"Aufgestanden! Aufgestanden!", hallte es durch die Kerkerzellen. Merian wurde unsanft gepackt und durch den Gang gezehrt.
Er wusste nicht, wie viele Tage er schon in diesem Loch saß. Es fühlte sich an, wie eine Ewigkeit. Er hatte Hunger und Durst. Seine Gliedmaßen taten ihm durch das lange Herumsitzen weh und die schiere Unwissenheit was da draußen passiert, brachte ihn fast um.
Merian wurde durch lange, dunkle Tunnel geführt die schließlich in einem großen unterirdischen Raum endeten. Ein alter, südländisch aussehender Mann, gestützt auf einen roten Stab, erwatete Merian und bot ihm einen Stuhl am Kopfende eines mächtigen Holztisches an.
„Du fragst dich sicher, warum du hier bist“, begann er langsam nachdem er selbst Platz genommen hatte, „ich bin geschickt worden um zu ergründen, was hier vor sich geht, warum ihr nach Linhir kamt. Doch zu beginn möchte ich mich Entschuldigen, dass ich nicht eher Zeit gefunden habe. Ich habe einfach zu viel zu tun. Und dass du und deine Leute, du bist doch der Anführer?, in so schlechten Unterkünften beherbergt seid.“
„So nennt ihr das also?!“, unterbrach ihn Merian und wurde sofort wütend, „Es sind keine Unterkünfte, es sind steinerne, stinkende Kerker und wir sind auch keine Gäste hier, wir sind Gefangene, Kriegsgefangene wenn ihr es genau wissen wollt!“
„Du hast recht und ich bedaure das. Ich weis wie es ist in den Kerkern Gefangener zu sein, denn ich saß viele Jahre dort. Du musst wissen, dass ich nicht dein Feind. Ich habe Jahre lang als Späher unter euch gelebt und euch Schätzen gelernt, aber somit weis ich auch, dass ein solcher Angriff auf Linhir, wie du ihn zweifellos führtest, nie von einem gescheiten Kriegsherren Gondors durchgeführt wäre. Somit sag mir, was hattet ihr im Sinn, wieso greift ihr mit solch geringer Zahl eine Stadt wie diese an, ihr müsstet doch gewusst haben, dass ihr verliert?“
„Wer sagst euch, dass ich der Anführer bin?“, fragte Merian überrascht nach. Er wusste, er dürfe nichts über die Krieger von Dol Amroth sagen, die hoffentlich schon bald die Stadt erreichen würden. Merian fragte sich, wie er einen solchen, erfahrenden Menschen täuschen könnte? Was sollte er erzählen und was verschweigen.
Ihm viel wieder ein, was er auf einer seiner vielen Reisen nach Pelagir aufgeschnappt hatte: Ein Mann riet ihm um gut zu lügen, möglichst nahe an der Wahrheit zu bleiben und nur die wichtigsten Informationen zu ändern, wodurch die Gefahr sinkt, sich in seiner eigenen Geschichte zu widersprechen oder Ungereimtheiten zu produzieren. Merian sprach weiter: „Aber ihr habt natürlich recht. Ich habe die Männer meines Dorfes nach Linhir geführt.“
„Und warum?“, kam es von dem alten Haradrim zurück, der sich wieder erhob und abschätzend Merian direkt in die Augen blickte. „Wir sind hergekommen“, begann Merian mit fester Stimme und entgegnetem Blick, „um unsere Frauen zu retten. Wo sind sie? Was ist mit ihnen geschehen, nachdem ihr uns in die Kerker brachtet? Der Plan war es so viele wie möglich zu retten, ohne einen Kampf aus zu lösen.“
Nach einer kurzen Stille sprach der Haradrim wieder, doch Merian merkte, dass er sich seiner Worte nicht sicher war: „Du lügst. Niemand ist so waghalsig.“
„Wisst ihr, wie es ist seine Familie zu verlieren? Zu wissen, dass die eigene Frau höllische Schmerzen erlitt, bevor sie für immer von euch geht?“
Lang noch sprachen die Beiden miteinander, ohne dass Merian etwas von dem geplanten Angriff auf Linhir verriet. Vielmehr diskutierten sie über den jahrelangen Krieg, der anscheinend auch dem Haradrim missfiel. Er verkündete, dass er selbst nie das Schwert benutzt habe, wenn es sich vermeiden ließ.
Ohne wirklich weiter gekommen zu sein, verabschiedete der Haradrim Merian und ließ ihn wieder in seine Zelle geleiten.
Die anderen erwarteten ihn schon und löcherten Merian mit Fragen wo er gewesen war und was passiert ist, doch er hatte nicht wirklich Lust viel zu erzählen. Vielmehr plagte ihn ein anderer schrecklicher Gedanke. Merian warf seinen Blick immer wieder auf die Steinwand mit den Runen. Er war noch nicht besonders schnell im Lesen, aber wenigstens verstand er den Inhalt einigermaßen.
