Der Felsen auf dem Celebithiel lag fühlte sich sonderbar warm an und war gleichzeitig so ungemütlich, dass sie am liebsten aufgesprungen wäre.
Seit zwei Wochen schon wartete sie Tag für Tag auf die Rückkehr Gandalfs, denn sie hielt es im Lager Faramirs nicht mehr aus.
Auch, wenn sie die Gesellschaft der Menschen schätze, so waren ihr manche ihrer Sitten rätselhaft und die Not und Angst des Krieges, die in jedem ihrer Herzen nistete, verstärkte dieses Gefühl noch und machte sie griesgrämiger und veränderte ihren Charakter.
Auch die wenigen Frauen, die im Lager Faramirs kampierten mied Celebithiel mittlerweile. Ihre müden Augen und ausgemergelten Gesichter musterten sie jedes Mal mit einer Mischung aus Bewunderung, Neid und Angst.
Einzig die weiße Dame Éowyn spendete Celebithiel Trost und gemeinsam ritten sie aus und erkundigten sich bei den umherliegenden Bauern nach Neuigkeiten aus Edoras oder Isengart.
Jedoch fühlte sich Celebithiel hier am wohlsten, allein auf dem kantigen Felsen, der das wärmende Frühjahrs licht in sich speicherte.
So saß sie nun hier, dachte an Gandalfs Reisen und an all die Orte, die er besuchte ohne sie mitgenommen zu haben.
Vor neun Tagen war er verschwunden und hatte Antien und ihr eine kurze Botschaft hinterlassen:
Lieber Antien, Liebe Celebithiel,
entschuldigt meine spontane Abreise, aber ich muss etwas Wichtiges überprüfen. Ich werde bald zurück sein
Mithrandir
Vor ihren Augen erstreckte sich die grüne Steppe, die so weitläufig war, dass Celebithiel Tage damit verbracht hatte jeden einzelnen Flecken Erde mit ihren Augen abzutasten und in sich aufzunehmen.
Bevor Mithrandir aufgebrochen warten tobten heftige Unwetter in der Wold. Es war erbittert kalt gewesen und das Lager stand mehrmals unter Wasser.
Die Sonne hatte sich jedoch nichts von ihrer Stärke nehmen lassen und schien nun auf die Wold hinab und die sonst so trockene Steppe zierte eine Decke von sattem Grün, hauptsächlich aus wildem Klee.
Es war windstill und mit geschlossenen Augen und ausgetreckten Gliedern hatte es sich Celebithiel auf den Felsen gemütlich gemacht.
Das Treiben und Werken im Lager war weit entfernt, aber sie hörte es trotzdem wie sanftes Rauschen eines Flusses. Wenn sie sich anstrengte konnte sie sogar die Lieder der Bäume des alten Fangorns hören, die immer noch wehklagend vom Ältesten ihrer Hirten sangen.
Unter das sanfte Rauschen und die Lieder der Bäume legte sich ein anderes Geräusch, welches vertraut und doch fremd erschien. Es näherte sich schnell und unaufhaltsam kam das unverwechselbare Klang der Hufe Schattenfells entgegen.
„Gandalf!!“, schrie Celebithiel und schreckte hoch.
Sie lag in einem dunklen Zelt neben Antien, der friedlich schlief.
Celebithiel zog sich einen dünnen braunen Mantel über und stieg aus dem Zelt. Draußen flackerte ein Feuer an dem Truppen Faramirs Wache hielten. Jene grüßten sie und Celebithiel erwiderte es mit einem kurzen, aber freundlichen Lächeln.
Die Nächte waren sichtlich kühler als die Tage und Celebithiel bereute es sich nicht ihren dickeren Mantel angezogen zu haben. Sie stapfte weiter durch das feuchte Gras und kam zu einem weiteren Lagerfeuer an dem erneut Soldaten saßen, oder viel mehr lagen. Manche grölten andere schnarchten. Der beißende Geruch von Rum und Bier stieß Celebithiel in die Nase und sie sah die vielen Flaschen und Krüge, die wie ein Scherbenhaufen über den gesamten Boden verteilt waren.
