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Autor Thema: In den Straßen von Gortharia  (Gelesen 25820 mal)

Eandril

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Re: In den Straßen von Gortharia
« Antwort #15 am: 25. Feb 2017, 12:23 »
Milva erreichte, das Pferd am Zügel führend, den Treffpunkt genau eine halbe Stunde nach ihrem Aufbruch. Es wäre vermutlich schneller gegangen, wenn sie sich nicht trotz Bohdans Wegbeschreibung zwei Mal beinahe verirrt hatte, doch immerhin war sie pünktlich. Ein steter Strom Menschen floss durch das Tor in die Stadt und hinaus, doch längst nicht so dicht wie am Südtor, durch das Milva Gortharia betreten hatte. Etwas abseits des Zwergentores hatten sich drei Männer versammelt, die ebenfalls Pferde mit sich führten und deren grün-braune Kleidung sie eindeutig als Jäger zu erkennen gab. Als Milva sich ihnen näherte, sprach einer der Jäger sie an: "Milva, ja?"
Milva nickte, und murmelte einen Gruß während sie den Blick über die drei Männer schweifen ließ. Der, der sie angesprochen hatte, musste bereits auf die fünfzig zugehen, und durch sein kurzes schwarzes Haar zogen sich bereits silberne Strähnen. Die anderen beiden waren jünger, etwa in Milvas Alter oder vielleicht etwas älter. Einer der beiden betrachtete sie unverholen interessiert, während der andere geradewegs an ihr vorbeizuschauen schien.
"Dann sind wir ja vollzählig", meinte der Ältere zufrieden. "Ich bin Klemen, oberster Jäger der Herrin Velmira Bozhidar. Das sind Pero und Mislav." Während Mislav ihr freundlich zulächelte, ließ Pero einen verächtlichen Blick über Milva und den Bogen auf ihrem Rücken schweifen.
"Kannst du mit diesem Prachtstück überhaupt umgehen?", fragte er spöttisch. "Wenn nicht, kann ich dir ein anderes Prachtstück zeigen, mit dem du ein bisschen Spaß haben kannst." Pero grinste anzüglich, und Milva konnte sich nur mühsam zurückhalten, ihm nicht die Faust ins Gesicht zu schlagen.
"Wenn dein Prachtstück größer als zwei Fingerbreit ist...", gab sie zurück, wobei sie ihren Zorn nur schwer unterdrücken konnte. Kerlen wie Pero war sie bereits überall begegnet, Kerle die glaubten, Frauen wären nur für eine Sache zu gebrauchen. Aber sie würde es ihm zeigen. "Wenn du willst, können wir ja testen, wer besser mit dem Bogen umzugehen weiß."
Pero, der bei ihrer Erwiderung weiß vor Zorn geworden war, entgegnete: "Jederzeit. Und wenn ich gewinne..." Er grinste erneut anzüglich, wandte sich dann mit einem verächtlichen Schnauben ab und schwang sich auf sein Pferd. Klemen, der dem Austausch schweigend gelauscht hatte, schüttelte stumm den Kopf und tat es ihm gleich. Nach einem Augenblick des Zögerns stieg Milva ebenfalls aufs Pferd, und folgte ihnen durch das Tor aus der Stadt hinaus.

Milva in die Gebiete südwestlich der Stadt
« Letzte Änderung: 27. Feb 2017, 11:02 von Fine »

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Eandril

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Re: In den Straßen von Gortharia
« Antwort #16 am: 10. Apr 2017, 21:51 »
Milva vom Bozhidar-Anwesen

Ohne, dass sie es bemerkt hatte, hatten Milvas Schritte sie zurück ins nördliche Händlerviertel geführt. Dorthin wo, wenn man so wollte, ihre Erlebnisse in Gortharia begonnen hatten. Sie ging langsam und ohne besonderes Ziel durch die Gassen, während sich über den hohen, eng zusammen stehenden Hausdächern allmählich die Sonne dem Horizont zuzuneigen begann. Schließlich stand sie vor dem Haus mit dem eisernen Zaun, dass dem Händler Ántonin Dvakar gehörte, legte die Hände auf das kalte Metall, und betrachtete das Haus unschlüssig. Sie wusste nicht recht, was sie tun sollte, was, wenn der Händler ihr kurzes Treffen bereits vergessen hatte und sie nicht einließ? Doch mehr konnte eigentlich nicht geschehen, dachte Milva, und ging durch die Pforte im Zaun den kurzen, mit Kies bestreuten Weg bis zur Tür und betätigte den eisernen Türklopfer. Ein wenig zaghaft, doch das Geräusch war deutlich zu hören, und nur wenig später öffnete sich die Tür.
"Ja?", fragte der weißhaarige Mann, der ihr geöffnet hatte. Er blinzelte und streckte den Kopf ein wenig vor um Milva zu betrachten, sodass sie vermutete, dass seine Sehkraft nachließ.
"Ich, äh...", begann Milva, und der Alte tappte langsam aber offensichtlich ungeduldig mit dem Fuß auf den Boden. "Ich würde gerne euren Herrn sprechen, den Händler Ántonin Dvakar."
"Euer Name?", krächzte der Mann. "Milva", erwiderte sie, und der Alte strich sich mit der fleckigen Hand über das von weißen Bartstoppeln übersäte, faltige Kinn. "Milva, hm", murmelte er. "Sagt mir nichts, aber wahrscheinlich hab' ich's nur wieder vergessen..." Er drehte sich um und rief in das Haus hinein: "Ánton, hier ist wieder eins von deinen Mädchen!"
Milva blinzelte, überrascht von dem offensichtlich vertraulichen Ton, den der alte Diener gegenüber seinem Herrn anschlug. Sie hatte nicht viel mit reichen Händlern zu tun gehabt - um genau zu sein, gar nicht - aber sie hätte eigentlich erwartet, dass auch deren Diener wie bei Adligen vor ihrem Herrn geradezu kriechen mussten.
Im Flur waren Schritte zu hören, und schließlich tauchte Ántonin in der Tür auf. Als er Milva erblickte, verwandelte sich der verwirrte Ausdruck auf seinem Gesicht in ein Lächeln. "Ah, Fräulein Milva, wie schön euch zu sehen."
Er wandte sich dem Diener zu, und sagte: "Vladir, Fräulein Milva ist keins von meinen Mädchen wie du so nett zu sagen pflegst. Im Übrigen wäre ich dir sehr dankbar, wenn du solche Gerüchte nicht noch weiter verbreiten würdest."
"Ich weiß was ich weiß", brummelte der Alte, und verschwand mit langsamen, schlurfenden Schritten im Haus. Ántonin seufzte, bevor er eine einladende Geste machte und sagte: "Bitte, kommt doch herein." Milva trat ein wenig unsicher durch die Tür, und folgte ihm durch den dämmrigen Flur in einen von der untergehenden Sonne, die durch die offenen Fenster schien, erhellten Raum. Der Händler ließ sich auf einem von mehreren Sesseln nieder. Milva folgte seiner auffordernden Geste und setzte sich in einen der anderen, nachdem sie Köcher und Bogen abgenommen und vorsichtig gegen eine der Armlehnen gelehnt hatte. Sie brauchte einen Augenblick um sich an das Gefühl zu gewöhnen, denn sie hatte noch nie auf etwas so weichem und bequemen gesessen. Sie war an Lager unter freiem Himmel gewohnt, auf Baumstämmen, Felsen oder dem nackten Erdboden zu sitzen, wenn sie Glück hatte auf einem hölzernen Stuhl oder einer Strohmatratze.
"Ihr müsst nicht alles glauben, was der alte Vladir erzählt", sagte Ántonin, während Milva sich noch immer staunend umsah. "Er hat schon meinem Vater gedient und wird allmählich alt, blind und sein Geist lässt auch nach, aber er ist ein hervorragender Koch und ich bin zu sehr an ihn gewöhnt um mich von ihm zu trennen." Milvas Blick wanderte über den kostbaren Teppich, der den steinernen Boden bedeckte, die kunstvoll gestaltete Feuerstelle in einer der Ecken des Raumes, den von wertvoll geschnitzten Schreibtisch aus glänzendem Holz, und schließlich zurück zu dem mit kostbarem Stoff bezogenen Sessel, auf dem sie saß. Alleine der Stoff des Sessels war vermutlich ein vielfaches von dem Wert, was sie an Kleidung trug, und es machte Milva schwindelig.
"Ihr seid... wirklich sehr reich, nicht wahr?", fragte sie schwach. Sie kam sich fürchterlich fehl am Platz vor.
Ántonin lachte leise, aber es war kein spöttisches oder gar hämisches Lachen. "Wohlhabend, kann man wohl sagen. Aber es gibt in dieser Stadt durchaus den ein oder anderen, der noch bedeutend reicher ist als ich. Eure neue Herrin zum Beispiel."
"Meine neue..." "Herrin, ganz richtig", beendete der Händler den Satz für sie. "Ihr arbeitet doch nun für Velmira Bozhidar, nicht wahr? Ich habe gestern mit ihr zu Abend gegessen, und sie hat mir einiges von ihrer neuen Jägerin erzählt. Und als ihr eben vor meiner Tür gestanden habt, wurde mir plötzlich klar dass sie euch meinen musste. Sie wäre schockiert wenn sie wüsste, dass ich euch in meinem Haus als Gast empfangen habe." Der Gedanke schien ihn zu belustigen, also fragte Milva: "Wieso tut ihr es dann, wenn es so schockierend ist?"
Ántonin zog eine Augenbraue in die Höhe, und antwortete: "Nicht für mich. Herrin Bozhidar und ich haben einige gemeinsame Interessen und kann sehr bezaubernd sein, wenn sie will. Aber sie hat auch sehr altmodische Vorstellungen, was die Trennung zwischen den Reichen und den... nicht ganz so Reichen angeht."
"Ihr meint zwischen den Reichen und den Armen", erwiderte Milva, und Ántonin betrachtete sie interessiert. "Auch zwischen den Reichen und den Armen", bestätigte er, bevor er sich aus seinem Sessel erhob und zum Tisch hinüberging. "Ihr seid allerdings nicht hier um mit mir über Politik zu streiten, nicht wahr?" Während er einige Papiere beiseite räumte, antwortete Milva langsam: "Nein.. eigentlich hatte ich vor auf euer Angebot einzugehen. Ich..." Sie zögerte, ob sie wirklich so offen sein konnte. "Ich vermisse meine Heimat. Die Wälder, und die..." Sie brach ab. Ántonin nickte verständnisvoll, und winkte sie an den Schreibtisch heran.
"Nun, dann will ich euch eure Heimat zeigen." Auf dem Tisch ausgebreitet lag eine Karte. Milva hatte noch nie eine Karte von Rhûn gesehen, doch sie glaubte sie Form des Meeres von Rhûn zu erkennen, und links - westlich -davon die Berge von Gorak, die sie vor wenigen Wochen erst durchquert hatte.
"Hier", Ántonin deutete auf einen Punkt am Südufer des Meeres, "Sind wir. Und irgendwo hier", sein Finger wanderte über das Meer hinweg, eine dünne Linie, die vermutlich den Rotwasser darstellen sollte, entlang nach Norden, "kommt ihr her."
"So weit...", sagte Milva leise, und spürte, wie ihre Brust sich schmerzhaft zusammenzog. Natürlich hatte sie gewusst, dass Gortharia weit von Dorwinion und dem Sternenwald entfernt war, aber es so auf der Karte zu sehen, war noch anders. "Sind das hier die Eisenberge?", fragte sie, und zeigte auf eine grauschwarze Masse am Nordende der Linie des Rotwassers.
"Natürlich", bestätigte Ántonin. "Es steht doch..." Er unterbrach sich, und biss sich auf die Unterlippe. "Ihr... könnt nicht lesen. Verzeiht." Milva schüttelte den Kopf. "Leute meines Standes haben dazu selten die Zeit. Wir sind zu beschäftigt mit Überleben."
Der Händler zog erneut eine Augenbraue in die Höhe. "Lesen zu können, kann unter Umständen beim Überleben helfen. Ihr solltet es lernen."
"Vielleicht", murmelte Milva, plötzlich wieder unsicher. Sie wandte den Blick nicht von dem kleinen Fleck auf die Karte, wo sie ihre Heimat vermutete, als ob ein Teil von ihr hoffte, durch das Pergament auf magische Weise einen Blick darauf erhaschen zu können.
"Setzen wir uns", schlug Ántonin vor. "Und dann... erzählt mir von eurer Heimat, wenn ihr das wünscht."

Nachdem sie sich erneut gesetzt hatten, begann Milva zu erzählen. Zuerst langsam und stockend, dann immer flüssiger und sicherer, und mit jedem Wort hatte sie das Gefühl, die vertrauten Landschaften deutlicher vor sich sehen zu können. Sie redete von den lichten Wäldern Dorwinions, in denen sie zuerst das Jagen gelernt hatte. Von dem kleinen Dorf an der Flussbiegung, in dem sie aufgewachsen war. Von dem Schilf am Ufer des Flusses, das im Wind sanft raschelte. Von den weiten, grasbewachsenen Ebenen östlich davon, die sich schier endlos zu erstrecken schienen, und den niedrigen, bewaldeten Hügeln im Westen, die Schutz und Geborgenheit boten. Von den dichteren, dunkleren Wäldern im Norden, in denen... Milva brach ab. Beinahe hätte sie vom Sternenwald gesprochen, und von den Elben die dort lebten. Doch das war ein Geheimnis, dass sie niemandem erzählen konnte, außer vielleicht... Ryltha musste sie es erzählen, damit sie einen Boten dorthin schicken konnte, mit dem was sie über König Bard in Erfahrung gebracht hatte. Sie hoffte, dass die Schattenläuferin einwilligen würde.
Offenbar hatte sie einige Zeit geschwiegen, denn schließlich räusperte Ántonin sich, und sagte: "Nun, ihr bringt es beinahe fertig, dass ich selbst eure Heimat vermisse, obwohl ich nicht von dort komme. Es klingt so... idyllisch."
"Aber das ist es nicht - nicht wirklich", erwiderte Milva. "Aber ihr sagtet ja, ihr wolltet nicht über Politik reden." Ántonin lachte. "Ihr habt wirklich eine scharfe Zunge, wenn ihr erst einmal auftaut. Ich hoffe, ihr fühlt euch nun ein wenig besser?"
Milva atmete tief durch und nickte. "Allerdings. Das war beinahe so gut, wie selbst wieder dort zu sein."
"Nun, das freut mich." Der Händler lächelte, und erhob sich. "Ich hoffe ihr verzeiht mir, wenn ich euch nun verabschieden muss, aber ich habe noch einiges zu tun - und morgen muss ich einige meiner Gildenbrüder besuchen und sie davon überzeugen, dem König weitere Kredite zu gewähren..." Auch Milva war aufgestanden, stutzte und biss sich auf die Unterlippe. "Ihr unterstützt den König?"
"Hm", machte Ántonin, und warf ihr einen scharfen Blick zu. "Und ihr missbilligt das."
"Der König ist...", begann Milva, doch Ántonin hob die Hände. "Wir hatten beschlossen, nicht über Politik zu sprechen. Das würde unweigerlich zu Streit führen, und das würde ich gerne vermeiden."
Für einen Augenblick blickte Milva ihn offen an, dann nickte sie. "Also schön, ich sage es nicht. Danke, für eure Gastfreundschaft."
"Die Freude war auf meiner Seite", erwiderte Ántonin, und lächelte so freundlich, dass Milva nicht anders konnte als das Lächeln zu erwidern. "Ich freue mich schon auf euren nächsten Besuch."
Als Milva langsam das Haus verließ und sich auf den Heimweg machte, war das gute Gefühl, dass sie bei den Gedanken an ihre Heimat verspürt hatte, bereits wieder verflogen. Oh Maya, dachte sie, und verwendete damit den Kosenamen, den ihr Vater manchmal für sie verwendet hatte. Im Augenblick fühlte sie sich nicht wie Milva, sondern eher wie das kleine, verwirrte und verängstigte Mädchen, dass Maya gewesen war. In was bist du da hineingeraten? Sie war in einer Stadt, die sie nicht kannte, umgeben von Feinden, ihre Verbündeten waren ihre ein Rätsel und der einzige wirkliche Freund, den sie zu haben schien, war ein reicher Händler, der den König unterstützte, den sie hasste. Sie wusste nicht, wie das alles enden sollte.

