Name: Aldoc Tuk
Geschlecht: Männlich
Rasse: Hobbit
Alter: 32 (geboren 2990 D.Z.)
Geburtsort: Tuckbergen (Auenland)
Start: DunlandAussehen:Aldoc zählt mit seinen über 4 Fuß zu den größeren Hobbits. Er ist (für Hobbit-Maßstäbe) ziemlich schlank und auch ein wenig muskulös. Er besitzt grüne Augen und schwarzes Haar, sowie eine kleine Narbe unter dem rechten Auge, die er sich bei einem seiner "Abenteuer" zugezogen hat.
Charakter:Aldoc ist für einen Hobbit ziemlich abenteuerlustig, was wahrscheinlich an seinem Tuk-Blut liegt, und zeigt zudem auch eine Menge Mut, vor allem wenn es darum geht, etwas neues zu wagen. Er gibt so gut wie nie auf, sondern sucht immer nach einem Ausweg, auch wenn die Situation ausweglos scheint. Er ordnet sich nicht gerne unter, da er sich sonst in seiner Freiheit eingeschränkt fühlt, aber kann dennoch Befehle befolgen, wenn er die Notwendigkeit dazu sieht. Außerdem hört er bei Gesprächen zumeist erst zu, bevor er seine eigenen Gedanken äußert. Schon seit dem Kindesalter ist Aldoc fasziniert von Elben und Zwergen. Er bewundert sie und ihre Handwerkskunst und liebt Geschichten über diese Wesen und über fremde Länder, weshalb er auch stets ein begeisterter Zuhörer bei Bilbos Erzählungen ist.
Allerdings hält sich Aldoc nicht gerne an Orten auf, an denen es viele Leute auf engem Raum gibt. Von solcherart Ansammlungen, wie es sie zum Beispiel auf Festen, in Großstädten oder Heeren gibt, hält er sich wenn möglich fern. Auch gibt es eine Sache, die seinem Mut entgegenwirken kann: Wölfe, vor denen er aufgrund eines traumatischen Erlebnisses in seiner Kindheit eine höllische Angst hat.
Fertigkeiten:+Gut im Schleichen
+Mutig (kann in Gefahrensituationen die Ruhe bewahren)
+Kann Lesen und Schreiben
+Spricht Quenya und Sindarin
+Kann schwimmen
-Durch seine Abenteuerlust bringt er sich oft selbst in Gefahr
-Kann gerade gut genug mit Schwert und Bogen umgehen, um im Kampf nicht vollkommen verloren zu sein, aber es gibt sehr viele wesentlich bessere Krieger
-Ungeeignet als Soldat in einem Heer, da er große Menschenmengen nicht mag und sich zu eingeengt fühlen würde, um ordentlich zu kämpfen
-Angst vor Wölfen
Ausrüstung:-Gemütliche Reisekleidung
-Ein Kurzschwert aus Mithlond
-Ein Hobbitbogen
-Pony "Bert"
-Satteltaschen und Rucksack mit Proviant und Landkarten
-Pfeifenkraut und Pfeife
Geschichte:Die Geschichte als PDFAldoc erklomm den Hügel, dessen steiler, steiniger Hang von den Wurzeln der Bäume durchzogen war, die hier überall wuchsen. Der Hobbit nutzte diese Wurzeln für den Aufstieg, ergriff sie und zog sich an ihnen hoch, während er seine nackten Füße in den Boden stemmte, um nicht abzurutschen.
Die Erde unter seinen lederartigen Sohlen war feucht vom Regen der vorangegangenen Nacht, noch immer hingen schwarze Wolken drohend am Himmel und trübten das Licht der mittaglichen Sonne. Hier im Schatten der Bäume würde sich die Feuchtigkeit noch lange halten, aber Aldoc störte sich nicht daran.
Für ihn zählte nur das Ziel, und das war der höchste Punkt des Hügels, der schon eher einem kleinen Berg ähnelte. Nun ja, richtige Berge hatte er noch nie gesehen, mit seinen neun Jahren war er noch nicht viel herumgekommen, aber der alte Bilbo von Beutelsend, der erzählte immerzu von den nebligen Bergen im Osten.
Höher als alles, was ihr euch vorstellen könnt, so beschrieb er sie immer, wenn er wieder mal eine seiner Geschichten zum Besten gab. Dann schüttelten die Erwachsenen nur den Kopf und murmelten etwas davon, wie seltsam dieser Bilbo doch sei, wohingegen die Kinder nur gebannt an seinen Lippen hingen.
Aldoc hätte so gerne einmal Berge gesehen, richtige, große Berge, nicht die Hügel im Auenland, die einer wie der andere waren. Eines Tages, so schwor er sich, würde auch er auf ein großes Abenteuer gehen, genau wie Bilbo Beutlin! Das hatte er auch seiner Mutter gesagt, die daraufhin herzhaft gelacht hatte. "Wirklich, Aldoc, du bist ein Tuk durch und durch."
Vater hingegen schien nicht sehr begeistert von den Ideen seines Sohnes zu sein. Obwohl er auch den Namen Tuk trug, zog er ein gemütliches Leben vor, wie die Boffins und Bolgers und Hornbläsers und wie die langweiligeren Hobbit-Familien alle hießen, die lieber zuhause Pfeife rauchten, anstatt hinaus in die Natur zu gehen und Abenteuer zu erleben.
Endlich erreichte Aldoc den Gipfel des Hügels und befand sich weit über dem Rest des Umlandes, welches er von hier aus wunderbar überblicken konnte. In der Ferne sah er den Rauch aus den Schornsteinen von Wasserau aufsteigen. Eigentlich lebten seine Eltern wie die meisten Tuks in Tuckbergen, aber hin und wieder hatte sein Vater Reginard an anderen Orten des Auenlandes zu tun und Aldoc begleitete ihn zumeist auf seinen Reisen.
Beim ersten Mal, als sie gemeinsam losgezogen waren, hatte er ganz ungeduldig immer wieder gefragt, wann sie denn zu den Trollhöhen kämen, oder zum letzten heimeligen Haus. Nach einiger Zeit hatte sein Vater genervt geantwortet: "Gar nicht! Du hast dem alten Bilbo viel zu lange zugehört. Du kommst niemals zu irgendeinem letzten Haus!"
Daraufhin war er fortgelaufen und hatte sich auf einem nahen Baum versteckt, wo sein Vater ihn Stunden später fand. Sein Zorn war gewaltig, das war ihm anzusehen, er wechselte an jenem Tag kein Wort mehr mit seinem Sohn und nahm ihn erst ein ganzes Jahr später wieder auf eine Reise mit.
Während sein Vater also in Wasserau zu tun hatte, streifte Aldoc durch die Umgebung, erforschte jeden Hügel, den er finden konnte, und stellte sich vor, in der Ferne die Nebelberge zu sehen, mit dem letzten heimeligen Haus im verborgenen Tal an der westlichen Flanke der Berge. Und dahinter der große Düsterwald und der einsame Berg mit der Stadt Thal vor seinen Toren. Nichts hätte er lieber getan, als dorthin zu reisen, ins große Reich der Zwerge, wo bisher nur ein einziger Hobbit gewesen war.
So sehr war er in seine Gedanken versunken, dass er die beiden gelben Augen, die ihn aus dem Unterholz musterten, zuerst gar nicht bemerkte. Als die Bestie jedoch schließlich mit leisen Schritten auf ihn zukam, die Zähne fletschte und ihn bedrohlich anknurrte, wurde er aus seinen Tagträumen vom Erebor gerissen und starrte entsetzt auf den Wolf, der keine zwei Meter vor ihm stand und ganz und gar nicht freundlich wirkte.
Ängstlich wich Aldoc einen Schritt zurück, aber der graue Wolf folgte ihm und kam immer Näher. Der Hobbit stieß mit dem Rücken gegen einen Baum, sodass er gefangen war zwischen ihm und der Bestie. Er hob die Hände schützend vor sich. "Ich bin nicht lecker, nein, bin ich nicht!", schrie er panisch. "Lass mich in Ruhe."
Der Wolf schien durch sein Geschrei nur noch wütender zu werden und schnappte nach dem jungen Halbling. Der Kiefer des Ungetüms schloss sich um einen kleinen Arm, unsäglicher Schmerz brachte Aldoc zum Kreischen, doch der Wolf ließ nicht locker.
Dann krachte auf einmal etwas silbernes auf die Schnauze des zornigen Tiers, das seine Beute losließ und sich der neuen Gefahr in Gestalt eines Hobbits mit Schwert stellte. Der unverhoffte Retter wedelte mit der Klinge vor den Augen des Wolfes herum und wirkte nicht einmal ansatzweise eingeschüchtert. "Ja, ja, an kleinen Kindern kannst du dich gütlich tun, aber jetzt bist du nicht Manns genug, mich anzugreifen?", rief der Hobbit herausfordernd. "Hau ab, du blödes Vieh, ich habe schon Wölfe brennen sehen, die waren drei Mal so groß wie du!"
Der Wolf duckte sich, wich aber nicht zurück, sondern knurrte den plötzlich aufgetauchten Feind an, der sich davon wenig beeindruckt zeigte und dem Raubtier ein weiteres Mal mit der Breitseite des Schwertes auf die Schnauze schlug. Gepeinigt jaulte der Wolf auf und zog sich nun endlich ein wenig zurück, bevor er sich komplett umdrehte und das Weite suchte.
