Edrahil, Bayyin, Valirë und Lothíriel aus dem Palast des FürstenDraußen auf den Straßen war das von Edrahil erwartete Chaos ausgebrochen, und an mehreren Orten stieg Rauch in den Himmel auf.
"Was geht hier vor sich?", fragte Lothíriel, die direkt hinter ihm auf die Straße hinausgetreten war. "Eure Befreiung war nur ein Teil unseres Plans", erklärte Edrahil, während Valirë als letzte den Palast verließ und die Tür hinter sich verschloss. "Was ihr hier vor euch seht, ist Hasaels Sturz."
"Zumindest hoffentlich", mischte sich eine Edrahil wohlbekannte Stimme in das Gespräch ein. Auf der anderen Seite der Straße stand Teijo, lässig an eine Hauswand gegenüber der Palastmauer gelehnt, mit einigen seiner Männer. "Was treibt ihr hier eigentlich, Edrahil? Sieht nicht danach aus, als würde das zu eurem Plan gehören, Hasael das Lebenslicht auszupusten."
Edrahil fixierte den Ostling aufmerksam, seufzte dann und sagte: "Ihr wusstet Bescheid, nicht wahr?" Teijo grinste breit, und ließ seine perfekten weißen Zähne sehen. "Ich wusste, dass Hasael die Prinzessin von Dol Amroth gefangen hielt, und konnte mir denken, dass ihr versuchen würdet sie zu befreien - was euch anscheinend gelungen ist. Meinen Glückwunsch." Er wandte sich Lothíriel zu, und deutete eine Verbeugung an. "Es ist mir eine Ehre, euch kennen zu lernen. Ich bin Teijo, ein ehrenhafter Händler und Geschäftsmann."
"Womit er sagen will, dass er Diebe, Mörder und Schläger an jeden vermietet, der ihn ausreichend bezahlt", knurrte Edrahil. "Was hat dieser Auftritt hier zu bedeuten?" Dass Teijo über Lothíriel Bescheid gewusst hatte, sich aber entschlossen hatte dieses Wissen nicht zu teilen, war beunruhigend. Edrahil fragte sich, ob der Ostling Verrat geplant hatte, vielleicht sogar für Suladân arbeitete.
Teijo warf seinen Dolch in die Luft, fing in locker wieder auf und erwiderte: "Nichts bedeutendes. Ich wollte lediglich einmal der wunderschönen Prinzessin von Dol Amroth begegnen, und euch mitteilen dass in der Stadt bislang alles nach Plan läuft."
Seine Worte waren beruhigend, dennoch gefiel Edrahil die Tatsache nicht, dass er so wichtige Informationen einfach verschwiegen hatte - vor allem, da ein Mann wie Teijo wissen musste, dass Edrahil dadurch auf gar keinen Fall mehr vertrauen würde.
"Hasaels Männer laufen wie die Hasen", fuhr Teijo fort. "Bis auf die, die eingesehen haben, dass ihr Fürst in dieser Stadt keine Zukunft mehr hat, und sich uns angeschlossen haben. Und da ich gerade sonst nichts zu tun hatte dachte ich, dass ich dafür sorge dass ihr sicher an euer Ziel kommt."
"Das ist... äußerst fürsorglich von euch", sagte Edrahil langsam, und Teijo breitete grinsend die Arme aus. "Was soll ich sagen, ich kann einfach nicht anders."
Bevor er jedoch weitersprechen konnte, stieß Valirë einen warnenden Ruf aus. Aus Richtung des Palasttores näherte sich eine Gruppe bewaffneter Männer, die einen engen Kreis bildeten. Sofort pfiff Teijo auf zwei Fingern, und weitere seiner Leute traten aus den Seitengassen hervor, auch hinter der sich nähernden Gruppe.
Von Teijos Leuten eingeschlossen blieben die Soldaten stehen, und Edrahil erkannte den Mann sofort, denn sie in die Mitte geschlossen hatten.
