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Autor Thema: Der Fürstenpalast  (Gelesen 8878 mal)

Eandril

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Der Fürstenpalast
« am: 27. Jan 2014, 01:58 »
Edrahil von den Straßen von Umbar...

Am Tor des Palastes traf Edrahil auf Aquan, der ihm zunickte und dann sagte: "Folgt mir bitte. Der Sultan erwartet euch bereits seit Tagen ungeduldig. Er brennt darauf, von euch zu hören, was ihr so alles erreicht habt." Bei diesen Worten erschien es Edrahil merkwürdigerweise, als würde der Hauptmann kurz höhnisch grinsen - aber welchen Grund hätte er dazu? Wahrscheinlich war er bloß paranoid, obwohl ein wenig Verfolgungswahn das Leben verlängerte.
Dennoch folgte Edrahil Aquan wortlos, als dieser sich umwandte und durch das Tor den Innenhof des Palastes betrat. Als Edrahil nervös über die Schulter blickte, sah er, wie das Tor hinter ihnen lautlos geschlossen wurde.
Aquan musste einen Blick bemerkt haben, denn er sagte: "Wir wollen doch nicht, dass irgendjemand aus dem Pöbel auf die Idee kommt, ungefragt hier herein zu kommen, nicht wahr?" Edrahil nickte langsam, und erwiderte: "Da habt ihr wohl recht. Der Sultan sollte schließlich nicht gestört werden." Dabei ließ er langsam den Blick über den Innenhof schweifen, dessen Pracht überwältigend war. In der Mitte des Hofes erhob sich ein großer, kunstvoll gestalteter Springbrunnen, und der Weg zum Eingang in den eigentlichen Palast war von überlebensgroßen Statuen der alten Fürsten von Umbar gesäumt.

Edrahil erkannte die Namen, die auf den Sockeln eingraviert waren: Castamir, Angamaite, Sangahyando - diese Namen kannte er, es waren der Thronräuber und seine Urenkel. Hyarmenehte, er war von König Telumehtar bei der Eroberung Umbars erschlagen worden. Nostoher, dessen Tochter mit Hasael verheiratet war, und schließlich Hasael selbst. Eine Galerie der Feinde Gondors aus dem Süden, und Edrahil musste sich zurückhalten, seinen Hass nicht zu zeigen. Dies waren die Herrscher jener Bestien, die für den Tod seines Vaters und seiner Frau und unzähliger anderer unschuldiger Menschen verantwortlich waren, und die seinen Sohn in die Sklaverei entführt hatten.
Plötzlich stellte er fest, dass Aquan keineswegs stehengeblieben war, um den Innenhof zu bewundern, und eilte ihm so schnell hinterher, wie sein Bein es zuließ.
Als sie die Tür zu Hasaels Thronsaal erreicht hatten, hatte Edrahil den Hauptmann leicht keuchend und stärker hinkend als zuvor eingeholt..

Das hat er mit Absicht getan! Er will mich demütigen.

Aquan drehte sich zu ihm um, und fragte dann: "Seid ihr bereit?" Edrahil nickte. "Natürlich." "Nun gut, ist ja eure Sache..." Und mit diesen rätselhaften Worten wandte Aquan sich wieder ab und bedeutete den Wachen zu beiden Seiten der hohen Türen, ihnen zu öffnen. Die großen Türflügel schwangen unheilvoll knarrend auf.
"Geht doch voran.", meinte Aquan, und deutete dabei eine leichte Verbeugung an, und dabei wurde Edrahil erst recht unangenehm. Irgendetwas war doch faul an der Sache, um das zu spüren musste man nicht so bewandert in Intrigen sein wie er... oder war er wieder nur paranoid? Als er einen Augenblick zögerte, den Thronsaal zu betreten, blickte Aquan ihn fest an, und in seinem Blick lag ein Hauch von Stahl und von eiskalter Berechnung.
Da entschloss Edrahil sich, die Angelegenheit lieber hinter sich zu bringen, denn egal was passieren mochte, nichts konnte es jetzt noch aufhalten. Also betrat er den Thronsaal, und schritt auf Hasael, der auf dem alten Thron Umbars saß zu. An den Seiten ragten gewaltige Säulen auf, die das Dach des Saales trugen, und an diesen waren Banner zu sehen, Banner aus alten, längst vergangenen Zeiten des Glanzes, Banner der Númenorer, Banner der ersten Korsaren, Banner der Gefolgsleute Castamirs... je weiter er sich dem Thron näherte, desto neuer wurden sie. An den Wänden des Saales zogen sich Bänke hin, die sonst wahrscheinlich sonst mit Höflingen und Gesandten besetzt waren, doch heute waren sie leer. Bei dieser Beobachtung begann Edrahils Nacken zu kribbeln, und das war kein gutes Zeichen.

Schließlich hatte er den Thron erreicht, und wollte sich auf ein Knie niedersinken lassen, als Hasael sprach: "Ich braucht nicht zu knien. Ich denke, wir beide können uns diese Posse ersparen, nicht war, Edrahil von Dol Amroth?" Als er seinen Namen hörte, glaubte Edrahil, der Boden sei ihm unter den Füßen weggebrochen. Wie konnte das möglich sein? Er hatte mit allem möglichen gerechnet, aber nicht damit... Niemals hätte er gedacht, dass seine Tarnung scheitern könnte, selbst nicht in dieser riskanten Situation.
Als er schwieg, fuhr Hasael fort: "Nichts? Kein einziges Wort von euch, Edrahil, Meister der Intrigen? Nun, ein Meister seid ihr wohl doch nicht, oder?" Trotz des Spotts sah Edrahil dem Sultan an, dass hinter seiner Maske der Zorn brodelte, und ihm wurde klar, dass ihn wohl nichts und niemand mehr würde retten können.
"Wie habt ihr es herausgefunden?", fragte er.
Hasael beugte sich leicht vor und antwortete: "Nun, es wird wohl nichts schaden, es euch zu erzählen - euch das ganze Ausmaß eurer Unfähigkeit vor Augen zu führen, bevor ihr verrottet...
Nun gut, ihr habt euch für sehr schlau gehalten. Ihr seid aus Dol Amroth nach Umbar gekommen, und habt euch dieser lästigen Saleme angeschlossen. Dann habt ihr geplant, mich und meine Söhne töten zu lassen. Aber irgendwann scheint euch aufgegangen zu sein, dass es möglicherweise nicht besonders günstig für Dol Amroth wäre, wenn ich tot bin, und Saleme die Macht übernimmt. Verständlich, denn wer weiß schon, was im Kopf dieser Schlange vor sich geht? Also habt ihr euch entschlossen, sie zu verraten und einige ihrer Assassinen zu erledigen. Soweit so gut, damit konnte ich leben, doch ihr habt mir nicht erzählt, dass ihr zwei meiner Söhne verbrennen wolltet, und einen meiner Generäle wolltet ihr auch noch erledigen!
Aber ich wusste es, und wisst ihr auch, warum? Ihr habt euer Vertrauen in den Falschen gesetzt. Ihr habt Hasil den Assassinen als Verräter ausgegeben, und dachtet, ich würde ihn für euch erledigen, nicht wahr? Nur leider, war Hasil tatsächlich ein Verräter - er hat die ganze Zeit über für mich gearbeitet."
Hasael lehnte sich wieder zurück, und ließ Edrahil Zeit, das Gehörte zu verarbeiten, und das war auch nötig. Noch nie zuvor in seinem Leben war ihm sein solcher Fehler unterlaufen, und noch nie zuvor hatte er sich in eine derart aussichtslose Situation gebracht. Hasael wollte ihn tot sehen, und von Saleme war wohl keine Rettung zu erwarten.

Vergebt mir Imrahil, ich habe versagt.

Als er sich wieder gefangen hatte, sagte Edrahil: "Und was habt ihr nun mit mir vor? Wollt ihr mich öffentlich hinrichten lassen, zu Belustigung des Volkes?"
"Oh nein.", erwiderte der Fürst. "Ihr habt geplant, mich und meine Söhne zu töten, und ihr seid ein Verräter. Eine einfache Hinrichtung ist viel zu gut für euch. Aquan, werft ihn in den Kerker, und lasst ihn dort verrotten. Achja, und sucht eine besonders... schöne Zelle aus."
« Letzte Änderung: 18. Nov 2016, 17:55 von Eandril »

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Eandril

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Das Loch
« Antwort #1 am: 12. Feb 2014, 09:35 »
Als Aquan ihn unsanft aus dem Thronsaal zerrte, schwanden Edrahils letzte Hoffnungen, die Sache schnell hinter sich zu bringen. Damit, den Palast lebend zu verlassen hatte er schon nicht mehr gerechnet, seit Hasael seinen Namen gesagt hatte. Eine saubere, schnelle Hinrichtung war seine letzte Hoffnung gewesen, aber wie es aussah, würde ihm auch ein schneller Tod nicht vergönnt sein.
Flankiert von drei Wachen - eine hinter und zwei jeweils links und rechts von ihm - und geführt von Aquan hinkte Edrahil immer tiefer in die Gewölbe des Fürstenpalastes. Schließlich, nachdem sie mehrere Treppen hinuntergestiegen waren, erreichten sie einen schmalen, niedrigen Gang. An seinen Seiten konnte Edrahil mehrere mit Eisen beschlagene Holztüren mit einem winzigen vergitterten Fenster erkennen, die sehr nah beieinander lagen. Scheinbar waren die Zellen, die sich dahinter befanden, nicht besonders groß.

Aquan führte ihn mehrere Schritte in den Gang hinein und ignorierte die ersten Türen. Schließlich blieb er stehen und löste einen gewaltigen Schlüsselbund von seinem Gürtel. Mit einem der Schlüssel öffnete er die Tür, vor der sie standen, und was sich dahinter befand, überstieg Edrahils schlimmste Befürchtungen. Die Zelle war wirklich klein, so klein, dass höchstens zwei Mann eng aneinander darin liegen konnten, und die Decke war so niedrig, dass er höchstens gebückt stehen können würde. Zur hinteren Wand hin, die höchstens acht Fuß von der Tür entfernt war, fiel die Decke auch noch ab, sodass am Ende der Zellen wahrscheinlich auch aufrechtes Sitzen unmöglich war.
Der Boden war aus nacktem, kalten Stein, ohne eine Schicht Stroh, wie es in den Kerkern von Dol Amroth üblich war. Licht spendeten höchstens die Fackeln, die außerhalb der Zellen an der Wand des Ganges hingen, doch wenn diese einmal erloschen, würde es vollkommen finster sein.
Immerhin habe ich einen Eimer, dachte Edrahil, als sein Blick auf selbigen fiel, der in einer Ecke an der Wand stand.

Nachdem er die Tür geöffnet hatte, verneigte Aquan sich spöttisch und sagte: "Willkommen im Loch, Fürst Edrahil. Ich hoffe, es ist alles nach eurer Zufriedenheit?" Edrahil würdigte diese Provokation keiner Antwort, was Aquan wütend zu machen schien. Er stieß Edrahil unsanft hin die Zelle, knallte die lautstark die Tür hinter ihm zu, und drehte den Schlüssel im Schloss herum. Noch einmal sah Edrahil ihn durch die winzige vergitterte Öffnung in der Tür blicken, und hörte ihn sagen: "Viel Vergnügen in euren ganz persönlichen Gemächer, euer Erhabenheit." Dann waren die Augen fort, und für einen Augenblick hörte Edrahil noch die Schritte der sich entfernenden Wachen. Als ihn Stille umfing, ließ er sich an der Seitenwand seiner Zelle zu Boden sinken und schloss die Augen.

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Eandril

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Willkommen in der Dunkelheit
« Antwort #2 am: 4. Apr 2015, 14:07 »
Die Dunkelheit des Lochs umfing Edrahil. Das einzige bisschen Licht, das in die Zelle fiel, stammte von einer Fackel draußen auf dem Gang, und es reichte nicht aus, um den Raum wirklich zu erhellen. Selbst mit geschlossenen Augen war es nicht viel dunkler.

