Das Schicksal Mittelerdes (RPG) > Dunland

Tharbad

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--Cirdan--:
Aus der Sicht des Halblings:

Elrond, Galadriel, Celeborn, Celebithiel mit der Gruppe Elben und Pippin und Merry aus Aldburg.

„Ist sie das?“, fragte Peregrin Tuk seinen alten Freund Meriadoc Brandybock. Eine Antwort war jedoch unnötig, denn es konnte nur Tharbad sein. Die Elben hatten schon seit einigen Tagen von dieser Stadt am Fluss Gwathló gesprochen.
Eine Marschformation wurde gebildet, die die Frauen und Kinder in die Mitte nahm. Vorne wurden elbische Banner in die Höhe gehalten und dann zogen die Galadhrim aus Lothlorien begleitet durch einige Elben aus Bruchtal und dem Waldlandreich zusammen mit Pippin und Merry in die Stadt ein.
Menschenleer waren die Straßen von Tharbad, doch nicht verlassen schien die Stadt. Denn in den Gassen und auf den Plätzen standen Karren, lagen auf Ständen frische Vorräte und an einigen Stellen qualmten noch einige eilig gelöschte Feuer.
In den Häusern versteckten sich die Bürger von Tharbad, während die Elben langsam durch ihre Straßen zogen.

Nach einigen Wendungen der Straße erhob sich vor ihnen eine große Steinbrücke über den breiten Fluss. In aller Vorsicht überquerten die beiden Hobbits auf ihren Ponys als einige der Ersten die Brücke und warten auf der anderen Seite.
„Riechst du das?“, fragte Merry Pippin und stieg daraufhin von seinem Pony. Er lief aufgeregt zu einem stehen gelassenen Karren. „Was hast du da?“, rief Pippin seinem Freund nach. „Rate mal“, lachte Merry und hob ein kleines Fass in die Luft, „das ist Alter Tobi, mein liebstes Pfeifenkraut in ganz Mittelerde!“
Freudig über diesen Fund, insbesondere da sie Sarumans Vorrat auf der Reise bis hierher bereits aufgebraucht hatten, setzten sich die beiden Hobbits mit ihren Pfeifen an das Ufer des Gwathló und beobachteten die Elben dabei die Brücke zu überqueren.

Als Merry zum ersten Mal begann das Pfeifenkraut nachzustopfen, sahen sie Frau Galadriel und Herrn Celeborn Seite an Seite den Fluss zu überqueren und danach in ihre Richtung wandern. Galadriel ließ die Hand ihres Mannes los und ging einige Schritte hinunter zum Gwathló, während Celeborn zu ihnen trat. Einander grüßten sie freundlich und blickten daraufhin zu Galadriel, die das Wasser des Flusses durch ihre gespreizten Finger gleiten ließ.
„Was tut sie da?“, fragte Merry unsicher. „Sie horcht nach den Worten der Fluten“, antwortete der Elbenfürst, „entspringen tut der Fluss nahe Imladris im Nebelgebirge und bringt Nachricht aus Elronds Haus.“ Mehr wollte Celeborn ihnen nicht sagen und fragte stattdessen nach ihrem neuen Fund.
„Eine Spur aus Kraut. Womöglich das neue Zeichen Sarumans. Wo auch immer das Pfeifenkraut in größeren Mengen gefunden wird, muss er seine Hand im Spiel haben. Diese Stadt ist sein Umschlageplatz für die Lieferungen aus dem Land der Hobbits und Menschen. Vermutet hatte ich es, doch nun haben wir Gewissheit.“, sprach Celeborn mehr zu sich selbst als zu den Hobbits. Pippin und Merry nickten verstehend. Auch ihnen Gefiel diese Entwicklung ganz und gar nicht und sie wussten, dass sie im Auenland einiges zu erwarten hatten.