Milva zum Königspalast...
« Letzte Änderung: 11. Apr 2017, 15:57 von Fine »

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Eandril

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Re: In den Straßen von Gortharia
« Antwort #17 am: 25. Apr 2017, 20:19 »
Milva vom Königspalast

Beinahe den gesamten nächsten Tag hatte Milva erneut auf der Jagd verbracht, und entsprechend erschöpft war sie, als sie am Abend das Haus von Ronvid und Ana betrat. Der Schuhmacher und seine Frau saßen in der kleinen Küche, aus der es verführerisch nach Eintopf duftete. Milva lehnte Bogen und Köcher vorsichtig an die Wand und trat dann ein wenig zögerlich durch die Tür. Im Raum knisterte einladend das niedrige Feuer im Ofen, das ein schwaches flackerndes Licht warf.
Als sie eintrat, hob Ronvid den Kopf und lächelte. "Milva! Komm, setz dich zu uns und iss etwas, Mädchen." Milva schüttelte den Kopf, und erwiderte: "Nein, danke. Ich möchte euch nichts wegessen, und..."
Ana unterbrach sie kurzerhand. Die Frau des Schuhmachers hatte im Gegensatz zu ihrem Mann noch volles braunes Haar, auch wenn es von einigen grauen Fäden durchzogen war. "Ach, Unsinn." Sie schob den dritten Stuhl an dem kleinen Tisch mit dem Fuß zurück, und nahm eine dritte hölzerne Schale samt Löffel aus dem Regal und stellte sie davor. "Du siehst hungrig aus und wir haben genug, also iss."
Milva setzte sich gehorsam, und Ana füllte die Schüssel aus dem eisernen Kessel, der über dem Feuer hing. "Ich habe zwei Rehkeulen mitgebracht, die die Herrin nicht wollte", sagte Milva. "Ihr sollt sie haben."
"Kommt nicht in Frage", antwortete Ronvid. "Du schuldest uns nichts, abgesehen von der Miete für das Zimmer."
"Ich schenke sie euch", gab Milva zurück, und ihr Tonfall ließ keinen Widerspruch zu. Die beiden Alten wechselten einen bedeutsamen Blick, und schließlich meinte Ronvid: "Also schön... es muss Ewigkeiten her sein, dass ich Wildbret gegessen habe." "Aber nur, wenn du jeden Abend mit uns isst, solange du hier wohnst", ergänzte Ana, während Milva vorsichtig den dampfend heißen Eintopf probierte. "Und nicht in irgendein Gasthaus gehst, wo sie dir wer weiß was für einen Fraß vorsetzen."
Der Eintopf gehörte zum Besten, was Milva seit langer Zeit gegessen hatte. Sie war zwar normalerweise genügsam und kümmerte sich nicht groß darum, was genau sie zu Essen bekam, doch wenn das Essen gut war, konnte sie es zu schätzen wissen. Nach zwei weiteren Löffeln warf sie einen Blick durch den kleinen Raum, und stellte fest, dass sie sich wohlfühlte. Das Gefühl war ihr in der letzten Zeit beinahe unbekannt geworden, und sie konnte gerade noch einen zufriedenen Seufzer unterdrücken.
Nach einiger Zeit, in der sie schweigend gegessen hatte, fragte Milva: "Ronvid... Kannst du eigentlich lesen?"
Der Schuhmacher schnaubte amüsiert. "Natürlich kann ich lesen. Was glaubst du, wie ich meine Bücher führe?"
"Nun ja, ich dachte mir..." Milva starrte auf ihre Schüssel, und spürte, wie sie errötete. "Ich wollte fragen... vielleicht kannst du mir ein wenig davon beibringen? Ich kann auch dafür bezahlen!", fügte sie hastig hinzu.
"Bezahlen, willst du mich beleidigen?", fragte Ronvid, doch seine Augen funkelten amüsiert. "Wieso willst du lesen lernen? Ich kann mir kaum vorstellen, dass man das im Wald braucht." Er zwinkerte ihr zu, was der Frage ein wenig die Schärfe nahm, und so erwiderte Milva nur: "Ich habe festgestellt, dass es ziemlich nützlich sein kann. Und was kann schon so schwer daran sein?" Der eigentliche Grund war natürlich ein anderer. Ihr war klar geworden, dass der Auftrag, den Ryltha ihr erteilt hatte, nur ausführbar war, wenn sie einigermaßen lesen konnte. Anders würde sie das Testament der Herrin Velmira nicht erkennen können, und auch nicht, wer dort als Erbe eingesetzt war.
"Also schön", sagte Ronvid schließlich. "Ich werde versuchen, es dir beizubringen. Bezahlen musst du dafür nichts, abends ist es hier manchmal ziemlich langweilig und ich kann die Ablenkung gut brauchen. Aber wenn du dir keine Mühe gibst, werde ich aufhören."
Milva konnte sich über seinen Tonfall ein Grinsen nicht verkneifen, und neigte ein wenig übertrieben den Kopf. "Ja, Meister." Ronvid ließ sich in seinem Stuhl zurückfallen und schüttelte den spärlich behaarten Kopf. "Und nenn mich bloß nicht Meister, dann fühle ich mich älter als ich bin."

Später in der Nacht erwachte Milva plötzlich, als sie ein leises Kratzen an der Hauswand unter ihrem Fenster hörte. Das Geräusch war zwar nur leise, doch ein halbes Leben auf der Flucht vor den königlichen Soldaten hatte sie gelehrt, auf jedes ungewöhnliche Geräusch zu hören. Das Rufen einer Eule riss sie nicht aus dem Schlaf, ein Zweig der unter einem Stiefel brach, jedoch schon - und das Kratzen an der Hauswand war gehörte ebenso wenig zu den üblichen Nachtgeräuschen.
Sie richtete sich im Bett auf, griff zu dem Dolch der neben ihr auf dem kleinen Holztischchen lag, und lauschte. Wieder ein Kratzen. Es hörte sich an, als würde jemand an der Hauswand hinaufklettern. Milvas atmete möglichst ruhig, als ob sie schliefe. Den Dolch vor sich auf den Knien, nahm sie mit sparsamen Bewegungen ihr Hemd vom Boden und zog es sich über den nackten Oberkörper, ohne dabei das geschlossene Fenster aus den Augen zu lassen. In der Wildnis schlief sie normalerweise vollständig angekleidet, doch hier hatte sie sich angewöhnt, nur eine Hose zu tragen - ansonsten war es in dem kleinen Raum unter dem Dach einfach zu warm zum Schlafen.
Von der Straße drangen gedämpft die Laute einiger Zecher, die spät unterwegs waren, hinauf. Im nächsten Augenblick schwang die geschlossenen Fensterläden lautlos nach außen auf, und eine schmächtige Gestalt mit schulterlangen, schwarzen Haaren sprang hindurch.
Der Eindringling landete ebenso lautlos auf dem Boden wie er die Fensterläden aufgezogen hatte, und war sofort wieder auf den Beinen - ebenso wie Milva, die aus dem Bett gesprungen war und ihr Jagdmesser drohend vor sich hielt. Die Gestalt hob den Kopf, und zwischen den schwarzen Haaren war das schmale Gesicht einer Frau mit funkelnden grünen Augen zu sehen.
"Du hast mich gehört, sehr gut", sagte die Frau anerkennend. "Noch viel besser wäre es, wenn du mir erzählst, wer du bist und was dieser Auftritt bedeuten soll", gab Milva feindselig zurück. Sie war müde von dem Tag und ihr Körper sehnte sich nach Ruhe - die diese Frau ihr aus was für Gründen auch immer offensichtlich zu nehmen gedachte.
"Du kannst mich Teressa nennen", antwortete der Eindringling, ohne sich von dem feindseligen Tonfall abschrecken zu lassen. "Ich bin eine... Freundin von Ryltha."
"Also gehörst du zu den Schattenläufern", sagte Milva leise, um Ronvid und Ana im Nebenraum nicht zu wecken. "Was willst du hier?"
"Sie... wir haben einen Auftrag für dich", erklärte Teressa. "Zieh dich an, nimm deine Waffe, und komm mit."
"Nein", entgegnete Milva und verschränkte die Arme vor der Brust. "Ich habe den ganzen Tag lang einen eurer Aufträge ausgeführt, und jetzt werde ich schlafen."
Ohne eine Regung zu zeigen, meinte Teressa: "Du hast deine Entscheidung bereits getroffen, sie lässt sich nicht einfach rückgängig machen. Ich werde dich vor der Tür erwarten, aber nicht lange." Mit diesen Worten sprang sie so lautlos wie sie gekommen war aus dem Fenster.
Milva stand ein, zwei Herzschläge reglos in der Dunkelheit. Dann stieß sie einen Fluch zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor, zog sich an und warf sich ihren Bogen und den Köcher über die Schulter. Leise öffnete sie die Tür, schlich die Treppe hinunter und hinaus auf die Straße.
Teressa erwartete sie bereits, und sagte ohne eine Spur von Spott in der Stimme: "Das hat nicht lange gedauert."
Milva zuckte mit den Schultern. "Wie du sagtest, ich habe meine Entscheidung getroffen", erwiderte sie kühl. Teressa betrachtete sie einen Augenblick mit einem Ausdruck in den Augen, der Neugierde sein konnte, und sagte dann: "Also schön. Komm mit."

Milva folgte Teressa einige Zeit schweigend durch beinahe ausgestorbene Nebengassen und betrachtete hin und wieder verstohlen das noch beinahe jugendliche Profil der Schattenläuferin. "Wie lange gehörst du schon zu... deinen Freunden?", fragte sie schließlich, das Wort Schattenläufer in der Öffentlichkeit vermeidend. Man wusste nie, wer gerade zuhörte. Als Teressa nicht antwortete, vermutete sie: "Allzu lange kann es noch nicht sein - du bist ja höchstens so alt wie ich eher jünger."
Teressas Gesicht wurde verschlossen, und sie erwiderte kühl: "Das braucht dich nichts anzugehen. Du musst nichts über mich wissen."
"Mhm", machte Milva nur, und schwieg für eine Weile. Sie war nicht oft neugierig, schließlich erzählte sie selbst nicht gerne mehr als das nötigste über sich. Doch ihr Verstand sagte ihr, dass es klug wäre, mehr über ihre Auftraggeber in Erfahrung zu bringen. Je mehr sie wusste, desto geringer die Gefahr unliebsamer Überraschungen, und unliebsame Überraschungen waren das letzte, was sie gebrauchen konnte.
Milva dachte im Gehen nach, denn etwas an Teressas Sprechweise kam ihr vertraut vor, ohne dass sie wirklich wusste, was es war. Es hatte etwas mit ihrer Betonung und der Aussprache einzelner Wörter zu tun... "Ah", sagte sie schließlich, als es ihr einfiel. Sie umrundeten gerade einen beinahe menschenleeren Platz, in dessen Mitte die Statue irgendeines ehemaligen Königs von Rhûn stand. "Du kommst aus Thal oder vom Langen See, nicht wahr?"
Teressa reagierte anders als erwartet. Anstatt schweigend stur geradeaus zu Blicken und Milvas Frage zu überhören, blieb sie plötzlich stehen, fuhr herum und drückte Milva mit einer blitzschnellen Bewegung unsanft gegen eine Hauswand. "Woher willst du das wissen?", zischte sie, sichtlich aufgebracht. In einer anderen Situation hätte Milva sich vielleicht gefreut, eine der so kalten und beherrschten Schattenläuferinnen in Verlegenheit gebraucht zu haben, doch die Panik in Teressas Augen machte ihr Sorgen.
"Es ist... wie du sprichst", erklärte sie ein wenig mühsam, denn die Schattenläuferin presste sie mit erstaunlicher Kraft gegen die Wand. "Ich habe ein bisschen gebraucht, weil es eine andere Sprache ist, aber deine Betonung ist ähnlich wie die der Händler aus Thal, und manche Worte sprichst du ähnlich aus."
Auf dem Markt hatte sie oft mit Händlern aus dem Westen gesprochen und verhandelt, und der Akzent war ihr im Gedächtnis geblieben.
Teressa ließ sie los, und trat einen Schritt zurück. "Ich darf nicht...", murmelte sie mit gesenktem Blick. "Ich muss Teressa sein, um..." Sie hob wieder den Kopf und sah Milva ins Gesicht. "Erzähl niemandem davon - von dem ganzen Gespräch." Ein wenig verwirrt nickte Milva. Sie wusste wie es wahr, Geheimnisse vor jedem bewahren zu müssen. Dennoch fragte sie: "Nicht einmal Ryltha?"
Erneut trat ein beinahe panischer Ausdruck in Teressas grüne Augen. "Erst recht nicht Ryltha. Wenn sie erfährt, dass..." Sie unterbrach sich und schüttelte den Kopf. "Versprich mir einfach, dass du mit niemandem darüber sprichst. Schwöre es."
"Also gut, ich verspreche mit niemandem darüber zu sprechen... was auch immer das hier war", erwiderte Milva.
"Es ist besser für dich - und für mich - wenn du es nicht genauer weißt", sagte Teressa, wieder ein wenig ruhiger. "Lass uns weitergehen, wir sind beinahe dort."

Tatsächlich erreichten sie nur wenig später das Ende einer Sackgasse, in der Teressa eine eine Leiter hinter einigen Kisten hervor zog. Sie stellte sie an eines der umliegenden Dächer und kletterte behände hinauf. Milva folgte ihr ein wenig langsamer.
Oben angekommen verharrte sie neben Teressa in geduckter Haltung. "Siehst du das erleuchtete Fenster direkt auf der anderen Straßenseite?", fragte die Schattenläuferin, und Milva nickte. Die Gebäude auf der anderen Straßenseite waren ein wenig höher als das, auf dessen Dach sie standen, und das fragliche Fenster befand sich direkt auf ihrer Höhe. Durch das Fenster sah Milva ein Bett, in dem eine schlafende Gestalt - offenbar ein Mann - im Licht einer einzelnen Kerze lag.
"Gut", flüsterte Teressa. "Erschieß' ihn."
"Was?", zischte Milva zurück. "Einfach so? Wer ist das überhaupt?"
"Das muss du nicht wissen", erwiderte Teressa. "Wichtig ist nur, dass wir wollen, dass du ihn tötest. Wirst du es tun?"
Milva schwieg einen Moment. Sie hatte kein Problem damit, einen Menschen zu töten - sie hatte es in ihrem Leben oft genug getan. Sie hatte auch keine Schwierigkeiten, es aus dem Hinterhalt zu tun, oft war es gar nicht anders möglich gewesen. Doch das hier... das war kalter Mord, an einem Schlafenden noch dazu.
Trotzdem nickte sie schließlich und sagte: "Ich werde es tun. Aber warum muss er sterben?" Die Schattenläufer hatten das Ziel, den König und die Fürsten zu töten. Dieses Ziel hatte sie ebenfalls, und dafür mussten Opfer gebracht werden.
"Auch das musst du nicht wissen", antwortete Teressa, und hielt ihr einen Pfeil aus grauem Holz und mit schwarzer Befiederung hin. "Hier, benutz den."
Milva nahm den Pfeil entgegen, und wog ihn einen Moment in der Hand. Der Schaft war ein wenig leichter als sie es gewohnt war, die Befiederung ein wenig schwerer und etwas anders angebracht. Sie nahm den Bogen vom Rücken ohne die offensichtliche Frage zu stellen - warum dieser Pfeil und keiner von ihren eigenen - und legte den Pfeil auf die Sehne. Dann zog sie die Sehne zurück, bis sie ihren salzigen Geschmack im Mundwinkel spürte, zielte und schoss in einer einzigen fließenden Bewegung.
Der Pfeil flog lautlos durch die Dunkelheit, durch das geöffnete Fenster und traf mit einem auf diese Entfernung unhörbaren Aufschlag auf den schlafenden Mann. Dessen Gestalt zuckte einmal kurz, schien sich zu verkrampfen und lag dann still.
"Du bist gut", flüsterte Teressa mit unhörbarer Anerkennung. "Aber wir sollten sofort verschwinden."
Lautlos huschte sie, gefolgt von Milva, die Leiter wieder hinunter und durch die Sackgasse zurück auf die Straße. Nebeneinander gingen sie langsam den Weg zurück, den sie gekommen waren. Irgendwann fragte Milva: "Also, wer war er? Jetzt, wo er tot ist, wird es wohl nicht mehr schaden, wenn ich es weiß."
Doch Teressa schüttelte den Kopf. "Vielleicht wird Ryltha es dir morgen erklären, aber nicht ich. Ich muss jetzt gehen."
"Warum?", fragte Milva verwirrt. "Und was ist morgen?"
"Morgen ist ein wichtiger Tag", erwiderte Teressa mit einem Lächeln, das auf unbestimmte Weise traurig wirkte. "Geh jetzt nach Hause, Milva."
Damit war sie in einer Gasse, deren Öffnung Milva gar nicht bemerkt hatte, verschwunden. "Mein Zuhause ist in Dorwinion", murmelte sie leise vor sich hin, und seufzte. Dann machte sie sich auf den Weg zurück - in der Hoffnung, dass sie sich in der dunklen Stadt nicht verirren würde.

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Re: In den Straßen von Gortharia
« Antwort #18 am: 1. Mai 2017, 12:06 »
In der nächsten Nacht war Milva vorbereitet, als das leise Klettergeräusch an der Hauswand zu hören war. Sie stand, noch vollständig angezogen, von der Bettkante auf. Dann ging sie zum Fenster, öffnete die Läden und blickte an der Hauswand hinunter.
Ein Stück unter ihr hing Teressa an der rauen Holzwand, und blickte zu ihr hinauf. "Kein Grund dir die Mühe zu machen", sagte Milva leise. "Ich komme runter."
Teressa seufzte, und ließ sich auf die Straße unter ihr fallen. Ihr Aufprall war unhörbar, obwohl sie sicherlich fast zwei Meter tief gefallen war.
Nur wenig Augenblicke später trat Milva auf die nächtliche Straße hinaus. Die Stadt war in Nebel gehüllt, der vom Meer hinauf gekommen war, und Teressa wirkte darin beinahe wie ein Geist.
"Die anderen - wir - wollen mit dir sprechen", erklärte die Schattenläuferin ohne Begrüßung, und fügte dann mit plötzlich gesenkter Stimme hinzu: "Du solltest es dir gut überlegen."
"Überlegen?", fragte Milva ungläubig. "Ich dachte, ich hätte den Punkt zur Umkehr schon längst überschritten."
"Es gibt immer einen Weg", gab Teressa leise und eindringlich zurück. "Du könntest gehen und die Stadt verlassen, wir würden dich nicht verfolgen. Aber wenn du heute abend... Danach wirst du selbst dich daran hindern."
"Allmählich habe ich genug von deinen Andeutungen und Warnungen", sagte Milva ungeduldig. Sie hatte kein Verständnis dafür, wenn man etwas zu sagen hatte, sollte man es offen und klar tun. "Ich werde mich nicht umentscheiden, weil das hier das Richtige ist."
Der Zweifel stand Teressa ins Gesicht geschrieben, doch sie erwiderte nichts. Sie führte Milva durch die in Nebel gehüllten Straßen bis zu der unscheinbaren Tür, durch die sie bereits bei ihrem ersten Besuch bei den Schattenläufern den Untergrund betreten hatte.
An der Tür angekommen, drehte Teressa sich noch einmal zu Milva um, doch Milva schnitt ihr bereits im Voraus das Wort ab. "Na los, schließ auf", sagte sie.
Teressa zögerte nur einen Augenblick, dann zuckte sie mit den Schultern, und öffnete die Tür.

