etwa vier Herzschläge.
"Interessant.", wisperte er der Frau in die Kapuze und ließ ruckartig von ihr ab.
Ein noch breiteres Grinsen zeichnete sich auf seinem Gesicht ab, als die Fremde entnervt die Schultern sacken ließ.
"Warte einfach ab, du nervender Dummkopf. Holzkopf. Tumber Gesell.", sagte sie nun gereizt und wandte ihm dem Rücken zu.
Er schwieg. Für etwa drei Herzschläge. Dann beugte er sich erneut zu ihr.
"Ich schweige jetzt.", flüsterte er ihr laut zu und ungeduldig ging Dragan zur Tür.
Energisch hämmerte er gegen das Holz, bis Schritte im Inneren ertönten. Ein Riegel wurde entfernt und bevor sich die Tür öffnete, nuschelte die Frau noch eine Warnung. Verwirrt blickte er sich um, Nichts. Als die Tür sich öffnete Verstand er sofort.

Ein gespannter Bogen bedrohte sie beide, hinter dem Schützen stand eine zierliche Frau ohne Kleidung.
„Ach du bist es.“, grummelte der Schütze und ließ Dragans Begleiterin ein, schwenkte den Bogen nun zu ihm. „Und das?“, fragte er drohend. Doch der Fürstensohn stierte nur stumm zurück.
„Ein „Kunde“.“, antwortete die Fremde süffisant und schlug die Kapuze zurück.

Dragan nach (da er nicht weiß, wo er ist)  Irgendwo in Gortharia
« Letzte Änderung: 25. Okt 2016, 09:27 von Fine »

Eru

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Kleider machen Leute
« Antwort #5 am: 27. Okt 2016, 22:50 »
Milva, Aivari und Inari von den Gebieten westlich des Meeres von Rhûn...


Die Nacht war klar, kühl und sternenklar, wie Rauchwölkchen zogen Nebelschwaden von den Bächen und Wiesen die Berghänge hinauf, die sie immer weiter hinter sich ließen.

Zu ihrer Linken erstreckte sich bald das weite Meer von Rhûn. Sie ritten in einiger Entfernung und auch das Halbdunkel ließ nur erahnen wie weit sich das Wasser in den Horizont erstreckte. Ihr Pferd Radko schnaubte von der anstrengenden Reise, doch die Kraftreserven, die in diesem Tier schlummerten, waren beeindruckend.
Vor ihnen war der Mond schon untergegangen, und über ihnen funkelten die Sterne; hinter ihnen war das Licht des Tages noch nicht gänzlich über die dunklen Berge heraufgekommen.
Es war ein Grasland mit einem kurzen, federnden Grasteppich, und es war nichts zu hören als das Wispern der Luft über den Bergrücken und hoch oben einzelne Schreie fremdartiger Seevögel und das Plätschern der kleinen Wellen am Ufer des Meeres und die Brandung der Strömung am Schilf.

Die Gruppe sprach nicht mehr bis sie während der ersten Sonnenstrahlen des anbrechenden Tages ihr Ziel in der Ferne erkannte. Fremde Bauwerke und Gemäuer erstreckten sich am Horizont über einen sonnenbeschienen, gigantischen Felsen auf den unzählige Straßen und Gassen hinaufführten.
An der Spitze des Felsens thronte ein prunkvolles, palastartiges Gebäude aus rotem Gestein und goldenen Dächern, in seinem Glanz und Prunk nur noch übertroffen von einem in der Nähe liegenden Tempel.
Viele der Häuser in den tieferen Regionen waren hingegen aus Holz gefertigt, das war schon aus dieser Entfernung zu erkennen, und die Strohdächer leuchteten im feurigen Orange der Morgensonne.

Da die Stadt direkt am Meer von Rhûn erbaut worden war, lag eine Flotte von einer Größe im Hafen der Stadt, wie sie Aivari zu Lebzeiten noch nicht gesehen hatte. Rauch stieg aus unzähligen Schornsteinen empor und viele Flaggen mit dem Wappen des Königreichs Rhûn wehten im lauen Seewind.

Immer näher kamen sie der äußersten Stadtmauer, nur eine von vielen, die sich schützend um die Bauwerke auf dem Felsen zogen. Während Aivari die Ausmaße der Stadt noch staunend betrachtete, gingen die Mauern von Braun in ein feuriges Rot über und glänzten schwach in der Morgendämmerung; Aivari bemerkte die vielen brachliegenden Felder außerhalb der Stadt. Manche waren völlig ausgetrocknet, andere mit Unkraut überwuchert.

»Der Krieg im Westen fordert seinen Tribut«, sagte Inari zu ihm, als sie die Straße entlangritten, die auf das große Tor im Westen Gortharias zuführte.
»Diese Felder wurden von Sklaven bewirtschaftet, die heute ihr Leben im Westen lassen müssen, in Kämpfen in die sie unschuldig hineingeraten sind, für einen Zweck, der ihnen weder dient noch ihr Leben einfacher machen wird.«
Aivari wusste nicht recht, was er antworten sollte. Diese prachtvolle Stadt von einer Größe, wie sie auch im Westen kaum anzutreffen war, vielleicht die größte, die er je gesehen hatte – erbaut auf Knochen und Blut versklavter Arbeiter. Es war eine bittere Note, die sich auf seinen ersten überwältigenden Eindruck legte.
»Wir sollten uns rasch neue Kleidung besorgen, sobald wir die Stadt betreten haben, Aivari.«
Inari riss den Zwerg wieder aus seinen Gedanken. Vor ihnen erhob sich ein großes Stadttor, viele Menschen gingen ein und aus, selbst zu dieser frühen Stunde.
»Du magst in deiner Kluft nicht sofort auffallen, aber die Wappen der Riddermark dürften hier auf Aufmerksamkeit stoßen, die wir nicht gebrauchen können.«
»Sie hat recht«, stimmte Milva zu, die in ihrer Jägerkluft aus Hirschleder zwar ebenfalls nicht wie ein typischer Bewohner Gortharias aussah, aber weitaus weniger auffällig war als Inari. »Ich habe zwar keine Ahnung wo diese Riddermark liegen soll, aber wenn sie mit Rhûn im Krieg liegt, solltet ihr diese Wappen auf jeden Fall verbergen.«

Ein paar Wachen, die nicht unähnlich gekleidet waren, wie die Soldaten, die sie überfallen hatten, versuchten die eintretenden Menschen sporadisch zu kontrollieren, was von wenig Erfolg gekrönt war.
Inari verdeckte ein paar der auffälligeren Stellen ihrer Rüstung mit den Leinentüchern, die von Kazimir in ihren Besitz gelangt waren. Zwischen einigen anderen Reitern und zwei Händlerkarren, die einer umfangreicheren Inspektion unterzogen wurden und die wenigen Wachen voll und ganz beschäftigten, kamen sie alle drei ungesehen ins Innere der Stadt.
In den Straßen und Gassen herrschte geschäftiges Treiben. Düfte von frisch gebackenem Brot stiegen Aivari in die Nase und die holprige Straße, die sie hierher geführt hatte, wurde durch einen gesteinten Weg abgelöst, auf dem die trappelnden Hufe ihrer Pferde durch die Hauptstraße und einige engere Gassen schallten.
Es war eine wahrlich starke Feste, die wohl kein feindliches Heer einzunehmen vermochte, wenn Männer in ihrem Inneren waren, die Waffen führen konnten. Bogenschützen konnten Angreifer durch die vielen Höhen der Stadt stets ins Kreuzfeuer nehmen und Katapulte hatten auf lange Entfernung gute Sicht auf nahende Feinde.

»Kalervos Kleidungsgeschäft ist nicht weit von hier, wenn er noch dort seinen Sitz hat, wo er zuletzt war. Ich kenne ihn seit vielen Jahren und…«
Inari neigte sich ein wenig zu dem Zwerg zurück, der hinter ihr saß. »Er hat nicht viel übrig für die Obrigkeit und die menschenunwürdigen Gesetze dieses Landes. Ich bin mir sicher, er kann uns weiterhelfen.«

Zwei Straßen weiter fanden sie sich vor einem kleinen, unscheinbaren Gebäude wieder, das sich nicht sonderlich von den anderen Häusern abhob. Nur ein kleines Holzschild mit der Aufschrift „Kalervos Allerlei“ in verschiedenen Schriften und Sprachen deutete auf einen Laden hin.
Sie sattelten ab und banden ihr Pferd an einen dafür vorgesehenen Holzpfahl neben der Eingangstür. Kalervo selbst war nicht anzutreffen.
»Scheint, als wäre euer Bekannter nicht zu Hause«, meinte Milva in misstrauischem Tonfall. »Ich denke, ich werde lieber draußen warten, falls etwas schiefgeht.«

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»Wegen Verschwörung und Rufmord am König in Gewahrsam genommen«, teilte ihnen eine seiner Aushilfen in monotoner Stimmlage mit, als erzähle sie die Geschichte bereits zum hundertsten Mal.
Inari schnaubte wütend und fragte die ältere Dame nach Einzelheiten zur Festnahme ihres Bekannten. Aivari war indes von dem kleinen Geschäft völlig verblüfft. Wie hatte man so viele exotische Stoffe, Leder und Metalle in einen so kleinen, schwach beleuchteten Raum hineinbekommen? Das war selbst für Zwerge, die Meister im Platzsparen waren, recht erstaunlich. Er ging an Bergen voller Kleidungsteile vorbei in allen Farben der Welt, Bäche von Schals und Leinengewändern, Gamaschen und Anglerhosen, Bergschuhen und allerlei Kopfbedeckungen, die nicht immer als solche zu erkennen waren, bahnten sich ihren Weg durch das Geschäft.

»Ich hatte an so etwas gedacht«, teilte die ältere Dame schließlich mit und deutete auf ein paar Leinengewänder und Kettenhemden. »Und für den Herrn Zwerg vielleicht noch ein solcher Turban. In weiß? Ich glaube er würde euch gut zu Gesichte stehen. Die Obrigkeit pflegt solche zu tragen, und das scheint mir für eure Pläne am sinnvollsten.«
Inari hatte die alte Frau offenbar von ihren Plänen unterrichtet oder sie wusste schon vorher weshalb Inari hierhergekommen war. Pläne, die sie selbst Aivari noch nicht ganz offengelegt hatte.

Nach einigem Debattieren und Ausprobieren stand Aivari in neuer Kluft vor einem großen Spiegel, der irgendwie zwischen einer rückwärtigen Tür und zwei Hügeln aus Stoffhosen angebracht worden war.
Ein weißer Turban wickelte sich um seinen Kopf, die langen Haare darin verschwindend. 
Unter seinen Augenbrauen kam nur noch der weiße, teils mit zwergischen Rollspangen geflochtene Bart zum Vorschein. Am Oberkörper trug er zuunterst ein braunes Stoffhemd und darüber ein silbernes Kettenhemd, das auch seine Oberarme bedeckte. Eine Lederweste und ein marineblauer, dicker Stoffumhang mit zwergischen Verzierungen an den Säumen in weiß und silber, sowie ein weites, schwarzes Wolfsfell, das er sich über seine Schultern legte, rundeten die neue Kleidung ab.
Seine längst zerschlissene und mehrfach geflickte Hose wurde durch eine dunkle, robuste Stoffhose ersetzt, die teils mit Lederteilen verstärkt war. Seine ausgetretenen Stiefel wurden durch neue Lederstiefel ausgetauscht.

Einen neuen verzierten Ledergürtel mit zahlreichen kleinen Taschen zog er darüber.
»Ihr habt Glück das ich erst letzten Monat einen zwergischen Händler zu Besuch hatte, der auch Bekleidung in eurer Größe geliefert hat.«, meinte die alte Verkäuferin zu ihm, während sie seinen Turban noch einmal passgenau ausrichtete und das Wolfsfell zurecht zog. »Seit wir im offenen Krieg mit eurem Volk sind, ist es schwieriger für euresgleichen alltägliche Dinge in dieser Stadt zu finden. Ohnehin trifft man nur noch selten Vertreter eures Volkes in Gortharia. Seid besser auf der Hut und meidet Nebenstraßen im Dunkeln. Auch wenn ihr nicht von offizieller Seite am Betreten unseres Landes gehindert werdet, wird euch unter den meisten Königstreuen offene Abneigung entgegengebracht werden.«

Aivari war nicht überrascht, nicht weniger hatte er erwartet. Noch als er in den Eisenbergen lebte, befanden sich ihre Völker im Krieg und es wurde davor gewarnt weit in den Süden zu reisen.

Inari tauschte die Rüstung der Rohirrim, oder das was von ihr übrig war, gegen ein neues, langärmeliges Kettenhemd ein, das bis zu den Knien reichte, dazu lederne Arm- und Beinschoner und metallene Schulterplatten und Brustschutz, sowie ein ledernes Oberteil, das auch den Hals mit einem Kragen schützte und bis über die Hüfte reichte. Dazu ein Gürtel mit einigen Taschen, braune Stiefel und eine dunkle Stoffhose.
Zusammen ergaben sie so einen reichen Zwergenhändler oder einen kleinen Menschen aus der oberen Schicht mit einer gekauften Leibwächterin. Ein Anblick, der immer noch ungewöhnlich, aber nicht allzu auffällig war.
Durch Inaris Kontakte mussten sie für ihre Neueinkleidung nicht einmal bezahlen, dennoch überließen sie der alten Dame ein paar Goldmünzen – das gebot allein der Anstand und die Freundlichkeit der Frau.

»Unsere Wege müssen sich jetzt für einige Zeit trennen«, meinte Inari zu Aivari gewandt, der noch mit seinem Turban kämpfte, als sie den Laden wieder verließen, jedoch abrupt innehielt, als sie sprach. »Ich werde dich noch heute wiederfinden, aber im Moment würdest du die Sache nur erschweren und dich selbst in Gefahr bringen. Es gilt einige alte Bekanntschaften zu erneuern. Vertrau mir. Sobald ich mehr weiß, komme ich zurück. Geb Acht auf dich und halt dich im Zweifel an Milva. Sie kommt schließlich aus Rhûn und dürfte verhindern, dass du auffällst.«
Aivari überlegte kurz zu protestieren, schließlich hatte er den weiten Weg nur auf sich genommen, um ihr zu helfen, doch sie wirkte entschieden und letztlich wusste sie immer noch am Besten, was ihr Plan war. Allmählich befand es Aivari jedoch für merkwürdig, dass sie ihn nicht weiter in ihre Pläne einweihte und nun einfach verschwinden wollte.
»Ich vertraue dir, aber ich brauche dafür auch dein Vertrauen, Inari. Ich glaube du begibst dich in Gefahr und ich wäre lieber an deiner Seite, wenn das geschieht.«
»Ein letztes Mal muss ich dich noch im Ungewissen lassen, Aivari. Sei dir sicher, dass ich dir mehr sagen würde, wenn ich könnte. Ich muss vorerst alleine handeln. Pass auf dich auf.«
Sie umarmte ihn noch rasch, bevor sie schnellen Fußes in einer nahen Menschentraube verschwand und in eine Gasse abbog.

Aivari schaute unter seinem Turban zu Milva auf und setzte ein wenig überzeugendes Lächeln auf. »Ich schätze damit sind wir auf uns allein gestellt. Wo gedenkt Ihr hinzugehen?«

Eandril

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Re: In den Straßen von Gortharia
« Antwort #6 am: 30. Okt 2016, 00:04 »
Milva zuckte zur Antwort mit den Schultern, während sie sich unbehaglich umsah. Bislang hatte sie Riavod für eine große Stadt gehalten, doch die Stadt hätte in Gortharia mindestens zehnmal Platz gefunden. Die Menschenmengen auf den Straßen, die dicht beieinander stehenden Häuser, der Geruch... das alles drohte Milva zu überwältigen, und sie wünschte sich in die ruhigen, einsamen Wälder des Nordens zurück. "Ich habe keine Ahnung", gab sie freimütig zu. "Ich bin noch nie in einer derart... großen Stadt gewesen." Von einer Straßenkreuzung weiter vorne waren laute, zornige Rufe zu hören. Anscheinend waren zwei Wagen zusammengeprallt und hatten sich ineinander verkeilt, und die Fahrer beschimpften sich nun lautstark gegenseitig.
Sie blickte zu Aivari hinunter, der in seiner neuen Kluft deutlich mehr wie ein Ostling aussah als zuvor, und meinte: "Vielleicht gibt es ja irgendwo ein Gasthaus das Zimmer vermietet..."
Aivari war recht erstaunt, dass Milva offenbar über genauso wenig Kenntnis von diesem Ort verfügte, wie er selbst. Er hatte vermutet, dass man als Mensch aus Rhûn mindestens einmal in der Hauptstadt gewesen war.
"Ich weiß nicht, ob es überhaupt nötig sein wird, hier zu übernachten", erwiderte er und schaute sich noch einmal etwas naserümpfend um, als zwischen den beiden Wagenfahrern in der Nähe nun ein handfeste Rauferei ausgebrochen war.
"Aber es wäre sicherlich von Vorteil über einen Rückzugsort zu verfügen. Was plant ihr denn in dieser Stadt zu tun, wenn euch die Frage nicht ungenehm ist?"
Milva trat unbehaglich von einem Fuß auf den anderen. Der Zwerg war zwar eindeutig ein Feind des Königreiches, aber dennoch... sie konnte ihre Mission nicht einfach herumerzählen. "Ich, äh... bin auf der Suche nach einem Freund", antwortete sie schließlich ausweichend. Aivari blickte sie aufmerksam an, nickte dann aber nur. Er hatte offenbar begriffen, dass sie nicht weiter darüber sprechen wollte und beschlossen, ihr ihr Geheimnis zu lassen.
"Ich glaube, ich habe in der Nähe des Tores ein halbwegs vernünftiges Gasthaus gesehen", meinte er unverbindlich, und Milva folgte ihm bereitwillig.



Das Gasthaus "Zur Mondsichel", zumindest glaubte Milva diesen Namen auf dem verwitterten Schild über der Tür zu entziffern, lag unweit des Tores durch das sie die Stadt betreten hatten am Ende einer schmalen Gasse. Das Haus schmiegte sich direkt an die äußere Mauer Gortharias, und sah zwar nicht gerade luxuriös aus, wirkte aber einigermaßen vertrauenerweckend. Milva und Aivari betraten den Schankraum, und Milva sprach den Wirt im Dialekt Gortharias an: "Habt ihr Zimmer zu vermieten?"
Der Wirt, ein alter Ostling mit kurz geschorenen, grauen Haaren blickte sie misstrauisch an, und seine Augen verengten sich als sein Blick auf Aivari fiel. "An Höhlenkriecher vermiete ich eigentlich nicht." Milva warf Aivari einen kurzen Blick zu, um zu sehen ob er auf die Beleidigung reagieren würde. Selbst wenn er die Sprache Gortharias nicht verstand, waren Tonfall und Blick des Wirtes doch eindeutig gewesen.
Aivari verstand die Worte Milvas und des Wirtes nicht, doch der abschätzige Blick und seine Gestik waren unmissverständlich und zeigten, dass er offenbar ein Problem mit Zwergen hatte. Aivari versicherte sich über diese Einschätzung noch einmal, indem er Milva in die Augen schaute. Ein kurzer, vielsagender Blick der jungen Frau reichte Aivari als Bestätigung. Aivari war für gewöhnlich behutsamer, eher diplomatischer Natur. Doch wenn es um sein Volk oder seine Familie ging, dann war seine Ehre leichter zu kränken, als die des eitelsten Herrschers.
Trotzig nahm Aivari daher den weißen Turban ab und ließ ihn auf den verschmutzten Tavernenboden fallen, um zu verdeutlichen, dass er sich nicht herabsetzen lassen und er die Kultur des Menschen dann im Gegenzug auch nicht mit dieser Kopfbedeckung respektieren würde.
Er stellte sich noch aufrechter hin als ohnehin schon, mit breiten Beinen und packte unter seinem Mantel an den Griff seiner Axt während seine dunklen Augen funkelten.
"Nennt mir Euren Namen, Tresenwischer, dann werde ich Euch meinen nennen und noch einiges über mein Volk. Und lasst mich Euch vor weiteren einfältigen Worten warnen.
Ihr sprecht herablassend von einem Volk, das deutlich weiser und fähiger ist, als ihr Euch vorzustellen vermögt. Euer geringer Verstand ist nur eine schwache Entschuldigung."
Milva stöhnte auf, und bevor der Wirt auffahren konnte, sagte sie rasch: "Mein Freund ist sehr heikel in Fragen der Ehre. Bitte, sagt ihm dass ihr es nicht böse gemeint habt."
"Kommt nicht in Frage", erwiderte der Mann mürrisch. "Ich will kein Gesindel in meinem Gasthaus haben, und Zwerge sind genau das." Aivari schien sehr gut verstanden zu haben, dass der Wirt keineswegs vorhatte sich zu entschuldigen, denn in seinen Augen blitzte ein immer größer werdender Zorn auf und sein Griff um die Axt wurde fester. Die verächtliche Art des Wirtes machte allerdings auch Milva selbst wütend, denn in Riavod war sie vor dem Krieg vielen Zwergen begegnet, und auch wenn diese größtenteils stolz und verschlossen waren, hatte sie die Bewohner der Eisenberge doch immer als ehrenhafte und vertrauenswürdige Leute gekannt.
"Wie tief seid ihr hier gefallen, dass ihr anständigen Leuten eine Unterkunft verwehrt, nur weil sie ein wenig kleiner sind als ihr?" Auch in Milvas Stimme hatte sich ein gewisser Zorn eingeschlichen.
"Zwerge sind keine anständigen Leute", warf ein schmierig aussehender Mann, der an der Theke saß und einen vollen Bierkrug vor sich hatte, ein. "Sie sind Diebe, Mörder und unsere Feinde, und hier gibt es keinen Platz für sie... oder irgendwelche Schlampen, mit denen sie sich vergnügen."
Einen Augenblick glaubte Milva, sie hätte sich verhört, doch dann fuhr der Kerl mit einem anzüglichen Grinsen fort: "Ist sein Schwanz so klein wie der Rest von ihm? Wenn du mal einen richtigen spüren willst, kannst du gerne mal mit mir hochkommen, Süße." Sein Grinsen wurde noch breiter, und neben ihm lachte ein weiterer, ebenso unangenehm wirkender, Mann - bis Milva den Bierkrug packte und dem Schmierigen seinen Inhalt ins Gesicht schüttete.
"Nenn' mich noch einmal so, du... du..." Sie suchte nach dem passenden Wort, kam aber nicht dazu als der Mann tropfend aufsprang und blitzschnell ein Messer in der Hand hatte. Der Wirt warf einen Blick darauf, sagte nur: "Kein Blut auf meinem Boden", und wandte sich dann wieder ab.
"Hörst du, Süße?", fragte Milvas Gegenüber, und hielt ihr das Messer unter das Kinn. "Wir beide werden jetzt rausgehen, und ein wenig Spaß miteinander haben." Dass ihm langsam Bier aus den schwarzen Haaren tropfte, machte ihn für Milva kein bisschen weniger gefährlich, und sie wich unwillkürlich einen Schritt zurück. Wäre der Kerl zehn Schritte entfernt und hätte sie ihren Bogen, wäre sie keine Sekunde in Gefahr, doch so war sie ihm hilflos ausgeliefert.



"Überleg dir besser, mit wem du dich anlegst, Lump!", schrie Aivari schließlich wütend, nachdem er schon zu lange untätig mit ansehen musste wie die Männer Milva bedrängten. Er packte schließlich nicht eine seiner beiden Äxte, sondern griff rasch zu seinem Schwert Azanul, das er unter dem neuen blauen Mantel versteckt hatte. Diese Wichte hatten es sich reichlich verdient, die verfluchte Klinge des schwarzen Schwertes zu spüren. Das Schwert fuhr zischend aus der Scheide und blitzte kurz im Lichte der Öllampen auf. Dann trat er zwischen den Mann mit dem Messer und Milva und hielt den krummen Burschen mit der langen Klinge auf Abstand.

"Seht ihn euch an! Ethos und Moral?! Ein Tunichtgut ohne jede Ehre. Und euresgleichen wagt es über mein Volk zu urteilen. Verflucht sollt ihr alle sein und Aules Zorn möge euch treffen!"
Aivari brüllte durch die ganze Taverne und meinte mit seinen Worten einen jeden Anwesenden, der tatenlos zusah oder die Gauner sogar ermutigte.
"Und du wagst es den Kopf hoch zu tragen, du Wicht?", sein Zorn traf nun den Mann mit dem schäbigen Messer. "Gibst dich als der Anständige aus? Und mein Volk schimpfst du Diebe und Mörder? Du elender Halunke! Pack dich bevor ich dir mit der Klinge das Maul stopfe!"
Aivari stand in Kampfeshaltung und jederzeit bereit einen Angriff zu parieren. Er mochte dem Mann vielleicht körperlich unterlegen sein, doch seine Waffe war der seinen um ein vielfaches überlegen.

Der Mann schaute Aivari aus blitzenden Augen und wutverzerrter Mine an, ehe er sich schließlich herumdrehte und zu seinem Platz zurückzugehen schien. Aivari atmete schon auf, da kamen plötzlich zwei der zwielichtigen Freunde des Mannes aus dem Halbdunkel des Inneren des Gasthauses und wollten den Zwerg und Milva von hinten packen. Einer schlug Aivari im Überraschungsmoment ins Gesicht, was ihn kurz zurückwarf.
"Du bist der Wicht, zwergisches Gesindel.", knurrte der grobschlächtige Kerl und
dünstete dabei Bier und Blutwurst aus.
"Hörst du, was ich sage, Höhlenkriecher? Oder hast du Dreck in den Ohren?"
Aivari, der im Munde den Eisengeschmack von Blut hatte, wirbelte mit Azanul herum und hielt sich nun nicht mehr zurück.
Die Klinge huschte in Aivaris Hand hin und her. In die Augen des Zwerges war ein boshaftes Funkeln getreten, zwischen seinen zusammengebissenen Zähnen drang ein heiseres Gebrüll hervor. "Baruk Khazâd! Khazâd ai-mênu!"

Der Mann wich zurück vor der Macht mit der Aivari diese uralten Worte herausbrüllte, und vor der Wut und plötzlichen Übermacht des Zwerges, die in Wellen auf ihn einschlugen und ihn übermannten.
Einen Augenblick lang herrschte Durcheinander. In der Luft zitterte der hysterische Schrei einer Frau, die aus dem Gasthaus lief. Krachend fiel ein Stuhl um, mit klirrendem Poltern stürzte Geschirr zu Boden. Der Wirt, vor Angst zitternd, blickte auf die offene Bauchwunde des Grobschlächtigen, der die Finger in den Rand eines Schanktisches krallte und hinabsank.
Putz rieselte von der Decke, als Milva den Kopf des anderen Angreifers mit einer flinken Drehung packte, die Geschwindigkeit nutzte, und ihn gegen die Wand der Taverne hämmerte.
Herausfordernd hob Aivari den bärtigen Kopf und sein Blick traf den des Messermannes, der seinen Rückzug nur als Finte genutzt hatte und nun wieder zum Angriff überging. Mit einem gezielten Hieb der deutlich längeren Klinge Azanuls, stach Aivari dem Mann im Lauf in die Brust und als er in die Knie ging, stieß er ihm die blutverschmierte Klinge in den Hals. Röchelnd ging er zu Boden.
"Noch jemand?!", rief Aivari in hellem Zorn und funkelte die Anwesenden an.
"Hol jemand die Stadtwache, schnell!", brüllte der Gastwirt nun mit zitternder Stimme feige hinter seinem Tresen versteckt, schnappte nach Luft und begann sich zu übergeben.
Aivari drehte sich auf dem Stiefelabsatz, stieg über die schnell zunehmende dunkle Lache auf dem Holzboden und schob Milva ohne Worte rasch aus dem Gasthaus heraus auf die offene Straße. Er harrte der Dinge, die da kommen mochten, denn auch auf den Straßen waren Stadtwachen unterwegs.



Sobald sie draußen waren atmete Milva tief durch. Sie hatte zwar bereits zuvor Menschen getötet - das letzte Mal war ja gar nicht lange her, als sie Aivari getroffen hatte - aber dieser Kampf war etwas vollständig anderes gewesen. In Gedanken sah sie immer noch Aivari vor sich, der seine schwarze Klinge schwang und einem der Männer den Bauch aufschlitzte.
"Wir... müssen von der Straße runter." Ihr Blick huschte hin und her durch die Gasse und über die Häuser, und sie fühlte sich wie ein gehetztes Reh, das von den Hunden in die Ecke getrieben worden war.
"Warum bin ich überhaupt erst hierher gekommen?", murmelte sie vor sich hin, und machte einen zögerlichen Schritt in irgendeine Richtung. Eigentlich war es egal, wohin sie flüchteten, denn Milva hatte keine Vorstellung wo man sich in diesem Chaos von einer Stadt vor der Wache verstecken konnte. Bevor sie jedoch eine Entscheidung treffen konnte, bog ein Trupp Wachen in goldenen Rüstungen um die Ecke.
"Ihr zwei da, sofort stehen bleiben!", rief der Anführer ihnen entgegen, und Milva verharrte wie angefroren, während Aivari mit grimmiger Miene sein Schwert, dass er immer noch gezogen hatte, fester packte.
"Ich hätte den Kerl einfach verrecken lassen sollen...", sage Milva leise vor sich hin, was ihr einen kurzen verwirrten Blick des Zwerges einbrachte. "Ich bin für sowas nicht geeignet, ich hätte nein sagen sollen..." Jetzt würde ihre Mission vermutlich scheitern bevor sie überhaupt richtig begonnen hatte - und noch schlimmer, dieses Mal würde sie niemand rechtzeitig vom Galgen schneiden. Sie bemerkte das kampflustige Funkeln in Aivaris Augen, und legte selbst die Hand auf den Griff ihre Jagdmessers. Wahrscheinlich war es besser, kämpfend zu sterben, als sich zu ergeben und aufgehängt zu werden.
Inzwischen waren die Goldröcke herangekommen, und der Anführer sagte: "Ihr seid verhaftet wegen..."
Eine andere Stimme schnitt ihm das Wort ab. "Sie sind nicht verhaftet." Auf der anderen Straßenseite war eine Frau mit kurzen, dunkelblonden Haaren erschienen, die eine Rüstung und ein Schwert an der Seite trug. Milva kannte diese Rüstung, von den Soldaten, die Aivari und Inari überfallen hatten... und die sie getötet hatte.
"Wir werden sowas von hängen...", stieß sie hervor.
"Nicht verhaftet?!", brach es hingegen etwas erstaunt aus Aivari hervor, der sich schon wieder schwertschwingend gegen die Stadtwachen gesehen hatte.

"Kommandantin Ryltha", sagte der Anführer der Stadtwächter. "Diese zwei haben einen Kampf angezettelt und zwei Männer getötet."
"Wirklich." Die Frau war ebenfalls herangekommen, und fuhr fort: "So wie ich das gehört habe, haben sie sich lediglich gegen ein paar Unruhestifter verteidigt. Und das können wir doch wirklich niemandem vorwerfen, oder?"
"Da habe ich aber etwas ganz anderes gehört", knurrte der Wächter, und blickte Milva und Aivari misstrauisch an, doch Ryltha ließ sich nicht beirren.
"Nur schade, dass ihr im Rang unter mir steht. Und ich befehle euch, abzuziehen und Händler einzuschüchtern, Kinder zu erschrecken oder was ihr sonst so nützliches tut."
Der Mann wurde bleich vor Zorn, widersprach aber nicht, sondern presste die Lippen zusammen und gab seinen Männern ein Zeichen.

Sobald die Stadtwachen außer Hörweite waren, wandte Milva sich an ihre Retterin.
"Warum habt ihr uns geholfen?"
Die Kommandantin zuckte mit den Schultern. "Ich habe gehört, was im Gasthaus geschehen ist, und auch wenn ihr nicht völlig schuldlos wart, sollt ihr deswegen trotzdem nicht den Kopf verlieren."
Sie musterte sowohl Aivari als auch Milva mit Interesse. "Ihr könnt also gehen wohin ihr wollt, passt nur auf keinen allzu großen Ärger zu machen. Und wenn ihr keine Aufsehen erregen wollt, geht ins nördliche Händlerviertel, dort ist man Angehörigen anderer Völker weniger feindlich gesonnen, und dort werdet ihr eine Unterkunft finden."
"Danke", sage Milva erleichtert, auch wenn Aivari der Frau nicht vollends zu vertrauen schien. Während sie sich auf den Weg machten, glaubte Milva noch lange, Rylthas interessierten Blick in ihrem Rücken zu spüren.

Oronêl - Edrahil - Hilgorn -Narissa - Milva

Eandril

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Re: In den Straßen von Gortharia
« Antwort #7 am: 6. Nov 2016, 15:06 »
Milva und Aivari hatten Glück, und fanden im Händlerviertel im Norden tatsächlich ein Gasthaus, das ihnen ohne weitere Schwierigkeiten zwei Zimmer vermietete. Außerdem wirkte ihr jetziges Quartier deutlich komfortabler und vor allem sauberer als ihr vorheriger Versuch. Milva verstaute die wenigen Habseligkeiten, die sie mit auf ihre Reise genommen hatte, und verabschiedete sich dann für den Moment von Aivari.
"Ich muss... einer Spur folgen", erklärte sie. "Und ich will euch nicht noch weitere Schwierigkeiten machen, also würde ich gerne allein gehen." Sie war sich bewusst, wie fadenscheinig diese Ausrede klingen musste, aber trotz allem wollte sie den Zwerg noch immer möglichst nicht von dem wahren Grund ihrer Anwesenheit in Gortharia erfahren lassen.
"Erstaunlich viele Leute wollen heutzutage irgendwelchen Spuren folgen“, meinte Aivari und lachte, um dann wieder ernster zu werden. "Ich schätze in diesem Stadtviertel sind wir ohnehin sicherer und scheinbar sind auch nicht alle Bewohner dieses Landes auf Konflikt aus, wie diese Kommandatin bewiesen hat.“
"Und außerdem..." Milva räusperte sich unbehaglich, und rückte unbewusst das schmale Stirnband, dass ihre Haare aus dem Gesicht hielt, zurecht. "Außerdem wollte ich euch für eure Hilfe danken. Ohne euch hätten diese Kerle mich wohl..." Sie musste es nicht aussprechen.
"Entschuldigt, dass es so weit gekommen ist“, erwiderte Aivari. "Wir hätten dieses Gasthaus auf dem schnellsten Wege verlassen sollen. Dennoch hätte ich nicht zulassen können, dass Euch und meinem Volk solches Unrecht widerfährt.“
Er drehte sich bereits halb herum, als er sich zu seiner Zimmertür wandte.
"Wenn es Euer Wunsch ist alleine weiterzureisen, dann sei es so. Aber gebt Acht auf Euch. Für ein junges Ding wie Euch scheint mir dies kein guter Ort alleine unterwegs zu sein.“
Dabei musste er an Inari denken, die offen gesagt genauso verletzlich schien wie Milva, jedoch in Gortharia gelebt hatte und sich deshalb hier auskannte.
„Solltet ihr meine Hilfe erneut benötigen, zögert nicht mich aufzusuchen. Ich werde wohl noch eine Weile hier verbringen bis Inari wieder von sich hören lässt.“
So reichte er der jungen Frau die Hand zum Abschied.



Den Königspalast zu finden, erwies sich als schwieriger als Milva eigentlich erwartet hatte. In den Orten die sie kannte - was zugegebenermaßen nicht viele waren - war das wichtigste Gebäude meist von überall in der Stadt zu sehen, doch Gortharia war derart groß, dass sie keine Ahnung hatte, wohin sie gehen sollte. So irrte sie einige Zeit durch die Gassen des nördlichen Händlerviertels, immer darauf bedacht, jeglichen Stadtwächtern auszuweichen, bis sie schließlich eine breite Straße erreichte, die schnurgerade nach Süden führte.
"Kann genauso gut die richtige sein", sagte Milva vor sich hin, zuckte mit den Schultern, und folgte der Straße. Sie hoffte, dass sie später den Rückweg wiederfinden würde, ohne sich allzu sehr zu verirren. Die breite Hauptstraße stellte sich zu ihrem Glück als der richtige Weg heraus, denn schließlich erblickte sie vor sich ein mächtiges Gebäude mit goldenen Dächern vor sich. Sie fragte sich, wie viele Menschen man mit derart viel Reichtum wohl ernähren könnte, und musste an das ausgemergelte Gesicht ihres Vaters denken - kurz bevor er gestorben war. Der große Platz vor dem Palast war im Vergleich zu den anderen Straßen Gortharias relativ leer, und Milva hatte einen freien Blick auf die fünf Gardisten, die den Haupteingang bewachten.
Hier endete ihr Plan, denn weiter hatte sie nicht vorausgedacht - und eigentlich wusste sie selbst nicht genau, was sie am Palast wollte. Aber irgendeine Stimme in ihrem Hinterkopf sagte ihr, dass sie dort vielleicht am ehesten eine Spur der Königsfamilie von Thal finden würde. Immerhin würden sie wertvolle Gefangene sein - falls sie überlebt hatten. Einen Augenblick trat Milva unschlüssig von einem Fuß auf den anderen, doch dann gab sie sich einen Ruck. Vielleicht sollte sie einfach einen der Gardisten fragen, was sollte schon schiefgehen?

Milva zum Königspalast
« Letzte Änderung: 28. Dez 2016, 11:41 von Eandril »

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Re: In den Straßen von Gortharia
« Antwort #8 am: 28. Dez 2016, 13:03 »
Milva vom Königspalast

Milva hatte den Vorplatz des Palastes so überhastet verlassen, dass sie nicht darauf geachtet hatte, in welche Straße sie einbog, sondern nur ungefähr in nördlicher Richtung unterwegs war. Erst nach einiger Zeit stellte sie fest, dass es sich nicht um die breite Straße handelte, der sie zuvor zum Palast gefolgt war, und blieb am Straßenrand stehen. Sie blickte sich unsicher um, sah jedoch nichts was ihr auch nur ansatzweise bekannt vorkam - zumindest nichts auffälliges, denn die Häuser zu beiden Seiten der Straße unterschieden sich nicht von allen anderen in Gortharia.
"Dummes Mädchen", murmelte sie leise vor sich hin, während sie nachdachte. Sie könnte den Weg einfach wieder zurück zum Palast gehen und dort die richtige Straße wählen, doch dabei bestand die Gefahr, dem Gardisten mit dem sie gesprochen hatte, ein zweites Mal über den Weg zu laufen. Und das würde ihre Tarnung - über deren Art sie sich nicht einmal selbst wirklich im Klaren war - sicherlich nachhaltig beschädigen.
Die Menschenmengen auf den Straßen und der andauernde Lärm begannen Milva zu verwirren und sie tat sich schwer, einen klaren Gedanken zu fassen. Natürlich waren ihr Menschenansammlungen durch ihre Besuche auf dem Markt einige Meilen flussabwärts von ihrem Heimatdorf nicht vollkommen fremd, doch Gortharia war etwas völlig anderes. Bereits Holmgard, dass sie auf ihrer Reise nach Süden durchquert hatte, war ihr zu viel gewesen, und Gortharia war noch um einiges größer und belebter.
Milva hob die Hände an den Kopf und massierte sich die Schläfen, während sie versuchte den Lärm und die Menschen auszublenden und nachzudenken. Sie glaubte, ein wenig zu weit nach Westen gelangt zu sein, also konnte sie auch einfach weiter nach Norden gehen, und bei der nächsten Gelegenheit nach rechts abbiegen. So würde sie, glaubte Milva, früher oder später zwangsläufig wieder auf den richtigen Weg kommen.