Der Hobbit steckte das Schwert zurück in die Scheide an seinem Gürtel. Er besaß krauses Haar und ein rundliches Gesicht. Einfache Reisekleidung trug er, dieser kühne Hobbit, und einen Wanderstock hielt er in der linken Hand, ein Rucksack hing an seinem Rücken. Aldoc konnte nicht glauben, wer ihm da so unerwartet zu Hilfe gekommen war. "Herr Beutlin?", fragte der Junge ungläubig.
"Ruhig, mein Kind, lass mich das mal ansehen", sagte Bilbo und beugte sich zu ihm herunter. Er warf nur einen kurzen Blick auf die Wunde am Arm, dann nickte er geistesabwesend. "Er hat dich nicht schlimm erwischt. Die Wunde muss gereinigt und verbunden werden, aber es sollte schnell heilen. Du hast viel Glück gehabt, weist du das?" Der ältere Hobbit schüttelte den Kopf. "Ein Wolf, der so nahe an einer Siedlung ein Kind angreift, unglaublich. Entweder war er sehr, sehr hungrig oder etwas hat ihn aufgehetzt. Hat auf mich so launisch wie ein Warg gewirkt."
"Ein Warg?", fragte Aldoc, der dieses Wort nicht kannte.
"Ein sehr großer, aggressiver Wolf", erklärte Bilbo. "Üble Biester, diese Warge, Orks reiten auf ihnen. Steh auf, wir gehen nach Wasserau zu deinen Eltern."
"Da ist nur mein Vater", erklärte Aldoc dem Abenteurer. "Eigentlich wohnen wir in Tuckbergen. Ich bin nämlich ein echter Tuk, Herr Beutlin! Ein Urururenkel vom Alten Tuk!"
Der junge Hobbit stand mit Bilbos Hilfe auf. Gemeinsam machten sie sich auf den Weg zurück nach Wasserau. Aldoc wusste, dass sein Vater sehr wütend werden würde, sobald er erfuhr, was geschehen war, aber davor fürchtete er sich nicht. Wenn er jedoch an die Begegnung mit dem Wolf zurückdachte, lief ihm ein kalter Schauer über den Rücken. Lieber ertrug er zehn Mal eine Strafe seines Vaters, als dass er noch einmal dieser Bestie begegnete.
"Was hast du eigentlich bei dem Hügel gemacht, Herr Beutlin?", wollte Aldoc wissen.
"Ach..." Bilbo kratzte sich am Kopf. "Ich hab nur einen kleinen Spaziergang unternommen, mehr nicht. Du kannst froh sein, dass ich zufällig vorbeigekommen bin."
"Einen Spaziergang?" Das schien ihm nicht gerade logisch zu sein. "Von Hobbingen bis hierher?" Das war eine ziemlich weite Strecke für einen gewöhnlichen, kurzen "Hobbit-Spaziergang". Zumindest für die Verhältnisse normaler Hobbits. Bilbo war nicht normal, so viel war sicher.
"Nun, vielleicht wollte ich nicht mehr nach Hobbingen zurückgehen", gestand dieser.
"Du wolltest wieder auf ein Abenteuer gehen!", rief Aldoc aufgeregt. "Zum einsamen Berg, um einen Drachen zu töten?"
"Es gibt keinen Drachen mehr im Erebor", berichtigte der ältere Hobbit ihn.
"Oh..." Natürlich, Drachen waren Einzelgänger, er hätte sofort wissen müssen, dass es dort nur einen gegeben hatte! "Aber Spinnen, im Düsterwald, die gibt es noch, oder?"
"Ja, vermutlich schon, aber ich wüsste nicht, warum das wich..."
"Ich würde gerne mal so eine große Spinne sehen. Das muss sicher total aufregend sein!"
"Eklige Biester, diese Spinnen. Habe ich dir eigentlich schon Mal erzählt, wie mein Schwert seinen Namen "Stich" bekommen hat?"
Aldoc nickte heftig. "Ja, schon zwei Mal, aber erzähle es mir bitte trotzdem nochmal, Herr Beutlin!"
Bilbo seufzte resigniert. "Ich verliere langsam den Überblick, was ich welchem Kind im Auenland schon alles erzählt habe... also gut, ich erzähle es dir. Nachdem die dreizehn Zwerge unserer Gemeinschaft und ich uns am Saum des Düsterwaldes von Gandalf getrennt hatten, betraten wir diesen einst wundervollen Wald, der von einer dunklen Macht korrumpiert worden war..."
So viele waren gekommen! Wo man auch hinsah, tummelten sich Hobbits aus allen Gegenden des Auenlandes. Tuks von Tuckbergen, Boffins und Bolgers, der Alte Ohm und Willi Weißfuß, Bürgermeister von Michelbinge, und dann waren da natürlich noch die Sackheim-Beutlins, nahe Verwandte des alten Bilbo. Aber das war noch nicht alles, denn sogar aus Bockland waren Gäste gekommen, Brandybocks vom Brandygut beim Brandywein-Fluss. Aldoc hatte kurz Merry hier irgendwo gesehen, mit dem er entfernt verwandt war, da Merrys Mutter eine geborene Tuk war.
Ja, so viele Hobbits, überall saßen und liefen sie auf dem vollen Festplatz, und Aldoc mitten unter ihnen. Wie er das hasste! Große Mengen an Leuten bereiteten ihm einiges an Unbehagen. Er fühlte sich eingeengt, wie gefangen in einer engen Kerkerzelle, aus der es vorerst kein Entrinnen gab. Aber alle waren hier, bestimmt mehr als das halbe Auenland, also auch er.
Seine Beklemmung nahm stetig zu, während er über die Festwiese schritt und nach einem Ort suchte, an dem er allein und ungestört sein konnte, ohne die lästige, laute Gesellschaft unzähliger Hobbits, deren Gespräche sich hauptsächlich um die Frage drehten, welche unnützen Mathoms sie von Bilbo bekommen hatten.
Am Geburtstag eines Hobbits war es üblich, dass der Feiernde Geschenke an seine Gäste verteilte. Daher stand Herr Beutlin, der an diesem Tag seinen einundelfzigsten Geburtstag feierte, am Rande der Festwiese, begrüßte geladene und ungeladene Gäste und verteilte ein Geschenk nach dem anderen, meist Mathoms, nutzlose Gegenstände, die man zuhauf in jedem Smial fand, die den meisten Auenlandbewohnern jedoch zu schade zum Wegwerfen waren.
Natürlich war auch Aldocs Familie vom alten Bilbo herzlich begrüßt worden, all die Tuks aus dem Tukland. Ferumbras, der als nächstes Thain werden würde, Paladin Tuk mit Frau und Kindern und natürlich Adelard und Reginard, Großvater und Vater von Aldoc. Es gab noch viele Tuks mehr auf der Feier, aber Aldoc war nicht in der Stimmung, sie alle aufzuzählen.
Viel lieber dachte er daran, wie er von Herrn Beutlin begrüßt worden war. "Willkommen auf der Feier zu meinem einundelfzigsten Geburtstag!", hatte Bilbo Adelard und Reginard fröhlich gegrüßt und ihnen jeweils ein Geschenk überreicht. Dann war sein Blick zu Aldoc gewandert, der sichtlich nervös vom einen Bein auf das andere getreten war. "Na, an dich erinnere ich mich sehr gut!", waren Bilbos nächste Worte gewesen. "Der Junge, der mit dem Wolf aneinander geraten ist, nicht wahr? Für dich habe ich ein ganz besonderes Geschenk." Damit holte er einen weißen, spitzen Gegenstand hervor, der Aldoc entfernt an einen Dolch erinnerte, nur viel kleiner, aber nicht weniger gefährlich. Irgendwie rief der Gegenstand einen Zustand der Aufregung bei ihm hervor, der nicht von den vielen Leuten in seiner direkten Umgebung stammen konnte.
"Was ist das?", fragte der junge Hobbit und Bilbo antwortete: "Der Zahn eines Wargs. Davon gab es unzählige beim Erebor nach der Schlacht der fünf Heere. Hier nimm ihn."
Und so besaß Aldoc nun einen Zahn von einem großen, blutrünstigen Wolf, der vor langem in einer Schlacht weit weg vom Auenland verschieden war. Unwillkürlich legte er die Hand auf den Beutel an seinem Gürtel, wo er den Zahn hineingelegt hatte, woraufhin ihm die Anwesenheit so vieler Hobbits nicht mehr ganz so einengend vorkam. Dafür erfasste ihn ein ganz anderes Gefühl, das eher der Angst glich, die er dem Wolf gegenüber verspürt hatte, aber mit dieser Art der Furcht konnte er fertig werden.
Nach einiger Zeit, es war schon dunkel, das Festmahl war soeben vorbei, erhob sich Bilbo, um eine Rede zu halten, wie es nach dem Mahl auf einer Feier Sitte war. Aldoc richtete seine volle Aufmerksamkeit auf den alten Mann, der gar nicht so alt wirkte, und hörte gespannt zu.