Milva in den Untergrund von Gortharia
« Letzte Änderung: 2. Mai 2017, 22:50 von Fine »

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Unterhaltung im Nebel
« Antwort #19 am: 2. Mai 2017, 22:51 »
Cyneric und Salia aus dem Untergrund von Gortharia


Der Schatten von Milvas Silhouette verschwand im dichten Nebel und ließ Cyneric und Salia alleine zurück. Schweigend blieben sie mehrere Minuten stehen, ehe Salia sich schließlich langsam in Bewegung setzte. Das Mädchen schien kein besonderes Ziel zu haben. Sie ist durcheinander, und braucht jemanden, der einfach nur da ist, dachte Cyneric. Seine eigene Tochter hatte auch hin und wieder solche Momente gehabt: Momente, in denen es nicht wichtig war, worüber man sprach, sondern in denen einem gezeigt wurde, dass da jemand war, dem man wichtig war. Salia ging direkt vor ihm, die Kapuze über den Kopf gezogen, und ging einfach nur geradeaus die Straße hinunter. Ihr Atem war deutlich zu hören. Es war kalt in dieser Nacht in Gortharia, und der Nebel schien mit jedem Schritt dichter zu werden. Das half Cyneric dabei, sich in Gedanken an einen anderen Ort zu versetzen: Er ging über den ausgetretenen Weg, der mitten durch Hochborn bis zu seinem eigenen kleinen Haus führte, und seine Tochter Déorwyn ging vor ihm her, verborgen unter der grünen Kapuze ihres Umhangs. Als er jedoch ein verdächtiges Luftholen hörte, wurde Cyneric rasch aus dem Traumbild gerissen und war wieder in Gortharia, in der Gegenwart. Salias Schritttempo hatte sich stark verlangsamt, und als Cyneric sah, wie sich ihre Schultern merklich hoben und senkten, wusste er was los war. Er legte dem Mädchen sachte die Hände auf die Schultern und stellte fest, dass er richtig gelegen hatte. Sie schreckte weder zurück noch riss sie sich los. Stattdessen blieb sie beinahe regungslos, abgesehen davon, dass sie sich leicht rückwärts lehnte und dabei Halt an ihm suchte und fand. Er spürte deutlich, wie ein Beben durch Salia ging. So etwas hatte Cyneric schon einmal gesehen: Gefühle, die sich angestaut hatten und unterdrückt worden waren, entluden sich nun. Mehrere lange Augenblicke blieb Salia still, doch dann drehte sie sich zu ihm um, das tränenüberströmte Gesicht voller Fragen und Erwartung. Sie hatte lautlos geweint: ein letzter Protest gegen die hochkommenden Emotionen, da sie keine Schwäche hatte zeigen wollen. Cyneric wusste, was zu tun war. Rasch legte er die Arme um sie, und Salia vergrub das Gesicht an seiner Brust. Und endlich ließ sie los und gab den Widerstand auf. Schluchzend stand sie da, für den Moment verletzlich, und doch in Sicherheit.
Obwohl es spät war, wartete Cyneric geduldig darauf, dass Salia sich von selbst beruhigte. Er wusste, dass Worte nicht dabei helfen würden. Er strich ihr nur sanft über den Kopf und hielt sie im Arm, Geborgenheit und Sicherheit ausstrahlend. Das war es, was seine Tochter immer gebraucht hatte, und Salia schien es ähnlich zu gehen.

Einige Zeit später löste sich Salia vorsichtig von ihm und wischte sich mit dem Handrücken die feuchten Wangen ab. Sie blickte zu ihm auf und sah Cyneric in die Augen.
"Niemand darf hiervon erfahren," wisperte sie. "Vor allem nicht..."
"Ich weiß," sagte er. "Es gibt nichts, worum du dich sorgen musst, Salia."
Sie schlug die Augen nieder. "Dieser Name ist nicht... Cyneric, du kennst mich doch kaum. Wie konntest du nur so... Woher wusstest du nur, was ich...?" Die Frage verhallte unbeendet.
"Wie alt bist du?" fragte Cyneric im Gegenzug. "Sicherlich nicht viel älter als zwanzig, wenn ich schätzen müsste." Da von Salia keine Widerrrede kam, nickte Cyneric leicht und sah seinen Verdacht als bestätigt an. "Ich habe eine Tochter in deinem Alter, wie du vielleicht weißt. Ryltha und Morrandir wissen es jedenfalls. Sie ist dir in einer Hinsicht sehr ähnlich: Wenn ihr alles zu viel wird, braucht sie jemanden, der sie einfach nur hält und ihr Geborgenheit vermittelt. Du hast deine Gefühle zu lange unterdrückt, Salia. Irgendwann mussten sie ja deinen Schutzwall durchbrechen."
"Aber... es war doch nur Milva, die... Ich weiß nicht, was das ausgelöst hat," stotterte Salia.
"Vielleicht hast du selbst etwas im Brunnen gesehen, als Milva hineingeblickt hast?" überlegte Cyneric. "Ich zumindest glaubte für einen Augenblick ein Bild meiner Tochter zu sehen, wie sie aus Hochborn floh. Weißt du, das ist der wahre Grund warum ich das hier überhaupt mache. Diese ganze Sache mit den Schattenläufern."
"Leise, leise!" zischte Salia und ihre Augen weiteten sich. "Du weißt nicht, wer zuhört! Lass uns einen etwas weniger öffentlichen Ort suchen. Und dann reden wir."

Rasch führte Salia Cyneric durch mehrere Straßen und Gassen bis in ein Viertel, das er seit seiner Ankunft in Gortharia noch nicht betreten hatte. Es schien hauptsächlich das Wohngebiet jener Bürger zu sein, die zwar eine Stufe über dem einfachen, armen Volk standen, sich aber weder zum Adel noch zu den Reichsten zählen konnten. Salia stoppte schließlich am Tor eines kleinen Gartens, der an drei Seiten von hohen Hausmauern umgeben war und von der Straße durch eine mannshohe Mauer getrennt wurde. Rasch schloss sie auf und winkte ihn herein.
"Hier ist es sicher," sagte sie, obwohl sie ihre Stimme noch immer etwas gedämpft hielt. Salia setzte sich auf eine der beiden kleinen Bänke, die neben den einzigen Baum standen, der den Garten zierte. Er war nicht sonderlich hoch, aber dafür breit, und hing voller Kirschen.
"Erzähl mir von deiner Tochter. Ihr Name ist Déorwyn, nicht wahr?" fragte Salia und schlug die Beine übereinander. "Ich habe allerdings gehört, dass sie sich nun anders nennt."
"Wie meinst du das?" fragte Cyneric "Ich dachte, der Brunnen zeigt nur Bilder."
"Nun, das haben zumindest Ryltha und Morrandir gesagt, als sie sich über dich beraten haben. Der Name war kurz, wie ein Spitzname. Ich glaube, er begann mit K..."
"Es ist nicht wichtig," meinte Cyneric. "Ich weiß, wie ich sie genannt habe, als sie geboren wurde, und für mich wird sie immer mein kleines Mädchen bleiben, selbst wenn sie einst selber Kinder haben sollte. Ich habe dir gesagt, dass sie der Grund für all das hier ist, und dazu stehe ich. Sie ist alles, was mir geblieben ist, Salia. Meine Frau, meine Eltern und mein Dorf sind fort. Nur Déorwyn ist noch übrig. Sie ist dort draußen irgendwo... und ich werde sie finden."
"Und der Brunnen kann dir zeigen, wo," schlussfolgerte Salia. "Aber der Preis, Cyneric! Der Preis ist zu hoch!"
"Nein," gab er entschieden zurück. "Kein Preis ist mir zu hoch. Ich werde alles tun - alles, verstehst du?"
Salia starrte ihn einen langen Augenblick an. "Du weißt noch immer nicht, worauf du dich einlässt," stieß sie hervor und vergaß für einen Augenblick ihre Zurückhaltung. "Sieh dir nur an, was sie mit mir gemacht haben! Sie fanden mich, als ich keinen Ausweg mehr hatte... und das nutzten sie gnadenlos aus. Wusstest du, dass Ryltha einst ebenso war wie ich? Aber sie hatte niemanden, der für sie da war. So wie ich niemanden habe. Und jetzt ist die Wirkung dieses verdammten Gebräus bei ihr so weit fortgeschritten, dass es kein Zurück mehr gibt."
"Aber für dich nicht," sagte Cyneric sachte. "Für dich ist es noch nicht zu spät, Salia. Du hast unrecht: du hast jemanden, der da ist. Auch wenn ich dich kaum kenne, wie du selbst sagst."
Salia blickte auf, und Hoffnung glitzerte in ihren Augen. "Tu das nicht..." flüsterte sie. "Tu es nicht, nur weil ich dich an deine Tochter erinnere. Wenn du mir hilfst, zerstörst du damit jegliche Gelegenheit darauf, Déorwyn jemals zu finden. Das bin ich nicht wert..."
"Ich entscheide, wem ich helfe, junge Dame," stellte Cyneric klar. "Diese... Teressa, die sie aus dir machen wollen... das bist nicht du."
"Du weißt nicht, wer ich bin," wehrte Salia weiter ab, doch ihr Widerstand schwand mit jedem Wort Cynerics.
"Dann ändern wir das. Erzähl mir von dir. Erzähl mir, wer Salia ist, und wo sie herkommt."
"Nicht hier... nicht jetzt..."
"Jetzt ist die beste Gelegenheit. Jetzt stehst du nicht unter dem Einfluss des Trankes."
"Verdammt!" rief Salia. "Also gut, du hartnäckiger Narr. Ich hoffe, du bist zufrieden, wenn wir erwischt werden und grausam zu Tode gefoltert werden. Komm. Gehen wir nach drinnen... dort ist es wärmer."
Cyneric dachte noch darüber nach, ob sie das mit der Folter ernst gemeint hatte, doch Salia war aufgesprungen und zum hinteren Ende des Gartens gelaufen. Sie öffnete eine kleine Tür, durch die warmes Licht drang.
"Du willst wissen, wer ich bin? Du sollst es erfahren," sagte Salia während sie an der Türschwelle auf ihn wartete. "Heute Nacht wird die Besitzerin dieses Hauses nicht hier sein. Wir haben also genug Zeit."
Rasch folgte Cyneric ihr ins Innere...


Cyneric und Salia in Rylthas Haus
« Letzte Änderung: 3. Mai 2017, 23:23 von Fine »
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Re: In den Straßen von Gortharia
« Antwort #20 am: 4. Mai 2017, 21:18 »
Milva aus dem Untergrund von Gortharia

Am nächsten Morgen erwachte Milva unausgeschlafen und mit fürchterlicher Laune. Ihr Erlebnis mit dem Brunnen hing ihr immer noch nach, die Bilder, die sie gesehen hatte, ließen sie nicht los. Und dann war da noch die Tatsache, dass die Schattenläufer sie benutzt hatten um einen Feind des Königs zu töten. Morrandirs Erklärung hatte zwar einen unangenehmen Sinn ergeben, doch trotzdem fragte Milva sich, ob sie überhaupt irgendetwas glauben konnte, was die Schattenläufer sagten.
Zu viel Wissen kann gefährlich sein, hatte Teressa gesagt. Doch hatte sie damit gemeint, dass dieses Wissen Milva selbst gefährden könnte - oder nur ihre Loyalität zu den Schattenläufern? Sie konnte es nicht leiden, benutzt zu werden. Vielleicht sollte sie sich nach Alternativen umsehen, nach anderen Freunden und Verbündeten, doch sie kannte niemanden in Gortharia - zumindest niemanden mit Einfluss, der ihr in dieser Sache helfen würde.
Da Herrin Velmira ihre Dienste an diesem Tag offenbar nicht benötigte und Ronvid tagsüber in seiner Werkstatt beschäftigt war und ihr nicht weiter das Lesen beibringen konnte, unternahm Milva nach einem kurzen Frühstück einen Streifzug durch die Stadt. Die Menschenmengen auf den Straßen irritierten sie jedes mal von neuem und sie vermisste in den engen Gassen wie Offenheit der Wildnis, und trotzdem war es besser, als den ganzen Tag untätig in ihrem Zimmer herumzusitzen.
Einige Zeit wanderte sie ziellos umher, mit den Gedanken anderswo. Bedenke, dass unser Schicksal uns alle einholt. Was hatte die Herrin - wenn sie es wirklich gewesen war - gemeint? Was war es, dass Milva tun sollte, und würde ihr Schicksal sein? Ungefragt stand ihr das Bild des blutigen Dolches in der Nacht wieder vor Augen. Milva erschauderte, schob die Gedanken fort und versuchte, sich stattdessen auf ihre Umgebung zu konzentrieren. Sie hatte einen kleinen Marktplatz erreicht, auf dem einige Händler ihre Waren anpriesen. In der Mitte erhob sich die schwarze Statue eines Kriegsherren mit einer mächtigen Keule in der Hand. Milva wusste, wen die Statue darstellte, denn selbst in den Städten Dorwinions hatte es Abbilder von Sauron, dem Herrn von Mordor, gegeben. Der Statue schenkte Milva keinen zweiten Blick, doch ein kleiner Mann in bunten Kleidern, der an ihrem Fuß saß, erregte ihre Aufmerksamkeit.
Er spielte eine muntere Melodie auf einer Laute, und sag dazu etwas, dass sich als Spottlied auf einen der früheren Könige Rhûns entpuppte.
Milva blieb einige Zeit stehen und lauschte den spöttischen, hintergründigen Versen des Spielmannes. Der Mann hatte eine schöne Stimme und hatte zu Anfang seines Liedes noch gelächelt, doch je länger er sang, desto ernster wurden seine Miene und desto deutlicher verglich er den närrischen Tyrannen der Vergangenheit mit König Goran. Die Zuhörer, die eben noch lachend gelauscht hatten, begannen unbehaglich zu tuscheln, und einer nach dem anderen ging wieder seiner Wege, schnell, als wollte er möglichst viel Abstand zwischen sich und den Spielmann bringen.
Milva wollte das Ende des Liedes abwarten, neugierig, wie weit der Spielmann gehen würde, wurde jedoch plötzlich von hinten angerempelt und unsanft zur Seite geschoben. Sie wollte den unhöflichen Kerl gerade zornig anfahren, als sie die goldene Rüstung der Stadtwachen erkannte. Stattdessen wich sie einen Schritt zurück, gerade als der Anführer der Wächter laut zu dem Spielmann sagte: "Du! Wir haben gehört, du singst Spottlieder auf den König und seine Ratgeber?"

Der Spielmann war bleich geworden, legte aber äußerlich ruhig seine Laute beiseite, und erwiderte mit kaum zitternder Stimme: "Nein, da muss ein Irrtum vorliegen. Ich habe lediglich unseren gnädigen Herrscher mit den närrischen Königen der Vergangenheit verglichen, was sehr zu seinem Vorteil ausgefallen ist."
Der Anführer der Stadtwächter schnaubte verächtlich. "Solche Ausreden haben wir schon oft gehört. Genützt haben sie keinem einzigen von euch... Aufwieglern." Er nickte seinen beiden Begleitern zu, die den Spielmann an den Armen packten. "Na los. Wollen doch sehen, ob du nicht gestehst, wenn wir dich ein wenig pieksen..." An den Rest der Menge gerichtet rief er: "Lasst euch das ein Beispiel sein, was mit denen passiert, die versuchen, euch in böser Absicht zu Rebellion und Aufstand aufzuwiegeln."
Ohne darüber nachzudenken, setzte Milva einen Fuß nach vorne. Sie wusste nicht, was sie tun oder sagen wollte, und eigentlich wollte sie ganz sicher nicht ihre Freiheit und ihr Leben für einen Spielmann aufs Spiel setzen, und trotzdem...
Eine Hand schloss sich um ihren Oberarm, so fest, dass es beinahe weh tat. Milva wandte den Kopf, und sah sich einer jungen Frau mit hellen, von dunkleren Strähnen durchzogenen Haaren gegenüber. "Nicht", zischte sie. Bevor Milva erwidern konnte, dass sie gar nichts hatte tun wollen, hörte sie das unverkennbare Zischen von Pfeilen, die durch die Luft flogen. Im nächsten Augenblick brachen die beiden Wächter, die den Spielmann festhielten, zusammen, und aus ihren Kehlen ragten Pfeile. Der Spielmann selbst hatte plötzlich einen Dolch in der Hand, den er dem noch stehenden Anführer ohne Zögern in den Rücken rammte.
Die Hand verschwand von Milvas Arm, als die Frau ebenfalls einen Dolch hervorzog und vor den in die Knie gegangenen Stadtwächter trat.
"Ihr sollt ein Beispiel dafür sein, was die Schwarze Rose mit jenen macht, die die Menschen von Rhûn unterdrücken und für die Kriege ihres dunklen Herrn missbrauchen!" Sie stieß dem Wächter ihren Dolch in die Kehle. Der Mann stieß einen gurgelnden Schmerzenslaut aus, und kippte zur Seite weg.
Inzwischen hatte sich eine Menschenmenge um das Schauspiel herum versammelt, und  als die hellhaarige Frau ihren blutigen Dolch an der Rüstung des Toten abwischte und sich dann wieder aufrichtete, ertönte von weiter hinten ein einzelner Ruf: "Es lebe die Schwarze Rose!"
Einige weitere nahmen den Ruf ein wenig zaghaft auf, doch der Großteil der Menge blieb stumm. Die Anführerin warf ihr Haar mit einer raschen Kopfbewegung über die Schulter, warf einen Blick über die Menge - wobei Milva glaubte, dass der Blick ein wenig länger an ihr hängen blieb - und verschwand gemeinsam mit dem Spielmann um die Statue und in einer Nebengasse.

Auch Milva entschied sich, so schnell wie möglich von diesem Ort zu verschwinden. Wer wusste schon, was geschah, wenn die Freunde der ermordeten Gardisten hier auftauchten. Auf dem Weg zurück dachte sie über das Geschehene nach. Offenbar waren die Schattenläufer nicht die einzigen, die sich gegen den König und seine Fürsten stellten. Die Schwarze Rose, wie diese andere Gruppe sich nannte, schien allerdings deutlich offener vorzugehen. Jedenfalls konnte Milva sich nur schwer vorstellen, dass die Schattenläufer sich so offen zu einer ihrer Taten bekennen würden - ihr Weg schien eher der der Täuschung und des Fädenziehens im Hintergrund zu sein.
Sie wünschte sich, sie hätte jemanden um darüber zu reden. Doch der einzige Mensch in Gortharia, der dazu geeignet schien war Cyneric - er stand offensichtlich auf ihrer Seite, und schien nicht so verschlossen zu sein wie die übrigen Schattenläufer. Und im Gegensatz zu Ronvid und Ana, die vollkommen unbeteiligt waren, würde ein solches Gespräch Cyneric auch nicht in größere Gefahr bringen, als er ohnehin schon war. Das einzige Problem war, dass Milva keine Ahnung hatte, wo sie Cyneric ungestört aufsuchen konnte - weder der Palast des Königs noch irgendein Ort, der mit den Schattenläufern zu tun hatte, erschienen ihr richtig, und wo er sich in seiner freien Zeit aufhielt wusste sie nicht. Außer vielleicht in der Taverne, wo sie ihm vor einiger Zeit bereits zufällig begegnet war. Milva nahm sich vor, es an diesem Abend bereits dort zu versuchen - ihr Leseunterricht würde warten müssen.