Nur wenige Minuten später musste sie einsehen, dass sie sich vollständig verirrt hatte. Sie hatte zwar eine Straße gefunden, die ein Stück in östlicher Richtung verlaufen war, doch diese hatte sich bald in zwei weitere Straßen aufgegliedert, von denen mehrere Gassen in alle Richtungen abgingen. Einer davon war Milva gefolgt, und dann einer anderen, und nun stand sie am Rand eines geschäftigen Marktplatzes und hatte überhaupt keine Ahnung mehr, wo in dieser verfluchten Stadt sie sich befand. Sie konnte direkt neben ihrem Gasthaus stehen, oder am anderen Ende der Stadt - Milva wusste es nicht. Sie ließ sich auf einen Stapel Kisten am Rand der staubigen Gasse fallen, und blickte frustriert umher. In der Wildnis hatte sie keine Schwierigkeiten sich zurecht zu finden, selbst wenn sie die Gegend nicht kannte, doch dieser Irrgarten von Stadt war zu viel für sie.
Milva seufzte, wollte gerade aufstehen und ihren Irrweg fortsetzen, als sie von einer freundlichen Stimme in der Sprache Gortharias angesprochen wurde: "Meine Liebe, es sieht aus als hättet ihr euch verlaufen."
Milva blickte auf, und sah sich einem gut gekleideten Mann mit kurzen schwarzen Haaren gegenüber, der sie freundlich anlächelte. Er schien etwa zehn Jahre älter als sie zu sein, strahlte aber dennoch eine gewisse jugendliche Kraft aus.
"Wie kommt ihr darauf, dass ich mich verirrt hätte?", fragte Milva misstrauisch, obwohl sie in den Augen ihres Gegenübers keine Falschheit entdecken konnte.
"Nun, ihr euer Blick wandert ziellos durch die Gegend, als würdet ihr etwas suchen, wüsstet aber nicht was. Und ihr wirkt ein wenig wie ein aufgescheuchtes Reh, dass sich in die Stadt verirrt hat - ein sehr hübsches Reh, möchte ich sagen." Er deutete eine Verbeugung an und lächelte, wobei an seinem linken Ohr ein goldener Ring im Sonnenlicht aufblitze.
"Mein Name ist Ántonin Dvâkar, Händler, zu euren Diensten", fuhr er in Milvas Muttersprache fort, allerdings mit einem ihr unbekannten Akzent. Anscheinend hatte er ihren Akzent erkannt, und beherrschte dieses Sprache nahezu perfekt. Der Klang der Wörter löste in Milva Bilder ihrer Heimat aus, von ihrem Dorf an dem kleinen Fluss, der vom Sternenwald hinab kam und schließlich in den Carnen mündete. Erst jetzt wurde ihr klar, wie sehr sie das alles vermisste - trotz alldem, was ihr dort widerfahren war.
"Man nennt mich Milva", erwiderte sie, und Ántonin lächelte erneut und bot ihr seinen rechten Arm dar, den Milva zögerlich ergriff. "Ein sehr schöner Name, und er passt sehr gut zu euch", sagte er. "Nun erzählt mir, wie kann ich einer schönen Maid aus dem schönen Dorwinion helfen?"
"Ich finde den Rückweg zu dem Gasthof, in dem ich übernachte nicht mehr", antwortete Milva, und spürte , wie ihr das Blut in die Wangen stieg. "Wisst ihr, wie ich von hier zum nördlichen Händlerviertel komme?"
Ántonin lachte, doch es war kein spöttisches Lachen. Anscheinend wusste der Händler, wie leicht man sich in Gortharia verirren konnte. "Meine Liebe, ihr seit mitten drin im nördlichen Händlerviertel."
"Oh." Mehr brachte Milva für den Moment nicht hinaus, und ihre Wangen mussten inzwischen geradezu glühen. "Aber... wieso kommt mir dann hier nichts bekannt vor?"
"Das Händlerviertel ist groß", erwiderte Ántonin verständnisvoll. "Welches Gasthaus sucht ihr denn?"
"Es heißt Uldor's Rast." Erleichterung durchströmte Milva, denn auch wenn sie sich verirrt hatte, war sie immerhin einigermaßen in die richtige Richtung gegangen.
"Das ist gar nicht weit weg." Ántonin setzte sich in Bewegung und Milva, die noch immer seinen Arm hielt, mit ihm. "Ich bringe euch hin."
Sie waren noch nicht weit gegangen, als der Händler fragte: "Was führt euch so weit von eurer Heimat weg in die Hauptstadt?"
"Darüber... möchte ich nicht sprechen", antwortete Milva. Sie würde sich für solche Gelegenheiten eine glaubhafte Geschichte zurechtlegen müssen, denn wenn sie immer so ausweichend antwortete, würde irgendwann jemand misstrauisch werden. "Ich bin auf der Suche nach einem Freund, wenn euch das genügt."
"Vollauf! Jeder von uns hat das Recht auf ein paar Geheimnisse." Ihr Führer schien durch ihre Zurückhaltung kein bisschen beleidigt zu sein, was Milva freute. Der Händler half ihr, obwohl er sicherlich besseres zu tun hatte. Und er hatte nichts davon, sondern tat es aus reiner Freundlichkeit, da hatte er eigentlich ein wenig Ehrlichkeit verdient die Milva ihm nicht geben konnte. "Euren Verlobten vielleicht?", fragte er nach, und Milva errötete erneut.
"Nein." Es hatte nie mehr als ein paar sehr kurze Affären in ihrem Leben gegeben, während der sie teilweise nicht einmal den Namen des Mannes gewusst hatte. Niemals eine längere Beziehung oder gar Liebe. Sie gab gerne der Herrin die Schuld dafür, doch die Wahrheit war, dass Milva auch zuvor keinen Mann in ihrem Leben gehabt hatte.
Für einen Augenblick schwiegen sie, während Ántonin sie weiter führte. Als sie an einem  einzeln stehenden Haus mit einem eisernen Zaun vorbeikamen, blieb er kurz stehen und sagte: "Das ist mein Haus, hier wohne ich wenn ich in der Stadt bin." Während sie weitergingen, erklärte der Händler: "Ich komme eigentlich aus einer kleinen Stadt in Dervesalend, doch in meinem Beruf ist ein Sitz in der Hauptstadt beinahe Pflicht. Ich bin allerdings höchstens die Hälfte des Jahres hier in Gortharia, und sonst auf Handelsreisen in all möglichen Winkel von Rhûn - auch nach Dorwinion."
"Habt ihr auch mit Zwergen gehandelt?", fragte Milva nach.
"Oh ja. Ein beträchtlicher Teil meiner - ohne prahlen zu wollen - Reichtümer stammt aus dem Handel mit dem kleinen Volk. Auch wenn man sie in ihrer Gegenwart nicht so nennen sollte." Er zwinkerte Milva zu, und fuhr fort: "Ich bin sogar einmal in ihrer Festung Khadar-zarâk gewesen - das war natürlich vor dem großen Krieg." Der Name Khadar-zarâk war Milva bekannt, es handelte sich um eine Festung in den Grauen Bergen, wo der Rotwasser entsprang. Sie selbst war nie so weit nach Norden gekommen, doch sie hatte zwergische Händler davon sprechen hören. Wenn Ántonin dort gewesen war, hatte er vermutlich die Straße am Fluss entlang nach Norden genommen, und war dabei auch nach Gardar, wie die kleine Marktstadt in der Nähe von Milvas Heimatdorf gelangt. Vielleicht war Milva ihm dort bereits begegnet, und der Gedanke ließ sie lächeln - auch wenn sie einen plötzlichen Stich von Heimweh verspürte.
"Es freut mich, dass ihr lächelt", sagte Ántonin, während er stehen blieb und auf das Schild des Gasthauses vor ihnen deutete. "Denn wir haben euer Ziel erreicht." Jetzt erkannte Milva das Haus und die Umgebung wieder. Sie ließ ihren Arm aus seinem gleiten, und sagte: "Ich danke euch für eure Hilfe. Wenn es irgendetwas gibt, dass ich tun kann..." Der Händler hob abwehrend die Hände. "Ihr schuldet mir nichts für einen reinen Freundschaftsdienst. Aber wenn ihr euch einsam fühlt, schaut bei mir vorbei und vielleicht können wir ein wenig über eure Heimat sprechen."
Bei seinen Worten hatte Milva das Gefühl, dass Ántonin geradewegs durch sie hindurchschaute, und errötete zum dritten Mal in kurzer Zeit. Der Händler gab vor, es nicht zu bemerken, ergriff ihre Hand und hauchte einen Kuss darauf. "Und auch wenn ihr wieder einmal Hilfe braucht, kommt zu mir. Ich muss euch nun leider verlassen, aber ich zähle darauf, dass wir uns wiedersehen." Er wandte sich um, war einen Herzschlag später in der Menge verschwunden und ließ Milva verwirrt und mit widerstreitenden Gefühlen zurück.
Eigentlich hatte sie vorgehabt, noch zu verschwinden bevor der Gardist hier auftauchen konnte, und auf direktem Weg in ihre Heimat zurückzukehren, doch sie hatte ein unerklärliches Bedürfnis, den Händler wiederzusehen. Wenn der Gardist kam, würde sie ihm erklären, dass sie nicht war wer auch immer er glaubte, und dann würde sie weitersehen.

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Re: In den Straßen von Gortharia
« Antwort #9 am: 14. Jan 2017, 18:01 »
Cyneric vom Königspalast...

Als Milva das Gasthaus betrat, sah sie als erstes Aivari, dessen Bart im Dämmerlicht geradezu leuchtete, an einem Tisch im Schankraum sitzen, eine Schüssel mit Eintopf vor sich. Sie durchquerte den Raum mit schnellen Schritten, wobei ihr die Tatsache zu gute kam, dass das Gasthaus um diese Tageszeit noch relativ wenig besucht war, und glitt auf den Stuhl dem Zwerg gegenüber.
"Schon wieder zurück? Habt ihr eure Spur gefunden oder habt ihr mich doch mehr vermisst, als ihr vermutet hättet?", scherzte der Zwerg, ehe er feststellte, dass Milva etwas bedrückt wirkte und er eine ernstere Mine auflegte.
"Ich habe einen Fehler gemacht", sagte Milva ohne Umschweife, und merkte selbst, wie atemlos sie klang. "Ich glaube, ich habe mich in Dinge eingemischt, die für mich zu groß sind, und brauche eure Hilfe."
"Erzählt mir, was geschehen ist, dann werde ich sehen wie ich helfen kann." Die dunklen Augen des Zwergs betrachteten Milva interessiert, und unter diesem Blick spürte Milva, wie ihre Nervosität und Angst ein wenig schwand. Ein Blick aus dem Fenster verriet ihr, dass die Dunkelheit bereits hereinbrach, und ihr vermutlich nur wenige Augenblicke bis zum Eintreffen des Gardisten blieben. Sie verfluchte sich selbst, denn hätte sie sich nicht verirrt, wäre ihr deutlich mehr Zeit geblieben.
"Dazu ist keine Zeit. Ich werde euch alles hinterher erklären, aber jetzt..." Milvas Augen wanderten immer wieder zur Tür, während Aivari ihr aufmerksam zuhörte. "Hier wird gleich ein Gardist hereinkommen und vermutlich nach mir fragen. Sagt ihm, dass ihr mich hier noch nie gesehen habt, überzeugt ihn irgendwie, dass ich noch nie hier war und..." Sie unterbrach ihren Redeschwall, als sich die Tür der Schenke öffnete, und ein kräftig gebauter Mann mit kurzen, dunklen Haaren den Raum betrat. Sein suchender Blick verriet Milva sofort um wen es sich handelte, auch wenn sie ihn ohne seine Rüstung nicht direkt wiedererkannt hatte.
"Oh Scheiße", stieß sie hervor, und spielte kurz mit dem Gedanken, sich einfach unter dem Tisch zu verstecken, als der Mann sie bereits erblickt hatte, und zielstrebig auf sie zukam.
Aivari sah aus dem Augenwinkel wie er näher kam, aß noch einen unscheinbaren Löffel Eintopf und ließ den Löffel dann in der Schüssel liegen, ehe er sich langsam und unauffällig von seinem Stuhl erhob und die Hände auf den hölzern gemaserten Tisch stemmte, jederzeit bereit das möglicherweise Notwendige zu tun. Der Blick unter seinen buschigen Brauen traf den des dunkelhaarigen Menschen.
"Sucht ihr etw...", begann der Zwerg und stockte dann plötzlich. Ein Ausdruck des Erstaunens legte sich über sein bärtiges Gesicht. Eine Augenbraue schob sich weiter zur Stirn.
"Ich kenne euch doch.", meinte er zögerlich und mit leicht fragendem Unterton, als der Mann an den Tisch herangetreten war. Als er seine Mutmaßung im überraschten Blick des Menschen bestätigt sah, fügte er etwas leiser hinzu. "Dol Guldur, nicht wahr? Ihr habt mitgeholfen den Stollen unter der Mauer auszuheben." Und mit einem zwergischen Lachen und einer ausgestreckten Hand schloss er noch an: "Die Welt ist ein kleinerer Ort als sie uns weismachen will."
Der Mensch musterte Aivari einen Augenblick und dann leuchtete Erkennen in seinen Augen auf. "Die Stollen, richtig. Ihr und euer Volk habt unermüdlich geschuftet, selbst dann noch, als den kräftigsten Männern der Mark die Luft ausging. Das war wirklich ein beeindruckender Anblick!" sagte er im kameradschaftlichen Ton und gab einer der Bedienungen ein Zeichen, Getränke an den Tisch der drei ungleichen Gefährten zu bringen. "Ich bin Cyneric, Cynegars Sohn," stellte der Eorling sich leise vor und warf einen vorsichtigen Blick in den Raum, als würde er befürchten, belauscht zu werden. "Mein Kommandant Erkenbrand entsandte mich hierher, um herauszufinden, ob das Reich von Gortharia eine Bedrohung für die Riddermark darstellt. Und was bringt einen wackeren Zwerg und eine aufgeweckte junge Dame wie euch hieher, wenn ich fragen darf?" fuhr er fort und warf Milva einen forschenden Blick zu.
"Ich, äh..." Milva seufzte resigniert, und erklärte: "Ich heiße Milva und komme aus dem Norden Dorwinions. Meinen Auftrag solltet ihr bereits kennen, Cyneric, denn diesbezüglich habe ich die Wahrheit gesagt: Ich bin losgeschickt worden, um etwas über das Schicksal des Königs von Thal in Erfahrung zu bringen."
Sie betrachtete den Mann aus dem Westen neugierig. Er hatte ein offenes und ehrliches Gesicht, und eine gewisse Ähnlichkeit mit den Menschen von Thal und Seestadt - Milva fragte sich, ob eine Verbindung zwischen diesem Reich und Cynerics Heimat bestand. Sie bemerkte, dass auch Aivari aufmerksam lauschte, und ihr wurde bewusst, dass sie dem Zwerg bislang nichts davon verraten hatte. Wenn er wie Cyneric in Dol Guldur gewesen war, hätte er vielleicht auch gewusst was mit König Bard geschehen war, und wäre Milva ihm gegenüber ehrlicher gewesen, hätte sie diese ganze unangenehme Situation vermeiden können. Milva stöhnte innerlich über ihre eigene Dummheit und spürte, wie sich ihre Wangen rot färbten. "Ich bin außerdem nicht die, für die ich mich vorhin ausgegeben habe, und habe nichts mit denen zu tun, denen ihr dient - Entschuldigung."
"Es hätte mich auch stark gewundert, Mitglieder in meiner Organisation zu haben, von denen ich nichts weiß", erklang hinter Milva eine leise weibliche Stimme, die ihr entfernt bekannt vorkam. Sie wandte den Kopf, und sah sich einer in die Rüstung der Stadtwache gehüllten Frau gegenüber, die sie sofort erkannte. "Kommandantin Ryltha?" In Milvas Kopf schwirrten verwirrte Gedanken umher. Konnte die Frau, die sie und Aivari vorhin vor der Stadtwache gerettet hatte, tatsächlich etwas mit Cyneric zu tun haben? "Was... was tut ihr hier?"
"Sicherstellen, dass hier niemand etwas Dummes tut," gab Ryltha mit einem schiefen Lächeln zurück.

Die Ostlingfrau warf Cyneric einen tadelnden Blick zu. "Du darfst nicht einfach jedem hübschen Gesicht trauen, dass dir über den Weg läuft," sagte sie in einem ermahnenden Ton. "Du hast Glück, dass die kleine Milva keinen Ärger bedeutet," fuhr die Kommandantin fort und wandte sich wieder an Milva. "Stimmt doch, oder?" fragte sie und Milva blieb nichts anderes übrig, als bestätigend zu nicken. "Gut so," sagte Ryltha mit einem belustigten Unterton. "Sich gegen mich und meine Freunde zu stellen ist nämlich nie eine gute Idee."
Milva bezweifelte keine Sekunde, dass Ryltha mit meine Freunde keineswegs die Stadtwache meinte, sonder etwas anderes- gefährlicheres. "Ich wollte mich in nichts einmischen, das mich nichts angeht", sagte sie zaghaft, doch die Kommandantin schüttelte den Kopf. "Was du tun wolltest spielt überhaupt keine Rolle, nur was du getan und erfahren hast."
"Aber... ich habe doch gar nichts erfahren!", versuchte Milva sich zu wehren. "Nichts wichtiges bislang, das ist richtig", erwiderte Ryltha. "Aber deine Handlungen sprechen für sich, denn wenn du kein Interesse an uns hättest, würde ich nicht hier stehen - und Cyneric", sie warf dem Mann einen weiteren strengen Blick zu, "... erst recht nicht."
Cyneric rutschte offensichtlich unbehaglich auf seinem Stuhl hin und her, während Milva zögerlich antwortete: "Nun... das mag sein." Sie wusste, sie könnte alles abstreiten, die Stadt so bald wie möglich verlassen und nach Hause gehen. Ihre Aufgabe war erfüllt, und hier gab es nichts mehr für sie zu tun, es sei denn... Was gab es in ihrer Heimat schon für sie außer Armut, Tod und den nicht endenden Kampf gegen übermächtige Gegner? Doch hier könnte sie vielleicht etwas bewirken, um die Lage in ganz Rhûn zu verändern - und wenn sie sich selbst gegenüber ehrlich war, war sie auch neugierig. "Ich wüsste gerne mehr über euch und eure... Freunde", gab sie nach kurzem Schweigen zu. "Wer ihr seid. Was ihr vorhabt."
"Das lässt sich einrichten", antwortete Ryltha, und blickte ihr fest in die Augen. "Aber du musst wissen, dass du damit einen Punkt erreicht, ab dem es so schnell kein Zurück gibt."
Milva nickte langsam, und Ryltha wandte sich Aivari zu. "Und ihr, Herr Zwerg? Seid ihr ebenfalls interessiert?"

Aivari schaffte es nicht zumindest einen letzten Rest Verwirrtheit von seinem Gesicht zu bannen. Nichtsahnend war er nun anscheinend ebenfalls in dieses Schlamassel, rund um irgendeinen Geheimbund und Intrigen geraten. Und was in aller Welt hatte das Mädchen aus dem Osten nun mit dem König von Thal zu tun, den Aivari selbst noch bei Dol Guldur gesehen hatte? Warum hatten die Frauen im Osten bloß alle so viel zu verbergen?
Lediglich Cynerics Begründung für seinen Aufenthalt in Gortharia erschien ihm plausibel.
Ehe die Blicke der anderen die unangenehme Stille noch befremdlicher machen konnten, erwiderte er schließlich an Cyneric gewendet, der ihn gefragt hatte, was ihn nach Gortharia trieb:
"Nun, mich hat es eher unwillkürlich so weit in den Osten verschlagen. Ich denke eine Weile kann ich euch unter die Arme greifen. Inari, die mich begleitet hat, sagte sie wird mich aufsuchen, wenn sie die Zeit für reif hält. Bis dahin kann ich mich - innerhalb Gortharias - frei bewegen."
Aivari fuhr sich kurz durch den Bart und richtete seine Augen dann auf Milva. „Ihr scheint Ärger gerdazu anzuziehen und ich kann euch jetzt nicht guten Gewissens irgendwelchen Fremden überlassen."
Schließlich hatte sie jetzt schon zum zweiten Mal seine Hilfe aufgesucht, wer konnte da ein drittes Mal ausschließen?
"Auch wenn ich einem Mann aus der Riddermark durchaus den nötigen Mut und die Leibeskraft zuschreibe, fürchte ich, kann er einen Zwerg doch nicht ganz ersetzen."
Er schob Cyneric ein schalkhaftes Schmunzeln zu, ehe er sich der fremden Frau zuwandte.
"Ich bin also ebenfalls interessiert mehr über eure Freunde zu erfahren."
Ryltha musste kurz auflachen, was Aivari zunächst missmutig aufnahm und Runzeln auf seine Stirn trieb.
"Mir scheint ihr habt unwissend bereits Verbindungen in unsere Reihen. Inari ist Teil dieser Freunde, wie ihr sie nennt. Ich hoffe damit nicht eure Illusionen über sie zu zerstören."
Aivaris Augen weiteten sich einen Augenblick und er gab etwas überrumpelt zurück:
"Das erklärt ihr konspiratives Auftreten. Muss sie sich von euch abgeschaut haben." Er konnte einen etwas bärbeißigen Unterton nicht verbergen. Inari hatte ihm also anscheinend noch immer nicht alles über ihre Vergangenheit offenbart.
"Aber dazu mehr zu einem geeigneteren Zeitpunkt und an einem besseren Ort", entgegnete Ryltha und wandte sich wieder allen zu.
"Cyneric wird mich jetzt zurückbegleiten", meinte sie, und warf dem Mann einen strengen Blick zu." Und was euch beide angeht... ich werde euch morgen zur Mittagsstunde vor dem Gasthaus erwarten, wo wir uns das erste Mal begegnet sind. Bis dahin habt ihr Bedenkzeit, und wenn ihr nicht erscheint, gehe ich davon aus, dass er es euch anders überlegt habt."

Ryltha und Cyneric zum Hafen
« Letzte Änderung: 16. Jan 2017, 14:52 von Fine »

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Re: In den Straßen von Gortharia
« Antwort #10 am: 17. Jan 2017, 04:18 »
Dragan und Anastia aus ihrem Versteck

Dragan verlangsamte seine Schritte nicht und stürmte durch die Straßen von Gortharia, wärend Anastia stellenweise laufen musste. "Wenn du das als unauffällig bezeichnest, bist du eindeutig betrunken", keuchte sie und zog ihn an der Schulter, "Jetzt gehen wir erstmal schön langsam und überlegen, was wir machen werden."
Er blickte sie gehetzt an und sah sich um, schließlich beruhigte er sich und wollte gerade weitergehen, als er mit einem Kerl zusammenstieß. "Pass auf wo du hintrampelst.", blaffte der Hühne und Dragan machte eine ausweichende Bewegung.
"Was sollte das denn schon wieder?", zischte Anastia und zog ihn in eine dunkle Ecke.
"Was denn? Ich habe doch was ich wollte," er zeigte ihr ein Laib Brot und biss hinein, "Ischt gud", sagte er kauend und stopfte sich den Rest in den Mund.
"Besonders wenn man nichts bezahlen muss hmm?", fragte Anastia und schüttelte nur den Kopf.
"Hör auf zu nörgeln und komm her." Dragan sah sich kurz um und sprang schließlich auf eine kleine Mauer und zog sich dann an einem Holzverschlag hoch. Nach einer kleinen Kletterstunde (er musste Anastia dreimal hochziehen) standen sie schließlich auf einem der vielen Dächer. Der Ausblick half ihm nicht sonderlich, doch Anastia deutete irgendwo auf einen Punkt in der Stadt.
"Dort ist irgendwo ein Gasthaus, von dem ich weiß, dass dort hin und wieder einige unserer Informanten ein und ausgehen. Außerdem treffen sich ein paar Söldner dort gerne, weswegen man einigermaßen sicher ist."
Der Fürstensohn drehte sich ungehalten zu ihr um, eine steile Falte erschien auf seiner Stirn und Anastia rüstete sich für ein weiteren Wutanfall.
"Gut, du kennst dich hier aus. Geh vor", sagte er überraschend und half ihr von dem Dach herabzuklettern. Bei dem letzten Vorsprung öffnete er die Arme, sodass sie an ihm herunterglitt. Mit einem Grinsen verbiss er sich einen anzüglichen Kommentar und lief hinter ihr her. Nach einigen Straßen voller Menschen machten sie in einer etwas abgelegeneren Seitegasse eine Pause.
"Was ist denn?", fragte er ungehalten und scharrte ungedulig mit den Füßen.
"Ich glaube, wir waren länger als nur eine Nacht dort unten", sagte Anastia nachdenklich, während sich auf Dragans Gesicht ein anzügliches Grinsen legte, "Ist das dein Ernst?", fragte sie mit roten Kopf und schnaubte.
"Wenn es darum geht, scherze ich nie.", antwortete er und prüfte den Sitz seiner Waffen in seiner Kleidung, "Genug davon, was schätzt du, wie lange haben wir dort verbracht?"
"Schwer zu sagen, vielleicht einige Tage und Nächte? Dort untengab es keinen Luftzugang und wir hatten Glück, dass wir nicht erstickt sind." Ihre Stimme klang gleichgültig, was Dragan mit einem skeptischen Stirnrunzeln zur Kenntniss nahm. Sie ergriff seine Hand und zog ihn wieder zurück auf die Hauptstraße. "Was soll das werden? Eine Verführung?", fragte er und gab langsam nach.
"Nein, nur als Liebespaar fallen wir weniger auf.", antwortete sie mit einem Seufzen und zog heftiger an seinem Arm, "Nun beweg dich, sonst verpassen wir den Kontakt."
"Aha, du weiß also doch mehr als du sagst", stellte er mit gespielter Empörung fest und lief mit ihr gemeinsam auf der Hauptstraße, "Dabei dachte ich, dass ich der Einzige bin der Geheimnisse hat."
"Kannst du mal aufhören ständig zu brabbeln?", fragte Anastia etwas entnervt, was Dragan mit einem belustigten Prusten beantwortete. Schweigend und schmunzelnd lief er mit ihr weiter durch die Straßen, bis sie an einer Kreuzung stehen blieb. Die Sonne senkte sich bereits tief dem Horizont entgegen und Dragan ahnte, dass Anastia einen großen Umweg genommen hatte. Sie blickte sich rasch um und zog ihn in eine enge Gasse, die hinter den Gebäuden an der Hauptstraße entlangführte. Es roch abstoßend und alles war mit Gerümpel vollgestellt. Große Leinentücher, die zwischen die Gebäude gespannt waren, spendeten in der Mittagshitze etwas Schutz vor der Sonne. An einer unscheinbaren Hintertür kramte Anastia einen Schlüssel hervor und schloss auf. Etwas grob stieß sie ihn in einen Lagerraum und stolperte unbeholfen hinterher. Er fing sie gerade noch rechtzeitig auf, wobei sie sich sehr nahe kamen. Dragan räusperte sich und schob sie ein wenig auf Abstand. "Wo sind wir?", fragte er interessiert und sah sich in der Abstelltkammer um, die von einer einzelnen Funzel erleuchtet wurde.
"Das ist mein Reich.", antwortete sie grinsend und schmiss den Mantel weg, "Willkommen in der Taverne "Zum einbeinigen Zweibein"."
Dragan konnte nicht anders und lachte lauthals los und amüsierte sich köstlich über den Namen.

Dragan und Anastia zur Taverne "Zum einbeinigen Zweibein"


Verlinkung ergänzt
« Letzte Änderung: 18. Jan 2017, 08:54 von Fine »

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Re: In den Straßen von Gortharia
« Antwort #11 am: 5. Feb 2017, 15:40 »
Milva aus Tianas Taverne

"Wo bleibt sie nur?", murmelte Milva ungeduldig vor sich hin. Die Sonne stand bereits hoch am Himmel, und sie war froh über den Schatten, den das Haus hinter ihr warf. Neben ihr lehnte Aivari deutlich gelassener an der Hauswand, und rauchte eine kleine Pfeife.
"Sie wird schon kommen", erwiderte der Zwerg. "Und wenn nicht, gehen wir eben wieder."
Milva musste lächeln. Obwohl sie Aivari nicht lange kannte, übte die Gegenwart des Zwerges sich beruhigend auf sie aus. Sie rieb sich über die Stirn um die leichten Kopfschmerzen zu vertreiben, die sie bereits den ganzen Morgen lang plagten - sie hätte am Abend zuvor weniger trinken sollen.
"Ihr habt recht, ich sollte mir weniger Gedanken machen", meinte sie. Doch es fiel ihr schwer, denn die ganze Situation, die Stadt, die Geheimnisse, ihr eigentlich erfüllter Auftrag, ließen die Gedanken in ihrem Kopf hin und her schwirren wie einen Schwarm Mücken. Einerseits sehnte Milva sich nach der Ruhe und Einsamkeit der Wildnis am Carnen, doch andererseits... war Gortharia irgendwie aufregend, und in ihr regte sich eine große Neugierde, die sie so nicht an sich gekannt hatte.
Nach einem Moment einvernehmlichen Schweigens sagte sie: "Ich bin froh, dass ich euch getroffen habe, Aivari." Der Zwerg hob eine buschige Augenbraue, doch als sie nicht weiter sprach entgegnete er: "Nun, das bin ich ebenfalls - ohne euch hätten uns diese Kerle auf dem Weg hierher deutlich größere Schwierigkeiten bereitet."
"Und ich wäre ohne eure Hilfe wahrscheinlich rettungslos verloren in dieser Stadt", sagte Milva ein wenig zaghaft. "Also... wäre es in Ordnung, euch einen Freund zu nennen?"

"In Anbetracht der Tatsache, dass wir uns bereits gegenseitig aus dem Schlamassel gezogen haben, spricht für mich nichts dagegen.“, gab Aivari kühl zurück und nahm noch einen kräftigen Zug aus seiner Pfeife. Das Kraut, das man hierzulande rauchte, war deftig und verströmte einen eher würzig-herzhaften Geruch. Aivari hatte die Zeit genutzt eine neue Pfeife und Kraut zu erwerben, nachdem ihm die alte Pfeife östlich des Nebelgebirges von den Waldläufern entwendet worden war.
Es war ihm nie leicht gefallen „Freundschaften“ zu schließen, vor allem unter seinesgleichen, doch Milva hatte sich diese Bezeichnung einigermaßen verdient, wie er befand.

"Ich will jetzt wirklich wissen, was es mit diesen Geheimbünden und so auf sich hat", gab Milva plötzlich zu. Es war jedoch nicht Aivari, der antwortete, sondern Ryltha, die mit einem Mal neben ihnen an der Hauswand lehnte. "Dann hast du jetzt die Gelegenheit, es zu erfahren." Milva zuckte zusammen, denn trotz ihrer jahrelangen Erfahrung mit der Jagd und dem Verstecken vor fürstlichen Soldaten hatte sie die Kommandantin nicht kommen hören. Auch Aivari wirkte milde überrascht, zeigte es jedoch weniger deutlich.
"Wenn ihr an unserer Seite kämpfen wollt, müsst ihr immer Augen und Ohren offen halten", fuhr Ryltha mit leichtem Tadel an beide gerichtet fort. "Da ihr beide hier seid, scheint ihr es euch nicht anders überlegt zu haben. Ich gebe euch jetzt eine letzte Gelegenheit zu gehen, und wenn nicht... habt ihr euch entschieden."
Milva wechselte einen raschen Blick mit Aivari, und beide nickten. Ryltha wirkte zufrieden. "Also schön. Folgt mir, denn dies ist nicht der richtige Ort um solche Sachen wirklich zu besprechen."
Sie führte Milva und Aivari schnellen Schrittes durch die Straßen von Gortharia, die immer schmaler und verwinkelter waren, je weiter sie kamen. Schließlich erreichten sie eine unscheinbare Tür. Ryltha zog einen kleinen Schlüssel aus der Tasche, öffnete damit die Tür und nacheinander traten sie in einen kleinen Raum, in dem es nichts gab außer einigen in Halterungen an der Wand hängenden Fackeln und einer geradewegs nach unten führenden Treppe. Ryltha zog eine der Fackeln aus ihrer Halterung, entzündete sie und begann die Treppe hinunter zu steigen, wobei sie Milva und Aivari bedeutete, ihr zu folgen. Unwillkürlich lief Milva ein Schauer über den Rücken, denn Höhlen, Tunnel und Verließe hatte sie noch nie gemocht. Sie hatte immer den Eindruck, was auch immer über ihr war, würde jeden Moment herunterkommen und sie erdrücken, und sofort vermisste sie den freien Himmel.
Am unteren Ende der Treppe blieb Ryltha stehen und sagte: "Willkommen im Untergrund von Gortharia." Und an Aivari gewandt fügte sie hinzu: "Ich schätze ein Zwerg dürfte sich hier besonders wohlfühlen."
“Ihr habt keinen gewöhnlichen Zwerg vor euch, Herrin.“, erwiderte Aivari etwas verdrießlich.
“Lasst mich Euch einfach sagen, dass ich es bevorzugen würde schnellstmöglich wieder den offenen Himmel über dem Kopf zu haben. Ich lade euch jedoch herzlich auf eine Reise nach Khazad-Dûm ein, falls ihr davon gehört haben solltet. Danach würde ich euch gerne fragen, ob ihr noch Wohlgefallen an Höhlen und tiefen Schächten findet.“
Der Zwerg musste etwas lachen, als er einen Hauch von Entzücken, aber auch einen Funken Erstaunen über Rylthas fackelbeschienenes Gesicht huschen sah.
Was erwartete sie denn von einem Zwerg, der sich hunderte Meilen weit vom nächsten Zwergengebirge ausgerechnet im tiefsten Rhûn aufhielt? Etwa normales Verhalten?
“Mein erster Eindruck hat mich natürlich nicht getäuscht.“, gab sie dann jedoch etwas prahlend zurück. “Ihr seid ein sehr eigener Charakter. Das gefällt mir.“

Mit einer Geste bedeutete Ryltha ihnen erneut, ihr zu folgen. Ihr Weg führte sie tief durch die Katakomben, wobei Ryltha sich ziemlich gut auszukennen schien und den merkwürdigen Zeichen, die offenbar eine Art System aus Wegweisern darstellte, kaum eine Beachtung schenkte. Sie kamen durch Gänge, die direkt in den Fels geschlagen zu sein schienen, durch solche, die mit Holz ausgekleidet und gestützt waren, mal bestanden die Wände und Decken aus Erde und mal aus gemauerten Steinen.
"Das ist ja wie eine zweite Stadt", sagte Milva leise und unbehaglich. Sie fragte sich insgeheim, ob sie diese Tunnel jemals wieder verlassen würde, oder ob es ihr bestimmt war, hier unten zu sterben - in der Finsternis. "Zwerge leben doch ebenfalls in unterirdischen Hallen, sieht es in eurer Heimat so ähnlich aus?", fragte sie an Aivari gewandt.
"Nun, das ist als ob man das grob behauene, aus der Form geratene Metallstück eines Dorfschmiedes aus Bree mit dem meisterlich formvollendeten Kunstwerk eines alten Zwergenfabers aus den Blauen Bergen vergleicht, werte Milva.“, gab er in gespielter Ernsthaftigkeit zurück, obwohl er sich in seinem Zwergenstolz einer gewissen Ehrverletzung durch diesen Vergleich tatsächlich nicht entziehen konnte.
"Einige Abschnitte dieser Gänge weisen ohne Zweifel sehr alte Kunstfertigkeit auf, aber sie sind doch größtenteils sehr verfallen und die Bemühungen sie zu erhalten scheinen mir recht halbherzig. Schickt ein halbes Dutzend Zwerge hier hinab und ihr müsstet sicher nicht fürchten, dass euch jeden Augenblick die Decke auf den Kopf fällt. Und das hört ihr von einem, der sich vor nicht allzu vielen Monden noch in Moria aufgehalten hat. Zwergenbauten halten sich Jahrtausende, selbst wenn sie von Orks und Geschöpfen besudelt wurden, die man sich nicht ausmalen mag.“
Aivari hatte zwar bei sich selbst nie die selbe Begeisterung für Minen, Stollen, Gänge und Hallen entfachen können wie die meisten anderen aus seinem Volke, doch ein gewisses Grundwissen entbehrte sich niemandem aus den sieben Zwergenvölkern.

Schließlich erreichten sie eine Wendeltreppe, die noch tiefer in den Untergrund zu führen schien, doch Ryltha betrat die Stufen nicht sondern trat durch eine kaum sichtbare Öffnung zur Linken der Treppe. Für einen Augenblick verspürte Milva den merkwürdigen Drang, die Treppe hinunter zu gehen, zu erkunden, was dort unten war. Doch dann schüttelte sie den Kopf, vertrieb die Gedanken und folgte Ryltha und Aivari, die bereits ein paar Schritte voraus waren.
Dummes Mädchen, was hast du dir dabei gedacht.
Am Ende des schmalen Ganges erreichten sie eine weitere hölzerne Tür, hinter der eine größere, mit Holz ausgekleidete Kammer lag. Der Raum wurde von mehreren Fackeln erhellt, und es gab einen langgezogenen Tisch mit mehreren Stühlen. Ryltha steckte ihre Fackel in eine leere Halterung, ließ sich am Kopfende des Tisches nieder, und sagte: "Bitte, setzt euch. Es wird Zeit, dass wir ein wenig über euch sprechen."
Sobald Milva der Aufforderung Folge geleistet hatte, fragte Ryltha: "Also, was führt eine einfache Jägerin aus Dorwinion nach Gortharia und bringt sie dazu, sich einem Geheimbund anzuschließen?"
"Ich... hatte einen Auftrag", begann Milva langsam und ein wenig unsicher. Die ganze Situation erinnerte sie unangenehm an die Verhöre, die die Soldaten des Fürsten in ihrer Heimat geführt hatten - und wer dort die falschen Antworten gegeben hatte, hatte die Kaserne selten lebendig verlassen. Und wenn, dann meistens nicht mehr im Besitz aller Gliedmaßen. "Eigentlich kann ich euch den Auftrag nicht verraten, aber wenn ihr mit Cyneric gesprochen habt, wisst ihr vermutlich eh Bescheid", sagte sie, und Ryltha lächelte ein wenig triumphierend. "Allerdings", bestätigte sie Milvas Vermutung. "Und wie ich sehe, kannst du durchaus Geheimnisse bewahren und deinen Verstand ein wenig benutzen - gut. Und jetzt sag mir, was dich dazu bringt, dich uns anschließen zu wollen." Ihre Stimme war freundlich, doch ihr Blick schien Milva zu durchbohren, hart und forschend. Zum wiederholten Mal fragte Milva sich, was sie hier eigentlich tat, während sie antwortete: "Ich mag nicht besonders gebildet sein - oder klug, wer weiß - aber ich kann sehen und beobachten. Und ich sehe, wie die Menschen in meiner Heimat behandelt werden. Sie sind arm, hungern, und wenn sie auch nur ein Kaninchen fangen werden sie mitgenommen und verprügelt - wenn sie Glück haben."
Ich hab dich sehr lieb, meine Kleine hatte ihr Vater gesagt, und dann gehustet. Hinterher war sein Ärmel rot vom Blut gewesen.
"Und andere - Zwerge, Elben - sind früher Freunde gewesen, doch jetzt plötzlich nicht mehr. Manchmal werden sie sogar gejagt, wenn sie gesehen werden. Und die, die sie beschützen..." Sie hob den Kopf, sodass die runde Narbe um ihren Hals sichtbar wurde. "... hängt man an den nächstbesten Baum. Und ich seh', was der Grund dafür ist. Die Fürsten, der König, und der Krieg. Ihr wollt die Fürsten und dann den König beseitigen. und wenn die beseitigt sind, ist vielleicht auch der Krieg vorüber." Sie verstummte und blickte Ryltha herausfordernd an, doch die Kommandantin erwiderte nichts und lächelte nur.
Dann wandte sie sich an Aivari: "Nun seid ihr an der Reihe - was führt euch hierher und, viel wichtiger, was führt euch zu uns?"

"Ich fürchte da muss ich mich wiederholen.“, erwiderte Aivari und spielte auf ihr kurzes Gespräch im Gasthaus an. „Frau Inari führte mich hier her, und da ihr mir bereits mitgeteilt habt, dass sie Teil eurer Rekrutierten ist, wisst ihr vielleicht besser als ich, warum ich hier bin. Was meine Motivation angeht euch zu helfen... ich habe einen guten Teil meines Lebens damit verbracht mich mit feindseligen Menschen aus Rhûn zu bekriegen und da schien es mir wie eine spöttische Wendung des Schicksals, das ich nun auf diese Weise dem Unrecht entgegenwirken kann, dass den friedvollen Menschen in diesem Land zufällt. Doch mein wesentlicher Ansporn gilt Frau Inari, das solltet ihr wissen. Ich verdanke ihr mein Leben und noch weit mehr, in vielerlei Hinsicht."
Aivari hielt sich bewusst etwas bedeckt, schließlich war Ryltha auch nicht gerade dafür bekannt mit der Tür ins Haus zu fallen. Und vermutlich hatte Inari ihr bereits einiges mehr offenbart. Er hoffte sie sehr bald wiederzusehen.
Ryltha lächelte zur Antwort. "Ihr wirkt weniger leidenschaftlich als die gute Milva hier, aber ihr sagt mir die Wahrheit und redet mir nicht nach dem Mund. Außerdem verstrickt ihr euch nicht in Widersprüchen, was ebenfalls für euch spricht. Und nun weiß ich, woran ich bei euch bin, das schätze ich." Sie klatschte in die Hände, und ein Mann in einfacher Kleidung betrat den Raum.
"Bringt Aivari zu seiner Gefährtin Inari. Und für den Moment..." Sie wandte sich wieder Milva und Aivari zu. "Willkommen bei den Schattenläufern."

Milva und Ryltha zum Königspalast
« Letzte Änderung: 14. Feb 2017, 17:49 von Fine »

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Curanthor

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Der Vogel in der Seitenstraße
« Antwort #12 am: 5. Feb 2017, 22:32 »
Dragan von der Taverne "Zum einbeinigen Zweibein" + Tiana und Kenshin

Der nächste Morgen war recht unspektakulär gewesen, denn Dragan hatte bis in den Nachmittag geschlafen. Im Schankraum der Taverne hattte er Kenshin abgeholt, der erneut mit einem Becher Tee vor der Nase auf ihn wartete. Beim Verlassen der Taverne schloss sich Tiana ihnen an, die Dragan zuzwinkerte. Sie hatte ihre Kleidung vom Vortag an, sowie einen Umhang, der sie unkenntlich machte. Als sie vor der Taverne standen, fragte sie: "Und was habt ihr jetzt vor?" Dabei blickte sie sich suchend um.
"Das müsstest du mir sagen, wo geht es zu den Verließen?", antwortete Dragan und versicherte sich, dass er seine Waffen dabei hatte.
"Ho, langsam! Erstmal müssen wir ein paar Bekannte treffen, die nicht gerne neue Leute kennenlernen" Tiana blickte sich rasch um und schlug den Weg in eine der vielen Nebengassen ein. Kenshin wartete einen Moment und folgte mit einem größeren Abstand, da seine Gestalt zu viele Blicke auf sich zog. Dragan war erleichtert, dass er ihm nicht alles ins kleinste Detail befehlen musste. Vereinzelt waren Bewohner in den Gassen, die entweder Kisten stapelten oder die großen Leinentücher zwischen die Häuser spannten. Sie nahmen kaum Notiz von ihnen. Tiana schien sich bestens auszukennen, denn sie führte sie zielsicher durch die Gassen. Nach unzähligen Biegungen und einigen Abkürzungen stellten sie fest, dass Kenshin nicht mehr hinter ihnen lief. Dragan fragte, wo er abgeblieben sei, doch Tiana schüttele nur den Kopf und zuckte mit den Schultern.
"Toll, da hat man schon einen guten Krieger und dann verschwindet er einfach," Er trat gegen einer der Holzkisten, die sich ganz und gar nicht leer anhörte. "Was zum..."
Im nächsten Augenblick warf sich Tiana mit voller Wucht gegen ihn. Über ihn schlug ein Dolch in die Wand und blieb zitternd stecken.
"Lauf", rief seine Retterin und zog ihn sofort auf die Beine. Gemeinsam rannte sie durch die engen Gassen, sprangen über Kisten und Bretter hinweg, wichen anderen Leuten aus. Verzeinteltschlugen Dolche hinter ihnen ein oder flogen über ihre Köpfe hinweg. Keuchend rannte Dragan über eine belebte Hauptstraße und blickte rasch zurück. Die in Schwarz und Weiß gekleideten Gestalten sprangen von Dach zu Dach, einige sogar über die Hauptstraße hinweg. Er fluchte und wich einer Kiste aus, über die er fast gestolperte wäre. Das Hindernis wurde aber einem seiner Verfolger zum Verhängnis, der laut polternd darüber flog und in einem Stapel Obst landete. Dragan lachte und bog mit Tiana in einer Seitentraße ein, keuchend wurde sie etwas langsamer. Vor ihnen war es ruhig und wenig Leute auf der Straße, trotzdem liefen sie weiter. Dragans Beine begannen etwas zu ziehen, doch er biss die Zähne zusammen. "Was sind das für Kerle?", stieß er gepresster hervor und schlug Haken, als hinter ihnen ein Dolch auf das Pflaster klirrte.
"Die von Letztens", antwortete Tiana hastig. Ihre Augen kniffen sich zusammen, woraufhin sie einen Satz in die Luft machte und sich dabei drehte. Ein metallenes Blitzen verließ ihre Ärmel. Polternd fiel einer der Verfolger vom Dach und schlug auf das Pflaster auf.  Dragan wollte schon lachend eine Schmähung rufen, doch blieb ihm die Wörter im Halse stecken. Die Nebenstraße, die sich vor ihnen in zwei Gassen aufteilte war von drei vermummten Gestalten versperrt. Die in der Mitte trug einen Krummsäbel. Ihre Verfolger stoppten ihre Wurfangriffe und kletterten von den Häusern auf die Straße.
"Euer Weg endet hier, Anastia", sagte der Kerl mit dem Krummsäbel, denn anhand der Stimme bemerkte Dragan, dass es ein Mann war.
Die Gestalt, die rechts von dem Mann stand zog einen Dolch und deutete auf Dragan.
"Und wer ist das? Ein Neuer Eures Zirkels?", fragte der Mann mit dem Krummsäbel, der gerade seine Schultern durchrollte.
Dragan betastete im Inneren seiner Handschuhe die Wurfdarts, die er dort versteckt hatte. Aus den Augenwinkel sah er, dass sie von acht Gestalten verfolgt wurden. Alle in schwarz-weiße Roben gehüllt, einen dunkelroten Turban und mit Silber bestickten Halstüchern, die sie bis zu der Nase hochgezogen hatten. Das sind also die Meuchler des Königs, dachte sich Dragan und ließ beiläufig seine Hand in seinem Oberteil verschwinden.
Tiana schwieg eine ganze Weile lang, während die Attentäter sie aufmerksam beobachteten, dabei bemerkte sie nicht, dass auf den Dächern sich einige Schatten erhoben hatten. Tiana grinste und machte einen raschen Schritt zur Seite, während sie Dragan mitzog. Gleichzeitg sprangen sechs Gestalten in schwarzen Umhängen von den Dächern und stachen auf die Attentäter des Königs ein. Während Dragan zur Seite gezogen wurde, spürte er einen Schmerz am rechten Arm. Ächzend rollte er sich ab und zog dabei einen seiner Darts aus dem Handschuh. Ein heftiger Kampf entbrannte zwischen den jeweils verhüllten Gestalten. Waffengeklirr hallte durch die Straße und man sah deutlich, dass die Attentäter des Königs deutlich besser waren. Zwei der Verbündeten lagen bereits mit aufgeschnittener Kehle am Boden. Gleichzeitig schritten die drei Kerle auf sie zu, der Mann mit dem Krummschwert voran. Dragan holte kurz Luft und warf seinen Dart, einer der beiden Begleiter des Mannes stürmte vor und warf sich in die Wurfbahn. Das Geschoss bohrte sich durch die Kleidung und blieb im Brustkorb stecken. "Arsch", fluchte der Fürstensohn und tastete nach seinem Zirrat."
"Euer Begleiter scheint mir nicht gerade schlau zu sein", provizierte der Mann mit dem Krummschwert und holte aus, doch Tiana trat ihm vors Schienbein und machte einen Schritt zur Seite. Mit einem Dolch in der Hand lieferte sie sich ein erbittertes Duell, das ihr Geger durch sein langes Schwert dominierte. Die zwei Begleiter des Anführers stürmten nun auf Dragan zu und zogen jeweils zwei Dolche.
"Kommt her, ihr feigen Hunde!", rief er und zog seinen Zirrat. Der Hammer in der Rechten und den Dolch in der Linken, fing er beide Schläge ab und machte einen raschen Schritt zur Seite, und wich einem folgenden Hieb aus.
"Weicht nicht zurück, feiger Kerl", zischte eine der Vermummten und Dragan erkannte, dass es eine Frau war. Ihr Kampfgefährte dagegen schwieg und griff sich an die Brust. Dragan trat mit aller Kraft der Frau zwischen die Beine und ließ den Hammer auf ihren Hinterkopf fahren, als sie sich schmerzhaft nach vorn beugte. Betäubt fiel sie zu Boden. Er wandte sich zu den Kerl der zuvor seinen Dart abgefangen hatte. "Was... war", stieß der Mann hervor, der sich nun windend am Boden befand, die Hand stets an der Brust. Dragan schenkte ihm keine weitere Aufmerksamkeit, da er wusste, dass der Kerl keine zwei Herzschläge mehr überleben würde. Rasch blickte er sich um, die Verbündeten Assassinen waren nur noch zu viert, gegen sechs der erfahrenen Attentäter. Letztere waren gnadenlos und verziehen keine Fehler in der Deckung. Es klirrte und Tiana fluchte. Dragan wandte den Kopf und ihr Dolch schlitterte über den Boden. Der Anführer der Attentäter bedrohte sie mit dem Schwert am Hals. "Euch nehme ich mit als Trophäe, genau wie den Rest eurer jämmerlichen Bande, die bei uns schon einsitzt." Dragan wollte losstürmen und ihr helfen, doch einer der verbündeten Assassinen kam ihm zuvor. Obwohl ihre Kleidung in Fetzen hing, sprang die verhüllte Gestalt nach vorn und fing das Krummschwert ab. Der Anführer grunzte unzufrieden und schlug der neuen Gegnerin ins Gesicht und riss ihr dabei das Halstuch herunter. Als diese zurücktaumelte, beschrieb das Schwert einen blitzenden Bogen. Schreiend ging die Frau zu Boden und hielt sich den Bauch, aus dem Blut quoll. Dragan wandte den Blick ab um nicht noch mehr zu sehen. Tiana nutzte das Zeitfenster und rammte den Anführer mit der Schulter zur Seite, da er über ihren Dolch stand. Der Mann reagierte unheimlich schnell und ließ seine Faust an ihre Schläfe krachen. Lautlos brach Tiana zusammen, einer der Attentäter kam auf Dragan zugestürmt, der nun zwei Darts in den Händen hielt. Wütend schleuderte er den Ersten, der dem kleinen Geschoss auswich, dabei aber im Blut der Frau ausrutschte, die sein Anführer zuvor getötet hatte. Dragan ergriff die Chance und warf ihm einen Dart mit voller Wucht ins Auge. Mit einem Kreischen griff der Mann, so hörte Dragan es heraus, sich ins Gesicht und ging zu Boden. Sein Blick ging kurz zu Boden, wo er einen Schatten hinter sich sah. Ein lautes Klirren ließ ihn herumfahren. Der Anführer des Trupps von Attentätern blickte hasserfüllt zu Seite. Zu Dragans Überraschung stand dort Kenshin. Der Krieger hielt seine Naginata in der Einen und sein Katana in der anderen Hand.
"Verzeiht meine Verspätung, ich habe mich verlaufen,", sagte der Krieger und hielt dem Druck des Krummschwerts mit einer Hand stand.
Kenshins Gesicht war hinter einer Dämonenfratze verborgen, seine Stimme klang blechern aber ernst.
"Wer bist du?", fragte der Kerl mit dem Krummschwert, "Ihr seit dieser Ronin..."
"Ich bin ein Ronin aus der Familie Niwa", antwortete Kenshin und legte dem Mann die Klinge des Katana an den Hals, "Sehr erfreut."
Der Anführer knurrte leise. "Niwa... ich werde mir diesen Namen merken." Er hob seine Hand und drückte langsam das Katana zur Seite. Scheinbar trug er gepanzerte Handschuhe unter der weiten Kleidung, denn dabei packte er in die Schneide, woraufhin Kenshin Dragan zunickte. Er machte einen Satz nach vorn und rollte sich ab, gleichzeitig ließ Kenshin das Krummschwert nach vorn fahren. Der Anführer duckte sich unter dem Katana hinweg, das einen blitzenden Bogen beschrieb. Lauernd umkreisten die beiden Männer einander. "Wie ist Euer Name? Ich möchte wissen, wer durch meine Hand stirbt, dafür, dass er meinen Lord angegriffen hat.", fragte Kenshin langsam und Dragan bemerkte, dass dieser sich vor Tiana postiert hatte. Der restliche Kampf in der Straße ging langsam zu Ende, denn die verbündeten Assassinen lagen bis auf einen blutend und sterbend am Boden. Vier der gegnerischen Attentäter lauerten darauf, den letzten Mann zu töten.
"Mich nennt man den Falken", antwortete der Anführer schließlich und nickte Kenshin zu, "Wir sind noch nicht fertig."
Die verbliebenden Feinde hatten in der Zeit den letzten Mann getötet und wollten schon auf Dragan losgehen, der gerade Tiana aufgehoben hatte. Zur seiner Überraschung hob Der Falke die Hand und gab einige Zeichen. Draufhin verteilten sich die verhüllten Attentäter und verschwanden in den Gassen und über die Dächer. Dann zog Der Falke etwas aus seiner Tasche und warf es zu Boden. Dichter Qualm stieg auf und raubte ihnen die Sicht. "Ich hasse die Dinger, " murmelte Tiana, die gerade erwachte. Kurz ließ sie den Blick über das Blutbad schweifen und schüttelte den Kopf. "Lass uns von hier verschwinden", sagte sie und nickte zum Ende der Straße, wo ein Trupp Stadtwachen erschien, "Deswegen hat er sich auch verzogen"
Kenshin half Dragan und stützte Tiana, während er aufmerksam sich umblickte. Hastig eilten sie durch die Gassen um mögliche Verfolger abzuschütteln und kamen schließlich an einer alten Lagerhalle an. Kenshin trat die Tür ein und bettete die Verletzte auf einem wackeligen Tisch. Dragan blieb am Eingang stehen und hielt nach Feinden oder Wachen ausschau.