"Meine lieben Leute", begann Herr Beutlin. Nach einigen Zwischenrufen ging er unter einen hell von Laternen erleuchteten Baum, wo er von neuem begann. "Meine lieben Beutlins und Boffins. Und meine lieben Tuks..." Aldoc fühlte sich direkt angesprochen, obwohl er wusste, dass seine ganze Familie gemeint war. "...und Brandybocks, Grubers und Pausbackens, Lochners und Hornbläsers und Bolgers, Straffgürtels, Gutleibs, Dachsbaus und Stolzfußens.."
"Stolzfüße!", kam ein Zwischenruf von einem älteren Hobbit. Aldoc warf ihm einen wütenden Blick zu, weil er hören wollte, was Bilbo zu sagen hatte, aber das bemerkte niemand, denn alle starrten nur gebannt auf den Gastgeber. Bilbo scherte sich nicht um den Einwand und fuhr fort:
"Stolzfußens. Außerdem meine guten Sackheim-Beutlins, die ich endlich wieder in Beutelsend willkommen heiße. Heute ist mein hundertelfter Geburtstag: einundelfzig bin ich heute!"
Jubelrufe kamen von den Zuhörern. Mussten die denn immer dazwischenfunken? Konnten sie nicht einfach still sein und Herrn Beutlin reden lassen? Der ließ sich wieder Mal nicht stören. "Ich hoffe, ihr freut euch ebenso sehr wie ich." Lauter Beifall, der Aldoc in den Ohren schmerzte, erklang. Einige bekundeten lauthals ihre Zustimmung, andere reifen spaßeshalber
nein. Ein paar Tuks und Brandybocks in seiner Nähe stellten geschwind ein Orchester auf und begannen einige fröhliche Lieder zu spielen. Konnte das etwa schon alles gewesen sein, die ganze Rede? Kein Wort von Abenteuern und großen Reisen? Enttäuscht stützte Aldoc den Kopf auf die Hände und war wohl der einzige Hobbit hier, der nicht in Feierlaune war. Plötzlich jedoch erklang drei Mal kurz hintereinander ein Horn, woraufhin wieder Stille einkehrte im Zelt. Bilbo war noch nicht fertig gewesen.
"Ich will euch nicht lange aufhalten!", versprach er den Anwesenden. "Ich habe euch alle aus einem bestimmten Grund zusammengerufen. Ja, eigentlich aus drei Gründen. Erstens vor allem, um euch zu sagen, dass ich euch alle unerhört gern habe und dass einundelfzig Jahre eine viel zu kurze Zeit sind, um unter so vortrefflichen und bewundernswerten Hobbits zu leben."
Der Beifall war so ohrenbetäubend, dass Aldoc sich die Ohren zuhielt, um nicht taub zu werden. "Ich kenne die Hälfte von euch nicht halb so gut, wie ich es gern möchte, und ich mag weniger als die Hälfte von euch auch nur halb so gern, wie ihr es verdient."
Schweigen und verhaltenes Klatschen. Adloc verstand nicht, was Bilbo da gesagt hatte, aber es klang aufregend. Bestimmt mochte der alte Gastgeber ihn!
"Zweitens", erklang Bilbos Stimme erneut. "Um meinen Geburtstag zu feiern. Eigentlich sollte ich sagen, UNSEREN Geburtstag. Denn es ist natürlich auch der Geburtstag meines Erben und Neffen Frodo. Heute wird er mündig und tritt sein Erbe an."
Aldoc kannte diesen Frodo vom Sehen her. Hatte wohl auch Tukblut in den Adern, das hatte er irgendwo einmal aufgeschnappt, aber ganz sicher war er sich nicht. Er suchte in der Menge nach dem erwähnten Erben des alten Herrn Beutlin, aber entdeckte ihn gerade nicht. Wie toll musste es sein, Bilbos Erbe zu sein und dieses Erbe heute... schlagartig wurde ihm bewusst, was Bilbo da gesagt hatte.
Frodo tritt sein Erbe heute an? Wie meint er das?"Zusammen sind wir hundertvierundvierzig Jahre alt. Die Zahl der Tischgenossen sollte dieser bemerkenswerten Gesamtsumme entsprechen: ein Gros, wenn ich den Ausdruck gebrauchen darf. Außerdem ist es, wenn ich die alte Geschichte erwähnen darf, der Jahrestag meiner Ankunft mit dem Fass in Esgaroth am Langen See; obwohl ich die Tatsache, dass es mein Geburtstag war, damals vergessen hatte. Ich wurde nämlich erst einundfünfzig, und in diesem Alter sind Geburtstage noch nicht so wichtig."
Da erwähnte er endlich seine Abenteuer, und anstatt sie zu erzählen, schweifte er ab und faselte etwas über die Wichtigkeit von Geburtstagen? Auf einmal erkannte Aldoc, dass diese Rede nicht mehr zu einer Geschichtsstunde mutieren würde, also sehnte er sich ihr Ende herbei. Schließlich sprach Bilbo noch vom Bankett in Esgaroth, bei dem er erkältet gewesen war, und bedankte sich noch einmal für die Anwesenheit seiner Gäste. Aldoc dachte sich indes nur, dass er doch endlich zum Punkt kommen sollte.
"Drittens und letztens", sagte Bilbo schließlich. "Möchte ich etwas KUNDTUN. Ich bedaure, es kundtun zu müssen, dass dies – auch wenn ich gesagt habe, einundelfzig Jahre in eurer Mitte seien eine viel zu kurze Zeit – das ENDE ist. Ich gehe nun. Ich verlasse euch JETZT.
LEBT WOHL!"
Dann stieg er vom Stuhl und verschwand in einem grellen Lichtblitz.
Aldocs erster, entsetzter Blick galt der Stelle, wo Herr Beutlin bis vor wenigen Sekunden gestanden hatte, sein zweiter Blick galt Gandalf, dem alten, bärtigen Zauberer in seinem grauen Mantel. Was hatte dieser Kerl mit Bilbo angestellt? Er musste es gewesen sein, außer ihm beherrschte hier niemand die Zauberei! Aldoc wollte schon wütend aufspringen und auf den Grauen Pilger deuten, da sah er die Besorgnis in dessen Gesicht.
Und mit diesem kurzen Zögern war die Gelegenheit auch schon verstrichen, Gandalf erhob sich von seinem Stuhl und verschwand in Richtung Beutelsend. Die restlichen Hobbits schienen das in der Aufregung, die auf Bilbos Verschwinden gefolgt war, gar nicht zu bemerken, aber Adloc sah es und fragte sich, was der alte Zauberer jetzt in Bilbos Smial wollte. Irgendetwas stimmte da ganz und gar nicht.
Jeder der anwesenden Hobbits redete nun aufgeregt mit seinen Nachbarn. Aldoc hörte etwas von einem "schlechten Streich" und dass der alte Bilbo einfach verrückt sei. Empören und Verwunderung waren die vorherrschenden Gefühle, wenngleich es einige, vor allem junge Hobbits gab, die die Vorstellung recht amüsant gefunden hatten. Schließlich verlangte der Großvater des jungen Merry von Frodo, er solle den Wein noch einmal kreisen lassen, und damit ging die Feier in gewisser Weise gewöhnlich weiter, das Hauptgesprächsthema war nun jedoch der Abschied von Bilbo.
Zu dieser Zeit verließ Aldoc das Fest und eilte geschwind nach Beutelsend, denn schon längst war ihm klar, wohin Herr Beutlin verschwunden sein musste. Auf einmal hörte er voraus im Dunkeln eine Stimme, die ein fröhliches Wanderlied sang:
Die Straße gleitet fort und fort,
Weg von der Tür, wo sie begann,
Weit überland, von Ort zu Ort,
Ich folge ihr, so gut ich kann.
Ihr lauf ich raschen Fußes nach,
Bis sie sich groß und breit verflicht.
Mit Weg und Wagnis tausendfach.
Und wohin dann? Ich weiß es nicht.
Da erkannte der junge Hobbit Bilbo, wie er mit seiner Reisekleidung, dem Wanderstab, dem Schwert Stich und dem Rucksack den Weg herunter kam, alles genau das selbe wie schon an jenem Tag, als er den Wolf in die Flucht geschlagen hatte. Als Bilbo des Jungen gewahr wurde, der auf dem Weg stand und ihm entgegen starrte, hielt er an und sagte: "Oh, na so was, sollten nicht noch alle auf dem Fest sein? Du bist Aldoc Tuk, nicht wahr? Ich habe einen Schirm für deinen Großvater zurückgelassen. Wusstest du, dass Adelard regelmäßig Schirme mitgehen ließ, wenn er in Beutelsend zu Besuch war?
Den Schirm kann er jedenfalls nun behalten!"
Aldoc interessierten irgendwelche blöden Schirme nicht. "Gehst du wieder auf ein Abenteuer, Herr Beutlin?"
"Es ist wohl eher eine Reise, wie weit sie mich führen wird, das weiß ich noch nicht", gestand der ältere Hobbit. "Aber wer weiß? Vielleicht wird noch das ein oder andere Aufregende geschehen? Im einen Moment wandert man noch auf sicherer Straße und schwupps! Auf einmal stolpert man in das nächste Abenteuer."
"Eines Tages werde ich dir folgen", versprach Aldoc. "Wenn ich alt genug bin, finde ich das letzte heimelige Haus und ich werde Spinnen töten und mit einem Drachen sprechen!"