Als alle Elben die Brücke überquert hatten, setzten sie ihren Weg durch Tharbads Straßen fort. Weiterhin trafen sie keine Bewohner der Stadt, doch Pippin hatte verstärkt das Gefühl aus den zugeklappten Fensterläden beobachtet zu werden. Einmal schien es ihm fast so, als erkannte er ein Gesicht im Fenster eines zweistöckigen Steinhauses und wie er so drüber nachdachte, überlegte er, ob es der finstere Lutz Farnrich gewesen sein könnte, denn er noch durch seinen einstigen Aufenthalt in Bree in schlechter Erinnerung hatte.

Nachdem die Elben und Hobbits Tharbad ohne Zwischenfälle verlassen hatten, setzten sie ihren Weg auf der Nordsüdstraße fort.

Azaril:
Aldoc aus Dunland

Die Dunländer gaben nicht so einfach auf, wie Aldoc es sich erhofft hatte. Noch mehrere Tage nach seiner Flucht aus dem Kerker konnte er nachts immer wieder helle Punkte in der Ferne erspähen, die sich langsam über das Land bewegten. Kleine, bewaffnete Gruppen von Kriegern, die offenbar nach ihm suchten, wie er erkannte, als er sich näher an sie heranschlich. Warum ließen sie nicht locker? Was war so wichtig an ihm, dass sie nicht einfach aufgaben und ihn ziehen ließen? Er würde es ja verstehen, wenn ein wichtiger Kriegsgefangener entkommen wäre, ein hoher Fürst oder gar ein König, aber ein im Grunde bedeutungsloser Hobbit? Wozu sich die Mühe machen, ihn so hartnäckig zu jagen?
Wie auch immer, durch seine Verfolger sah er sich gezwungen, selbst kein Feuer zu entzünden, was bedeutete, dass seine ohnehin schon karge Nahrung noch ein wenig mehr eingegrenzt wurde. Er besaß nur wenig Essbares, das meiste davon stahl er in kleinen Dörfern auf seinem Weg, der Rest waren Beeren und andere Früchte von Sträuchern und Bäumen, die in dieser Gegend wuchsen. Es war definitiv nicht viel, und oftmals schmeckte es auch nicht gerade gut, aber es war immerhin besser als der Fraß, den sie ihm im Kerker gegeben hatten.
Dennoch war er heilfroh, als er schließlich am Horizont die Stadt Tharbad erblickte, und mit ihr die Aussicht auf eine richtige Mahlzeit... sofern er irgendwie das Geld dafür auftreiben konnte.
Die Sonne stand im Zenit, als er am Südtor von Tharbad angelangte, wo einige gelangweilte Wachen sich müde auf ihre Speere stützten und ihn mit desinteressierten Blicken musterten. Aldoc atmete tief durch. Tharbad stand vermutlich noch immer unter Sarumans Herrschaft, ebenso wie Dunland, wenn er also Pech hatte, dann hatten die Dunländer die Wachen hier informiert, dass ein Hobbit aus ihren Kerkern entkommen war. Er durfte sich seine Nervosität jedenfalls nicht anmerken lassen. Er musste sich verhalten, als wäre es nichts Sonderbares, dass er die Stadt betrat.
Aldoc schritt zwischen zwei Wächtern hindurch, betrat den kurzen Torgang der recht schmalen Mauer und kam schon kurz Zeit später wieder auf der anderen Seite wieder hinaus. Alles schien gut zu laufen, bis...
"Hey du, warte mal!"
Aldoc erstarrte auf der Stelle. Sollte er so tun, als hätte er nichts gehört? Oder als denke er, dass nicht er gemeint war? Aber wen sollten sie denn sonst meinen? Hier war weit und breit außer ihm und den Wachen niemand zu sehen.
"Ich rede mit dir, Halbling!"
Halbling... nun, damit erübrigte sich die zweite Option. Langsam drehte Aldoc sich zu dem Menschen um, der nach ihm gerufen hatte, und setzte dabei ein freundliches Lächeln auf. "Gibt es ein Problem? Kann ich irgendwie behilflich sein?"
Der Mann, der nun vor ihm stand, ein etwas älterer Kerl in einer schäbigen Rüstung, kniff skeptisch die Augen zusammen und musterte ihn von oben bis unten. "Hm... du scheinst keiner von den Unruhestiftern zu sein. Wie heißt du?"
Unruhestifter? Wovon redete dieser Wächter? "Ich... äh... Aldoc." In Ermangelung eines Ersatznamens stellte er sich mit seinem richtigen Namen vor. Die Dunländer hatten ihn ohnehin nie danach gefragt.
"Aldoc... und weiter? Dein Nachname, Bursche", forderte der Mensch.
Irgendwie sagte ihm sein Gefühl, dass es sehr unklug wäre, in diesem Moment die Wahrheit zu sagen. "Also... Nachname... hm... Gamdschie?"
"Gamdschie?" Der Wächter runzelte die Stirn. "Nie gehört. Naja, dein Gesicht passt sowieso nicht zu den Bildern, die wir uns einprägen sollten. Ich denke, du kannst passieren."