Dragan, Tiana und Kenshin irgendwo in Gortharia
« Letzte Änderung: 6. Feb 2017, 16:29 von Curanthor »

Eandril

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Re: In den Straßen von Gortharia
« Antwort #13 am: 8. Feb 2017, 13:18 »
Milva vom Königspalast

Obwohl ihr der Weg zum Anwesen der Adligen genau beschrieben worden war, schaffte Milva es bereits nach wenigen Minuten, sich erneut zu verirren. Den Weg zurück zum Gasthaus, wo sie noch immer ein Zimmer bewohnte, hatte sie ohne Probleme gefunden und hatte dieses lächerliche Kleid durch ihre gewohnte Kleidung ersetzen können. Und auch der Weg zurück zum Palast, wo Ryltha ihr die Details ihrer Aufgabe verraten hatte, hatte ihr keine Schwierigkeiten bereitet.
Doch nun, auf dem Weg zu ihrem Auftrag, stand sie an einer Straßenkreuzung, an der ihr nichts bekannt vor kam, und an der sie nicht weiter wusste. Sie blickte unsicher von einer der beiden Straßen vor ihr zur anderen, die genau gleich aussahen und auf denen gleich viel Betrieb herrschte.
"Eine von denen muss es ja sein...", murmelte sie leise vor sich hin, und machte kurz entschlossen einen Schritt in Richtung der linken Straße.
"Da werdet ihr nicht ans Ziel kommen", sagte eine männliche Stimme neben ihr, und als Milva herumfuhr sah sie sich dem Mann gegenüber, den sie bereits im Untergrund gesehen hatte, und der offenbar in Diensten der Schattenläufer stand.
"Ich werde nicht gerne beobachtet!", fuhr sie den Mann unfreundlich an, obwohl er möglicherweise ihre einzige Hilfe war. Doch ihr Gegenüber lächelte nur entschuldigend, anstatt sich zu wehren. "Verzeiht, aber es war meine Anweisung euch zu folgen und sicherzustellen, dass ihr sicher an euer Ziel gelangt." Er deutete in Richtung der Straße, die sie gerade hatte nehmen wollen, und fügte hinzu: "Und wenn ihr diesem Weg gefolgt wärt, wärt ihr an alle möglichen Orte gelangt, nur nicht an euer Ziel." Er zeigte die Straße, die Milva gekommen war, zurück.
"Ihr solltet stattdessen zurückgehen und an der nächsten Kreuzung an die ihr kommt, nach links. Dann seht ihr das Anwesen bereits."
"Danke", gab Milva missmutig zurück. "Gebt mir einen unbekannten Wald mit Hügeln und Bächen und allem drum und dran und ich führe euch sicher hindurch, aber das hier... und diese vielen Menschen, wo kommen die überhaupt her?", platzte sie dann heraus, und der Mann lächelte verständnisvoll.
"Viele, die zum ersten Mal in Gortharia sind, haben damit Schwierigkeiten, gewöhnen sich aber daran. Und manche wollen dann nie wieder weg." Milva zog misstrauisch die Augenbrauen zusammen. Das klang doch ein wenig weit hergeholt. "Ich kann mir nicht vorstellen mir jemals zu wünschen, immer hierzubleiben."
"Wer weiß schon, was er sich morgen wünschen wird?", sagte ihr Gegenüber nachdenklich, und schüttelte dann den Kopf. "Nun, so gerne ich auch weiter mit euch plaudern würde, ihr kennt den Weg und mich erwarten andere Pflichten. Lebt wohl."
Er verschwand in der Menge, und Milva fiel auf, dass sie ihn nicht einmal nach seinem Namen gefragt hatte - und sein Gesicht begann in ihrer Erinnerung auch bereits zu verschwimmen. Sie blickte in die Richtung, die er ihr gezeigt hatte, rückte den Bogen aus Særima auf ihrem Rücken zurecht, und setzte sich in Bewegung. Was blieb ihr anderes übrig?

Tatsächlich sah sie nur wenig später ein prunkvolles Anwesen, das von einer hohen Mauer mit Metallspitzen umgeben war, vor sich. Vor dem großen, zweiflügligen Tor, standen zwei Männer in Rüstung mit langen Lanzen Wache. Milva näherte sich ihnen, und sprach den rechten der beiden Wächter schließlich vorsichtig an: "Ist das hier das Anwesen von Herrin, äh..." Der Wächter blickte sie unter seinem Helm heraus misstrauisch an, während Milva fieberhaft nach dem Namen suchte. Sie hatte ihn gewusst, Ryltha hatte ihn ihr gesagt, doch in dieser Stadt, wo überall Lärm, und Bewegung und Menschen waren, schien ihr Gedächtnis nicht wie gewohnt zu funktionieren. "Herrin Velmira!", stieß sie schließlich erleichtert hervor, als ihr der Name wieder einfiel. "Herrin Velmira aus dem Haus Bozhidar."
"Da seid ihr hier richtig", erwiderte der Wächter ein wenig freundlicher. "Was führt euch hierher?"
"Ich habe gehört, die Herrin ist auf der Suche nach einem neuen Jäger für ihr Gefolge", antwortete Milva ein wenig sicherer. "Kann ich mit dem Haushofmeister sprechen?" Instinktiv hätte sie womöglich direkt nach der Herrin selbst gefragt, doch Ryltha hatte ihr eingeschärft, stattdessen zunächst mit dem Haushofmeister, der sich um diese Dinge kümmerte, in Verbindung zu setzen.
Als Antwort öffnete der Wächter eine kleine Tür, die in das Tor eingelassen war, und rief einem weiteren gerüsteten Mann, der dahinter auf einer Bank saß, zu: "He, Bohdan! Führ die Frau zu Meister Czeslav." Und an Milva gewandt fügte er hinzu: "Bitte, tretet ein, und folgt Bohdan. Er wird euch zum Haushofmeister bringen."
Milva lächelte dankbar, und trat durch die Tür in den Innenhof des Anwesens.

Milva zum Anwesen von Haus Bozhidar...
« Letzte Änderung: 10. Feb 2017, 15:24 von Eandril »

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Re: In den Straßen von Gortharia
« Antwort #14 am: 23. Feb 2017, 19:37 »
Milva vom Bozhidar-Anwesen

Als es an der Tür klopfte, schreckte Milva im Bett hoch. Zwei Tage waren vergangen, seit sie bei Herrin Velmira vorstellig geworden war, und bislang war es niemandem eingefallen, nach ihr zu rufen. Von den Schattenläufern hatte sie in der Zwischenzeit niemanden gesehen, und Aivari blieb ebenfalls verschwunden, und so fühlte Milva sich einigermaßen einsam. Sie kletterte gähnend aus dem Bett, und zog sich rasch ihre übliche Kleidung über - das Wams aus hellem Hirschleder, das weit am Hals hinauf ging, die ebenfalls hirschlederne Hose und die einfachen aber festen Stiefel. Die Kleidung stammte - die Stiefel ausgenommen - von den Elben des Sternenwaldes, ein Geschenk zum Abschied, und sie saß perfekt und wirkte noch immer kein bisschen abgetragen. Durch Ritzen des kleinen Fensterladens fiel nur fahles Morgenlicht herein, was ihr verriet, dass die Sonne noch nicht richtig aufgegangen war.
Während sie sich anzog, brummte auf der anderen Seite der Tür eine männliche Stimme: "Da ist ein Soldat, der dich sprechen will, Mädchen."
Es war die Stimme des Schuhmachers, in dessen Haus Milva eine vorläufige Unterkunft gefunden hatte. Es war das Zimmer des einzigen Sohnes des alten Ehepaares, der in den Krieg nach Westen gezogen war und niemals heimkehren würde. Ronvid und Ana, so hießen der Schuhmacher und seine Frau, vermieteten sein altes Zimmer um ein wenig Leben in ihrem Haus zu haben und ein wenig zusätzliches Geld zu verdienen, denn Ronvids Laden lag ungünstig und lief nicht allzu gut. Die beiden hatten Milva gleich an ihrem ersten Abend zum Essen dazu geholt, und sie freundlich bewirtet. Sie freuten sich ganz offensichtlich jemanden, der im selben Alter wie ihr Sohn war, im Haus zu haben.
Als Milva fertig angezogen war, öffnete sie die Tür, und stand Ronvid gegenüber. Der Schuhmacher hatte ein Gesicht voller kleiner Fältchen, und dünne graue Haare, doch links und rechts der Hakennase funkelten seine dunklen Augen noch immer lebhaft.
"Ein Verehrer vielleicht?", fragte er zur Begrüßung mit einem Augenzwinkern. "Ein so hübsches Mädchen hat doch sicherlich den ein oder anderen, nicht wahr?"
Milva spürte, wie sie errötete, und antwortet: "Nein, sicher nicht. Ich bin noch nicht lange in der Stadt."
"Das kommt schon mit der Zeit, du wirst es sehen", meinte Ronvid aufmunternd, und trat zur Seite um ihr Platz zu machen. Milva stieg leise die schmale, hölzerne Treppe hinab, denn Ronvid hatte ihr "im Vertrauen" verraten, dass Ana gerne länger schlief, und dabei äußerst ungern gestört wurde. Die Haustür stand ein Stück offen, und ein Mann, der in gelb und grün gerüstet war, lehnte am Türrahmen. Ein Blick auf seine Brust, auf der stolz das Wappen eines aufgerichteten Bären prangte, verriet ihr, dass er zum Gefolge der Herrin Velmira gehören musste, und nach einem weiteren Blick auf sein Gesicht erkannte sie Bohdan, den Wächter der sie zwei Tage zuvor zu Haushofmeister Czeslav geführt hatte.
Sobald er Milva gesehen hatte, sagte der Soldat ohne Umschweife: "Die Herrin Velmira wünscht frischen Rehbraten zum Abendessen. Finde dich in einer halben Stunde am Zwergentor bei den anderen Jägern ein." Milva unterdrückte die Fragen, die ihr durch den Kopf schossen: Warum brauchte man mehrere Jäger, um ein Reh zu erlegen? Wo um alles in der Welt sollten sie in der Nähe Gortharias Rehe finden? Und wo um alles in der Welt war das Zwergentor? Die letzte Frage unterdrückte sie nicht, sondern fragte ein wenig verlegen: "Wo ist das Zwergentor?"
Zu ihrer Erleichterung lachte Bohdan nicht über ihre Unwissenheit - was ihn vermutlich vor einer Ohrfeige rettete - sondern antwortete mit verständnisvollem Lächeln: "Folg dieser Straße geradewegs nach Süden. Wann immer nötig, geh solange nach Westen bis wieder ein Weg nach Norden führst, dann wirst du es schon finden."
Milva bedankte sich und eilte die Treppe wieder hinauf, während Bohdan sich auf den Weg zurück zum Anwesen machte. Als sie Bogen und Köcher aus ihrem Zimmer geholt hatte und sich außerdem den Gürtel mit ihrem Jagdmesser um die Hüften geschnallt hatte, ging sie ebenso leise wie sie gekommen war, wieder ins Erdgeschoss hinunter. Von dem engen Raum, der den Eingangsbereich bildete, gingen nach Norden und Süden zwei Türen ab. Im Süden lag der Raum, der Ronvids kleine Werkstatt und Geschäft beherbergte, und nach Norden ging es in die Küche, die das Paar auch als Wohnbereich nutzte. Über der Küche lag Milvas Zimmer, und gegenüber das Schlafzimmer von Ronvid und Ana. Unterhalb der Treppe gab es noch einen kleinen Verschlag, dessen Boden als einziger um Haus mit Fliesen ausgekleidet war, und der den Bewohnern zum gelegentlichen Waschen diente.
Als Milva in den Eingangsbereich herunterkam, konnte sie Ronvid in der Küche mit Tellern klappern hören, was ihren eigenen Magen knurren ließ. Doch sie hatte keine Zeit etwas zu essen, wenn sie rechtzeitig am Treffpunkt sein wollte, und das war ihre eigene Schuld. Schließlich hatte Czeslav ihr gesagt, dass sie bereits eine Stunde vor Sonnenaufgang bereit sein sollte, und heute hatte Milva nicht darauf gehört.
"Ein guter erster Eindruck...", murmelte sie vor sich hin, als Ronvid den Kopf zur Küchentür herausstreckte. "Willst du nichts essen, Milva?", fragte er. "Ich könnte sicher schnell etwas auftreiben, ein paar Scheiben Brot, ein wenig Speck..."
Missmutig schüttelte Milva den Kopf. "Nein, keine Zeit. Ich muss so schnell wie möglich los."
Sie hatte ihren Vermietern von ihrer Tätigkeit erzählt, dennoch wirkte Ronvid ein wenig enttäuscht, und Milva stöhnte innerlich auf. Die beiden Alten waren sehr freundlich zu ihr, doch sie konnte es nicht leiden, bemuttert zu werden. Ohne ein weiteres Wort schlüpfte sie zur Tür heraus, überlegte es sich im letzten Moment anders und sagte ein möglichst ehrliches "Danke" über die Schulter zu Ronvid. Dann ging sie um das Haus herum in einen kleinen verwahrlosten Hinterhof wo sie ihr Pferd angebunden hatte, und machte sich auf den Weg durch die erwachenden Straßen Gortharias.
« Letzte Änderung: 25. Feb 2017, 12:31 von Eandril »

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Re: In den Straßen von Gortharia
« Antwort #15 am: 25. Feb 2017, 12:23 »
Milva erreichte, das Pferd am Zügel führend, den Treffpunkt genau eine halbe Stunde nach ihrem Aufbruch. Es wäre vermutlich schneller gegangen, wenn sie sich nicht trotz Bohdans Wegbeschreibung zwei Mal beinahe verirrt hatte, doch immerhin war sie pünktlich. Ein steter Strom Menschen floss durch das Tor in die Stadt und hinaus, doch längst nicht so dicht wie am Südtor, durch das Milva Gortharia betreten hatte. Etwas abseits des Zwergentores hatten sich drei Männer versammelt, die ebenfalls Pferde mit sich führten und deren grün-braune Kleidung sie eindeutig als Jäger zu erkennen gab. Als Milva sich ihnen näherte, sprach einer der Jäger sie an: "Milva, ja?"
Milva nickte, und murmelte einen Gruß während sie den Blick über die drei Männer schweifen ließ. Der, der sie angesprochen hatte, musste bereits auf die fünfzig zugehen, und durch sein kurzes schwarzes Haar zogen sich bereits silberne Strähnen. Die anderen beiden waren jünger, etwa in Milvas Alter oder vielleicht etwas älter. Einer der beiden betrachtete sie unverholen interessiert, während der andere geradewegs an ihr vorbeizuschauen schien.
"Dann sind wir ja vollzählig", meinte der Ältere zufrieden. "Ich bin Klemen, oberster Jäger der Herrin Velmira Bozhidar. Das sind Pero und Mislav." Während Mislav ihr freundlich zulächelte, ließ Pero einen verächtlichen Blick über Milva und den Bogen auf ihrem Rücken schweifen.
"Kannst du mit diesem Prachtstück überhaupt umgehen?", fragte er spöttisch. "Wenn nicht, kann ich dir ein anderes Prachtstück zeigen, mit dem du ein bisschen Spaß haben kannst." Pero grinste anzüglich, und Milva konnte sich nur mühsam zurückhalten, ihm nicht die Faust ins Gesicht zu schlagen.
"Wenn dein Prachtstück größer als zwei Fingerbreit ist...", gab sie zurück, wobei sie ihren Zorn nur schwer unterdrücken konnte. Kerlen wie Pero war sie bereits überall begegnet, Kerle die glaubten, Frauen wären nur für eine Sache zu gebrauchen. Aber sie würde es ihm zeigen. "Wenn du willst, können wir ja testen, wer besser mit dem Bogen umzugehen weiß."
Pero, der bei ihrer Erwiderung weiß vor Zorn geworden war, entgegnete: "Jederzeit. Und wenn ich gewinne..." Er grinste erneut anzüglich, wandte sich dann mit einem verächtlichen Schnauben ab und schwang sich auf sein Pferd. Klemen, der dem Austausch schweigend gelauscht hatte, schüttelte stumm den Kopf und tat es ihm gleich. Nach einem Augenblick des Zögerns stieg Milva ebenfalls aufs Pferd, und folgte ihnen durch das Tor aus der Stadt hinaus.

Milva in die Gebiete südwestlich der Stadt
« Letzte Änderung: 27. Feb 2017, 11:02 von Fine »

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Re: In den Straßen von Gortharia
« Antwort #16 am: 10. Apr 2017, 21:51 »
Milva vom Bozhidar-Anwesen

Ohne, dass sie es bemerkt hatte, hatten Milvas Schritte sie zurück ins nördliche Händlerviertel geführt. Dorthin wo, wenn man so wollte, ihre Erlebnisse in Gortharia begonnen hatten. Sie ging langsam und ohne besonderes Ziel durch die Gassen, während sich über den hohen, eng zusammen stehenden Hausdächern allmählich die Sonne dem Horizont zuzuneigen begann. Schließlich stand sie vor dem Haus mit dem eisernen Zaun, dass dem Händler Ántonin Dvakar gehörte, legte die Hände auf das kalte Metall, und betrachtete das Haus unschlüssig. Sie wusste nicht recht, was sie tun sollte, was, wenn der Händler ihr kurzes Treffen bereits vergessen hatte und sie nicht einließ? Doch mehr konnte eigentlich nicht geschehen, dachte Milva, und ging durch die Pforte im Zaun den kurzen, mit Kies bestreuten Weg bis zur Tür und betätigte den eisernen Türklopfer. Ein wenig zaghaft, doch das Geräusch war deutlich zu hören, und nur wenig später öffnete sich die Tür.
"Ja?", fragte der weißhaarige Mann, der ihr geöffnet hatte. Er blinzelte und streckte den Kopf ein wenig vor um Milva zu betrachten, sodass sie vermutete, dass seine Sehkraft nachließ.
"Ich, äh...", begann Milva, und der Alte tappte langsam aber offensichtlich ungeduldig mit dem Fuß auf den Boden. "Ich würde gerne euren Herrn sprechen, den Händler Ántonin Dvakar."
"Euer Name?", krächzte der Mann. "Milva", erwiderte sie, und der Alte strich sich mit der fleckigen Hand über das von weißen Bartstoppeln übersäte, faltige Kinn. "Milva, hm", murmelte er. "Sagt mir nichts, aber wahrscheinlich hab' ich's nur wieder vergessen..." Er drehte sich um und rief in das Haus hinein: "Ánton, hier ist wieder eins von deinen Mädchen!"
Milva blinzelte, überrascht von dem offensichtlich vertraulichen Ton, den der alte Diener gegenüber seinem Herrn anschlug. Sie hatte nicht viel mit reichen Händlern zu tun gehabt - um genau zu sein, gar nicht - aber sie hätte eigentlich erwartet, dass auch deren Diener wie bei Adligen vor ihrem Herrn geradezu kriechen mussten.
Im Flur waren Schritte zu hören, und schließlich tauchte Ántonin in der Tür auf. Als er Milva erblickte, verwandelte sich der verwirrte Ausdruck auf seinem Gesicht in ein Lächeln. "Ah, Fräulein Milva, wie schön euch zu sehen."
Er wandte sich dem Diener zu, und sagte: "Vladir, Fräulein Milva ist keins von meinen Mädchen wie du so nett zu sagen pflegst. Im Übrigen wäre ich dir sehr dankbar, wenn du solche Gerüchte nicht noch weiter verbreiten würdest."
"Ich weiß was ich weiß", brummelte der Alte, und verschwand mit langsamen, schlurfenden Schritten im Haus. Ántonin seufzte, bevor er eine einladende Geste machte und sagte: "Bitte, kommt doch herein." Milva trat ein wenig unsicher durch die Tür, und folgte ihm durch den dämmrigen Flur in einen von der untergehenden Sonne, die durch die offenen Fenster schien, erhellten Raum. Der Händler ließ sich auf einem von mehreren Sesseln nieder. Milva folgte seiner auffordernden Geste und setzte sich in einen der anderen, nachdem sie Köcher und Bogen abgenommen und vorsichtig gegen eine der Armlehnen gelehnt hatte. Sie brauchte einen Augenblick um sich an das Gefühl zu gewöhnen, denn sie hatte noch nie auf etwas so weichem und bequemen gesessen. Sie war an Lager unter freiem Himmel gewohnt, auf Baumstämmen, Felsen oder dem nackten Erdboden zu sitzen, wenn sie Glück hatte auf einem hölzernen Stuhl oder einer Strohmatratze.
"Ihr müsst nicht alles glauben, was der alte Vladir erzählt", sagte Ántonin, während Milva sich noch immer staunend umsah. "Er hat schon meinem Vater gedient und wird allmählich alt, blind und sein Geist lässt auch nach, aber er ist ein hervorragender Koch und ich bin zu sehr an ihn gewöhnt um mich von ihm zu trennen." Milvas Blick wanderte über den kostbaren Teppich, der den steinernen Boden bedeckte, die kunstvoll gestaltete Feuerstelle in einer der Ecken des Raumes, den von wertvoll geschnitzten Schreibtisch aus glänzendem Holz, und schließlich zurück zu dem mit kostbarem Stoff bezogenen Sessel, auf dem sie saß. Alleine der Stoff des Sessels war vermutlich ein vielfaches von dem Wert, was sie an Kleidung trug, und es machte Milva schwindelig.
"Ihr seid... wirklich sehr reich, nicht wahr?", fragte sie schwach. Sie kam sich fürchterlich fehl am Platz vor.
Ántonin lachte leise, aber es war kein spöttisches oder gar hämisches Lachen. "Wohlhabend, kann man wohl sagen. Aber es gibt in dieser Stadt durchaus den ein oder anderen, der noch bedeutend reicher ist als ich. Eure neue Herrin zum Beispiel."
"Meine neue..." "Herrin, ganz richtig", beendete der Händler den Satz für sie. "Ihr arbeitet doch nun für Velmira Bozhidar, nicht wahr? Ich habe gestern mit ihr zu Abend gegessen, und sie hat mir einiges von ihrer neuen Jägerin erzählt. Und als ihr eben vor meiner Tür gestanden habt, wurde mir plötzlich klar dass sie euch meinen musste. Sie wäre schockiert wenn sie wüsste, dass ich euch in meinem Haus als Gast empfangen habe." Der Gedanke schien ihn zu belustigen, also fragte Milva: "Wieso tut ihr es dann, wenn es so schockierend ist?"
Ántonin zog eine Augenbraue in die Höhe, und antwortete: "Nicht für mich. Herrin Bozhidar und ich haben einige gemeinsame Interessen und kann sehr bezaubernd sein, wenn sie will. Aber sie hat auch sehr altmodische Vorstellungen, was die Trennung zwischen den Reichen und den... nicht ganz so Reichen angeht."
"Ihr meint zwischen den Reichen und den Armen", erwiderte Milva, und Ántonin betrachtete sie interessiert. "Auch zwischen den Reichen und den Armen", bestätigte er, bevor er sich aus seinem Sessel erhob und zum Tisch hinüberging. "Ihr seid allerdings nicht hier um mit mir über Politik zu streiten, nicht wahr?" Während er einige Papiere beiseite räumte, antwortete Milva langsam: "Nein.. eigentlich hatte ich vor auf euer Angebot einzugehen. Ich..." Sie zögerte, ob sie wirklich so offen sein konnte. "Ich vermisse meine Heimat. Die Wälder, und die..." Sie brach ab. Ántonin nickte verständnisvoll, und winkte sie an den Schreibtisch heran.
"Nun, dann will ich euch eure Heimat zeigen." Auf dem Tisch ausgebreitet lag eine Karte. Milva hatte noch nie eine Karte von Rhûn gesehen, doch sie glaubte sie Form des Meeres von Rhûn zu erkennen, und links - westlich -davon die Berge von Gorak, die sie vor wenigen Wochen erst durchquert hatte.
"Hier", Ántonin deutete auf einen Punkt am Südufer des Meeres, "Sind wir. Und irgendwo hier", sein Finger wanderte über das Meer hinweg, eine dünne Linie, die vermutlich den Rotwasser darstellen sollte, entlang nach Norden, "kommt ihr her."
"So weit...", sagte Milva leise, und spürte, wie ihre Brust sich schmerzhaft zusammenzog. Natürlich hatte sie gewusst, dass Gortharia weit von Dorwinion und dem Sternenwald entfernt war, aber es so auf der Karte zu sehen, war noch anders. "Sind das hier die Eisenberge?", fragte sie, und zeigte auf eine grauschwarze Masse am Nordende der Linie des Rotwassers.
"Natürlich", bestätigte Ántonin. "Es steht doch..." Er unterbrach sich, und biss sich auf die Unterlippe. "Ihr... könnt nicht lesen. Verzeiht." Milva schüttelte den Kopf. "Leute meines Standes haben dazu selten die Zeit. Wir sind zu beschäftigt mit Überleben."
Der Händler zog erneut eine Augenbraue in die Höhe. "Lesen zu können, kann unter Umständen beim Überleben helfen. Ihr solltet es lernen."
"Vielleicht", murmelte Milva, plötzlich wieder unsicher. Sie wandte den Blick nicht von dem kleinen Fleck auf die Karte, wo sie ihre Heimat vermutete, als ob ein Teil von ihr hoffte, durch das Pergament auf magische Weise einen Blick darauf erhaschen zu können.
"Setzen wir uns", schlug Ántonin vor. "Und dann... erzählt mir von eurer Heimat, wenn ihr das wünscht."

Nachdem sie sich erneut gesetzt hatten, begann Milva zu erzählen. Zuerst langsam und stockend, dann immer flüssiger und sicherer, und mit jedem Wort hatte sie das Gefühl, die vertrauten Landschaften deutlicher vor sich sehen zu können. Sie redete von den lichten Wäldern Dorwinions, in denen sie zuerst das Jagen gelernt hatte. Von dem kleinen Dorf an der Flussbiegung, in dem sie aufgewachsen war. Von dem Schilf am Ufer des Flusses, das im Wind sanft raschelte. Von den weiten, grasbewachsenen Ebenen östlich davon, die sich schier endlos zu erstrecken schienen, und den niedrigen, bewaldeten Hügeln im Westen, die Schutz und Geborgenheit boten. Von den dichteren, dunkleren Wäldern im Norden, in denen... Milva brach ab. Beinahe hätte sie vom Sternenwald gesprochen, und von den Elben die dort lebten. Doch das war ein Geheimnis, dass sie niemandem erzählen konnte, außer vielleicht... Ryltha musste sie es erzählen, damit sie einen Boten dorthin schicken konnte, mit dem was sie über König Bard in Erfahrung gebracht hatte. Sie hoffte, dass die Schattenläuferin einwilligen würde.
Offenbar hatte sie einige Zeit geschwiegen, denn schließlich räusperte Ántonin sich, und sagte: "Nun, ihr bringt es beinahe fertig, dass ich selbst eure Heimat vermisse, obwohl ich nicht von dort komme. Es klingt so... idyllisch."
"Aber das ist es nicht - nicht wirklich", erwiderte Milva. "Aber ihr sagtet ja, ihr wolltet nicht über Politik reden." Ántonin lachte. "Ihr habt wirklich eine scharfe Zunge, wenn ihr erst einmal auftaut. Ich hoffe, ihr fühlt euch nun ein wenig besser?"
Milva atmete tief durch und nickte. "Allerdings. Das war beinahe so gut, wie selbst wieder dort zu sein."
"Nun, das freut mich." Der Händler lächelte, und erhob sich. "Ich hoffe ihr verzeiht mir, wenn ich euch nun verabschieden muss, aber ich habe noch einiges zu tun - und morgen muss ich einige meiner Gildenbrüder besuchen und sie davon überzeugen, dem König weitere Kredite zu gewähren..." Auch Milva war aufgestanden, stutzte und biss sich auf die Unterlippe. "Ihr unterstützt den König?"
"Hm", machte Ántonin, und warf ihr einen scharfen Blick zu. "Und ihr missbilligt das."
"Der König ist...", begann Milva, doch Ántonin hob die Hände. "Wir hatten beschlossen, nicht über Politik zu sprechen. Das würde unweigerlich zu Streit führen, und das würde ich gerne vermeiden."
Für einen Augenblick blickte Milva ihn offen an, dann nickte sie. "Also schön, ich sage es nicht. Danke, für eure Gastfreundschaft."
"Die Freude war auf meiner Seite", erwiderte Ántonin, und lächelte so freundlich, dass Milva nicht anders konnte als das Lächeln zu erwidern. "Ich freue mich schon auf euren nächsten Besuch."
Als Milva langsam das Haus verließ und sich auf den Heimweg machte, war das gute Gefühl, dass sie bei den Gedanken an ihre Heimat verspürt hatte, bereits wieder verflogen. Oh Maya, dachte sie, und verwendete damit den Kosenamen, den ihr Vater manchmal für sie verwendet hatte. Im Augenblick fühlte sie sich nicht wie Milva, sondern eher wie das kleine, verwirrte und verängstigte Mädchen, dass Maya gewesen war. In was bist du da hineingeraten? Sie war in einer Stadt, die sie nicht kannte, umgeben von Feinden, ihre Verbündeten waren ihre ein Rätsel und der einzige wirkliche Freund, den sie zu haben schien, war ein reicher Händler, der den König unterstützte, den sie hasste. Sie wusste nicht, wie das alles enden sollte.

Milva zum Königspalast...
« Letzte Änderung: 11. Apr 2017, 15:57 von Fine »

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Re: In den Straßen von Gortharia
« Antwort #17 am: 25. Apr 2017, 20:19 »
Milva vom Königspalast

Beinahe den gesamten nächsten Tag hatte Milva erneut auf der Jagd verbracht, und entsprechend erschöpft war sie, als sie am Abend das Haus von Ronvid und Ana betrat. Der Schuhmacher und seine Frau saßen in der kleinen Küche, aus der es verführerisch nach Eintopf duftete. Milva lehnte Bogen und Köcher vorsichtig an die Wand und trat dann ein wenig zögerlich durch die Tür. Im Raum knisterte einladend das niedrige Feuer im Ofen, das ein schwaches flackerndes Licht warf.
Als sie eintrat, hob Ronvid den Kopf und lächelte. "Milva! Komm, setz dich zu uns und iss etwas, Mädchen." Milva schüttelte den Kopf, und erwiderte: "Nein, danke. Ich möchte euch nichts wegessen, und..."
Ana unterbrach sie kurzerhand. Die Frau des Schuhmachers hatte im Gegensatz zu ihrem Mann noch volles braunes Haar, auch wenn es von einigen grauen Fäden durchzogen war. "Ach, Unsinn." Sie schob den dritten Stuhl an dem kleinen Tisch mit dem Fuß zurück, und nahm eine dritte hölzerne Schale samt Löffel aus dem Regal und stellte sie davor. "Du siehst hungrig aus und wir haben genug, also iss."
Milva setzte sich gehorsam, und Ana füllte die Schüssel aus dem eisernen Kessel, der über dem Feuer hing. "Ich habe zwei Rehkeulen mitgebracht, die die Herrin nicht wollte", sagte Milva. "Ihr sollt sie haben."
"Kommt nicht in Frage", antwortete Ronvid. "Du schuldest uns nichts, abgesehen von der Miete für das Zimmer."
"Ich schenke sie euch", gab Milva zurück, und ihr Tonfall ließ keinen Widerspruch zu. Die beiden Alten wechselten einen bedeutsamen Blick, und schließlich meinte Ronvid: "Also schön... es muss Ewigkeiten her sein, dass ich Wildbret gegessen habe." "Aber nur, wenn du jeden Abend mit uns isst, solange du hier wohnst", ergänzte Ana, während Milva vorsichtig den dampfend heißen Eintopf probierte. "Und nicht in irgendein Gasthaus gehst, wo sie dir wer weiß was für einen Fraß vorsetzen."
Der Eintopf gehörte zum Besten, was Milva seit langer Zeit gegessen hatte. Sie war zwar normalerweise genügsam und kümmerte sich nicht groß darum, was genau sie zu Essen bekam, doch wenn das Essen gut war, konnte sie es zu schätzen wissen. Nach zwei weiteren Löffeln warf sie einen Blick durch den kleinen Raum, und stellte fest, dass sie sich wohlfühlte. Das Gefühl war ihr in der letzten Zeit beinahe unbekannt geworden, und sie konnte gerade noch einen zufriedenen Seufzer unterdrücken.
Nach einiger Zeit, in der sie schweigend gegessen hatte, fragte Milva: "Ronvid... Kannst du eigentlich lesen?"
Der Schuhmacher schnaubte amüsiert. "Natürlich kann ich lesen. Was glaubst du, wie ich meine Bücher führe?"
"Nun ja, ich dachte mir..." Milva starrte auf ihre Schüssel, und spürte, wie sie errötete. "Ich wollte fragen... vielleicht kannst du mir ein wenig davon beibringen? Ich kann auch dafür bezahlen!", fügte sie hastig hinzu.
"Bezahlen, willst du mich beleidigen?", fragte Ronvid, doch seine Augen funkelten amüsiert. "Wieso willst du lesen lernen? Ich kann mir kaum vorstellen, dass man das im Wald braucht." Er zwinkerte ihr zu, was der Frage ein wenig die Schärfe nahm, und so erwiderte Milva nur: "Ich habe festgestellt, dass es ziemlich nützlich sein kann. Und was kann schon so schwer daran sein?" Der eigentliche Grund war natürlich ein anderer. Ihr war klar geworden, dass der Auftrag, den Ryltha ihr erteilt hatte, nur ausführbar war, wenn sie einigermaßen lesen konnte. Anders würde sie das Testament der Herrin Velmira nicht erkennen können, und auch nicht, wer dort als Erbe eingesetzt war.
"Also schön", sagte Ronvid schließlich. "Ich werde versuchen, es dir beizubringen. Bezahlen musst du dafür nichts, abends ist es hier manchmal ziemlich langweilig und ich kann die Ablenkung gut brauchen. Aber wenn du dir keine Mühe gibst, werde ich aufhören."
Milva konnte sich über seinen Tonfall ein Grinsen nicht verkneifen, und neigte ein wenig übertrieben den Kopf. "Ja, Meister." Ronvid ließ sich in seinem Stuhl zurückfallen und schüttelte den spärlich behaarten Kopf. "Und nenn mich bloß nicht Meister, dann fühle ich mich älter als ich bin."

Später in der Nacht erwachte Milva plötzlich, als sie ein leises Kratzen an der Hauswand unter ihrem Fenster hörte. Das Geräusch war zwar nur leise, doch ein halbes Leben auf der Flucht vor den königlichen Soldaten hatte sie gelehrt, auf jedes ungewöhnliche Geräusch zu hören. Das Rufen einer Eule riss sie nicht aus dem Schlaf, ein Zweig der unter einem Stiefel brach, jedoch schon - und das Kratzen an der Hauswand war gehörte ebenso wenig zu den üblichen Nachtgeräuschen.
Sie richtete sich im Bett auf, griff zu dem Dolch der neben ihr auf dem kleinen Holztischchen lag, und lauschte. Wieder ein Kratzen. Es hörte sich an, als würde jemand an der Hauswand hinaufklettern. Milvas atmete möglichst ruhig, als ob sie schliefe. Den Dolch vor sich auf den Knien, nahm sie mit sparsamen Bewegungen ihr Hemd vom Boden und zog es sich über den nackten Oberkörper, ohne dabei das geschlossene Fenster aus den Augen zu lassen. In der Wildnis schlief sie normalerweise vollständig angekleidet, doch hier hatte sie sich angewöhnt, nur eine Hose zu tragen - ansonsten war es in dem kleinen Raum unter dem Dach einfach zu warm zum Schlafen.
Von der Straße drangen gedämpft die Laute einiger Zecher, die spät unterwegs waren, hinauf. Im nächsten Augenblick schwang die geschlossenen Fensterläden lautlos nach außen auf, und eine schmächtige Gestalt mit schulterlangen, schwarzen Haaren sprang hindurch.
Der Eindringling landete ebenso lautlos auf dem Boden wie er die Fensterläden aufgezogen hatte, und war sofort wieder auf den Beinen - ebenso wie Milva, die aus dem Bett gesprungen war und ihr Jagdmesser drohend vor sich hielt. Die Gestalt hob den Kopf, und zwischen den schwarzen Haaren war das schmale Gesicht einer Frau mit funkelnden grünen Augen zu sehen.
"Du hast mich gehört, sehr gut", sagte die Frau anerkennend. "Noch viel besser wäre es, wenn du mir erzählst, wer du bist und was dieser Auftritt bedeuten soll", gab Milva feindselig zurück. Sie war müde von dem Tag und ihr Körper sehnte sich nach Ruhe - die diese Frau ihr aus was für Gründen auch immer offensichtlich zu nehmen gedachte.
"Du kannst mich Teressa nennen", antwortete der Eindringling, ohne sich von dem feindseligen Tonfall abschrecken zu lassen. "Ich bin eine... Freundin von Ryltha."
"Also gehörst du zu den Schattenläufern", sagte Milva leise, um Ronvid und Ana im Nebenraum nicht zu wecken. "Was willst du hier?"
"Sie... wir haben einen Auftrag für dich", erklärte Teressa. "Zieh dich an, nimm deine Waffe, und komm mit."
"Nein", entgegnete Milva und verschränkte die Arme vor der Brust. "Ich habe den ganzen Tag lang einen eurer Aufträge ausgeführt, und jetzt werde ich schlafen."
Ohne eine Regung zu zeigen, meinte Teressa: "Du hast deine Entscheidung bereits getroffen, sie lässt sich nicht einfach rückgängig machen. Ich werde dich vor der Tür erwarten, aber nicht lange." Mit diesen Worten sprang sie so lautlos wie sie gekommen war aus dem Fenster.
Milva stand ein, zwei Herzschläge reglos in der Dunkelheit. Dann stieß sie einen Fluch zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor, zog sich an und warf sich ihren Bogen und den Köcher über die Schulter. Leise öffnete sie die Tür, schlich die Treppe hinunter und hinaus auf die Straße.
Teressa erwartete sie bereits, und sagte ohne eine Spur von Spott in der Stimme: "Das hat nicht lange gedauert."
Milva zuckte mit den Schultern. "Wie du sagtest, ich habe meine Entscheidung getroffen", erwiderte sie kühl. Teressa betrachtete sie einen Augenblick mit einem Ausdruck in den Augen, der Neugierde sein konnte, und sagte dann: "Also schön. Komm mit."