"Aber sicher doch", sagte Bilbo lächelnd. "Wenn du nun so freundlich wärst, den Weg frei zu machen. Es ist schon spät und ich habe noch einen weiten Weg vor mir."
Aldoc trat schnell zur Seite und ließ den Abenteurer passieren. Mit ein wenig Melancholie blickte er seinem großen Vorbild hinterher. Irgendwie glaubte er, Bilbo nie wieder zu sehen.
Die Jahre zogen ins Land und Bilbo kehrte nicht zurück. Beutelsend ging an seinen Neffen Frodo, doch die Sackheim-Beutlins gaben die Hoffnung nicht auf und schielten weiter eifersüchtig auf die prächtige Hobbithöhle, die ihrer Meinung nach ihnen gehören sollte. Noch lange Zeit wurde von dem erstaunlichen Fest erzählt, im ganzen Auenland verbreitete sich die Geschichte von Bilbos verschwinden. Nur wenigen fiel dabei auf, dass Gandalf noch am selben Abend ebenfalls verschwunden war.
Aldoc indes hielt an seinem Entschluss fest, eines Tages ein Abenteurer wie Herr Beutlin zu werden, doch er hütete sich, diese Gedanken laut vor seinem Vater Reginard auszusprechen. Weniger schweigsam dagegen war er in der Gegenwart der anderen Tuk-Kinder, von denen die meisten ähnliches vorhatten.
Wie sich jedoch herausstellte, waren das alles nur leere Worte, die meisten wandten sich irgendwann von den Abenteuerträumen ab und fingen an, wie gewöhnliche, erwachsene Hobbits zu denken. Nur Peregrin schien Aldocs Gesinnung zu teilen, wenngleich es unwahrscheinlich war, dass er Aldoc begleiten würde, wenn dieser beschloss, das Auenland zu verlassen.
Deshalb schmiedete Aldoc heimlich seine eigenen Pläne, die er niemandem mitteilte. Er besorgte sich einen ordentlichen Rucksack, von dem er glaubte, er eignete sich für längere Reisen und versuchte, an gute Karten zu gelangen.
Dabei ereilte ihn jedoch die nächste Enttäuschung: Alle Karten, die er im Auenland finden konnte, reichten kaum über dessen Grenzen hinaus. Über Merry gelangte er zwar an eine Karte, die im Osten bis zu einer Siedlung namens Bree reichte, aber das war auch schon alles. Von den wundersamen Ländern aus Bilbos Erzählungen war auf diesen Karten nichts zu sehen.
Schließlich kam ihm eine gute Idee. Die Länder aus Bilbos Geschichten würden sicherlich auf Bilbos Karten verzeichnet sein! Wenn er also nicht alle davon mitgenommen hatte, gab es vielleicht noch welche in Beutelsend. Daher machte er sich auf nach Hobbingen und genoss auf dem Weg dorthin die idyllische Landschaft des Auenlandes mit seinen sanften Hügel und gemäßigten Wäldern.
Schließlich stand er eines Nachmittags vor der runden Tür von Beutelsend, deren Farbe bereits ein wenig verblasste. Wann die Tür wohl zuletzt gestrichen worden war? Ach, das waren Fragen für normale Hobbits, aber nicht für einen Abenteurer! Aldoc nahm all seinen Mut zusammen und betätigte die Klingel.
Kurz darauf wurde ihm die Tür von einem Hobbit in den besten Jahren geöffnet, mit hellem Haar und einem gespaltenen Kinn, der ihn aus klugen Augen musterte. Aldoc hatte Bilbos Neffen auf dessen Abschiedsfeier mehrmals gesehen, der neue Herr von Beutelsend war ein angesehener Hobbit, wenn man davon absah, dass er eine Zeit lang bei Bilbo gelebt und von diesem gelernt hatte, was manch einer tatsächlich als Makel bezeichnete.
Eben dieser Neffe – sein Name war Frodo Beutlin – stand ihm nun gegenüber und fragte höflich danach, was Aldoc von ihm wolle.
"Es tut mir leid, falls ich ungelegen komme, Herr Beutlin", sagte der junge Hobbit. "Aber ich habe gehofft, sie könnten mir da bei einer Sache behilflich sein."
"Ich helfe gerne", behauptete Frodo. "Nur musst du mir schon sagen, um was es geht, damit ich wirklich helfen kann."
"Mich faszinierten immer die Geschichten ihres Onkels", begann der junge Tuk sein Problem zu beschreiben. "Da fragte ich mich, wo genau diese Länder liegen, von denen er immerzu sprach. Aber auf den Karten, die ich bekommen konnte, sind nur das Auenland und Bockland verzeichnet. Ich habe mich also gefragt, ob sie nicht noch ein paar alte Karten vom Herrn Bilbo besitzen, die sie mir überlassen könnten. Ich würde sie auch bald wieder zurückgeben, nachdem ich sie abgezeichnet habe."
"Na dann, komm herein", forderte Frodo ihn freundlich auf. "Ich bin sicher, wir finden schon noch irgendeine alte Karte."
Das taten sie auch. Nachdem die Beiden fast eine ganze Stunde lang das Gerümpel durchstöbert hatten, welches sich in Beutelsend stapelte (Frodo hatte nach Bilbos Verschwinden nicht wirklich viel aufgeräumt), fanden sie schließlich tatsächlich ein vergilbtes Stück Papier, auf dem undeutlich eingezeichnete Berge, Flüsse und Wälder zu erkennen waren, sowie deren Namen in kleinen Schriftzeichen daneben.
"Das sind Tengwar", stellte Frodo erstaunt fest. "Elbische Schriftzeichen. Ich glaube, diese Karte würde dir nicht viel nutzen, wenn sie niemand übersetzt."
Aldoc betrachtete die wunderschön geschwungenen, anmutig wirkenden Zeichen und bedauerte, sie nicht lesen zu können. Er beherrschte durchaus Lesen und Schreiben, aber eben nur mit jenen Zeichen, die im Auenland gebräuchlich waren. "Kannst du das lesen?", wollte er von Herrn Beutlin wissen, dessen Antwort nur teilweise zufrieden stellend war. "Ein wenig. Aber ich bezweifle, dass ich dir von großem Nutzen sein kann. Wenn nur Gandalf hier wäre."
Der alte Zauberer war der letzte, den Aldoc nun sehen wollte. Obwohl er wusste, dass Gandalf nichts mit Bilbos Verschwinden zu tun hatte, hegte er seit jenem Abend eine leichte Abneigung gegen ihn. Sie war einfach so entstanden, ohne dass er es mit Logik hätte begründen können.
"Darf ich die Karte trotzdem abzeichnen? Auch wenn ich nicht entziffern kann, wie die Orte heißen, zeigt sie doch zumindest ein wesentlich größeres Gebiet als alle anderen meiner Karten."
"Ich wüsste nicht, warum ich sie dich nicht abzeichnen lassen sollte", gab Frodo seine Erlaubnis. "Nimm sie nur und lass dir Zeit. Ich werde auch in vielen Jahren noch hier sein."
Aber ich nicht, dachte sich Aldoc innerlich lächelnd. Mit dieser Karte beginnt mein Abenteuer.
Wenige Wochen später war er bereit.
Die Karte war kopiert, er hatte sie ihrem Besitzer bereits zurückgegeben, mit viel Mühe und Sorgfalt hatte er alle Linien, Symbole und sogar die Tengwar abgezeichnet, auch wenn er letztere nicht verstand. Danach hatte er die Karte einige Tage lang intensiv studiert und meinte nun, ziemlich sicher sagen zu können, wo dort das Auenland lag. Demnach schloss er, dass das große Gebirge im Osten die Nebelberge sein mussten, und hatte dementsprechend unter die Tengwar den Namen auch noch in Hobbit-Buchstaben niedergeschrieben.
So war er bei den meisten Orten vorgegangen, sodass nun vieles schon "übersetzt" war, auch wenn er sich bei manchem nicht sicher sein konnte, ob er es wirklich richtig zugeteilt hatte. Was das Auenland und Bockland anging, war er zuversichtlich, alles richtig entziffert zu haben, über diese Grenzen hinaus allerdings gab es nur wenige Orte wie die Nebelberge, von denen er ganz sicher sagen konnte, wie sie genannt wurden.
Am meisten hatte ihn der westliche Teil der Karte überrascht. Während Bilbo immer nur von den Orten im Osten seiner Heimat gesprochen hatte – von Bruchtal, dem Düsterwald, dem Erebor und vielem mehr –, beinhaltete die Karte auch noch andere Gegenden, welche Aldoc nicht kannte. So gab es auch ein großes Gebirge im Westen des Landes und sogar einige Städte, die sein Interesse weckten. Daher beschloss er, auch mal in die andere Richtung zu marschieren, nach Westen, zum großen Meer.
Vorerst lautete sein Ziel jedoch Bree. Er wusste, dass das kein sonderlich weiter Weg war, vermutlich nicht einmal weit genug, um etwas abenteuerliches zu erleben, aber es war ein guter Punkt, von dem aus er über den weiteren Verlauf seiner Reise entscheiden konnte. Außerdem schien es ihm unwahrscheinlich, dass er sich auf der Reise dorthin verirrte, denn immerhin war die Siedlung auch noch auf einigen der umfangreicheren Hobbit-Karten verzeichnet.