Die Tage vergingen. Zumindest glaubte Edrahil, dass sie vergingen, denn in der endlosen Dunkelheit war ihm schnell das Zeitgefühl abhanden gekommen. Seine einzige Möglichkeit, einen Tag vom nächsten zu unterscheiden war der Kerkermeister, der ihm ab und zu Essen brachte - meistens altes, teilweise schon schimmliges Fladenbrot. Anfangs hatte er sich noch geweigert, das Brot zu essen, teilweise aus Ekel, teilweise aus Sturheit, aber schließlich hatte ihn der Hunger doch überwältigt.
Die einzige Beschäftigung, die er in seine Kerker hatte, war denken. Und das tat er, viel zu viel, denn seine Gedanken waren nicht angenehm. Er stellte sich vor, wie Dol Amroth schließlich von den Korsaren überrannt wurde.
Die Stadt brannte. Überall waren Männer mit schwarzen Augen in der Kleidung der Korsaren, die alles niedermetzelten, was ihnen in den Weg kam. Auf dem Platz der tausend Schwanenfedern wurden Frauen zusammengetrieben, und in den Straßen wurde bereits vergewaltigt. Edrahil wandte sich zum Palast des Fürsten.
Über dem Tor hingen mehrere Köpfe, Edrahil kannte sie alle: Imrahil, seine Söhne Erchirion und Elphir, Hilgorn, der Hauptmann der Wache, Amros von Edhellond... Nur Amrothos und Lóthiriel fehlten. Aber zumindest wo Lóthiriel war, konnte er sich vorstellen.
Er trat durch den Torbogen, aber war plötzlich nicht mehr im Palast von Dol Amroth, sondern in einer kleinen Fischerhütte, die ihm trotz der langen Zeit, die vergangen war, immer noch völlig vertraut war. Vor der Feuerstelle lag ein Körper, blutig zerschunden. Seine...

NEIN!


Edrahil riss die Augen auf, und zwang sich gerade zu aus seinen Träumen. Die Dunkelheit der Zelle umfing ihn diesmal geradezu freundlich. Hier unten gab es nichts, wovor er sich fürchten musste... außer ihm selbst.
"Ah, ihr seid wach.", hörter er plötzlich eine Stimme neben sich. Weiblich.
"Wer...", brachte Edrahil heraus, seine eigene Stimme fremd und rau von der Zeit, die er sie nicht gebraucht hatte.
Ein Licht flammte auf, und er sah wieder die Maske vor sich, die Saleme am Tag seiner Ankunft in Umbar bei ihrem Gespräch getragen hatte. Sie trug eine kleine Laterne, die gerade so ihr Gesicht - oder eher, ihre Maske - beleuchtete.
"Saleme."
"Höchstpersönlich."
Edrahil setzte sich leise ächzend auf, den Rücken an die kalte Steinwand gelehnt.
"Wie seid ihr hier hereingekommen?"
Sein Gegenüber lachte leise. "Nun sagen wir... ich habe Freunde an allen möglichen Orten. Aber Edrahil, die für euch wichtige Frage sollte nicht Wie, sondern Warum sein."
Edrahil schüttelte den Kopf. "Nein, die Antwort auf diese Frage weiß ich schon."
"So?"
"Ich wollt mich töten. Aus Rache für eure Leute, die ich verraten und getötet habe."
Wieder lachte Saleme, leise und unangenehm. "Glaubt ihr wirklich, ich würde euch jetzt töten? Was hätte ich denn davon? Nein, ich wollte euch nur... einen Besuch abstatten, um unseres Bündnisses Willen."
Es fiel Edrahil schwer, Salemes Worten glauben zu schenken.
"Oh, damit ihr nichts falsches denkt: Ich bin wirklich wütend auf euch für das, was ihr getan habt, und würde die Welt tatsächlich am liebsten hier und jetzt von euch befreien. Aber ich kann es mir nicht leisten, mich von Gefühlen ablenken zu lassen."
"Na gut. Warum seid ihr wirklich hier?", krächzte Edrahil.
"Es hat sich etwas ereignet, das für große Veränderungen sorgen wird. Und ich werde euch brauchen, um dafür zu sorgen, dass diese Veränderungen zu meinen Gunsten ausfallen."
"Was hat sich ereignet?"
"Das werdet ihr schon früh genug merken. Und jetzt schlaft." Die Assassinin öffnete ihre linke Hand, und blies Edrahil ein feines Pulver ins Gesicht. Sofort spürte er, wie seine Lider schwer und seine Gedanken langsam wurden.
"Wartet, ich..." Dann fielen seine Augen zu, und ihn umfing erneut der Schlaf - diesmal zum Glück vollkommen traumlos.

Edrahil erwachte von einem Tritt gegen sein linkes Bein. Flackerndes Fackellicht erfüllte die Zelle, und enthüllte den Kerkermeister, der über ihm stand.
"Aufstehen, Verräter."
Edrahil kämpfte sich langsam aus seiner liegenden Position in eine sitzende hoch.
"Verdammt, wirds bald?" Mit der freien Hand packte der Kerkermeister ihn unsanft am Arm und zog ihn grob auf die Füße.
"Der Fürst will dich sehen, Verräter."

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Ein Spiel
« Antwort #3 am: 9. Apr 2015, 19:16 »
Edrahil fühlte sich stark an seinen ersten Besuch im Thronsaal von Umbar zurückerinnert. Wieder war der Saal völlig leer, bis auf die Gestalt Hasaels, die auf dem Thron zu erkennen war. Und wieder humpelte er hinter einem Führer her, diesmal nicht Aquan, sondern der namenlose Kerkermeister, und wieder ging dieser Führer ein Stück zu schnell für ihn.
Als er vor dem Thron stand, keuchte Edrahil noch mehr als gewöhnlich, denn die Zeit im Kerker hatte ihm zu schaffen gemacht. So blieb er auch einen Moment länger auf den Knien liegen als ihm Recht war, nachdem der Kerkermeister ihn unsanft auf selbige hinab gezwungen hatte.
Hasael trommelte ungeduldig mit den Fingerspitzen auf seine Armlehne, dann gab er dem Kerkermeister ein Zeichen und dieser zog Edrahil ebenso unsanft auf die Füße wie er ihn zuvor auf die Knie gestoßen hatte.  Als Edrahil dem Fürsten ins Gesicht sah, fiel ihm auf, dass dieser ungewöhnlich blass war und die Stirn von Sorgenfalten durchzogen war, die bei ihren ersten Begegnungen noch nicht so ausgeprägt gewesen waren.
"Ihr habt schon besser ausgesehen, Edrahil.", ergriff der Fürst das Wort.
"Ihr aber auch." Jetzt war nicht die Zeit für höfliche Spielchen. Edrahil war bewusst, dass ihm keine noch so schlimme Unverschämtheit in seiner Situation noch schaden konnte, und das gedachte er auszunutzen.
Hasael seufzte und erwiderte: "Ihr seid zwar unverschämt, aber ihr habt recht." Er richtete sich auf seinem Thron auf.
"Ich habe ein Problem, Edrahil. Mein verräterischer Neffe, von dem euch diese Schlange Saleme bestimmt schon erzählt hat, hat sich in Linhir auf die Seite eurer Leute geschlagen und meine Verbündeten dort in einer Schlacht besiegt."
Edrahil rührte sich nicht, und zeigte auch keine Veränderung seiner Miene.
"Ihr freut euch gar nicht? Gut, dann wisst ihr wahrscheinlich, was das bedeuten könnte: Sauron wird nicht erfreut darüber sein, und er könnte seinen Blick wieder auf Dol Amroth richten. Ich könnte mich darüber freuen, wenn unser Anführer die Lage dort beruhigt, aber er könnte, nachdem er Dol Amroth und den Rest von Gondor dem Erdboden gleichgemacht hat, zu dem Schluss kommen, dass ich mit der Herrschaft über Umbar überfordert bin."
Diesmal konnte Edrahil ein schadenfrohes Zucken seiner Mundwinkel nicht ganz vermeiden.
"Das würde euch gefallen, nicht wahr? Vergesst aber nicht, dass zu diesem Zeitpunkt von Dol Amroth nur noch Ruinen übrig sein werden, und jeder den ihr kennt, tot sein wird. Aber, Edrahil, wir könnten verhindern, dass es überhaupt so weit kommt..."
"Und wie gedenkt ihr das zu tun, oh großmächtiger Fürst?", fragte Edrahil im Ton beißenden Spotts.
"Nun, ihr werdet eurem Fürsten einen Brief schreiben. Ihr werdet ihm raten, Qúsay nicht zu trauen, und das Bündnis mit ihm aufzukündigen. Meine Spione werden euch Dokumente zukommen lassen, die beweisen, dass mein Neffe auch Dol Amroth verraten wird, nachdem er mich gestürzt hat."
Edrahil dachte einen Moment nach. Der Fürst von Umbar versuchte zu spielen, ein gefährliches Spiel, aber er spielte mit den falschen Leuten. Hasael war kein guter Spieler - ganz im Gegensatz zu Edrahil selbst. Dies konnte eine Gelegenheit sein, diese Sache doch noch zu seinen Gunsten zu wenden.

"Also gut. Ich werde es tun."
"Dann ist das also beschlossen. Kerkermeister, besorgt ihm eine vernünftige Zelle, einen Tisch und etwas zum schreiben."

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Eandril

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Befreiung
« Antwort #4 am: 17. Jul 2015, 13:07 »
Die Zelle, in die der namenlose Kerkermeister in nach der Begegnung mit Hasael gebracht hatte war mit seiner vorherigen tatsächlich in keiner weise zu vergleichen. Auf dem Boden lag sauberes Stroh, es gab ein schmales Strohlager in einer der Ecken, einen abgedeckten Eimer, einen Tisch mit einem Stuhl und sogar ein winzig kleines vergittertes Fenster.
Edrahil saß an dem Tisch und betrachtete den Brief, den er vor sich liegen hatte. Dieser war wahrscheinlich das komplizierteste Täuschungsmanöver, dass er jemals durchgeführt hatte: Der Inhalt war in einer Geheimschrift geschrieben die er einst für eben solche Zwecke entworfen, aber nie zuvor genutzt hatte.
Dabei war der Text, den er für Hasael geschrieben hatte nur lesbar, wenn man immer eine Hälfte einer Zeile abdeckte - erst dann ergaben die Schriftzeichen einen Sinn. Diese Technik war zwar nicht vollkommen unüblich, doch normalerweise ergab die abgedeckte Hälfte des Textes keinen Sinn und diente nur zur Verwirrung. In diesem Fall handelte es sich jedoch ebenfalls um einen sinnvollen Text, der von Edrahil allerdings zusätzlich über ein Codewort verschlüsselt worden war. Das ganze war höchst riskant, denn es musste unauffällig genug sein, um Hasaels Leuten nicht aufzufallen, aber deutlich genug, damit seine Leute in Dol Amroth es bemerkten. Wenn es gelang würden sie zusätzlich zu Hasaels Botschaft eine Botschaft erhalten, die genau das Gegenteil besagte:

Geht auf keinen Fall auf Hasaels Angebot ein. Erhaltet das Bündnis mit Qúsay aufrecht, aber traut ihm nicht. Ich versuche die Lage in Umbar weiter zu destabilisieren. Provoziert Mordor auf keinen Fall direkt. Falls Qúsay das Bündnis zu brechen scheint handelt schnell. Edrahil.