Milva folgte Teressa einige Zeit schweigend durch beinahe ausgestorbene Nebengassen und betrachtete hin und wieder verstohlen das noch beinahe jugendliche Profil der Schattenläuferin. "Wie lange gehörst du schon zu... deinen Freunden?", fragte sie schließlich, das Wort Schattenläufer in der Öffentlichkeit vermeidend. Man wusste nie, wer gerade zuhörte. Als Teressa nicht antwortete, vermutete sie: "Allzu lange kann es noch nicht sein - du bist ja höchstens so alt wie ich eher jünger."
Teressas Gesicht wurde verschlossen, und sie erwiderte kühl: "Das braucht dich nichts anzugehen. Du musst nichts über mich wissen."
"Mhm", machte Milva nur, und schwieg für eine Weile. Sie war nicht oft neugierig, schließlich erzählte sie selbst nicht gerne mehr als das nötigste über sich. Doch ihr Verstand sagte ihr, dass es klug wäre, mehr über ihre Auftraggeber in Erfahrung zu bringen. Je mehr sie wusste, desto geringer die Gefahr unliebsamer Überraschungen, und unliebsame Überraschungen waren das letzte, was sie gebrauchen konnte.
Milva dachte im Gehen nach, denn etwas an Teressas Sprechweise kam ihr vertraut vor, ohne dass sie wirklich wusste, was es war. Es hatte etwas mit ihrer Betonung und der Aussprache einzelner Wörter zu tun... "Ah", sagte sie schließlich, als es ihr einfiel. Sie umrundeten gerade einen beinahe menschenleeren Platz, in dessen Mitte die Statue irgendeines ehemaligen Königs von Rhûn stand. "Du kommst aus Thal oder vom Langen See, nicht wahr?"
Teressa reagierte anders als erwartet. Anstatt schweigend stur geradeaus zu Blicken und Milvas Frage zu überhören, blieb sie plötzlich stehen, fuhr herum und drückte Milva mit einer blitzschnellen Bewegung unsanft gegen eine Hauswand. "Woher willst du das wissen?", zischte sie, sichtlich aufgebracht. In einer anderen Situation hätte Milva sich vielleicht gefreut, eine der so kalten und beherrschten Schattenläuferinnen in Verlegenheit gebraucht zu haben, doch die Panik in Teressas Augen machte ihr Sorgen.
"Es ist... wie du sprichst", erklärte sie ein wenig mühsam, denn die Schattenläuferin presste sie mit erstaunlicher Kraft gegen die Wand. "Ich habe ein bisschen gebraucht, weil es eine andere Sprache ist, aber deine Betonung ist ähnlich wie die der Händler aus Thal, und manche Worte sprichst du ähnlich aus."
Auf dem Markt hatte sie oft mit Händlern aus dem Westen gesprochen und verhandelt, und der Akzent war ihr im Gedächtnis geblieben.
Teressa ließ sie los, und trat einen Schritt zurück. "Ich darf nicht...", murmelte sie mit gesenktem Blick. "Ich muss Teressa sein, um..." Sie hob wieder den Kopf und sah Milva ins Gesicht. "Erzähl niemandem davon - von dem ganzen Gespräch." Ein wenig verwirrt nickte Milva. Sie wusste wie es wahr, Geheimnisse vor jedem bewahren zu müssen. Dennoch fragte sie: "Nicht einmal Ryltha?"
Erneut trat ein beinahe panischer Ausdruck in Teressas grüne Augen. "Erst recht nicht Ryltha. Wenn sie erfährt, dass..." Sie unterbrach sich und schüttelte den Kopf. "Versprich mir einfach, dass du mit niemandem darüber sprichst. Schwöre es."
"Also gut, ich verspreche mit niemandem darüber zu sprechen... was auch immer das hier war", erwiderte Milva.
"Es ist besser für dich - und für mich - wenn du es nicht genauer weißt", sagte Teressa, wieder ein wenig ruhiger. "Lass uns weitergehen, wir sind beinahe dort."

Tatsächlich erreichten sie nur wenig später das Ende einer Sackgasse, in der Teressa eine eine Leiter hinter einigen Kisten hervor zog. Sie stellte sie an eines der umliegenden Dächer und kletterte behände hinauf. Milva folgte ihr ein wenig langsamer.
Oben angekommen verharrte sie neben Teressa in geduckter Haltung. "Siehst du das erleuchtete Fenster direkt auf der anderen Straßenseite?", fragte die Schattenläuferin, und Milva nickte. Die Gebäude auf der anderen Straßenseite waren ein wenig höher als das, auf dessen Dach sie standen, und das fragliche Fenster befand sich direkt auf ihrer Höhe. Durch das Fenster sah Milva ein Bett, in dem eine schlafende Gestalt - offenbar ein Mann - im Licht einer einzelnen Kerze lag.
"Gut", flüsterte Teressa. "Erschieß' ihn."
"Was?", zischte Milva zurück. "Einfach so? Wer ist das überhaupt?"
"Das muss du nicht wissen", erwiderte Teressa. "Wichtig ist nur, dass wir wollen, dass du ihn tötest. Wirst du es tun?"
Milva schwieg einen Moment. Sie hatte kein Problem damit, einen Menschen zu töten - sie hatte es in ihrem Leben oft genug getan. Sie hatte auch keine Schwierigkeiten, es aus dem Hinterhalt zu tun, oft war es gar nicht anders möglich gewesen. Doch das hier... das war kalter Mord, an einem Schlafenden noch dazu.
Trotzdem nickte sie schließlich und sagte: "Ich werde es tun. Aber warum muss er sterben?" Die Schattenläufer hatten das Ziel, den König und die Fürsten zu töten. Dieses Ziel hatte sie ebenfalls, und dafür mussten Opfer gebracht werden.
"Auch das musst du nicht wissen", antwortete Teressa, und hielt ihr einen Pfeil aus grauem Holz und mit schwarzer Befiederung hin. "Hier, benutz den."
Milva nahm den Pfeil entgegen, und wog ihn einen Moment in der Hand. Der Schaft war ein wenig leichter als sie es gewohnt war, die Befiederung ein wenig schwerer und etwas anders angebracht. Sie nahm den Bogen vom Rücken ohne die offensichtliche Frage zu stellen - warum dieser Pfeil und keiner von ihren eigenen - und legte den Pfeil auf die Sehne. Dann zog sie die Sehne zurück, bis sie ihren salzigen Geschmack im Mundwinkel spürte, zielte und schoss in einer einzigen fließenden Bewegung.
Der Pfeil flog lautlos durch die Dunkelheit, durch das geöffnete Fenster und traf mit einem auf diese Entfernung unhörbaren Aufschlag auf den schlafenden Mann. Dessen Gestalt zuckte einmal kurz, schien sich zu verkrampfen und lag dann still.
"Du bist gut", flüsterte Teressa mit unhörbarer Anerkennung. "Aber wir sollten sofort verschwinden."
Lautlos huschte sie, gefolgt von Milva, die Leiter wieder hinunter und durch die Sackgasse zurück auf die Straße. Nebeneinander gingen sie langsam den Weg zurück, den sie gekommen waren. Irgendwann fragte Milva: "Also, wer war er? Jetzt, wo er tot ist, wird es wohl nicht mehr schaden, wenn ich es weiß."
Doch Teressa schüttelte den Kopf. "Vielleicht wird Ryltha es dir morgen erklären, aber nicht ich. Ich muss jetzt gehen."
"Warum?", fragte Milva verwirrt. "Und was ist morgen?"
"Morgen ist ein wichtiger Tag", erwiderte Teressa mit einem Lächeln, das auf unbestimmte Weise traurig wirkte. "Geh jetzt nach Hause, Milva."
Damit war sie in einer Gasse, deren Öffnung Milva gar nicht bemerkt hatte, verschwunden. "Mein Zuhause ist in Dorwinion", murmelte sie leise vor sich hin, und seufzte. Dann machte sie sich auf den Weg zurück - in der Hoffnung, dass sie sich in der dunklen Stadt nicht verirren würde.

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Re: In den Straßen von Gortharia
« Antwort #18 am: 1. Mai 2017, 12:06 »
In der nächsten Nacht war Milva vorbereitet, als das leise Klettergeräusch an der Hauswand zu hören war. Sie stand, noch vollständig angezogen, von der Bettkante auf. Dann ging sie zum Fenster, öffnete die Läden und blickte an der Hauswand hinunter.
Ein Stück unter ihr hing Teressa an der rauen Holzwand, und blickte zu ihr hinauf. "Kein Grund dir die Mühe zu machen", sagte Milva leise. "Ich komme runter."
Teressa seufzte, und ließ sich auf die Straße unter ihr fallen. Ihr Aufprall war unhörbar, obwohl sie sicherlich fast zwei Meter tief gefallen war.
Nur wenig Augenblicke später trat Milva auf die nächtliche Straße hinaus. Die Stadt war in Nebel gehüllt, der vom Meer hinauf gekommen war, und Teressa wirkte darin beinahe wie ein Geist.
"Die anderen - wir - wollen mit dir sprechen", erklärte die Schattenläuferin ohne Begrüßung, und fügte dann mit plötzlich gesenkter Stimme hinzu: "Du solltest es dir gut überlegen."
"Überlegen?", fragte Milva ungläubig. "Ich dachte, ich hätte den Punkt zur Umkehr schon längst überschritten."
"Es gibt immer einen Weg", gab Teressa leise und eindringlich zurück. "Du könntest gehen und die Stadt verlassen, wir würden dich nicht verfolgen. Aber wenn du heute abend... Danach wirst du selbst dich daran hindern."
"Allmählich habe ich genug von deinen Andeutungen und Warnungen", sagte Milva ungeduldig. Sie hatte kein Verständnis dafür, wenn man etwas zu sagen hatte, sollte man es offen und klar tun. "Ich werde mich nicht umentscheiden, weil das hier das Richtige ist."
Der Zweifel stand Teressa ins Gesicht geschrieben, doch sie erwiderte nichts. Sie führte Milva durch die in Nebel gehüllten Straßen bis zu der unscheinbaren Tür, durch die sie bereits bei ihrem ersten Besuch bei den Schattenläufern den Untergrund betreten hatte.
An der Tür angekommen, drehte Teressa sich noch einmal zu Milva um, doch Milva schnitt ihr bereits im Voraus das Wort ab. "Na los, schließ auf", sagte sie.
Teressa zögerte nur einen Augenblick, dann zuckte sie mit den Schultern, und öffnete die Tür.

Milva in den Untergrund von Gortharia
« Letzte Änderung: 2. Mai 2017, 22:50 von Fine »

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Unterhaltung im Nebel
« Antwort #19 am: 2. Mai 2017, 22:51 »
Cyneric und Salia aus dem Untergrund von Gortharia


Der Schatten von Milvas Silhouette verschwand im dichten Nebel und ließ Cyneric und Salia alleine zurück. Schweigend blieben sie mehrere Minuten stehen, ehe Salia sich schließlich langsam in Bewegung setzte. Das Mädchen schien kein besonderes Ziel zu haben. Sie ist durcheinander, und braucht jemanden, der einfach nur da ist, dachte Cyneric. Seine eigene Tochter hatte auch hin und wieder solche Momente gehabt: Momente, in denen es nicht wichtig war, worüber man sprach, sondern in denen einem gezeigt wurde, dass da jemand war, dem man wichtig war. Salia ging direkt vor ihm, die Kapuze über den Kopf gezogen, und ging einfach nur geradeaus die Straße hinunter. Ihr Atem war deutlich zu hören. Es war kalt in dieser Nacht in Gortharia, und der Nebel schien mit jedem Schritt dichter zu werden. Das half Cyneric dabei, sich in Gedanken an einen anderen Ort zu versetzen: Er ging über den ausgetretenen Weg, der mitten durch Hochborn bis zu seinem eigenen kleinen Haus führte, und seine Tochter Déorwyn ging vor ihm her, verborgen unter der grünen Kapuze ihres Umhangs. Als er jedoch ein verdächtiges Luftholen hörte, wurde Cyneric rasch aus dem Traumbild gerissen und war wieder in Gortharia, in der Gegenwart. Salias Schritttempo hatte sich stark verlangsamt, und als Cyneric sah, wie sich ihre Schultern merklich hoben und senkten, wusste er was los war. Er legte dem Mädchen sachte die Hände auf die Schultern und stellte fest, dass er richtig gelegen hatte. Sie schreckte weder zurück noch riss sie sich los. Stattdessen blieb sie beinahe regungslos, abgesehen davon, dass sie sich leicht rückwärts lehnte und dabei Halt an ihm suchte und fand. Er spürte deutlich, wie ein Beben durch Salia ging. So etwas hatte Cyneric schon einmal gesehen: Gefühle, die sich angestaut hatten und unterdrückt worden waren, entluden sich nun. Mehrere lange Augenblicke blieb Salia still, doch dann drehte sie sich zu ihm um, das tränenüberströmte Gesicht voller Fragen und Erwartung. Sie hatte lautlos geweint: ein letzter Protest gegen die hochkommenden Emotionen, da sie keine Schwäche hatte zeigen wollen. Cyneric wusste, was zu tun war. Rasch legte er die Arme um sie, und Salia vergrub das Gesicht an seiner Brust. Und endlich ließ sie los und gab den Widerstand auf. Schluchzend stand sie da, für den Moment verletzlich, und doch in Sicherheit.
Obwohl es spät war, wartete Cyneric geduldig darauf, dass Salia sich von selbst beruhigte. Er wusste, dass Worte nicht dabei helfen würden. Er strich ihr nur sanft über den Kopf und hielt sie im Arm, Geborgenheit und Sicherheit ausstrahlend. Das war es, was seine Tochter immer gebraucht hatte, und Salia schien es ähnlich zu gehen.

Einige Zeit später löste sich Salia vorsichtig von ihm und wischte sich mit dem Handrücken die feuchten Wangen ab. Sie blickte zu ihm auf und sah Cyneric in die Augen.
"Niemand darf hiervon erfahren," wisperte sie. "Vor allem nicht..."
"Ich weiß," sagte er. "Es gibt nichts, worum du dich sorgen musst, Salia."
Sie schlug die Augen nieder. "Dieser Name ist nicht... Cyneric, du kennst mich doch kaum. Wie konntest du nur so... Woher wusstest du nur, was ich...?" Die Frage verhallte unbeendet.
"Wie alt bist du?" fragte Cyneric im Gegenzug. "Sicherlich nicht viel älter als zwanzig, wenn ich schätzen müsste." Da von Salia keine Widerrrede kam, nickte Cyneric leicht und sah seinen Verdacht als bestätigt an. "Ich habe eine Tochter in deinem Alter, wie du vielleicht weißt. Ryltha und Morrandir wissen es jedenfalls. Sie ist dir in einer Hinsicht sehr ähnlich: Wenn ihr alles zu viel wird, braucht sie jemanden, der sie einfach nur hält und ihr Geborgenheit vermittelt. Du hast deine Gefühle zu lange unterdrückt, Salia. Irgendwann mussten sie ja deinen Schutzwall durchbrechen."
"Aber... es war doch nur Milva, die... Ich weiß nicht, was das ausgelöst hat," stotterte Salia.
"Vielleicht hast du selbst etwas im Brunnen gesehen, als Milva hineingeblickt hast?" überlegte Cyneric. "Ich zumindest glaubte für einen Augenblick ein Bild meiner Tochter zu sehen, wie sie aus Hochborn floh. Weißt du, das ist der wahre Grund warum ich das hier überhaupt mache. Diese ganze Sache mit den Schattenläufern."
"Leise, leise!" zischte Salia und ihre Augen weiteten sich. "Du weißt nicht, wer zuhört! Lass uns einen etwas weniger öffentlichen Ort suchen. Und dann reden wir."

Rasch führte Salia Cyneric durch mehrere Straßen und Gassen bis in ein Viertel, das er seit seiner Ankunft in Gortharia noch nicht betreten hatte. Es schien hauptsächlich das Wohngebiet jener Bürger zu sein, die zwar eine Stufe über dem einfachen, armen Volk standen, sich aber weder zum Adel noch zu den Reichsten zählen konnten. Salia stoppte schließlich am Tor eines kleinen Gartens, der an drei Seiten von hohen Hausmauern umgeben war und von der Straße durch eine mannshohe Mauer getrennt wurde. Rasch schloss sie auf und winkte ihn herein.
"Hier ist es sicher," sagte sie, obwohl sie ihre Stimme noch immer etwas gedämpft hielt. Salia setzte sich auf eine der beiden kleinen Bänke, die neben den einzigen Baum standen, der den Garten zierte. Er war nicht sonderlich hoch, aber dafür breit, und hing voller Kirschen.
"Erzähl mir von deiner Tochter. Ihr Name ist Déorwyn, nicht wahr?" fragte Salia und schlug die Beine übereinander. "Ich habe allerdings gehört, dass sie sich nun anders nennt."
"Wie meinst du das?" fragte Cyneric "Ich dachte, der Brunnen zeigt nur Bilder."
"Nun, das haben zumindest Ryltha und Morrandir gesagt, als sie sich über dich beraten haben. Der Name war kurz, wie ein Spitzname. Ich glaube, er begann mit K..."
"Es ist nicht wichtig," meinte Cyneric. "Ich weiß, wie ich sie genannt habe, als sie geboren wurde, und für mich wird sie immer mein kleines Mädchen bleiben, selbst wenn sie einst selber Kinder haben sollte. Ich habe dir gesagt, dass sie der Grund für all das hier ist, und dazu stehe ich. Sie ist alles, was mir geblieben ist, Salia. Meine Frau, meine Eltern und mein Dorf sind fort. Nur Déorwyn ist noch übrig. Sie ist dort draußen irgendwo... und ich werde sie finden."
"Und der Brunnen kann dir zeigen, wo," schlussfolgerte Salia. "Aber der Preis, Cyneric! Der Preis ist zu hoch!"
"Nein," gab er entschieden zurück. "Kein Preis ist mir zu hoch. Ich werde alles tun - alles, verstehst du?"
Salia starrte ihn einen langen Augenblick an. "Du weißt noch immer nicht, worauf du dich einlässt," stieß sie hervor und vergaß für einen Augenblick ihre Zurückhaltung. "Sieh dir nur an, was sie mit mir gemacht haben! Sie fanden mich, als ich keinen Ausweg mehr hatte... und das nutzten sie gnadenlos aus. Wusstest du, dass Ryltha einst ebenso war wie ich? Aber sie hatte niemanden, der für sie da war. So wie ich niemanden habe. Und jetzt ist die Wirkung dieses verdammten Gebräus bei ihr so weit fortgeschritten, dass es kein Zurück mehr gibt."
"Aber für dich nicht," sagte Cyneric sachte. "Für dich ist es noch nicht zu spät, Salia. Du hast unrecht: du hast jemanden, der da ist. Auch wenn ich dich kaum kenne, wie du selbst sagst."
Salia blickte auf, und Hoffnung glitzerte in ihren Augen. "Tu das nicht..." flüsterte sie. "Tu es nicht, nur weil ich dich an deine Tochter erinnere. Wenn du mir hilfst, zerstörst du damit jegliche Gelegenheit darauf, Déorwyn jemals zu finden. Das bin ich nicht wert..."
"Ich entscheide, wem ich helfe, junge Dame," stellte Cyneric klar. "Diese... Teressa, die sie aus dir machen wollen... das bist nicht du."
"Du weißt nicht, wer ich bin," wehrte Salia weiter ab, doch ihr Widerstand schwand mit jedem Wort Cynerics.
"Dann ändern wir das. Erzähl mir von dir. Erzähl mir, wer Salia ist, und wo sie herkommt."
"Nicht hier... nicht jetzt..."
"Jetzt ist die beste Gelegenheit. Jetzt stehst du nicht unter dem Einfluss des Trankes."
"Verdammt!" rief Salia. "Also gut, du hartnäckiger Narr. Ich hoffe, du bist zufrieden, wenn wir erwischt werden und grausam zu Tode gefoltert werden. Komm. Gehen wir nach drinnen... dort ist es wärmer."
Cyneric dachte noch darüber nach, ob sie das mit der Folter ernst gemeint hatte, doch Salia war aufgesprungen und zum hinteren Ende des Gartens gelaufen. Sie öffnete eine kleine Tür, durch die warmes Licht drang.
"Du willst wissen, wer ich bin? Du sollst es erfahren," sagte Salia während sie an der Türschwelle auf ihn wartete. "Heute Nacht wird die Besitzerin dieses Hauses nicht hier sein. Wir haben also genug Zeit."
Rasch folgte Cyneric ihr ins Innere...


Cyneric und Salia in Rylthas Haus
« Letzte Änderung: 3. Mai 2017, 23:23 von Fine »
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Re: In den Straßen von Gortharia
« Antwort #20 am: 4. Mai 2017, 21:18 »
Milva aus dem Untergrund von Gortharia

Am nächsten Morgen erwachte Milva unausgeschlafen und mit fürchterlicher Laune. Ihr Erlebnis mit dem Brunnen hing ihr immer noch nach, die Bilder, die sie gesehen hatte, ließen sie nicht los. Und dann war da noch die Tatsache, dass die Schattenläufer sie benutzt hatten um einen Feind des Königs zu töten. Morrandirs Erklärung hatte zwar einen unangenehmen Sinn ergeben, doch trotzdem fragte Milva sich, ob sie überhaupt irgendetwas glauben konnte, was die Schattenläufer sagten.
Zu viel Wissen kann gefährlich sein, hatte Teressa gesagt. Doch hatte sie damit gemeint, dass dieses Wissen Milva selbst gefährden könnte - oder nur ihre Loyalität zu den Schattenläufern? Sie konnte es nicht leiden, benutzt zu werden. Vielleicht sollte sie sich nach Alternativen umsehen, nach anderen Freunden und Verbündeten, doch sie kannte niemanden in Gortharia - zumindest niemanden mit Einfluss, der ihr in dieser Sache helfen würde.
Da Herrin Velmira ihre Dienste an diesem Tag offenbar nicht benötigte und Ronvid tagsüber in seiner Werkstatt beschäftigt war und ihr nicht weiter das Lesen beibringen konnte, unternahm Milva nach einem kurzen Frühstück einen Streifzug durch die Stadt. Die Menschenmengen auf den Straßen irritierten sie jedes mal von neuem und sie vermisste in den engen Gassen wie Offenheit der Wildnis, und trotzdem war es besser, als den ganzen Tag untätig in ihrem Zimmer herumzusitzen.
Einige Zeit wanderte sie ziellos umher, mit den Gedanken anderswo. Bedenke, dass unser Schicksal uns alle einholt. Was hatte die Herrin - wenn sie es wirklich gewesen war - gemeint? Was war es, dass Milva tun sollte, und würde ihr Schicksal sein? Ungefragt stand ihr das Bild des blutigen Dolches in der Nacht wieder vor Augen. Milva erschauderte, schob die Gedanken fort und versuchte, sich stattdessen auf ihre Umgebung zu konzentrieren. Sie hatte einen kleinen Marktplatz erreicht, auf dem einige Händler ihre Waren anpriesen. In der Mitte erhob sich die schwarze Statue eines Kriegsherren mit einer mächtigen Keule in der Hand. Milva wusste, wen die Statue darstellte, denn selbst in den Städten Dorwinions hatte es Abbilder von Sauron, dem Herrn von Mordor, gegeben. Der Statue schenkte Milva keinen zweiten Blick, doch ein kleiner Mann in bunten Kleidern, der an ihrem Fuß saß, erregte ihre Aufmerksamkeit.
Er spielte eine muntere Melodie auf einer Laute, und sag dazu etwas, dass sich als Spottlied auf einen der früheren Könige Rhûns entpuppte.
Milva blieb einige Zeit stehen und lauschte den spöttischen, hintergründigen Versen des Spielmannes. Der Mann hatte eine schöne Stimme und hatte zu Anfang seines Liedes noch gelächelt, doch je länger er sang, desto ernster wurden seine Miene und desto deutlicher verglich er den närrischen Tyrannen der Vergangenheit mit König Goran. Die Zuhörer, die eben noch lachend gelauscht hatten, begannen unbehaglich zu tuscheln, und einer nach dem anderen ging wieder seiner Wege, schnell, als wollte er möglichst viel Abstand zwischen sich und den Spielmann bringen.
Milva wollte das Ende des Liedes abwarten, neugierig, wie weit der Spielmann gehen würde, wurde jedoch plötzlich von hinten angerempelt und unsanft zur Seite geschoben. Sie wollte den unhöflichen Kerl gerade zornig anfahren, als sie die goldene Rüstung der Stadtwachen erkannte. Stattdessen wich sie einen Schritt zurück, gerade als der Anführer der Wächter laut zu dem Spielmann sagte: "Du! Wir haben gehört, du singst Spottlieder auf den König und seine Ratgeber?"

Der Spielmann war bleich geworden, legte aber äußerlich ruhig seine Laute beiseite, und erwiderte mit kaum zitternder Stimme: "Nein, da muss ein Irrtum vorliegen. Ich habe lediglich unseren gnädigen Herrscher mit den närrischen Königen der Vergangenheit verglichen, was sehr zu seinem Vorteil ausgefallen ist."
Der Anführer der Stadtwächter schnaubte verächtlich. "Solche Ausreden haben wir schon oft gehört. Genützt haben sie keinem einzigen von euch... Aufwieglern." Er nickte seinen beiden Begleitern zu, die den Spielmann an den Armen packten. "Na los. Wollen doch sehen, ob du nicht gestehst, wenn wir dich ein wenig pieksen..." An den Rest der Menge gerichtet rief er: "Lasst euch das ein Beispiel sein, was mit denen passiert, die versuchen, euch in böser Absicht zu Rebellion und Aufstand aufzuwiegeln."
Ohne darüber nachzudenken, setzte Milva einen Fuß nach vorne. Sie wusste nicht, was sie tun oder sagen wollte, und eigentlich wollte sie ganz sicher nicht ihre Freiheit und ihr Leben für einen Spielmann aufs Spiel setzen, und trotzdem...
Eine Hand schloss sich um ihren Oberarm, so fest, dass es beinahe weh tat. Milva wandte den Kopf, und sah sich einer jungen Frau mit hellen, von dunkleren Strähnen durchzogenen Haaren gegenüber. "Nicht", zischte sie. Bevor Milva erwidern konnte, dass sie gar nichts hatte tun wollen, hörte sie das unverkennbare Zischen von Pfeilen, die durch die Luft flogen. Im nächsten Augenblick brachen die beiden Wächter, die den Spielmann festhielten, zusammen, und aus ihren Kehlen ragten Pfeile. Der Spielmann selbst hatte plötzlich einen Dolch in der Hand, den er dem noch stehenden Anführer ohne Zögern in den Rücken rammte.
Die Hand verschwand von Milvas Arm, als die Frau ebenfalls einen Dolch hervorzog und vor den in die Knie gegangenen Stadtwächter trat.
"Ihr sollt ein Beispiel dafür sein, was die Schwarze Rose mit jenen macht, die die Menschen von Rhûn unterdrücken und für die Kriege ihres dunklen Herrn missbrauchen!" Sie stieß dem Wächter ihren Dolch in die Kehle. Der Mann stieß einen gurgelnden Schmerzenslaut aus, und kippte zur Seite weg.
Inzwischen hatte sich eine Menschenmenge um das Schauspiel herum versammelt, und  als die hellhaarige Frau ihren blutigen Dolch an der Rüstung des Toten abwischte und sich dann wieder aufrichtete, ertönte von weiter hinten ein einzelner Ruf: "Es lebe die Schwarze Rose!"
Einige weitere nahmen den Ruf ein wenig zaghaft auf, doch der Großteil der Menge blieb stumm. Die Anführerin warf ihr Haar mit einer raschen Kopfbewegung über die Schulter, warf einen Blick über die Menge - wobei Milva glaubte, dass der Blick ein wenig länger an ihr hängen blieb - und verschwand gemeinsam mit dem Spielmann um die Statue und in einer Nebengasse.

Auch Milva entschied sich, so schnell wie möglich von diesem Ort zu verschwinden. Wer wusste schon, was geschah, wenn die Freunde der ermordeten Gardisten hier auftauchten. Auf dem Weg zurück dachte sie über das Geschehene nach. Offenbar waren die Schattenläufer nicht die einzigen, die sich gegen den König und seine Fürsten stellten. Die Schwarze Rose, wie diese andere Gruppe sich nannte, schien allerdings deutlich offener vorzugehen. Jedenfalls konnte Milva sich nur schwer vorstellen, dass die Schattenläufer sich so offen zu einer ihrer Taten bekennen würden - ihr Weg schien eher der der Täuschung und des Fädenziehens im Hintergrund zu sein.
Sie wünschte sich, sie hätte jemanden um darüber zu reden. Doch der einzige Mensch in Gortharia, der dazu geeignet schien war Cyneric - er stand offensichtlich auf ihrer Seite, und schien nicht so verschlossen zu sein wie die übrigen Schattenläufer. Und im Gegensatz zu Ronvid und Ana, die vollkommen unbeteiligt waren, würde ein solches Gespräch Cyneric auch nicht in größere Gefahr bringen, als er ohnehin schon war. Das einzige Problem war, dass Milva keine Ahnung hatte, wo sie Cyneric ungestört aufsuchen konnte - weder der Palast des Königs noch irgendein Ort, der mit den Schattenläufern zu tun hatte, erschienen ihr richtig, und wo er sich in seiner freien Zeit aufhielt wusste sie nicht. Außer vielleicht in der Taverne, wo sie ihm vor einiger Zeit bereits zufällig begegnet war. Milva nahm sich vor, es an diesem Abend bereits dort zu versuchen - ihr Leseunterricht würde warten müssen.

Milva zur Taverne "Zum einbeinigen Zweibein"
« Letzte Änderung: 6. Mai 2017, 00:52 von Fine »

Oronêl - Edrahil - Hilgorn -Narissa - Milva

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Ein Mann von Ehre
« Antwort #21 am: 6. Mai 2017, 21:22 »
Milva und Cyneric aus Tianas Taverne


Cyneric fühlte sich schmerzlich an seine Jugend erinnert. An seinen Bruder, genauer gesagt. Ganz besonders an die vielen Frauen, mit denen Cynewulf damals Bekanntschaft geschlossen hatte. Es war immer dieselbe Masche gewesen: Er redete ihnen gut zu, machte ihnen Komplimente, und meistens wurde dazu im großen Maße getrunken. Das führte dazu, dass sich viele Frauen überschätzten, und sich bald sehr ähnlich verhielten wie es Milva nun tat. Cyneric hatte es damals schon nur selten übers Herz gebracht, Cynewulfs Opfern einfach die Tür vor der Nase zuzuschlagen und so immer wieder sturzbetrunkene Mädchen nach Hause zu ihren Eltern gebracht oder in der Scheune in Hochborn übernachten lassen.
Immerhin hatte er aus Milva die ungefähre Lage des Hauses, in dem sie wohnte, herausbekommen. Ihre Fähigkeit, artikuliert zu sprechen, schien sie von Minute zu Minute mehr und mehr zu verlieren, ganz zu schweigen davon, auch nur einen Fuß gerade vor den anderen zu setzen. Cyneric musste Milva an der Hand hinter sich herziehen und darauf achten, nicht zu schnell zu gehen, damit die Jägerin vom Carnen nicht stoplerte. Glücklicherweise schien von den vielen Leuten, die um diese Uhrzeit noch auf den Straßen unterwegs waren, niemand etwas dagegen zu haben dass ein Palastgardist eine nur allzu offensichtlich benebelte Dame mit sich zerrte. So etwas geschah in einer Stadt wie Gortharia wohl nahezu jeden Abend - wenn man Orvar glauben wollte.
Milva blieb stehen und wehrte sich gegen Cynerics Griff. Mit einem entnervten Seufzen drehte er sich zu ihr um und wollte schon zu etwas deutlicheren Worten greifen, als sie sich vornüberbeugte und mit einem ekelerregenden Geräusch ihren Magen entleerte. Cyneric wartete, bis sie fertig war, und zog dann rasch ein sauberes Tuch hervor, um ihr Mund und Gesicht abzuwischen, die beide ziemlich verschmiert waren.
"Wird Zeit, dass du ins Bett kommst," meinte er. "Und deinen Rausch ausschläfst."
"Willst du... wirklich nicht mitkommen?" stieß Milva undeutlich hervor und schenkte ihm ein Lächeln, das wohl aufreizend wirken sollte, aber dank ihrer nahezu umwerfenden Alkoholfahne eher die gegenteilige Wirkung hatte.
"Danke, ich verzichte," lehnte Cyneric ab.
"Spielverderber," schmollte Milva und verschränkte die Arme. Dabei verlor sie jedoch das Gleichgewicht und fiel zu Boden, auf dem Hinterteil landend.
Cyneric gelang es, sich seine Frustration nicht anmerken zu lassen als er sie mit einem Ruck auf die Beine zog. Es ist ja nicht so, dass ich nicht selbst schon das ein. oder andere Mal versucht habe, Sorgen und Frust mit so vielen starken Getränken wie möglich verschwinden zu lassen, dachte er. Er hatte Milvas rechten Arm über seine Schultern gelegt und stützte sie nun, während sie sich ihren Weg durch die belebten nächtlichen Straßen suchten.
Ich hoffe, sie muss morgen nicht zur Jagd oder gar einen Auftrag für die Schattenläufer ausführen. Am besten wäre es, wenn sie ausschlafen oder sogar den ganzen Tag im Bett verbingen könnte.

Eine Gruppe von goldbekleideten Stadtwachen kam an ihnen vorbeimarschiert, und Cyneric musste sich einige gehässige Kommentare gefallen lassen. Die Stadtwache Gortharias hatte schon immer eine Rivalität mit der königlichen Palastgarde gehabt, und dank des neuen Kommandanten der Goldröcke wurde dieses Konkurrenzverhalten nur noch verstärkt. Nach allem was Cyneric über die Stadtwachen gesehen und gehört hatte, trauerte er jenen, die die Schwarze Rose vor kurzem ermordet hatte, kein bisschen nach.
Milva schien noch immer beleidigt zu sein und gab kein Wort von sich. Cyneric war es ganz recht, da er sowieso nicht recht wusste, worüber er mit ihr reden sollte. Sie hatten sich über viele wichtige Dinge ausgetauscht, über die Cyneric während seiner nächsten Wachschicht nachdenken würde, aber beide hatten offenbar alles gesagt, was sie hatten sagen wollen. Milvas Verbindung zum Königshaus von Thal war sehr interessant, und was sie gesagt hatte, hatte Cyneric auf den Gedanken gebracht, was mit Thal geschehen würde, wenn der König Rhûns und die fünf Fürsten nicht mehr da wären. Würde es wieder ein freies Reich werden, so wie es offenbar auch in Dorwinion erhofft wurde? Doch Thal lag direkt am Erebor, in dem der Schatten aus dem Osten saß, wenn die Gerüchte stimmten die Cyneric gehört hatte. Und dann war da noch Saruman... der den König Thals, Bard II., von seiner Verletzung geheilt hatte und der ihn nach Norden mitgenommen hatte. Würde Thal also von der Besetzung durch die Ostlinge befreit werden, nur um dann unter die Herrschaft Sarumans zu fallen? Cyneric wusste es nicht. Die Zukunft Rhûns und seiner eroberten Gebiete hing davon ab, wie erfolgreich die Schattenläufer und die schwarze Rose in ihrer Mission waren. Und dabei konnte Cyneric behilflich sein... auch wenn er das alles eigentlich aus einem ganz anderen Grund tat.
Er fragte sich, wo seine Tochter wohl gerade war. Meist stellte er sich vor, dass sie irgendwo in der Sicherheit einer Zuflucht unter Freunden war, und nur darauf wartete, dass er sie fand. Fast konnte er sie vor sich sehen, auf einer hölzernen Bank sitzend, und ihn direkt anblickend. Ihr Zopf fiel ihr über die rechte Schulter als sie ihm zuwinkte und mit den Lippen einen einzelnen Satz formte: Komm und finde mich.

"Hier ist es," murmelte Milva und blieb stehen. Cyneric musterte nachdenklich das einfache Haus, vor dem sie standen. Es war spät, aber in einem der Fenster war noch ein schwacher Lichtschein zu sehen. Gut, dachte er. Es ist jemand da, der sich um sie kümmern kann.
Milva hatte seine Hand ergriffen und schien auf etwas zu warten. Als Cyneric nicht darauf reagierte, sondern sich anschickte, an die Eingangstüre des Hauses zu klopfen, führte sie seine Hand an ihren Oberkörper und drückte sie dagegen. Es fiel ihm erst auf, als es zu spät war und seine Finger auf etwas Weiches trafen. Rasch entzog er die Hand aus ihrem Griff, der überraschend stark gewesen war und schlug einen strengen Ton an.
"Dieser Schnaps hat dich wohl tatsächlich sämtliches Benehmen vergessen lassen," sagte er, doch Milva gab keine Antwort, sondern versuchte erfolglos, nach seiner Hand zu greifen.
"Komm schon, du weißt gar nicht, was du verpasst," lallte sie.
Cyneric hatte genug davon. Mit einem energischen Klopfen an der Türe des Hauses machte er dessen Bewohner auf sich aufmerksam, während er Milva an den Schultern festhielt und vor sich schob. Die Türe öffnete sich und eine Stimme ertönte.
"Was gibt es? Wir haben nichts verbrochen! Moment, ist das etwa Milva?"
"Wo bist du denn gewesen, Mädchen?" sagte eine zweite Stimme, die einer Frau gehörte. "Was riecht hier denn... bist du etwa betrunken? Oh Ronvid, sie ist betrunken!"
"Ihr da, Gardist, was hat das zu bedeuten?" fragte der Mann der die Türe geöffnet hatte, und den die Frau Ronvid genannt hatte.
"Keine Sorge, guter Mann," sagte Cyneric beruhigend. "Ihr habt nichts falsch gemacht. Milva wohnt hier, richtig? Sie hat... nun, deutlich zuviel getrunken, und ich habe sie hergebracht, ehe ihr etwas zustoßen oder sie auf dumme Gedanken kommen konnte."
"Kommst du mit nach drinnen, ja?" versuchte es Milva ein letztes Mal.
"Bitte kümmert euch um sie," bat Cyneric ohne auf Milva einzugehen. "Sie braucht jetzt Schlaf."
"Nein, was ich brauche, ist ein richtig schöner, ordentlicher..." Der Rest von Milvas Satz ging gnädigerweise in einem Hustenanfall unter.
"Ana und ich werden dafür sorgen, dass sie sich wieder erholt," sagte Ronvid. "Habt Dank, dass Ihr sie wohlbehalten hergebracht habt. Es gibt also wirklich noch gute Leute, die in Diensten des Königs stehen. Ich hatte schon daran gezweifelt. Aber Ihr? Ihr seid ein Mann von Ehre."
Ana - Ronvids Frau - hatte einen Gesichtsausdruck aufgesetzt, den Cyneric nur allzu gut von seiner eigenen Mutter kannte. Wenn sie diesen Blick im Gesicht hatte, hatten Cyneric und sein Bruder gewusst, dass sie das Weite suchen mussten um ihrem Zorn zu entgehen. Insgeheim freute er sich. Sieht aus, als bekäme Milva nun einen ordentlichen Denkzettel verpasst, dachte er. Doch dann fiel ihm wieder ein, was dazu geführt hatte dass Milva so viel getrunken hatte. Und tatsächlich nahm Ana Milva an der Hand und zog sie ins Innere des Hauses, wo sie sogleich auf die junge Frau einzureden begann.
"Was hast du dir dabei nur gedacht? Du riechst wie der versoffenste Grobian in König Gorans Kerker. Wir haben uns Sorgen um dich gemacht!..." Die Tirade verklang, als die beiden sich von der Tür entfernten.
"Nun, meine Arbeit hier ist getan," sagte Cyneric. "Ich hoffe, Milva macht keine zu großen Umstände."
"Nein, nein," beschwichtigte Ronvid. "Sie ist ein gutes Mädchen. Nur sollte man sie wohl vom Alkohol fernhalten..."
"In der Tat," bestätigte Cyneric und wünschte Ronvid eine gute Nacht, ehe er sich abwandte und die Straße hinab in Richtung des Palastes ging.

Ich werde Milva nach Kräften helfen, entschied er. Erst Salia, und nun Milva... alle könnten sie meine Hilfe gebrauchen. Ich muss aufpassen, dass mir hier in Gortharia keine Verpflichtungen im Wege stehen, wenn ich endlich eine Spur meiner Tochter finde...


