Kerrys Start:Kerry, Rilmir, Lónar und Magrochil von den NordhöhenKerry fror. Der alte Pfad der über den hohen Kamm der Wetterberge führte war einst von Soldaten Arthedains erbaut worden, hatte ihr Rilmir erklärt. Hier hatten sie lange Jahre den Schatten aus dem dunklen Reich Angmar im Nordosten aufhalten können bis schließlich der große Turm von Amon Súl erobert und zerstört worden war. Ein kühler Wind strich nun über die Hänge und ließ die Gruppe beinahe vergessen, dass Sommer war. Die Sonne war bereits den ganzen Tag über hinter einer dicken Wolkendecke verborgen geblieben.
Rilmir war weiter vorne an einer Biegung des Pfads stehen geblieben. Zur Rechten konnte man zwischen zwei Bergspitzen hindurch weit über die Gebiete im Westen der Bergkette blicken. Dort lagen die Mückenwassermoore, ein übel riechender Sumpf um den sie zum Glück einen großen Bogen gemacht hatten.
Kerry stellte sich neben den Waldläufer, die Hände um ihre Oberarme geschlungen.
"Ziemlich kalt hier oben," sagte sie.
"Über den Wetterbergen liegt fast immer ein kühler Wind."
"Mhmm," machte Kerry. "Ich habe meinen Winterumhang nicht dabei."
"Wenn dir kalt ist, beweg' dich ein bisschen. Dann wird dir warm," antwortete Rilmir, der noch immer ins Tal hinunter blickte.
Kerry verdrehte die Augen und ließ ihn stehen.
Idiot. Nie hört er richtig zu.Die beiden übrigen Reisegefährten hatten ihre Rucksäcke abgesetzt und standen nun etwas abseits des Weges neben einer Felswand. Kerry kam herüber und lehnte sich gegen den senkrecht aufragenden Stein, der sie vor dem Wind schützte. Nachdenklich spielte sie mit ihrem Zopf der ihr über die rechte Schulter fiel.
Magrochil stupste sie an und grinste.
"Was ist denn so komisch?" fragte Kerry ärgerlich.
"
Oh, mir ist sooo kalt..." flötete Magrochil übertrieben.
"Ach, sei still."
"Wovon redet ihr Mädchen eigentlich?" wollte Lónar wissen, der eine Augenbraue hochgezogen hatte.
"Kerra friert und möchte dass
jemand sie wärmt," antwortete Magrochil lächelnd.
"Hier oben mache ich kein Feuer. Das sieht man ja meilenweit. Dann könnten wir genausogut "Wir sind hier" an den Hang dort schreiben, in Buchstaben die man von den Ered Luin bis Bruchtal lesen kann. Haben euch eure Eltern so etwas nicht beigebracht?"
"Meine Eltern haben noch nie selbst Feuer machen müssen. Die haben Bedienstete für solche Sachen," sagte das gondorische Mädchen achselzuckend.
Stimmt ja, sie ist die Tochter irgend eines wichtigen Fürsten oder dergleichen, erinnerte sich Kerry.
In Gondor hat wohl jeder Felsbrocken seinen eigenen Adelstitel."Und was ist mit dir?" wandte sich der Zwerg an Kerry. "Sind deine Eltern auch reich genug um solche Sachen nicht wissen zu müssen?"
Kerry baute sich vor ihm auf, die Hände in die Hüften gestemmt.
"Meine Eltern starben heldenhaft bei der Verteidigung des Erebors,
Herr Zwerg, in einem Krieg den sie sich nicht ausgesucht hatten, während die Zwerge sich in ihre Festung im Inneren flüchteten. Ihr Opfer hat dem König unter dem Berg genug Zeit erkauft damit er seinen Feinden entkommen konnte. Und
mich wiesen die Zwerge wegen "ungehörigem Benehmen" aus dem Berg aus, schickten mich einfach durch einen ihrer vielen Geheimgänge nach draußen. Na vielen Dank auch, lieber König unter dem Berg!"
"Oh, das tut mir Leid! Das wusste ich nicht," gab Lónar entschuldigend zurück. "Das muss ja schrecklich für dich gewesen sein, Mädchen. Willst du darüber reden?"