"Nicht so schnell, Herod", erklang plötzlich eine Stimme von Links, wo soeben ein weiterer Wachmann aus einer kleinen Wachstube neben dem Tor trat. Die Rüstung von diesem war jedoch in weit besserem Zustand als die des Mannes, der als Herod angesprochen worden war, und verfügte zudem über einen weißen Federbusch am Helm. Ein gewöhnlicher Torwächter schien das nicht zu sein, eher so etwas wie ein Hauptmann.
Dieser kam nun auf seinen Untergebenen und den Hobbit zu und blieb kurz vor ihnen stehen, Der Hauptmann war deutlich jünger als Herod, und er ging aufrecht und stolz, als wäre der der Fürst dieses Landes. Sein langes, braunes Haar fiel ihm wirr über die Schultern. Ebenso wie sein Gefolgsmann zuvor musterte auch dieser Offizier Aldoc nun von oben bis unten.
"Du heißt also Aldoc Gamdschie?", fragte er daraufhin.
"Das habe ich gesagt." Aldoc wurde langsam nervös. Er war so kurz davor gewesen, in die Stadt zu gelangen, ohne Verdacht zu erregen, und jetzt das. "Wen auch immer ihr sucht, ich bin keiner dieser Unruhestifter. Ich weiß nicht einmal genau, was ihr damit meint. Darf ich jetzt endlich weitergehen, ich habe Hunger, und möchte am besten noch etwas Essen, bevor die Sonne untergeht."
Der Hauptmann ließ sich von diesen Worten jedoch nicht erweichen. "Woher kommst du?"
"Aus dem Auenland." Wie fast alle Hobbits. "Woher denn sonst?"
"Nein, ich meine nicht, wo du geboren wurdest, sondern woher du jetzt gerade kommst. Du bist hier am Südtor, folglich bist du aus Süden gekommen. Das Auenland liegt nördlich von hier."
"Nun ja... also ja... ich komme gerade aus Süden", stammelte Aldoc. Dieser Kerl wusste irgendetwas, da war er sich sicher. Hatten die Dunländer doch bereits eine Nachricht hierher geschickt? Das war nicht gut. Das war ganz und gar nicht gut. "Ich... äh... war in Rohan, bis vor Kurzem. In Aldburg, um genau zu sein."
"Ist das so?" Der Offizier strich sich nachdenklich übers Kinn. "Dann kannst du uns doch sicher sagen, was die dortige Ratsversammlung ergeben hat. Die Nachricht ist zwar bereits bis hierher vorgedrungen, aber ich würde es dennoch gerne noch einmal aus dem Munde von jemandem hören, der zum Zeitpunkt der Versammlung tatsächlich in Aldburg war. Also, ich höre."
"Nun... das war so..." Aldoc trat vorsichtig einen Schritt nach hinten und machte sich für eine rasche Flucht bereit. Er hatte natürlich nicht den Hauch einer Ahnung, welche Ergebnisse die Ratsversammlung in Aldburg erzielt hatte. Dieser Hauptmann hatte ihn geschickt in eine Sackgasse manövriert. Der Hobbit stand mit dem Rücken zur Wand. "Die Elben von... Bruchtal... haben..."
"Ja? Was haben sie?" Der Hauptmann lächelte. Er schien es zu genießen, Aldoc zappeln zu sehen. Es war offensichtlich, dass er bereits wusste, dass der Hobbit ihm keine richtige Antwort geben konnte. Er spielte nur noch mit ihm.
"Nun, wisst ihr, Herr, ich bin aufgebrochen, noch bevor die Versammlung vorbei war, daher..."
"Aber sicher hast du auf deinem Weg hierher von den Beschlüssen des Rates gehört, oder? Zumindest ein paar Gerüchte." Aldoc schwieg. Nichts. Er wusste rein gar nichts. "Es sei denn natürlich, du hättest die letzten Wochen in einem dunklen Kerker irgendwo in Dunland verbracht."
Verdammter Mist! Höchste Zeit, auf Wiedersehen zu sagen! Augenblicklich drehte Aldoc sich um und hastete zurück durch den Torgang, während er im Laufen reflexartig sein Schwert zog. Sehr weit kam er jedoch nicht, denn die Wachen auf der anderen Seite des Tores verstellten ihm den Weg, als der Hauptmann laut "Ergreift ihn!" rief, und entwaffneten ihn mühelos. Somit endete seine überstürzte Flucht vor den Wachen von Tharbad bereits nach wenigen Sekunden auf unrühmliche Weise und er wurde zurück vor den jungen Offizier geschleift, ohne auch nur das geringste dagegen unternehmen zu können. Gerade aus dem Kerker der Dunländer entkommen, nur um jetzt in Tharbad erneut eingekerkert zu werden? Pech war ein zu milder Ausdruck dafür.
"Weißt du, Halbling." Der Hauptmann beugte sich mit einem spöttischen Lächeln auf dem Gesicht zu ihm herunter. "Wir warten schon seit einigen Tagen auf einen Gefangenentransport aus Dunland, aber er kam und kam nicht. Ich dachte mir bereits, dass es vielleicht Komplikationen gegeben hat. Deshalb finde ich es sehr zuvorkommend von dir, dass du freiwillig zu uns gekommen bist. Und nun folge mir, unser Statthalter möchte mit dir sprechen."