Cyneric zum Königspalast
« Letzte Änderung: 6. Jun 2017, 22:32 von Fine »
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Eandril

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Re: In den Straßen von Gortharia
« Antwort #22 am: 9. Mai 2017, 14:40 »
Als Milva erwachte, brauchte sie einen Moment um herauszufinden, wo sie war. Sie hatte ein Blätterdach über sich und den Gesang der Vögel erwartet, doch über ihr befand sich eine Decke aus rauen Holzbalken, und von draußen drangen die Geräusche einer Stadt herein. Sie blinzelte verwirrt, bevor die Erinnerung zurückkehrte: Sie war in Gortharia. Aber warum schmerzte ihr Kopf so... ah.
Milva richtete sich langsam auf, setzte sich auf die Bettkante und presste die Hände gegen die Schläfen. "Oh, verflucht..." Sie atmete langsam tief ein und aus, während der Rest der Erinnerung zurückkehrte. Sie hatte Cyneric in der Taverne getroffen, und... sie hatte ihm von Miran erzählt. Kein Wunder, dass sie einen solchen Kater hatte - über diese Dinge zu sprechen oder auch nur über sie nachzudenken, konnte sie nur mit jeder Menge Alkohol ertragen.
"Eine schöne Weihe bist du...", murmelte sie vor sich hin, während sie mühsam auf die Beine zu kommen versuchte. "Eher ein dummes Huhn."
Sie schlurfte hinüber zum Fenster und blickte hinaus. Die Sonne stand bereits hoch am Himmel, offenbar hatte sie ziemlich lange und fest geschlafen. Während sie hinaus auf den verlassenen Hinterhof blickte, erinnerte Milva sich an die übrigen Geschehnisse am Abend zuvor, und errötete unwillkürlich. Hatte sie in ihrem erbärmlichen Zustand tatsächlich versucht, Cyneric zu verführen - oder war das nur eine vom Alkohol eingegebene Einbildung. In jedem Fall war es wohl nicht sonderlich erfolgreich gewesen.
Sie stützte die Ellbogen auf die hölzerne Fensterbank und das Kinn in die Hände, und dachte nach, während sie versuchte den hämmernden Schmerz in den Schläfen zu bekämpfen.
Cyneric sah tatsächlich recht gut aus... Vielleicht sollte sie ihr Werk von gestern Abend ein wenig fortsetzen. Im schlechtesten Fall wäre es ihm höchstens unangenehm und konnte vielleicht für ein paar interessante Gespräche sorgen... und dem anderen Ergebnis wäre sie auch nicht unbedingt abgeneigt. Aber sie glaubte nicht, dass es dazu kommen würde, dazu hatte der Mann aus Rohan viel zu sehr den Hang dazu, alle jüngeren Frauen mit den Augen eines Vaters zu betrachten. Zumindest war das ihr Eindruck.
Milva schüttelte den Kopf, und bereute es so gleich als ihn ein scharfer Schmerz durchzuckte. Das sollte sie heute vielleicht nicht tun...
Sie ging langsam durch das schmale Treppenhaus hinunter in die kleine Küche, wo Ana saß und Gemüse in kleine Stücke schnitt. Als sie Milva erblickte, lächelte sie und sagte: "Aha. Auferstanden von den Toten?" Milva ließ sich auf den hölzernen Stuhl ihr gegenüber fallen und winkte ab. "Bitte... nicht so laut." Das Lächeln auf Anas von feinen Fältchen durchzogenem Gesicht wurde noch breiter, und ihre dunklen Augen funkelten. "Ich erinnere mich noch, wie Ronvid in seiner Jugend manchmal nach Hause kam...", sagte sie. "Er sah dann am nächsten Morgen genauso aus wie du jetzt."
Milva nickte langsam, erwiderte aber nichts und bekämpfte mit aller Macht die Übelkeit, die die Bewegung hervorgerufen hatte.
"Das ist natürlich gelogen", sagte Ronvids Stimme hinter ihr. Der Schuhmacher hatte den letzten Teil offenbar mitbekommen. "Ich habe nie auch nur einen Tropfen Alkohol angerührt." Ana schnaubte verächtlich und warf ihr klein geschnittenes Gemüse in den großen Topf über der nur schwach glimmenden Glut. Ronvid setzte sich auf den freien Stuhl, und machte eine abwehrende Geste in ihre Richtung. "Hör nicht auf die. Jedenfalls..." Er senkte die Stimme ein wenig. "Ich hoffe, du hattest wenigstens Spaß dabei."
"Nein, ich..." Milva atmete tief durch. "Ich habe über Dinge gesprochen, über die ich eigentlich nie wieder sprechen wollte. Und deshalb habe ich... getrunken."
Die beiden Alten wechselten einen bedeutsamen Blick. "Du hast jemanden im Krieg verloren?"
Milva senkte den Blick, betrachtete das Muster auf der Tischplatte. "Ja. Ich... möchte nicht darüber reden."
"Das ist in Ordnung", erwiderte Ronvid, und tauschte einen erneuten, traurigen Blick mit seiner Frau. "Wir wissen, wie das ist."
"Natürlich", meinte Milva leise ohne den Blick zu heben. Dann beschloss sie, sämtliche Vorsicht über Bord zu werfen. "Deswegen bin ich ja hier, und daher kenne ich Cyneric. Wir... arbeiten mit ein paar Leuten zusammen, die versuchen, den Krieg zu beenden und unser Leben besser zu machen."
"So etwas wie die Schwarze Rose?", fragte Ana. "Ihr habt also davon gehört", stellte Milva fest. "Nicht ganz so wie die, aber mit ähnlichen Zielen, glaube ich. Deswegen muss ich auch lesen lernen, und... ich sollte euch das eigentlich gar nicht erzählen."
"Mehr müssen wir auch nicht wissen", erwiderte Ronvid, der schweigend zugehört hatte, ruhig. "Ich habe nicht vor, auf meine alten Tage noch auf dem Henkersblock zu enden, aber ebenso wenig habe ich vor, unserem gnädigen Herrscher auch nur entfernt einen gefallen zu tun. Wir werden keine Fragen stellen wohin du gehst und was du tust. Was wir nicht wissen, können wir auch nicht verraten."
"Danke", meinte Milva erleichtert. Einen Moment lang hatte sie befürchtet, dass Ronvid sie vor die Tür setzen oder sogar der Wache melden würde. Sie war sich nicht sicher ob sie im Stande gewesen wäre, etwas dagegen zu unternehmen - nicht nur aufgrund ihres erbärmlichen Zustands, sondern auch, weil sie den beiden nicht schaden wollte.
Ronvid stand auf, ging zur Tür und wandte sich dann noch einmal um. "Bevor ich es vergesse - ein Bote von deiner Herrin war heute Morgen hier. Wir haben ihm erzählt, dass du krank bist und heute unmöglich das Bett verlassen kann. Er wirkte nicht sonderlich zufrieden, hat aber nicht weiter nachgefragt."
Milva errötete erneut. "Danke. Dann sollte ich wohl morgen dorthin gehen und mich entschuldigen..." Sie konnte es sich nicht leisten, diese Anstellung zu verlieren, denn das würde sämtliche Pläne der Schattenläufer für das Haus Bozhidar zunichte machen.
« Letzte Änderung: 9. Mai 2017, 15:10 von Eandril »

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Curanthor

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Ein schwerer Auftrag
« Antwort #23 am: 9. Mai 2017, 17:06 »
Dragan, Tiana und Kenshin aus dem Untergrund von Gortharia

Die Luft war kühl, über die Dächer der Stadt konnte Dragan die ersten Sonnenstrahlen entdecken. In der Ferne hörte er die ersten geschäftigen Menschen auf den Straßen, doch es waren noch sehr wenige. Er wartete an einer Ecke einer der vielen Gassen, von der er einen guten Blick auf das Geschäft des Seidenhändlers hatte. Es dauerte gar nicht lange, bis Tiana sich zu ihm gesellte, direkt danach kam Kenshin dazu. Tiana nickte ihm stumm und machte ein Zeichen mit drei Fingern, was für das Aufsetzen der Masken stand. Kenshin setzte sich sogleich seinen Helm mit der Dämonenmaske auf, während Tiana ihre weiße Maske aus dem Umhang zog, deren fein gearbeiteten Züge in Qual verzogen war. Er hielt Ausschau ob sie beobachtet wurden, doch es war noch sehr früh und keine neugierigen Augen unterwegs. Schließlich zückte er seine eigene Maske, dessen Gesicht von dunkelrote Flammen über Wange, Stirn und Kinn verziert waren. Sobald er aufgesetzt hatte, musste er sich erst an das leicht eingeschränkte Sichtfeld gewöhnen, doch da er das nervige Teil schon seit einigen Tagen auf hatte, war es nicht mehr ganz so ungewohnt. Auf ein weiteres Zeichen von Tiana zogen sie ihre Mäntel enger und die weiten Kapuzen über. Sie versuchten gar nicht unauffällig zu sein. Das hatte Tiana zuvor noch knapp erwähnt. Mit großen Schritten ging Kenshin voraus und hielt auf die Goldröcke zu die sich am Tor langweilten. Dragan und Tiana bogen rasch in eine Seitenstraße ein, als ihr fremdländischer Krieger den großen Platz betrat. Kurz erhaschte er einen Blick auf Kenshin, der eine Hand an sein Katana legte, ehe sie um eine Ecke bogen. Dragan eilte neben Tiana durch die umliegenden Straßen und umgingen so den großen Platz vor dem Haus, in dem die Gefangenen festgehalten wurden.
Als sie eine der Straßen überquerten, die zu dem Platz führten, hörten sie einen lauten Ruf und Waffenklirren. Sogleich beschleunigten sie ihre Schritt. Sie wichen Kisten, Händlern und frühen Reisenden aus, einer Karawane und sogar einem Trupp Stadtwachen, der nicht schnell genug reagierte. Dragan atmete scharf ein, denn die Goldröcke riefen ihnen nach, doch waren sie scheinbar zu faul ihnen hinterher zu laufen. Zumindest hörte er keine Schritte von genagelten Soldatensohlen. Sicherheitshalber machten sie noch einige Umwege, ehe sie etwas außer Atem an der rückwärtigen Seite der Mauer ankamen und sich in deren Schatten drückten. Von der anderen Seite der Mauer hörte man Waffengeklirr und Kampfgeräusche. Dragan hoffte, dass Kenshin damit zurecht kam, denn sie wussten nicht genau wie viele Kämpfer er gegenüber treten musste, doch der Krieger hatte sich nicht davon abhalten lassen es zu versuchen. Rasch blickte er zu Tiana, die gerade sicherging, dass die Sackgasse in der sie sich befanden auch verlassen war und kein Hinterhalt lauerte. Nach einem kurzen Moment nickte sie und Dragan formte mit seinen Händen einen Tritt. Tiana nahm kurz Anlauf und sprang, dank seiner Kraft konnte Dragan sie direkt weiter nach oben schieben, sodass sie sich an einem vorstehenden Stein festhalten konnte. Seine Muskeln begannen sofort zu ziehen, da Tiana offenbar wartete, bis eine Wache auf der Mauer weitergegangen war. Er legte sich für später schon mal einen Kommentar über ihr Gewicht zurecht und biss die Zähne zusammen. Schließlich ließ die Belastung auf seine Muskeln nach, als sie sich auf die Mauer zog. Befreit von dem Gewicht, wandte er sich von der Mauer ab und nahm Anlauf. Nach einem kurzem Sprint sprang er und klammerte sich sogleich in das grobe Mauerwerk. Dabei knickte einer seiner Nägel um, doch er ignorierte den Schmerz so gut es ging. Über ihm hörte er ein erstickendes Gurgeln, kurz darauf fiel etwas Lebloses, Goldenes an ihm vorbei zu Boden. Er grinste gehässig und kletterte geschickt an der Mauer hinauf, ehe sich seine Finger auf den Wehrgang legten. Vorsichtig zog er den Kopf über die Kante und erblickte Tiana, die sich mit einer Wache prügelte, während die anderen beiden mit Bögen auf seine beiden Mitstreiter zielten. Neben ihm funkelte ein Dolch, den er sogleich aufhob. Ein Pfeil verfehlte seine Hand, mit der er sich festhielt nur knapp. "Scheiße!", entfuhr es ihm, als er den Griff verlor und nur mit einer Hand an der Kante hing. Panik kam ihm in auf, als er an den gut sechs Meter tiefen Fall dachte, doch er kämpfte sie nieder und rief seinen Zorn wach. Er warf den Dolch auf die Mauer, der zu Tiana schlitterte, die bereits aus einigen kleinen Schnitten blutete, doch konnte sie gerade einen geraden Hieb auf die Nase des Gegners führen. Der Dolch schlitterte über den Stein und stieß gegen ihren Fuß. Sogleich duckte sie sich, während im gleichen Moment ein Pfeil über ihren Kopf hinwegzischte. Dragan fluchte nochmals und zog sich nun mit beiden Armen auf die Mauer, sogleich fuhr seine Hand zu seiner Innentasche und zog ein vergiftetes Wurfgeschoss. Eine rasche Bewegung später schrie einer der Bogenschützen überraschend auf. Kurz darauf stieß Tiana ihrem Gegner ihren Dolch ins Herz, der vornüber sackte. Dragan sprintete auf den verbliebenden Bogenschützen zu, der gerade einen weiteren Pfeil auf die Sehne legte. Der getroffene Schütze sank derweil ebenfalls zu Boden, zuckte und verdrehte die Augen. Ein rascher Blick verriet ihm, dass er ebenfalls ins Herz getroffen hatte. Das Glück ist uns heute wirklich gnädig, dachte er sich flüchtig und Zog seinen Zirrat. Im Lauf schwang er die Kette mit dem Hammerkopf und wickelte sie um den Hals der letzten Stadtwache. Mit einem Ruck Dragans fiel der Mann auf den Rücken, als er einfach weiterlief. Tiana rammte ihm im Vorbeigehen den Dolch in den Hals. Gurgelnd erstickte der Kerl an seinem eigenen Blut. Feine Blutspritzer hatten die Maske seiner Mitstreiterin besudelt, sie erwiderte seinen Blick und deutete zum Platz hinab. Dort war Kenshin in einem Kampf mit vier Männern verwickelt, doch Dragan hatte keine Sorge um ihn, denn jetzt glaubte er zu wissen, was der Weg des Kriegers ist. Kenshin kämpfte mit Naginata und Katana in jeweils einer Hand und hielt seine Gegner in Schach. Gerade blockierte er zwei Hiebe gleichzeitig mit seinem Schwert und beschrieb einen blitzenden Bogen mit seiner Naginata und verwundete die anderen beiden Angreifer, die stets verglich versuchen ihn einzukreisen.
"Lange hält selbst er das nicht durch, beeilen wir uns!", flüsterte Dragan hektisch, was Tiana nickend bestätigte.
Aufregung packte ihn, als er an das Dach des Hauses trat, in dem wirklich ein kleiner Spalt zu sehen war. Die Dachschindeln waren verschoben. Sein Alter hatte tatsächlich Recht behalten. Gemeinsam schoben sie die roten Schindeln beiseite und schufen eine Öffnung. Tiana bedeutet ihm zu warten, während das Klirren von Stahl noch immer vom Platz hallte. Schließlich nickte sie und schlüpfte durch das Dach. Er folgte ihr sogleich und befand sich in einem Obergeschoss eines großen, umgebauten Lagerhauses. Ein rascher Blick nach unten verriet ihnen, dass das Tor noch immer weit offen stand und die Gefangenen gegen die Zellen traten oder schlugen. Durch die Dielen hindurch konnten sie keine weiteren Wachen ausmachen und traten zu den Zellen, die eng an unter das Dach gebaut worden waren. Die Gefangenen musste knien oder liegen, da es so wenig Platz gab. Dragan schnaubte über die Unmenschlichkeit und schlug mit seinem Hammer ein paar Mal kräftig auf das Schloss der ersten Zelle. Nach vier Schlägen war das Schloss gebrochen und er grinste, was der dankbare Gefangene jedoch nicht erkennen konnte. Alter Stahl und schlecht geschmiedet, dachte er sich triumphierend und begann die restlichen Zellen aufzubrechen. Tiana holte in der Zeit einen Schlüssel aus dem unteren Geschoss und öffnete die Zellen auf der anderen Seite des Hauses.
"Habt Dank, Fremde", sagte eine Frau in abgerissenen Kleidern und dunkelroten Haaren.
"Wer seid ihr?", fragte ein Mann mit kahlem Schädel und einigen Blutergüssen im Gesicht.
Einer der Befreiten drängelte sich durch die gut zwanzig Menschen und deutete auf die Maske von Tiana: "Anastia, die Schreckliche", zum allgemeinen Erstaunen verneigte sich der Mann, "Meine Anführerin, ist der Zirkel soweit?"
Dragan blickte den Kerl mit  langen, stahlschwarzen Haaren an. Er hatte einen kräftigen Körperbau und die Statur eines Kämpfers. Dicke Muskelstränge schlängelten sich um seine Arme, die von roten Striemen bedeckt waren. Der Mann trug nur eine abgerissen Lederhose, was seinen muskulösen Oberkörper betonte. Einzelne Stoppeln im Gesicht des Kerls erinnerten Dragan daran, dass er sich selbst auch nochmal rasieren müsste. Rasch schob er den Gedanken beiseite, denn er hatte Tiana mit "die Schreckliche" angesprochen.
Ehe er Etwas sagen konnte, erhob Tiana jedoch ihre Stimme: "Meine Freunde, der Zirkel wird jeden retten, der zu Unrecht verhaftet wurde. Wir werden nicht länger mit ansehen wie unser Volk ausgepresst wird und gierige Menschen nach Macht greifen und diese ständig mehren. Das gilt für jede Art Mensch. Der, der nach Macht greift wird von uns seine Hand verlieren. Wir wollen Frieden und dazu ist uns jedes Mittel recht. Sie wollen den Krieg, so wie sie uns behandeln und den bekommen sie. Ich bin Anastia vom Zirkel und wir werden dieses Land dem Volk zurückgeben."
Getuschel ging durch die Menschen, einige Nickten zustimmend und der Kerl, der noch immer sich verneigt hatte erhob stolz das Haupt. Ehe Dragan Etwas fragen konnte, gab Tiana Befehl zum Befreien der unteren Etage. Zu seinem Erstaunen folgten die Gefangen ihren Worten, zurück blieben nur sie, er und der muskulöse Kerl von vorhin.
"Schreckliche, wer ist das? Ein neues Mitglied?", fragte der Mann an sie gewandte und elickte Dragan abschätzend an. Er erwiderte den Blick gehässig, doch im schummerigen Licht in dem Haus konnte er es nicht erkennen.
"Ja, er ist ein guter Mann. Reize ihn nicht und ihr werdet auskommen. Nun, stehst du noch immer hinter unserer Sache, Stier?" Dragan bemerkte überrascht eine schneidende Kälte in ihrer Stimme, die er nicht erahnt hätte. Dennoch konnte er sich nicht ein Schmunzeln verkneifen, denn der Deckname des Mannes passte wie die Faust aufs Auge. Dragan sah, dass der Stier sich gekränkt fühlte, dennoch nickte er und beteuerte seine Treue. Ehe er noch mehr sagen konnte, schnitt Tiana ihm das Wort mit einer Geste ab und bedeutete ihm sich zu bewaffnen. Aus dem unteren Geschoss hörte er ein Getöse und die Rufe der übrigen Gefangenen die gerade befreit wurden.
"Wir sollten zu Kenshin!", wisperte er eindringlich an Tiana gewandt, die sogleich nickte und ein Beil zog. Erstaunt blickte er sich um und fragte sich, wo sie die Waffe versteckt hatte. Ihm blieb jedoch keine Zeit darüber nachzudenken, denn sie marschierten die Treppe hinab und konnten schon durch das Tor sehen, dass es Probleme gab. Kenshin wirkte erschöpfte und hatte nur einen Mann töten können, stand aber nun sechs Gegnern gegenüber. Seine Rüstung hatte schon einige Schäden davongetragen und auch seine anfänglichen drei Feinde bluteten stark.
"Bewaffnet euch, los", rief Tiana sogleich und nickte Dragan zu. Er verstand und gemeinsam schritten sie zum Tor hinaus. Dragan zog vier Wurfdarts und warf sie jeweils nach kurzen zielen. Zwei traf er in den Nacken, die anderen beiden Geschosse prallten von den goldenen Rüstungen ab. Der missglückte Angriff wurde sogleich bemerkt und vier der Wachen wandte sich zu ihnen um. "Verdammt!", fluchte er und blickte zu Tiana, die jedoch nur ihre Schultern durchrollte. Hinter ihnen kamen die ehemaligen Gefangenen heran und liefen mit improvisierten Waffen gegen ihre Peiniger an. Dragan hielt sich zurück, doch selbst Tiana stürmte vor um Kenshin zur Hilfe zu eilen. Während die fünfzehn befreiten Kämpfer sich auf die vier Wachen stürzten, hielt Dragan sich weiter hinten und versuchte seinen beiden Gefährten den Rücken frei zu halten. Tiana duckte sich unter einem Schwerthieb und hackte mit ihrem Beil den Mann in die Finger. Sogleich ließ er schreiend die Waffen fallen. Kenshin nun nur noch von zwei Männern bedrängt gewann die Oberhand und stach einer Wache seine Naginata durch den Bauch, während er mit seinem Schwert die Waffe des anderen Kerls band. Tiana ließ den Mann mit den bluten Fingerstumpen stehen und sprang den verbliebenden unverletzten Wächter mit einem untypischen Schrei an. Überrascht schüttelte sich der Mann und versuchte sie abzuwerfen, doch bei dem Handgemenge fand ihr Beil den Weg in das Gesicht ihres Feindes. Es knirschte kurz und der Kerl schrie, ehe er zu Boden fiel. Tiana rollte sich über den Rücken ab und sah gerade noch rechtzeitig den Schwerthieb kommen. Dragan reagierte sofort und warf einen vergifteten Dart auf den Kerl, den sie zuvor die Finger abgeschnitten hatte. Die Wache hatte einfach die Hand gewechselt und Tiana blockte den Hieb auf erstaunlicher Weise mit ihren Unterarmen. Ein Klirren verriet ihm, dass sie metallene Unterarmschienen trug. Dragans Dart landete im Hinterkopf der Wache, der sofort danach griff. Es dauerte keine zwei Sekunden bis er zu Boden sank und wie verrückt zuckte. Die Kämpfe kamen zum Erliegen und die drei Kampfgefährten nickten keuchend einander zu. Von den fünfzehn Gefangenen waren noch elf übrig, die gerade die Leichen der Goldröcke plünderten. Dragan schüttelte nur unmerklich den Kopf, während Kenshin sich neben ihm schwer auf seine Naginata stützte.
"Alles in Ordnung?", fragte er an den Krieger gewandt, der nur matt nickte.
"Nur sehr erschöpft, keine große Verletzung", antwortete Kenshin leise und ließ das Blut von seiner Klinge spritzen.
Der Platz war übersät mit Toten und verschmiert mit Blut. Dragan bemerkte erst jetzt, dass in den Straßen, die zu dem Platz führten hunderte Schaulustige standen und aufgeregt tuschelten. Die Gefangenen, die sich nicht an dem Kampf beteiligt hatten rannten aus dem Haus und verschwanden sogleich in der Menge, die verhalten jubelte.
Tiana trat neben ihm und stemmte die Hände in die Hüften. "Ich glaube, heute habe ich dich überrascht", gestand sie vergnügt und wischte das Blut von ihrer Waffe am Mantel ab, "Jetzt sollten wir sofort verschwinden und...", sie stockte und blickte zum Himmel. Sie Sonne strahlte nun hell auf sie herab und ein einzelner Vogel kreiste über den Platz. Trotz der Maske hörte Dragan sie leise fluchen. Er legte fragend den Kopf schief, während Tiana seufzte. "Es ist noch nicht vorbei... das ist ein Falke."
Dragan fluchte ebenfalls, während Kenshin alarmiert den Kopf hob.
« Letzte Änderung: 9. Mai 2017, 17:22 von Curanthor »

Curanthor

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Eine überraschende Wendung
« Antwort #24 am: 26. Mai 2017, 00:21 »
Die neugierigen Mengen zerstreuten sich rasch, als eine gewissen Unruhe sich breit machte. Auf einer der großen Hauptstraßen standen plötzlich dutzende vermummte Gestalten, sie trugen Säbel, Schwerter, Dolche. Dragan erkannte auch einigen Bogenschützen unter ihnen, aber auch zwei Stierschleuderkämpfer. Die merkwürdigen Waffen kannte er aus seiner Heimat. Umfunktionierte Bolas, mit denen man sonst Stiere fing, nun mit eisernen Ketten verbunden, die überall Widerhaken aufwiesen. Sogleich wandte er sich an seine zwei Gefährten und machte sie auf die Gefahr aufmerksam. Ein schriller Pfiff ertönte und der Falke stieß einen schrillen Schrei aus und landete auf dem Arm des Anführers der Bande.

Dragan zählte mehr als zwanzig Leute, wobei ihre eigenen Reihen beängstigend dünn waren. Neben sich hörte er Tiana fluchen: "So war es eigentlich nicht gedacht gewesen."
Er zog einige vergiftete Darts aus seiner Kleidung, während die feindlichen Assassinen auf den Platz strömten. Ihre eigenen Kämpfer schwärmten ebenfalls aus und Kenshin stellte sich vor ihm.
"Was soll das, du kannst ja kaum stehen", sagte Dragan sogleich und schob den Krieger wieder zur Seite, "Halte uns den Rücken frei."
Der Krieger blickte ihn kurz nachdenklich an, nickte jedoch und stellte sich an seinen Rücken. Dragan ließ seinen Blick schweifen und achtete genau auf die Position der Fernkämpfer, dass er sie rasch ausschalten konnte.
"Anastia", rief die Stimme des Falken gebieterisch, "Ihr seid umstellt und dem Tode geweiht. Gebt auf und werft eure Waffen fort, dann verspreche ich euch einen schnellen, schmerzlosen Tod."
"Jeder Mensch, der dieses Land zu Grunde richtet ist dem Tode geweiht", entgegnete seine Kampfgefährtin ruhig und wandte sich an die befreiten Kämpfer, "Er bietet euch noch nicht einmal eine Belohnung an. Seht was aus diesem Land geworden ist. Schlächter und Ausbeuter herrschen über die Massen!"
"Sagt die, die ihr Gesicht versteckt. Eine feige Bande von Mördern!", erwiderte der Falke und lachte gehässig.
"Was für ein dämlicher Dialog", rief eine neue Stimme und eine Frau sprang von einem der Häuser. Elegant rollte sie sich auf dem Pflaster ab und klopfte sich den Staub aus den Kleidern. Sie trug eine leichte Tunika, die mehr zeigte, als verdeckte, doch der schwarze Turban auf ihrem Kopf verbarg sämtliche Gesichtszüge.
Dragan fielen sofort die eleganten Dolche auf, die in goldenen Scheiden steckten. Er fluchte innerlich.
"Ah, der Fuchs ist zurück", sagte der Falke mit Überraschung in der Stimme und sogleich sprangen zehn weitere Kämpfer des Königs von den Dächern auf den Platz.
Dragan machte vorsichtig einen Schritt zurück und musterte die Frau, die mit "Fuchs" angesprochen wurde, welche gerade lachte. Ihre großen Brüste schimmerten halb unter der seidigen Tunika hervor, einzig um ihre Hüften hatte sie einen Rock aus festen Stoff gezogen. Darüber trug sie den Gürtel mit Dolchen. Ihr drahtiger Körper schien nicht recht gefährlich zu wirken, doch Kenshin richtete seinen Oberkörper nach ihr aus. Dieses Zeichen verriet, dass der Krieger den Fuchs als gefährlicher erachtete.
Tiana flüsterte so leise, dass nur sie beide es hören könnte: "Ich übernehme den Falken, ihr beschäftigt den Fuchs. Sie war eigentlich nicht mehr in den Diensten des Königs. Versucht sie kampfunfähig zu schlagen."
Die beiden Männer nickten, auch wenn Dragan zweifelte, ob es möglich war ohne sie zu töten. Wenn selbst Kenshin sie als gefährlich erachtete, musste es was bedeuten.
Wie auf ein geheimes Zeichen hin stürmten die Meuchler des Königs auf die unterlegenen Kämpfer zu. Der Falke selbst hielt sich erst im Hintergrund, sodass Dragan versucht war ihn anzugreifen, doch ein Blick nach rechts zeigte ihm, dass der Fuchs auf ihre Dreiergruppe zu rannte. Sogleich ertönten ein Klirren und erste Kampfgeräusche, als die verfeindeten Kämpfer aufeinander trafen. Kenshin brach aus der Formation und sprang vor. Es klirrte und ein kleiner Dolch schlitterte über den Boden. Der Krieger schwang sein Katana und der Fuchs nickte mit den Kopf.
"Gute Reflexe", sprach sie anerkennend. Sogleich zog sie beide Dolche, die etwas länger als eine Hand waren. Kenshin nahm das Kompliment nickend entgegen, sogleich prallten funkensprühend die beiden Dolche auf die Klinge des Katanas. Dragan sprang dem erschöpften Krieger bei und schwang dabei den Hammerkopf des Zirrats. Überrascht von dem Geschoss sprang der Fuchs zurück und machte dabei einen Salto. Dragan wollte nachsetzen, doch Kenshin war schneller und stach mit seiner Naginata hinterher. Die Frau in roten Gewändern konnte gerade noch einen Schritt zur Seite machen, dennoch schnitt die Klinge der schlanken Waffe in ihre Taille. Ein dünnes Rinnsal an Blut trat aus der frischen Wunde. Dragan erkannte sofort, dass die Wunde den Fuchs in den Bewegungen hindern würde. Hinter ihm hörte er da Klirren von Waffen, ein rascher Blick verriet ihm, dass Tiana gegen den Falken kämpfte. Die beiden tauschten rasche Schlagabläufe aus, sodass Dragan sich wunderte, dass sie zuvor fast gegen den Kerl verloren hatte.
Hastig wandte er seinen Blick wieder nach vorn und starrte in den Sehschlitz des gewickelten Turbans. Die Augen des Fuchses funkelten wütend, kurz darauf ging sie zum Angriff über und wich einem Stich der Naginata aus. Mit beiden Dolchen blockte sie die Klingen von Dragan und Kenshin. Der Krieger versetzte ihr einen Tritt gegen das Schienbein. Die Frau rollte sich zur Seite ab, während der Fürstensohn den Hammer nach ihrem Kopf warf. Mit einem dumpfen Schlag landete das schwere Metall auf dem Pflaster und hinterließ eine Kerbe. Er erwischte nur den Stoff des Turbans, doch es genügte um den Stoff zu lockern. Sogleich fiel der schwarze Stoff zu Boden.
"Jetzt!", rief der Fuchs plötzlich und Dragan wagte es den Blick von der schwarzhaarigen Frau abzuwenden. Mit einem Blick erfasste er, dass die Kämpfer, die mit dem Fuchs erschienen waren keine ihrer Verbündeten getötet hatten und nun auf die Meuchler des Königs losgingen. Überrascht von dem plötzlichen Seitenwechsel fielen sofort vier Männer - darunter die Fernkämpfer - den Klingen der unerwarteten Verbündeten zum Opfer. Er hörte, wie der Falke einen Fluch ausstieß.
Verblüfft starrte Dragan auf die schwarzhaarige Frau, die triumphierend grinsend an ihnen vorbeirannte. Kenshin war zu erschöpft um ihr nachzusetzen und Tiana war damit beschäftigt den Falken auf Abstand zu halten. Der Fuchs rannte auf die beiden Kämpfer zu, Dragan hinter ihr her. Der Falke sah die Gefahr kommen und wandte sich zur Flucht. Tiana ritzte ihm zwar die Lederrüstung am Rücken auf, doch es hinderte den Kerl nicht wegzulaufen. Der Fuchs rauschte an Tiana vorbei und schleuderte ihre beiden Dolche dem flüchtenden Falken hinterher.
"Bleib stehen du verfluchter Feigling!", brüllte sie dabei und blieb schließlich stehen.
Tiana trat an ihre Seite und musterte die Frau kurz. Dann wandten die beiden sich zu Dragan und Kenshin um, die einen letzten Meuchler die Kehle aufschlitzen wollten. Inzwischen waren die Kämpfe zum Erliegen gekommen und die befreiten Kämpfer suchten das Weite. Nur eine Hand voll blieb auf dem Platz und trat zu den Mitgliedern des Zirkels. Selbst die verbliebenden Krieger des Fuchses senkten ihre Waffen und stellten sich neben sie.
"Ich denke, dass wir lange genug diesen ...Natterngezücht gedient haben", erklärte der Fuchs mit ruhiger Stimme und nickte Tiana zu, "Wir wechseln die Seiten, so wie ich es euren Oberen zukommen haben lasse."
Tiana schien zu Dragans Überraschung zu verstehen und nickte ihnen zu. Zögerlich steckte er seine Waffen fort und bemerkte, dass Kenshin skeptisch sein Katana verstaute. Den Griff um seine Naginata ließ er aber nicht locker.
"Na, das kam ja unerwartet", murmelte er leise vor sich hin und blickte über den von Leichen gepflasterten Platz, "Ich schätze, dass wir gehen sollten."
Tiana nickte zustimmend und führte sie sogleich in eine stille Seitengasse. Der Fuchs folgte ihnen, nicht ohne sich dabei aufmerksam umzusehen. Zwischenzeitlich hörten sie von der Hauptstraße die Rufe der Soldaten. Seine Kampfgefährtin wusste es aber sie zu umgehen und schließlich gelangten sie an ein unscheinbares Haus. Den weg konnte selbst Kenshin nicht wiederholen, als Dragan in danach fragte, durch so viele Gassen waren sie gelaufen.
"Alle hinein und keine Fragen", sagte Tiana leise und öffnete eine Hintertür, dann ein schweres, metallenes Gitter. Zur allgemeinen Überraschung fand sich dort jedoch eine Treppe in die Tiefe. Kurz wechselte der Fürstensohn einen Blick mit seinem Bewacher, der knapp nickte. Gemeinsam folgten sie Tiana hinab in den Untergrund wobei sie den Fuchs in ihre Mitte nahmen.


Dragan, Tiana und Kenshin in den Untergrund von Gortharia

Eandril

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Re: In den Straßen von Gortharia
« Antwort #25 am: 12. Jun 2017, 00:51 »
Czeslav hatte verstimmt, aber nicht wütend auf Milvas zaghafte Entschuldigung für ihr fernbleiben reagiert, und nur gebrummt, dass so etwas bitte nicht so schnell wieder vorkommen sollte. Das hatte Milva auch keineswegs vor.
Am nächsten Tag begann es zu regnen, und hörte nicht wieder auf. In der Nacht waren schwere, dunkle Wolken über Gortharia aufgezogen, und der Regen begann sanft am Morgen und wurde bis zum Mittag immer heftiger. Den Vormittag verbrachte Milva damit, in ihrem kleinen Zimmer ihren Bogen zu pflegen - sie ölte die Sehne sorgfältig ein damit sie geschmeidig blieb und nicht an kleinen Stellen spröde wurde, polierte und ölte die Wurfarme, und überprüfte alles aufmerksam auf kleinste Risse. Auch nachdem sie ihn schon einige Zeit besessen hatte, konnte sie sich an diesem Stück der Bogenbauerkunst noch immer nicht satt sehen, und bereute keine einzige Münze, die sie dafür hergegeben hatte.
Doch auch an ihrem Bogen konnte sich Milva nur eine begrenzte Zeit festhalten. Gegen Mittag begann sie, sich zu langweilen, und beschloss, ein wenig durch die Stadt zu streifen. So wenig sie die Stadt auch mochte, es konnte doch nicht schaden, sie ein wenig besser kennen zu lernen - jetzt wo es so aussah, als würde sie längere Zeit hier verbringen. Sie wollte das kleine Haus gerade verlassen, als Ana aus der Küche in den schmalen Flur hinaus trat. Als die Alte Milva sah, schnalzte sie mit der Zunge und sagte: "Aber du kannst doch bei diesem Regen nicht auf die Straße gehen. Nicht in der Rache des Meeres."
Milva, die sich gerade die Stoffkapuze über den Kopf ziehen wollte, stockte bei Anas letzten Worten. "Die Rache des Meeres?", fragte sie. "Was soll das denn sein?"
"Einst war das Meer von Rhûn viel, viel größer als jetzt", begann Ana zu erzählen. "Die ganze große Halbinsel, auf der auf Gortharia liegt, war einst von Wasser bedeckt."
Milva lehnte sich an die Wand des Flures und verschränkte die Arme, während sie der Geschichte lauschte. Anas ruhige Stimme und das sanfte Rauschen des Regens im Hintergrund brachten dunkle Erinnerungen zurück, an ihre Kindheit. Ihre Mutter hatte sie nie gekannt, doch ihr Vater hatte ihr abends oder an Regentagen oft Geschichten erzählt - wenn er nach der Arbeit noch die Kraft dazu gehabt hatte.
"Irgendwann kamen jedoch die Menschen, und sie entdeckten den Schatz, der im Meer schlummerte: Das Salz. Sie bauten Dämme am Meer, und ließen das Wasser dahinter trocknen, um an das Salz zu gelangen. Es gibt Legenden, dass sie von den Geistern des Wassers davor gewarnt wurden, doch sie lachten nur darüber und fuhren mit ihrer Arbeit fort. Eine Zeit lang hatten sie Erfolg, wurden immer reicher und das Meer wurde immer kleiner. Doch eines Tages erhob sich das Meer zu einer gewaltigen Flut. Es überschwemmte die Dörfer der Salzmacher an seinen Ufern, spülte sie fort und verschaffte ihnen mit all ihren Reichtümern ein nasses Grab.
Doch viel von der Macht des Meeres war mit dem verdunsteten Wasser verschwunden, und so konnte es auf diese Weise zwar seine Feinde vernichten, aber nicht sein verlorenes Gebiet zurückerlangen. Und so versucht es nun Jahr für Jahr mit Regen und Stürmen zurückzuholen, was die Menschen ihm einst genommen haben."
Milva kannte derartige Geschichten auch aus ihrer Heimat - die Menschen nahmen der Natur irgendetwas weg, und sie versuchte sich auf solche Weise dafür zu rächen. Eigentlich glaubte sie nicht wirklich daran, doch wenn so viele Leute davon sprachen... vielleicht steckte doch ein Körnchen Wahrheit darin?
"Aber im Grunde ist es doch nur Regen", sagte sie. "Man wird vielleicht nass, aber das bin ich gewohnt." Ana zog besorgt die Augenbrauen zusammen. "Nein, meine Liebe, das ist kein gewöhnlicher Regen. Man sagt, dass Teile der Geister des Meeres, die durch die Taten der Salzsammler in Stücke gerissen wurden, in den Tropfen sind, und wer von ihnen getroffen wird, kann unter ihren Fluch fallen."
Milva schüttelte den Kopf. Sie hatte durch einen Brunnen mit einer viele hundert Meilen entfernten Elbin gesprochen hatte sich mit Leuten verbündet, die einem uralten, körperbeherrschenden Geist folgten. Da schreckte sie eine Geschichte von verfluchten Regentropfen nicht länger.
"Sie werden mir schon nichts tun", sagte sie leichthin. "Schließlich bin ich nicht von hier, und kann auch nichts dafür was ihnen angetan worden ist." Ohne Anas Antwort abzuwarten, öffnete sie die Tür und trat hinaus in den Regen.
Eine Stunde streifte sie in dem Regen, der inzwischen wieder etwas an Wucht verloren hatte und sanft zu Boden strömte, durch die Straßen von Gortharia, und stellte schließlich erfreut fest, dass sie einen Ort wiedererkannte.

Es war der Platz mit der Statue des Dunklen Herrn von Mordor, auf dem zwei Tage zuvor die Schwarze Rose einige Gardisten der Stadtwache getötet hatte. Heute war kein Spielmann am Fuß der Statue zu sehen, und auch sonst war der Platz nicht gerade belebt. Trotzdem spürte Milva plötzlich einen Schlag gegen ihre linke Schulter, und sah sich einer jungen Frau mit Kapuze gegenüber, als sie zornig herumfahren wollte. "Oh, Verzeihung", stieß die Frau hervor, obwohl sie nicht den Eindruck erweckte, als täte es ihr wirklich leid. "Ich habe euch gar nicht gesehen."  Mit diesen Worten wandte sie sich um, und ging mit langen Schritten über den regnerischen Platz davon. Milva schüttelte missmutig den Kopf, wobei ein Schwall Wasser von ihrer Kapuze hinunter lief. "Nicht gesehen, klar...", murmelte sie vor sich hin, während sie ihre Kleidung zurecht zog. Sie stockte, als ihre Finger auf einen flachen, weichen Gegenstand trafen, der zwischen Gürtel und Kleidung steckte. Es war ein kleines, gefaltetes Blatt Papier, und als sie es auseinander faltete, erkannte sie darauf eine kleine gezeichnete Rose - mit schwarzen Blütenblättern.
"Das ist doch..." Milva unterbrach sich, und hob den Kopf um zu sehen, wohin die Frau gegangen war. Durch den Regen erspähte sie die schwarze Kapuze auf der anderen Seite des Platzes am Anfang einer Seitengasse. Sie stand nur dort, als würde sie auf etwas warten. Milva seufzte. "Was hab' ich nur verbrochen...", sagte sie zu sich selbst, atmete tief durch und folgte dann der geheimnisvollen Frau über den Platz.
"Könnt ihr mir bitte erklären, was das hier s..." begann sie, als sie die Gasse erreicht hatte, doch die Frau hatte sich bereits wieder abgewandt und war einige Meter zwischen den Häusern entlang gegangen. Sie öffnete eine unscheinbare Tür, und trat mit einer einladenden Geste in Richtung Milva hindurch.
Milva folgte ihr zögerlich. Das ganze erinnerte sie sehr daran, wie Ryltha sie und Aivari in den Untergrund geführt hatte, und es erschien ihr nur logisch, dass die Schwarze Rose ähnliche Wege nutzte. Sie fragte sich allerdings, was die Schwarze Rose von ihr wollte - es gab nur einen Weg das herauszufinden. Und immerhin war die Schwarze Rose ja mit den Schattenläufern verbündet, also war sie vermutlich auch nicht in Gefahr, wenn sie der Frau folgte.
Hinter der Tür ging es eine schmale Treppe hinunter in einen Raum mit steinernen Wänden, der von mehreren Fackeln erhellt wurde. In der Mitte stand die Frau, der Milva gefolgt war, und warf die Kapuze ab als Milva von der letzten Stufe auf den steinernen Boden trat. Es dauerte nur einen kleinen Moment, bis Milva sie wiedererkannte. "Du bist das!", stieß sie überrascht hervor. "Du hast vor zwei Tagen den Gardisten auf dem Platz oben getötet."
Die junge Frau lächelte, und strich sich eine helle und eine dunkle Haarsträhne aus der Stirn. "Ich dachte mir, dass du mich erkennst", erwiderte sie. "Ich bin Fiora. Und dich nennt man..."
Milva brauchte einen kurzen Moment bis sie erkannte, dass es eine Frage gewesen war.  "Milva", antwortete sie schließlich, setzte ihre eigene Kapuze ab und verschränkte die Arme vor der Brust. "Und ihr seid die Schwarze Rose." Es war eine Feststellung, keine Frage.
"Das sind wir", sagte eine männliche Stimme, und ein großer, gut gekleideter Mann trat aus einem in den Schatten verborgenen Nebengang hervor. Als er näher kam erkannte Milva, dass er scharfgeschnittene, edle Gesichtszüge besaß. "Und so wie du dich anhörst, stammst du aus meiner Heimat."
"Aus eurer... Heimat?", fragte Milva verwundert zurück, und der Mann nickte. Ein leidenschaftliches Feuer loderte in seinen Augen, als er antwortete: "Richtig - aus Dorwinion. Ich bin Gudhleif, der Sohn von Vissileif, Erbe von Bladorthin dem Großen und damit dein rechtmäßiger König." Er sprach es nicht aus, doch irgendetwas an seiner Miene ließ Milva zu dem Schluss kommen, dass er einen ehrfürchtigen Kniefall von ihr erwartete.
Diesen Gefallen würde Milva ihm nicht tun, ganz gleich wessen Sohn dieser Mann war - von Bladorthin dem Großen, dem letzten König Dorwinions, hatte sie gehört, doch noch nie davon, dass er noch lebende Nachfahren hatte. Und selbst wenn Gudhleif die Wahrheit sagte, im Augenblick war er sicherlich alles andere als ein König.
Zu ihrem Glück seufzte Fiora hörbar, und sagte: "Bitte, Gudhleif. Wir alle wissen, dass du lieber auf einem Thron in Könugard sitzen würdest als hier im Untergrund herumzukriechen. Aber im Augenblick bist du nun einmal hier, und in der Schwarzen Rose gibt es keine Könige."
Gudhleif verzog das Gesicht, und seine Augen verengten sich. "Sicher? Ich könnte schwören, dass sich unser geschätzter Anführer genau dafür hält..."
"Ulfang hat Schwächen und Stärken wie wir alle", mischte sich eine dritte, ebenfalls männliche Stimme ein, und neben Fiora trat der Spielmann, der zwei Tage zuvor ebenfalls auf dem Platz gewesen war, aus den Schatten hervor. "Aber es wäre vielleicht klüger, über diese Dinge nicht vor unserem Gast zu streiten." Er deutete eine Verbeugung in Milvas Richtung an, und sagte: "Zumindest nicht bevor ich mich vorgestellt habe. Ich bin Vadim, Spielmann und Verschwörer von Beruf, zu euren Diensten." Der Spielmann lächelte, wobei ein Goldzahn im Fackellicht aufblinkte.
Bevor Milva etwas erwidern konnte, schnaubte Gudhleif verächtlich, fuhr mit einem Schwung seines Mantels herum, und verschwand in der Dunkelheit.
Fiora schüttelte den Kopf. "Beachte ihn gar nicht - in Gedanken ist er schon längst König, auch wenn die Wirklichkeit noch ganz anders aussieht. Aber ich würde nun gerne zum Grund deiner Anwesenheit kommen."
"Der würde mich ebenfalls brennend interessieren", gab Milva zurück, und der Spielmann Vadim zwinkerte ihr zu.
"Du warst oben auf dem Platz, vor zwei Tagen", begann Fiora, und Vadim fuhr fort: "Und wie ich gehört habe warst du bereit, dein Leben zu riskieren um mich vor den Gardisten zu schützen - und ich vermute, dass das nicht nur an meinem unschlagbar guten Aussehen lag."
"Ich habe es in deinem Gesicht gesehen", nahm Fiora wieder den Faden auf. "Du hast es satt, wie der König und Mordors Schergen auf den Menschen herumtreten. Du willst nicht länger stumm zusehen."
"Du bist bereit, etwas zu verändern", schloss Vadim, und Milva schüttelte den Kopf. "Ich will, dass sich etwas ändert", sagte sie dann langsam. "Aber... ich fürchte, ich kann euch nicht helfen, denn ich..." Konnte sie diesen beiden verraten, für wen sie arbeitete? Vielleicht gab es eine Möglichkeit...
"Und außerdem hat mir Teressa verraten, dass ihr vom ehemaligen König von Rhûn angeführt werdet - der kein Stück besser war als der jetzige." Das entsprach nicht ganz der Wahrheit, denn eigentlich war es Ryltha gewesen, die Milva davon erzählt hatte. Doch Rylthas Name war wahrscheinlich zu bekannt, und wenn Fiora und Vadim von Teressa wussten, wussten sie auch vom Rest der Schattenläufer.
Und tatsächlich beobachtete Milva, wie sich Fioras Augen im Fackellicht weiteten. "Du arbeitest für sie", stieß sie überrascht hervor. Sie machte einen Schritt nach vorne. "Es gibt einiges, was wir besprechen sollten. Wirst du mit uns kommen?" Es war beinahe eine Bitte, und so zögerte Milva nur einen Augenblick, bevor die Neugierde über die Vorsicht siegte.
"Also schön. Ich komme mit euch."