Könnte es sein, dass der alte Haradrim der Mann ist, der in dieser Zelle gefangen war und die Runen hinterließ? Der Mann, der ohne scheu von seinen grausamen Taten erzählt, der Frauen und Kinder während seiner Zeit als Späher in Gondor tötete, bevor er im Kampf verletzt und gefangen genommen wurde? War es wirklich möglich, dass der Haradrim, mit dem er grade so lange in einem Raum gesessen hatte und der sich so freundlich zeigte, ein solches Monster war?Am frühen Abend wurde Merian erneut zu dem geheimnisvollen Mann geführt. Allerdings wurde ihm jetzt kein Platz angeboten, stattdessen wurde er auf einem Stuhl gefesselt.
„Ich habe über deine Worte nachgedacht.“, sprach der Alte und stand dabei gestützt auf seinem Stab, mit krummen Rücken vor Merian, „Ich glaube dir nicht. Ich will wissen warum ihr hergekommen seid! Und dieses Mal werde ich nicht so freundlich sein. Ich kann auch andere Seiten aufziehen.“
Merian wurde klar, dass er in großer Gefahr schwebte und nicht nur er, sollte sein Widerstand brechen und er alles über das Vorhaben der letzten Krieger des Westens erzählen.
„Ich weis das ihr auch anders könnt.“, Merian brachte Zeit. Denn mit der Zeit öffnen sich neue Wege und das Heer Dol Amroths kam näher, „Ich weis alles über euch. Habt ihr die Runen im Kerker vergessen? Ihr habt wohl nicht damit gerechnet lebend aus diesem Loch zu kommen, habe ich nicht recht? Ich kenne euer ganzes Leben, ihr habt Unschuldige – Frauen und Kinder getötet. Dafür werdet ihr bezahlen müssen! Ich habe mir einmal gesagt, dass ich kein menschliches Leben auslöschen kann, doch das hat sich geändert. Für euch werde ich eine Ausnahme machen!“
Der Haradrim antwortete lachend: „Du willst mich töten? Wie das? Und sieh mich mal an, jede kleinste Bewegung schmerzt – mein Bein – du würdest mich eher von Qualen erlösen.“
„Ich würde vielen einen Gefallen tun!“, ergänzte Merian mit Zornesröte in den Augen, aber leicht stotternder Stimme.
„Stimmt wohl. Aber jetzt verrate mir endlich den Grund eures Auftauchens in Linhir!“, rief der Mann zornig, setzte den als Stütze dienenden roten Stab an Merians Kehle und drückte nach kurzem warten auf eine Antwort von Merian.
Merian schnappte nach Luft, versuchte durch Kopfdrehungen den Stab abrutschen zu lassen und rüttelte am Stuhl um die Fesseln zu lockern, die seine Hände und ihn festhielten.
„Sagst du mir, was ich wissen will?“, fragte der Alte jetzt wieder ganz ruhig, während sich die vorderen beiden Stuhlbeine schon vom Boden erhuben und Merian Qualen litt, die er durch so eine kleine Tat nicht erwartet hätte.
Merian fiel mit dem Stuhl hintenüber. Zwei nahe beistehende Männer packten und schliffen ihn zu einem steinernen Wasserbecken.
„Sprich!“
„Sprich du, sag mir warum du Frauen und Kinder tötest!“
Merian bekam den Stab mit Wucht von hinten ins rechte und linke Knie. Er sackte zusammen und bekam daraufhin den Stab in den Nacken. Sein Gesicht tauchte ins eiskalte Wasser der Gebirgsbäche der Ered Nimrais. Er könnte nichts tun, seine Schultern wurden von den beiden Haradrim gehalten und der Stab hielt seinen Kopf unter Wasser.
Sie haben das schon oft gemacht. Hier wurden unzählige Gefangene gefoltert um Informationen zu erlangen.
Was soll ich tun?Sein Mund war nun komplett mit Wasser gefühlt.
Ich werde Niemanden verraten!Der Druck auf seinen Nacken nahm ab und Merians Kopf wurde an den Haaren aus dem Wasser gezogen.
„Sprich!“
Merian konnte nicht sprechen. Er schnappte nach Luft und sah nur verschwommen wie Wasser aus seinen Haaren auf seine Kleidung tropfte.
Wieder wurde sein Kopf eingetaucht, wieder herausgezogen und die Frage gestellt. Immer, immer wieder.
„Nun gut, du hast es so gewollt!“, rief der Haradrim und man hörte die Vorfreude. Er zog ein Messer und schritt auf Merian zu, der wieder auf den Stuhl gesetzt wurde.
„Sag es.“
Der Haradrim rammte Merian die Klinge in den Oberschenkel. Es war nicht zu übersehen, dass es ihm große Freude bereitete.
Merian schrie, schrie dem Haradrim ins Gesicht: „Wir sind hergekommen um unsere Frauen zu retten!“
„Gut, du kannst gehen. Ich bin fertig. Du bist uns nicht mehr nützlich.“, sprach der Alte jetzt wieder sachlich. Danach gab er seinen Untergebenen den Befehl die Wunde zu reinigen und zu verbinden und Merian und die anderen Gefangenen seiner Gruppe am nächsten Markttag den Händlern anzubieten.
Merian war einfach nur Froh diesem Mann entkommen zu sein.
Merian und seine Begleiter zum Marktplatz von Linhir