Nachdem er den Brief ein letztes Mal gelesen hatte faltete Edrahil das Blatt zusammen und stand auf. Er hieb mit der Faust gegen die Tür, und ein kleines Fenster öffnete sich darin. Edrahil übergab den Brief an den Wächter auf der anderen Seite der Tür und die Klappe schloss sich sofort wieder.
Stunden später, draußen war es bereits dunkel geworden, erklang von der anderen Seite des Palastes eine Glocke, sie schnell hintereinander läutete. Edrahil erhob sich von seinem Lager, und blickte zwischen den Gitterstäben hindurch durch das Fenster. Seine Zelle befand sich in einem der nördlichen Türme des Palastes und gewährte ihm einen guten Blick nach Süden. Dort wurde die Nacht von einem rötlichen Schein erhellt, und Rauchschwaden stiegen von dort über dem Palast auf.
Feuer...
Edrahil lächelte, denn das konnte zu diesem Zeitpunkt eigentlich nur eins bedeuten. Tatsächlich waren beinahe im selben Augenblick zwei dumpfe Schläge vor seiner Zellentür zu hören, und kurz darauf hörte er, wie sich ein Schlüssel im Schloss drehte. Als die maskierte Frau den Raum betrat verneigte Edrahil sich ironisch und sagte: "Ah, ich bewundere eure Raffiniertheit, Saleme. Brilliant inszeniert." Wortlos bedeutete die angesprochene ihm, die Zelle zu verlassen.
Draußen standen vier weitere maskierte Gestalten, und zu ihren Füßen lagen die beiden Männer, die vor der Tür Wache gestanden hatten. Sobald Edrahil die Zelle verlassen hatte zogen seine Retter eine der beiden Wachen in den Raum, legten ihn auf das Strohlager und breiteten eine Decke über seinem Körper aus. Dann schlossen sie ebenso wortlos wie zuvor die Tür und zwei Männer, die wie Edrahil jetzt erst auffiel, die Kleidung der Palastwachen trugen, stellten sich davor. Die anderen beiden packten den verbliebenen Wächter, während Saleme Edrahil bedeutete, zu gehen. Sie eilten einen Gang entlang, bis sie zu einem Fenster gekommen waren. Dort hielten ihre beiden Begleiter kurz an, und als Edrahil einen Blick über die Schulter warf sah er, wie sie die Leiche des Wächters aus dem Fenster fallen ließen.
"Wird das nicht jemandem auffallen?", fragte Edrahil an Saleme gewandt. "Früher oder später auf jeden Fall.", antwortete die Stimme hinter der Maske. "Aber unter dem Fenster liegt der Haufen mit den Küchenabfällen, und dort wir so schnell niemand nachschauen."
Edrahil zog eine Augenbraue hoch. "Respekt, ihr habt das gut durchdacht." "Ich mache so etwas nicht zum ersten Mal.", kam die vollkommen unbeeindruckte Antwort. "Wir kommen gleich zu einem bewachten Ausgang, durch den wir den Palast verlassen können. Die Wächter dort sind bestochen. Sie werden zwar nicht ewig den Mund halten, aber das ist auch gar nicht nötig."
Tatsächlich verließen sie den Palast ohne Zwischenfall, und verschwanden in den engen Gassen Umbars.
Nach einigen Minuten blieb Saleme auf einem kleinen menschenleeren Platz stehen. "Euer Täuschung mit dem Brief war... sehr interessant.", sagte sie, und auf Edrahils überraschten Blick hin fuhr sie fort: "Oh bitte, ihr glaubt doch nicht, dass wir den Boten nicht abgefangen hätten? Aber keine Angst, Hasael hat euren Trick nicht durchschaut, und wir werden den Brief mit einem vertrauenswürdigen Boten nach Dol Amroth weiterschicken. Unverändert, falls euch das Sorgen macht."
"Warum habt ihr mich befreit?", fragte Edrahil. "In Hasaels Hand hätte ich einiges ausrichten können." Seine anfängliche Freude über die wiedergewonnene Freiheit war langsam Ärger gewichen.
"Nur die Ruhe, Meister Edrahil.", erwiderte Saleme. "Mir ist durchaus bewusst, was ihr in eurer neuen Situation alles hättet bewirken können. Aber in Freiheit könntet ihr noch viel mehr ausrichten, was Hasael und auch Suladan schadet. Meine Leute haben einige höchst interessante Leute ausgemacht, die sich im Augenblick hier in Umbar herumtreiben. Ich denke, ihr solltet einige von ihnen um euch sammeln und eure eigene Gruppe zusammenstellen mit der ihr gegen Hasael vorgehen könnt."


Edrahil und Saleme auf die Straßen Umbars
« Letzte Änderung: 21. Feb 2016, 23:11 von Fine »

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Das Fest der Seewinde
« Antwort #5 am: 17. Nov 2016, 15:48 »
Edrahil, Minûlîth, Lóminîth, Bayyin, Valion und Valirë von den Straßen von Umbar


Als die Gruppe am Fürstenpalast angekommen war, schien sich Edrahil nicht die Mühe machen zu wollen, den Plan noch einmal im Einzelnen durchzugehen.
"Ihr wisst, was zu tun ist", sagte er. "Teilen wir uns wie besprochen auf."
Valirë und Bayyin traten an seine Seite. Beide waren sie in gewöhnliche haradische Kleidung gehüllt, wie sie die Bediensteten in Hasaels Palast trugen. Auch Edrahil trug unauffällige Gewänder, doch bei ihm schien dies sowieso stets der Fall zu sein. Keiner der drei war bewafffnet, doch Minûlîth hatte bereits am Vortag Waffen im Palast versteckt, darunter auch Valirës Zweihandschwert. Sollte es zum Kampf kommen, würde Edrahils Gruppe nicht wehrlos sein.

Edrahil blickte ein letztes Mal in die Runde und nickte allen entschlossen zu.
"Wir sehen uns, wenn all das vorbei ist", sagte Minûlîth aufmunternd.
"Komm, Schreiber", neckte Valirë den leicht errötenden Bayyin. "Holen wir uns deine geliebte Schriftrolle und retten wir die Prinzessin." Sie drehte sich um und ging davon, in Richtung des geheimen Eingangs, zu dem die Zwillinge den Schlüssel von Wahhab, dem Bibliothekar, beschafft hatten. Edrahil und Bayyin folgten ihr und waren kurz darauf im Zwielicht der Dämmerung verschwunden.

"Bist du bereit?" fragte Lóminîth mit einem Lächeln in Valions Richtung. Er nickte bestätigend. Auch wenn das tief ausgeschnittene Kleid Minûlîths jüngerer Schwester wirklich ausgezeichnet stand, war er entschlossen, sich nicht ablenken zu lassen. Zu viel stand auf dem Spiel. Die Gelegenheit, die sich heute Abend bot, war zu gut um sie ungenutzt verstreichen zu lassen, und sie hatten bei der Planung und bei der Vorbereitung bereits viele Risiken eingehen und Gefallen einfordern müssen. Heute muss Hasaël stürzen, dachte Valion. Heute, oder gar nicht.

"Herrin Minûlîth, Tochter des ehrwürdigen Kapitäns Azgarzîr von der schwarzen Flotte und Erbin von Haus Minluzîr! Und ihre Schwester, die ehrwürdige Dame Lóminîth, mit ihrem Verlobten: Balkahil, Tarkûgans Sohn, vom ruhmreichen Haus Zendîkar aus dem verloren geglaubten Süden!"
So kündigte man die drei an, als sie das große Tor des Palastes passierten und in die Vorhalle des Thronsaals Hasaels kamen, wo sich bereits der Großteil des Adelstandes Umbars und einiger nahe liegenden Reiche tummelte. Valion spürte die neugierigen Blicke auf sich und fuhr nachdenklich mit den Fingern über den dunkelroten Stoff, aus dem sein Oberteil bestand. Darauf prangte das golden gestickte Wappen von Haus Zendîkar: ein großer Raubvogel mit ausgebreiteten Schwingen. Der goldene Falke auf rotem Grund war viele viele Jahre nicht in Umbar gesehen worden, so hatte Minûlîth es Valion erklärt.
"Haus Zendîkar war ein von númenorischen Seefahrern abstammendes Geschlecht, wie es auch meine eigenen Vorfahren waren. Zendîkar und seine Erben lebten jedoch viel weiter im Süden; in Ländern, die in Gondor nichts als weiße Flecke auf der Landkarte sind. Doch in Umbar waren sie bekannt und einige Zeit sogar berüchtigt, denn es gab eine Zeit, da unterhielten sie eine große Flotte an Piratenschiffen und überfielen immer wieder auch umbarische Händler. Es war einer meiner Vorfahren, der schließlich den letzten Piratenkapitän von Haus Zendîkar zur Strecke brachte. Seitdem hielt man das Haus für ausgestorben."
"Und ich soll es nun zu neuem Leben erwecken", hatte Valion geschlussfolgert.
"Ganz genau", hatte Lóminîth zugestimmt. "Keine Sorge. Wir werden uns eine gute Geschichte ausdenken, weshalb ich nun den Erben eines lange verloren geglaubten Hauses ehelichen werde."
"An konkurrierenden Bewerbern hat es bisher wahrlich nicht gemangelt", hatte ihre Schwester hinzugefügt.

Der Wappenrock, den Valion nun trug, war seit dem Ende von Haus Zendîkar in Minûlîths Anwesen als Andenken verwahrt worden und war gut erhalten. Die Schwestern hatten sich für Valion eine Antwort auf alle möglichen Fragen überlegt, die ihm womöglich während der Feier gestellt werden könnten, und er hatte in den Tagen vor dem Fest viel Zeit damit verbracht, alles auswendig zu lernen. Nun fühlte er sich bereit für den wahren Test.

Sie mischten sich unter die geladenen Gäste und Valion staunte angesichts der Vielfalt von Menschen, die die Halle erfüllten. Er sah haradische Stammeshäuptlinge, Händlerprinzen aus fernen Reichen, umbarische Adelige aller Art und sogar einige Gäste, die ihm wie Ostlinge vorkamen. Aus Qafsah war eine Delegation Suladâns anwesend, die ihren Sultan vertrat. Suladân selbst hatte sich laut den Gerüchten, die in der Stadt kursierten, aufgrund wichtiger Angelegenheiten entschuldigen lassen. Valion fragte sich, ob sich der Sultan Harads wohl auf den bevorstehenden Krieg gegen Qúsay vorbereitete.

Der Herold am Eingang riss ihn aus deinen Gedanken.
"Seine Exzellenz Hasaël I. bin Qasim bin Abdul-Abbas al-Quahtani-Qasatamiyun, ruhmreicher Fürst von Umbar und ehrenhafter Scheich der Quahtan!"
Alle Augen wandten sich zu der breiten Treppe, die von der Halle zum Thronsaal führte. Dort erschien nun der Fürst selbst, umgeben von seinen Söhnen. Valion tauschte einen schnellen Blick mit Minûlîth aus, die beinahe unmerklich nickte. Nun also beginnt der spannende Teil, dachte Valion.
« Letzte Änderung: 26. Sep 2017, 18:13 von Fine »
RPG:

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Heimliches Eindringen
« Antwort #6 am: 17. Nov 2016, 21:33 »
Edrahil und seine Begleiter erreichten den Seitenturm, in dem sich laut Minûlîths Informationen die Palastbibliothek befand, ohne Schwierigkeiten. Edrahil ließ langsam die Finger über den rauen Stein der Mauer gleiten, während Valirë und Bayyin in beide Richtungen nach Stadtwächtern Ausschau hielten. Schließlich fanden seine Finger eine Vertiefung ihm Stein, die sich wie ein Schlüsselloch anfühlte. Er zog Wahabs Schlüssel aus der Tasche, und drehte ihm im Schlüsselloch herum. Es klickte leise, und die bislang verborgene Tür ließ sich mit einem leichten Stoß nach innen aufschwingen. Edrahil spähte kurz ins dämmrige Innere, und gab seinen Begleitern dann ein Zeichen, ihm durch die Tür zu folgen.
Drinnen zog der die Tür rasch wieder zu, und verstaute den Schlüssel wieder. "So weit so gut", meinte er, während er einen Blick durch den Raum warf. Die Bibliothek des Fürsten füllte den gesamten Turm aus. An den geschwungenen Wänden zogen sich endlose Regale, die mit Büchern und Schriftrollen gefüllt waren, nach oben, und vor den Regalen verliefen schmale, hölzerne Laufgänge, die über gewundene Treppen zu erreichen waren. Zum Glück der Eindringlinge war der Raum menschenleer.
"Sehr beeindruckend", hörte Edrahil Bayyin sagen, der ein paar Schritte in den Raum hineingemacht hatte, und die Wände hinaufblickte. "Es muss doch eine praktischere Möglichkeit geben, eine Bibliothek anzulegen...", sagte Valirë leise. "Ich frage mich, wie ein Mann wie Wahab an seine Bücher kommt. Ob er wohl jemanden hat, der sie für ihn holt?"
"Jede Frage zu seiner Zeit", warf Edrahil ungeduldig ein. "Und jetzt haben wir keine Zeit, also... Bayyin, besorg dir ein Licht und fang an zu suchen."
Der Bibliothekar starrte noch immer mit leicht geöffnetem Mund die Regale entlang, schaffte es dann aber doch zu antworten: "Ich weiß nicht, wo ich..."
"Wo du suchen sollst?", schnitt Edrahil ihm das Wort ab, und verdrehte die Augen. "Verdammt, Mann, ich dachte du wärst Bibliothekar. Da müsste das hier doch wie Zuhause für dich sein." Bayyin blinzelte verwirrt, und setzte zum Widerspruch an, doch Edrahil hatte keine Zeit für so etwas.
"Kein aber, dazu haben wir keine Zeit. Du weißt was du sagst, wenn jemand kommt und dich fragt, wer du bist?"
"Ich bin Schreiber aus dem Gefolge Suladâns, der im Auftrag des Sultans hier nach Aufzeichnungen über Qúsays Illegitimität suchen soll, und von dieser Bibliothek so sehr begeistert ist, dass er hier gerne ein wenig länger bleiben will", antwortete der Bibliothekar ohne zu zögern, und Edrahil nickte zufrieden. Die Tarnung war vielleicht nicht perfekt und relativ leicht zu widerlegen, aber es sollte ausreichen wenn Bayyin sich nicht allzu verdächtig verhielt. "Also gut, fang an. Valirë, weiter."