Bree also, wo Menschen und Hobbits gemeinsam lebten, dorthin würde ihn seine erste Reise außerhalb des Auenlandes führen. Mit gemischten Gefühlen dachte er an das, was ihm bevorstand, noch niemals hatte er das Auenland verlassen. So ungern Aldoc es zugab, so hatte er doch ein wenig Angst, die sich unterschwellig unter der freudigen Aufregung bemerkbar machte und ihm keine Ruhe ließ. Nichts sehnte er sich mehr herbei, als seiner tristen Heimat endlich zu entfliehen und sich nicht mehr die ewigen Vorträge seines Vaters über seine Pflichten gegenüber der Familie anhören zu müssen, aber er konnte einfach nicht umhin, sich vor einem Scheitern seines Vorhabens zu fürchten.
Aber jetzt konnte er keinen Rückzieher mehr machen. Die Reise war beschlossen und geplant, der Proviant gepackt, die Karten vorbereitet, der Weg festgelegt. Nun musste er es nur noch aus den Groß-Smials der Tuks und schließlich aus Tuckbergen heraus schaffen, ohne dabei bemerkt zu werden. In seiner Familie war es ein offenes Geheimnis, dass Reginard seinem Sohn verboten hatte, auf ein Abenteuer zu gehen. Aber Aldoc war nun zwanzig Jahre alt und konnte seine eigenen Entscheidungen treffen!
Dennoch war er kein Risiko eingegangen und hatte nur seinen besten Freund und entfernten Verwandten Peregrin, von vielen schlicht Pippin genannt, eingeweiht, und das auch nur nach einigem Hadern und Überlegen. Der wiederum hatte ihm garantiert, niemandem etwas über Aldocs heimlichen Aufbruch zu erzählen und danach dafür zu sorgen, dass nicht lange nach ihm gesucht werde. Natürlich würde Aldocs Vater toben vor Wut und er hoffte, dass seine Taten nicht negativ auf Pippin zurückfielen, aber Reginard würde sich früher oder später wieder beruhigen. Dennoch sehnte Aldoc die Begegnung mit seinem Vater bei seiner Rückkehr nicht gerade herbei.
Der junge Hobbit warf einen Blick aus dem runden Fenster seines Zimmers und beschloss, dass er lange genug gewartet hatte. Der Mond stand hoch am Himmel, Mitternacht war nicht mehr fern, die meisten Bewohner des Dorfes schliefen nun und jene, die es nicht taten, saßen in ihren Häusern und würden sich wohl kaum Gedanken darüber machen, wenn sie nach draußen sahen und einen gewöhnlichen Hobbit erblickten.
Leisen Fußes – niemand konnte sich lautloser Bewegen als ein Hobbit – schlich er sich zuerst aus seinem Zimmer, vorbei an der Tür des Schlafzimmers seiner Eltern und hin zur roten, runden Eingangstür der Hobbithöhle. Ohne die nächtliche Stille zu stören schwang sie auf, denn Aldoc hatte die Scharniere vor wenigen Tagen erst geölt, um ein verräterisches Knarren bei seinem Aufbruch zu vermeiden. Als er auf die Straße hinaus trat, konnte er sich ein triumphierendes Grinsen nicht verkneifen.
Er wandte sich nach Süden, wo der Rand der Siedlung am nächsten lag und marschierte los, während sich in seinem Inneren mit jedem Schritt eine größere Freude ausbreitete, zusammen mit dem aufgeregten Kribbeln der Abenteuerlust, welche die Angst vertrieb. Sobald er genug Distanz zwischen sich und Tuckbergen gebracht hätte, würde er sich nach Osten und Norden wenden und die alte Oststraße suchen, die auf direktem Wege nach Bree führte.
"Aldoc Tuk!", rief plötzlich eine hohe Stimme hinter ihm, die ihn ertappt zusammenzucken ließ. Aldoc blieb stehen, wagte es jedoch nicht, sich umzudrehen. Hatte sein Vater ihn etwa doch bemerkt? Nein, dazu war die Stimme zu hoch gewesen. Seine Mutter vielleicht? Die schlief für gewöhnlich so tief, dass man neben ihr eine Trommel hätte schlagen können, ohne dass sie aufgewacht wäre.
Schritte näherten sich über den breiten Weg, der mitten durch die Siedlung führte. Schließlich erklang die Stimme noch einmal direkt hinter ihm. "Wusste ich doch, dass du etwas im Schilde führst."
Nun endlich meinte er, die Stimme zu erkennen, und drehte sich überrascht um. Vor ihm stand ein Mädchen, nein, eine zierliche junge Frau, einen halben Fuß kleiner als er, und starrte verärgert zu ihm herauf. Das Lächeln auf ihren vollen Lippen nahm dem Ausdruck in den Augen jedoch den Stachel. Goldenes Haar, in dem sich eine rote Schleife befand, reichte ihr fast bis zur Hüfte und ein Duft nach Kräutern umgab sie und ihr wertvolles, purpurnes Kleid.
"Petunia?", fragte Aldoc überrascht, der den Blick nicht von ihrem Gesicht abwenden konnte. "Was machst du denn hier?"
Petunia Tuk, jüngste der drei älteren Schwestern seines Freundes Pippin, schnaubte ganz unmädchenhaft und erwiderte in spöttischem Ton: "Das gleiche wollte ich dich fragen. Auch wenn ich ahne, was das Ganze soll."
Mit tadelndem Blick musterte sie Aldocs Reisekleidung und den Wanderstab, der Bilbos Stab nachempfunden war, bevor ihre Augen schließlich zu dem Messer in seinem Gürtel wanderten. Normalerweise konnte der junge Abenteurer gut einschätzen, was andere Leute dachten, aber in diesem Moment rasten seine Gedanken zu sehr im Kopf umher, während ihm Petunias Nähe nur allzu bewusst war. Fünf Jahre älter als er war sie, aber was spielten fünf Jahre schon für eine Rolle?
"Hat Pippin es dir verraten?", brachte Aldoc schließlich heraus. Er verfluchte sich dafür, nicht mehr sagen zu können.
"Pippin weiß davon?" Verdammt. "Vielleicht sollte ich meinem kleinen Bruder dafür eine Rüge erteilen." Sie seufzte und schüttelte den Kopf. "Ich bin nicht dumm, Aldoc. Du hast dich seltsam verhalten in letzter Zeit, und dann dieser Besuch in Hobbingen, nur um eine Karte zu holen? Ich kenne dich. Du willst auf ein Abenteuer gehen. Reginard wird toben, wenn er davon erfährt."
"Wenn es so weit ist, bin ich schon längst über alle..." Eigentlich war nichts dabei, sich dieses alten Sprichwortes zu bedienen, aber irgendwie erschien es ihm nicht richtig, da es im Auenland keine Berge gab. "...in Bree."
"Nicht, wenn ich dich davon abhalte, eine Dummheit zu begehen. Was hat die Welt da draußen schon zu bieten?"
Alles, wollte Aldoc sagen, doch jetzt, da er genauer darüber nachdachte, fiel ihm die eine Sache auf, die die Welt nicht für ihn bereithielt. Mit auf einmal stark getrübter Laune betrachtete er Petunia und versuchte, es ihr zu erklären: "Es gibt nur... weniges, was mich hier hält. Das Auenland ist langweilig. Ich will nicht gemütlich in einer Wohnung sitzen, eine Familie gründen und Pfeife rauchen wie ein gewöhnlicher Hobbit. Ich will Berge sehen, und das Meer. Ich will Zwerge und Elben kennenlernen und gegen Orks und Trolle kämpfen. Ich bin wie der alte Herr Bilbo und ich ziehe nun in ein Abenteuer."
"Sind denn die Hügel unseres Landes nicht genug? Und die Seen und Flüsse? Hin und wieder sieht man hier Elben oder hört sie singen in der Nacht, wenn sie nach Westen ziehen, und auch Zwerge kommen gelegentlich hier durch. Und was die Kreaturen angeht, gegen die du so gerne kämpfen willst, solltest du bedenken, dass sie stärker sind als du und du sterben könntest. Dein Vater, so streng er auch sein mag, liebt dich, Aldoc, und er wäre am Boden zerstört, ganz zu schweigen von deiner Mutter... und auch ich würde um dich trauern. Du hast hier eine Familie, ob du es willst oder nicht. Stirb nicht fernab von deiner Heimat."
Ihre Worte trafen ihn härter, als er erwartet hatte, denn sie enthielten mehr Wahrheiten, als er in diesem Augenblick gebrauchen konnte. Aldoc bemerkte, dass Petunia Tränen in die Augen stiegen, auch wenn sie den Kopf abwandte und sich nichts anmerken lassen wollte. Er ertrug es nicht, sie so traurig zu sehen, aber er wollte die lang geplante Reise auch nicht abbrechen, ehe sie richtig begonnen hatte.
"Ich werde zurückkehren", durchbrach er das Schweigen schließlich. "Ich werde gehen, werde tun, wonach es mein Herz verlangt, aber wenn ich die Welt außerhalb des Auenlandes gesehen habe, komme ich zurück. Zurück... zu meiner Familie. Das verspreche ich dir, Petunia."