Magrochil lachte. "Und das hast du ihr geglaubt? Das ist doch nur wieder eine von ihren Geschichten," sagte sie.
Kerry strich sich eine Strähne ihres Haars aus dem Gesicht. "Dein Misstrauen verletzt mich, Maggie," sagte sie ironisch.
"Ach komm schon. Du weißt doch nicht einmal wie der König unter dem Berg heißt."
"Weiß ich wohl. Sein Name ist... Durin...der Hundertste?"
Lónar winkte ab. Er steckte sich seine Pfeife an und verbrachte den Rest der kurzen Pause in nachdenklichem Schweigen. Kerry unterhielt sich leise mit Magrochil, bis Rilmir ihnen schließlich das Zeichen zum Aufbruch gab.
Sie folgten dem Pfad über den Kamm der Wetterberge weiter nach Süden, und langsam wurde es wärmer als die Mittagssonne hoch über ihre Köpfe zog. Kerry sah nur wenige Pflanzen und Tiere bis auf einige Vögel die nach Osten flogen. Kurze Zeit später hielten sie ein weiteres Mal an und verzehrten ihr Mittagessen, welches Kerry bereits am Morgen zubereitet hatte. Anschließend machten sie sich wieder an die Weiterreise.
Gegen Nachmittag begann sich vor ihnen die Wetterspitze zu erheben und wuchs mit jedem Schritt in die Höhe. Zwar befanden sie sich bereits recht hoch über den Landen rund um das Gebirge, doch der Amon Súl war schon immer die höchste Erhebung der Wetterberge gewesen und ragte nun vor ihnen auf. Abends erreichten sie die Stelle, an der der alte Pfad von Arnor begann, in Richtung der Spitze des Berges anzusteigen. Sie schlugen hier ihr Lager für die Nacht auf und aßen ihr Abendessen ohne ein Lagerfeuer zu entzünden.
Als es schon spät geworden war stand Rilmir noch einmal auf. "Ich bin bald wieder zurück. Ich treffe mich mit einigen meiner Brüder in der Nähe. Es wird nicht lange dauern."
"Kann ich mitkommen?" fragte Kerry hoffnungsvoll.
"Es geht um eine Angelegenheit der Dúnedain," antwortete der Waldläufer. "Das betrifft dich nicht, Kerry."
"Bitte, Dúnadan?" versuchte sie es erneut und schenkte Rilmir einen liebreizenden Augenaufschlag.
"Ich kann dich nicht mitnehmen. Das Treffen ist geheim."
Und dabei blieb er, und ging alleine. Kerry blieb neben Magrochil sitzen und fühlte sich seltsam. Trotz stieg in ihr auf.
Ich will wissen, was er mit den Dúnedain zu besprechen hat. Ob es um den Brief geht, den er in seiner Tasche hatte? Planen sie eine Verschwörung? Wird Rilmir uns verlassen? Werde ich ihn dann nie wiedersehen?
Ich hab' da ein ganz mieses Gefühl bei der Sache.Eine Viertelstunde später hielt sie es nicht mehr aus und stand auf. Magrochil war bereits eingeschlafen und Lónar war in seine Karten vertieft.
Keiner der beiden wird meine Abwesenheit bemerken, dachte sie. Sie wusste nur die ungefähre Richtung in die der Dúnadan gegangen war - den Weg zum Berggipfel hinauf. Und so folgte sie dem schmalen Pfad, bis ihre Beine vom stetigen Aufstieg zu schmerzen begannen.
An einer alten Säule blieb sie stehen um sich einen Moment lang auszruhen.
Was mache ich hier eigentlich, dachte sie.
Es ist jetzt schon so dunkel dass ich noch stürzen und mir alle Knochen brechen werde. Das war so eine dumme Idee hier her zu kommen.Als sie sich gerade auf den Rückweg machen wollte hörte sie mit einem Mal leise Stimmen die sich zu unterhalten schienen. Vorsichtig bewegte sie sich darauf zu, darauf bedacht ja kein Geräusch zu verursachen. Durch einen alten Torbogen hindurch konnte sie die Überreste des alten Wachtturms von Amon Súl sehen in dessen Mitte eine kleine Gruppe Gestalten stand, die von dunklen Mänteln mit Kapuzen verhüllt waren. Sie konnte nicht verstehen was gesprochen wurde, erkannte aber dass es Elbisch war.