Milva zur Taverne "Zum einbeinigen Zweibein"
« Letzte Änderung: 6. Mai 2017, 00:52 von Fine »

Oronêl - Edrahil - Hilgorn -Narissa - Milva

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Ein Mann von Ehre
« Antwort #21 am: 6. Mai 2017, 21:22 »
Milva und Cyneric aus Tianas Taverne


Cyneric fühlte sich schmerzlich an seine Jugend erinnert. An seinen Bruder, genauer gesagt. Ganz besonders an die vielen Frauen, mit denen Cynewulf damals Bekanntschaft geschlossen hatte. Es war immer dieselbe Masche gewesen: Er redete ihnen gut zu, machte ihnen Komplimente, und meistens wurde dazu im großen Maße getrunken. Das führte dazu, dass sich viele Frauen überschätzten, und sich bald sehr ähnlich verhielten wie es Milva nun tat. Cyneric hatte es damals schon nur selten übers Herz gebracht, Cynewulfs Opfern einfach die Tür vor der Nase zuzuschlagen und so immer wieder sturzbetrunkene Mädchen nach Hause zu ihren Eltern gebracht oder in der Scheune in Hochborn übernachten lassen.
Immerhin hatte er aus Milva die ungefähre Lage des Hauses, in dem sie wohnte, herausbekommen. Ihre Fähigkeit, artikuliert zu sprechen, schien sie von Minute zu Minute mehr und mehr zu verlieren, ganz zu schweigen davon, auch nur einen Fuß gerade vor den anderen zu setzen. Cyneric musste Milva an der Hand hinter sich herziehen und darauf achten, nicht zu schnell zu gehen, damit die Jägerin vom Carnen nicht stoplerte. Glücklicherweise schien von den vielen Leuten, die um diese Uhrzeit noch auf den Straßen unterwegs waren, niemand etwas dagegen zu haben dass ein Palastgardist eine nur allzu offensichtlich benebelte Dame mit sich zerrte. So etwas geschah in einer Stadt wie Gortharia wohl nahezu jeden Abend - wenn man Orvar glauben wollte.
Milva blieb stehen und wehrte sich gegen Cynerics Griff. Mit einem entnervten Seufzen drehte er sich zu ihr um und wollte schon zu etwas deutlicheren Worten greifen, als sie sich vornüberbeugte und mit einem ekelerregenden Geräusch ihren Magen entleerte. Cyneric wartete, bis sie fertig war, und zog dann rasch ein sauberes Tuch hervor, um ihr Mund und Gesicht abzuwischen, die beide ziemlich verschmiert waren.
"Wird Zeit, dass du ins Bett kommst," meinte er. "Und deinen Rausch ausschläfst."
"Willst du... wirklich nicht mitkommen?" stieß Milva undeutlich hervor und schenkte ihm ein Lächeln, das wohl aufreizend wirken sollte, aber dank ihrer nahezu umwerfenden Alkoholfahne eher die gegenteilige Wirkung hatte.
"Danke, ich verzichte," lehnte Cyneric ab.
"Spielverderber," schmollte Milva und verschränkte die Arme. Dabei verlor sie jedoch das Gleichgewicht und fiel zu Boden, auf dem Hinterteil landend.
Cyneric gelang es, sich seine Frustration nicht anmerken zu lassen als er sie mit einem Ruck auf die Beine zog. Es ist ja nicht so, dass ich nicht selbst schon das ein. oder andere Mal versucht habe, Sorgen und Frust mit so vielen starken Getränken wie möglich verschwinden zu lassen, dachte er. Er hatte Milvas rechten Arm über seine Schultern gelegt und stützte sie nun, während sie sich ihren Weg durch die belebten nächtlichen Straßen suchten.
Ich hoffe, sie muss morgen nicht zur Jagd oder gar einen Auftrag für die Schattenläufer ausführen. Am besten wäre es, wenn sie ausschlafen oder sogar den ganzen Tag im Bett verbingen könnte.

Eine Gruppe von goldbekleideten Stadtwachen kam an ihnen vorbeimarschiert, und Cyneric musste sich einige gehässige Kommentare gefallen lassen. Die Stadtwache Gortharias hatte schon immer eine Rivalität mit der königlichen Palastgarde gehabt, und dank des neuen Kommandanten der Goldröcke wurde dieses Konkurrenzverhalten nur noch verstärkt. Nach allem was Cyneric über die Stadtwachen gesehen und gehört hatte, trauerte er jenen, die die Schwarze Rose vor kurzem ermordet hatte, kein bisschen nach.
Milva schien noch immer beleidigt zu sein und gab kein Wort von sich. Cyneric war es ganz recht, da er sowieso nicht recht wusste, worüber er mit ihr reden sollte. Sie hatten sich über viele wichtige Dinge ausgetauscht, über die Cyneric während seiner nächsten Wachschicht nachdenken würde, aber beide hatten offenbar alles gesagt, was sie hatten sagen wollen. Milvas Verbindung zum Königshaus von Thal war sehr interessant, und was sie gesagt hatte, hatte Cyneric auf den Gedanken gebracht, was mit Thal geschehen würde, wenn der König Rhûns und die fünf Fürsten nicht mehr da wären. Würde es wieder ein freies Reich werden, so wie es offenbar auch in Dorwinion erhofft wurde? Doch Thal lag direkt am Erebor, in dem der Schatten aus dem Osten saß, wenn die Gerüchte stimmten die Cyneric gehört hatte. Und dann war da noch Saruman... der den König Thals, Bard II., von seiner Verletzung geheilt hatte und der ihn nach Norden mitgenommen hatte. Würde Thal also von der Besetzung durch die Ostlinge befreit werden, nur um dann unter die Herrschaft Sarumans zu fallen? Cyneric wusste es nicht. Die Zukunft Rhûns und seiner eroberten Gebiete hing davon ab, wie erfolgreich die Schattenläufer und die schwarze Rose in ihrer Mission waren. Und dabei konnte Cyneric behilflich sein... auch wenn er das alles eigentlich aus einem ganz anderen Grund tat.
Er fragte sich, wo seine Tochter wohl gerade war. Meist stellte er sich vor, dass sie irgendwo in der Sicherheit einer Zuflucht unter Freunden war, und nur darauf wartete, dass er sie fand. Fast konnte er sie vor sich sehen, auf einer hölzernen Bank sitzend, und ihn direkt anblickend. Ihr Zopf fiel ihr über die rechte Schulter als sie ihm zuwinkte und mit den Lippen einen einzelnen Satz formte: Komm und finde mich.

"Hier ist es," murmelte Milva und blieb stehen. Cyneric musterte nachdenklich das einfache Haus, vor dem sie standen. Es war spät, aber in einem der Fenster war noch ein schwacher Lichtschein zu sehen. Gut, dachte er. Es ist jemand da, der sich um sie kümmern kann.
Milva hatte seine Hand ergriffen und schien auf etwas zu warten. Als Cyneric nicht darauf reagierte, sondern sich anschickte, an die Eingangstüre des Hauses zu klopfen, führte sie seine Hand an ihren Oberkörper und drückte sie dagegen. Es fiel ihm erst auf, als es zu spät war und seine Finger auf etwas Weiches trafen. Rasch entzog er die Hand aus ihrem Griff, der überraschend stark gewesen war und schlug einen strengen Ton an.
"Dieser Schnaps hat dich wohl tatsächlich sämtliches Benehmen vergessen lassen," sagte er, doch Milva gab keine Antwort, sondern versuchte erfolglos, nach seiner Hand zu greifen.
"Komm schon, du weißt gar nicht, was du verpasst," lallte sie.
Cyneric hatte genug davon. Mit einem energischen Klopfen an der Türe des Hauses machte er dessen Bewohner auf sich aufmerksam, während er Milva an den Schultern festhielt und vor sich schob. Die Türe öffnete sich und eine Stimme ertönte.
"Was gibt es? Wir haben nichts verbrochen! Moment, ist das etwa Milva?"
"Wo bist du denn gewesen, Mädchen?" sagte eine zweite Stimme, die einer Frau gehörte. "Was riecht hier denn... bist du etwa betrunken? Oh Ronvid, sie ist betrunken!"
"Ihr da, Gardist, was hat das zu bedeuten?" fragte der Mann der die Türe geöffnet hatte, und den die Frau Ronvid genannt hatte.
"Keine Sorge, guter Mann," sagte Cyneric beruhigend. "Ihr habt nichts falsch gemacht. Milva wohnt hier, richtig? Sie hat... nun, deutlich zuviel getrunken, und ich habe sie hergebracht, ehe ihr etwas zustoßen oder sie auf dumme Gedanken kommen konnte."
"Kommst du mit nach drinnen, ja?" versuchte es Milva ein letztes Mal.
"Bitte kümmert euch um sie," bat Cyneric ohne auf Milva einzugehen. "Sie braucht jetzt Schlaf."
"Nein, was ich brauche, ist ein richtig schöner, ordentlicher..." Der Rest von Milvas Satz ging gnädigerweise in einem Hustenanfall unter.
"Ana und ich werden dafür sorgen, dass sie sich wieder erholt," sagte Ronvid. "Habt Dank, dass Ihr sie wohlbehalten hergebracht habt. Es gibt also wirklich noch gute Leute, die in Diensten des Königs stehen. Ich hatte schon daran gezweifelt. Aber Ihr? Ihr seid ein Mann von Ehre."
Ana - Ronvids Frau - hatte einen Gesichtsausdruck aufgesetzt, den Cyneric nur allzu gut von seiner eigenen Mutter kannte. Wenn sie diesen Blick im Gesicht hatte, hatten Cyneric und sein Bruder gewusst, dass sie das Weite suchen mussten um ihrem Zorn zu entgehen. Insgeheim freute er sich. Sieht aus, als bekäme Milva nun einen ordentlichen Denkzettel verpasst, dachte er. Doch dann fiel ihm wieder ein, was dazu geführt hatte dass Milva so viel getrunken hatte. Und tatsächlich nahm Ana Milva an der Hand und zog sie ins Innere des Hauses, wo sie sogleich auf die junge Frau einzureden begann.
"Was hast du dir dabei nur gedacht? Du riechst wie der versoffenste Grobian in König Gorans Kerker. Wir haben uns Sorgen um dich gemacht!..." Die Tirade verklang, als die beiden sich von der Tür entfernten.
"Nun, meine Arbeit hier ist getan," sagte Cyneric. "Ich hoffe, Milva macht keine zu großen Umstände."
"Nein, nein," beschwichtigte Ronvid. "Sie ist ein gutes Mädchen. Nur sollte man sie wohl vom Alkohol fernhalten..."
"In der Tat," bestätigte Cyneric und wünschte Ronvid eine gute Nacht, ehe er sich abwandte und die Straße hinab in Richtung des Palastes ging.

Ich werde Milva nach Kräften helfen, entschied er. Erst Salia, und nun Milva... alle könnten sie meine Hilfe gebrauchen. Ich muss aufpassen, dass mir hier in Gortharia keine Verpflichtungen im Wege stehen, wenn ich endlich eine Spur meiner Tochter finde...


Cyneric zum Königspalast
« Letzte Änderung: 6. Jun 2017, 22:32 von Fine »
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Re: In den Straßen von Gortharia
« Antwort #22 am: 9. Mai 2017, 14:40 »
Als Milva erwachte, brauchte sie einen Moment um herauszufinden, wo sie war. Sie hatte ein Blätterdach über sich und den Gesang der Vögel erwartet, doch über ihr befand sich eine Decke aus rauen Holzbalken, und von draußen drangen die Geräusche einer Stadt herein. Sie blinzelte verwirrt, bevor die Erinnerung zurückkehrte: Sie war in Gortharia. Aber warum schmerzte ihr Kopf so... ah.
Milva richtete sich langsam auf, setzte sich auf die Bettkante und presste die Hände gegen die Schläfen. "Oh, verflucht..." Sie atmete langsam tief ein und aus, während der Rest der Erinnerung zurückkehrte. Sie hatte Cyneric in der Taverne getroffen, und... sie hatte ihm von Miran erzählt. Kein Wunder, dass sie einen solchen Kater hatte - über diese Dinge zu sprechen oder auch nur über sie nachzudenken, konnte sie nur mit jeder Menge Alkohol ertragen.
"Eine schöne Weihe bist du...", murmelte sie vor sich hin, während sie mühsam auf die Beine zu kommen versuchte. "Eher ein dummes Huhn."
Sie schlurfte hinüber zum Fenster und blickte hinaus. Die Sonne stand bereits hoch am Himmel, offenbar hatte sie ziemlich lange und fest geschlafen. Während sie hinaus auf den verlassenen Hinterhof blickte, erinnerte Milva sich an die übrigen Geschehnisse am Abend zuvor, und errötete unwillkürlich. Hatte sie in ihrem erbärmlichen Zustand tatsächlich versucht, Cyneric zu verführen - oder war das nur eine vom Alkohol eingegebene Einbildung. In jedem Fall war es wohl nicht sonderlich erfolgreich gewesen.
Sie stützte die Ellbogen auf die hölzerne Fensterbank und das Kinn in die Hände, und dachte nach, während sie versuchte den hämmernden Schmerz in den Schläfen zu bekämpfen.
Cyneric sah tatsächlich recht gut aus... Vielleicht sollte sie ihr Werk von gestern Abend ein wenig fortsetzen. Im schlechtesten Fall wäre es ihm höchstens unangenehm und konnte vielleicht für ein paar interessante Gespräche sorgen... und dem anderen Ergebnis wäre sie auch nicht unbedingt abgeneigt. Aber sie glaubte nicht, dass es dazu kommen würde, dazu hatte der Mann aus Rohan viel zu sehr den Hang dazu, alle jüngeren Frauen mit den Augen eines Vaters zu betrachten. Zumindest war das ihr Eindruck.
Milva schüttelte den Kopf, und bereute es so gleich als ihn ein scharfer Schmerz durchzuckte. Das sollte sie heute vielleicht nicht tun...
Sie ging langsam durch das schmale Treppenhaus hinunter in die kleine Küche, wo Ana saß und Gemüse in kleine Stücke schnitt. Als sie Milva erblickte, lächelte sie und sagte: "Aha. Auferstanden von den Toten?" Milva ließ sich auf den hölzernen Stuhl ihr gegenüber fallen und winkte ab. "Bitte... nicht so laut." Das Lächeln auf Anas von feinen Fältchen durchzogenem Gesicht wurde noch breiter, und ihre dunklen Augen funkelten. "Ich erinnere mich noch, wie Ronvid in seiner Jugend manchmal nach Hause kam...", sagte sie. "Er sah dann am nächsten Morgen genauso aus wie du jetzt."
Milva nickte langsam, erwiderte aber nichts und bekämpfte mit aller Macht die Übelkeit, die die Bewegung hervorgerufen hatte.
"Das ist natürlich gelogen", sagte Ronvids Stimme hinter ihr. Der Schuhmacher hatte den letzten Teil offenbar mitbekommen. "Ich habe nie auch nur einen Tropfen Alkohol angerührt." Ana schnaubte verächtlich und warf ihr klein geschnittenes Gemüse in den großen Topf über der nur schwach glimmenden Glut. Ronvid setzte sich auf den freien Stuhl, und machte eine abwehrende Geste in ihre Richtung. "Hör nicht auf die. Jedenfalls..." Er senkte die Stimme ein wenig. "Ich hoffe, du hattest wenigstens Spaß dabei."
"Nein, ich..." Milva atmete tief durch. "Ich habe über Dinge gesprochen, über die ich eigentlich nie wieder sprechen wollte. Und deshalb habe ich... getrunken."
Die beiden Alten wechselten einen bedeutsamen Blick. "Du hast jemanden im Krieg verloren?"
Milva senkte den Blick, betrachtete das Muster auf der Tischplatte. "Ja. Ich... möchte nicht darüber reden."
"Das ist in Ordnung", erwiderte Ronvid, und tauschte einen erneuten, traurigen Blick mit seiner Frau. "Wir wissen, wie das ist."
"Natürlich", meinte Milva leise ohne den Blick zu heben. Dann beschloss sie, sämtliche Vorsicht über Bord zu werfen. "Deswegen bin ich ja hier, und daher kenne ich Cyneric. Wir... arbeiten mit ein paar Leuten zusammen, die versuchen, den Krieg zu beenden und unser Leben besser zu machen."
"So etwas wie die Schwarze Rose?", fragte Ana. "Ihr habt also davon gehört", stellte Milva fest. "Nicht ganz so wie die, aber mit ähnlichen Zielen, glaube ich. Deswegen muss ich auch lesen lernen, und... ich sollte euch das eigentlich gar nicht erzählen."
"Mehr müssen wir auch nicht wissen", erwiderte Ronvid, der schweigend zugehört hatte, ruhig. "Ich habe nicht vor, auf meine alten Tage noch auf dem Henkersblock zu enden, aber ebenso wenig habe ich vor, unserem gnädigen Herrscher auch nur entfernt einen gefallen zu tun. Wir werden keine Fragen stellen wohin du gehst und was du tust. Was wir nicht wissen, können wir auch nicht verraten."
"Danke", meinte Milva erleichtert. Einen Moment lang hatte sie befürchtet, dass Ronvid sie vor die Tür setzen oder sogar der Wache melden würde. Sie war sich nicht sicher ob sie im Stande gewesen wäre, etwas dagegen zu unternehmen - nicht nur aufgrund ihres erbärmlichen Zustands, sondern auch, weil sie den beiden nicht schaden wollte.
Ronvid stand auf, ging zur Tür und wandte sich dann noch einmal um. "Bevor ich es vergesse - ein Bote von deiner Herrin war heute Morgen hier. Wir haben ihm erzählt, dass du krank bist und heute unmöglich das Bett verlassen kann. Er wirkte nicht sonderlich zufrieden, hat aber nicht weiter nachgefragt."
Milva errötete erneut. "Danke. Dann sollte ich wohl morgen dorthin gehen und mich entschuldigen..." Sie konnte es sich nicht leisten, diese Anstellung zu verlieren, denn das würde sämtliche Pläne der Schattenläufer für das Haus Bozhidar zunichte machen.
« Letzte Änderung: 9. Mai 2017, 15:10 von Eandril »

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Curanthor

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Ein schwerer Auftrag
« Antwort #23 am: 9. Mai 2017, 17:06 »
Dragan, Tiana und Kenshin aus dem Untergrund von Gortharia

