Merian aus der Nähe von LinhirHilgorn hatte sich gerade in seinem eigenen Zelt hingesetzt, um sich ein wenig auszuruhen, als die Plane zurückgeschlagen wurde und der Soldat, der ihm bereits die Nachricht von den Spuren überbracht hatte, hineinblickte.
"General? Bitte verzeiht die Störung, aber unsere Späher haben nördlich des Lagers einen Mann gefangen genommen.", sagte er.
Hilgorn erhob sich seufzend, das Ende seiner Pause bedauernd. "Wie kommt es nur, dass immer ihr es seid, der mir Nachrichten überbringt? Wie heißt ihr eigentlich?"
"Turin, Waffenmeister aus Pelargir, General.", kam die Antwort.
"Nun gut, Turin, dann lasst den Gefangenen herbringen. Und dann geht zu Prinz Elphir, und lasst auch ihn herbitten."
Turin salutierte, und ging davon.
Nur wenig später betraten zwei Soldaten mit einem gefesselten Mann, der einen Sack über dem Kopf hatte, zwischen sich das Zelt.
"Wo habt ihr ihn gefunden?", fragte Hilgorn.
"Er schlich nördlich des Lagers herum... wobei man es eigentlich nicht schleichen nennen kann. Er kam aus östlicher Richtung, und bewegte sich geradewegs auf unser Lager zu. Wir wollten das Risiko einer Entdeckung nicht eingehen, also nahmen wir ihn gefangen.", antwortete einer der Männer.
"Sehr gut, Männer. Jetzt nehmt ihm diesen Sack vom Kopf, damit ich ihn mir ansehen kann."
Einer der Soldaten nestelte einen Augenblick hinter dem Rücken des Gefangenen herum, und zog ihm dann den Sack über den Kopf.
Hilgorn stand einem Mann gegenüber, der ebenso groß war wie er, und mit seinen blauen Augen und braunen Haaren zwar nicht aus Dol Amroth, aber eindeutig aus Gondor stammt.
"Wie heißt ihr?", fragte er.
"Merian aus Cirit Dûm.", antwortete der Gefangene. "Ich bin auf dem Weg nach Dol Amroth."
Bevor Hilgorn allerdings eine weitere Frage stellen konnte, betrat Turin wieder das Zelt und Elphir hinter ihm. "General? Prinz Elphir ist hier.", sagte er überflüssiger Weise.
"Danke Turin, ihr könnt gehen.", meinte Hilgorn. Bei der Erwähnung von Turins Namen machte Merian ein überraschtes Gesicht, und wandte sich um. Als Turin sein Gesicht war, zeigte sich auf seinem Gesicht eine ähnliche freudige Überraschung.
"Merian?", fragte er, "was tust du denn hier?" Dann machte er einen Schritt vorwärts, und umarmte den Gefangenen.
Hilgorn und Elphir wechselten einen verwunderten Blick, dann fragte Elphir: "Ihr kennt euch?" Turin stellte sich nun neben Merian, und wandte sich Hilgorn und Elphir zu.
"Ja, mein Prinz. Dies ist Merian aus Lamedon. Er ist ein guter Freund, mit dem gemeinsam ich in Minas Tirith und Dol Amroth gekämpft habe.", antwortete er.
Hilgorn warf Elphir einen fragenden Blick zu, und als dieser unmerklich nickte, sagte er: "Ihr könnt bleiben, Turin. Aber ich wüsste gerne, was ihr, Merian, in dieser Gegend tut, und vor allem, warum ihr so zielstrebig auf unser Lager zu gelaufen seid."
Und Merian erzählte, wie er von dem bevorstehenden Angriff auf Linhir erfahren hatte, ein Punkt, an dem Turin sich unbehaglich wand, von seinem Entschluss, sich mit einigen Leuten seines Dorfes dem Heer anzuschließen, dem Treffen mit Angbor, und dem Lagerplatz vor der Stadt.
An diesem Punkt unterbrach Hilgorn seine Geschichte, und fragte: "Dann wart ihr es, die hier vor einiger Zeit gelagert haben? Wir haben Spuren gefunden, aber konnten uns keinen Reim darauf machen. Aber bitte, erzählt weiter."
Also setzte Merian seinen Bericht fort, erzählte von ihrem Versuch, die gefangenen Frauen aus der Stadt zu befreien, von ihrer eigenen Gefangennahme und wie ein Südländer namens Qúsay ihn zuerst freigekauft und dann hatte laufen lassen, um Imrahil einen Brief zu überbringen.
Als er geendet hatte, meinte Elphir: "Das ist merkwürdig. Warum sollte ein Heerführer der Haradrim einen Sklaven mit einem Brief für den Fürsten von Dol Amroth entkommen lassen? Wo ist dieser Brief? Ich möchte ihn sehen."