Milva mit Fiora in das Ordensversteck der Schwarzen Rose
« Letzte Änderung: 17. Jun 2017, 13:09 von Eandril »

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Re: In den Straßen von Gortharia
« Antwort #26 am: 2. Okt 2017, 18:27 »
Milva aus den Wäldern südlich von Gortharia

Es war Milva gelungen, sich ohne eine weitere Begegnung mit Silan oder Herrin Velmira aus dem Anwesen zu stehlen, nachdem der ganze Jagdtrupp in die Stadt zurückgekehrt war. Sie hatte Sorge davor, dass Herrin Velmira sie erneut auf den Vorfall mit den Wilderern ansprechen könnte - und vor dem, was sie dann womöglich geantwortet hätte. Ihre einzige Hoffnung in dieser Angelegenheit war, dass die Adlige diesen für sie sicherlich unbedeutenden Vorfall schon bald wieder vergessen würde.
Silan war eine andere Angelegenheit. Milva glaubte zwar nicht, dass Velmiras Neffe sie verraten würde, sollte sie etwas unbedachtes sagen, doch wer konnte schon wissen, wer womöglich noch alles zuhörte? Und außerdem, gestand sie sich ein, machte Silan sie mit seinem verdammt guten Aussehen seltsam nervös. Unwillkürlich dachte sie an Cyneric, und fragte sich, was wohl geschehen wäre, hätte er nicht den verdammten Ehrenmann gespielt und ihr eindeutiges Angebot an jenem Abend nicht so eindeutig abgelehnt. Sie schob den Gedanken wieder beiseite, denn es war nicht ihre Art, über verpasste Gelegenheiten nachzugrübeln. Schließlich war sie nicht in Cyneric verliebt, sondern nur betrunken und auf der Suche nach ein wenig Spaß gewesen... Vielleicht war es besser, dass er standhaft geblieben war.
So in Gedanken versunken bemerkte Milva nicht sofort, dass jemand sie von der Seite angesprochen hatte, und reagierte erst beim zweiten Mal: "Fräulein? Wenn ihr mir bitte folgen würdet, mein Herr wünscht euch zu sprechen." Milva blieb stehen, und betrachtete den Mann, der sie angesprochen hatte, was ihr einen Schwall Schimpfwörter einer alten Frau eintrug, als diese um sie herumgehen musste. Der Mann war im mittleren Alter, vielleicht dreißig oder vierzig Jahre alt, und trug die Kleidung eines Dieners. Das Livree war grün, und auf der Brust war klein ein Wappen aufgenäht, das Milva nicht genau erkennen konnte. Sie verschränkte die Arme, trat einen Schritt zur Seite an den Straßenrand um einem herankommenden Karren auszuweichen, und erwiderte: "Ich bin ganz sicher kein Fräulein, und bevor ich nicht eine Ahnung habe, wer dich schickt, werde ich sicherlich nicht mit dir mitgehen." Als der Diener ihr an den Straßenrand folgte, erkannte Milva, dass es sich bei dem aufgenähten Wappen um eine goldene Weinrebe, die sich um einen schwarzen Stab rankte, handelte. Leider hatte sie überhaupt keine Ahnung, wem dieses Wappen gehörte - und mit dem Adel Gortharias kannte sie sich ebenso wenig aus.
"Mein Herr ist der ehrenwerte Händler Gleb Vseslavich", antwortete der Diener in einem Tonfall, der eindeutig erkennen ließ, dass ihre Weigerung ihn einfach zu begleiten, ihn gekränkt hatte. Milva konnte sich gerade noch daran hindern, die Augen zu verdrehen. "Ich habe nie von einem Gleb... wie auch immer... gehört", gab sie zurück. "Du musst mich verwechseln."
"Ganz sicher nicht. Mein Herr hat euch eindeutig beschrieben, und ich besitze ein hervorragendes Gedächtnis." Bevor Milva etwas erwidern konnte, zog er eine Rosenblüte aus seinem Livree hervor, mit so dunklen blauen Blättern, dass sie beinahe schwarz wirkte. "Außerdem hat er mir aufgetragen, euch das hier zu geben, wenn ihr misstrauisch seid." Milva nahm die Blüte, die der Diener ihr entgegenhielt, zögerlich entgegen. Offenbar handelte es sich hierbei um den Versuch eines Mitglieds der Schwarzen Rose, mir ihr Kontakt aufzunehmen. Milva überlegte fieberhaft - warum sollte jemand von der Schwarzen Rose mit ihr sprechen wollen, warum jetzt, und vor allem: Wer? Milva glaubte nicht, dass dies hier Fioras Art wäre. Fiora hätte sie vermutlich selbst aufgesucht, also wer blieb übrig? Ulfang? Aber für den gestürzten König war Milva sicherlich zu unbedeutend, und außerdem konnte er es sich im Augenblick wohl kaum leisten, Diener durch Gortharia auf die Suche nach ihr zu schicken. Nein, es musste jemand sein, der die Schwarze Rose zwar im Geheimen unterstützte, aber nicht von den Soldaten des Königs verfolgt wurde. Leider hatte Milva nicht die geringste Ahnung, wer das sein könnte.
"Also schön...", sagte sie langsam, und zupfte gedankenverloren eines der Rosenblätter aus. "Und was will dein Herr von mir?"
"Er wünscht euch selbst zu sprechen", meinte der Diener in leidendem Tonfall. Einige Meter weiter hatten sich zwei Ochsenkarren auf einer Kreuzung miteinander verkeilt, und die wüsten Beschimpfungen der beiden Fahrer schallten über die Straße. "Ich weiß nicht, worum es geht und selbst wenn, wäre ich nicht befugt mit euch darüber zu sprechen. Also bitte, folgt mir."
Milva seufzte, und zuckte mit den Schultern. "Also schön, warum nicht. Wenn ihn mein Aufzug im Moment nicht stört..." Sie trug ihre übliche, einfache Kleidung - die Jagdausrüstung mit dem Wappen der Bozhidars hatte sie im Anwesen zurückgelassen - und entsprach damit sicherlich nicht dem Bild einer adligen oder wohlhabenden Frau. Außerdem hatte sie noch keine Gelegenheit bekommen, sich nach der Jagd zu waschen, und roch deshalb vermutlich nicht allzu angenehm. Andererseits, jemand der mit der schwarzen Rose zu tun hatte, ließ sich von so etwas wohl nicht abschrecken.
"Er wird sicherlich darüber hinwegsehen können", erwiderte der Diener, konnte allerdings ein beinahe unmerkliches Naserümpfen nicht unterdrücken. Zu ihrer eigenen Überraschung spürte Milva ihre Mundwinkel zucken - sie freute sich auf die Begegnung mit diesem Gleb, obwohl sie sich eigentlich davor fürchten sollte. Aber in den letzten Wochen hatte sie ganz andere, viel gefährlichere Menschen kennengelernt - was sollte ihr da ein einfacher Händler?
"Na gut", meinte sie, und rückte den Bogen auf dem Rücken zurecht. "Dann geh voran, wir wollen deinen Herrn nicht länger warten lassen."

Milva in Glebs Haus
« Letzte Änderung: 4. Dez 2017, 16:11 von Eandril »

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Re: In den Straßen von Gortharia
« Antwort #27 am: 4. Dez 2017, 16:57 »
Milva aus Glebs Haus

Die Tage nach Milvas Besuch bei Gudhleif vergingen langsam und ereignislos. Noch zwei Mal brach sie zur mit Mislav und den anderen zur Jagd auf, um Herrin Velmiras Tisch zu bereichern, doch ansonsten hatte sie neben ihren allabendlichen Leseübungen unter Ronvids strenger Aufsicht - bei denen sie frustriert das Gefühl hatte, überhaupt nicht voranzukommen - wenig zu tun. So streifte sie hin und wieder ziellos durch die Straßen Gortharias, während der Sommer sich immer mehr dem Ende neigte, und hatte wieder einmal das Gefühl, am vollkommen falschen Ort zu sein. Sie lernte zwar die Stadt immer besser kennen und fühlte sich weniger verloren, doch der Erfüllung ihres Auftrags kam sie keinen Schritt näher. Seit Cyneric und Salia die Stadt verlassen hatten gab es außerdem niemanden mehr, den Milva um Hilfe bitten könnte, kurz: Sie hatte nicht die geringste Ahnung wie sie es anstellen sollte, an das Testament von Herrin Velmira zu kommen, geschweige denn es im Sinne der Schattenläufer zu verändern.
Bei einem ihrer Streifzüge, es war einige Tage nachdem Cyneric, Salia und Ryltha in Richtung Gorak aufgebrochen waren, wurde Milva plötzlich von einer schmalen Gestalt mit Kapuze am Arm gepackt und in eine menschenleere Seitengasse, die auf einen verwilderten und verlassenen Innenhof führte, gezogen. "Ich bin nicht hier um dich auszurauben", stieß ihr Entführer leise hervor, als Milva sich gegen den Griff um ihren Arm zu wehren begann, und Milva erkannte Fioras Stimme. Auf dem leeren Innenhof angekommen, warf die junge Frau ihre schwarze Kapuze ab, und sagte: "Tut mir leid, aber es ist besser wenn ich auf den Straßen nicht allzu oft gesehen werde - nicht, wenn ich es nicht will." Milva atmete tief ein, und rieb sich die schmerzende Stelle am Arm, wo Fiora zugepackt hatte. Trotz ihrer schmalen Figur besaß Fiora offenbar einiges an Kraft, und Milva war sich ziemlich sicher, dass ihr Griff blaue Flecken zurücklassen würde.
"Ist etwas wichtiges geschehen?", fragte sie, ohne ihre Ungehaltenheit zu verbergen. "Oder ist dir nur langweilig." Fioras Augenbrauen zogen sich unwillig zusammen. "Langeweile habe ich bestimmt nicht. Aber ich habe eine Frage an dich: Haben deine... Freunde etwas mit den Gerüchten zu tun, die man aus Gorak hört?"
Milva schüttelte verwirrt den Kopf. "Ich weiß nicht einmal wovon du sprichst? Was für Gerüchte?"
Fiora ließ sich auf einer halb zusammengebrochenen und bemoosten Steinmauer, die einen abgestorbenen Baum in der Mitte des Innenhofes umgab, nieder, und klopfte mit der linken Hand einladend auf den Stein neben sich. "An sich nichts großes", erklärte sie, während Milva sich zögerlich neben sie setzte. "Es gibt Gerüchte, dass Fürst Radomir seit seiner überstürzten Abreise aus der Hauptstadt - mit der deine Freunde eine Menge zu tun hatten, versuch nicht, mir etwas anderes einzureden - einige Probleme mit seinen Sklaven hatte." Milva zuckte mit den Schultern. "Und? Selbst wenn man wie ich von irgendwo aus den entferntesten Provinzen kommt weiß man, dass jeder Sklavenhalter hin und wieder Probleme mit ihnen hat."
"Nicht Radomir", erwiderte Fiora. "Von ihm hört man so etwas niemals - klar, hin und wieder begehrt mal ein Sklave auf, aber er hat seine Mittel und Wege, dass es nie zu einem Problem wird." Milva begriff allmählich.
"Und du glaubst, die Schattenläufer wären dafür verantwortlich? Dass sie Radomir nach Gorak gefolgt sind?" "Halte mich nicht für dumm oder naiv", gab Fiora zurück, und ihre eigentlich hellbraunen Augen verdunkelten sich, bis sie beinahe schwarz wirkten. "Ich weiß natürlich, dass sie ihm gefolgt sind. Verkleidet als Mitglieder des königlichen Heeres sind sie aufgebrochen, und sind ihm nach Gorak gefolgt."
"Wenn du bereits alles weißt, was willst du dann von mir?", fragte Milva, und bemerkte im selben Augenblick, dass es vielleicht keine gute Idee gewesen war. "Du bist einfach aufzuspüren", erwiderte Fiora mit kalter Stimme, und nicht zum ersten Mal fühlte Milva sich an ihr Gespräch im Friedhof der vergessenen Bücher erinnert - als Fiora ebenfalls mit einem Schlag wie ein anderer Mensch gewirkt hatte. "Viel zu einfach, und jedenfalls einfacher als der Rest deiner Freunde. Deshalb spreche ich mit dir, und nicht mit ihnen direkt. Die Schwarze Rose hat viele Freunde, selbst unter den Sklaven von Gorak. Wenn die Schattenläufer die Sklaven benutzen wollen, um Fürst Radomir zu töten, hätten sie vorher mit mir sprechen sollen, mich um Hilfe bitten."
"Dich?" Milva zuckte mit den Schultern. "Oder meinst du eher, mit König Ulfang?" "Wag es nicht!", zischte Fiora, und ihre Stimme zitterte vor Wut. "Ulfang mag sich für den Anführer der Schwarzen Rose halten, vielleicht ist er das sogar, doch ich werde nicht tatenlos dabeistehen und andere ihre Spiele spielen lassen." Sie atmete tief durch, und schien sich zu beruhigen. Dann schüttelte sie den Kopf, wobei ihr dunkelblondes Haar Milvas Wange streifte. "Ich... verzeih mir, ich hätte mich nicht so..." Fiora verstummte, offenbar ratlos, was sie hatte sagen wollen. Milva starrte auf den staubigen Boden, ebenso ratlos und unsicher, was sie tun sollte, bis Fiora sich gefangen hatte. "Ich könnte deinen Freunden in Gorak helfen", meinte sie schließlich mit erneut fester Stimme. "Du muss mir nur sagen, was sie vorhaben."
Milva schüttelte den Kopf, und konnte ein kleines, bitteres Lachen nicht unterdrücken. "Ich habe keine Ahnung, was sie vorhaben. Ich bekomme das erzählt, was ich wissen muss, und kein bisschen mehr. Ich weiß nicht, wie ich jemanden von ihnen erreiche, um ihnen zu sagen was du mir gesagt hast. Ich bin... nur ein Werkzeug für sie, ein Werkzeug um einen kleinen Teil ihres großen Planes zu erledigen."
"Und macht dich das nicht wütend?", fragte Fiora leise, und zu ihrer eigenen Überraschung nickte Milva langsam. Sie hatte geglaubt, zufrieden mit ihrer Rolle zu sein, und froh, möglichst wenig zu wissen. Doch ihr wurde klar, dass sie, seit sie ein wenig von jener Welt gekostet hatte, mehr als das wollte. "Wie ich es mir gedacht habe." Fiora lächelte, als wäre sie äußerst zufrieden mit sich selbst. "Ich kann jetzt nicht viel für dich tun, aber... es wird Gelegenheiten geben."
"Eine Sache gäbe es da...", sagte Milva langsam, während ihr etwas einfiel. "Du könntest mit jemandem sprechen, und ihm helfen, sein Ziel zu erreichen... ohne, dass jemand dabei sterben muss." Fiora zog eine Augenbraue in die Höhe, und wandte Milva interessiert das Gesicht zu. "Ich bin ganz Ohr."

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Re: In den Straßen von Gortharia
« Antwort #28 am: 19. Dez 2017, 15:09 »
Milva schreckte aus dem Schlaf, als sie leise Geräusche vor dem kleinen Fenster hörte, das von ihrem Zimmer auf die Straße hinaus ging. Es war das gleiche Geräusch, das sie bereits zwei Mal gehört hatte, und beide Male war es Salia gewesen, die an der Wand heraufgeklettert war. Aber Salia war mit Cyneric und Ryltha in Gorak, und konnte noch nicht wieder zurück sein - oder? Ein bisschen Vorsicht schadete nie, also nahm Milva ihr Messer zur Hand, und presste sich an die Wand neben dem Fenster. Sie musste sich ein wenig ducken, denn das Dach war an dieser Stelle zu niedrig, um aufrecht stehen zu können.
Nur wenige Augenblicke schwang das Fenster auf, und mit dem fahlen Licht des anbrechenden Tages sprang eine schlanke Gestalt hindurch. Sie landete ebenso lautlos wie Salia auf dem hölzernen Boden, doch Milva erkannte sofort, dass es sich nicht um Salia handelte, denn das schulterlange Haar war nicht schwarz, sondern dunkelblond. Bevor sie etwas tun könnte, hatte der Eindringling sich bereits zu ihr umgewandt. "Kein besonders freundlicher Empfang", sagte sie, doch auf ihrem Gesicht zeigte sich keine Spur eines Lächelns. Milva warf das Messer aufs Bett, als sie Fiora erkannte. "Warum könnt ihr Leute nicht einfach durch die Tür kommen...", seufzte sie, während Fiora an der Zimmertür lauschte, ob sich im Haus etwas regte. "Ich habe dir doch gesagt, ich möchte ungern von mehr Leuten als unbedingt nötig gesehen werden", gab sie ungehalten zurück. Irgendetwas schien sie aus dem Gleichgewicht gebracht zu haben.
"Na schön." Milva setzte sich auf das Bett, und blickte Fiora an, die in der Mitte des kleinen Raumes stehengeblieben war, ohne sich zu rühren. "Ist es etwas passiert?" Fioras hellbraune Augen verengten sich, als sie tonlos antwortete: "Die Stadtwache... hat Cáha verhaftet." Milva spürte, wie sich kalte Furcht wie eine Faust um ihr Herz legte. "Und Gudhleif, Rogvolod, und ihre Söhne... nur Gudhleifs jüngsten Sohn nicht, denn er ist verschwunden."
Milva erinnerte sich, wie sie fünf Tage zuvor mit Fiora zu Gudhleifs Haus gegangen war. Gudhleif war nicht sonderlich begeistert gewesen, als er festgestellt hatte, dass Milva Fiora eigenmächtig in ihr Vorhaben eingeweiht hatte, doch schließlich hatte er ihre Hilfe akzeptiert, und sie gemeinsam hatten sie einen Plan erarbeitet, Ántonins Wahl zum Gildenmeister zu verhindern, ohne ihm ernsthaften Schaden zuzufügen. Natürlich wäre sein Ruf in Gortharia, durch die gefälschten Dokumente, die Cáha ihm unterschieben würde, ruiniert und er hätte vermutlich die Stadt verlassen müssen, doch immerhin wäre er mit dem Leben davon gekommen. Bei dem Treffen hatte Milva auch flüchtig Gudhleifs jüngsten Sohn Vsevolod kennengelernt, der von einer Handelsreise in den Süden Rhûns zurückgekehrt war. Hinterher war sie zuversichtlich gewesen, dass alles so kommen würde wie geplant, doch irgendetwas musste fürchterlich schiefgegangen sein.
"Ich weiß nicht, was genau geschehen ist", erzählte Fiora mit ruhiger, beinahe gleichgültiger Stimme weiter. Ihre Augen besaßen einen seltsam Ausdruck, und schienen geradewegs durch Milva hindurchzusehen. "Aber offenbar haben die Goldröcke auf irgendeine Weise Wind von der Sache bekommen. Sie haben Cáha verhaftet, als sie Dvakars Haus gerade verließ, und Gudhleif und seine Familie kurz darauf."
Milva stieß einen Fluch aus, den sie vor langer Zeit von einem zwergischen Händler gehört hatte, und von dem sie keine Ahnung hatte, was er bedeutete. "Und jetzt brauchst du meine Hilfe, um sie zu befreien?"
Ein Muskel auf Fioras Wange zuckte, und zum ersten Mal schien sie Milva wirklich anzusehen. "Dazu... ist es zu spät." Ihr Stimme zitterte ein wenig. "Goran scheint außer sich vor Zorn zu sein - ich weiß nicht warum. Doch er hat ihre sofortige Hinrichtung befohlen. Für heute, eine Stunde nach Sonnenaufgang."
Milva wollte aufspringen, ohne zu wissen, was sie eigentlich vorhatte, doch unter Fioras Blick blieb sie sitzen. "Es ist deine Schuld, weißt du? Du wolltest deinen ach so edlen Händler-Freund retten, und dafür muss Cáha sterben."
"Ich wollte nicht, dass..."
"Natürlich nicht. Was hat es mit diesem Ántonin eigentlich auf sich? Das Mädchen aus der Provinz verirrt sich in der Stadt, und der edle Ritter steht ihr zur Seite und rettet sie. Hast du nie gedacht, dass er vielleicht andere Beweggründe dafür gehabt hat? Dass er nur einen hübschen Körper mit einem naiven Geist vor sich gesehen hat, den er einfach um seinen Finger wickeln kann?" Fioras Stimme zitterte geradezu vor unterdrückter Wut und... Verachtung, und Milva spürte, wie sich in ihr eine große Leere ausbreitete. Vielleicht sollte sie Zorn angesichts solcher Vorwürfe empfinden, doch eine leise Stimme in ihrem Inneren sagte ihr, dass Fiora nicht unrecht hatte. Hätte sie sich nicht von einer naiven Dankbarkeit gegenüber Ántonin leiten lassen, wäre das alles vermutlich nicht geschehen. Nicht nur hatte sie Fioras Freundin Cáha dem Henker ausgeliefert, sie hatte auch König Goran eines möglicherweise mächtigen Feindes beraubt.
"Was möchtest du, das ich tue?", fragte sie leise, und Fiora trat mit einem einzigen langen Schritt an sie heran, krallte eine Hand in ihre Schulter, und zischte: "Du wirst mit mir kommen, zur Hinrichtung. Es ist dein Werk - du sollst es dir selbst ansehen." Milva blickte ihr einen Augenblick in die zornfunkelnden Augen, dann nickte sie.

Milva und Fiora zum Platz des Goldenen Drachen
« Letzte Änderung: 15. Jan 2018, 11:39 von Eandril »

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Re: In den Straßen von Gortharia
« Antwort #29 am: 15. Jan 2018, 12:54 »
Milva, Silan und Fiora vom Platz des Goldenen Drachen

Silan führte sie raschen Schrittes durch die Straßen der Stadt, die heute weniger belebt wirkten als üblich. Vermutlich waren genug Leute zur Hinrichtung gekommen, um einen spürbaren Unterschied auf den Straßen zu machen.
Sie erreichten ein schäbig und verlassen wirkendes Haus an der Westmauer der Stadt, vor dessen Tür ein kräftiger, mit einer großen Zweihandaxt bewaffneter Mann, Wache stand. Als er Silan erblickte, trat der Wächter einen Schritt zu Seite und gab die Tür somit frei. "Er hat nicht wieder versucht, davonzulaufen, Herr", sagte er, und Silan nickte nur knapp, bevor er die Tür aufstieß und Fiora und Milva mit einer Geste bedeutete, ihm ins Innere des Hauses zu folgen. Für einen Augenblick fragte Milva sich, was oder wen sie hier finden würden, und ob es nicht vielleicht eine Falle war - doch dann gewann die Neugierde die Oberhand, und sie folgte mit einem Schulterzucken Fiora, die noch immer vollkommen gleichgültig wirkend bereits vorgegangen war, über die Schwelle.
Im Inneren war des dämmrig, und nur wenig Licht schien durch die Spalten der vernagelten Fenster. Auf dem Boden lag eine dicke Staubschicht, auf der deutlich Spuren mehrerer Füße zu erkennen waren. In der Mitte des Raumes stand ein hölzerner Tisch mit mehreren Stühlen, an dem ein Mann saß und den Kopf auf die Arme gelegt hatte.
Als er sie eintreten hörte, hob der Mann den Kopf, und nach einem Augenblick glaubte Milva ihn zu erkennen. "Ist das..."
"Vsevolod - oder Visleif, in der Sprache seiner Vorfahren", beantwortete Silan, der sich neben den Mann gestellt und zu Milva und Fiora umgewandt hatte, ihre noch nicht ganz gestellte Frage.
"Aber...", setzte Milva zu einer weiteren Frage an, doch Silan sprach bereits weiter: "Ich habe gestern Abend von der Verhaftung seiner Familie gehört, und ihn heute Morgen am Stadttor abgefangen - er kam von einer Handelsreise nach Dervesalend zurück. Ich wollte sichergehen, dass nicht er auch noch dem Wüten unseres Königs zum Opfer fällt." Sein Gesichtsausdruck war unmissverständlich verächtlich, als er Goran erwähnte.
"Ich weiß wer ihr seid", sagte Fiora, und sprach damit das erste Mal seit sie den Platz des Goldenen Drachen verlassen hatten. "Silan Bozhidar. Was ich mich frage ist: Woher kennt ihr euch?" Sie machte eine Geste in Richtung Visleif. "Und was liegt euch daran, ihm das Leben zu retten?"
"Wir sind uns vor einigen Jahren begegnet", antwortete Visleif selbst mit ebenso rauer und belegter Stimme wie Fiora. "Und seitdem haben wir uns hin und wieder getroffen. Man könnte uns wohl als Freunde bezeichnen - bis heute jedenfalls." Silan warf ihm einen merkwürdigen Blick zu, eine Mischung aus Verärgerung, Mitleid und Enttäuschung. "Du weißt, dass ich dich nur zu deinem eigenen Besten hier festhalte." Visleif schnaubte verächtlich, doch Silan wandte sich wieder Milva und Fiora zu. "Und es gibt genug Freunde und Menschen, die ich schätzte, die dem Verfolgungswahn des Königs bereits zum Opfer gefallen sind. Ich konnte seine Familie nicht retten, das wäre mein eigener Untergang gewesen, doch ihm konnte ich helfen."
Fiora wirkte nicht überzeugt. "Das ist ja schön und gut. Aber wie kommt ihr auf die Idee, dass wir ihm auf irgendeine Art und Weise helfen könnten? Was glaubt ihr, mit wem ihr es zu tun habt?"
Silan taxierte sie mit verengten Augen. "Nun, ich habe einige Vermutungen. Zum ersten wart ihr sichtlich erschüttert über die Hinrichtung - vor allem ihr." Er nickte in Fioras Richtung. "Und nicht so sehr wie ein normaler Zuschauer über eine Hinrichtung erschüttert ist, sondern als hättet ihr mindestens eines der Opfer zu euren Freunden gezählt." Er legte eine kleine Sprechpause ein, als würde er eine Bestätigung erwarten, doch weder Milva noch Fiora, die noch ein wenig blasser geworden war, sagten etwas. "Und was Milva angeht... nun, sie hat bei der letzten Jagd, die meine Tante ausgerichtet hat, etwas sehr interessantes gesagt. Vielleicht wird das ja geschehen, als ich meine Hoffnung äußerte, dass sich, falls ich mein Erbe antrete, etwas in diesem Reich getan haben wird."
Milva spürte geradezu Fioras vorwurfsvollen Blick von der Seite, und blickte weiterhin stur geradeaus. "Was genau sie damit meinte, habe ich bislang nicht herausgefunden." Silan lächelte leicht über Milvas offensichtliches Unbehagen. "Doch als ich euch bei der Hinrichtung sah, kam mir die Idee, euch mit Visleif zusammenzubringen - denn offensichtlich haben alle vier Menschen in diesem Raum das gleiche Ziel."
Als er fertig gesprochen hatte, legte sich Stille über den Raum. Niemand schien etwas sagen zu wollen, bis Fiora das Schweigen schließlich brach. "Und was wäre dieses Ziel?"
Silan hob eine Augenbraue und wechselte einen raschen Blick mit Visleif. "Nun, grob gesagt - König Goran zu stürzen."
Milva blinzelte überrascht. Sie hatte natürlich von den Schattenläufern - und ihrem einen Gespräch mit Silan - gewusst, dass er König Goran kritisch gegenüberstand. Doch dass seine Ansichten so weit gingen, den König stürzen zu wollen, und dass er das so offen zugab... damit hatte sie nicht gerechnet. Das machte die Mission, die ihr die Schattenläufer aufgetragen hatten noch dringlicher und wichtiger, und sie verspürte einen schuldbewussten Stich als sie daran dachte, wie sehr sie sich in letzter Zeit davon hatte ablenken lassen.
Fiora jedoch schien nicht wirklich überzeugt. "Das ist kein Spiel", sagte sie mit harter Stimme, und blickte Silan, der noch immer lächelte, direkt ins Gesicht. "Ihr seid ein verwöhnter Adelssohn, mit romantischen Vorstellungen von Rebellen, Helden des Volkes. Ihr denkt, das hier ist ein heroischer Kampf, mit edlen Rebellen die gegen den tyrannischen König kämpfen - und am Ende, wer weiß, vielleicht bietet das dankbare Volk euch sogar den Thron dessen an, den ihr ihn seinem Namen gestürzt habt?"
Das Lächeln war von Silans Gesicht verschwunden, als er antwortete: "Meine Liebe - ich kenne noch nicht einmal euren Namen - ihr könnt euch sicher sein, dass ich keinerlei Interesse am Thron von Gortharia habe. Falls ihr es nicht wisst, ich bin ein Bastard. Mein Leben mag besser gewesen sein als das der meisten Menschen, aber ich würde mich nicht als einen verwöhnten Adelssohn beschreiben. Ich musste in meiner Jugend vieles tun um zu überleben, dass sich ein gewöhnlicher Adliger nicht träumen lassen würde. Und völlig unabhängig von meiner Abstammung bin ich noch immer ein Mensch, der in der Lage ist zu erkennen, welches Unrecht in diesem Königreich herrscht. Wenn ihr mir nicht helfen wollt, ist das eure Entscheidung. Aber ich werde bis zum letzten Atemzug dafür kämpfen, das Regime von König Goran zu beseitigen."
Fiora warf Milva einen fragenden Blick zu, und Milva zuckte nur mit den Schultern. Ihrer Meinung nach hatte Silan vollständig aufrichtig geklungen.
"Also schön...", meinte Fiora schließlich langsam. "Ich werde Visleif in die Schwarze Rose aufnehmen- in Gedenken an seinen Vater." Bei der Erwähnung dieses Namens schienen Silans Augen für einen winzigen Moment aufzuleuchten, und sein Gesicht drückte Zufriedenheit aus - als hätte sich eine seiner Vermutungen gerade bestätigt. "Aber ihr... ihr bleibt Milvas Angelegenheit." Sie wandte sich Visleif zu. "Kommt mit mir. Wir werden dafür sorgen, dass euer Vater und eure Brüder gerächt werden - und, dass ihr eines Tages euer Erbe erlangen könnt."
Visleif sah zu Silan, der beinahe unmerklich nickte, und erhob sich dann langsam. "Vielleicht... sollte ich dir doch dankbar sein, dass du mich aufgehalten hast", sagte er an Silan gewandt, und dieser schüttelte den Kopf. "Ich weiß es zu schätzen, aber das ist nicht, was für mich zählt. Für mich zählt nur, dass du am Leben bist, und bereit, den Kampf gegen Goran zu unterstützen." Visleif gelang beinahe ein Lächeln, und als er sich wieder Fiora zugewandt hatte sagte er: "Nun denn, edle Fiora - wollen wir gehen?"
Für einen Augenblick fragte Milva sich, woher er Fioras Namen kannte - sein Vater musste ihm von ihr und der Schwarzen Rose erzählt haben. Fiora warf Milva noch einen warnenden Blick zu, bevor sie gemeinsam mit Visleif auf die Straße hinaustrat, und Milva mit Silan allein ließ.
Milva trat nervös von einem Fuß auf den anderen, doch als sie eine Bewegung zur Tür hin machte, sagte Silan: "Einen Augenblick noch bitte." Seine Stimme klang irgendwie tiefer und sanfter als zuvor. "Ich nehme nicht an, dass du nur in die Dienste meiner Tante getreten bist, weil du Arbeit suchtest."
Sein Blick schien Milva zu durchbohren, und nach einem Augenblick atmete sie tief durch und schüttelte den Kopf. Silan lächelte. "Nun, das habe ich mir bereits gedacht. Für den Augenblick spielt keine Rolle, in wessen Auftrag du handelst, ich möchte nur eines wissen: Was ist dieser Auftrag?"
Milva zögerte einen Augenblick, und so fuhr Silan fort: "Ich schwöre dir, meinetwegen bei meinem Leben, dass du mir in dieser Sache vertrauen kannst. Ich werde keiner sterblichen Seele verraten, was wir in diesem... reizenden Zimmer beredet haben."
"Ich...", begann Milva langsam. Sie blickte Silan in die Augen, und fällte ihre Entscheidung. "Ich soll herausfinden, ob eure Tante euch als Erben eingesetzt hat, und wenn nicht, soll ich das Testament stehlen und es so verändern, dass ihr als Erbe eingesetzt werde, und niemand sonst."
Silan stieß einen überraschten Pfiff aus. "Nun, ich bin geschmeichelt, dass deine Auftraggeber eine so hohe Meinung von mir haben. Nun denn... hast du bereits eine Möglichkeit gefunden, an das Testament zu kommen?"
Milva schüttelte den Kopf. "Nein", erwiderte sie etwas beschämt. "Ich weiß noch nicht mal, wo sie es aufbewahrt."
"Dabei kann ich dir behilflich sein. Meine Tante bewahrt es in einer verschlossenen Kassette auf ihrem Schreibtisch auf, in ihren Privatgemächern. Sie wird nächste Woche ein Fest zu Ehren des Königs geben, also wird sie nicht in ihren Gemächern sein - vielleicht solltest du die Gelegenheit nutzen." Er zwinkerte Milva zu, und ging zur Tür. Als er neben ihr stand, sagte er leise: "Ich werde dafür sorgen, dass keine Wachen vor der Tür stehen. Also dann... bis zu unserem nächsten Treffen." Er trat durch die Tür hinaus, und Milva blieb etwas überwältigt allein zurück.

Milva zum Anwesen der Bozhidars
« Letzte Änderung: 8. Jan 2019, 15:06 von Fine »

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Lilja und die Stahlblüten
« Antwort #30 am: 23. Jan 2018, 14:50 »
Cyneric, Salia und Zarifa aus den Gebieten westlich von Gortharia


“Das erinnert mich an Umbar,” murmelte Zarifa, als sie Salia und Cyneric in die vollen Straßen der Hauptstadt des Ostling-Reiches folgte. Sie hatten ihre Pferde am Zügel durch das große Tor im Westen der Stadt geführt und waren am Platz des Goldenen Drachen vorbeigekommen, auf dem noch immer allzu deutlich die Spuren der öffentlichen Hinrichtungen der vergangenen Tage zu sehen waren. Man hatte die Galgen als allzu deutliche Drohung dort stehen lassen und nur die Leichen der Unruhestifter entfernt.
Zarifa hingegen schien sich auf das Gedränge auf dem Straßen und die deutlich sichtbare Ungleichheit zwischen Arm und Reich zu beziehen. Gortharia war, wie auch Umbar, ein wichtiger Handelspunkt und zog daher reiche Kaufleute an, die sich in den Straßen tummelten und ihre Güter zu den besten Preisen zu verkaufen suchten. Gleichzeitig gab es Sklaven beinahe an jeder Straßenecke zu sehen, genauso wie Bettler und andere arme Leute. Wo die Reichen mit Wohlstand und Luxus protzten, begegneten ihnen die neidischen und wütenden Blicke der Armen. Nun, da der Schwarzen Rose der Kopf abgeschlagen worden war, gab es niemanden mehr, der sich für die Rechte der Armen einsetzte. Cyneric sah die Hoffnungslosigkeit in den Augen jener, die am Straßenrand hockten und auf eine milde Gabe warteten.
Seit seiner Ankunft in Rhûn hatte ihn dieser Anblick zum Mitleid bewegt. In Rohan gab es keine Sklaven und der Unterschied zwischen Arm und Reich war längst nicht so groß wie hier im Reich der Ostlinge. Beinahe jeder Mensch von Rohan besaß mindestens ein Pferd, und wer ein Pferd besaß, konnte ein Reiter von Rohan werden und sich einen vernünftigen Lohn im Dienste der Königin verdienen. Und auch für jene, denen das Kämpfen nicht sonderlich lag, gab es genug Arbeit in der Riddermark, denn die Felder mussten bestellt und das Korn gemahlen werden. In Rhûn hingegen schien es diesen Bedarf an Arbeit nicht zu geben. Es kam Cyneric eher so vor, als gäbe es im Königreich von Gortharia an sich zu viele Menschen. Denn immer wenn die Könige des Ostens einen Krieg gewannen, führten sie einen Teil der besiegten Bevölkerung als Sklaven mit sich nach Hause. Und mit dem Sieg über Thal und den Erebor waren viele neue Ketten für neue Sklaven geschmiedet worden.
Cyneric wusste, dass er ihnen nicht allen helfen konnte. Zu dieser Entscheidung war er bereits früh gekommen. Er musste sich auf das konzentrieren, bei dem er tatsächlich etwas bewegen konnte. Stürzten die Fürsten Rhûns, so wie Radomir, würden durch die Manipulationen der Schattenläufer bessere Menschen in die herrschende Schicht nachfolgen. Zumindest war das die Theorie, an die Cyneric eine Zeit lang geglaubt hatte. Doch in den letzten Tagen hatte sich sein Fokus mehr und mehr darauf verschoben, endlich seine Tochter zu finden und sie in Sicherheit zu bringen.

Wo wir gerade bei “in Sicherheit bringen” sind... dachte Cyneric und räusperte sich. Salia und Zarifa, die voran gegangen waren, blieben stehen und drehten sich zu ihm um.
“Jetzt, wo wir in der Hauptstadt angekommen sind, wird es Zeit, eine Unterkunft für dich zu suchen, Zarifa.”
Die junge Frau nickte, und blickte ihn erwartungsvoll an.
“Nun, also, ich schätze, im Palast wird wohl kein Platz für dich sein,” fuhr Cyneric etwas unsicher fort. So weit hatte er nicht vorausgedacht. Sein bisheriger Plan war gewesen, Zarifa sicher aus Gorak heraus zu bringen und sie bis nach Gortharia zu begleiten, wo sich hoffentlich alles schon irgendwie von selbst ergeben würde. Angestrengt dachte er nach, was es abgesehen vom Palast für Orte geben könnte, an denen Zarifa in Sicherheit sein würde. Ihm fiel Tianas Taverne ein, doch er verwarf den Gedanken sogleich wieder. Dort ging es viel zu rau für ein traumatisiertes Mädchen vor. Er warf einen raschen Blick auf Salia, als ihm einfiel, dass diese ihm vor einiger Zeit das Haus gezeigt hatte, in dem sie mit Ryltha wohnte. „Salia, denkst du sie könnte in Rylthas Haus...“
“Das ist keine gute Idee,” unterbrach Salia ihn prompt. “Sie sollte sich von den Schattenläufern fern halten.” Sie machte ein ernstes Gesicht und schien sich tatsächlich Sorgen um Zarifa zu machen. Cyneric verwarf also auch Rylthas Haus als Möglichkeit.
“Dann... könnte sie vielleicht irgendwo als Dienstmädchen anfangen? Kennst du irgendwelche Adelige, die gerade jemanden suchen?”
Salia schüttelte den Kopf und verschränkte die Arme vor der Brust. “Willst du, dass ihr dieselben Sachen noch einmal passieren? Jedes Kind weiß doch, dass gerade junge Dienstmädchen beliebte Ziele von widerlichen alten Adeligen sind, die sich an ihrer Ehefrau satt gesehen haben.”
“Ihr tut es schon wieder,” mischte sich Zarifa ungehalten ein.
“Was?” fragten Cyneric und Salia gleichzeitig.
“Ihr redet über mich, als wäre ich gar nicht da. Das ist nicht sehr höflich.”
“Oh, entschuldige,” sagte Cyneric. “Es ist nur so, dass...”
“...du gar nicht weißt, wohin ich jetzt soll,” ergänzte Zarifa. “Das macht nichts. Ich komme schon alleine irgendwie zurecht.” Sie klang verstimmt, als hätte sie mehr von ihm erwartet.
“Zum Glück weiß ich Rat,” sagte Salia triumphierend. “Cyneric, du solltest sie zu Lilja Vorlas bringen. Soweit ich weiß, schuldet sie dir einen Gefallen, nicht wahr?”
Cyneric brauchte einen Augenblick, um sich an die Hofdame zu erinnern, die bei seinem ersten Auftrag für die Schattenläufer dabei geholfen hatte, die Leiche eines von Rylthas Opfern verschwinden zu lassen. Bei seiner zweiten und letzten Begegnung mit Lilja hatte sie ihn darum gebeten, einen Gegenstand in die persönliche Truhe eines seiner Mitgardisten zu schmuggeln, was er auch getan hatte. Der betroffene Gardist war später vom Rat der Zehn ins Exil verbannt worden.
“Ja, ich erinnere mich. Und wie kann Lilja Zarifa helfen?”
“Sie gehört zu einer Gruppe von Frauen aus Dervesalend, die man die Stahlblüten nennt. Kennst du das Sprichwort? “Hinter jedem mächtigen Mann steht eine starke Frau, die ihm seine Entscheidungen einflüstert.” Die Stahlblüten sind Hofdamen von edler Geburt, die es sich zum Ziel gesetzt haben, eine solche starke Frau zu werden, die insgeheim die Geschicke des Reiches lenkt. Viele der Königinnen Rhûns gehörten zu ihnen. Sie besitzen ein großes Haus im Nordosten der Stadt, direkt oberhalb der Klippe, an der Gortharia an das Meer grenzt. Und das Besondere an diesem Haus ist, dass es Männern per königlichem Dekret verboten ist, es zu betreten.”
Zarifas Interesse war eindeutig geweckt worden, doch sie sagte zweifelnd: “Und was soll ich unter lauter reichen, verwöhnten Frauen?”
“Du bist doch ein schlaues Mädchen,” meinte Cyneric. “Sicherlich kannst du dort lernen, wie du auf dich selbst aufpassen kannst. Außerdem wärst du dort in Sicherheit.”
Salia schien noch nicht fertig zu sein. “Die Stahlblüten - oder zumindest Lilja - sind mit den Schattenläufern verbündet, aber das war nicht immer so. Oft genug ist es in unserer langen Geschichte schon vorgekommen, dass wir Schatten den hoch gesteckten Zielen der Blüten im Wege standen. Ihr dürft nicht glauben, dass Worte und Manipulation der Mächtigen ihre einzigen Waffen sind. Wenn die Gerüchte wahr sind, dann sollte niemand eine der Stahlblüten im Kampf unterschätzen. Jedenfalls wissen sie, wie man eine Leiche spurlos verschwinden lässt.”
Zarifa blickte nachdenklich drein. Man sah ihr an, dass sie angestrengt nachdachte.
“Es wäre ja nicht für immer,” sagte Cyneric. “Doch wenn es stimmt, was Salia sagt, gäbe es bei den Blüten einen Ort für dich, an dem du dich ausruhen kannst und in Sicherheit bist, bis du dich bereit fühlst, dich der Welt wieder selbstständig zu stellen.”
“Ich... könnte es mir ja mal ansehen,” meinte Zarifa zögerlich. “Aber wenn es mir nicht gefällt, verschwinde ich wieder.”
“Ich werde dich dort zwar nicht besuchen können, aber wenn du meine Hilfe brauchst, werde ich zur Stelle sein,” versprach Cyneric ihr. “Zumindest bis ich losziehe, um meine Tochter zu finden.”
Zarifa warf ihm bei diesen Worten einen Blick zu, den Cyneric nicht deuten konnte. Er fragte sich, was sie wohl gedacht hatte, als er angedeutet hatte, dass er die Stadt bald wieder verlassen würde.