Von Tag zu Tag wird es schlimmer...nach der Niederlage in Lorien greift der Mund härter durch. Um die Pläne seines Meisters zu erfüllen plündert er immer mehr Dörfer...tötet Frauen und Kinder. Tag für Tag erhalten wir durch unsere Spione Namen von neuen Kindern und Frauen, die getötet wurden. Die Männer verlieren den Mut und sie suchen Trost im Alkohol...Zügig ging sie weiter zu den provisorischen Ställen, die die Männer Faramirs aufgestellt hatten. Dies war immer ihr erstes Ziel gewesen, nachdem sie aus ihren Träumen mitten in der Nacht gerissen wurde, um zu sehen ob Gandalf bereits eingetroffen war.
Wie sonst auch war dieser Gang vergeblich gewesen. Sie lehnte sich gegen die hölzerne Wand, schloss die Augen und atmete tief ein.
„ Welch ungewöhnliche Zeit...für eine junge Elbendame...herumzutreib
en“, hickste eine unbekannte Stimme. Celebithiel riss die Augen auf, vor ihr hatte sich ein Schrank von einem Mann aufgebaut, der sie finster ansah. „ Man könnte einen falschen Eindruck von euch erhalten, wenn ihr versteht was ich meine“, fuhr der Mann fort.
Der Geruch von Alkohol strömte aus jeder seiner Poren, jedoch war sie wie gelähmt von der Gestalt der Person, die sich vor ihr aufgebaut hatte.
Es war stockfinster, da es Neumond war und die fernen Lichter des Lagers erschienen ihr so weit entfernt, wie die Sterne am Nachthimmel.
„ Stellt euch nur vor, was alles hätte passieren können, wenn ihr hier so allein umher wandelt? Wer euch alles hätte begegnen können?!“
Celebithiel traute sich nicht zu blinzeln, nicht zu atmen noch sich zu bewegen. Es herrschte Schweigen und es kam ihr vor als würden Stunden vorbeiziehen, denn ihr Puls raste und das Herz schlug ihr bis zum Hals.
Sie hörte das Schnauben der Pferde, oder war es das Schnauben des Mannes? Sie konnte nichts mehr einordnen die Gedanken und Eindrücke rasten durch ihren Kopf. Da schon wieder, oder kam das Geräusch vom Lager?
Mit belegter Stimme konnte sie sich endlich durchringen etwas zu sagen, „ Mein Herr...wür...würdet...ih
r mich..ähm..vorbeilassen.
..i-i-ich..müsste zurück ins Lager...Herr Faramir hat nach mir beste..ellt.“ So schwierig die Worte waren, so einfach war es auf einmal einen Fuß vor den anderen zu setzen. Sie umging den Mann, als wäre er ein Felsen, als wäre er der Felsen aus ihren Traum so warm und kantig.
„ WILLST DU MICH VERARSCHEN?!“, schrie der Felsen auf einmal. Celebithiel zuckte zusammen, all die Leichtigkeit war verflogen und verwurzelt mit dem nassen Gras stand sie da keinen Meter von ihm entfernt. Plötzlich spürte sie die raue Hand an ihrem Handgelenk, die Wurzeln wurden aus dem Boden gerissen und sie flog durch die Luft und ihr Rücken prallte gegen das harte Holz des Stalles.
Der Felsen drückte ihre Hände gegen die Wand und presste sich gegen ihren Körper.
Sie bekam keine Luft, sein Knie rammte er in ihren Magen.
„ Na wie fühlt ihr euch Fräulein Unsterblich?“, sagte der Felsen in ungewöhnlich ruhigen, schon fast bemitleidenswerten, Tonfall. „ Meine Frau und meine zwei Töchter waren nicht unsterblich. Sie wurden von den Dunländern überfallen, vergewaltigt und aufgeschlitzt“, fuhr er fort als würde er nicht mir ihr, sondern mit jemand anderen reden.
Celebithiel wurde schlecht, sie drehte ihren Kopf zu Seite. Der Felsen schlug sie zweimal ins Gesicht, während er sie anschrie. „ SIEH MICH GEFÄLLIGST AN, WENN ICH MIT DIR REDE DRECKSWEIB!“.