Die Luft war kühl, über die Dächer der Stadt konnte Dragan die ersten Sonnenstrahlen entdecken. In der Ferne hörte er die ersten geschäftigen Menschen auf den Straßen, doch es waren noch sehr wenige. Er wartete an einer Ecke einer der vielen Gassen, von der er einen guten Blick auf das Geschäft des Seidenhändlers hatte. Es dauerte gar nicht lange, bis Tiana sich zu ihm gesellte, direkt danach kam Kenshin dazu. Tiana nickte ihm stumm und machte ein Zeichen mit drei Fingern, was für das Aufsetzen der Masken stand. Kenshin setzte sich sogleich seinen Helm mit der Dämonenmaske auf, während Tiana ihre weiße Maske aus dem Umhang zog, deren fein gearbeiteten Züge in Qual verzogen war. Er hielt Ausschau ob sie beobachtet wurden, doch es war noch sehr früh und keine neugierigen Augen unterwegs. Schließlich zückte er seine eigene Maske, dessen Gesicht von dunkelrote Flammen über Wange, Stirn und Kinn verziert waren. Sobald er aufgesetzt hatte, musste er sich erst an das leicht eingeschränkte Sichtfeld gewöhnen, doch da er das nervige Teil schon seit einigen Tagen auf hatte, war es nicht mehr ganz so ungewohnt. Auf ein weiteres Zeichen von Tiana zogen sie ihre Mäntel enger und die weiten Kapuzen über. Sie versuchten gar nicht unauffällig zu sein. Das hatte Tiana zuvor noch knapp erwähnt. Mit großen Schritten ging Kenshin voraus und hielt auf die Goldröcke zu die sich am Tor langweilten. Dragan und Tiana bogen rasch in eine Seitenstraße ein, als ihr fremdländischer Krieger den großen Platz betrat. Kurz erhaschte er einen Blick auf Kenshin, der eine Hand an sein Katana legte, ehe sie um eine Ecke bogen. Dragan eilte neben Tiana durch die umliegenden Straßen und umgingen so den großen Platz vor dem Haus, in dem die Gefangenen festgehalten wurden.
Als sie eine der Straßen überquerten, die zu dem Platz führten, hörten sie einen lauten Ruf und Waffenklirren. Sogleich beschleunigten sie ihre Schritt. Sie wichen Kisten, Händlern und frühen Reisenden aus, einer Karawane und sogar einem Trupp Stadtwachen, der nicht schnell genug reagierte. Dragan atmete scharf ein, denn die Goldröcke riefen ihnen nach, doch waren sie scheinbar zu faul ihnen hinterher zu laufen. Zumindest hörte er keine Schritte von genagelten Soldatensohlen. Sicherheitshalber machten sie noch einige Umwege, ehe sie etwas außer Atem an der rückwärtigen Seite der Mauer ankamen und sich in deren Schatten drückten. Von der anderen Seite der Mauer hörte man Waffengeklirr und Kampfgeräusche. Dragan hoffte, dass Kenshin damit zurecht kam, denn sie wussten nicht genau wie viele Kämpfer er gegenüber treten musste, doch der Krieger hatte sich nicht davon abhalten lassen es zu versuchen. Rasch blickte er zu Tiana, die gerade sicherging, dass die Sackgasse in der sie sich befanden auch verlassen war und kein Hinterhalt lauerte. Nach einem kurzen Moment nickte sie und Dragan formte mit seinen Händen einen Tritt. Tiana nahm kurz Anlauf und sprang, dank seiner Kraft konnte Dragan sie direkt weiter nach oben schieben, sodass sie sich an einem vorstehenden Stein festhalten konnte. Seine Muskeln begannen sofort zu ziehen, da Tiana offenbar wartete, bis eine Wache auf der Mauer weitergegangen war. Er legte sich für später schon mal einen Kommentar über ihr Gewicht zurecht und biss die Zähne zusammen. Schließlich ließ die Belastung auf seine Muskeln nach, als sie sich auf die Mauer zog. Befreit von dem Gewicht, wandte er sich von der Mauer ab und nahm Anlauf. Nach einem kurzem Sprint sprang er und klammerte sich sogleich in das grobe Mauerwerk. Dabei knickte einer seiner Nägel um, doch er ignorierte den Schmerz so gut es ging. Über ihm hörte er ein erstickendes Gurgeln, kurz darauf fiel etwas Lebloses, Goldenes an ihm vorbei zu Boden. Er grinste gehässig und kletterte geschickt an der Mauer hinauf, ehe sich seine Finger auf den Wehrgang legten. Vorsichtig zog er den Kopf über die Kante und erblickte Tiana, die sich mit einer Wache prügelte, während die anderen beiden mit Bögen auf seine beiden Mitstreiter zielten. Neben ihm funkelte ein Dolch, den er sogleich aufhob. Ein Pfeil verfehlte seine Hand, mit der er sich festhielt nur knapp. "Scheiße!", entfuhr es ihm, als er den Griff verlor und nur mit einer Hand an der Kante hing. Panik kam ihm in auf, als er an den gut sechs Meter tiefen Fall dachte, doch er kämpfte sie nieder und rief seinen Zorn wach. Er warf den Dolch auf die Mauer, der zu Tiana schlitterte, die bereits aus einigen kleinen Schnitten blutete, doch konnte sie gerade einen geraden Hieb auf die Nase des Gegners führen. Der Dolch schlitterte über den Stein und stieß gegen ihren Fuß. Sogleich duckte sie sich, während im gleichen Moment ein Pfeil über ihren Kopf hinwegzischte. Dragan fluchte nochmals und zog sich nun mit beiden Armen auf die Mauer, sogleich fuhr seine Hand zu seiner Innentasche und zog ein vergiftetes Wurfgeschoss. Eine rasche Bewegung später schrie einer der Bogenschützen überraschend auf. Kurz darauf stieß Tiana ihrem Gegner ihren Dolch ins Herz, der vornüber sackte. Dragan sprintete auf den verbliebenden Bogenschützen zu, der gerade einen weiteren Pfeil auf die Sehne legte. Der getroffene Schütze sank derweil ebenfalls zu Boden, zuckte und verdrehte die Augen. Ein rascher Blick verriet ihm, dass er ebenfalls ins Herz getroffen hatte. Das Glück ist uns heute wirklich gnädig, dachte er sich flüchtig und Zog seinen Zirrat. Im Lauf schwang er die Kette mit dem Hammerkopf und wickelte sie um den Hals der letzten Stadtwache. Mit einem Ruck Dragans fiel der Mann auf den Rücken, als er einfach weiterlief. Tiana rammte ihm im Vorbeigehen den Dolch in den Hals. Gurgelnd erstickte der Kerl an seinem eigenen Blut. Feine Blutspritzer hatten die Maske seiner Mitstreiterin besudelt, sie erwiderte seinen Blick und deutete zum Platz hinab. Dort war Kenshin in einem Kampf mit vier Männern verwickelt, doch Dragan hatte keine Sorge um ihn, denn jetzt glaubte er zu wissen, was der Weg des Kriegers ist. Kenshin kämpfte mit Naginata und Katana in jeweils einer Hand und hielt seine Gegner in Schach. Gerade blockierte er zwei Hiebe gleichzeitig mit seinem Schwert und beschrieb einen blitzenden Bogen mit seiner Naginata und verwundete die anderen beiden Angreifer, die stets verglich versuchen ihn einzukreisen.
"Lange hält selbst er das nicht durch, beeilen wir uns!", flüsterte Dragan hektisch, was Tiana nickend bestätigte.
Aufregung packte ihn, als er an das Dach des Hauses trat, in dem wirklich ein kleiner Spalt zu sehen war. Die Dachschindeln waren verschoben. Sein Alter hatte tatsächlich Recht behalten. Gemeinsam schoben sie die roten Schindeln beiseite und schufen eine Öffnung. Tiana bedeutet ihm zu warten, während das Klirren von Stahl noch immer vom Platz hallte. Schließlich nickte sie und schlüpfte durch das Dach. Er folgte ihr sogleich und befand sich in einem Obergeschoss eines großen, umgebauten Lagerhauses. Ein rascher Blick nach unten verriet ihnen, dass das Tor noch immer weit offen stand und die Gefangenen gegen die Zellen traten oder schlugen. Durch die Dielen hindurch konnten sie keine weiteren Wachen ausmachen und traten zu den Zellen, die eng an unter das Dach gebaut worden waren. Die Gefangenen musste knien oder liegen, da es so wenig Platz gab. Dragan schnaubte über die Unmenschlichkeit und schlug mit seinem Hammer ein paar Mal kräftig auf das Schloss der ersten Zelle. Nach vier Schlägen war das Schloss gebrochen und er grinste, was der dankbare Gefangene jedoch nicht erkennen konnte. Alter Stahl und schlecht geschmiedet, dachte er sich triumphierend und begann die restlichen Zellen aufzubrechen. Tiana holte in der Zeit einen Schlüssel aus dem unteren Geschoss und öffnete die Zellen auf der anderen Seite des Hauses.
"Habt Dank, Fremde", sagte eine Frau in abgerissenen Kleidern und dunkelroten Haaren.
"Wer seid ihr?", fragte ein Mann mit kahlem Schädel und einigen Blutergüssen im Gesicht.
Einer der Befreiten drängelte sich durch die gut zwanzig Menschen und deutete auf die Maske von Tiana: "Anastia, die Schreckliche", zum allgemeinen Erstaunen verneigte sich der Mann, "Meine Anführerin, ist der Zirkel soweit?"
Dragan blickte den Kerl mit  langen, stahlschwarzen Haaren an. Er hatte einen kräftigen Körperbau und die Statur eines Kämpfers. Dicke Muskelstränge schlängelten sich um seine Arme, die von roten Striemen bedeckt waren. Der Mann trug nur eine abgerissen Lederhose, was seinen muskulösen Oberkörper betonte. Einzelne Stoppeln im Gesicht des Kerls erinnerten Dragan daran, dass er sich selbst auch nochmal rasieren müsste. Rasch schob er den Gedanken beiseite, denn er hatte Tiana mit "die Schreckliche" angesprochen.
Ehe er Etwas sagen konnte, erhob Tiana jedoch ihre Stimme: "Meine Freunde, der Zirkel wird jeden retten, der zu Unrecht verhaftet wurde. Wir werden nicht länger mit ansehen wie unser Volk ausgepresst wird und gierige Menschen nach Macht greifen und diese ständig mehren. Das gilt für jede Art Mensch. Der, der nach Macht greift wird von uns seine Hand verlieren. Wir wollen Frieden und dazu ist uns jedes Mittel recht. Sie wollen den Krieg, so wie sie uns behandeln und den bekommen sie. Ich bin Anastia vom Zirkel und wir werden dieses Land dem Volk zurückgeben."
Getuschel ging durch die Menschen, einige Nickten zustimmend und der Kerl, der noch immer sich verneigt hatte erhob stolz das Haupt. Ehe Dragan Etwas fragen konnte, gab Tiana Befehl zum Befreien der unteren Etage. Zu seinem Erstaunen folgten die Gefangen ihren Worten, zurück blieben nur sie, er und der muskulöse Kerl von vorhin.
"Schreckliche, wer ist das? Ein neues Mitglied?", fragte der Mann an sie gewandte und elickte Dragan abschätzend an. Er erwiderte den Blick gehässig, doch im schummerigen Licht in dem Haus konnte er es nicht erkennen.
"Ja, er ist ein guter Mann. Reize ihn nicht und ihr werdet auskommen. Nun, stehst du noch immer hinter unserer Sache, Stier?" Dragan bemerkte überrascht eine schneidende Kälte in ihrer Stimme, die er nicht erahnt hätte. Dennoch konnte er sich nicht ein Schmunzeln verkneifen, denn der Deckname des Mannes passte wie die Faust aufs Auge. Dragan sah, dass der Stier sich gekränkt fühlte, dennoch nickte er und beteuerte seine Treue. Ehe er noch mehr sagen konnte, schnitt Tiana ihm das Wort mit einer Geste ab und bedeutete ihm sich zu bewaffnen. Aus dem unteren Geschoss hörte er ein Getöse und die Rufe der übrigen Gefangenen die gerade befreit wurden.
"Wir sollten zu Kenshin!", wisperte er eindringlich an Tiana gewandt, die sogleich nickte und ein Beil zog. Erstaunt blickte er sich um und fragte sich, wo sie die Waffe versteckt hatte. Ihm blieb jedoch keine Zeit darüber nachzudenken, denn sie marschierten die Treppe hinab und konnten schon durch das Tor sehen, dass es Probleme gab. Kenshin wirkte erschöpfte und hatte nur einen Mann töten können, stand aber nun sechs Gegnern gegenüber. Seine Rüstung hatte schon einige Schäden davongetragen und auch seine anfänglichen drei Feinde bluteten stark.
"Bewaffnet euch, los", rief Tiana sogleich und nickte Dragan zu. Er verstand und gemeinsam schritten sie zum Tor hinaus. Dragan zog vier Wurfdarts und warf sie jeweils nach kurzen zielen. Zwei traf er in den Nacken, die anderen beiden Geschosse prallten von den goldenen Rüstungen ab. Der missglückte Angriff wurde sogleich bemerkt und vier der Wachen wandte sich zu ihnen um. "Verdammt!", fluchte er und blickte zu Tiana, die jedoch nur ihre Schultern durchrollte. Hinter ihnen kamen die ehemaligen Gefangenen heran und liefen mit improvisierten Waffen gegen ihre Peiniger an. Dragan hielt sich zurück, doch selbst Tiana stürmte vor um Kenshin zur Hilfe zu eilen. Während die fünfzehn befreiten Kämpfer sich auf die vier Wachen stürzten, hielt Dragan sich weiter hinten und versuchte seinen beiden Gefährten den Rücken frei zu halten. Tiana duckte sich unter einem Schwerthieb und hackte mit ihrem Beil den Mann in die Finger. Sogleich ließ er schreiend die Waffen fallen. Kenshin nun nur noch von zwei Männern bedrängt gewann die Oberhand und stach einer Wache seine Naginata durch den Bauch, während er mit seinem Schwert die Waffe des anderen Kerls band. Tiana ließ den Mann mit den bluten Fingerstumpen stehen und sprang den verbliebenden unverletzten Wächter mit einem untypischen Schrei an. Überrascht schüttelte sich der Mann und versuchte sie abzuwerfen, doch bei dem Handgemenge fand ihr Beil den Weg in das Gesicht ihres Feindes. Es knirschte kurz und der Kerl schrie, ehe er zu Boden fiel. Tiana rollte sich über den Rücken ab und sah gerade noch rechtzeitig den Schwerthieb kommen. Dragan reagierte sofort und warf einen vergifteten Dart auf den Kerl, den sie zuvor die Finger abgeschnitten hatte. Die Wache hatte einfach die Hand gewechselt und Tiana blockte den Hieb auf erstaunlicher Weise mit ihren Unterarmen. Ein Klirren verriet ihm, dass sie metallene Unterarmschienen trug. Dragans Dart landete im Hinterkopf der Wache, der sofort danach griff. Es dauerte keine zwei Sekunden bis er zu Boden sank und wie verrückt zuckte. Die Kämpfe kamen zum Erliegen und die drei Kampfgefährten nickten keuchend einander zu. Von den fünfzehn Gefangenen waren noch elf übrig, die gerade die Leichen der Goldröcke plünderten. Dragan schüttelte nur unmerklich den Kopf, während Kenshin sich neben ihm schwer auf seine Naginata stützte.
"Alles in Ordnung?", fragte er an den Krieger gewandt, der nur matt nickte.
"Nur sehr erschöpft, keine große Verletzung", antwortete Kenshin leise und ließ das Blut von seiner Klinge spritzen.
Der Platz war übersät mit Toten und verschmiert mit Blut. Dragan bemerkte erst jetzt, dass in den Straßen, die zu dem Platz führten hunderte Schaulustige standen und aufgeregt tuschelten. Die Gefangenen, die sich nicht an dem Kampf beteiligt hatten rannten aus dem Haus und verschwanden sogleich in der Menge, die verhalten jubelte.
Tiana trat neben ihm und stemmte die Hände in die Hüften. "Ich glaube, heute habe ich dich überrascht", gestand sie vergnügt und wischte das Blut von ihrer Waffe am Mantel ab, "Jetzt sollten wir sofort verschwinden und...", sie stockte und blickte zum Himmel. Sie Sonne strahlte nun hell auf sie herab und ein einzelner Vogel kreiste über den Platz. Trotz der Maske hörte Dragan sie leise fluchen. Er legte fragend den Kopf schief, während Tiana seufzte. "Es ist noch nicht vorbei... das ist ein Falke."
Dragan fluchte ebenfalls, während Kenshin alarmiert den Kopf hob.
« Letzte Änderung: 9. Mai 2017, 17:22 von Curanthor »

Curanthor

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Eine überraschende Wendung
« Antwort #24 am: 26. Mai 2017, 00:21 »
Die neugierigen Mengen zerstreuten sich rasch, als eine gewissen Unruhe sich breit machte. Auf einer der großen Hauptstraßen standen plötzlich dutzende vermummte Gestalten, sie trugen Säbel, Schwerter, Dolche. Dragan erkannte auch einigen Bogenschützen unter ihnen, aber auch zwei Stierschleuderkämpfer. Die merkwürdigen Waffen kannte er aus seiner Heimat. Umfunktionierte Bolas, mit denen man sonst Stiere fing, nun mit eisernen Ketten verbunden, die überall Widerhaken aufwiesen. Sogleich wandte er sich an seine zwei Gefährten und machte sie auf die Gefahr aufmerksam. Ein schriller Pfiff ertönte und der Falke stieß einen schrillen Schrei aus und landete auf dem Arm des Anführers der Bande.