"Edrahil?", keuchte Hasael, Fürst von Umbar und Scheich der Quathan erschrocken auf, und Edrahil lächelte grimmig. "Hasael. Und meinen guten Freund Mustqîm habt ihr auch dabei, wie schön. Ich fürchte, eure Herrschaft über Umbar endet in diesem Moment."
Hasael wirkte gehetzt, sein Blick wanderte von rechts nach links, doch es gab keinen Fluchtweg für ihn.
"Hört mal, Edrahil... wir können uns doch bestimmt über alles einigen. Wie viel zahlt euch euer Fürst? Ich zahle mehr." Zur Antwort schnaubte Edrahil verächtlich.
"Ich arbeite nicht für Bezahlung." Hasael leckte sich nervös die Lippen, und wechselte einen Blick mit Mustqîm, der ihm, wie Edrahil auffiel, verdächtig ähnlich sah.
"Es wird mir eine Freude sein, euch persönlich an euren Neffen Qúsay - der mit euch sicherlich einiges zu bereden hat - auszuliefern", fuhr Edrahil genüsslich fort. Er wusste, dass es gefährlich war einen Triumph auszukosten bevor er gesichert war, doch in diesem Fall konnte er nicht anders. Wie sollte Hasael ihm jetzt noch entkommen?
"Fragt ihn nach Valion", sagte Valirë leise, was Edrahil wieder auf den Boden der Tatsachen zurückholte. Wenn Hasael hier war musste das bedeuten, dass Valion gescheitert war - obwohl Edrahil aus der Tatsache, dass Hasael eindeutig vor jemandem floh anstatt sich vor dem von Teijo angezettelten Aufstand in seinem Palast zu verschanzen schloss, dass Valion zumindest vermutlich noch am Leben war.
Er kam nicht dazu, Valirës Bitte auszuführen, denn im selben Moment sprang eine Gestalt in einem hellroten Kleid aus einem der Fenster des Palastes, und Edrahil erkannte trotz der Dunkelheit sofort die geheimnisvolle Ta-er, die er bereits in Farnakas Haus gesehen hatte. Im nächsten Augenblick wurde der Grund für ihren plötzlichen dramatischen Auftritt offenbar, denn aus dem zerbrochenen Fenster folgten ihr weitere schwarzgekleidete Gestalten, und Ta-er, die katzengleich auf der Straße gelandet war, hob ihre Schwerter.
Die allgemeine Verwirrung nutzten Hasaels Soldaten dazu, aus der Umkreisung durch ihre Feinde auszubrechen, und griffen geschlossen Teijo und seine Männer an, während Ta-ers Verfolger, die immer mehr wurden, sich auf beide Parteien gleichzeitig stürzten.
Valirë zog ihr Schwert Gilrist zum wiederholten Mal an diesem Abend und warf sich in den Kampf, während Edrahil Lothíriel packte und unsanft in einen Hauseingang zog. Bayyin tauchte hinter einem mit Wasser gefüllten Fass ab, wobei er seine Schriftrolle wie einen unbezahlbaren Schatz umklammerte.
Von seiner geschützten Position aus beobachtete Edrahil den Kampf und versuchte zu verstehen, was vor sich ging. Ta-ers Verfolger schienen beiden Seiten feindlich gegenüber zu stehen, denn sie griffen sowohl Hasaels Soldaten als auch Teijo und seine Männer an. Valirë hatte sich zu dem Ostling gesellt und kämpfte Rücken an Rücken mit diesem gegen die unbekannten Angreifer.
Der Kampf war nur kurz, denn Teijos Männer waren bei weitem in der Überzahl, doch als Edrahil aus seinem Versteck wieder hinaus auf die Straße trat, stellte er fest dass die Auswirkungen keineswegs gering gewesen waren: Hasael und Mustqîm fehlten, und unter den Leichen der fürstlichen Soldaten konnte er die festliche Kleidung der beiden nicht entdecken.