Sie bewegte sich nicht, er schlug sie wieder und ließ ihre linke Hand los und griff sie am Kiefer, um ihren Kopf zu seinem zu drehen. Sie hatte die Augen geschlossen und erwartete weitere Schläge, doch es folgte nichts. Anstatt dessen hörte sie ein leises Wimmern und sie spürte, wie sich der Griff an ihrem Kiefer und um ihr Handgelenk lockerte. Dennoch traute sie sich nicht die Augen zu öffnen, aus Angst davor, was noch geschehen würde.
„ Es tut mir so leid Mara, Melena und Nin. Wie konnte ich euch nur in Stich lassen?“.
Der Felsen lag nun weinend und schluchzend in Celebithiels Schoss. Immer wieder hörte sie ihn die Namen seiner Frau und Kinder in die finstere Nacht hinein rufen.
Nach einer Stunde nahm Celebithiel behutsam den Kopf des Felsen und bettete ihn auf einem Nest aus Stroh, welches sie aus dem Stall geholt hatte. Dann legte sie ihren Mantel über seinen kantigen Körper und wischte ihm die Tränen aus dem Gesicht.
Sie spurtete zum Lager zurück und teilte den Soldaten mit, dass sie bei den Ställen einen schlafenden Mann gefunden habe und Angst habe, dass er erfrieren würde in der Nacht. Jene eilten sofort los und holten den Felsen zum Lagerfeuer.
„ Gnädige Frau vielen Dank für eure Nachricht, das ist Jéol. Er trinkt zurzeit ein wenig über den Durst, nachdem er erfahren hat, dass seine Frau und Kinder ermordet wurden. Dabei war er früher so ein fröhlicher und ausgewogener Mensch“, sagte einer der Wachen.
„ Der Krieg verändert jeden von uns, die wenigsten zum positiven“, murmelte Celebithiel und entfernte sich von der Gruppe Soldaten, die am Feuer standen.
Sie sprach kein Wort mehr als sie zu ihrem Zelt zurückkehrte. Leise, um Antien nicht zu wecken, kletterte sie ins Innere und holte vier Kerzen aus einer Tasche, die ihr Gandalf gegeben hatte. Behutsam zündete sie die Kerzen an und steckte sie in den Boden, vor dem Felsen auf den sie die letzten neun Tage gelegen hatte.
Für Jéol, Mara, Melena und Nin, damit ihr Frieden findet.
Sie saß im nassen Gras vor den Kerzen, die sie aufgestellt hatte und blickte starr und teilnahmslos auf den monotonen Tanz ihrer Flammen im Nachthimmel.
Die erste Kerze hatte sie Jeól gewidmet, oder den Felsen, wie sie ihn nannte, obwohl sie nun seinen eigentlichen Namen kannte. Vor ihrem inneren Auge erschienen seine beiden Gesichter. Das erste vor Wut schnaubende und verzerrte Gesicht, welches von einem dunklen Schatten verdeckt wurde. Dann erschien das andere warm, traurig mit Augen, wie Kastanien, die sie so flehen angesehen hatten, dass es ihrem Herz Stiche versetze. Als sie die anderen Kerzen ansah sah sie keine Schatten, keine Gesichter, keine Kastanien.
Dort fühlte sie Mitleid, Verständnis und Verbundenheit. Hatte jemand für ihre Eltern Kerzen aufgestellt. Für ihre Mutter, an die sie sich nicht mehr erinnern konnte und wollte. Für ihren Vater, dem Helden ihrer Kindheit, den Drachentöter.
Dann blickte sie gen Westen, wo sich Isengart befand und sie spürte die Quetschungen an den Handgelenken, den Schmerz im Magen und die Handabdrücke im Gesicht und sie empfand Hass.
Nicht Hass gegenüber dem Felsen, sondern Hass den Schergen des Schwarzen Landes, seinen Dienern und seinem Herrn gegenüber.
Der Himmel begann sich nun rot zu verfärben und Celebithiel erhob sich und blickte in den Osten. Als sie den Schatten erkannte, der sich dort näherte war sie sich sicher, dass es Gandalf war.
Jedoch rannte sie nicht sofort zu ihm, Celebithiel begab sich zurück in ihr Zelt und legte sich nieder.
Sie schlief nicht mehr ein, sondern wartete ab bis Gandalf sie und Antien aus dem Zelt holte.