"Ich kann dich nicht von der Reise abhalten?" Aldoc schüttelte den Kopf und in Petunias Gesicht trat eine Härte, die er von ihr nicht kannte. "Na gut. Dann geh, Aldoc. Ich werde dir nicht im Weg stehen." Mit einem geschickten Handgriff löste sie die rote Schleife aus ihrem wunderschönen Haar und schnürte ihm das weiche Band um den rechten Arm. "Das soll dich an dein Versprechen erinnern. Wenn du nicht zurückkommst, solltest du den Tag fürchten, an dem wir uns wieder begegnen."
Mit diesen Worten wandte sie sich ab und rannte zurück nach Hause. Wie schon damals, als Bilbo gegangen war, hatte Aldoc das Gefühl, einen wichtigen Teil seines Lebens zu verlieren. Dennoch begann er sein erstes Abenteuer.
Aldoc Tuk brach in jener Nacht ohne weitere Zwischenfälle in Richtung Bree auf. Obwohl er frohen Mutes war ob des Abenteuers, das er zu erleben hoffte, war er nun auch fest entschlossen, irgendwann wieder heimzukehren. Hin und wieder zurück, genau wie Herr Beutlin.
Es dauerte gar nicht so lange, wie er erwartet hatte, um nach Bree zu gelangen. Er wurde einfach in die Stadt gelassen, die ihm zum damaligen Zeitpunkt so gewaltig erschien, dass er sich nicht vorstellen konnte, es könne noch größere und eindrucksvollere Städte geben. Nachdem er sich bei ortsansässigen Hobbits – die Menschen traute er sich nicht anzusprechen – nach einer Taverne erkundigt hatte, wurde er auf das Gasthaus Zum Tänzelnden Pony verwiesen, wo tatsächlich ein annehmbares Bier ausgeschenkt wurde und es sogar Zimmer in Hobbitgröße gab. Er verbrachte nicht viel Zeit im Schankraum, denn dort waren ihm zu viele Leute, sondern zog sich rasch auf sein Zimmer zurück und ließ sich sein Essen dorthin bringen. Die ganze erste Nacht in Bree brütete er über seinen Karten und überlegte, wohin er sich als nächstes wenden sollte.
Die Entscheidung fiel im letzten Endes doch nicht sehr schwer, bereits am nächsten Tag brach er gen Osten auf und ließ die Stadt der Menschen und Hobbits hinter sich, um in Bilbos Fußstapfen zu wandeln. Bruchtal lautete sein nächstes Ziel, das letzte heimelige Haus östlich der See.
Auf dem Weg nach Bruchtal brach ein heftiger Sturm über das Land herein, sodass Aldoc gezwungen war, sich schnellstens einen Unterschlupf zu suchen, um dem tobenden Wind zu entkommen, der Steine und Äste durch die Luft schleuderte. Er fand eine geräumige, aber leider stinkende Höhle, in der er sich ein kleines Feuer machte, um sich zu wärmen, und in der er schließlich auch nächtigte.
Am darauffolgenden Tag stieß er unweit der Höhle auf drei Trolle, große, grimmige Biester, die ihm wohl mit einer einzigen ihrer hässlichen Pranken hätten zerquetschen können – wenn sie denn noch am Leben gewesen wären. Nach dem ersten Schreck, der ihn beim Anblick der Monstren durchfuhr, erkannte er aus der Deckung des Busches heraus, in den er überhastet gesprungen war, dass die drei Trolle komplett aus Stein bestanden.
So also fand er Bilbos Steintrolle, die von Gandalf verzaubert worden waren, und bestaunte die beinahe noch lebendig wirkenden Statuen, die ihm einen solchen Schrecken eingejagt hatten. Und in diesem Moment beschloss Aldoc, dass er weit genug gegangen war, und kehrte zurück nach Bree und von dort aus ins Auenland, wo er nach dieser ersten, kurzen Reise schließlich an einem sonnigen Nachmittag wieder in Tuckbergen angelangte. Und – welch Überraschung – seine Besitztümer wurden noch nicht versteigert.
Wie vorhergesehen tobte sein Vater Reginard aufs Übelste, als Aldoc vor der Tür stand, und danach sprach er über eine Woche kein Wort mehr mit seinem Sohn. Aldocs Mutter dagegen schien einfach nur erleichtert über seine Rückkehr zu sein, ebenso Petunia, die ihn für die Einhaltung seines Versprechens lobte. Pippin dagegen wollte einfach nur hören, wie es ihm ergangen war und welche Abenteuer er erlebt hatte.
Keines, dachte Aldoc. Im Grunde bin ich nur ein wenig umher gewandert.
Den Rest des Jahres verbrachte er in Tuckbergen. Er erwarb ein eigenes Smial und zog aus der Hobbithöhle seiner Eltern aus. Noch immer wanderte er regelmäßig durch die Gegend, erklomm Hügel und kletterte auf Bäume, erschauderte, wenn die Wölfe heulten, und plante insgeheim seine nächste Reise.
Er war nicht bis nach Bruchtal gekommen, aber das war nicht schlimm, denn wenigstens die Steintrolle hatte er gesehen. Seine ersten Überlegungen gingen daher wieder in östliche Richtung. Erneut nach Bree, zu den Trollen und dieses Mal weiter nach Bruchtal? Das schien ihm eine gute Option zu sein. Andererseits hielt Bilbos Landkarte noch viele weitere Möglichkeiten bereit.
So vieles hatte er über die Länder im Osten gehört, so viele Geschichten und Fakten aus dem Munde seines großen Vorbildes. Lange Zeit hatte Aldoc davon geträumt, eines Tages die selben Wege zu beschreiten, doch nun, da er die Möglichkeit dazu besaß, bemerkte er erstmals, dass er viel lieber neue Orte entdecken wollte, an denen noch kein Hobbit vor ihm gewesen war.
Bruchtal war eine Option ja, aber Aldoc ließ seinen Finger auf der Karte nach Westen gleiten, bis er schließlich auf einer Stadt am Meer zu ruhen kam, deren Namen er zwar nach wie vor nicht entziffern konnte, die ihm aber dennoch als ein lohnenswertes Ziel erschien. Denn der junge Hobbit wollte das Meer sehen.
So kam es, dass er im Frühling des Jahres 1411 nach Auenland-Zeitrechnung das zweite Mal auf und davon war, dieses Mal, ohne von irgendjemandem bemerkt zu werden und auch ohne jemanden einzuweihen, nicht einmal Pippin. Oder eher vor allem nicht Pippin, nach dem, was das letzte Mal geschehen war. Aldoc glaubte einfach nicht daran, dass Petunia rein zufällig genau am richtigen Tag zur richtigen Zeit am richtigen Ort gewesen war, um ihn abzufangen.
Der Weg nach Westen war – das stellte Aldoc schon bald nach seinem Aufbruch fest – wesentlich hügeliger, um nicht zu sagen bergiger als der Weg nach Osten. Obwohl die Oststraße laut der Karte bis zu jener Stadt führte, die er zu seinem neuen Ziel erkoren hatte, ereilte ihn schneller die Erschöpfung, da viele Passagen der Straße bergauf gingen. Das lag daran, dass sie mitten durch ein kleines Gebirge führte, die sogenannten Turmberge, die man vom Auenland aus noch sehen konnte.
Manches Mal erblickte er in der Ferne einen eindrucksvollen, hohen Turm, der weiß in der Sonne glänzte und höher schien als alle Gebäude in Bree. Wie ein Speer, der von einem mächtigen Wesen mit dem Schaft voran in den Boden gerammt worden war, stachen die Türme der Turmberge in die Höhe und erreichten dabei anscheinend sogar die Wolken.
Gerne hätte Aldoc sich einen dieser Türme aus der Nähe angesehen, aber sie waren sehr weit weg und er fand keinen richtigen Weg, der von der Straße zu ihnen abzweigte. Querfeldein über die Berge zu wandern war ihm dann allerdings doch zu riskant. Nächstes Mal, schwor er sich. Auf dem Rückweg such ich mir einen Pfad zu einem dieser Türme. Auch wenn es gefährlich ist. Petunia muss ja nichts davon erfahren.
Schließlich – es kam ihm vor wie eine halbe Ewigkeit – ließ er die Turmberge hinter sich. Das Land fiel ab und wurde langsam flacher, frischer Westwind kam vom Meer und zerzauste ihm die Haare. Der junge Hobbit schloss die Augen und genoss die kühle, salzige Brise. Die Stadt am Meer war nicht mehr fern.
Einige Tage später, nachdem er sich gerade einen kleinen Hügel hinauf gekämpft hatte, erblickte er die Stadt zum ersten Mal und erstarrte vor Staunen.
Die Stadt – später erfuhr er, dass sie Mithlond hieß, in der Gemeinsprache Graue Anfurten – war mehr als doppelt so groß und zehnmal so prächtig wie Bree, das er bisher für eine sehr große Siedlung gehalten hatte. Eine hohe Mauer umgab die Anfurten, deren graue Gebäude eher wie Kunstwerke als wie Wohnhäuser wirkten. Die meisten Ecken und Kanten waren abgerundet, viele Balkone erhoben sich über den Straßen, und alles bestand aus demselben grauen Gestein.