Edrahil und Valirë traten aus der Bibliothek hinaus auf den ebenfalls menschenleeren und nur schwach erleuchteten Gang. Aus der Ferne drangen die Geräusche des Festes heran, doch dieser Teil des Palastes schien wie erwartet wie ausgestorben zu sein.
"Wir müssen nach... links, dann sollten wir bald auf eine Treppe stoßen, die uns tiefer bringt", sagte Edrahil. Mit Minûlîths Hilfe und seinen eigenen Erinnerungen hatte er einen groben Plan des Palastes zeichnen können, der zwar nicht vollständig aber ausreichend war. Sie folgten dem Gang, der von mehreren kleinen Laternen erhellt wurde, und von dem mehrere Türen nach beiden Seiten abgingen.
Kurz darauf verließ sie ihr Glück für einen Moment, als kurz vor ihnen ein Mann, der ein wenig besser gekleidet war als die gewöhnlichen Dienstboten, aus einem Nebenraum trat. "Was treibt ihr hier hinten?", fragte er mit gerunzelter Stirn. "Solltet ihr nicht auf dem Fest helfen?"
"Verzeiht, Herr", erwiderte Edrahil in dem unterwürfigstem Ton, zu dem er fähig war. "Wir sind erst kürzlich vom gnädigen Fürsten eingestellt worden, und kennen uns noch nicht besonders gut im Palast aus. Könntet ihr uns vielleicht den Weg zur Küche weisen?" Nach allem was er wusste lag die Palastküche unterirdisch unter einem der Innenhöfe. Und unten war genau die Richtung, die sie brauchten. Sein Gegenüber verdrehte genervt die Augen, seufzte und meinte: "Ich muss dringend mit den anderen darüber reden, dass sie nicht immer die letzten Trottel einstellen - einfach den Gang weiter, die nächste Treppe nach unten und dann nach links. Auf keinen Fall nach rechts, denn dann kommt ihr in den Kerker, in dem ihr sowieso landen werdet, wenn ich euch noch einmal an Orten erwische, an denen ihr nichts zu suchen habt."
"Ja, Herr." Edrahil verneigte sich, und stieß Valirë, die es ihm daraufhin unwillig gleich tat, an. "Habt dank Herr."
Sie eilten in die gewiesene Richtung davon, und stießen kurz darauf auf die Treppe. Unten angekommen hörte Edrahil Valirë leise sagen: "Wenn ich nur mein Schwert gehabt hätte...?"
"Was dann? Hättest du ihn niedergehauen, der nächste Diener wäre über die Leiche gestolpert und hätte Alarm gegeben?"
Im flackernden Licht der Fackeln, die hier unten anstatt der Laternen die Gänge erhellten, sah er Valirë erröten. "Soweit hatte ich nicht gedacht."
Edrahil seufzte, während sie dem Gang nach rechts folgten. Er selbst war vor wenigen Wochen von Aquan durch diesen Gang gezerrt worden, und dann weitere Treppen hinab, immer tiefer und tiefer bis er ganz unten im Loch angelangt war. Ein unwillkürlicher Schauer überlief ihn, als er sagte: "Das ist das Problem mit dir und deinem Bruder, ihr denkt nie weit genug. Gewöhnt euch ein wenig das denken an, und ihr könnt es weit bringen."
Bei seinen letzten Worten senkte Valirë den Blick, und Edrahil hätte schwören können, dass sie noch tiefer errötete als zuvor. Doch in diesem Moment erreichten sie die kleine Nische in der Wand, von der Minûlîth gesprochen hatte, die von einem Wandbehang mit  einem goldenem Falken auf rotem Grund verborgen wurde. Das Wappen des ausgestorbenen Haus Zendîkar, dass auch Valion gerade trug, war somit in gewisser Weise das Zeichen für ihren Plan.

Edrahil tastete hinter dem Wandbehang, und stieß sofort auf den Griff eines Schwertes. Er zog das lange, leicht geschwungene Schwert, an das sein eigener Dolch gebunden war, hervor, löste die Schnur mit dem wie Waffen aneinander gebunden waren und reichte das Schwert an Valirë weiter. Den Dolch befestigte er an seinem Gürtel, spähte einmal kurz über die Schulter ob sie auch tatsächlich noch alleine waren, und sagte dann: "Na los, gehen wir eine Prinzessin retten."
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Auf Hasaëls Bankett
« Antwort #7 am: 18. Nov 2016, 12:20 »
Der Fürst von Umbar stieg die Treppe ungefähr bis zur Hälfte hinab und wandte sich dann an seine Gäste. Mit lauter Stimme rief er: "Meine Freunde und Verbündeten! Ich heiße euch alle zu diesem bedeutsamen Anlass willkommen. Auf dass unseren Schiffen die Seewinde ein weiteres Jahr gewogen sein mögen!"
"Das sind die traditionellen Worte, die jeder Fürst von Umbar an diesem Tag sprechen muss," flüsterte Minûlîth Valion erläuternd zu.
"Ich erkläre hiermit das diesjährige Fest der Seewinde für eröffnet!" rief Hasaël und hob beide Arme. Jubel erklang und der Fürst und seine Söhne mischten sich unter die Gäste in der Halle.

Es dauerte gar nicht lange, bis Hasaël in Minûlîths Richtung kam. Ihr Stand und Ansehen in Umbar mussten größer sein, als Valion gedacht hatte. Der Fürst gesellte sich zu ihrer Gruppe hinzu und alle drei neigten sie vor ihm leicht das Haupt, wie es sich gehörte.
"Herrin Minûlîth," grüßte Hasaël mit einem Lächeln, das wohl echt wirken sollte. "Wie schön, dass Ihr es einrichten konntet. Ihr seht so bezaubernd wie eh und je aus."
Minûlîth gab ein helles Lachen von sich. Sie schien dieses  Spiel meisterhaft zu beherrschen. "Ihr tätet besser daran, meinen Vorfahren anstatt meiner selbst zu schmeicheln, mein Fürst. Sie sind es, denen ich das Blut zu verdanken habe, das  mir erlaubt, meine Jugend etwas länger als die meisten zu bewahren."
"Dennoch seid Ihr dafür zu beneiden," gab Hasaël zurück. "Und wie ich sehe, genießt auch Eure entzückende Schwester diesen Vorteil. Lóminîth, richtig?"
Die Angesprochene nickte anmutig und erwiderte Hasaëls forschenden Blick ohne die Augen abzuwenden.
"Nun, ich muss schon sagen; ich freute mich für Euch, als ich von Eurem überraschenden Verlöbnis hörte; auch wenn mein Sohn und Erbe Meneldur recht enttäuscht war."
Valion hatte bereits davon gehört, dass Hasaël nur zu gerne seinen ersten Sohn von Arannis mit einer in Umbar so angesehenen Frau verheiratet hätte um seinen eigenen Stand bei der Adelsschicht der Stadt zu verbessern. Doch Lóminîth tat Hasaëls Aussage mit einem bescheidenen Lächeln ab.
"Meneldur ist zehn Jahre jünger als ich," antwortete sie sanft und höflich. "Es wäre keine schickliche Verbindung gewesen, und sie wäre weit über meinen Status hinaus gegangen. Der Erbe Umbars sollte eine Frau haben, die ihm gleichgestellt ist - sicherlich gibt es in den Reichen Harads viele geeignete Kandidatinnen."
"Die gibt es," erwiderte Hasaël freundlich und wandte sich Valion zu. "Nun lasst mich also Eure Wahl begutachten. Haus Zendîkar ist ein Name, den ich selbst noch nie gehört habe. Mein Bibliothekar Wahhab sagte mir, eure Vorfahren waren recht wilde Seefahrer, nicht wahr? Wie kommt es, das die Nebel der Zeit sie nicht verschlungen haben, so wie bislang angenommen wurde?"
Valion blickte dem Fürsten in die Augen und rief sich die Geschichte wieder in den Sinn, die er auswendig gelernt hatte. "Als das letzte Schiff meiner Vorfahren in der Seeschlacht im Golf von Kerma sank nahm man an, dass niemand an Bord überlebt hatte. Doch der Sturm, der bald darauf heraufzog, trug meinen Vorfahren auf seinen Flügeln weit in den Süden, an bislang unbekannte Ufer. Dort gelang es ihm, ganz von Neuem zu beginnen und die Linie von Haus Zendîkar zu erhalten und fortzusetzen."
"Waren es nicht die Vorfahren der beiden anmutigen Damen hier, die die Piratenflotte Zendîkars zerschmetterten?" warf Hasaël mit einem breiten Grinsen ein, und Valion nickte. "So rächt Ihr Euch also! Da Minûlîth es bislang versäumt hat, eine Erben in die Welt zu setzen, werdet Ihr Euch also durch schmeichelnde Worte und Heirat ihren Reichtum aneignen. Ha! Ihr seid wirklich ein verschlagener Bursche. Ihr gefallt mir!" Er schlug Valion kameradschaftlich auf die Schulter.

Kurz darauf wandte sich der Fürst anderen Gästen zu. Offenbar war es ihnen gelungen, seinen Zweifel bezüglich Valions Identität zu zerstreuen. Auch die übrigen Gäste, die Neugierde und Zweifel daran mehr oder weniger offen zeigten, konnten einigermaßen problemlos beschwichtigt werden. Lóminîth hatte zwei Arten von Werbern: jene, die von ihrem Aussehen angezogen waren, und jene, die ganz offensichtlich am Vermögen ihrer Familie interessiert waren. Auf einige traf sogar beides zu.

Einige für Valion recht ermüdende Unterhaltungen später verkündeten die Herolde feierlich den Beginn des großen Banketts, welches ebenfalls Tradition an diesem Tag war. Alle Gäste begaben sich nun in den an die Eingangshalle angrenzenden Festsaal, wo jeder von Dienern zu seinen vorbestimmten Platz geführt wurde. Glücklicherweise hatte man Valion rechts neben Minûlîth gesetzt, und seine "Verlobte" ihm direkt gegenüber platziert. Der Sitz rechts neben ihm blieb einige Minuten leer, doch als das Bankett gerade aufgetragen wurde zog jemand den Stuhl geräuschvoll zurück und eine in ein hellrotes samtenes Kleid gehüllte Frau ließ sich neben Valion nieder. Er nickte ihr höflich zu und wandte sich dann wieder dem Essen zu, doch irgendetwas kam ihm seltsam an seiner neuen Sitznachbarin vor. Während dem Mahl riskierte er so vorsichtig wie möglich immer wieder einen Blick auf die Frau, die sich angeregt mit den Adeligen um sie herum unterhielt. Sie kam ihm bekannt vor, doch er kam einfach nicht darauf, woher. Gerade lachte sie über den Witz den ein junger haradischer Stammesführer gemacht hatte und blickte damenhaft zu Boden als ihre Wangen sich röteten. Sie drehte den Kopf zu Valion herum und blickte ihm direkt ins Gesicht. Ihre Augen waren von so dunklem Braun dass sie beinahe schwarz wirkten, und als er sich darauf konzentrierte erkannte er sie schließlich.