Dragan zählte mehr als zwanzig Leute, wobei ihre eigenen Reihen beängstigend dünn waren. Neben sich hörte er Tiana fluchen: "So war es eigentlich nicht gedacht gewesen."
Er zog einige vergiftete Darts aus seiner Kleidung, während die feindlichen Assassinen auf den Platz strömten. Ihre eigenen Kämpfer schwärmten ebenfalls aus und Kenshin stellte sich vor ihm.
"Was soll das, du kannst ja kaum stehen", sagte Dragan sogleich und schob den Krieger wieder zur Seite, "Halte uns den Rücken frei."
Der Krieger blickte ihn kurz nachdenklich an, nickte jedoch und stellte sich an seinen Rücken. Dragan ließ seinen Blick schweifen und achtete genau auf die Position der Fernkämpfer, dass er sie rasch ausschalten konnte.
"Anastia", rief die Stimme des Falken gebieterisch, "Ihr seid umstellt und dem Tode geweiht. Gebt auf und werft eure Waffen fort, dann verspreche ich euch einen schnellen, schmerzlosen Tod."
"Jeder Mensch, der dieses Land zu Grunde richtet ist dem Tode geweiht", entgegnete seine Kampfgefährtin ruhig und wandte sich an die befreiten Kämpfer, "Er bietet euch noch nicht einmal eine Belohnung an. Seht was aus diesem Land geworden ist. Schlächter und Ausbeuter herrschen über die Massen!"
"Sagt die, die ihr Gesicht versteckt. Eine feige Bande von Mördern!", erwiderte der Falke und lachte gehässig.
"Was für ein dämlicher Dialog", rief eine neue Stimme und eine Frau sprang von einem der Häuser. Elegant rollte sie sich auf dem Pflaster ab und klopfte sich den Staub aus den Kleidern. Sie trug eine leichte Tunika, die mehr zeigte, als verdeckte, doch der schwarze Turban auf ihrem Kopf verbarg sämtliche Gesichtszüge.
Dragan fielen sofort die eleganten Dolche auf, die in goldenen Scheiden steckten. Er fluchte innerlich.
"Ah, der Fuchs ist zurück", sagte der Falke mit Überraschung in der Stimme und sogleich sprangen zehn weitere Kämpfer des Königs von den Dächern auf den Platz.
Dragan machte vorsichtig einen Schritt zurück und musterte die Frau, die mit "Fuchs" angesprochen wurde, welche gerade lachte. Ihre großen Brüste schimmerten halb unter der seidigen Tunika hervor, einzig um ihre Hüften hatte sie einen Rock aus festen Stoff gezogen. Darüber trug sie den Gürtel mit Dolchen. Ihr drahtiger Körper schien nicht recht gefährlich zu wirken, doch Kenshin richtete seinen Oberkörper nach ihr aus. Dieses Zeichen verriet, dass der Krieger den Fuchs als gefährlicher erachtete.
Tiana flüsterte so leise, dass nur sie beide es hören könnte: "Ich übernehme den Falken, ihr beschäftigt den Fuchs. Sie war eigentlich nicht mehr in den Diensten des Königs. Versucht sie kampfunfähig zu schlagen."
Die beiden Männer nickten, auch wenn Dragan zweifelte, ob es möglich war ohne sie zu töten. Wenn selbst Kenshin sie als gefährlich erachtete, musste es was bedeuten.
Wie auf ein geheimes Zeichen hin stürmten die Meuchler des Königs auf die unterlegenen Kämpfer zu. Der Falke selbst hielt sich erst im Hintergrund, sodass Dragan versucht war ihn anzugreifen, doch ein Blick nach rechts zeigte ihm, dass der Fuchs auf ihre Dreiergruppe zu rannte. Sogleich ertönten ein Klirren und erste Kampfgeräusche, als die verfeindeten Kämpfer aufeinander trafen. Kenshin brach aus der Formation und sprang vor. Es klirrte und ein kleiner Dolch schlitterte über den Boden. Der Krieger schwang sein Katana und der Fuchs nickte mit den Kopf.
"Gute Reflexe", sprach sie anerkennend. Sogleich zog sie beide Dolche, die etwas länger als eine Hand waren. Kenshin nahm das Kompliment nickend entgegen, sogleich prallten funkensprühend die beiden Dolche auf die Klinge des Katanas. Dragan sprang dem erschöpften Krieger bei und schwang dabei den Hammerkopf des Zirrats. Überrascht von dem Geschoss sprang der Fuchs zurück und machte dabei einen Salto. Dragan wollte nachsetzen, doch Kenshin war schneller und stach mit seiner Naginata hinterher. Die Frau in roten Gewändern konnte gerade noch einen Schritt zur Seite machen, dennoch schnitt die Klinge der schlanken Waffe in ihre Taille. Ein dünnes Rinnsal an Blut trat aus der frischen Wunde. Dragan erkannte sofort, dass die Wunde den Fuchs in den Bewegungen hindern würde. Hinter ihm hörte er da Klirren von Waffen, ein rascher Blick verriet ihm, dass Tiana gegen den Falken kämpfte. Die beiden tauschten rasche Schlagabläufe aus, sodass Dragan sich wunderte, dass sie zuvor fast gegen den Kerl verloren hatte.
Hastig wandte er seinen Blick wieder nach vorn und starrte in den Sehschlitz des gewickelten Turbans. Die Augen des Fuchses funkelten wütend, kurz darauf ging sie zum Angriff über und wich einem Stich der Naginata aus. Mit beiden Dolchen blockte sie die Klingen von Dragan und Kenshin. Der Krieger versetzte ihr einen Tritt gegen das Schienbein. Die Frau rollte sich zur Seite ab, während der Fürstensohn den Hammer nach ihrem Kopf warf. Mit einem dumpfen Schlag landete das schwere Metall auf dem Pflaster und hinterließ eine Kerbe. Er erwischte nur den Stoff des Turbans, doch es genügte um den Stoff zu lockern. Sogleich fiel der schwarze Stoff zu Boden.
"Jetzt!", rief der Fuchs plötzlich und Dragan wagte es den Blick von der schwarzhaarigen Frau abzuwenden. Mit einem Blick erfasste er, dass die Kämpfer, die mit dem Fuchs erschienen waren keine ihrer Verbündeten getötet hatten und nun auf die Meuchler des Königs losgingen. Überrascht von dem plötzlichen Seitenwechsel fielen sofort vier Männer - darunter die Fernkämpfer - den Klingen der unerwarteten Verbündeten zum Opfer. Er hörte, wie der Falke einen Fluch ausstieß.
Verblüfft starrte Dragan auf die schwarzhaarige Frau, die triumphierend grinsend an ihnen vorbeirannte. Kenshin war zu erschöpft um ihr nachzusetzen und Tiana war damit beschäftigt den Falken auf Abstand zu halten. Der Fuchs rannte auf die beiden Kämpfer zu, Dragan hinter ihr her. Der Falke sah die Gefahr kommen und wandte sich zur Flucht. Tiana ritzte ihm zwar die Lederrüstung am Rücken auf, doch es hinderte den Kerl nicht wegzulaufen. Der Fuchs rauschte an Tiana vorbei und schleuderte ihre beiden Dolche dem flüchtenden Falken hinterher.
"Bleib stehen du verfluchter Feigling!", brüllte sie dabei und blieb schließlich stehen.
Tiana trat an ihre Seite und musterte die Frau kurz. Dann wandten die beiden sich zu Dragan und Kenshin um, die einen letzten Meuchler die Kehle aufschlitzen wollten. Inzwischen waren die Kämpfe zum Erliegen gekommen und die befreiten Kämpfer suchten das Weite. Nur eine Hand voll blieb auf dem Platz und trat zu den Mitgliedern des Zirkels. Selbst die verbliebenden Krieger des Fuchses senkten ihre Waffen und stellten sich neben sie.
"Ich denke, dass wir lange genug diesen ...Natterngezücht gedient haben", erklärte der Fuchs mit ruhiger Stimme und nickte Tiana zu, "Wir wechseln die Seiten, so wie ich es euren Oberen zukommen haben lasse."
Tiana schien zu Dragans Überraschung zu verstehen und nickte ihnen zu. Zögerlich steckte er seine Waffen fort und bemerkte, dass Kenshin skeptisch sein Katana verstaute. Den Griff um seine Naginata ließ er aber nicht locker.
"Na, das kam ja unerwartet", murmelte er leise vor sich hin und blickte über den von Leichen gepflasterten Platz, "Ich schätze, dass wir gehen sollten."
Tiana nickte zustimmend und führte sie sogleich in eine stille Seitengasse. Der Fuchs folgte ihnen, nicht ohne sich dabei aufmerksam umzusehen. Zwischenzeitlich hörten sie von der Hauptstraße die Rufe der Soldaten. Seine Kampfgefährtin wusste es aber sie zu umgehen und schließlich gelangten sie an ein unscheinbares Haus. Den weg konnte selbst Kenshin nicht wiederholen, als Dragan in danach fragte, durch so viele Gassen waren sie gelaufen.
"Alle hinein und keine Fragen", sagte Tiana leise und öffnete eine Hintertür, dann ein schweres, metallenes Gitter. Zur allgemeinen Überraschung fand sich dort jedoch eine Treppe in die Tiefe. Kurz wechselte der Fürstensohn einen Blick mit seinem Bewacher, der knapp nickte. Gemeinsam folgten sie Tiana hinab in den Untergrund wobei sie den Fuchs in ihre Mitte nahmen.


Dragan, Tiana und Kenshin in den Untergrund von Gortharia

Eandril

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Re: In den Straßen von Gortharia
« Antwort #25 am: 12. Jun 2017, 00:51 »
Czeslav hatte verstimmt, aber nicht wütend auf Milvas zaghafte Entschuldigung für ihr fernbleiben reagiert, und nur gebrummt, dass so etwas bitte nicht so schnell wieder vorkommen sollte. Das hatte Milva auch keineswegs vor.
Am nächsten Tag begann es zu regnen, und hörte nicht wieder auf. In der Nacht waren schwere, dunkle Wolken über Gortharia aufgezogen, und der Regen begann sanft am Morgen und wurde bis zum Mittag immer heftiger. Den Vormittag verbrachte Milva damit, in ihrem kleinen Zimmer ihren Bogen zu pflegen - sie ölte die Sehne sorgfältig ein damit sie geschmeidig blieb und nicht an kleinen Stellen spröde wurde, polierte und ölte die Wurfarme, und überprüfte alles aufmerksam auf kleinste Risse. Auch nachdem sie ihn schon einige Zeit besessen hatte, konnte sie sich an diesem Stück der Bogenbauerkunst noch immer nicht satt sehen, und bereute keine einzige Münze, die sie dafür hergegeben hatte.
Doch auch an ihrem Bogen konnte sich Milva nur eine begrenzte Zeit festhalten. Gegen Mittag begann sie, sich zu langweilen, und beschloss, ein wenig durch die Stadt zu streifen. So wenig sie die Stadt auch mochte, es konnte doch nicht schaden, sie ein wenig besser kennen zu lernen - jetzt wo es so aussah, als würde sie längere Zeit hier verbringen. Sie wollte das kleine Haus gerade verlassen, als Ana aus der Küche in den schmalen Flur hinaus trat. Als die Alte Milva sah, schnalzte sie mit der Zunge und sagte: "Aber du kannst doch bei diesem Regen nicht auf die Straße gehen. Nicht in der Rache des Meeres."
Milva, die sich gerade die Stoffkapuze über den Kopf ziehen wollte, stockte bei Anas letzten Worten. "Die Rache des Meeres?", fragte sie. "Was soll das denn sein?"
"Einst war das Meer von Rhûn viel, viel größer als jetzt", begann Ana zu erzählen. "Die ganze große Halbinsel, auf der auf Gortharia liegt, war einst von Wasser bedeckt."
Milva lehnte sich an die Wand des Flures und verschränkte die Arme, während sie der Geschichte lauschte. Anas ruhige Stimme und das sanfte Rauschen des Regens im Hintergrund brachten dunkle Erinnerungen zurück, an ihre Kindheit. Ihre Mutter hatte sie nie gekannt, doch ihr Vater hatte ihr abends oder an Regentagen oft Geschichten erzählt - wenn er nach der Arbeit noch die Kraft dazu gehabt hatte.
"Irgendwann kamen jedoch die Menschen, und sie entdeckten den Schatz, der im Meer schlummerte: Das Salz. Sie bauten Dämme am Meer, und ließen das Wasser dahinter trocknen, um an das Salz zu gelangen. Es gibt Legenden, dass sie von den Geistern des Wassers davor gewarnt wurden, doch sie lachten nur darüber und fuhren mit ihrer Arbeit fort. Eine Zeit lang hatten sie Erfolg, wurden immer reicher und das Meer wurde immer kleiner. Doch eines Tages erhob sich das Meer zu einer gewaltigen Flut. Es überschwemmte die Dörfer der Salzmacher an seinen Ufern, spülte sie fort und verschaffte ihnen mit all ihren Reichtümern ein nasses Grab.
Doch viel von der Macht des Meeres war mit dem verdunsteten Wasser verschwunden, und so konnte es auf diese Weise zwar seine Feinde vernichten, aber nicht sein verlorenes Gebiet zurückerlangen. Und so versucht es nun Jahr für Jahr mit Regen und Stürmen zurückzuholen, was die Menschen ihm einst genommen haben."
Milva kannte derartige Geschichten auch aus ihrer Heimat - die Menschen nahmen der Natur irgendetwas weg, und sie versuchte sich auf solche Weise dafür zu rächen. Eigentlich glaubte sie nicht wirklich daran, doch wenn so viele Leute davon sprachen... vielleicht steckte doch ein Körnchen Wahrheit darin?
"Aber im Grunde ist es doch nur Regen", sagte sie. "Man wird vielleicht nass, aber das bin ich gewohnt." Ana zog besorgt die Augenbrauen zusammen. "Nein, meine Liebe, das ist kein gewöhnlicher Regen. Man sagt, dass Teile der Geister des Meeres, die durch die Taten der Salzsammler in Stücke gerissen wurden, in den Tropfen sind, und wer von ihnen getroffen wird, kann unter ihren Fluch fallen."
Milva schüttelte den Kopf. Sie hatte durch einen Brunnen mit einer viele hundert Meilen entfernten Elbin gesprochen hatte sich mit Leuten verbündet, die einem uralten, körperbeherrschenden Geist folgten. Da schreckte sie eine Geschichte von verfluchten Regentropfen nicht länger.
"Sie werden mir schon nichts tun", sagte sie leichthin. "Schließlich bin ich nicht von hier, und kann auch nichts dafür was ihnen angetan worden ist." Ohne Anas Antwort abzuwarten, öffnete sie die Tür und trat hinaus in den Regen.
Eine Stunde streifte sie in dem Regen, der inzwischen wieder etwas an Wucht verloren hatte und sanft zu Boden strömte, durch die Straßen von Gortharia, und stellte schließlich erfreut fest, dass sie einen Ort wiedererkannte.

Es war der Platz mit der Statue des Dunklen Herrn von Mordor, auf dem zwei Tage zuvor die Schwarze Rose einige Gardisten der Stadtwache getötet hatte. Heute war kein Spielmann am Fuß der Statue zu sehen, und auch sonst war der Platz nicht gerade belebt. Trotzdem spürte Milva plötzlich einen Schlag gegen ihre linke Schulter, und sah sich einer jungen Frau mit Kapuze gegenüber, als sie zornig herumfahren wollte. "Oh, Verzeihung", stieß die Frau hervor, obwohl sie nicht den Eindruck erweckte, als täte es ihr wirklich leid. "Ich habe euch gar nicht gesehen."  Mit diesen Worten wandte sie sich um, und ging mit langen Schritten über den regnerischen Platz davon. Milva schüttelte missmutig den Kopf, wobei ein Schwall Wasser von ihrer Kapuze hinunter lief. "Nicht gesehen, klar...", murmelte sie vor sich hin, während sie ihre Kleidung zurecht zog. Sie stockte, als ihre Finger auf einen flachen, weichen Gegenstand trafen, der zwischen Gürtel und Kleidung steckte. Es war ein kleines, gefaltetes Blatt Papier, und als sie es auseinander faltete, erkannte sie darauf eine kleine gezeichnete Rose - mit schwarzen Blütenblättern.
"Das ist doch..." Milva unterbrach sich, und hob den Kopf um zu sehen, wohin die Frau gegangen war. Durch den Regen erspähte sie die schwarze Kapuze auf der anderen Seite des Platzes am Anfang einer Seitengasse. Sie stand nur dort, als würde sie auf etwas warten. Milva seufzte. "Was hab' ich nur verbrochen...", sagte sie zu sich selbst, atmete tief durch und folgte dann der geheimnisvollen Frau über den Platz.
"Könnt ihr mir bitte erklären, was das hier s..." begann sie, als sie die Gasse erreicht hatte, doch die Frau hatte sich bereits wieder abgewandt und war einige Meter zwischen den Häusern entlang gegangen. Sie öffnete eine unscheinbare Tür, und trat mit einer einladenden Geste in Richtung Milva hindurch.
Milva folgte ihr zögerlich. Das ganze erinnerte sie sehr daran, wie Ryltha sie und Aivari in den Untergrund geführt hatte, und es erschien ihr nur logisch, dass die Schwarze Rose ähnliche Wege nutzte. Sie fragte sich allerdings, was die Schwarze Rose von ihr wollte - es gab nur einen Weg das herauszufinden. Und immerhin war die Schwarze Rose ja mit den Schattenläufern verbündet, also war sie vermutlich auch nicht in Gefahr, wenn sie der Frau folgte.
Hinter der Tür ging es eine schmale Treppe hinunter in einen Raum mit steinernen Wänden, der von mehreren Fackeln erhellt wurde. In der Mitte stand die Frau, der Milva gefolgt war, und warf die Kapuze ab als Milva von der letzten Stufe auf den steinernen Boden trat. Es dauerte nur einen kleinen Moment, bis Milva sie wiedererkannte. "Du bist das!", stieß sie überrascht hervor. "Du hast vor zwei Tagen den Gardisten auf dem Platz oben getötet."
Die junge Frau lächelte, und strich sich eine helle und eine dunkle Haarsträhne aus der Stirn. "Ich dachte mir, dass du mich erkennst", erwiderte sie. "Ich bin Fiora. Und dich nennt man..."
Milva brauchte einen kurzen Moment bis sie erkannte, dass es eine Frage gewesen war.  "Milva", antwortete sie schließlich, setzte ihre eigene Kapuze ab und verschränkte die Arme vor der Brust. "Und ihr seid die Schwarze Rose." Es war eine Feststellung, keine Frage.
"Das sind wir", sagte eine männliche Stimme, und ein großer, gut gekleideter Mann trat aus einem in den Schatten verborgenen Nebengang hervor. Als er näher kam erkannte Milva, dass er scharfgeschnittene, edle Gesichtszüge besaß. "Und so wie du dich anhörst, stammst du aus meiner Heimat."
"Aus eurer... Heimat?", fragte Milva verwundert zurück, und der Mann nickte. Ein leidenschaftliches Feuer loderte in seinen Augen, als er antwortete: "Richtig - aus Dorwinion. Ich bin Gudhleif, der Sohn von Vissileif, Erbe von Bladorthin dem Großen und damit dein rechtmäßiger König." Er sprach es nicht aus, doch irgendetwas an seiner Miene ließ Milva zu dem Schluss kommen, dass er einen ehrfürchtigen Kniefall von ihr erwartete.
Diesen Gefallen würde Milva ihm nicht tun, ganz gleich wessen Sohn dieser Mann war - von Bladorthin dem Großen, dem letzten König Dorwinions, hatte sie gehört, doch noch nie davon, dass er noch lebende Nachfahren hatte. Und selbst wenn Gudhleif die Wahrheit sagte, im Augenblick war er sicherlich alles andere als ein König.
Zu ihrem Glück seufzte Fiora hörbar, und sagte: "Bitte, Gudhleif. Wir alle wissen, dass du lieber auf einem Thron in Könugard sitzen würdest als hier im Untergrund herumzukriechen. Aber im Augenblick bist du nun einmal hier, und in der Schwarzen Rose gibt es keine Könige."
Gudhleif verzog das Gesicht, und seine Augen verengten sich. "Sicher? Ich könnte schwören, dass sich unser geschätzter Anführer genau dafür hält..."
"Ulfang hat Schwächen und Stärken wie wir alle", mischte sich eine dritte, ebenfalls männliche Stimme ein, und neben Fiora trat der Spielmann, der zwei Tage zuvor ebenfalls auf dem Platz gewesen war, aus den Schatten hervor. "Aber es wäre vielleicht klüger, über diese Dinge nicht vor unserem Gast zu streiten." Er deutete eine Verbeugung in Milvas Richtung an, und sagte: "Zumindest nicht bevor ich mich vorgestellt habe. Ich bin Vadim, Spielmann und Verschwörer von Beruf, zu euren Diensten." Der Spielmann lächelte, wobei ein Goldzahn im Fackellicht aufblinkte.
Bevor Milva etwas erwidern konnte, schnaubte Gudhleif verächtlich, fuhr mit einem Schwung seines Mantels herum, und verschwand in der Dunkelheit.
Fiora schüttelte den Kopf. "Beachte ihn gar nicht - in Gedanken ist er schon längst König, auch wenn die Wirklichkeit noch ganz anders aussieht. Aber ich würde nun gerne zum Grund deiner Anwesenheit kommen."
"Der würde mich ebenfalls brennend interessieren", gab Milva zurück, und der Spielmann Vadim zwinkerte ihr zu.
"Du warst oben auf dem Platz, vor zwei Tagen", begann Fiora, und Vadim fuhr fort: "Und wie ich gehört habe warst du bereit, dein Leben zu riskieren um mich vor den Gardisten zu schützen - und ich vermute, dass das nicht nur an meinem unschlagbar guten Aussehen lag."
"Ich habe es in deinem Gesicht gesehen", nahm Fiora wieder den Faden auf. "Du hast es satt, wie der König und Mordors Schergen auf den Menschen herumtreten. Du willst nicht länger stumm zusehen."
"Du bist bereit, etwas zu verändern", schloss Vadim, und Milva schüttelte den Kopf. "Ich will, dass sich etwas ändert", sagte sie dann langsam. "Aber... ich fürchte, ich kann euch nicht helfen, denn ich..." Konnte sie diesen beiden verraten, für wen sie arbeitete? Vielleicht gab es eine Möglichkeit...
"Und außerdem hat mir Teressa verraten, dass ihr vom ehemaligen König von Rhûn angeführt werdet - der kein Stück besser war als der jetzige." Das entsprach nicht ganz der Wahrheit, denn eigentlich war es Ryltha gewesen, die Milva davon erzählt hatte. Doch Rylthas Name war wahrscheinlich zu bekannt, und wenn Fiora und Vadim von Teressa wussten, wussten sie auch vom Rest der Schattenläufer.
Und tatsächlich beobachtete Milva, wie sich Fioras Augen im Fackellicht weiteten. "Du arbeitest für sie", stieß sie überrascht hervor. Sie machte einen Schritt nach vorne. "Es gibt einiges, was wir besprechen sollten. Wirst du mit uns kommen?" Es war beinahe eine Bitte, und so zögerte Milva nur einen Augenblick, bevor die Neugierde über die Vorsicht siegte.
"Also schön. Ich komme mit euch."