Doch Merian schüttelte den Kopf und erwiderte: "Der Brief ist nur für Fürst Imrahils Augen bestimmt, und für niemand anderen. Wenn ihr den Brief haben wollt, dann bringt mich zum Fürsten."
"Das dürfte schwierig werden, denn der Fürst ist nicht hier, sondern in Dol Amroth.", sagte Hilgorn. Das Verhalten Merians verwunderte ihn. Er hätte angenommen, dass der Mann froh wäre, den Brief loszuwerden.
"Nicht hier?", fragte Merian verwundert, "Aber Qúsay sagte doch..." Hilgorn und Elphir wechselten einen alarmierten Blick.
"Wollt ihr damit sagen, er weiß von uns? Verdammt, damit habe ich nicht gerechnet.", meinte Hilgorn.
"Wir können es jetzt nicht ändern.", sagte Elphir. "Aber ihr könnt mir den Brief geben, denn ich bin Imrahils ältester Sohn und sein Stellvertreter in diesem Heerlager. Was immer in dem Brief steht, es wird zu wichtig sein, als dass wir uns die Verzögerung, ihn erst nach Dol Amroth bringen zu lassen, leisten könnten."
Merian blickte zweifelnd und sah Turin an, doch dieser nickte ihm zu und sagte: "Er sagt die Wahrheit."
"Dann müsst ihr meine Fesseln lösen, denn so komme ich nicht an den Brief.", verlangte Merian. Elphir sah inzwischen einigermaßen verärgert aus, doch er nickte einem der Wächter zu, der daraufhin Merians Fesseln zerschnitt.
Hilgorn konnte dagegen nicht umhin, Merians Mut zu bewundern.
Als seine Hände frei waren, griff Merian in seine Tasche, holte ein kleines, sorgfältig versiegeltes Stück Papier hinaus und reichte es Elphir.
Dieser brach das Siegel und studierte den Brief aufmerksam. Währenddessen verwandelte sich der Ärger auf seinem Gesicht zu freudiger Verwunderung, aber auch Misstrauen. Als er fertig war, fragte Hilgorn: "Was schreibt er?" Elphir schüttelte nur den Kopf, und reichte ihm den Brief. "Lest selbst."
An seine Durchlaucht Fürst Imrahil von Dol Amroth,
Ich habe erfahren dass ihr im Begriff seit die Stellung der Südmenschen in Linhir anzugreifen. Dies bezüglich habe ich ein Angebot für euch, dass euren Feind schwächen und euch einen Vorteil verschaffen könnte. Ich habe 3500 Krieger unter meinem Kommando die bereit sind gegen Mordor zu ziehen. Ich werde in 5 Tagen mit einem Gefährten von Linhir aus den Gilraen nach Norden entlang zur Beizjagd ausreiten. Ich erwarte sie dort um über die Bedingungen meines Loyalitätswechsels zu verhandeln.
Hochachtungsvoll,
Qúsay bin Nazir bin Qasim al-Quahtan Qasatamid
PS: Dem Sklaven, der die Nachricht überbracht hat, soll zudem die Freiheit geschenkt werden.Nachdem er fertig gelesen hatte, schüttelte auch Hilgorn ungläubig den Kopf, und sagte: "Das scheint ja zu gut, um wahr zu sein."
"Ja.", sagte Elphir, "Aber habt ihr die Formulierung am Ende bemerkt? 'die Bedingungen meines Loyalitätswechsels'? Das klingt nicht so, als würden wir seine Hilfe umsonst bekommen."
"Nein, so klingt es wirklich nicht, aber wir sollte es dennoch versuchen. Oder denkt ihr, es ist eine Falle?"
"Womöglich... aber auch ich bin der Meinung, dass wir dieses Risiko eingehen sollten."
Hilgorn wandte sich wieder an Merian, der den Austausch gespannt verfolgt hatte. "Wie es scheint habt ihr Glück, Merian. Euch ist so eben die Freiheit geschenkt worden.", sagte er ironisch.
Merian blickte verständnislos, also fuhr Hilgorn fort: "Euer sogenannter 'Herr' Qúsay hat euch mit diesem Brief die Freiheit geschenkt, obwohl es natürlich vollkommen unnötig von ihm war, das extra zu erwähnen. Schließlich werden wir keinen Mann Gondors als Sklaven halten.
Wie dem auch sein, ich danke euch für diese Nachricht. Turin, sorgt dafür, dass er versorgt wird, und einen Platz zum Schlafen bekommt.
Merian, bis diese Angelegenheit vorüber ist, werdet ihr das Lager nicht verlassen."
Gemeinsam verließen Merian und Turin das Zelt.