"Ihr seid Ta-er as-Safar," wisperte er ihr zu. Ein Aufblitzen ihrer Augen verriet ihm, dass er Recht hatte. "Was tut Ihr hier, in dieser...Verkleidung?" Sein Blick wanderte an ihrem Hals hinunter, doch da ergriff sie unter dem Tisch seine Hand und drückte fest zu, was seine Aufmerksamkeit wieder auf ihr Gesicht lenkte.
"Ihr seid in Gefahr," hauchte sie so leise dass er es kaum verstand.
"Wie meint Ihr..." setzte er an, doch sie unterbrach ihn mit einem scharfen Blick. "Später," wisperte sie und sah ihm noch einmal eindrücklich in die Augen. Dann ließ  Ta-er Valions Hand los und wandte sich wieder ihren übrigen Sitznachbarn zu; lachend und scherzend als wäre nichts gewesen.
Was das wohl zu bedeuten hat? fragte er sich während das Bankett langsam dem Ende entgegen ging. Er hoffte, dass bei Edrahil und seiner Schwester alles glatt lief...
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Die Befreiung der Prinzessin
« Antwort #8 am: 18. Nov 2016, 19:50 »
Nur wenige Schritte weiter hörte Edrahil leise Stimmen aus dem Gang vor ihm.
"Na komm schon, Schätzchen. Ein strammer Kerl wie du, wird eine Dame doch wohl nicht abweisen?", fragte eine weibliche Stimme, und eine männliche antwortete etwas, das Edrahil nicht verstehen konnte.
"Was geht da vor sich?", wisperte Valirë, während Edrahil vorsichtig um die Ecke spähte. Am Ende des schmalen Ganges sah er eine massive Holztür mit einem kleinen vergitterten Fenster darin, und davor auf dem Gang zwei Männer in der Rüstung der Palastwache. Beide standen allerdings alles andere als aufmerksam Wache, sondern waren von einer sehr leicht bekleideten Frau abgelenkt, die ihnen abwechselnd ins Ohr flüsterte und die Aufmerksamkeit der beiden Wachen offensichtlich genoss. Edrahil zog den Kopf zurück und antwortete Valirë: "As'ar hat seinen Teil offensichtlich erfüllt, die Wachen sind beschäftigt. Sei bitte möglichst leise, und pass auf, dass dem Mädchen nichts geschieht."
Valirë nickte mit aufgeregt funkelnden Augen, und zog ihr Schwert. Dann verschwand sie mit leisen Schritten um die Ecke, und Edrahil hörte einen dumpfen Aufschlag, ein leises Klirren, ein ersticktes Stöhnen und das Geräusch von zwei Körpern, die auf dem Boden aufschlugen. Dann sagte Valirë: "Fertig", und auch Edrahil trat um die Ecke. Beide Wächter lagen auf dem Boden, der eine mit einer Stichwunde in der Brust und der andere mit aufgeschnittener Kehle. Valirë stand zwischen den Leichen, und hielt der Kurtisane, deren Augen weit aufgerissen waren, die Hand vor den Mund. "Sie hätte geschrien", erklärte sie auf Edrahils fragenden Blick hin.
"Nimm die Hand runter", sagte er, und an das Mädchen gerichtet: "Du kannst gehen, aber pass auf, dass du niemandem auffällst."
"Macht euch da nur keine Sorgen." Sie hatte sich anscheinend schnell von ihrem Schock erholt, und warf Valirë nun einen frostigen Blick zu. "Und ich hätte schon nicht geschrien, ich bin anderes gewohnt." Damit bestätigte sie Edrahils Verdacht, dass As'ar sich nicht nur auf den Besitz von Bordellen beschränkte, sondern noch andere Felder hatte, in denen er aktiv war.
"Das glaube ich sofort", erwiderte er, warf ihr eine Goldmünze zu, und fügte hinzu: "Richte deinem Herrn meine Grüße und meinen Dank aus." Kaum dass die Kurtisane verschwunden war, ertönte aus der Zelle hinter der Tür eine weibliche Stimme: "Was geht da draußen vor? Wer ist da?"
Die Erleichterung, die Edrahil beim Klang dieser Stimme verspürte war größer als er erwartet hätte, und erst jetzt wurde ihm klar, wie sehr er sich davor gefürchtet hatte, dass Minûlîth ihn über Lothíriels Aufenthaltsort belogen haben könnte. Er trat an die Tür heran und blickte durch die kleine vergitterte Öffnung direkt in das Gesicht von Imrahils Tochter. Lothíriel wirkte im Licht der einzelnen Kerze in ihrer Zelle noch blasser als üblich, und bei Edrahils Anblick blinzelte sie ungläubig.
"Edrahil? Was...?" Sie wurde unterbrochen, als Valirë sich neben Edrahil drängte, ein verschmitztes Lächeln im Gesicht, und sagte: "Hallo, Lothíriel. Und, wie geht es dir so?"
Edrahil verdrehte die Augen, denn anscheinend war der bisherige Erfolg ihr zu Kopf gestiegen, doch bei Valirës Anblick verwandelte sich der Ausdruck der Ungläubigkeit auf Lothíriels Gesicht allmählich zu zaghafter Hoffnung.
"Wir sind hier, um euch hier herauszuholen, Herrin", sagte Edrahil, bevor Valirë an seiner Statt antworten konnte, und schob seine Gehilfin zur Seite. "Durchsuch die beiden Wächter nach einem Schlüssel."
Während Valirë den Befehl ausführte, fragte Lothíriel: "Aber... wie seid ihr hierher gekommen? Und wie habt ihr mich gefunden?" "Mit Hilfe meiner sagenumwobenen Talente... und ein wenig Hilfe natürlich", erwiderte Edrahil lächelnd, und riss sich dann innerlich zusammen. Anscheinend hatte der bisher so makellose Verlauf ihres Planes auch Auswirkungen auf ihn selbst.
Wie um ihn an den Ernst der Lage zu erinnern, sagte Valirë hinter ihm: "Keiner von denen hier hat einen Schlüssel dabei... aber der hier lebt noch."
"Ich bin gleich zurück, verhaltet euch einfach ruhig", meinte Edrahil zu Lothíriel, nachdem er einen leisen Fluch ausgestoßen hatte. Er wandte sich ab, und kniete sich neben den verwundeten Wächter, den Valirë auf den Rücken gedreht hatte, und dessen Herz ihr Stich anscheinend knapp verfehlt hatte. Edrahil zog seinen Dolch, und drückte dem Mann die Spitze unter das Kinn.
"Wer hat denn Schlüssel für diese Zelle?" Der Wächter hustete, und ein dünner Blutfaden lief ihm aus dem Mund. "Warum... sollte ich euch das verraten?"
"Weil ich dich dann von deinen Schmerzen erlöse", gab Edrahil zurück. "Du stirbst sowieso... möchtest du, dass es lange dauert und schmerzhaft wird?" Er sah die Angst in den Augen des Mannes und wusste, dass er gewonnen hatte.
"Hauptmann... Aquan. Er ist der einzige, der diesen Schlüssel hat."
Anscheinend komme ich doch noch dazu, mich zu revanchieren...
"Und wo finden wir ihn?"
"Den Gang nach rechts entlang, dann der Raum auf der linken Seite."
"Vielen Dank für deine Hilfe", sagte Edrahil, und stieß dem Verwundeten den Dolch in die Kehle. Der Mann zuckte noch einmal, dann wurden seine Augen glasig und er lag still.

"Du hast gehört, was er gesagt hat", wandte Edrahil sich an die neben ihm kniende Valirë. "Gib mir dein Schwert, und dann hol Aquan. Sag ihm, du hättest hier merkwürdige Geräusche gehört, wenn er hört dass es die Zelle der Prinzessin ist, wird er selbst kommen."
Ohne ein weiteres Wort schnallte Valirë Gilrist ab, drückte es Edrahil in die Hand und verschwand in die gewiesene Richtung. "Sie ist ja doch zu Gehorsam fähig...", sagte Edrahil vor sich hin, stand dann auf und ging wieder zu Lothíriels Zellentür. "Bleibt einfach ruhig und macht euch keine Sorgen", sagte er leise und beruhigend. "Wir werden den Schlüssel besorgen und nach Hause bringen."
Er wartete ihre Antwort nicht ab, sondern verließ den kurzen Gang und drückte sich im Hauptgang in den Schatten der Wand, Valirës Schwert noch immer in der Hand. Er brauchte nicht lange zu warten, bis aus der anderen Richtung schnelle Schritte und Stimmen zu hören waren. Valirë war es offensichtlich gelungen, Aquan vom Ernst der Lage zu überzeugen, und eilte dem Anführer von Hasaels Leibwächtern und drei weiteren Männern voran. Kurz vor dem Zellengang blieb sie stehen, und ließ die Wächter vorangehen. "Hier habe ich es gehört", sagte sie dabei, und überraschte Edrahil damit, wie überzeugend ihre ängstliche Stimme klang.
Als die Wachen in Lothíriels Zellengang verschwunden waren, trat Edrahil aus dem Schatten, und warf Valirë ihr Schwert zu, dass sie sofort aus der Scheide fahren ließ. Auf seinen prüfenden Blick hin grinste sie nur, und stürmte dann den Wächtern hinter her - und dieses Mal folgte Edrahil ihr sofort mit gezogenem Dolch.
Der erste der Wächter fiel unter Valirës Klinge auf die Leiche des Mannes, den Edrahil getötet hatte, ohne dass er Zeit gehabt hätte, seine eigene Waffe zu ziehen, und dem zweiten rammte Edrahil ohne Zögern seinen Dolch in den Rücken. Der dritte der Wächter schaffte es, sein Schwert zu ziehen, doch Edrahil tauchte unter seinem Schlag hindurch und legte Aquan seinen Dolch an die Kehle.
Der Hauptmann war gerade dabei gewesen, Lothíriels Zelle aufzuschließen und hatte nur Zeit gehabt, sich um zu drehen, bevor Edrahil ihn gegen die Zellentür presste.
"Wie nett von euch, mir die Arbeit ersparen zu wollen", stieß Edrahil hervor, während Valirë den letzten der Wächter mit einem eleganten Schwerthieb zu Boden schickte.
"Ich würde euch ja gerne ins tiefste Loch dieses Kerkers stecken und langsam ausbluten lassen", fuhr Edrahil fort. "Aber dazu ist keine Zeit." Aquan wollte gerade trotz des Messers an seinem Hals nach seinem Schwert greifen, als Edrahil ihm mit einer flüssigen Bewegung die Kehle aufschnitt.
Er trat einen Schritt zurück, während Aquan sich verwirrt an die Kehle griff, und wischte sich mit dem Ärmel einen Blutspritzer von der Wange. Dann hob er den Schlüsselbund auf, den der Hauptmann hatte fallen lassen, trat über dessen zusammengesackten Körper hinweg und schloss die Tür auf, wobei er Aquans Leiche beiseite schob. Er machte eine einladende Geste zu Lothíriel, die mit vor der Brust zusammengepressten Händen auf der anderen Seite stand.
"Bitte entschuldigt das viele Blut", sagte er. "Aber anders ließ es sich leider nicht machen."
"Leider", meinte Valirë mit hochgezogenen Augenbrauen, und stieß ihr Schwert, dass sie an einer der Leichen gesäubert hatte, zurück in die Scheide, während Lothíriel vorsichtig blinzelnd aus der Zelle trat. "Und ich dachte, ein paar weniger von Hasaels Dienern wären ein Grund zur Freude."
"Durchaus", gab Edrahil zurück. "Doch Aquans Fehlen wird vermutlich bald bemerkt werden, und dann wird hier die Hölle los sein. Ich schlage also vor, dass wir uns beeilen."
« Letzte Änderung: 22. Jan 2020, 16:10 von Fine »

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Enthüllungen
« Antwort #9 am: 19. Nov 2016, 09:51 »
Nach dem Ende des Banketts erhoben sich alle Gäste und folgten Hasaël in einen weiteren großen Saal, dessen längere Seite offen war und in einen großen Balkon überging. Von hier bot sich ihnen ein atemberaubender Blick über die Stadt und die Bucht von Umbar, auf derem ruhigen Wasser sich der inzwischen aufgegangene Vollmond spiegelte. Die Teilnehmer des Festes bereiteten sich nun auf den Höhepunkt der Feierlichkeiten vor, denn sobald auf der Spitze des Leuchtturms am Eingang der Bucht das vorbereitete und aufgeschichtete Holz in Brand gesteckt worden war würden im Gedenken an die Tradition des Fests der Seewinde überall in Umbar Fackeln, Laternen und Lampen aller Art entzündet werden und die Stadt in ein Lichtermeer tauchen. So hatte Minûlîth es Valion erklärt.
"Für gewöhnlich ist es ein sehr schöner Anblick," sagte sie gerade als sie den Balkon betraten. "Und heute wird es uns als perfekte Ablenkung dienen."