Er stieß einen kurzen Fluch aus, und sagte: "Wer immer das war, er wird dafür büßen." Er ließ seinen Blick über den Kampfplatz schweifen, der mit Leichen übersät war. Hasaels Leibwachen waren sämtlich gefallen, ebenso wie die unbekannten Angreifer und viele von Teijos Leuten. Auch Ta-er in ihrem roten Kleid lag regungslos am Boden, die Augen geschlossen und auf ihrem Kleid breitete sich ein dunkler Fleck aus. Teijo schien vollkommen unverletzt zu sein, während Valirë einen langen aber ungefährlich aussehenden Schnitt am linken Arm davongetragen hatte.
"Hasael?", fragte sie, während sie sich den verletzten Arm hielt, und Edrahil schüttelte düster den Kopf. "Nein. Wie es aussieht haben er und Mustqîm das Durcheinander genutzt um zu entkommen."
"Ich werde meine Leute benachrichtigen, nach ihm Ausschau zu halten", warf Teijo ein. "Aber ich fürchte es ist zu spät und er wird entkommen."
"Tut es trotzdem", erwiderte Edrahil müde. Zwar hatten sie Erfolg gehabt und Hasael als Fürsten von Umbar gestürzt, doch solange er lebte und in Freiheit war, stellte er eine Gefahr für sie dar. "Wir sollten hier verschwinden, wer weiß wer noch auftaucht und ein Wort in dieser Angelegenheit mitreden will."
"Was ist mit Ta-er?", fragte Valirë, die neben der Frau in die Hocke gegangen war und ihr zwei Finger an den Hals gelegt hatte. "Ihr Herz schlägt noch."
Edrahil zuckte mit den Schultern. "Lass sie liegen. Was kümmert sie uns, diese Katastrophe war schließlich ihre Schuld."
"Aber... sie hat Valion und mir in Farnakas Haus geholfen! Und sie hat auch jetzt auf unserer Seite gekämpft", protestierte Valirë, und Edrahil schloss kurz die Augen.
"Meinetwegen, nimm sie mit. Auf deine Verantwortung, Valirë." Er wandte sich um und blickte in die Runde. "Sonst noch jemand?"
"Ja, ich", ließ Teijo vernehmen, und zog einen der schwarzgekleideten Angreifer auf die Füße. "Der hier ist ebenfalls nicht tot, sondern nur bewusstlos. Und ich könnte mir vorstellen, dass er ein paar interessante Dinge zu erzählen hat."
Edrahil erkannte den Bewusstlosen sofort: Es war Azeem, einer von Salemes Assassinen, mit dem er selbst vor einiger Zeit zusammengearbeitet hatte. Er erinnerte sich an Salemes Drohungen an dem Tag, als Mustqîm entkommen war, und verspürte plötzliche eine kalte Wut auf seine ehemalige Verbündete. "Nehmt ihn ebenfalls mit", sagte er knapp. "Aber fesselt ihn vorher."
Sie erreichten den vereinbarten Treffpunkt nur wenig später, und mit Erleichterung stellte Edrahil fest, dass Valion, Minûlîth und Lóminîth bereits dort waren und auf sie warteten. "Lothíriel, wie schön dich zu sehen", begann Valion im Plauderton, doch als er die Gruppe genauer betrachtete, verschwand das Lächeln auf seinem Gesicht wie weggewischt. "Was ist denn mit euch passiert?"
"Wir hatten einen kleinen Zusammenstoß mit Hasaels Männern und einem Trupp Assassinen", erklärte Edrahil, hob aber die Hand als Valion den Mund öffnete, um etwas zu erwidern. "Aber das hat Zeit. Bis die Lage in der Stadt sich beruhigt hat, sollten wir uns einen sicheren Ort suchen."
"Mein Haus ist euer Haus", warf Minûlîth ein. Edrahil blickte ihr einen Moment nachdenklich in die Augen, und sie erwiderte den Blick standhaft. Dann nickte er, und sagte: "Also gut. Lasst uns hier verschwinden."
Edrahil, Valion und die ganze Gruppe in Minûlîths Anwesen