Kerry wurde es unwohl zumute. Ein Gefühl des Verbotenen beschlich sie und mit einem Mal wünschte sie sich, sie wäre nie hergekommen. Gerade wollte sie sich leise wieder zurückziehen als sich eine Hand auf ihren Mund legte und sie kalten Stahl an ihrem Hals spürte.
"Sieh mal einer an," sagte eine grimmige Männerstimme. "Einige Späher des Feindes sind also ganz hübsch anzuschauen. Rühr' dich, und dein Leben ist vorbei."
Sie erstarrte, die Augen weit aufgerissen.
"
Aí, gwedeir!" rief der Mann zu der Versammlung hinüber und schob Kerry auf die Gestalten zu. Angst stieg in ihr hoch.
Was jetzt? Was mache ich jetzt nur?Einer der Männer trat vor. Die Fackel die er trug spendete nur sehr wenig Licht, und unter seiner Kapuze war sein Gesicht nicht zu erkennen.
"Wer bist du und wem dienst du?"
Kerry machte den Mund auf, aber keine Worte wollten herauskommen.
Das war's dann wohl."Bist du in Sarumans Auftrag hier? Hat er dich geschickt um uns zu belauschen?"
Der Mann kam einen Schritt näher, die Hand bedrohlich an den Griff seines Schwertes gelegt.
"Wieviel hast du gehört? Antworte mir, Mädchen!"
"Sie gehört zu mir, Belen. Sie ist keine Gefahr... nur leider ist sie neugieriger als gut für sie ist," erklang Rilmirs Stimme unvermittelt neben ihr. Der Waldläufer nahm die Kapuze ab und betrachtete sie. Kerry blickte in seine grauen Augen und sah Enttäuschung und Verärgerung.
"Kerry, hatte ich dich nicht gebeten, beim Lager zu bleiben?"
"Es tut mir Leid, Dúnadan," antwortete Kerry niedergeschlagen.
"Du wirst vergessen was du hier gehört hast," sagte der Mann namens Belen streng. "Niemand darf davon erfahren."
"Das wird sie. Nicht wahr, Kerry?"
"Ich verspreche es!" brachte Kerry eilig hervor.
Das müssen die Dúnedain aus dem Brief sein! fiel es ihr ein. "Ich kann mich schon kaum noch an euch erinnern," fügte sie schnell hinzu.
Rilmir brachte sie kurz darauf zurück ins Lager. Die Waldläufer hatten ihr Treffen beendet und hatten sich schon bald in alle Richtungen zerstreut.
"Dúnadan...," begann Kerry als sie den Pfad vom Gipfel hinabstiegen
"Ich weiß, was du sagen willst," unterbrach Rilmir sie. "Und ich verzeihe dir. Denn du hast keine Gesichter gesehen und kennst nicht den Grund dieses Treffens, kannst sie also unseren Feinden nicht verraten wenn sie dich gefangen nehmen sollten."
"Ich... weiß nicht, wieso ich nicht auf dich gehört habe. Es war falsch von mir."
"Kerry... Du weißt nicht, in welche Gefahr du dich gebracht hast. Es sind keine einfachen Zeiten. Die Welt ist gefahrvoller als vormals. Es mag sein dass du dir noch wünschen wirst, niemals den Namen Belen gehört zu haben."
"Was hat all das mit Saruman zu tun?" fragte Kerry kurz darauf vorsichtig.
"Je weniger du weißt, desto besser. Frage nicht weiter, Kerry. Und nächstes Mal hörst du auf mich, wenn ich dich bitte bei den anderen zu bleiben."
Kerry blickte niedergeschlagen zu Boden. "Das werde ich."
Schweigend legten sie den Rest des Weges zum Nachtlager der Reisegruppe zurück.
In dieser Nacht schlief Kerry schlecht, unfähig das Erlebte zu verarbeiten.
Kerry, Rilmir, Lónar und Magrochil zur Großen Oststraße