Sie standen einige Minuten am Geländer des Balkons und blickten schweigend über die Bucht hinaus. Valion musste sich zwingen, nicht ständig daran zu denken, wie es seiner Schwester wohl gerade erging. Um ihre Sicherheit machte er sich keine Sorgen; er wusste, dass Valirë auf sich aufpassen konnte. Dennoch war es schwer für ihn, sich nicht von Gedanken über den Erfolg von Edrahils Mission zu machen.
"Ein beeindruckender Ausblick, nicht wahr?" Die Stimme lenkte Valion von seinen Gedanken ab und er wandte den Kopf in die Richtung aus der sie gekommen war. Ta-er war neben ihn getreten und lehnte sich entspannt an das reich verzierte Geländer.
Er nickte zur Antwort. "Was Ihr beim Bankett gesagt habt..." setzte er an, doch erneut unterbrach sie ihn. "Was ich sagte ist die Wahrheit. Ihr und eure Freunde seid in Gefahr."
"Wie meint Ihr das? Wovon sprecht Ihr?" fragte Minûlîth leise.
Ta-er beugte sich leicht vor und wisperte: "Euer Plan ist gut, doch ich fürchte, es wird zu unvorhergesehenen Komplikationen kommen. Indem ihr zu Hasaëls Ablenkung hergekommenen seid habt ihr euch selbst zum Ziel gemacht."
"Zu wessen Ziel?" wollte Valion wissen, doch ehe Ta-er antworten konnte betraten weitere Gäste den Balkon, unter ihnen der Fürst selbst.

"Sagt Euch die Feier zu, meine Dame?" sagte er mit einer Höflichkeit, die ebenso falsch wie sein Lächeln war. Minûlîth erwiderte die Geste, doch ihr Lächeln war deutlich schwerer als unecht zu erkennen.
"Wie immer habt Ihr Euch als vollendeter Gastgeber erwiesen, Fürst Hasaël," gab sie freundlich zurück. "Wir warten nun alle auf den Moment, in dem die Lichter unserer großartigen Stadt voller Freude erleuchten werden."
Arannís, die Frau des Fürsten, löste sich aus Hasaëls Gefolge und schloss Minûlîth in eine innige Umarmung. Valion, der nahebei stand, hörte die leise ausgetauschten Worte die die Frauen wechselten: "Geht es dir gut, meine Liebe?  Als keine Nachricht von dir mehr aus dem Palast kam wurde meine Sorge mit jedem Tag größer."
"Ich komme zurecht, Cousine," antwortete Arannís. "Ich habe meine Kinder, die mir Gesellschaft leisten, und seit Menelmirs Geburt lässt der Fürst mich größtenteils in Frieden und widmet sich lieber seinen Konkubinen."
"Dennoch bist du eine Gefangene des Palastes, ein Vogel im goldenen Käfig," wisperte Minûlîth. "Doch verzage nicht. Ich werde dir helfen."
Arannís löste sich von ihrer Cousine, einen Ausdruck von Zweifel und Furcht im Gesicht. "Nein," hauchte sie. "Es ist zu gefährlich..."
"Was ist zu gefährlich, Arannís?" fragte Hasaël, dessen Aufmerksamkeit nun wieder bei seiner Frau lag.
Minûlîth trat einen Schritt auf den Fürsten zu. "Meine Schwester möchte mit ihrem Verlobten hier eine Reise in den Süden unternehmen um die Lande zu sehen, die Haus Zendîkar nun bewohnt. Arannís ist jedoch um Lóminîths Sicherheit besorgt."
"Die Gebiete im Süden sind umstritten," melnte Hasaël. "Doch wenn der junge Balkahil glaubt, seiner Verlobten sicheres Geleit bis zu seiner Heimat zu versprechen..."
Er wurde von einer neuen Stimme unterbrochen. "Das kann er nicht, Vater. Denn er ist gar nicht der, der er zu sein vorgibt, sondern nur ein gewöhnlicher gondorischer Hund!

Zutiefst erschrocken fuhren sie herum. Dort stand kein anderer als Mustqîm... gehüllt in die feinen Gewänder eines haradischen Adeligen.
"Was sagst du da, Bastard?" rief Hasaël aufbrausend.
"Dies ist eine Verschwörung gegen Euch!" sagte Mustqîm und zeigte überheblich auf Valion. "Und diese Verräter von Adeligen sind mit den Gondorern im Bunde!"
Hasaël richtete wutentbrannt seinen Blick auf Minûlîth und Valion. "Wachen! Ergreift sie!"
Doch anstatt der Antwort der Palastwachen erklang von unten, aus der Stadt, ein lauter, anhaltender Hornstoß. Und bei diesem Signal brach in der Festhalle Chaos aus.

Bedienstete zogen Dolche und andere Waffen aus ihren Gewändern und sogar einige der Gäste schienen auf der Seite der mysteriösen Angreifer zu sein. Die meisten Wachen im Raum wurden sofort niedergestochen, doch auf Hasaëls Ruf hin eilten weitere Gardisten in die Halle und wilde Kämpfe brachen aus. Valion sah, wie mehrere der von Hasaël eingeladenen Prinzen und Fürsten bereits tot am Boden lagen während andere verzweifelt versuchten, dem Chaos zu entrinnen, doch die Eingänge der Halle waren hoffnungslos verstopft. Und nun erreichten die mysteriösen Angreifer auch den Balkon.
"Assassinen!" rief Ta-er as-Safar und zauberte einen langen Dolch aus dem Ärmel ihres Kleides hervor. In einer fließenden Bewegung schnitt sie die untere Hälfte ihres Rocks ab und gewann sofort an Beweglichkeit, als ihre Knie frei wurden.
"Verräterin!" rief einer der Assassinen Ta-er zu und schleuderte einen Wurfdolch in ihre Richtung, doch sie duckte sich darunter hinweg. Sogleich gingen zwei weitere Assassinen mit gezogenen Dolchen auf sie los und ein heftiges Gefecht entbrannte.

Valion, der unbewaffnet war, hob die Pike einer gefallenen Palastwache auf und stellte sich schützend vor Minûlîth und Arannís, die noch immer am Geländer des großen Balkons standen. Er suchte den Raum mit den Augen nach Lóminîth ab, und sah, wie es seiner "Verlobten" gelang, durch eine der Seitentüren zu entkommen.
"Wo ist Hasaël?" rief Minûlîth über den Lärm hinweg.
"Dort hinten! Er entkommt!" antwortete Arannís und zeigte in Richtung des hinteren Endes des Balkons, wo Mustqîm gerade eine verborgene Tür in der Wand geöffnet hatte, die an der kurzen Seite des Balkons lag.
"Er darf uns nicht entwischen!" stellte Minûlîth fest und zog Valion eilig mit sich. Doch da sah er, wie einer der Assassinen Ta-er den Dolch aus der Hand schlug. Er überlegte nicht lange sondern handelte rasch. Valion schüttelte Minûlîths Hand ab und rannte zu Ta-er hinüber, wo er die Pike auf den Rücken des Assassinen niedergehen ließ. Diese Ablenkung war alles, was Ta-er benötigt hatte. Blitzschnell entwand sie dem zweiten Angreifer dessen Schwert und stieß es ihm ins Herz.
"Danke," keuchte sie, doch Valion blieb keine Zeit. Er rannte zurück zu Minûlîth.
"Zu spät," stellte diese fest. "Sie haben die Tür hinter sich verriegelt. Hasaël ist entkommen. Hoffen wir, dass er es nicht aus der Stadt heraus schafft und dass Edrahils Mission ein Erfolg war... sonst war all das hier umsonst."
Arannís drückte Minûlîths Hand. "Nein, nicht umsonst. Ich bin frei, und Umbar wird es auch bald sein."
"Vielleicht," gab Minûlîth zurück. "Wir werden sehen. Ich schlage vor, wir verschwinden von hier und begeben uns zum Treffpunkt. Morgen früh werden wir wissen, was wir heute erreicht haben."

Sie verließen den Balkon. In der Festhalle waren die Kämpfe zum Erliegen gekommen. Die Assassinen waren verschwunden. Die Gruppe konnte den Palast ohne Hindernisse durchqueren und traf unterwegs auf Lóminîth, die zum Glück unversehrt geblieben war. Gemeinsam begaben sie sich zum Treffpunkt um auf Edrahil und die anderen zu warten.


Valion, Minûlîth, Lóminîth, Arannís und Ta-er as-Safar auf die Straßen von Umbar
« Letzte Änderung: 3. Feb 2019, 21:58 von Fine »
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Flucht aus dem Palast
« Antwort #10 am: 20. Nov 2016, 11:26 »
Als sie die Treppe aus dem Kerker hinauf gingen, machte Edrahils schlechtes Bein sich zum ersten Mal während der Operation bemerkbar. Valirë, die bereits das obere Ende der Treppe erreicht hatte, schien zu bemerken dass etwas nicht stimmte, als sie sich umwandte und zu ihm und Lothíriel hinunterblickte.
"Ist alles in Ordnung?", fragte sie, und Edrahil war über den beinahe fürsorglichen Ton ihrer Stimme überrascht. Er hatte eher mit einer spöttischen Bemerkung gerechnet, selbst nachdem er ihre Reaktion bei Mustqîms Flucht vor einigen Tagen gesehen hatte. Vielleicht sollte er doch einmal ein klärendes Gespräch mit ihr führen... doch nicht jetzt.
Er winkte beruhigend ab, während er sich mit der anderen Hand das Knie rieb. "Alles in Ordnung. Wir sollten weiter."
Valirë zögerte kurz, zuckte dann aber mit den Schultern und trat hinaus auf den oberen Flur, während Edrahil und Lothíriel ihr so schnell folgten, wie Edrahils Bein es zuließ.
"Ich hatte gehofft, dass ihr mich findet", meinte Lothíriel, die bislang geschwiegen hatte, sich aber allmählich vom Schock ihrer plötzlichen Befreiung zu erholen schien. "Ich wusste ja, dass ihr in Umbar sein musstet - und wenn Hasael euch bereits gefangen hätte, hätte er mich sicherlich damit verspottet."
"Vermutlich", ächzte Edrahil, und streckte, am oberen Ende der Treppe angekommen, sein Bein mehrfach durch, bis die Schmerzen nachließen.
"Aber ich wusste nicht, ob ihr über mich Bescheid wusstet, und... ich hatte schon die Hoffnung aufgegeben." Lothíriel ließ den Kopf hängen, doch Valirë warf mit einem Augenzwinkern ein: "Aber du weißt doch, dass Edrahil immer alles weiß."
"Nicht immer alles, leider", stieß Edrahil hinter zusammengebissenen Zähnen hervor.
Ich werde allmählich zu alt für solche Unternehmungen...
"Wie habt ihr mich eigentlich gefunden?", fragte Lothíriel, während sie dem Gang in Richtung des Bibliotheksturms folgten. Während sie gingen, warf Edrahil immer wieder Blicke über die Schulter und lauschte auf weitere Schritte, denn inzwischen waren sie keineswegs länger unauffällig, bewaffnet, mit blutbespritzter Kleidung und in Begleitung einer wertvollen Gefangenen.
"Wie schon gesagt, wir hatten ein wenig Hilfe von Leuten mit Zugang zum Palast, die Hasael ebenfalls nicht wohlgesonnen sind."
"Und ihr seid euch sicher, dass das keine... Falle ist?"
Edrahil zögerte einen Augenblick, bevor er antwortete: "Hasael hatte euch bereits, mich so weit kommen zu lassen nur um mich in eine Falle zu locken ist viel zu riskant. Und außerdem... vertraue ich meinen Kontakten."
"Tut ihr?", fragte Valirë ungläubig. "Das habt ihr aber sehr gut verborgen..."
"Bis vor ein paar Augenblicken habe ich das auch nicht", gab Edrahil zurück. Erst der bislang so glatte Verlauf dieses Abends hatte ihn überzeugt, dass Minûlîth es tatsächlich ernst meinte. Wie leicht wäre es für sie gewesen, über Lothíriels Zelle zu lügen, oder ihre Waffen nicht wie besprochen zu verstecken, oder die Wachen vorzuwarnen, ohne dass er Gelegenheit gehabt hätte, es rechtzeitig zu erfahren.
Er wollte gerade weitersprechen, als er Schritte aus dem Gang vor ihnen hörte.
"Wachen, vor uns", sagte er, und im selben Moment fuhr Valirës Schwert aus der Scheide. Nur einen Herzschlag später bogen zwei mit Hellebarden bewaffnete Wächter im Laufschritt um die Ecke, hinter der der Bibliotheksturm lag, und blieben beim Anblick der Eindringlinge wie angewurzelt stehen. Bevor sie jedoch ihre Waffen zum Angriff senken oder Alarm geben konnten, war Valirë bereits auf sie zugestürmt, duckte sich unter ihren Hieben weg und schlitterte dann auf dem glatten Boden des Ganges zwischen hindurch. Dabei versetzte sie dem einen mit dem Schwert einen Rückhandhieb gegen die ungepanzerte Wade der ihn auf die Knie gehen ließ, kam hinter ihnen wieder auf die Füße und rammte dem anderen aus der Bewegung hinaus ihr Schwert in den Nacken, sodass es aus dem vor Schreck geöffneten Mund des Mannes wieder hervortrat.
Dann riss sie das Schwert wieder aus ihrem gefallenen Gegner heraus und versetzte dem anderen Wächter einen zweihändig geführten Schwerthieb gegen den Kopf, bevor er wieder auf die Füße kommen konnte, und Blut und Knochensplitter spritzen an die Wand des Ganges.