Salia verabschiedete sich kurz darauf von ihnen und sie machten sich auf den Weg zum Anwesen der Stahlblüten, das mitten im Adelsviertel von Gortharia lag. Der Nachmittag neigte sich dem Ende zu, als sie in die schon deutlich leereren und saubereren Straßen des Nordostviertels Gortharias kamen. Als das Anwesen der Blüten gerade in Sicht kam, sah Cyneric aus dem Augenwinkel, wie eine bekannte Gestalt aus einem der ganz in der Nähe liegenden großen Häuser kam und die Straße betrat, auf der Cyneric und Zarifa gerade unterwegs waren.
“Heda, Milva!” rief er, um die Aufmerksamkeit seiner weiblichen Bekanntschaft zu erwecken.
Milva schien sich in einer Art Tagtraum befunden zu haben, denn sie schreckte mit einem recht undamenhaften “Häh?” hoch und brauchte einen Augenblick, bis sie Cyneric erkannte. Rasch kam sie zu ihnen herüber und blieb vor Zarifa stehen. Die blonde Dorwinierin musterte die junge Südländerin kritisch und ihr Blick huschte dabei mehrfach zwischen Zarifa und Cyneric hin und her.
“Irgendwie hatte ich erwartet, dass deine Tochter dir etwas ähnlicher sieht,” kommentierte sie. “Ich freu’ mich aber trotzdem für dich, dass du sie gefunden hast.”
Zarifa schien das Ganze nicht lustig zu finden und machte ein beleidigtes Gesicht.
“Das... das ist nicht meine Tochter,” sagte Cyneric betreten. “Ihr Name ist Zarifa.”
Milva machte große Augen. “Sie ist doch wohl nicht etwa eine...”
“HE!” Zarifa war nun wirklich sauer.
“Das war nicht gerade freundlich, Milva,” meinte Cyneric mit etwas Tadel in der Stimme. “Ich dachte, du kennst mich inzwischen. Zarifa ist eine ehemalige Sklavin Fürst Radomirs.”
“Radomir, der inzwischen tot ist, wie ich höre,” beeilte Milva sich zu sagen, um ihre Peinlichkeit zu überspielen. “Gut gemacht.”
“Da kannst du dich bei Zarifa bedanken,” erklärte Cyneric und fasste in einigen wenigen Sätzen zusammen, was in Gorak geschehen war. “Und wie ist es dir in meiner Abwesenheit ergangen, Milva?”
“Oh, also... eigentlich hatte ich eine ruhige Zeit,” druckste Milva herum.
Das glaube ich eher weniger, dachte Cyneric. Vermutlich will sie vor Zarifa nicht mit der Wahrheit herausrücken.
“Ich habe noch einige Vorbereitungen für das Fest von Herrin Velmira vorzubereiten,” fuhr Milva rasch fort. “Anscheinend soll die Königsgarde dort Wache stehen. Vielleicht sehen wir uns ja dann dort, Cyneric.”
Sie ließ Cyneric und Zarifa stehen und eilte davon.
“Was für eine merkwürdige Frau,” kommentierte Zarifa misstrauisch.

“Cyneric der Gardist. Was für eine angenehme Überraschung,” sagte Lilja Vorlas, die ein dunkelgrünes Kleid trug und deren blonde Haare zu einer Frisur aufgetürmt waren, die auf Cyneric wirkte, als würde sie Lilja andauernde körperliche Schmerzen bereiten. Doch der Dame war nichts dergleichen anzumerken. Sie hatte Cyneric und Zarifa im Garten außerhalb des Anwesens der Stahblüten empfangen, nachdem sie bei den Wächterinnen am Tor nach ihr gefragt hatten.
“Sicherlich könnt Ihr Euch denken, worum es geht,” sagte Cyneric, der die Angelegenheit rasch hinter sich bringen wollte.
“Oh, bitte. Wir sind hier unter uns. Nicht so förmlich! Also. Wer will einen Tee? Du?” Sie fixierte Zarifa mit ihren Augen, die Cyneric an tiefblaue Eiszapfen erinnerten.
“Äh... warum nicht,” gab Zarifa etwas perplex zurück.
Lilja klatschte zweimal in die Hände, und eine Dienerin trat hinter der Hecke hervor, die die beiden Bänke und den Tisch umgaben, an denen sie saßen. Cyneric hätte die junge Frau nicht als Dienerin erkannt, wenn sie sich nicht so offensichtlich wie eine Bedienstete verhalten hätte. Kleidung und Frisur waren beinahe genauso aufwändig wie bei Lilja. Sie goss drei Tassen Tee ein und verschwand wieder so rasch wie sie gekommen war.
Natürlich weiß ich längst, weshalb ihr beiden hier seid,” fuhr Lilja fort und fuhr sich mit der Zunge über die Lippen. Sie nippte an ihrer Tasse und legte dann die Fingerspitzen aneinander. “Du willst deinen Gefallen einfordern, nicht wahr, Cyneric?”
“Ihr... du sagst es,” antwortete er. “Zarifa hier hat mehrere... ungute Begegnungen mit Männern gehabt und braucht einen Ort, an dem sie in Sicherheit ist.”
Zarifa verschränkte die Arme vor der Brust, sagte jedoch nichts.
“Nun, in diesem Haus gibt es keine Männer, Zarifa,” sagte Lilja sanft, ehe sie sich wieder Cyneric zuwendete. “Dennoch wüsste ich nicht, weshalb ich sie aufnehmen sollte. Sie sieht mir nicht gerade nach einer Hochgeborenen aus.”
“Sie ist eine ehemalige Sklavin Radomirs.” Das Brandmal an Zarifas linkem Armgelenk machte diese Tatsache nur allzu deutlich.
“Ich habe ihn selbst getötet,” warf Zarifa ein.
Lilja zog die linke Augenbraue hoch. “Ist das so? Nun, an Mut scheint es dir nicht zu fehlen. Radomir war ein Scheusal. Doch mit seiner Schwester, Rhiannon, hegen wir gute Beziehungen. Sie ist ein gern gesehener Gast in diesem Haus.” Lilja machte eine dramatische Pause, ehe sie fortfuhr. “Dennoch denke ich nicht, dass der kleine Gefallen, den ich dir schulde, dafür ausreicht, Zarifa ab sofort mit durchzufüttern, so abgemagert wie sie ausschaut. Wir haben auch so schon genügend hungrige Mäuler zu stopfen.”
Das hatte Cyneric befürchtet. Bestürzt blickte er zu Zarifa hinüber, die so aussah, als wäre sie drauf und dran, wütend aufzuspringen. Doch da sprach Lilja bereits weiter.
“Ich werde Zarifa aufnehmen. Doch solange sie in diesem Anwesen wohnt, wird sie bei den Aufgaben der Bediensteten mithelfen und sich so ihren Unterhalt verdienen. Keine Sorge, dabei kannst du nicht viel falschmachen,” wendete sich Lilja nun direkt an Zarifa. “Hier wird jede Frau und jedes Mädchen gut behandelt und bekommt genügend Essen und Kleidung. Vormittags wirst du arbeiten und nachmittags kannst du tun, was du möchtest. Ich schlage allerdings als Allererstes einen vernünftigen Haarschnitt vor.”
Auf Zarifas Gesicht wechselten sich Erleichterung und Verärgerung in rasender Geschwindigkeit ab. Schließlich kam sie offenbar mit sich überein, ein klein wenig beleidigt drein zu blicken und ihre Haare zu betasten.

“Und du, Cyneric, wirst etwas für mich erledigen müssen, damit wir quitt sind,” fuhr Lilja kurz darauf fort. “In wenigen Tagen findet eine Feier zu Ehren des Königs im Anwesen von Haus Bozhidar statt. Ich werde dafür sorgen, dass du den Gardisten zugeteilt wirst, die dort Wache stehen. Und dann...”
“Und dann?” wiederholte Cyneric verblüfft.
“Oh, alles Weitere erfährst du dann vor Ort,” sagte Lilja mit einem Augenzwinkern, das Cyneric gar nicht gefiel.
Kaum bin ich wieder zurück in Gortharia, schon überschlagen sich die Ereignisse, dachte er. Dennoch war er froh, dass Zarifa für den Augenblick in Sicherheit sein würde.
Er verabschiedete sich von Lilja und Zarifa, die im Garten sitzen blieben und machte sich auf den Rückweg zum Königspalast.
Es wird Zeit, mit Morrandir über einen weiteren Blick in den geheimnisvollen Brunnen zu sprechen, dachte er.


Cyneric zum Königspalast
Zarifa ins Haus der Stahlblüten
« Letzte Änderung: 3. Feb 2018, 23:04 von Fine »
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Fine

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Ein neuer Plan
« Antwort #31 am: 16. Mär 2018, 22:18 »
Cyneric aus dem Untergrund von Gortharia


Es dauerte noch einen Tag länger als Cyneric erhofft hatte, bis er die Gelegenheit bekam, Zarifa im Haus der Stahlblüten zu besuchen. Nachtschichten und zusätzliche, vom König an die Palastgarde verordnete Patrouillen durch die zentralen Straßen der Stadt hatten dafür gesorgt, dass Cyneric drei Tage lang gerade genug Zeit zum Schlafen hatte, aber abgesehen davon keinerlei Freizeit. Und so war der Tag der Feier der Herrin Bozhidar bereits herangekommen, als er am Vormittag eilig durch die Straßen ging, um die Stahlblüten aufzusuchen.
Dort angekommen wurde er eher kühl empfangen. Die ausschließlich weiblichen Wachen ließen ihn nicht einmal einen Fuß auf das Grundstück setzen und gaben ihm mit so wenig Worten wie möglich zu verstehen, dass Frau Lilja im Augenblick keine Zeit für ihn hätte und dass Zarifa ebenfalls nicht zu sprechen sei. Erst als Cyneric sagte, es ginge um den Auftrag, den Lilja ihm gegeben hätte, hatte er Erfolg. Wenige Minuten später kam Lilja aus dem Haus und fragte ihn, was er denn nun wollte.
„Wo ist Zarifa?“ wagte er zu fragen.
„Sie ist nicht hier. Sie macht sich nützlich,“ antwortete Lilja.
„Was soll das bedeuten, sie macht sich nützlich? Ich hatte darum gebeten, dass sie hier in Sicherheit bleiben soll.“
„Und sie ist in Sicherheit. Mach dir darum nur keine Sorgen.“
„Wenn sie nicht hier ist, wo ist sie dann? Habt ihr sie etwa alleine losgeschickt?“
„Nur die Ruhe, nur die Ruhe. Sie wird bald zurückkehren. Du kannst gerne hier auf sie warten.“
„Dafür fehlt mir die Zeit.“ Cyneric wurde langsam klar, dass es ein Fehler gewesen sein konnte, Zarifa den Stahlblüten zu überlassen. Kaum lasse ich sie drei Tage alleine, wird sie schon von diesen Leuten für ihre Zwecke eingesetzt, dachte er. „Ich gehe sie suchen.“
„Das halte ich für keine gute Idee,“ erwiderte Lilja, dann seufzte sie. „Aber wenn du unbedingt so stur sein willst, bitte sehr. Geh nur und suche nach ihr. Sie hat das Anwesen sicherlich längst erreicht."
"Und wo?"
Lilja warf ihm einen Blick zu, der sagte: Für wie beschränkt hältst du mich eigentlich? Cyneric war klar, dass sie ihm nicht sagen würde, wo Zarifa zu finden war.
"Also gut. Ich werde sie schon selbst finden."
"Sieh zu, dass du dich nicht allzu auffällig verhältst. Das würde nicht gut für dich ausgehen," sagte Lilja. Die Drohung war kaum zu überhören.
Cyneric wandte sich ab und ging, ohne sich zu verabschieden.

Es dauerte eine ganze Weile, bis Cyneric durch Zufall auf das Anwesen stieß, das Lilja in einem Nebensatz erwähnt hatte. Er war zunächst ziellos durch die Gassen des Adelsviertels gelaufen und hatte einige Passanten nach Zarifa gefragt. Und tatsächlich hatte ihm ein junger Ostling weiterhelfen können und ihm den Weg zu dem großen Haus gewiesen, bei dem er jemanden gesehen hatte, der auf Zarifas Beschreibung passte. Das große, prunkvolle Haus war von einer eigenen, recht hohen Mauer umgeben. Vor dem Tor standen vier Wachen mit gezogenen Speeren, die Cyneric misstrauisch beobachteten. Rasch bog er in eine Seitenstraße ab. Und wäre dort beinahe mit Zarifa zusammengestoßen, die dort an einer Hauswand lehnte und eine Grundrisszeichnung des Anwesens der Familie Kontio studierte.
„Pass doch auf, wo du - oh, du bist das. Hallo, Cyneric. Was machst du denn hier?“ Zarifa musterte ihn mit einem Blick, in dem eine Mischung aus Wiedersehensfreude und Verärgerung zu erkennen war.
„Dasselbe könnte ich dich fragen, Zarifa. Bist du im Auftrag Liljas hier?“ Cyneric kniete sich zu ihr.
Zarifa senkte ihre Stimme zu einem Flüstern. „Ich soll in das große Anwesen dort einbrechen und etwas stehlen. Ein Testament, um genau zu sein. Und es dann gegen diese Fälschung austauschen. Warum weiß ich nicht.“ Sie hob ein Pergament hoch, das zu einer versiegelten Schriftrolle zusammengerollt war - offenbar handelte es sich dabei um das gefälschte Testament.
„Und du hast dich dazu überreden lassen?“ Cyneric konnte es kaum glauben. „Es war ein Fehler, dich bei den Stahlblüten zu lassen. Diese Leute sind gefährlich, auf ihre eigene Art und Weise. Sie nutzen dich aus, merkst du das?“
„Du hast mir ja keine große Wahl gelassen,“ gab Zarifa aufgebracht zurück. „Du hast mich einfach bei denen abgeladen und bist verschwunden, als wäre ich nur ein lästiges Gepäckstück, dessen du dich ohne viel nachzudenken entledigen wolltest. Ich dachte, du wolltest mir wirklich helfen. Da habe ich mich wohl getäuscht.“ Sie faltete die Karte hastig zusammen und stopfte sie in die große Tasche, die sie mit sich führte. Dann stand sie auf, die Arme vor der Brust verschränkt.
Cyneric erhob sich ebenfalls. „Ich kann verstehen, weshalb du aufgebracht bist,“ sagte er. „Aber bitte beruhige dich wieder. Lass uns etwas Abstand zwischen uns und dieses Anwesen dort drüben bringen, dann können wir reden.“
„Hmpf,“ machte Zarifa. „Na gut. Gehen wir.“ Besonders begeistert klang sie dabei allerdings nicht.

Sie fanden einen kleinen Platz, auf dem mehrere Bäume wuchsen, ungefähr eine Viertelstunde entfernt vom Haus der Stahlblüten. Dort setzten sie sich auf eine steinerne Bank, die im Schatten der Baumkronen stand. Hier war nur wenig los, denn sie befanden sich in der nordöstlichen Ecke der Stadt Gortharia, die eigentlich für die Reichen und Privilegierten reserviert war.
„Erzähl mir am besten erst einmal, wie es dazu gekommen ist, dass dich Lilja mit einem Einbruch beauftragt,“ sagte Cyneric freundlich.
Zarifa hingegen schien noch immer verärgert zu sein, doch schließlich begann sie, zu erzählen, wie es ihr im Haus der Stahlblüten ergangen war. „Irgendwann muss ihr aufgefallen sein, dass ich keine besonders gute Figur bei Haushaltsdiensten gemacht habe,“ sagte die junge Frau und erzählte von den Aufgaben, die sie im Haus der Stahblüten als eine der Bediensteten erfüllt hatte. „Sie kam heute morgen zu mir und sagte, sie hätte da eine Aufgabe, die eher meinen Talenten entspricht. Ich glaube, sie hat davon erfahren, als mir eine von ihren Freundinnen ein paar Tricks gezeigt hat. Du hast ihr ja nichts verraten, oder?“
„Natürlich nicht,“ versicherte Cyneric ihr. „Vielleicht hat sie sich irgendwie in die Aufzeichungen Radomirs Einblick verschafft.“
„Oder es war Radomirs Schwester, die es ihr erzählt hat,“ überlegte Zarifa. „Die war vor einigen Tagen bei Lilja zu Besuch. Aber es ist ja nicht wichtig, woher sie es weiß - jedenfalls sagte sie, dass ich in dieses Anwesen einbrechen soll und das Testament gegen eine Fälschung austauschen soll, dann würde ich für eine Woche vom Putzdienst befreit werden.“
Cyneric schüttelte den Kopf. „Ich habe dich zu den Stahlblüten gebracht, damit du dort in Sicherheit bist. Und jetzt begibst du dich freiwillig wieder in Gefahr.“
„Ich habe mich dort wie eingesperrt gefühlt, und fehl am Platz,“ erwiderte Zarifa, nach wie vor gereizt. „Ich musste einfach mal raus. Mir wäre schon nichts passiert, ich kann auf mich selbst aufpassen.“
„Da wäre ich mir nicht so sicher,“ meinte Cyneric, doch noch ehe er den Satz zuende gebracht hatte, bereute er seine Worte schon. Er musste daran denken, was Zarifa durchgemacht hatte. „Tut mir leid. Das hätte ich nicht sagen sollen.“
„Halt einfach den Mund und lass mich nachdenken,“ presste Zarifa hervor. Sie hatte ihr Gesicht mit den Händen abgestützt und ihre Ellenbogen ruhten auf ihren Knien. Eine Minute verging, dann eine weitere. Schließlich atmete Zarifa tief durch und sah ihm in die Augen.
„Ich weiß zu schätzen, dass du mich hierher gebracht hast. Aber ich weiß jetzt auch, dass diese Stadt nichts für mich ist. Die Stahlblüten sind mir unheimlich, und ehrlich gesagt trifft das auf ganz Gortharia zu.“
„Ich verstehe,“ sagte Cyneric.
„Ich weiß nur nicht, was ich jetzt tun soll, oder wohin ich gehen soll,“ fuhr Zarifa traurig und ratlos fort.
„Du könntest... mit mir kommen,“ sagte Cyneric leise. „Ich habe erfahren, wo meine Tochter ist, und gleich morgen früh werde ich nach Norden reisen und sie suchen.“
„Wirklich? Du weißt wo sie ist? Und... du würdest mich mitnehmen?“
Cyneric nickte. „Salia und ich werden nach Thal reiten und von dort zum Einsamen Berg Erebor gelangen. Und du... du könntest mit uns reiten.“
Zarifa dachte einen Augenblick über das Angebot nach. Dann nickte sie zaghaft.
„Also gut, Cyneric. Du bist zwar manchmal ein Idiot, aber ich werde mit dir kommen.“
„Wie bitte?“ Cyneric musste lachen.
„Ich bin schon gespannt darauf, seine Tochter kennenzulernen, um herauszufinden, ob sie schlauer ist als ihr Vater.“ Zarifa streckte ihm frech die Zunge heraus.
„Das werden wir wohl erst dann erfahren, wenn wir sie gefunden haben,“ antwortete er. Dann blickte er sich wachsam um. „Hast du noch Habseligkeiten im Haus der Stahlblüten?“
Zarifa schüttelte den Kopf. „Hier drin ist alles was ich habe,“ sagte sie und zeigte auf ihre Tasche. "Die haben mir die Stahlblüten gegeben, zusammen mit einem Dolch und etwas Werkzeug, für Einbrüche. Ich habe den restlichen Platz darin für meine Habseligkeiten benutzt."
„Gut. Du solltest nicht dorthin zurückkehren. Wir brechen sobald wie möglich auf. Doch bevor wir gehen, muss ich noch eine Sache erledigen.“
„Was es auch sein mag, ich komme mit dir,“ stellte Zarifa klar.
„Also gut. Dann sollten wir dir vermutlich eine Rüstung besorgen...“
Der Gesichtsausdruck, den Zarifa in diesem Augenblick aufsetzte, ließ Cyneric schmunzeln. „Komm, genug herumgetrödelt. Wir haben eine Feier zu besuchen!“ Er sprang auf und lief los, gefolgt von der reichlich verwunderten Zarifa.


Cyneric und Zarifa zum Anwesen von Haus Bozhidar
« Letzte Änderung: 29. Mär 2018, 11:27 von Fine »
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Eandril

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Re: In den Straßen von Gortharia
« Antwort #32 am: 15. Jan 2019, 22:24 »
Milva aus dem Untergrund von Gortharia

Seit sie von ihrer letzten Begegnung mit den Schattenläufern zurückgekehrt war, hatte Milva ihr kleines Zimmer kaum mehr verlassen - und seitdem war über eine Woche vergangen. Die meiste Zeit saß sie auf der Strohmatratze ihres Bettes, starrte die kahle Holzwand an, und hatte das Gefühl, die ganze Zeit in Nebel gehüllt zu sein, der sie nicht das sehen ließ, was wichtig war. Sie aß kaum etwas, verspürte aber merkwürdigerweise keinen Hunger. So waren die Tage dahin gezogen, bis ihre Vermieter sich Sorgen zu machen begannen.
Es klopfte vorsichtig an der Tür, und obwohl Milva nicht antwortete, trat eine kleine, grauhaarige Frau über die Schwelle - Ana, Ronvids Frau. Als sie Milva auf dem Bett sitzen sah, entspannten sich ihre Gesichtszüge ein wenig. "Ah, du lebst noch", meinte sie, die Hände in die Hüften gestützt. "Ronvid und ich haben uns ein wenig Sorgen gemacht... natürlich geht es uns nichts an, schließlich hast du für diesen Mond bereits bezahlt, aber nun... hast du Schwierigkeiten, Mädchen?"
Milva schüttelte den Kopf, und nickte gleichzeitig unwillkürlich. "Nein, ja, ich meine..." Sie fuhr sich mit der Hand durch die Haare, die sich, wie sie feststellte, ziemlich zerzaust und ungepflegt anfühlten. Was dachte sie sich nur? Es war nicht so, dass sie den beiden Alten misstraute. Doch sie fürchtete, dass jedes Wort zu viel eine Gefahr für ihre Vermieter bedeuten konnte.
Ana nickte mitfühlend. "Liebeskummer? Man mag es mir vielleicht nicht mehr ansehen, aber als junges Mädchen hatte ich das oft..." Sie lächelte, und Milva erwiderte das Lächeln unwillkürlich. Ana machte einen Schritt näher. "Hör zu, meine Liebe. Ich werde einen schönen Tee kochen, du kommst zu mir herunter in die Küche, und wir sprechen darüber. Von Frau zu Frau, und ohne dass Ronvid seine klugen Kommentare dazu beisteuert." Sie verdrehte die Augen, und beinahe hätte Milva gelacht. Bevor sie jedoch höflich ablehnen konnte - als ob sie unter Liebeskummer leiden würde - hörte sie ein leise Kratzen an dem kleinen Fenster. Ana hatte es auch gehört, denn ihr Blick wanderte langsam vom Bett hinüber zur Quelle des Geräusches. "Hast du...", begann sie fragend, und deutete dabei in Richtung Fenster. Kurzentschlossen sprang Milva vom Bett auf, und schob die alte Frau sanft, aber bestimmt, in Richtung Tür. "Danke, Ana, aber ich möchte jetzt wirklich ein Weilchen allein sein." Ana blickte verwirrt und ein wenig gekränkt drein. "Aber meine Liebe, was ist denn..." Als Milva sich anschickte, die Tür vor ihrer Nase zu schließen, unterbrach sie sich und sagte stattdessen: "Also schön, aber wenn du jemanden brauchst, mit dem du reden kannst..." Aus dem Augenwinkel sah Milva, wie sich das Fenster langsam öffnete, und so wartete sie das Ende von Anas Satz nicht ab, sondern schloss die Tür und schob mit einem Ruck den Riegel vor. Sie hatte sich gerade erst wieder zum Fenster umgewandt, als eine schmale, schwarzhaarige Gestalt in den Raum glitt und gewandt auf die Füße kam.

"Ich hoffe, ich habe nichts wichtiges unterbrochen?", fragte Salia, und klopfte sich ein wenig Staub von ihrem Reiseumhang. Sie sah beinahe genauso aus wie beim letzten Mal, das Milva sie gesehen hatte, wenn auch etwas zerzaust und staubig. Auch das Schwert, das in einer abgenutzten Scheide an ihrer Seite hing, war neu.
Milva schüttelte den Kopf. "Nein, nur..." Sie winkte ab. "Nichts wichtiges. Weswegen bist du hier?" Salia blickte ein wenig verlegen zu Boden. "Ich... bin mir nicht sicher, ob ich in Gortharia noch willkommen bin. Du bist die einzige Person in der Stadt die ich kenne, die nicht zu den Schattenläufern gehört - zumindest nicht direkt. Und ich dachte, vielleicht könntest du mir sagen..." Sie atmete tief durch. "Vielleicht kannst du mir sagen, ob ich vor den Schattenläufern in Gefahr bin."
Merîls Worte hallten in Milvas Kopf wieder. Nicht jetzt, da Teressa uns verraten hat... Sie nickte langsam. "Nach allem was ich weiß... glaube ich schon, dass sie eine Gefahr für dich sind." Salia hob den Kopf und blickte ihr in die Augen. Dann machte sie einen plötzlichen Schritt auf Milva zu, und packte sie fest an den Schultern. "Sie... haben dir etwas gegeben, nicht wahr? Und du hast es getrunken?" "Es war nur einmal", erwiderte Milva abwehrend, und spürte, wie sich ein leichtes Unbehagen in ihr ausbreitete. "Sie sagte, es würde mir beim Sehen helfen."
Salia machte einen Schritt zurück, und versetzte Milva dann eine Ohrfeige. "Du darfst ihnen nie wieder nachgeben. Merîls Trank, er... du wirst ihnen gehorchen. Je öfter du davon trinkst, desto gnadenloser, desto mehr wie sie wirst du werden." Milva rieb sich verwirrt die schmerzende Wange. "Du meinst, wie du es gewesen bist? Als du Teressa warst?" Salia blickte erneut zu Boden. "Ja. Ich habe mich davon befreit, aber ich weiß nicht, ob ich es alleine geschafft hätte. Ob ich es geschafft hätte, wenn ich hier in Gortharia geblieben wäre."
"Und doch bist du zurückgekehrt", stellte Milva fest. Salia nickte, und legte eine Hand auf das Schwert, das sie an der Seite trug. "Dieses Schwert hat meinem Vater gehört, und ich bin nach Norden gegangen, um es zu finden. Ich habe mir geschworen, mit dieser Waffe den König zu töten, als Rache für meine Familie. Und deswegen bin ich zurückgekehrt."
"König Goran?", fragte eine weibliche Stimme in Salias Rücken. Sowohl Milva als auch Salia fuhren zusammen, denn sie hatten den Neuankömmling nicht bemerkt. Am offenen Fenster stand Fiora, und strich sich lässig eine Haarsträhne aus dem Gesicht. "In diesem Fall wirst du dich wohl hinten anstellen müssen, Schattenläuferin."
« Letzte Änderung: 15. Jan 2019, 23:20 von Fine »

Oronêl - Edrahil - Hilgorn -Narissa - Milva

Curanthor

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Weiß und Schwarz
« Antwort #33 am: 5. Feb 2019, 16:16 »
Dragan, Tiana, Kenshin, Nerassa, Ukko und Weiß aus der Taverne "Zum einbeinigen Zweibein"

Die Sonne schien bereits hell am Horizont und tauchte die Straßen der Hauptstadt Rhûns in ein blendendes Licht, doch blieben viele Ecken durch lange Schatten unbeleuchtet. Dragan blinzelte geblendet, als er auf die Straße trat und wäre fast gegen eines der Fuhrwerke gelaufen, dass mit den Fässern aus Tianas Taverne beladen war. Der Kutscher warf ihm einen amüsierten Blick zu. In langen Mänteln, oder abgerissenen Tüchern, die ihre Rüstungen bedeckten, standen die übrigen Söldner um die Karawane herum. Dragan wusste, dass sie alle, bis aus Weiß dem Zirkel angehörten. Sie trugen Schwerter, Äxte, Speere und Schilde. Kein Vergleich zu der Garde seines Vaters in Govedalend, dafür wirkten sie zu abgerissen, doch war sich Dragan sicher, dass sie jedem Feind einen harten Kampf liefern würde. Er sah es, wie sich die Männer wachsam umblickten und mit ihrer bedrohlichen Ausstrahlung alle Passanten verscheuchten, die sich zu nahe an die Fuhrwerke wagten. Er war sich sicher, dass sich viele Veteranen unter ihnen befanden. Tiana gab indessen Anweisungen an die restlichen Fahrer der Karawane. Kenshin stand teilnahmslos neben ihn. Dragan ließ seinen Blick etwas weiter schweifen und bemerkte Weiß, der ebenfalls neben ihm stand. Die beiden Krieger wandten sich die Köpfe zu.
"Jetzt fängt keine Schlägerei an", murmelte Dragan.
Weiß' Kapuze wandte sich ihm ruckartig zu.
"Das hatte ich nicht vor", entgegnete Kenshin ruhig und musterte den fremdartigen Krieger, "Ich bin aber versucht, um ein Duell zu bitten. Es gibt wenige Krieger auf der Welt, die eine solche Ausstrahlung besitzen. Ihr habt es bestimmt schon gespürt, mein Herr. Dieses unangenehme Gefühl im Magen. Dieses Wissen, dass er jeden einzelnen Mann hier, in kleine Scheiben schneiden kann, ohne sich seinen Mantel mit Blut zu beflecken."
Die Schultern des weißen Mantels bebten kurz, was scheinbar ein verhaltenes Lachen von Weiß war, denn der hob abwehrend eine Hand und wedelte gutmütig damit umher.
"Hmm, du willst also wirklich nicht sprechen?", fragte Dragan etwas enttäuscht.
Ein Daumen nach oben bestätigte seinen Verdacht.
"Und kannst du es mit den Männern hier aufnehmen, wenn du es wolltest?"
Eine kurze Pause folgte, in der Dragan das Gefühl hatte, dass Weiß alle Söldner musterte und ihre kämpferischen Fähigkeiten abschätzte.
Die Antwort war eine flache Hand, die abschätzend umherwiegte. Eine unbefriedigende Antwort, wie er befand. Dragan ahnte schon, dass Weiß schwer zu knacken war. Gelangweilt wandte er sich ab, aus dem Augenwinkel sah er jedoch, wie sich Weiß' Schultern etwas enttäuscht senkten.
Scheinbar doch kein so abweisender und kalter Kerl, falls es ein Kerl ist.
"Dragan!", rief Tianas Stimme und sie sprang von dem Fuhrwerkt, an dem er sich gerade anlehnen wollte. Etwas leiser fuhr sie fort: "Bist du dir sicher, dass du die Stadt verlassen willst? Ich habe gerade mit einigen Leuten von den anderen Zellen gesprochen und einen aus dem Inneren Zirkel getroffen. Scheinbar wird bald etwas Großes starten, alle Mitglieder wurden in Bereitschaft versetzt."
Er überlegte kurz. Vor seinem inneren Auge schwebte das Bild Cheydans, die in einer Zelle kauerte. Er konnte sich noch nicht einmal mehr an ihr Gesicht erinnern, selbst der Klang ihrer Stimme war nur noch ein weit entferntes Flüstern in seinen Erinnerungen.
Entschlossen ballte er die Faust und nickte. Sein Platz war bei ihr und nirgendwo anders. Er würde jeden und alles aus dem Weg räumen, um bei ihr zu sein.
"Gut", befand Tiana und wirkte erleichtert, "Meine Cousine hat es nicht verdient, in den Fängen von Vakrim gefangen zu sein. Ich bin froh, dass du dabei bist." Sie legte ihm eine Hand auf die Schulter und schenkte ihm ein herzliches Lächeln, doch ihre Augen funkelten vor Trauer. Einen kurzen Moment verharrten sie so, bis sie sich abrupt abwandte und sich auf den Kutschbock schwang.
Erstaunt von der Ehrlichkeit der sonst so ausweichenden Wirtsfrau blieb er einen Moment verdattert stehen. Nerassa stieß ihm auffordernd in die Seite und reichte ihm ein paar Zügel. Dragan reagierte nicht, sondern tastete nach der Narbe an seinem Hals, unterhalb des Ohrs.
Nerassa bemerkte die Geste und fragte: "Woher hast du die eigentlich? Ich wollte dich das schon eine Weile fragen."
Er räusperte sich und griff hastig nach den Zügeln, doch der Fuchs zog die Hand zurück. Ihre grünen Augen funkelten auffordernd. Dragan mied ihren Blick und versuchte die schmerzhaften Erinnerungen zu verdrängen, die in ihm aufstiegen. Eine kalte, sternenlose Winternacht. Ein Gutshof in Flammen. Eine Gestalt mit Kapuze und zerrissener Robe. An ihren Armen und Beinen Metallringe, an denen schwarze Ketten rasselten. Ein scharfer Schmerz, der Dragan in die Wirklichkeit zurückholte. Die Todesangst, die er damals verspürte hatte, als ihm das Blut aus der großen Ader gewichen war, verklang nur langsam aus seinen Gliedern. Sein Atem war flach und kalter Schweiß stand ihm auf der Stirn.
"Nicht jetzt und frage nie wieder danach", murmelte er abwehrend und grabschte grob nach den Zügeln.
Nerassa ließ ihn gewähren, hob jedoch besorgt eine Augenbraue. Sie wusste, wie schlecht er sich auf einem Pferd hielt, schon während er sich auf dem Rücken des Rappen schwang. Sie seufzte schwer und kletterte leichthändig vor ihm in den Sattel, in dem er sich gerade mit Mühe hineingezwängt hatte.
"Das wird ja sonst sowieso nichts", sagte sie dabei und nahm ihm die Zügel aus der Hand, "Ich reite schon, seitdem ich auf einem Pony sitzen kann, fast wie das Reitervolk im Westen."
"Das wusste ich nicht", antwortete er abwesend und versuchte seinen Atem unter Kontrolle zu bringen, doch es klappte nicht. Nerassa hob ruckartig den Kopf. Der Rappe wieherte ängstlich und tänzelte auf der Stelle. Das Gemurmel auf der Straße war verstummt. Irgendwo kreischte ein Kind aus vollem Hals seine Hysterie heraus. Ein bedrückendes Gefühl legte sich über die Straße. Eine unheilvolle Gänsehaut kroch ihm über den gesamten Körper. Dragan wollte in seine Taschen greifen, doch es gelang nicht. Ein rascher Blick nach unten verriet ihm, dass seine Finger unkontrolliert zitterten. Als er nach vorn blickte, sah er, dass selbst Nerassas Schultern sich durchgehend an- und entspannten.
"Was ist das?", würgte er hervor und schaffte es seinen Körper dazu zu zwingen, sich zur Seite zu neigen. Auf der Straße vor ihm stand das erste Fuhrwerk, auf dem Tiana saß. Rechts daneben kniete Kenshin auf dem Boden und umklammerte seine Naginata. Vor dem Krieger stand Weiß schützend, sein gleißendes Schwert in der Hand. Sein Gegner war eine grauenhafte Gestalt. Der Anblick ließ ihm das Blut in den Adern gefrieren. Es war ein Wesen, das Dragan schon bereits vor zwei Jahren zu fürchten gelernt hatte. Das Rasseln der Ketten, das sich so tief in seine Erinnerung gebrannt hatte, wie die Narbe an seinem Hals in sein Fleisch, erklang, als die Gestalt ein pechschwarzes Schwert zog.
Jetzt hatte Dragan einen Namen zu dem unbekannten Schrecken, vor dem er sich in seiner Zeit als Ausgestoßener versteckt hatte.
"Schwarz", ertönte die eigentlich sanfte Stimme von Weiß mit unbekannter Härte.
Der Angesprochene zog die Kapuze ein kleines Stück zurück. Zwei blutrote Augen stierten aus den Schatten hervor. Dragan verschlug es den Atem, als er den Blutdurst darin las und senkte sofort seinen Blick.
"Weiß", antwortete Schwarz, dessen Stimme leise, aber messerscharf durch die Straße hallte, "Warum beschützt du diese Insekten?"
"Du weißt warum. Lass sie ziehen."
Schwarz schüttelte sich lautlos, sodass seine Ketten leise rasselten.
"Hast du jemals einen Stiefel gesehen, der in der Luft stoppte, als er Ameisen zerquetschte?"
"Ich habe andere Dinge gesehen, jene, die du zerstören willst. Deine Schüler werden versagen, so stark kann der Stiefel also nicht sein. Und du wirst hier und heute keinen Schaden anrichten."
Schwarz schnaubte zur Antwort, ehe er kalt sagte: "Du willst mich also aufhalten? Wir wissen, wie das ausgeht."
"Einer der Neun wird diesen Ort erreichen, wenn wir einen Kampf wagen", hielt Weiß dagegen und richtete die Spitze seiner Klinge auf Schwarz, "Nicht, dass mich das stören würde. Ich habe Zeit, du auch?"
Eine greifbare Spannung lag in der Luft, die so dicht war, dass man sie schneiden konnte. Schwarz antwortete nicht und schien zu überlegen. Er schwang probeweise seine Klinge umher. Sämtliche Menschen, die die Straße betraten oder näher als zwanzig Schritt kamen, erstarrten vor Furcht wie Salzsäulen. Dragans Hände zitterten noch immer, mit weit aufgerissenen Augen verfolgte er die Begegnung von Schwarz und Weiß.
"Zwei von ihnen sind vielleicht schon vergangen. Man kann sie vernichten, auf die eine, oder andere Weise, das steht fest", antwortete Schwarz schließlich gedehnt, steckte jedoch sein Schwert fort, "Aber ich habe keine Lust auf mehr Probleme als nötig. Wir sehen uns wieder."
Sobald die Worte verklungen waren, wandte sich Schwarz ab und verschmolz mit dem Schatten einer Gasse. Niemand rührte sich, bis das Rasseln der Ketten verklungen war.
Mehrere Herzschläge verstrichen, in dem eine ungewöhnliche Stille herrschte. Das Wiehern eines Pferdes beendete die beklemmende Stille. Leises Getuschel erhob sich. Nerassa atmete tief aus. Dragans Hände beruhigten sich, seine Atmung blieb jedoch schmerzhaft flach.
"Ich dachte, er würde uns alle aufschlitzen. Wie gut, dass Weiß uns kurz vorher beigetreten ist", flüsterte Nerassa atemlos und machte einige Atemübungen, "Ich war schon einmal in der Nähe eines der Ringgeister, doch ich hätte niemals erwartet eine ähnliche Ausstrahlung bei einem Fremden zu begegnen."
Ringsherum wurde mittlerweile laut darüber geredet, dass zwei der Neun vergangen seien. Niemand stellte die Wörter von Schwarz in Frage. Das Gerücht breitete sich wie ein Lauffeuer aus. Am Ende der Straße funkelte es verdächtig Golden. Ukko befahl sogleich den Aufbruch. Nerassa murmelte, dass sie keine Lust auf die Stadtwache habe und ließ den Rappen anreiten. Dragan hatte noch immer nicht genug Luft in den Lungen, um zu antworten. Die Begegnung mit Schwarz würde er erst in einigen Tagen verarbeiten. Schweigend blickte er in die schattigen Gassen und betete, dass dort keine dunkle Gestalt mit Ketten an Armen und Beinen warten würde, während die Karawane sich quälend langsam durch die Stadt bewegte. Die Goldröcke winkten sie unbehelligt weiter, woraufhin erleichtert aufatmete.
"Ich denke, diese Reise steht unter mächtigen Zeichen. Gute, aber auch Schlechte", meinte Nerassa daraufhin und gab dem Pferd die Sporen, damit es zu traben begann.
"Was für Zeichen?", hakte Dragan nach, der inzwischen seine Stimme wiedergefunden hatte.
"Die Flammen des Roten Feuers sind verloschen", antwortete sie leise und wandte sich im Sattel halb zu ihm, "Nach deinen kleinen Spielchen in Govedalend, wirst du dich auf die Suche der Ishantar begeben, Feuergeist. Dies ist ein Auftrag von allen sieben Zirkeln. Bring uns die Flammen der Hoffnung wieder zurück."
"Und was haben die Ishantar damit zu tun? Und warum nennst du sie so, was auch immer sie sind?"
Nerassa setzte sich wieder gerade in den Sattel und sagte so leise, dass er sich über ihre Schulter beugen musste, um sie zu verstehen: "Sie sind die, die verborgen leben und das Feuer bewachen. Dein Freund Kenshin ist einer von ihnen."
"Wo finde ich sie?"
Sie schüttelte den Kopf und winkte ab mit den Worten, dass es noch nicht die Zeit dafür war. "Das Feuer brennt nun in allen Menschen Gortharias. Außerdem wird er dir niemals freiwillig sagen, was es mit dem Feuer und den Ishantar auf sich hat."
"Sollte ich lieber Weiß fragen?", überlegte Dragan laut.
"Ich bezweifle, dass er oder sie dir überhaupt eine Antwort gibt, wenn du nach dem Wetter fragst. Also verschwende nicht deine Zeit, bete lieber, dass wir unbehelligt durch die Stadttore kommen."
« Letzte Änderung: 6. Feb 2019, 08:24 von Fine »

Curanthor

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Eine unerwartete Offenbarung
« Antwort #34 am: 16. Jun 2019, 21:27 »
Dragan saß hinter Nerassa im Sattel und schaute sich ungehaglich um. Ihm entgingen nicht die Blicke, die man ihnen zuwarf. Ein Mann ließ eine Frau das Pferd führen, das gab es selten und galt als unmännlich. Er wusste das, aber ihm war es scheißegal. Sollten sie doch denken, was sie wollten. Dragan hatte nicht vor, wieder zurückzukehren. Sein Grund für den Besuch von Gortharia war noch immer Cheydan und er hatte keine Lust, noch weiter in die Ränkespielchen des oder der Zirkel verwickelt zu werden. Dragan zuckte zusammen, als von einem ihrer Fuhrwerk eine Kette rasselte, die die hintere Klappe oben hielt. Nerassa bemerkte seine Reaktion und ließ das Pferd etwas langsamer traben. Schneller ging es so oder so nicht durch die vollen Straßen der Stadt.
"Willst du darüber reden?", fragte sie leise und wandte ihm halb den Kopf zu.
"Wir sollten erst einmal eine große Distanz zwischen uns und diese Stadt bringen. Am besten bis nach Gondor."
"Ich glaube nicht, dass das weit genug sein würde", murmelte sie leise.
Dragan antwortete nicht. Nerassa wusste nicht, wie recht sie hatte.