Milva mit Fiora in das Ordensversteck der Schwarzen Rose
« Letzte Änderung: 17. Jun 2017, 13:09 von Eandril »

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Re: In den Straßen von Gortharia
« Antwort #26 am: 2. Okt 2017, 18:27 »
Milva aus den Wäldern südlich von Gortharia

Es war Milva gelungen, sich ohne eine weitere Begegnung mit Silan oder Herrin Velmira aus dem Anwesen zu stehlen, nachdem der ganze Jagdtrupp in die Stadt zurückgekehrt war. Sie hatte Sorge davor, dass Herrin Velmira sie erneut auf den Vorfall mit den Wilderern ansprechen könnte - und vor dem, was sie dann womöglich geantwortet hätte. Ihre einzige Hoffnung in dieser Angelegenheit war, dass die Adlige diesen für sie sicherlich unbedeutenden Vorfall schon bald wieder vergessen würde.
Silan war eine andere Angelegenheit. Milva glaubte zwar nicht, dass Velmiras Neffe sie verraten würde, sollte sie etwas unbedachtes sagen, doch wer konnte schon wissen, wer womöglich noch alles zuhörte? Und außerdem, gestand sie sich ein, machte Silan sie mit seinem verdammt guten Aussehen seltsam nervös. Unwillkürlich dachte sie an Cyneric, und fragte sich, was wohl geschehen wäre, hätte er nicht den verdammten Ehrenmann gespielt und ihr eindeutiges Angebot an jenem Abend nicht so eindeutig abgelehnt. Sie schob den Gedanken wieder beiseite, denn es war nicht ihre Art, über verpasste Gelegenheiten nachzugrübeln. Schließlich war sie nicht in Cyneric verliebt, sondern nur betrunken und auf der Suche nach ein wenig Spaß gewesen... Vielleicht war es besser, dass er standhaft geblieben war.
So in Gedanken versunken bemerkte Milva nicht sofort, dass jemand sie von der Seite angesprochen hatte, und reagierte erst beim zweiten Mal: "Fräulein? Wenn ihr mir bitte folgen würdet, mein Herr wünscht euch zu sprechen." Milva blieb stehen, und betrachtete den Mann, der sie angesprochen hatte, was ihr einen Schwall Schimpfwörter einer alten Frau eintrug, als diese um sie herumgehen musste. Der Mann war im mittleren Alter, vielleicht dreißig oder vierzig Jahre alt, und trug die Kleidung eines Dieners. Das Livree war grün, und auf der Brust war klein ein Wappen aufgenäht, das Milva nicht genau erkennen konnte. Sie verschränkte die Arme, trat einen Schritt zur Seite an den Straßenrand um einem herankommenden Karren auszuweichen, und erwiderte: "Ich bin ganz sicher kein Fräulein, und bevor ich nicht eine Ahnung habe, wer dich schickt, werde ich sicherlich nicht mit dir mitgehen." Als der Diener ihr an den Straßenrand folgte, erkannte Milva, dass es sich bei dem aufgenähten Wappen um eine goldene Weinrebe, die sich um einen schwarzen Stab rankte, handelte. Leider hatte sie überhaupt keine Ahnung, wem dieses Wappen gehörte - und mit dem Adel Gortharias kannte sie sich ebenso wenig aus.
"Mein Herr ist der ehrenwerte Händler Gleb Vseslavich", antwortete der Diener in einem Tonfall, der eindeutig erkennen ließ, dass ihre Weigerung ihn einfach zu begleiten, ihn gekränkt hatte. Milva konnte sich gerade noch daran hindern, die Augen zu verdrehen. "Ich habe nie von einem Gleb... wie auch immer... gehört", gab sie zurück. "Du musst mich verwechseln."
"Ganz sicher nicht. Mein Herr hat euch eindeutig beschrieben, und ich besitze ein hervorragendes Gedächtnis." Bevor Milva etwas erwidern konnte, zog er eine Rosenblüte aus seinem Livree hervor, mit so dunklen blauen Blättern, dass sie beinahe schwarz wirkte. "Außerdem hat er mir aufgetragen, euch das hier zu geben, wenn ihr misstrauisch seid." Milva nahm die Blüte, die der Diener ihr entgegenhielt, zögerlich entgegen. Offenbar handelte es sich hierbei um den Versuch eines Mitglieds der Schwarzen Rose, mir ihr Kontakt aufzunehmen. Milva überlegte fieberhaft - warum sollte jemand von der Schwarzen Rose mit ihr sprechen wollen, warum jetzt, und vor allem: Wer? Milva glaubte nicht, dass dies hier Fioras Art wäre. Fiora hätte sie vermutlich selbst aufgesucht, also wer blieb übrig? Ulfang? Aber für den gestürzten König war Milva sicherlich zu unbedeutend, und außerdem konnte er es sich im Augenblick wohl kaum leisten, Diener durch Gortharia auf die Suche nach ihr zu schicken. Nein, es musste jemand sein, der die Schwarze Rose zwar im Geheimen unterstützte, aber nicht von den Soldaten des Königs verfolgt wurde. Leider hatte Milva nicht die geringste Ahnung, wer das sein könnte.
"Also schön...", sagte sie langsam, und zupfte gedankenverloren eines der Rosenblätter aus. "Und was will dein Herr von mir?"
"Er wünscht euch selbst zu sprechen", meinte der Diener in leidendem Tonfall. Einige Meter weiter hatten sich zwei Ochsenkarren auf einer Kreuzung miteinander verkeilt, und die wüsten Beschimpfungen der beiden Fahrer schallten über die Straße. "Ich weiß nicht, worum es geht und selbst wenn, wäre ich nicht befugt mit euch darüber zu sprechen. Also bitte, folgt mir."
Milva seufzte, und zuckte mit den Schultern. "Also schön, warum nicht. Wenn ihn mein Aufzug im Moment nicht stört..." Sie trug ihre übliche, einfache Kleidung - die Jagdausrüstung mit dem Wappen der Bozhidars hatte sie im Anwesen zurückgelassen - und entsprach damit sicherlich nicht dem Bild einer adligen oder wohlhabenden Frau. Außerdem hatte sie noch keine Gelegenheit bekommen, sich nach der Jagd zu waschen, und roch deshalb vermutlich nicht allzu angenehm. Andererseits, jemand der mit der schwarzen Rose zu tun hatte, ließ sich von so etwas wohl nicht abschrecken.
"Er wird sicherlich darüber hinwegsehen können", erwiderte der Diener, konnte allerdings ein beinahe unmerkliches Naserümpfen nicht unterdrücken. Zu ihrer eigenen Überraschung spürte Milva ihre Mundwinkel zucken - sie freute sich auf die Begegnung mit diesem Gleb, obwohl sie sich eigentlich davor fürchten sollte. Aber in den letzten Wochen hatte sie ganz andere, viel gefährlichere Menschen kennengelernt - was sollte ihr da ein einfacher Händler?
"Na gut", meinte sie, und rückte den Bogen auf dem Rücken zurecht. "Dann geh voran, wir wollen deinen Herrn nicht länger warten lassen."

Milva in Glebs Haus
« Letzte Änderung: 4. Dez 2017, 16:11 von Eandril »

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Re: In den Straßen von Gortharia
« Antwort #27 am: 4. Dez 2017, 16:57 »
Milva aus Glebs Haus

Die Tage nach Milvas Besuch bei Gudhleif vergingen langsam und ereignislos. Noch zwei Mal brach sie zur mit Mislav und den anderen zur Jagd auf, um Herrin Velmiras Tisch zu bereichern, doch ansonsten hatte sie neben ihren allabendlichen Leseübungen unter Ronvids strenger Aufsicht - bei denen sie frustriert das Gefühl hatte, überhaupt nicht voranzukommen - wenig zu tun. So streifte sie hin und wieder ziellos durch die Straßen Gortharias, während der Sommer sich immer mehr dem Ende neigte, und hatte wieder einmal das Gefühl, am vollkommen falschen Ort zu sein. Sie lernte zwar die Stadt immer besser kennen und fühlte sich weniger verloren, doch der Erfüllung ihres Auftrags kam sie keinen Schritt näher. Seit Cyneric und Salia die Stadt verlassen hatten gab es außerdem niemanden mehr, den Milva um Hilfe bitten könnte, kurz: Sie hatte nicht die geringste Ahnung wie sie es anstellen sollte, an das Testament von Herrin Velmira zu kommen, geschweige denn es im Sinne der Schattenläufer zu verändern.
Bei einem ihrer Streifzüge, es war einige Tage nachdem Cyneric, Salia und Ryltha in Richtung Gorak aufgebrochen waren, wurde Milva plötzlich von einer schmalen Gestalt mit Kapuze am Arm gepackt und in eine menschenleere Seitengasse, die auf einen verwilderten und verlassenen Innenhof führte, gezogen. "Ich bin nicht hier um dich auszurauben", stieß ihr Entführer leise hervor, als Milva sich gegen den Griff um ihren Arm zu wehren begann, und Milva erkannte Fioras Stimme. Auf dem leeren Innenhof angekommen, warf die junge Frau ihre schwarze Kapuze ab, und sagte: "Tut mir leid, aber es ist besser wenn ich auf den Straßen nicht allzu oft gesehen werde - nicht, wenn ich es nicht will." Milva atmete tief ein, und rieb sich die schmerzende Stelle am Arm, wo Fiora zugepackt hatte. Trotz ihrer schmalen Figur besaß Fiora offenbar einiges an Kraft, und Milva war sich ziemlich sicher, dass ihr Griff blaue Flecken zurücklassen würde.
"Ist etwas wichtiges geschehen?", fragte sie, ohne ihre Ungehaltenheit zu verbergen. "Oder ist dir nur langweilig." Fioras Augenbrauen zogen sich unwillig zusammen. "Langeweile habe ich bestimmt nicht. Aber ich habe eine Frage an dich: Haben deine... Freunde etwas mit den Gerüchten zu tun, die man aus Gorak hört?"
Milva schüttelte verwirrt den Kopf. "Ich weiß nicht einmal wovon du sprichst? Was für Gerüchte?"
Fiora ließ sich auf einer halb zusammengebrochenen und bemoosten Steinmauer, die einen abgestorbenen Baum in der Mitte des Innenhofes umgab, nieder, und klopfte mit der linken Hand einladend auf den Stein neben sich. "An sich nichts großes", erklärte sie, während Milva sich zögerlich neben sie setzte. "Es gibt Gerüchte, dass Fürst Radomir seit seiner überstürzten Abreise aus der Hauptstadt - mit der deine Freunde eine Menge zu tun hatten, versuch nicht, mir etwas anderes einzureden - einige Probleme mit seinen Sklaven hatte." Milva zuckte mit den Schultern. "Und? Selbst wenn man wie ich von irgendwo aus den entferntesten Provinzen kommt weiß man, dass jeder Sklavenhalter hin und wieder Probleme mit ihnen hat."
"Nicht Radomir", erwiderte Fiora. "Von ihm hört man so etwas niemals - klar, hin und wieder begehrt mal ein Sklave auf, aber er hat seine Mittel und Wege, dass es nie zu einem Problem wird." Milva begriff allmählich.
"Und du glaubst, die Schattenläufer wären dafür verantwortlich? Dass sie Radomir nach Gorak gefolgt sind?" "Halte mich nicht für dumm oder naiv", gab Fiora zurück, und ihre eigentlich hellbraunen Augen verdunkelten sich, bis sie beinahe schwarz wirkten. "Ich weiß natürlich, dass sie ihm gefolgt sind. Verkleidet als Mitglieder des königlichen Heeres sind sie aufgebrochen, und sind ihm nach Gorak gefolgt."
"Wenn du bereits alles weißt, was willst du dann von mir?", fragte Milva, und bemerkte im selben Augenblick, dass es vielleicht keine gute Idee gewesen war. "Du bist einfach aufzuspüren", erwiderte Fiora mit kalter Stimme, und nicht zum ersten Mal fühlte Milva sich an ihr Gespräch im Friedhof der vergessenen Bücher erinnert - als Fiora ebenfalls mit einem Schlag wie ein anderer Mensch gewirkt hatte. "Viel zu einfach, und jedenfalls einfacher als der Rest deiner Freunde. Deshalb spreche ich mit dir, und nicht mit ihnen direkt. Die Schwarze Rose hat viele Freunde, selbst unter den Sklaven von Gorak. Wenn die Schattenläufer die Sklaven benutzen wollen, um Fürst Radomir zu töten, hätten sie vorher mit mir sprechen sollen, mich um Hilfe bitten."
"Dich?" Milva zuckte mit den Schultern. "Oder meinst du eher, mit König Ulfang?" "Wag es nicht!", zischte Fiora, und ihre Stimme zitterte vor Wut. "Ulfang mag sich für den Anführer der Schwarzen Rose halten, vielleicht ist er das sogar, doch ich werde nicht tatenlos dabeistehen und andere ihre Spiele spielen lassen." Sie atmete tief durch, und schien sich zu beruhigen. Dann schüttelte sie den Kopf, wobei ihr dunkelblondes Haar Milvas Wange streifte. "Ich... verzeih mir, ich hätte mich nicht so..." Fiora verstummte, offenbar ratlos, was sie hatte sagen wollen. Milva starrte auf den staubigen Boden, ebenso ratlos und unsicher, was sie tun sollte, bis Fiora sich gefangen hatte. "Ich könnte deinen Freunden in Gorak helfen", meinte sie schließlich mit erneut fester Stimme. "Du muss mir nur sagen, was sie vorhaben."
Milva schüttelte den Kopf, und konnte ein kleines, bitteres Lachen nicht unterdrücken. "Ich habe keine Ahnung, was sie vorhaben. Ich bekomme das erzählt, was ich wissen muss, und kein bisschen mehr. Ich weiß nicht, wie ich jemanden von ihnen erreiche, um ihnen zu sagen was du mir gesagt hast. Ich bin... nur ein Werkzeug für sie, ein Werkzeug um einen kleinen Teil ihres großen Planes zu erledigen."
"Und macht dich das nicht wütend?", fragte Fiora leise, und zu ihrer eigenen Überraschung nickte Milva langsam. Sie hatte geglaubt, zufrieden mit ihrer Rolle zu sein, und froh, möglichst wenig zu wissen. Doch ihr wurde klar, dass sie, seit sie ein wenig von jener Welt gekostet hatte, mehr als das wollte. "Wie ich es mir gedacht habe." Fiora lächelte, als wäre sie äußerst zufrieden mit sich selbst. "Ich kann jetzt nicht viel für dich tun, aber... es wird Gelegenheiten geben."
"Eine Sache gäbe es da...", sagte Milva langsam, während ihr etwas einfiel. "Du könntest mit jemandem sprechen, und ihm helfen, sein Ziel zu erreichen... ohne, dass jemand dabei sterben muss." Fiora zog eine Augenbraue in die Höhe, und wandte Milva interessiert das Gesicht zu. "Ich bin ganz Ohr."