Das ganze hatte gerade lange genug gedauert, dass Lothíriel einen kurzen Entsetzensschrei hinter vorgehaltener Hand ausstoßen konnte. "Du solltest wirklich auch mal ein bisschen Schwertkampf lernen. Ich bringe dir gerne ein paar Tricks bei", sagte Valirë als wäre nichts bedeutendes geschehen, während sie einige Blutstropfen von ihrer Klinge schüttelte.
"Das könnte tatsächlich nicht schaden", meinte Edrahil, und ertappte sich bei dem Gedanken wie froh er war, dass Valirë und ihr Bruder auf seiner Seite standen. "Aber wir sollten weiter, denn wo zwei Wachen sind, sind auch mehr." Außerdem war ihm aufgefallen, dass wie beiden Männer sehr eilig in Richtung des Festes, von dem, wie ihm jetzt klar wurde, auch keine Musik mehr zu hören war, unterwegs gewesen waren. Irgendetwas musste auf dem Fest vorgefallen war, doch er hatte jetzt keine Zeit sich darum zu kümmern. Bis er seinen Teil des Plans ausgeführt hatte, waren Valion und Minûlîth auf sich selbst gestellt.
"Könnt ihr weitergehen?", fragte er an Lothíriel gerichtet. Die Prinzessin hatte die Hand vom Mund gesenkt, doch ihre grauen Augen waren noch immer weit aufgerissen. Dennoch nickte sie, und sagte: "Ja, lasst uns... lasst uns weitergehen, und diesen Ort verlassen."
Als sie über die Leichen der unglücklichen Wächter hinwegstiegen dachte Edrahil bei sich, dass Lothíriel eindeutig die Tochter ihres Vaters war. Sie war zwar keine Kämpferin wie Valirë und den Anblick von Blut und Leichen wenig gewohnt - und erst recht nicht, wie Männer direkt vor ihren Augen getötet wurden - doch sie war auf andere Art und Weise stark, und mit Sicherheit stark genug um sich in der Welt zu behaupten. Er hoffte, dass Hasaels Neffe Qúsay wusste, wie viel er mit diesem Verlöbnis außer der Unterstützung Gondors für seine Sache gewonnen hatte.

Sie erreichten die Bibliothek ohne weitere Zwischenfälle, und als Edrahil in den Raum kam, sah er gerade Bayyin mit einer kleinen Lampe in der einen und einer Schriftrolle in der anderen Hand eine der gewundenen Treppen auf die unterste Ebene hinabkommen. "Hast du gefunden, was du gesucht hast?"
"Ich denke schon", erwiderte der Bibliothekar etwas atemlos, als er unten angekommen war und ihnen gegenüberstand. "Es war ziemlich versteckt, aber wie es aussieht habe ich es ja gerade rechtzeitig geschafft."
"Darf ich vorstellen, Bayyin, ein Schreiber mit... vielen Talenten", mischte Valirë sich mit einem dezent anzüglichen Grinsen ein. "Bayyin, das ist die hochwohlgeborene Prinzessin Lothíriel von Dol Amroth. Bitte mach einen Knicks."
Edrahil unterdrückte ein genervtes Aufstöhnen, und blickte nervös zur geschlossenen Tür, doch vom Gang her waren keine Schritte zu hören und kein Lichtschein kroch unter der Tür hervor. Auf Bayyins verwirrten Blick hin neigte Lothíriel anmutig den Kopf, und sagte: "Das wird nicht nötig sein. Um genau zu sein, ist es meistens besser nicht so genau auf Valirës Ideen zu hören."
Der Blick, den sie Valirë zuwarf verriet Edrahil allerdings, dass die Prinzessin ihre Anspielung auf Bayyins Talente nur allzu gut verstanden hatte. "Und auch wenn ich deine Ideen keineswegs vermisst habe, liebe Valirë, freue ich mich doch sehr dich zu sehen."
Weitere Gefühlsausbrüche wusste Edrahil zu verhindern. "Schön, dass sich alle verstehen, aber wir sollten allmählich wirklich hier verschwinden."
Er ging bereits auf den geheimen Ausgang zu, während Valirë sagte: "Ihr wiederholt euch, Edrahil... aber ihr habt trotzdem recht. Wir sollten erst feiern, wenn wir wirklich in Sicherheit sind."
"Das dürfte dann in Dol Amroth sein", gab Edrahil ironisch zurück, stieß die Tür auf, und trat hinaus auf die Straßen der Stadt.

Edrahil, Valirë, Bayyin und Lothíriel auf die Straßen von Umbar
« Letzte Änderung: 22. Jan 2020, 16:10 von Fine »

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Eandril

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Re: Der Fürstenpalast
« Antwort #11 am: 27. Feb 2020, 18:45 »
Edrahil und Hírilorn von den Straßen der Stadt

Auf dem Innenhof des Palastes standen sich zwei Gruppen von Männern gegenüber, an ihren Spitzen Qúsay und Hasael. Hasaels Gruppe war jedoch deutlich kleiner, und seine Männer wirkten erschöpft und verwundet.
Gerade als Edrahil und Hírilorn den Innenhof betraten, rief Qúsay: "Komm, Onkel. Stell dich mir. Oder willst du noch mehr deiner Söhne vorschicken?"
"Ich kann jederzeit ein paar neue machen", gab Hasael zurück, doch Edrahil entgingen die verschleierte Erschöpfung und Wut in seiner Stimme nicht. "Aber na schön. Wenn ich dich wie einen Hund abgeschlachtet habe, wird dein lächerliches Bündnis zerfallen, und schon bald wird Umbar wieder mir gehören, Málik." Er sprach das letzte Wort aus wie eine Beleidigung, und spuckte dann auf die Pflastersteine.
Ohne ein weiteres Wort trat Qúsay mit gezogenem Schwert vor, und Hasael tat es ihm gleich.
"Warum geht er dieses Risiko ein?", fragte Hírilorn leise. "Er hat gesiegt, jeder kann das sehen."
"Aus zwei Gründen, vermute ich", erklärte Edrahil, als die Schwerter von Onkel und Neffe zum ersten Mal zusammenprallten. "Erstens verringert es die weiteren Verluste, wenn er Hasael jetzt tötet. Und zweitens würde es die Schmach seiner Niederlage im Zweikampf gegen Valirë mehr als wettmachen, wenn er Hasael im Zweikampf besiegt." Edrahil hatte kaum zu Ende gesprochen, als Qúsay einem Schwerthieb gewandt auswich, und stattdessen Hasael seine eigene Klinge tief in den Leib rammte. Hasael ließ sein Schwert fallen, das klirrend auf den Steinen aufkam, und stürzte nach hinten. Qúsay fing ihn auf, und schien ihm etwas ins Ohr zu flüstern, bevor der den Fürsten auf die blutigen Steine fallen lies, ihm die Spitze seines Schwertes auf das linke Auge setzte zustieß.
"Offenbar war es doch ein geringeres Risiko als gedacht", bemerkte Edrahil trocken, und begann sich einen Weg durch die Soldaten hindurch nach vorne zu bahnen. Qúsay wischte sich gerade mit der Hand den Schweiß von der Stirn, bevor er Edrahil bemerkte.
"Ihr seid früh hier, Edrahil", meinte er. "Der Leichnam meines Onkels ist noch nicht einmal kalt." Seine Stimme war bemüht neutral, doch Edrahil entging das Leuchten Qúsays Auge nicht.
"Ich gratuliere euch zu eurem Sieg", erwiderte Edrahil, und bemerkte, wie Dírar sich neben ihn stellte. "In Gondors Namen - und in meinem eigenen."
"Kein vollständiger Sieg", stellte Qúsay fest. "Mein Vetter Abbas ist anscheinend entkommen, und Minastir befindet sich in Ain Salah als Mündel des dortigen Fürsten." Er warf einen Seitenblick auf Hasaels Leiche. "Ich werde dafür sorgen, dass er uns ausgeliefert wird. Dírar?"
"Die meisten der Verteidiger haben sich inzwischen ergeben", berichtete Dírar. "Lediglich im Norden der Stadt halten sich noch einige, doch ich nehme an, dass auch sie aufgeben werden, sobald sich die Nachricht von Hasaels Tod verbreitet. Allerdings..."
"... steht inzwischen die halbe Stadt in Flammen", beendete Edrahil den Satz für ihn. "Qúsay, ihr müsst... ich rate euch, euren Männern zu befehlen, beim Löschen zu helfen."
Qúsay zögerte, und seine Kiefer arbeiteten sichtlich. Edrahil konnte sich mühelos vorstellen, was er dachte. Dass es nur gerecht wäre, diese Stadt, die sich ihm so lange widersetzt und ihn so viel gekostet hatte, vollständig niederbrennen zu lassen. Tatsächlich war der Gedanke verlockend, denn Edrahil selbst hegte Umbar gegenüber auch keine große Zuneigung.
Es war Dírar, der als erstes sprach: "Wir brauchen Umbar, Malik. Wir brauchen den Hafen, wir brauchen Umbars Händler, Fischer und Nahrungsvorräte, die Schmieden und Werkstätten... Wollt ihr ein Fürst ohne Stadt sein?"
Qúsay schüttelte den Kopf. "Nein. Ihr habt Recht. Veranlasst alle Männer, die wir entbehren können, beim Löschen zu helfen." Die Offiziere, die in der Nähe gestanden hatten, salutierten, und eilten davon.
"Und dann wüsste ich gerne, wie diese Brände entstanden sind."
"Sie sind ein Geschenk einer lieben Feindin, fürchte ich", mischte sich eine neue, tiefe Stimme ein." Aus der Menge der Soldaten trat ein hochgewachsener Mann mit dunkelbraunen, geölten Haaren und einem geflochteten Vollbart hervor. Er war in eine unauffällige, aber gut gearbeitete Lederrüstung gekleidet, und trug eine Armbrust auf dem Rücken.
"Grüße vom Schattenfalken", sagte er, und verneigte sich. "Mein Name ist Ifan ben-Mezd."
"Eayan schickt euch?", fragte Edrahil mit erhobener Augenbraue, und Ifan nickte: "Ich gehöre zwar nicht dem Silbernen Bogen an, doch Eayan und ich sind alte Freunde, die oft zusammengearbeitet haben. Falls euch das nicht genügt: Darauf könnt ihr euch verlassen. In eurer Nähe geschieht immer etwas interessantes." Qúsay warf Edrahil einen fragenden Blick zu, und Edrahil nickte. Er glaubte nicht, dass irgendjemand die letzten Worte, die Eayan zu ihm gesagt hatte, von jemand anderem als Eayan selbst erfahren haben konnte.
"Was habt ihr gemeint, ein Geschenk von einer alten Feindin?", fragte Qúsay, und Ifan zuckte mit den Schultern.
"Saleme, wer sonst? Eayan hat mich geschickt, um euch zu warnen, dass sie irgendetwas mit Umbar plant. Dass sie allerdings gleich die halbe Stadt abbrennen würde... damit hätte ich nicht gerechnet. Und leider seid ihr ein wenig schneller mit eurer Eroberung gewesen, als ich erwartet habe. So kommt meine Warnung ja offenbar ein wenig zu spät."
"Ich weiß eure Mühen trotzdem zu schätzen", erwiderte Qúsay. "Und einen Mann mit euren Talenten könnte ich in meinen Reihen vielleicht gebrauchen."
"Wir werden sehen", gab Ifan zurück. "Ich habe mich in einem Haus ein wenig nördlich von Umbar eingenistet - Edrahil sollte wissen, wo."
Mit diesen Worten war er auch bereits wieder verschwunden.
"Saleme", sagte Qúsay düster. "Eines Tages wird sie mir in die Hände fallen, und dann..." Er rief sich sichtlich zur Ordnung, und wechselte das Thema. "Dírar. Was gibt es sonst zu berichten?"
"Nicht viel. Die Brände geraten an vielen Stellen außer Kontrolle, da einige Brunnen plötzlich versiegt zu sein scheinen."
"Salemes Werk", kommentierte Edrahil.
"Von eurem Vetter Abbas weiterhin keine Spur, wir nehmen an, dass er irgendwo im Süden der Stadt über die Mauer gestiegen und geflohen ist. Wahab ist am Tor gefallen, Watar und Yusuf habt ihr selbst erschlagen. Meneldur ist ebenfalls auf den Mauern getötet worden, und man hat Calmacils Leiche auf den Straßen gefunden - er ist wohl von der Menge in Stücke gerissen worden." Mit einem Gesichtsausdruck, als wäre ihm übel, fügte Dírar hinzu: "Buchstäblich."
Qúsays Gesicht zeigte keine Regung. "Bleiben noch Arannís und ihr jüngster Sohn."
"Keine Spur von beiden", berichtete Dírar. Edrahil spürte Hírilorns Blick, schwieg jedoch.
"Sie werden sich nicht lange verstecken können", meinte Qúsay. "Früher oder später werden wir sie finden."