In der Ferne sah Aldoc das Meer glitzern, weiße Schiffe kreuzten auf dem ruhigen Wasser, liefen aus dem Hafen aus oder kehrten zu ihm zurück. Mehrere große Bauwerke, die der Hobbit nicht recht einordnen konnte, erhoben sich nahe an den Anlegestegen und besaßen teilweise eine direkte Verbindung zum Wasser. Vielleicht, so dachte er, wurden dort drinnen die Schiffe abgestellt, die an den Stegen keinen Platz mehr fanden. Oder dort wurden neue gebaut.
Staunend näherte er sich Mithlond von Osten her, während die Mauer immer mehr vor ihm in die Höhe wuchs. Von weitem sah sie schon eindrucksvoll aus, aber je näher er der Mauer kam, desto unglaublicher wirkte sie auf ihn. Wer konnte Stein so hoch aufschichten? Und wer wollte bitteschön so weit oben stehen?
Bald schon wurden ihm diese Fragen beantwortet, als er vor dem Tor der Grauen Anfurten stehen blieb, dessen beide hölzerne Torflügel weit offen standen, sodass theoretisch ein jeder passieren konnte. Dennoch war es Aldoc nicht möglich, einfach hinein zu spazieren, denn zwei Wachen in silbernen Rüstungen hielten ihn auf.
Sie waren groß, ungefähr wie die Menschen in Bree, aber ihre Gesichter waren viel ebenmäßiger, die Haut schien weicher und sie war heller. Die Ohren erinnerten ihn eher an sein eigenes Volk, denn sie waren spitz, allerdings noch spitzer als Hobbitohren. Die Bewegungen der Wächter wirkten auf eine selbstverständliche Weise elegant und erhaben, fast schon als seien diese beiden Krieger irgendwelche hohen Herren, die von klein auf gelernt hatten, sich wie ein Herrscher zu bewegen.
Elben, schoss es dem jungen Abenteurer durch den Kopf. Das sind echte Elben!
Der eine der beiden Elben-Wächter hielt einen bedrohlich aussehenden Speer in der Hand und trug ein Schwert in einer Scheide über dem Rücken. Der andere dagegen hatte keine Waffe gezogen, aber er war keineswegs unbewaffnet, sondern besaß ganze zwei Schwerter, die noch größer waren als das des ersten Wächters. Beide waren sie schlank und schwarzhaarig, doch die Augen des Speerträgers waren grau, wohingegen die des anderen hellgrün waren.
"Halt, Reisender", rief der Grauäugige mit erhobener Hand. Aldoc folgte dem Befehl, da er sich keinen Ärger einhandeln wollte, und blieb vor dem Tor stehen. Die Wachen betrachteten ihn mit gerunzelter Stirn, bevor der mit den zwei Schwertern erstaunt sagte: "Na so was, das ist ein Halbling! Ein Hobbit aus dem Auenland östlich von hier."
"Ein Hobbit?" Der andere schien nicht viel mit dem Begriff anfangen zu können. "Ah, ich erinnere mich. Du meinst diese kleinen, friedlichen Wesen, nicht wahr? Die, die angeblich das Pfeifenkraut rauchen erfunden haben, das die Zwerge so gerne praktizieren?"
"So, wie du es sagst, klingt es ein wenig negativ", bemerkte der erste Wächter. "Vergiss nicht, dass auch Mithrandir dem Pfeifenkraut der Halblinge verfallen ist. Und du willst doch Mithrandir nicht mit einem Zwerg gleichsetzen?"
"Ähm, Entschuldigung", meldete sich nun auch Aldoc zu Wort. "Ich störe ja nur ungern euren kleinen Disput, aber darf ich die Stadt betreten?"
"Oh, verzeih uns die Unaufmerksamkeit", bat der Speerträger um Verzeihung. "Ich nehme an, dass du nicht mit Orks oder ähnlichem Gesindel in Verbindung stehst?"
"Farodas!", rief der andere Wächter. "Das ist ein Hobbit und kein Troll! Er ist uns nicht feindlich gesonnen." An Aldoc gewandt fuhr er fort. "Du kannst eintreten, kleiner Reisender. Willkommen in Mithlond, dem größten und schönsten Hafen in diesem Teil von Mittelerde."
Mithlond war tatsächlich ein sehr schöner Hafen und ohne Zweifel ziemlich groß. Schon nach wenigen Schritten fühlte Aldoc sich verlorener zwischen all den hohen Gebäuden, als er sich im Auenland oder in Bree jemals gefühlt hatte. Obwohl es hier viel mehr Platz gab als in Bree, waren weitaus weniger Leute auf den Straßen unterwegs. Zudem waren es auch noch alles Elben.
Sein Herz frohlockte zwar ob dieses Umstandes, denn die Elben hatten ihn schon immer fasziniert, allerdings traute er sich aus irgendeinem Grund nicht, einen von ihnen anzusprechen, um sich nach einem Gasthaus zu erkundigen, wo er die Nacht verbringen könnte. Die neugierigen Blicke, die sie ihm zuwarfen, machten die Sache auch nicht gerade angenehmer.
So durchquerte er die Stadt einmal komplett auf der großen Straße, die vom Tor direkt zu den Anlegeplätzen am Meer führte. Und als er dort stand, an der Kaimauer, widmete er seine Aufmerksamkeit erstmals dem Meer, das er zuvor nur von dem Hügel aus in der Ferne gesehen hatte. Beim Anblick der unendlichen Wassermassen, die sich weit wie der Himmel vor ihm ausstreckten, klappte Aldoc die Kinnlade vor Staunen herunter. Obwohl ihm bewusst war, wie lächerlich er in diesem Moment aussah, konnte er den starren Blick nicht vom glitzernden, bis zum Horizont reichenden Wasser abwenden.
Ach, wenn er doch nur in die Fluten eintauchen und erleben könnte, wie sich das Meer anfühlte! Aber er hatte niemals schwimmen gelernt, deshalb sah er davon ab, von der Hafenmole zu springen.
Als nächstes wanderte sein Blick zu den beeindruckenden, weißen Elbenschiffen, von denen es hier anscheinend hunderte gab. Manche von ihnen ähnelten den Booten, mit denen die Bewohner Bocklands über den Brandywein fuhren, nur waren sie viel größer. Andere wiederum besaßen hohe, dicke Masten, die Aldoc an Bäume erinnerten. Er sah sogar einige riesenhafte Schiffe mit bis zu drei solcher Masten und einer Vielzahl an weißen Segeln.
Er wollte eines dieser Wasserfahrzeuge genauer begutachten, wollte die Deckplanken unter sich spüren, das sanfte Schaukeln auf den Wellen wahrnehmen. Kurzerhand begann er an der Kaimauer entlang zu hasten und hielt nach einem Schiff Ausschau, auf das er hinauf gelangen konnte. Vielleicht hätte er auch mal nach vorne blicken sollen und nicht nur zu den Schiffen. Vielleicht hätte er langsamer gehen sollen, immerhin hatte er mehr als genug Zeit.
Vielleicht wäre er, wenn er das getan hätte, nicht plötzlich mit jemandem zusammengestoßen, ins Taumeln geraten und hätte sich nicht mit den Armen rudernd am Rande der Kaimauer wiedergefunden. Und schließlich – selbst war er schuld – versagte alles Ringen um Gleichgewicht, sodass er rücklings ins Wasser hinab stürzte.
Klatschend schlug er im Wasser ein und versank sofort einen Meter tief, bevor er schließlich wild zappelnd wieder auftauchte und nach Luft rang. Er wedelte mit den Armen und strampelte mit den Beinen, um sich irgendwie über Wasser zu halten, aber bald schon drohte er wieder in den eisigen Fluten zu versinken. Er kam nicht einmal dazu, nach Hilfe zu schreien.
War das also das Ende, vor welchem ihn Petunia gewarnt hatte? Stirb nicht fernab von deiner Heimat, das hatte sie gesagt. Oh, warum nur habe ich nicht auf sie gehört? Nun werde ich in einem fremden Hafen weit weg vom Auenland ertrinken. Ich unachtsamer Idiot!
Plötzlich durchbrach etwas neben ihm die Wasseroberfläche, die dadurch ausgelösten Wellen ließen ihn herumwirbeln wie ein Blatt im Sturm, sodass er danach nicht mehr wusste, wo oben und wo unten war. Gerade wollte er sich schon darüber aufregen, als ihn kräftige Hände packten und in eine Richtung zerrten, vermutlich nach oben.
Und dann durchstieß er endlich die Wasseroberfläche, schnappte nach Luft und atmete tief durch. Nur am Rande bekam er mit, wie ihn einige Elben aus dem Hafenbecken holten, aber er war ihnen nichtsdestotrotz sehr dankbar. Endlich war er dieser kalten, nassen Hölle entflohen. Und doch... irgendwie sehnte er sich wieder dorthin zurück. Versonnen blickte er aufs Meer hinaus, das ihm fast das Leben gekostet hätte und das er dennoch nicht hassen konnte wie die Wölfe.
Erst nach ungefähr einer Minute realisierte Aldoc, dass er von Elben umringt war, die aufgeregt miteinander tuschelten. Eine große, wunderschöne Elbe stand direkt neben ihm und wrang sich das Wasser aus dem nassen, schwarzen Haar. Als sie seinen Blick bemerkte, lächelte sie. "Stürze lieber nicht noch einmal ins Wasser, mein kleiner Freund, ich fange gerade an zu trocknen."