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Re: In den Straßen von Gortharia
« Antwort #28 am: 19. Dez 2017, 15:09 »
Milva schreckte aus dem Schlaf, als sie leise Geräusche vor dem kleinen Fenster hörte, das von ihrem Zimmer auf die Straße hinaus ging. Es war das gleiche Geräusch, das sie bereits zwei Mal gehört hatte, und beide Male war es Salia gewesen, die an der Wand heraufgeklettert war. Aber Salia war mit Cyneric und Ryltha in Gorak, und konnte noch nicht wieder zurück sein - oder? Ein bisschen Vorsicht schadete nie, also nahm Milva ihr Messer zur Hand, und presste sich an die Wand neben dem Fenster. Sie musste sich ein wenig ducken, denn das Dach war an dieser Stelle zu niedrig, um aufrecht stehen zu können.
Nur wenige Augenblicke schwang das Fenster auf, und mit dem fahlen Licht des anbrechenden Tages sprang eine schlanke Gestalt hindurch. Sie landete ebenso lautlos wie Salia auf dem hölzernen Boden, doch Milva erkannte sofort, dass es sich nicht um Salia handelte, denn das schulterlange Haar war nicht schwarz, sondern dunkelblond. Bevor sie etwas tun könnte, hatte der Eindringling sich bereits zu ihr umgewandt. "Kein besonders freundlicher Empfang", sagte sie, doch auf ihrem Gesicht zeigte sich keine Spur eines Lächelns. Milva warf das Messer aufs Bett, als sie Fiora erkannte. "Warum könnt ihr Leute nicht einfach durch die Tür kommen...", seufzte sie, während Fiora an der Zimmertür lauschte, ob sich im Haus etwas regte. "Ich habe dir doch gesagt, ich möchte ungern von mehr Leuten als unbedingt nötig gesehen werden", gab sie ungehalten zurück. Irgendetwas schien sie aus dem Gleichgewicht gebracht zu haben.
"Na schön." Milva setzte sich auf das Bett, und blickte Fiora an, die in der Mitte des kleinen Raumes stehengeblieben war, ohne sich zu rühren. "Ist es etwas passiert?" Fioras hellbraune Augen verengten sich, als sie tonlos antwortete: "Die Stadtwache... hat Cáha verhaftet." Milva spürte, wie sich kalte Furcht wie eine Faust um ihr Herz legte. "Und Gudhleif, Rogvolod, und ihre Söhne... nur Gudhleifs jüngsten Sohn nicht, denn er ist verschwunden."
Milva erinnerte sich, wie sie fünf Tage zuvor mit Fiora zu Gudhleifs Haus gegangen war. Gudhleif war nicht sonderlich begeistert gewesen, als er festgestellt hatte, dass Milva Fiora eigenmächtig in ihr Vorhaben eingeweiht hatte, doch schließlich hatte er ihre Hilfe akzeptiert, und sie gemeinsam hatten sie einen Plan erarbeitet, Ántonins Wahl zum Gildenmeister zu verhindern, ohne ihm ernsthaften Schaden zuzufügen. Natürlich wäre sein Ruf in Gortharia, durch die gefälschten Dokumente, die Cáha ihm unterschieben würde, ruiniert und er hätte vermutlich die Stadt verlassen müssen, doch immerhin wäre er mit dem Leben davon gekommen. Bei dem Treffen hatte Milva auch flüchtig Gudhleifs jüngsten Sohn Vsevolod kennengelernt, der von einer Handelsreise in den Süden Rhûns zurückgekehrt war. Hinterher war sie zuversichtlich gewesen, dass alles so kommen würde wie geplant, doch irgendetwas musste fürchterlich schiefgegangen sein.
"Ich weiß nicht, was genau geschehen ist", erzählte Fiora mit ruhiger, beinahe gleichgültiger Stimme weiter. Ihre Augen besaßen einen seltsam Ausdruck, und schienen geradewegs durch Milva hindurchzusehen. "Aber offenbar haben die Goldröcke auf irgendeine Weise Wind von der Sache bekommen. Sie haben Cáha verhaftet, als sie Dvakars Haus gerade verließ, und Gudhleif und seine Familie kurz darauf."
Milva stieß einen Fluch aus, den sie vor langer Zeit von einem zwergischen Händler gehört hatte, und von dem sie keine Ahnung hatte, was er bedeutete. "Und jetzt brauchst du meine Hilfe, um sie zu befreien?"
Ein Muskel auf Fioras Wange zuckte, und zum ersten Mal schien sie Milva wirklich anzusehen. "Dazu... ist es zu spät." Ihr Stimme zitterte ein wenig. "Goran scheint außer sich vor Zorn zu sein - ich weiß nicht warum. Doch er hat ihre sofortige Hinrichtung befohlen. Für heute, eine Stunde nach Sonnenaufgang."
Milva wollte aufspringen, ohne zu wissen, was sie eigentlich vorhatte, doch unter Fioras Blick blieb sie sitzen. "Es ist deine Schuld, weißt du? Du wolltest deinen ach so edlen Händler-Freund retten, und dafür muss Cáha sterben."
"Ich wollte nicht, dass..."
"Natürlich nicht. Was hat es mit diesem Ántonin eigentlich auf sich? Das Mädchen aus der Provinz verirrt sich in der Stadt, und der edle Ritter steht ihr zur Seite und rettet sie. Hast du nie gedacht, dass er vielleicht andere Beweggründe dafür gehabt hat? Dass er nur einen hübschen Körper mit einem naiven Geist vor sich gesehen hat, den er einfach um seinen Finger wickeln kann?" Fioras Stimme zitterte geradezu vor unterdrückter Wut und... Verachtung, und Milva spürte, wie sich in ihr eine große Leere ausbreitete. Vielleicht sollte sie Zorn angesichts solcher Vorwürfe empfinden, doch eine leise Stimme in ihrem Inneren sagte ihr, dass Fiora nicht unrecht hatte. Hätte sie sich nicht von einer naiven Dankbarkeit gegenüber Ántonin leiten lassen, wäre das alles vermutlich nicht geschehen. Nicht nur hatte sie Fioras Freundin Cáha dem Henker ausgeliefert, sie hatte auch König Goran eines möglicherweise mächtigen Feindes beraubt.
"Was möchtest du, das ich tue?", fragte sie leise, und Fiora trat mit einem einzigen langen Schritt an sie heran, krallte eine Hand in ihre Schulter, und zischte: "Du wirst mit mir kommen, zur Hinrichtung. Es ist dein Werk - du sollst es dir selbst ansehen." Milva blickte ihr einen Augenblick in die zornfunkelnden Augen, dann nickte sie.

Milva und Fiora zum Platz des Goldenen Drachen
« Letzte Änderung: 15. Jan 2018, 11:39 von Eandril »

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Re: In den Straßen von Gortharia
« Antwort #29 am: 15. Jan 2018, 12:54 »
Milva, Silan und Fiora vom Platz des Goldenen Drachen

Silan führte sie raschen Schrittes durch die Straßen der Stadt, die heute weniger belebt wirkten als üblich. Vermutlich waren genug Leute zur Hinrichtung gekommen, um einen spürbaren Unterschied auf den Straßen zu machen.
Sie erreichten ein schäbig und verlassen wirkendes Haus an der Westmauer der Stadt, vor dessen Tür ein kräftiger, mit einer großen Zweihandaxt bewaffneter Mann, Wache stand. Als er Silan erblickte, trat der Wächter einen Schritt zu Seite und gab die Tür somit frei. "Er hat nicht wieder versucht, davonzulaufen, Herr", sagte er, und Silan nickte nur knapp, bevor er die Tür aufstieß und Fiora und Milva mit einer Geste bedeutete, ihm ins Innere des Hauses zu folgen. Für einen Augenblick fragte Milva sich, was oder wen sie hier finden würden, und ob es nicht vielleicht eine Falle war - doch dann gewann die Neugierde die Oberhand, und sie folgte mit einem Schulterzucken Fiora, die noch immer vollkommen gleichgültig wirkend bereits vorgegangen war, über die Schwelle.
Im Inneren war des dämmrig, und nur wenig Licht schien durch die Spalten der vernagelten Fenster. Auf dem Boden lag eine dicke Staubschicht, auf der deutlich Spuren mehrerer Füße zu erkennen waren. In der Mitte des Raumes stand ein hölzerner Tisch mit mehreren Stühlen, an dem ein Mann saß und den Kopf auf die Arme gelegt hatte.
Als er sie eintreten hörte, hob der Mann den Kopf, und nach einem Augenblick glaubte Milva ihn zu erkennen. "Ist das..."
"Vsevolod - oder Visleif, in der Sprache seiner Vorfahren", beantwortete Silan, der sich neben den Mann gestellt und zu Milva und Fiora umgewandt hatte, ihre noch nicht ganz gestellte Frage.
"Aber...", setzte Milva zu einer weiteren Frage an, doch Silan sprach bereits weiter: "Ich habe gestern Abend von der Verhaftung seiner Familie gehört, und ihn heute Morgen am Stadttor abgefangen - er kam von einer Handelsreise nach Dervesalend zurück. Ich wollte sichergehen, dass nicht er auch noch dem Wüten unseres Königs zum Opfer fällt." Sein Gesichtsausdruck war unmissverständlich verächtlich, als er Goran erwähnte.
"Ich weiß wer ihr seid", sagte Fiora, und sprach damit das erste Mal seit sie den Platz des Goldenen Drachen verlassen hatten. "Silan Bozhidar. Was ich mich frage ist: Woher kennt ihr euch?" Sie machte eine Geste in Richtung Visleif. "Und was liegt euch daran, ihm das Leben zu retten?"
"Wir sind uns vor einigen Jahren begegnet", antwortete Visleif selbst mit ebenso rauer und belegter Stimme wie Fiora. "Und seitdem haben wir uns hin und wieder getroffen. Man könnte uns wohl als Freunde bezeichnen - bis heute jedenfalls." Silan warf ihm einen merkwürdigen Blick zu, eine Mischung aus Verärgerung, Mitleid und Enttäuschung. "Du weißt, dass ich dich nur zu deinem eigenen Besten hier festhalte." Visleif schnaubte verächtlich, doch Silan wandte sich wieder Milva und Fiora zu. "Und es gibt genug Freunde und Menschen, die ich schätzte, die dem Verfolgungswahn des Königs bereits zum Opfer gefallen sind. Ich konnte seine Familie nicht retten, das wäre mein eigener Untergang gewesen, doch ihm konnte ich helfen."
Fiora wirkte nicht überzeugt. "Das ist ja schön und gut. Aber wie kommt ihr auf die Idee, dass wir ihm auf irgendeine Art und Weise helfen könnten? Was glaubt ihr, mit wem ihr es zu tun habt?"
Silan taxierte sie mit verengten Augen. "Nun, ich habe einige Vermutungen. Zum ersten wart ihr sichtlich erschüttert über die Hinrichtung - vor allem ihr." Er nickte in Fioras Richtung. "Und nicht so sehr wie ein normaler Zuschauer über eine Hinrichtung erschüttert ist, sondern als hättet ihr mindestens eines der Opfer zu euren Freunden gezählt." Er legte eine kleine Sprechpause ein, als würde er eine Bestätigung erwarten, doch weder Milva noch Fiora, die noch ein wenig blasser geworden war, sagten etwas. "Und was Milva angeht... nun, sie hat bei der letzten Jagd, die meine Tante ausgerichtet hat, etwas sehr interessantes gesagt. Vielleicht wird das ja geschehen, als ich meine Hoffnung äußerte, dass sich, falls ich mein Erbe antrete, etwas in diesem Reich getan haben wird."
Milva spürte geradezu Fioras vorwurfsvollen Blick von der Seite, und blickte weiterhin stur geradeaus. "Was genau sie damit meinte, habe ich bislang nicht herausgefunden." Silan lächelte leicht über Milvas offensichtliches Unbehagen. "Doch als ich euch bei der Hinrichtung sah, kam mir die Idee, euch mit Visleif zusammenzubringen - denn offensichtlich haben alle vier Menschen in diesem Raum das gleiche Ziel."
Als er fertig gesprochen hatte, legte sich Stille über den Raum. Niemand schien etwas sagen zu wollen, bis Fiora das Schweigen schließlich brach. "Und was wäre dieses Ziel?"
Silan hob eine Augenbraue und wechselte einen raschen Blick mit Visleif. "Nun, grob gesagt - König Goran zu stürzen."
Milva blinzelte überrascht. Sie hatte natürlich von den Schattenläufern - und ihrem einen Gespräch mit Silan - gewusst, dass er König Goran kritisch gegenüberstand. Doch dass seine Ansichten so weit gingen, den König stürzen zu wollen, und dass er das so offen zugab... damit hatte sie nicht gerechnet. Das machte die Mission, die ihr die Schattenläufer aufgetragen hatten noch dringlicher und wichtiger, und sie verspürte einen schuldbewussten Stich als sie daran dachte, wie sehr sie sich in letzter Zeit davon hatte ablenken lassen.
Fiora jedoch schien nicht wirklich überzeugt. "Das ist kein Spiel", sagte sie mit harter Stimme, und blickte Silan, der noch immer lächelte, direkt ins Gesicht. "Ihr seid ein verwöhnter Adelssohn, mit romantischen Vorstellungen von Rebellen, Helden des Volkes. Ihr denkt, das hier ist ein heroischer Kampf, mit edlen Rebellen die gegen den tyrannischen König kämpfen - und am Ende, wer weiß, vielleicht bietet das dankbare Volk euch sogar den Thron dessen an, den ihr ihn seinem Namen gestürzt habt?"
Das Lächeln war von Silans Gesicht verschwunden, als er antwortete: "Meine Liebe - ich kenne noch nicht einmal euren Namen - ihr könnt euch sicher sein, dass ich keinerlei Interesse am Thron von Gortharia habe. Falls ihr es nicht wisst, ich bin ein Bastard. Mein Leben mag besser gewesen sein als das der meisten Menschen, aber ich würde mich nicht als einen verwöhnten Adelssohn beschreiben. Ich musste in meiner Jugend vieles tun um zu überleben, dass sich ein gewöhnlicher Adliger nicht träumen lassen würde. Und völlig unabhängig von meiner Abstammung bin ich noch immer ein Mensch, der in der Lage ist zu erkennen, welches Unrecht in diesem Königreich herrscht. Wenn ihr mir nicht helfen wollt, ist das eure Entscheidung. Aber ich werde bis zum letzten Atemzug dafür kämpfen, das Regime von König Goran zu beseitigen."
Fiora warf Milva einen fragenden Blick zu, und Milva zuckte nur mit den Schultern. Ihrer Meinung nach hatte Silan vollständig aufrichtig geklungen.
"Also schön...", meinte Fiora schließlich langsam. "Ich werde Visleif in die Schwarze Rose aufnehmen- in Gedenken an seinen Vater." Bei der Erwähnung dieses Namens schienen Silans Augen für einen winzigen Moment aufzuleuchten, und sein Gesicht drückte Zufriedenheit aus - als hätte sich eine seiner Vermutungen gerade bestätigt. "Aber ihr... ihr bleibt Milvas Angelegenheit." Sie wandte sich Visleif zu. "Kommt mit mir. Wir werden dafür sorgen, dass euer Vater und eure Brüder gerächt werden - und, dass ihr eines Tages euer Erbe erlangen könnt."
Visleif sah zu Silan, der beinahe unmerklich nickte, und erhob sich dann langsam. "Vielleicht... sollte ich dir doch dankbar sein, dass du mich aufgehalten hast", sagte er an Silan gewandt, und dieser schüttelte den Kopf. "Ich weiß es zu schätzen, aber das ist nicht, was für mich zählt. Für mich zählt nur, dass du am Leben bist, und bereit, den Kampf gegen Goran zu unterstützen." Visleif gelang beinahe ein Lächeln, und als er sich wieder Fiora zugewandt hatte sagte er: "Nun denn, edle Fiora - wollen wir gehen?"
Für einen Augenblick fragte Milva sich, woher er Fioras Namen kannte - sein Vater musste ihm von ihr und der Schwarzen Rose erzählt haben. Fiora warf Milva noch einen warnenden Blick zu, bevor sie gemeinsam mit Visleif auf die Straße hinaustrat, und Milva mit Silan allein ließ.
Milva trat nervös von einem Fuß auf den anderen, doch als sie eine Bewegung zur Tür hin machte, sagte Silan: "Einen Augenblick noch bitte." Seine Stimme klang irgendwie tiefer und sanfter als zuvor. "Ich nehme nicht an, dass du nur in die Dienste meiner Tante getreten bist, weil du Arbeit suchtest."
Sein Blick schien Milva zu durchbohren, und nach einem Augenblick atmete sie tief durch und schüttelte den Kopf. Silan lächelte. "Nun, das habe ich mir bereits gedacht. Für den Augenblick spielt keine Rolle, in wessen Auftrag du handelst, ich möchte nur eines wissen: Was ist dieser Auftrag?"
Milva zögerte einen Augenblick, und so fuhr Silan fort: "Ich schwöre dir, meinetwegen bei meinem Leben, dass du mir in dieser Sache vertrauen kannst. Ich werde keiner sterblichen Seele verraten, was wir in diesem... reizenden Zimmer beredet haben."
"Ich...", begann Milva langsam. Sie blickte Silan in die Augen, und fällte ihre Entscheidung. "Ich soll herausfinden, ob eure Tante euch als Erben eingesetzt hat, und wenn nicht, soll ich das Testament stehlen und es so verändern, dass ihr als Erbe eingesetzt werde, und niemand sonst."
Silan stieß einen überraschten Pfiff aus. "Nun, ich bin geschmeichelt, dass deine Auftraggeber eine so hohe Meinung von mir haben. Nun denn... hast du bereits eine Möglichkeit gefunden, an das Testament zu kommen?"
Milva schüttelte den Kopf. "Nein", erwiderte sie etwas beschämt. "Ich weiß noch nicht mal, wo sie es aufbewahrt."
"Dabei kann ich dir behilflich sein. Meine Tante bewahrt es in einer verschlossenen Kassette auf ihrem Schreibtisch auf, in ihren Privatgemächern. Sie wird nächste Woche ein Fest zu Ehren des Königs geben, also wird sie nicht in ihren Gemächern sein - vielleicht solltest du die Gelegenheit nutzen." Er zwinkerte Milva zu, und ging zur Tür. Als er neben ihr stand, sagte er leise: "Ich werde dafür sorgen, dass keine Wachen vor der Tür stehen. Also dann... bis zu unserem nächsten Treffen." Er trat durch die Tür hinaus, und Milva blieb etwas überwältigt allein zurück.

Milva zum Anwesen der Bozhidars
« Letzte Änderung: 8. Jan 2019, 15:06 von Fine »

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