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Eandril

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Re: Der Fürstenpalast
« Antwort #12 am: 21. Apr 2021, 10:01 »
"... und die alten Handelshäuser der Stadt - was von ihnen noch übrig ist - haben uns ihre Unterstützung signalisiert sofern Umbars Sonderstellung als unabhängige Stadt gewahrt bleibt." Dírars Stimme hallte in dem kahlen Zimmer wieder. Nach dem Fall Umbars hatte Qúsay sämtliche Banner, Wandteppiche und sonstige Dekorationen mit Hasaels Zeichen aus dem Palast entfernen lassen, mit dem Ergebnis, dass Wände und Böden nun fast überall nur noch nackter Stein waren. Edrahil stimmte Qúsay zu, dass es notwendig war die Spuren seines Vorgängers so weit wie möglich zu beseitigen, doch er kam nicht umhin zu bemerken, dass der Palast nun sehr viel kälter und abweisender wirkte als zuvor.
Qúsay seufzte. "Was befürchten sie eigentlich? Dass ihre sie demnächst Abgaben an irgendein anderes Fürstentum zahlen müssen? Ich bin der Fürst von Umbar, also sind ihre Befürchtungen vollkommen sinnlos."
Edrahil fing den verstohlenen Blick seines Sohnes auf, und nickte knapp. Seiner Meinung nach ging Qúsay sehr geschickt mit den Forderungen und Befürchtungen der vielen Fraktionen in Umbar um. Er beruhigte ihre Ängste während er gleichzeitig keinen Zweifel daran ließ, wer der Herr von Umbar war. Mehr und mehr gewann Edrahil den Eindruck, dass Qúsay auch in Zukunft, wenn sie nicht alle im Kampf gegen Mordor untergingen, ein guter Nachbar für Gondor sein könnte.
"Ich werde es ihnen mitteilen", erwiderte Dírar mit einer leichten Verbeugung. "Nun, wollen wir einmal sehen...", fügte er in Gedanken hinzu, und fasste dann zusammen: "Die Adelshäuser der Stadt haben sich unterworfen und uns militärische Unterstützung zugesichert - wenn auch ein wenig zähneknirschend. Die Vertreter der Bürger heißen ihren rechtmäßigen Fürsten willkommen, doch die fürchten eine Hungersnot in der Stadt als Folge der Belagerung und der Brände in der Nacht der Eroberung."
"Nahrunglieferungen von den umliegenden Stämmen könnte diese Furcht lindern", schlug Edrahil leise vor. Qúsay blickte ihn aufmerksam an, und nickte schließlich knapp. "Sie werden nicht in Jubel darüber ausbrechen - vor allem die Qahtan besitzen keine Liebe für Umbar. Doch eine Hungersnot hier könnte alles zunichte machen was wir erreicht haben. Vor allem, wenn zwei von Hasaels Söhnen noch frei herumlaufen." Edrahil behielt seinen gleichmütigen Gesichtsausdruck mit ein wenig Mühe bei, was Erchirion weniger gut gelang. Der Prinz von Dol Amroth zeigte für einen kurzen Augenblick offen seine Bestürzung und Überraschung, doch glücklicherweise war Qúsays Blick fest auf Edrahil gerichtet.
"Zwei sogar?", fragte Edrahil mit erhobener Augenbraue. "Ich war der Meinung, dass sie alle in der Schlacht gefallen wären." Tatsächlich hatte er vorgehabt, die Tatsache, dass sich Arannis und ihr jüngster Sohn in Gondors Gewahrsam befanden, nicht viel länger geheim zu halten. Da Qúsay offenbar auf anderem Wege davon erfahren hatte, brauchte er Zeit.
"Alle bis auf zwei", erwiderte Qúsay. Seine Stimme war eiskalt. "Calmacils Aufenthaltsort ist noch immer unbekannt, aber ich nehme an, dass er in Richtung Osten geflohen ist. Anders ist es mit Menelmir und seiner Mutter. Sie wurden in der Nacht der Eroberung gesehen, und einige der Zeugen waren sich sicher, dass sie in Gesellschaft eurer Verlobten waren." Bei den letzten Worten nickte der knapp in Erchirions Richtung.
Edrahil zuckte mit den Schultern. "Nun, diese Leute sprechen die Wahrheit. Arannis und ihr Sohn befinden sich tatsächlich im Augenblick im Gewahrsam Gondors."
Er spürte Dírars besorgten Blick geradezu, wandte sich allerdings nicht von Qúsay ab, der die Zähne zusammenpresste und bemüht ruhig sagte: "Besser, ihr erklärt euch schnell."
"Als ich ihr in jener Nacht auf den Straßen begegnete, fürchtete sie um ihr Leben und vor allem um das ihres einzig verbliebenen Sohnes", begann Edrahil zu erklären. "Ich hielt diese Furcht für berechtigt, und gleichzeitig hielt ich es für ungünstig einen Jungen unter zehn Jahren womöglich hinzurichten - ganz gleich, wer sein Vater ist. Sie schwor mir in diesem Augenblick im Namen ihres Sohnes, euren Anspruch auf Umbar anzuerkennen."
"Und wann hattet ihr vor, mich darüber zu unterrichten?", fragte Qúsay, noch immer gezwungen ruhig. Edrahil antwortete wahrheitsgemäß: "Heute. Ich habe abgewartet bis eure Herrschaft über Umbar gesichert ist - soweit, wie das im Augenblick möglich ist. Diese Tag ist heute gekommen."
Qúsay wandte sich an Erchirion. "Ihr wusstet darüber Bescheid?"
Erchirion neigte respektvoll den Kopf, bevor er antwortete: "Ja, und ich habe Arannis und ihren Sohn im Namen Dol Amroths unter meinen Schutz gestellt. Doch ich kann euch mein Ehrenwort geben, dass dies nicht geschah um euch den Anspruch auf Umbar streitig zu machen, Malik. Ihr seid mit meiner Schwester verlobt, und werdet nach der Hochzeit ebenso mein Bruder sein wie meine leiblichen Brüder. Ihr seid unser Verbündeter im Kampf gegen jenen, der die ganze Welt bedroht. Welche Gründe könnte ich da haben, euch zu schaden?"
Qúsay atmete tief durch, und entspannte sich dann sichtlich. "Ich... danke euch für eure Offenheit, Erchirion", sagte er, bevor er sich Edrahil zuwandte. "Und euch, Edrahil, wird eure Geheimniskrämerei eines Tages um Kopf und Kragen bringen."
Edrahil nickte ungerührt. "Ohne Zweifel. Doch in diesem Fall war ich nie in Sorge." Dírar lächelte ihm verstohlen zu, doch Qúsay schüttelte nur ungehalten den Kopf. "Ihr müsst mich für einen außergewöhnlich schwachen Herrscher halten wenn ihr sicher wart, damit durchzukommen."
"Ganz im Gegenteil", meinte Edrahil ernst. "Wärt ihr ein schwacher Herrscher, hätte ich vermutlich trotz aller Beteuerungen den Kopf verloren - vielleicht sogar, bevor ihr mich überhaupt angehört hättet."
Qúsay warf einen Blick auf die Karte von Harad, die auf dem großen Tisch in der Mitte des Raumes ausgebreitet war, und sagte dann: "Also schön. Arannis und Menelmir soll für die Zeit in Gondor Zuflucht gewährt werden. Wir haben ohnehin andere Schwierigkeiten. Durch den Nahrungsmangel in Umbar können wir nicht mehr lange hierbleiben, und die Zeit drängt ohnehin. Je länger wir Suladân Zeit lassen sich vorzubereiten, desto schwieriger wird unser Vorhaben." Er schwieg einen Augenblick, und alle warteten stumm, wie der Malik entscheiden würde. "Übermorgen, zwei Stunden vor Sonnenaufgang, soll das Heer bereit stehen. Wir marschieren nach Osten... direkt nach Ain Salah. Wir nehmen die Stadt - auf die eine oder andere Art - und nutzen sie als Basis für den Vorstoß nach Qafsah." Er blickte auf zu Dírar, der nickte und aus dem Raum eilte. Qúsay wandte sich an Erchirion. "Wie sieht es mit der Unterstützung Gondors aus?"
Der Prinz fühlte sich sichtlich etwas unbehaglich, doch er antwortete ohne zu zögern: "Ich kann euch nicht viele Krieger bieten, die meisten meiner Männer sind Seeleute die ihre Schiffe nicht für einen langen Feldzug verlassen können. Unsere Hilfe wäre also eher symbolischer Art."
"Nun, jedes bisschen Hilfe ist höchst willkommen", entgegnete Qúsay, ohne den Blick von Erchirion abzuwenden, und Edrahil hatte beinahe ein wenig Mitleid mit dem Prinzen. Er kannte diesen Blick, und es war nicht leicht seiner Kraft zu widerstehen. "Ich werde so viele Männer sammeln wie möglich, und mit euch nach Qafsah ziehen", antwortete Erchirion schließlich. "Valirë wird die Flotte nach Hause führen."
Bei den letzten Worten musste Edrahil ein Lächeln unterdrücken. Wenn Erchirion glaubte, seine Verlobte würde ihn in den Krieg ziehen lassen und selbst in die Sicherheit Dol Amroths zurückkehren, dann kannte er Valirë schlecht.

Edrahil, Qúsay und Erchirion vor die Stadt
« Letzte Änderung: 26. Apr 2021, 14:22 von Fine »

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