"Dragan!", rief eine bekannte Stimme und Kenshin eilte von dem vordersten Fuhrwerk zu ihm. An seiner Seite war eine altbekannte Gestalt, die seine Laune endgültig kippen ließ.
"Was willst du hier, alter Mann?", fragte er Ivailo feindselig anstelle einer Begrüßung.
Sein Vater wirkte ausgezehrt, seine Augen lagen tief in den Augenhöhlen, die Wangen waren eingefallen und sein Bart sprießte ungepflegt. So hatte er ihn noch nie gesehen.
"Ich muss mit dir noch einmal reden, bevor du aufbrichst. Ich weiß, dass ich kein Recht habe dich darum zu bitten, aber würdest du mir noch ein einziges Mal dein Gehör schenken?"
Noch nie hatte sein Vater so eine Bitte an ihn gewandt, es musste unheimlich wichtig sein. Kenshin machte eine zustimmende Geste. Er spürte, wie Nerassa das Pferd zum stehen brachte und ihm zu verstehen gab, dass sie auf ihn warten würde.
"Also gut", würgte er hervor und deutete in eine abgelegenere Gasse, "Ich werde nur zwei Sätze lang zuhören, also wähle deine Worte gut."
Unbehändig und mit Nerassas Hilfe stieg er vom Pferd. Kenshin begleitete sie, sodass sich das Treiben vor dem Krieger wie ein Tor öffnete. In der Gasse angekommen, kehrte der Krieger zu der Karawane zurück, während Nerassa ihr Pferd vor dem Eingang postierte und darauf achtete, dass sie ungestört blieben.
Dragan verschränkte die Arme und lehnte sich an eine der rötlichen Wände.
"Sprich."
"Ich weiß nicht, was damals geschehen ist, als du mit deiner richtigen Mutter unterwegs warst und ich habe dir das noch immer nicht vergeben, aber da gibts es etwas, dass ich dir sagen muss."
Dragan zog die Brauen zusammen.
"Dafür verschwendest du einen ganzen Satz? Dass du mir noch immer nicht für etwas vergeben kannst, woran ich keine Schuld trage? Wofür du mir mein Leben zu Hölle gemacht hast?", den letzten Satz schrie er fast.
Ivailo blieb stumm und kniff die Lippen zusammen, während Dragan ihn wütend anfunkelte und sagte: "Zweiter Satz. Spuck es aus, ich habe nicht ewig Zeit."
Sein Vater schien sich zu straffen und blickte ihm geradewegs in die Augen. Er konnte sehen, wie er mit sich rang.
"Du hast eine Schwester", kam es ihm leise über die Lippen, "Und du musst sie retten."
Ein unbekanntes Feuer loderte in Dragans Innersten auf. Etwas platzte in seinem Kopf. Krachend landete Ivailo an der Wand, Dragan sah sich ihm selbst gegenüber, die Hand um den Hals gepackt, einen Dolch in der anderen Hand. Alles wirkte seltsam entstellt, seine Wut hatte ihm voll im Griff.
"Und von wem soll dieses Kind sein?", zischte er gefährlich leise und presste die Klinge an den nackten Hals seines Vaters. Der Stahl ritzte in die Haut und hinterließ eine blutende Wunde.
"Von Kalena!", rief Ivailo rasch, "Von deiner Mutter; von deiner einzig wahren Mutter."
Dragan ließ ungläubig den Dolch sinken und lockerte seinen Griff. "Von Kalena? Wie?"
Ivailo wandt sich, entkam aber nicht seinem Griff um den Hals.
"Erinnerst du dich, als deine Mutter für einige Zeit zur Erholung nach Minzuh ging?"
Dragan verstärkte seinen Griff und Ivailos Gesicht nahm eine bleiche Farbe an.
"Das heißt, dass du mich fast zwanzig Jahre lang belogen hast?", hackte er mit kaum beherrschter Wut nach, "Warum?!"
"Um euch beide... um euch beide zu schützen", krächzte er unter dem Druck um seinen hals und röchelte nach Luft.
"Wovor musstest du uns schützen? Warum hast du das verschwiegen?", brüllte er und befreite ihn abrupt von seinem Griff. Sein Vater fiel keuchend vornüber und massierte sich den schmerzenden Hals. Dragan konnte es nicht fassen, dass ihm das die ganze Zeit lang verheimlicht wurde. Es machte ihn wütend, aber zugleich auch traurig, da ihm seine Mutter ebenfalls nichts gesagt hatte. Sein Blick ging zu dem Eingang der Gasse, wo Nerassa ihnen immer wieder Blicke zuwarf, aber keine Anstalten machte sich einzumischen, wofür er ihr dankbar war. Dragan atmete tief durch und rieb sich die Schläfen. Der Zorn pochte immernoch in seinen Adern, aber der Gedanke, dass er irgendwo eine Schwester hatte, die offenbar in Gefahr war, kühlte ihn wieder ab. Ihm war klar, dass sein Rabenvater ihm sonst nie die Wahrheit gesagt hätte. Er drehte sich wieder zu Ivailo, der sich inzwischen wieder erholt hatte und sich seine Kleidung glatt und die Haare zurückstrich.
"Weiß Kenshin davon?", fragte er nun ruhiger.
Ivailo wirkte ein Spur erleichert, als er nachfragte. Wahrscheinlich hatte er damit gerechnet, dass Dragan nach den zwei Sätzen ging. Ivailo kannte ihn wohl nicht gut genug, um zu wissen, dass er sich schon immer Geschwister gewünscht hatte.
"Sicherlich weiß er davon, deswegen habe ich ihn überhaupt kennengelernt. Der Familienclan der Drachenklingen war so freundlich Kalena für die Zeit der Schwangerschaft bei sich aufzunehmen. Die Niwas haben deine Schwester aufgezogen, nachdem deine Mutter wieder nach Hause gekommen war."
"Drachenklingen? Niwas? Davon hat mir Kenshin noch nie erzählt."
Ivailo lächelte flüchtig und nickte.
"Das überrascht mich nicht. Er ist nicht sehr gesprächig. Falls du jemals in die Richtug gehen solltest, wirst du sehen, dass Minzuh sich deutlich von unserer Kultur unterscheidet, noch mehr-..."
Dragan unterbrach ihn mit einer Handbewegung.
"Wo ist sie jetzt? Und welche Gefahr droht ihr?", fragte er besorgt.
Ivailo wirkte einen Moment erstaunt, fing sich aber rasch und antwortete bedächtig: "Dort wo alles begann."
Dragan verstand sofort und fragte nach den Namen.
"Halte Ausschau nach einer schmächtigen jungen Frau mit dunkelblonden Haaren und einem kleinen Muttermal an der rechten Wange", er beugte sich etwas zu ihm rüber, "Ihr Name ist Idania."
"Ein schöner Name. Das beantwortet aber nicht die andere Frage."
Ivailo blickte sich hastig um, sein Blick blieb kurz an Nerassa verweilen. Dragan ahnte, dass sein Vater die Wahrheit sagen würde, denn so verunsichert hatte er ihn noch nie erlebt. "Du bist ihnen schon einmal begegnet. Ich befürchte, dass sie in den künftigen Unruhen ein sehr gutes Ziel abgeben wird."
Dragan schnaubte und fragte, warum er sie nicht selbst beschützen würde, wie es sich für einen Vater gehören würde. Doch Ivailo winkte ab und sagte, dass sein Gesicht zu bekannt sei, selbst als Wolf sei es zu unsicher und ihre Gegner weitaus gefährlicher waren, als alle Untergrundorganisationen in Gortharia zusammen.
"Weder die lächerliche Schwarze Rose, noch die selbstsüchtigen Schattenläufer können sich mit ihnen messen. Du weißt von wem ich rede. Oh und tue dir den Gefallen und vergesse den Namen von Letzteren, die mögen es gar nicht, wenn sie ins Licht getreten werden."
"Ich verstehe", sagte Dragan nur knapp und wandte sich zum Gehen, "Ich werde meine Schwester retten und Vakrim töten."
"Ich wünsche dir Erfolg, trotz allem bist du noch immer mein eigen Fleisch und Blut. Kalenas Erbe. Ihre bedachte Art hast du geerbt, nicht meine Feigheit. Merke dir das, wenn du ihnen gegenüber stehen solltest.
"Ich werde vorsichtig sein", antwortete Dragan leise und drehte sich halb um, "Gib auf dich Acht, denn du schuldest mir noch einige Erklärungen, Vater."
Ivailos Gesicht entspannte sich. "Natürlich, ich werde dich finden, wenn es soweit ist."
Irgendwie hatte Dragan das Gefühl, dass dies ein Abschied war. Ein Abschied für immer. Ein Teil von ihm war froh darum, seinen despotischen Vater nie wiederzusehen, aber die weiche Seite, die er in ihrem Gespräch gezeigt hatte, war ihm neu und stimmte ihn grüblerisch. Nachdenklich ließ er sich von Nerassa in den Sattel heben. Sie war taktvoll genug keine persönlichen Fragen zu stellen, sondern feststellend zu sagen: "Ein zusätzlicher Auftrag nehme ich an."
Dragan nickte und erklärte, dass er ebenfalls eine Warnung im Gepäck hatte. Der Fuchs nickte nur knapp und murmelte, dass die Begegnung von heute Morgen Warnung genug sei.
"Denkst du, er wird wieder auftauchen?", fragte sie, während sie zum östlichen Stadttor ritten, wo gerade die Fuhrwerke problemlos passierten.
"Ich hoffe nicht", murmelte er leise und setzte nach, "Sonst können wir alles, wofür wir in den letzten Wochen gekämpft haben in die Tonne treten - und uns dazulegen"

Eandril

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Re: In den Straßen von Gortharia
« Antwort #35 am: 8. Okt 2019, 19:25 »
Salia warf einen Blick von Milva zu Fiora und zurück, und schüttelte dann den Kopf. "Die Schattenläufer und die Schwarze Rose, Milva? Man kann dir nicht vorwerfen, dir uninteressante Freunde zu suchen."
Milva zuckte ein wenig verärgert mit den Achseln. "Ich habe mir beide nicht freiwillig ausgesucht, das solltet ihr nicht vergessen."
"Du hättest aber genug Möglichkeiten gehabt, dich aus dem ganzen Schlamassel heraus zu ziehen", widersprach ihr Fiora. "Im Übrigen ist das jetzt egal, du steckst genau wie wir über beide Ohren drin." Der Gedanke besorgte Milva - zum ersten Mal seit längerer Zeit wurde ihr bewusst, wie tief sie sich eigentlich in den Intrigen Gortharias verstrickt hatte. Salias nächste Worte machten es nicht besser. "Da wären die Schattenläufer, ihre... Kollegen von der Schwarzen Rose, ein aufstrebender Händler, der gute Aussichten hat, die Gilde zu übernehmen, und zu guter letzt das Haus Bozhidar, eines der einflussreichsten Adelshäuser der Stadt", zählte sie auf.
"Ich könnte die Stadt verlassen", gab Milva zurück. Der Gedanke hatte seinen Reiz. "Ich könnte nach Dorwinion zurückkehren, und mein altes Leben wieder aufnehmen. Das könnte ich. Und dann wäre ich das alles los."
Salia wechselte einen mitleidigen Blick mit Fiora. "Könntest du das wirklich tun?", sagte Salia leise. "Gehen, und nie zurückkehren? Trotz allem, was du weißt?"
Milva atmete tief durch, und antwortete schließlich: "Nein. Wahrscheinlich könnte ich das nicht."

Fiora, die die Arme vor der Brust verschränkt hatte, nickte äußerst selbstzufrieden. "Schön. Da wir das geklärt haben, könnten wir jetzt zur Sache kommen?"
"Ich habe gefürchtet, dass das kein Höflichkeitsbesuch sein soll", stellte Milva schicksalsergeben fest. Fioras dunkle Augen funkelten. "Goran wird heute zum ersten Mal seit langer Zeit die Sicherheit seines Palastes verlassen, um sich seinem Volk zu zeigen. Wir haben einen Plan, doch wir könnten eine weitere Absicherung gut gebrauchen. Und zufällig kenne ich da eine recht passable Bogenschützin..."
Milva verschränkte ebenfalls die Arme vor der Brust, und imitierte damit unbewusst Fioras Haltung. "Das heißt, ich soll auf irgendeinem Dach hocken, darauf warten, dass Goran vorbeikommt, und ihn dann erschießen?"
"Freut mich, dass du es so schnell begriffen hast", erwiderte Fiora. "Wahrscheinlicher ist allerdings, dass du gar nichts tun musst, denn wir haben mehr als einen Plan, und Goran wird vermutlich bereits tot sein, bevor er dich erreicht. Außerdem würde ich Goran ohnehin liebend gerne selbst den Rest geben." Sie blickte zu Salia, deren Miene nicht zu deuten war. "Du kannst meinetwegen mit ihr gehen, zur Sicherheit."
Milva befingerte nervös das Ende ihres Zopfes. "Und was, wenn ich Nein sage?"
Fiora lächelte selbstgefällig, als sie antwortete: "Du wirst nicht Nein sagen."

Natürlich hatte Fiora recht behalten, und so hockte Milva nun in unbequemer Haltung auf dem Giebel eines Daches, hinter dem Schornstein vor neugierigen Augen auf der Straße verborgen, den Bogen in der Hand und die rechte Hand locker auf die Sehne gelegt. Es machte ihr nichts aus, denn auf der Jagd hatte sie mehr als nur einmal in ähnlich unbequemer Position eine Stunde oder mehr warten müssen, dass das Wild sich zeigte. Dieses Mal jedoch hoffte sie, das Wild gar nicht erst zu Gesicht zu bekommen, denn das hätte bedeutet, dass alle vorherigen Mordversuche der Schwarzen Rose gescheitert waren.
Sie ließ den Blick über die Nachbardächer schweifen. Auf einem der Dächer verbarg sich Salia. Milva war sich nicht sicher, was die ehemalige (?) Schattenläuferin wirklich vorhatte. Scheinbar hatte sie Fioras Plan, Milva auf ihrem Posten zu beschützen, zugestimmt, doch Milva konnte nicht anders als zu vermuten, dass Salia noch eigene Pläne verfolgte. Vielleicht hatte sie sogar vor, Goran selbst zu töten - nicht, dass Milva etwas dagegen gehabt hätte. Ihr kam es nur darauf an, dass Goran stürzte, und am besten das gesamte Reich von Gortharia gleich mit. Wer Goran nun den letzten Stoß versetzte, war ihr herzlich egal. Was wiederum die Frage aufwarf, warum ausgerechnet sie hier oben auf dem Dach hockte. Sie fand keine befriedigende Antwort auf diese Frage.
Während Milva wartete, auf die Geräusche der Stadt unter sich wartete, dachte sie nach. Sie dachte, daran, wie sie Dorwinion verlassen hatte, um nach Gortharia zu gehen, und warum. Sie war gekommen, um Informationen über den König von Thal zu sammeln - doch anstatt die Stadt zu verlassen, sobald sie das erreicht hatte, hatte sie nicht nur ein, sondern gleich zwei tödliche Geheimkulte getroffen - wobei die Schattenläufer deutlich unheimlicher waren als die Schwarze Rose - hatte einen Mann ermordet, hatte ein Testament gestohlen und gefälscht, mit einem Adligen geschlafen und zu guter Letzt würde sie heute vielleicht einen König ermorden. Milva schüttelte den Kopf. Das alles war doch Wahnsinn. Vielleicht hatte diese Stadt es so an sich, dass jeder, der dort lebte, mit der Zeit größenwahnsinnig wurde. Oder zumindest wahnsinnig. Sie dachte an Cyneric, der Gortharia verlassen hatte, um nach seiner Tochter zu suchen. Sie hoffte, der Mann aus Rohan hatte Erfolg gehabt - und gleichzeitig wünschte sie sich, er wäre nie gegangen. Er war vermutlich die einzige vernünftige Person in dieser ganzen verrückten Stadt gewesen.

Die Straße entlang näherte sich Lärm. Es waren vereinzelte Jubelrufe darunter, die allerdings von lautstarken Unmutsbekundungen und Buh-Rufen übertönt wurden. Der König kam, und Milva stieß einen Fluch aus. Wenn er so weit gekommen war, waren die bisherigen Versuche der Schattenläufer gescheitert. Vermutlich hatten sie gar nicht erst die Gelegenheit zum Handeln bekommen, denn sonst wäre die Prozession mit Sicherheit abgebrochen worden.
Milva legte einen Pfeil auf die Sehne, und spähte am Schornstein vorbei auf die Straße hinunter. Goran und sein Gefolge näherten sich von Osten, doch dort machte die Straße eine Kurve - nach Westen jedoch hatte sie freies Schussfeld. Ein Schuss in den Rücken also. Sie hoffte, dass er auf einem Pferd ritt, denn in einer Sänfte oder Kutsche würde sie vermutlich nicht zum Schuss kommen.
Die ersten Soldaten aus Gorans Eskorte kamen in Sicht und machten unsanft eine Gasse in der Mitte der Straße frei. Milva wartete ab, noch war es zu früh, die Sehne zu spannen.
Sie hörte ein Kratzen hinter sich. Es konnte eine streunenden Katze sein, oder Salia. Es konnte aber auch etwas ganz anderes sein. Milva wollte einen Blick über die Schulter werfen, doch es war zu spät. Etwas Hartes traf sie heftig am Hinterkopf, Schmerz flammte auf, und sie verlor beinahe augenblicklich das Bewusstsein.

Oronêl - Edrahil - Hilgorn -Narissa - Milva

Rohirrim

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Re: In den Straßen von Gortharia
« Antwort #36 am: 17. Okt 2019, 16:04 »
Ceyda aus der Kneipe "humpelnder Säufer"

Immer wieder blickte Ceyda besorgt auf das Stück Papier in ihrer Hand, während sie hastig die Straßen von Gortharia entlang schritt. Sie war gerade dabei gemütlich durch die Straßen zu schlendern, als ein Bote ihr diese Nachricht von ihrem Onkel überbracht hatte. In besagter Nachricht wurde sie darum gebeten, schnellstmöglich in das Anwesen ihres Onkels zu kommen. Das war sehr ungewöhnlich. Normalerweise, wenn sie sich mit ihrem Onkel traf, waren diese Treffen lange vorher abgesprochen und geplant, da er meist sehr beschäftigt war und nur selten Zeit für spontanen Besuch hatte. Es musste sich also um etwas wirklich wichtiges handeln. Ob es etwas mit ihren Eltern zu tun hatte? Hoffentlich ging es ihnen gut. Sie hatte sich viel zu lange nicht mehr gemeldet. Hatte ihre Mutter letztes mal nicht über irgendwelche gesundheitlichen Probleme geklagt? Warum hatte sie damals nicht besser zugehört? Die Vorstellung, dass ihren Eltern irgendetwas passiert sein könnte machte ihr mit jedem Schritt mehr Angst. Warum sonst sollte sie sofort ins Anwesen ihres Onkels kommen?

Während Ceyda gedankenverloren und voller Sorge durch die Straßen schritt bemerkte sie kaum etwas von dem, was um sie herum los war. Es war ein für die Jaheszeit noch relativ warmer Tag, weswegen sich auch erstaunlich viele Leute auf den Straßen herumtrieben. Das machte es natürlich besonders einfach, Leute unauffällig zu beschatten. Doch wer sollte eine junge Witwe in diesen Tagen schon beschatten? Ceyda jedenfalls machte sich um derlei Dinge überhaupt keine Gedanken, während sie sich
allmählich ihrem Ziel näherte.

Vor der Tür des Anwesens hielt Ceyda noch einmal kurz inne. Sie versuchte sich zu beruhigen. Sie wollte ihrem Onkel möglichst gefasst gegenübertreten. Vielleicht machte sie sich ja auch völlig zu unrecht Sorgen und es ging um etwas völlig Anderes. Die junge Witwe atmetete zweimal tief ein und aus und klopfte an die Tür. Wenige Sekunden später öffnete ihr Onkel persönlich die Tür, was Ceyda überraschte. Sie hatte eigentlich einen Bediensteten erwartet. „Hallo Onkel, du wolltest mich sprechen?“ fragte Ceyda mit betont ruhiger Stimme. „In der Tat“, antworte Branimir. „Komm doch rein! Ich habe wichtige Informationen für dich.“

Ceyda zum Anwesen von Haus Castav
« Letzte Änderung: 9. Dez 2019, 19:22 von Fine »
RPG:
Char Zarifa in Rhûn

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Der Habicht von Varek
« Antwort #37 am: 21. Nov 2019, 15:41 »
Cyneric und Ryltha aus Rhûn


Die Straßen Gortharias kamen Cyneric sogar noch voller als bei seinem letzten Besuch in der Königsstadt Rhûns vor. Er erinnerte sich gut, wie er mit Zarifa aus dem Anwesen der Familie Bozhidars gekommen war und sich den Weg zum Hafen gebahnt hatte, wo das Schiff auf sie gewartet hatte, um sie nach Dorwinion zu bringen. Er fragte sich, was ihn wohl diesmal in dieser Stadt der Intrigen und Geheimnisse erwarten würde. Cyneric wusste, dass seine Lebenserwartung niedriger als zuvor war, denn obwohl Ryltha ihn offensichtlich weiterhin als Verbündeten zu betrachten schien, war das Vertrauensverhältnis zwischen Cyneric und den Schattenläufern dennoch getrübt. Abgesehen davon hatte sich Cyneric mit seiner übereilten Flucht aus Gortharia mehrere Feinde gemacht, darunter nicht zuletzt die einflußreichen Stahlblüten sowie die Palastgarde, die Desertierung mit dem Tod bestrafte.
Während er sich durch die Menschenmassen entlang einer der Hauptstraßen arbeitete, setzte Cyneric vorsichtshalber die Kapuze seines schmutzigen grünen Umhangs auf. Wann immer eine Gruppe von Stadtwächtern in blitzendem Gold an ihm vorüber ging, hielt er ohne es zu wollen den Atem an. Er durfte sich jetzt nicht erwischen lassen. Nicht bevor er herausgefunden hatte, was mit Milva geschehen war.

Schließlich gelang es Cyneric, unerkannt bis zum Gasthof "Uldors Rast" zu reiten. Dort war man den Anblick von Reisenden aus der Fremde gewohnt - sogar einige Zwerge waren hin und wieder unter den Gästen. Mit dem Gold, das er von Ryltha erhalten hatte, nahm sich Cyneric eines der kleineren Zimmer auf der obersten Etage. Das Bett sah so einladend aus, dass er sich nicht einmal die Mühe machte, die Stiefel auszuziehen, ehe er sich für ein ausgedehntes Nickerchen niederließ.
Erst als die rötlichen Strahlen der Abendsonne durch das Fenster fielen erwachte Cyneric wieder und erschrak, als er feststellte, dass er mindestens zwei, wenn nicht sogar drei Stunden geschlafen hatte. Hastig blickte er sich im Raum um, doch zu seiner Erleichterung war er nach wie vor alleine. Beinahe hätte er erwartet, unangenehme Gesellschaft vorzufinden...
Alleine, dachte er etwas schwermütig. Er stellte fest, dass er sich in den vergangenen Monaten an Zarifas Begleitung gewöhnt hatte. Und dass er das vorlaute Mädchen aus Umbar vermisste. Beinahe genauso sehr, wie er seine Tochter vermisste. Nicht zum ersten Mal fragte Cyneric sich, wo sich Déorwyn wohl inzwischen herumtreiben und welche Abenteuer sie und der Wolfskönig Aéd in Dunland wohl zu bestehen hatten.
Seine Gedanken wanderten zu Salia, die ihm in Esgaroth Lebewohl gesagt hatte, um sich ganz ihrem obersten Ziel zu verschreiben: der Ermordung König Gorans, den Salia für den Tod ihrer Eltern und ihrer Schwester verantwortlich machte. Rylthas kryptischen Worten zufolge war Salia inzwischen zu den Schattenläufern zurückgekehrt und stand wieder unter dem Einfluß des Trankes, der sie gefühllos und folgsam der Herrin der Schatten, Merîl, gegenüber werden ließ. Cyneric hatte keine Ahnung, wie er Salia aus dieser Todesfalle herausholen sollte. Solange sie sich von Rache verzehren ließ, würde Salia immer wieder nach Gortharia zurückkehren, um Goran zu töten.
Rylthas Stimme erklang in seinem Kopf. "Wenn du es nicht um Zarifas Willen tun wirst, dann tu es für Milva," hatte sie in Aldburg in ihrer typischen, kryptischen Art und Weise gesagt. Als wäre Milva in Gefahr. Doch auf der ganzen langen Reise von Rohan bis nach Gortharia hatte Cyneric kein weiteres Wort über Milva aus der Schattenläuferin herausbekommen. Er machte sich Sorgen, auch wenn er sich fragte, ob Ryltha Milva nicht einfach nur deshalb ins Spiel gebracht hatte, weil sie wusste, was die Frau vom Carnen Cyneric bedeutete.
Bedeutete? dachte er und hielt inne. Was... bedeutet sie mir denn? Er starrte gedankenverloren ins Leere und wusste selbst keine Antwort auf seine eigene Frage. Ratlos horchte er in sich hinein um auf sein Herz zu hören. Dummerweise war Cyneric noch nie sonderlich gut darin gewesen, seine eigenen oder die Gefühle Anderer zu deuten - das war einer der Gründe dafür gewesen, warum er und seine verstorbene Frau - Déorwyns Mutter - sich so gut ergänzt hatten. Denn Féortryth hatte es wie kaum eine andere verstanden, in den Herzen Fremder und Vertrauter zu lesen.
Wärest du doch jetzt hier bei mir, wünschte Cyneric sich und gab einen tiefen Seufzer der Trauer von sich. Ihr Tod hatte ihn für vier Jahre lang in eine tiefe Depression gestürzt, die daraus bestanden hatte, von einem Tag auf den nächsten zu leben und den allgegenwärtigen Tod durch die Hand der Orks, die Cyneric und seine drei Gefährten in Rohan gejagt hatten, in Kauf zu nehmen - nein, ihm sogar offen ins Auge zu blicken. Nur langsam hatten seine Wunden zu heilen begonnen, angefangen mit der Nachricht, dass Déorwyn den Krieg überlebt hatte. Die Suche nach seiner Tochter hatte Cyneric wieder einen Sinn zum Leben gegeben und nun, da er wusste, dass es Déorwyn gut ging - wie sollte es nun weitergehen?
Er versuchte, sich Milva als "Ersatz" für Déorwyn vorzustellen. Ein Mädchen, das er suchen und retten konnte. Aber... es gelang Cyneric nicht. Milva war nicht wie Déorwyn. Sie war kein Mädchen mehr und sie stand keineswegs auf einer Stufe mit jemanden, den Cyneric als Tochter betrachten könnte, wie es beispielsweise für Zarifa... oder vielleicht auch Salia galt. Da war etwas Anderes... etwas, das Cyneric wieder an seine Ehefrau denken ließ.
Da stellte er fest, dass er während den vielen Gedanken - ganz untypisch für ihn - beschämt die Hände in den Schoß gelegt hatte. Wenn Cynewulf mich jetzt sehen könnte, würde er mich noch tagelang damit aufziehen, dachte er und gab sich endlich einen Ruck, um aufzustehen. Er beschloss, sich mit seinen Gefühlen Milva gegenüber dann auseinander zu setzen, wenn er sie gefunden und aus den Schwierigkeiten gerettet hatte, in denen sie inzwischen zweifelsohne stecken musste. Milva zog den Ärger einfach an, solange sie in Gortharia war, als wäre sie eine Kerze, die von Motten umschwirrt wird. Bei dem Gedanken musste Cyneric grinsen.

Er beschloss, sogleich mit der Suche zu beginnen. Gleich hier, im "Uldors Rast", würde er anfangen. Sein Gepäck verstaute er in seinem Zimmer, das sich glücklicherweise fest verschließen ließ. Inzwischen war es dunkel genug, dass ihn der Umhang mit der tiefen Kapuze geradezu unsichtbar für bösartige Blicke machen würde. So hoffte er, unangenehmer Aufmerksamkeit zu entgehen, als er sich in den großen Schankraum des Gasthofes begab und an einem der freien, kleineren Tische Platz nahm. Eine Weile hörte er einfach nur den unterschiedlichen Gesprächen im Raum zu, der von einer lautstarken Geräuschkulisse erfüllt war. Cyneric musste die Ohren spitzen, um die verschiedenen Gespräche herauszuhören, doch da gab es nur wenig, was er nicht bereits erfahren hatte. Der Fall von Balanjar war das Thema unter den Gästen. Es gab widersprüchliche Augenzeugenberichte, doch im Großen und Ganzen waren sich alle darber einig, dass ein Heer aus Mordor in das südlichste Fürstentum Rhûns gekommen war und dessen Hauptstadt, eine Siedlung aus Zelten, niedergebrannt hatte. Manche sagten, der Schwarze Schatten Khamûl, der die Heere der Ostlinge am Erebor befehligte, sei dort gewesen. Andere behaupteten sogar, der Dunkle Herrscher selbst wäre leibhaftig in Balanjar gesehen worden. Doch nur die Wenigsten konnten sich einen Reim auf den Grund des Angriffes machen. Rhûn war schon viele Generationen lang ein Verbündeter Mordors gewesen. Wieso verheerten die Orks des Schattenlandes also nun gerade jenes Fürstentum, das die Kornkammer des Reiches von Gortharia darstellte?
"Es ist die Schuld des Königs," meinten einige. "Er hat es zu lange versäumt, Truppen nach Gondor zu entsenden."
"Nein, ich glaube, der Ewige Berater ist schuld," widersprachen Andere. "Dieser Graubart hat seine langen Finger überall, doch dieses Mal hat er sie zu weit ausgestreckt."
"Vielleicht liegt die Schuld sogar gar nicht hier in Gortharia," mutmaßten wieder andere Gäste. "Vielleicht ist der Schuldige am Erebor zu suchen. Will der Herr von Mordor vielleicht seinen unfähigen Diener Khamûl bestrafen?"
Solcherlei Reden und Vermutungen gab es an jenem Abend viele. Stets verstummten die meisten Gespräche, wenn hin und wieder einige der in gold gerüsteten Stadtwachen durch die Tür, die zur Straße hin lag marschierten und in der Schankstube mehr schlecht als recht nach dem Rechten sahen. Cyneric gab sich nach außen hin gelassen und nippte an seinem zweiten Bier, doch innerlich war er hochangespannt. Er durfte sich nicht erwischen lassen.

Als die dritte Wachstreife gerade den Schankraum verließ, nahm jemand gegenüber von Cyneric Platz. Es war eine Frau, mit langem, dunklem Haar, die einfache, feste Reisekleidung aus braunem Leder und einen hellgrauen Umhang trug. Cyneric sah drei lange Messer an ihrem Gürtel aufblitzen. Zwei dunkle, beinahe schwarze Augen musterten ihn eindringlich, doch auf den Lippen lag ein leichtes Lächeln. Es dauerte einen langen Augenblick, bis Cyneric sie erkannte.
"Sieh mal einer an," sagte er langsam und erholte sich von seiner Überraschung. "Wenn das nicht der Habicht von Varek ist."
Sein Gegenüber grinste. "Du kannst ruhig Tyra sagen," erwiderte sie und winkte die Bedienung herbei, um sich etwas zu bestellen. "Wie schön dass du noch weißt, wer ich bin. Ist 'ne ganz schön lange Zeit her seitdem du verhindert hast, dass man mich aufknüpft."
"Du musst zugeben, dass du streng genommen schuldig warst." Cyneric nahm einen Schluck von seinem Bier.
"Das habe ich nie bestritten, mein Lieber," entgegnete Tyra. "Also. Man hört so einiges über dich in letzter Zeit."
"Ach wirklich?"
"Die Palastgarde sucht nach dir. Bist ihnen offenbar desertiert. Am Drachenplatz hängt eine Zeichnung von dir. Ist gar nicht mal so übel geworden, wie ich finde."
Cyneric schluckte. "Ich hatte gehofft, inzwischen wäre vielleicht Gras über diese Sache gewachsen."
Tyra schüttelte den Kopf. "So läuft das bei der Garde nicht, das solltest du doch selbst wissen. Aber mach dir keine zu großen Sorgen. Die Garde selbst bleibt in letzter Zeit ausschließlich im Palast. Strenger Befehl des Königs." Sie spuckte aus. "Deshalb sucht bloß die Stadtwache nach dir, und die suchen auch nach vielen, vielen anderen. Solange du dich nicht tagsüber mit unbedeckten Gesicht auf den öffentlichen Plätzen blicken lässt, musst du wahrscheinlich keine Entdeckung fürchten."
Cyneric nickte und lehnte sich vor, die linke Hand auf den Tisch aufgestützt. "Und was bringt dich in diese irrsinnige Stadt?" wollte er wissen.
Tyra senkte ihre Stimme. "Die Schwarze Rose," wisperte sie. "Schon vergessen? Ich hab' mich ihnen damals angeschlossen, um den Leuten bei Varek zu helfen. Aber denen geht es inzwischen ganz gut - sie leben vom Fischfang und müssen nicht mehr stehlen. Also bin ich nach Gortharia gekommen. Aber bis jetzt gab es kaum etwas Aufregendes für mich zu tun... bis vor einer Woche."
"Was ist geschehen?"
"Eines unserer führenden Mitglieder, Fiora, ist mitten auf einer Mission verschwunden. Spurlos. Selbst die Schatten wissen nicht, wo sie ist. Auch von denen fehlt eine. Und dann war da noch eine dritte Frau dabei, die ist ebenfalls wie vom Erboden verschluckt."
"Drei Leute, die einfach spurlos verschwunden sind?" wiederholte Cyneric verwundert.
Tyra nickte. "Das Hauptquartier gleicht derzeit einem Ameisenhaufen, den man mit einem Stock umgerührt hat. Ich wusste gar nicht, dass diese Fiora so wichtig ist. Alle suchen nach ihr, und nach den anderen beiden."
"Und du?" wollte Cyneric wissen.
"Nun, ich halte Augen und Ohren offen," meinte Tyra. "So habe ich auch dich gefunden. Außerdem könntest du mir vielleicht behilflich sein."
"Wie meinst du das?"
"Ich brauche jemanden, der mir etwas Rückendeckung gibt. Unser Anführer hat Kontakt zu einem der einflussreichsten Adeligen hier in Gortharia aufgenommen, nachdem Fiora verschwunden ist. Branimir Castav heißt der Mann. Ich soll mich mit einem von Castavs Leuten treffen um Informationen auszutauschen. Allerdings findet das Treffen auf dem Anwesen der Castavs statt."
"Und du willst, dass ich dich dorthin begleite. Als Rückendeckung, falls etwas schief geht," schloss Cyneric.
"Ganz genau. Ich sehe, du hast zugehört," lobte Tyra. "Das könnte für dich ebenfalls hilfreich sein. Dieser Castav ist in Gortharia eine ziemlich große Nummer. Vielleicht kann er dir helfen, für einige Zeit von der Liste der Gesuchten der Stadtwache zu verschwinden - das sollte für ihn ein Leichtes sein. Und vielleicht weiß er mehr über die beiden Frauen, die gemeinsam mit Fiora verschwunden sind."
Cyneric lehnte sich zurück und leerte seinen Krug, während er über Tyras Angebot nachdachte. Er war sich noch nicht ganz sicher, ob er dem Habicht, so wie sie sich selbst bei ihrer ersten Begegnung in der Stadt Varek genannt hatte, vertrauen konnte. Doch sie stand in seiner Schuld, das wusste Cyneric. Und womöglich konnte dieser Meister Castav, den auch Ryltha bereits erwähnt hatte, wirklich hilfreich sein.
"Also gut," sagte er und stellte den Krug vor sich ab. "Abgemacht. Ich komme mit dir, Tyra."
"Ausgezeichnet," freute sich die Dunkelhaarige. "Das Treffen mit Castavs Mann findet erst in einer guten Stunde statt. Wir haben noch Zeit darauf zu warten, dass es auf den Straßen ein wenig ruhiger geworden ist. He, Bedienung! Noch eine Runde, ja?"


Cyneric und Tyra zum Anwesen der Familie Castav
« Letzte Änderung: 9. Dez 2019, 19:25 von Fine »
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« Antwort #38 am: 18. Dez 2019, 20:13 »
Cyneric aus dem Anwesen der Castavs


Es war Abend geworden, als Cyneric, nun wieder im Besitz seiner Waffen und seiner übrigen Habseligkeiten, das Anwesen von Branimir Castav verließ. Er trat hinaus auf die geschäftigten Straßen Gortharias. Die sinkende Sonne ließ den rotbraunen Ziegelstein, aus dem viele Häuser Gortharias sowie beinahe sämtliche Stadtmauern errichtet waren, beinahe blutrot wirken. Cyneric spürte, wie sich die Haare auf seinem Nacken bei diesem Anblick aufstellten und er spürte, wie seine Nervosität immer stärker wurde. Ganz auf sich allein gestellt gegen eine Verschwörung, die vorne und hinten keinen Sinn zu ergeben schien. Wieso sollte jemand Milva und Salia entführen? fragte Cyneric sich nicht zum ersten Mal an diesem Abend, während er versuchte, sich an die Lage des Anwesens von Haus Bozhidar zu erinnern. Wer könnte dahinter stecken? Und weshalb musste es gerade Milva sein?
Nachdenklich und einigermaßen unausgeglichen machte er sich schließlich auf den Weg. Sowohl das Anwesen der Familie Castav als auch der Wohnsitz der Bozhidars befanden sich im nordöstlichen Teil der Hauptstadt des Ostlingreiches, dem Viertel der Reichen und Adeligen. Das bedeutete jedoch nicht, dass die Straßen in diesem Stadtviertel weniger voll als anderswo waren. Auch im Adelsviertel herrschte ein Gedränge von Bediensteten und Sklaven, die im Auftrag ihrer Meister unterwegs waren. Stadtwächter behielten das Treiben mehr oder weniger aufmerksam im Auge und Cyneric stellte erleichtert fest, dass sie ihm tatsächlich nicht mehr als einen beiläufigen Blick schenkten. Castav hat Wort gehalten, dachte er. Wie auch immer er es hinbekommen hat... mein Kopfgeld ist für den Augenblick wohl verschwunden.

An einem kleinen Stand kaufte Cyneric sich eine Mahlzeit, die aus einem mit verschiedenen Gemüsesorten gefüllten Fladenbrot und einem Schlauch Wasser bestand. Nach dem Abendessen, das er im Gehen einnahm, beruhigte er sich ein wenig, doch die unterschwellige Anspannung blieb.
Ohne Vorwarnung versetzte jemand Cyneric einen brutalen Stoß in den Rücken und schleuderte ihn damit zu Boden. Er hatte gerade eine enge Gasse zwischen zwei prunkvollen  Adelswohnsitzen durchquert, als der Angriff erfolgt war. Hastig rollte er sich auf den Rücken und sützte sich hoch. Über ihm ragte eine vermummte Gestalt in dunklen Roben auf, die in jeder Hand ein blankes Schwert hielt. Cyneric hatte gerade noch genug Zeit, seine eigene Klinge zu ziehen, um die ersten Hiebe abzuwehren, doch in seiner sitzenden Position fehlte ihm die Beweglichkeit. Bei dem Versuch, sich zu erheben erhielt er einen tiefen Schnitt am Oberarm, der geradezu mühelos durch die Lederrüstung drang, die Cyneric trug. Beinahe augenblicklich verlor er sein Schwert. Zwei Klingenspitzen zeigten nun auf sein ungeschütztes Gesicht.
"Niemand begeht ungestraft Verrat an den Stahlblüten," drang die Stimme des vermummten Angreifers an Cynerics Ohr, die er als weiblich identifizierte. Er schloss die Augen und ergab sich seinem Schicksal. Sein letzer Gedanke galt seiner Tochter...
...als ihn ein grässliches Gurgeln wieder zurück in die Wirklichkeit zerrte. Cyneric riss die Augen auf und bekam gerade noch mit, wie seine Attentäterin blutüberströmt zu Boden sank. Hinter ihr tauchte jemand auf, der die typische Rüstung eines Ostling-Soldaten in den gewohnten Goldtönen trug.
Cyneric hätte nie gedacht, jemals so froh darüber zu sein, Ryltha zu sehen. "Wie...?" brachte er heraus, als die Schattenläuferin ihm die Hand anbot, um ihm auf die Beine zu helfen.
"Du solltest dir wirklich angewöhnen, hin und wieder über die Schulter zu blicken," neckte Ryltha ihn, als hätte sie nicht gerade einen blutigen Mord verübt. Sie reinigte ihren langen Dolch mit einem schwarzen Tuch und lehnte sich dabei lässig gegen eine der beiden Wände der Gasse. "Du hast Glück, dass deine kleine Freundin bei der Schwarzen Rose uns gesagt hat, dass du die Nacht im Hause Castav verbracht hast."
"Tyra?"
Ryltha zog eine Augenbraue in die Höhe. "Ich hätte nicht gedacht, dass der Habicht von Varek dir ihren Namen nennen würde. Aber sei's drum. Jedenfalls bin ich dir seit Castavs Anwesen gefolgt, und dabei musste ich feststellen, dass Lilja dir trotz unserer Versöhnungsversuche offensichtlich noch lange nicht verziehen hat, dass du ihr das Mädchen aus Umbar weggenommen hast."
"Ich habe ihr Zarifa nicht weggenommen," hielt Cyneric dagegen. "Sie fühlte sich bei den Stahlblüten nicht wohl und wollte fort. Und-"
"Wie dem auch sein," schnitt Ryltha ihm das Wort ab. "Es gibt Wichtigeres. Teréssa ist verschwunden, und die Stadt scheint seither im Chaos zu versinken."
Cyneric atmete tief durch. Dann traf er eine Entscheidung. "Ich weiß wo sie gefangen gehalten wird."
Ryltha wirkte definitiv überrascht. "Wirklich?"
"Einer von Castavs Leuten hat gesehen, wie Salia entführt wurde, als sie mit Milva und Fiora von der Schwarzen Rose unterwegs war," erklärte Cyneric. "Castav sagte mir, sie würden im Bozhidar-Anwesen gefangen gehalten."
"Und das hat er dir einfach so verraten?" hakte Ryltha misstrauisch nach.
"Natürlich nicht," entgegnete Cyneric und spannte sich innerlich an. Wenn Ryltha die nun folgende Lüge durchschaute, wäre alles vorbei. "Er forderte Informationen im Austausch für diese Spur zu Salia und Milva. Er wollte alles über Rohan wissen und bot mir sogar an, nach meiner Rückkehr in die Riddermark als sein dortiger Spion in seine Dienste zu treten."
Ryltha musterte Cyneric eine volle Minute mit abwägendem, kaltem Blick. Dann nickte sie langsam. "Das... passt zu diesem verdammten Geldsack. Schon immer hat er versucht, seine Finger überall dorthin auszustrecken, wo sie nichts verloren haben. Er erinnert mich an eines der tentakeligen Geschöpfe, die die Fischer des Binnenmeeres hin und wieder in ihren Netzen finden..."
"Wir müssen Salia und die anderen befreien," sprach Cyneric rasch weiter, darum bemüht, seine Erleichterung zu verbergen. "Wer auch immer sie gefangen hält hat sicherlich keine guten Absichten."
Doch Ryltha schüttelte den Kopf. "In das Bozhidar-Anwesen kommt keiner rein, seitdem es der Erbe von Herrin Velmira abgeriegelt hat. Dort wimmelt es von Wachen. Da lässt sich nichts machen. Ich fürchte, Teréssa ist auf sich allein gestellt."
"Du gibst sie einfach auf?" Cyneric traute seinen Ohren nicht. "Es muss doch einen Weg geben, in das Anwesen zu gelangen!"
"Vergiss es, Cyneric. Selbst als Herrin Velmira noch am Leben war war das Bozhidar-Anwesen für uns schon nahezu undurchdringlich. Milva war die Einzige, der es tatsächlich gelungen ist, es zu infiltrieren, und ich vermute, da war mehr Glück als Verstand am Werk."
"Ich muss es versuchen," beharrte Cyneric. "Mit oder ohne deine Hilfe."
"Sei kein Narr!" rief Ryltha. "Du rennst nur in deinen sinnlosen Tod."
"Dann tu' etwas dagegen... oder lass es sein," knurrte Cyneric und drehte sich um, um sich in Bewegung zu setzen. Seine Nervosität war verschwunden - ersetzt durch vollkommene Entschlossenheit. Er würde einen Weg in das Bozhidar-Anwesen finden, oder bei dem Versuch sterben.
"Ich kann nun einmal nicht zaubern, Cyneric," hörte er Ryltha sagen. "Warte. Warte mal! Das könnte es sein!" Sie war ihm nachgelaufen und ihn mit festem Griff am Arm zum Stehen gebracht. "Vielleicht gibt es jemanden, der uns helfen kann."
"Uns?" wiederholte Cyneric.
"Lass den Unsinn," zischte Ryltha. "Die Wahrscheinlichkeit, dass wir ihn tatsächlich überzeugen können, uns zu helfen, ist zwar gering, aber... es ist einen Versuch wert." Ihre Stimme gewann an Zuversicht. "Komm. Wir müssen ins Südviertel der Stadt. Wenn wir Glück haben, ist er gerade dort, und nicht im Palast." Sie ließ die Leiche achtlos liegen und eilte los, die dunkle Gasse entlang.
"Von wem sprichst du?" rief Cyneric und beeilte sich, der Schattenläuferin zu folgen. "Wer ist diese geheimnisvolle Person?"
"Der ewige Berater persönlich..." antworte Ryltha mit einem scharfsinnigen Grinsen.


Cyneric und Ryltha zum Konzil der Zauberer
« Letzte Änderung: 19. Dez 2019, 00:18 von Fine »
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