"Ich wollte euch keine Umstände bereiten, Herrin", beteuerte Aldoc. "Ich habe nur zu den Schiffen gesehen und nicht auf meinen Weg geachtet."
"Herrin?" Wieder lachte die Elbe. "Ich bin nur eine einfache Händlerin. Nenn mich Varnawen, kleiner Hobbit."
"Varnawen", wiederholte Aldoc den Namen. "Danke, dass du mich gerettet hast, Varnawen. Ich muss jetzt los und ein Gasthaus finden."
"Wie wäre es, wenn du mit mir kommst?", fragte die schöne Elbe. "In meinem Haus gibt es ein freies Zimmer mit einem Bett. Dort könntest du übernachten. Ich verlange dafür nicht einmal Geld."
Das war nun ein Angebot, das er nicht ausschlagen konnte. Einige Zeit später betrat er ein zweistöckiges, weißes Haus im Norden der Grauen Anfurten, an das ein kleiner, aber schöner Garten angrenzte. Es gab eine bescheidene Küche und einen großen Raum mit Sesseln und gepolsterten Bänken, sowie einem edlen Tisch. In der oberen Etage, so erklärte ihm Varnawen, gab es ein Schlafzimmer und einen kleinen Abstellraum voller Gerümpel.
Aldocs Schlafstätte befand sich zu seiner Erleichterung im Erdgeschoss. Es war nur ein kleiner Raum mit einem gemütlichen Bett, einem Kleiderschrank und einem Nachtkästchen. Nach elbischen oder menschlichen Maßstäben musste das Bett wohl als klein bezeichnet werden, für ihn jedoch war es trotzdem noch sehr groß, was ihn allerdings nicht weiter störte.
Die Elbe und der Hobbit setzten sich in die zum Garten hin geöffnete Stube mit den bequemen Sesseln und begannen eine Unterhaltung über das Auenland. Begeistert erzählte Aldoc von Tuckbergen und Hobbingen, von der legendären Abschiedsfeier von Herrn Beutlin – dabei stellte sich heraus, dass Varnawen schon von Bilbo Beutlin gehört hatte – und natürlich erzählte er auch vom legendären Pfeifenkraut der Hobbits, von dem sie seltsamerweise noch nicht gehört hatte, auch wenn sie sich wie der Wächter am Tor daran erinnerte, einen gewissen Mithrandir beim Rauchen gesehen zu haben.
Da ihm dieser Name jetzt schon zum zweiten Mal unterkam, fragte Aldoc, wer denn dieser Mithrandir sei. "Er ist ein Istar", erklärte die Elbe. "Dein Volk würde ihn wahrscheinlich als Zauberer bezeichnen. Er hat die Gestalt eines alten Mannes, mit einem langen, grauen Bart. Auch seine Kleidung ist immerzu grau und er stützt sich auf einen hölzernen Stab."
"Meinst du etwa Gandalf?", fragte der junge Hobbit, dem diese Beschreibung verdächtig nach Bilbos altem Freund klang. Tatsächlich nickte Varnawen. "Ja, ich glaube, so wird er an manchen Orten genannt. Kennst du ihn?"
"Flüchtig", antwortete Aldoc. In Wirklichkeit hatte er noch nie ein Wort mit dem Grauen Pilger gewechselt. Zauberei war ihm einfach suspekt. Aber natürlich kannte er ihn vom Sehen her und er kannte seine Feuerwerke, so wie fast jeder Hobbit. Das laute Knallen, wenn diese Dinger explodierten, die Gandalf bei den Feuerwerken verwendete, konnte er zwar nicht leiden, aber die Lichtmuster waren ganz schön anzusehen.
Plötzlich hörte er ein Klicken am Schloss der Haustür, die kurz darauf aufsprang. Herein kam ein großer Elb, der seinen Speer an die Wand lehnte, die Tür hinter sich verschloss und danach zu ihnen ins Wohnzimmer geschlendert kam. Als er des Hobbits auf einem der Sessel gewahr wurde, hob er überrascht die Augenbrauen. "Na so was. Der Hobbit von vorhin."
Von vorhin. Aldoc musterte das Gesicht des Fremden verwirrt, bevor ihm wieder einfiel, woher er es kannte. Das war einer der Wächter vom Tor! Der, der sich erst nach kurzem Nachdenken an die Existenz der Hobbits hatte erinnern können. Wie war er noch von seinem Gefährten genannt worden? "Farodas?"
"Sieh mal einer an, der Halbling hat ein gutes Gedächtnis", sagte Farodas respektvoll. "Was verschafft uns die Ehre, diesen Gast in unserem Haus bewirten zu dürfen?"
Aldoc errötete und schwieg, daher übernahm es Varnawen, die Geschichte von seinem Sturz ins Wasser zu erzählen. Farodas lauschte geduldig und fragte danach überrascht: "Du kannst nicht schwimmen?"
"Nein", gestand Aldoc. "Das können nur wenige Hobbits. Eigentlich fast nur die, die am Brandywein-Fluss leben."
"Hm, ich kann mir das gar nicht vorstellen." Entschuldigend hob Farodas die Hände. "Bei uns in Mithlond kann jeder schwimmen. Immerhin ist das ein Hafen und viele hier sind Seefahrer."
Der Halbling seufzte resigniert. "Ich würde es gern können. Aber zuhause schien es mir nicht wichtig und wer hätte es mir schon beibringen können?" Wenn er so darüber nachdachte, war er sich nicht einmal sicher, ob der alte Bilbo schwimmen konnte. Nun ja, er hatte immerhin Teile seines Weges auf einem Fluss zurückgelegt. Aber da war er doch auf einem Floß aus Fässern gewesen, oder?
"Also wenn du es lernen willst, können wir es dir gerne beibringen", meinte Varnawen freundlich.
"Können wir das?", fragte Farodas scherzhaft. "Ich bin mir nicht sicher, er scheint mir doch ein recht hoffnungsloser Fall zu sein."
"Farodas!", herrschte die Elbe ihn an. "Sei höflich! Nun, was sagst du, Aldoc? Sollen wir dir das Schwimmen beibringen?"
Da brauchte er nicht lange zu überlegen. "Ja, bitte bringt es mir bei!"
So entschloss er sich, länger in Mithlond zu verweilen, wobei er bei Varnawen und Farodas bleiben konnte, die jeden Tag mit ihm die Stadt verließen und einige Meilen vom Hafen entfernt zur Küste gingen, wo sie ihm nach und nach beibrachten, wie er sich über Wasser halten konnte. Irgendwann kam die Sprache auf Waffen, ein Thema, an welchem Farodas scheinbar ein besonderes Interesse hegte.
Die favorisierte Waffe des Elben war der Speer. Stundenlang konnte er über die Vorteile eines Speers und Kampftechniken mit einem Speer reden, aber auch über andere Waffen vermochte er viel zu sagen. Aldoc zeigte ihm seinen Bogen, ein einfacher kleiner Hobbit-Jagdbogen, mit dem er ganz akzeptabel umgehen konnte.
Als Farodas jedoch erfuhr, dass Aldoc sonst keine Waffen besaß, bestand er darauf, dass der Halbling den Umgang mit einer Nahkampfwaffe erlernte, damit er sich besser verteidigen konnte. Aldoc wollte zuerst ablehnen, aber dann dachte er sich, dass es nichts schaden konnte. Also lernte er neben dem Schwimmen auch den Schwertkampf, obwohl er sich in letzterem wesentlich ungeschickter anstellte als in ersterem. Bald schon konnte er schwimmen gehen, ohne dabei die Hilfe von Varnawen oder Farodas zu benötigen.
Aber das war noch nicht alles, was sie ihm beibrachten. Nachdem er ihnen seine Karte zeigte, halfen sie ihm auch noch dabei, die elbischen Wörter zu entziffern und die Karte endlich vollständig zu beschriften. Daraufhin lehrten sie ihn die Sprache der Elben und auch ein wenig die Tengwar, sodass er bald schon in der Lage war, die Karte auch ohne seine selbst hinzugefügten Notizen zu lesen.
Den ganzen Sommer und danach Winter über blieb er in Mithlond und übte sogar weiter, als das Meer schon eisig kalt war. Immer, wenn er nach den Schwimmübungen zurückkam, gab es frischen, heißen Tee zum Aufwärmen und danach Schwertkampfübungen bis zur völligen Erschöpfung. Das tägliche Training machte ihn stärker und schlanker, auch wenn er ein kläglicher Schwertkämpfer blieb.
Schließlich nahte der Frühling und der kleine Hobbit wurde wieder von der Abenteuerlust erfasst. Eines schönen Morgens teilte er den beiden Elben mit, dass er bald wieder aufbrechen wollte. Sie reagierten enttäuscht darauf und versuchten, ihn zum Bleiben zu überreden, aber letztlich akzeptierten sie seine Entscheidung und wünschten ihm viel Glück auf seinen weiteren Reisen.
So ließ er schließlich am fünfzehnten April des Jahres 1412 der Auenland-Zeitrechnung die Grauen Anfurten hinter sich und begann seinen Weg zurück ins Auenland.
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