Azaril:
Der Statthalter von Tharbad, so stellte sich heraus, war ein schmächtiger Breeländer namens Lutz Farnrich.
Nach seiner Ergreifung am Südtor von Tharbad wurde Aldoc vom Hauptmann der Torwächter zu einem großen, steinernen Haus nahe der Brücke über den Gwathló gebracht, wo der Statthalter ihn in einem geräumigen Zimmer mit luxuriösen Möbeln empfing. Lutz Farnrich bot nicht viel für das Auge, sein Gesicht wirkte auf den ersten Blick unsympathisch und seine Kleidung mutete wie die abgetragenen, bleichen Überreste einer einstmals fürstlichen Robe an. Man merkte sofort, dass dieser Mann sich Mühe gab, wie ein richtiger Statthalter zu erscheinen, aber dabei konnte er seine eher bescheidene, breeländische Herkunft kaum verbergen. Letztlich war er eben kein hoher Numenorer oder mächtiger Elb.
"Das ist der Hobbit?" Das war die erste Frage, die Lutz stellte, doch war sie nicht an Aldoc gerichtet, sondern an den Hauptmann. Dieser nickte und erklärte kurz die Situation. "Er kam zwar nicht wie geplant mit den Dunländern, aber er ist der Halbling, den sie eingefangen haben, ja. Anscheinend konnte er sich befreien und wollte nun zurück nach Norden. Wir haben ihn am Tor abgefangen. Er behauptet, sein Name sei Aldoc Gamdschie."
"Gamdschie? Wie interessant", sagte Farnrich. "Der letzte Gamdschie, dem ich begegnet bin, hat mir zum Abschied einen Apfel an den Kopf geworfen. Aber ich nehme an, dass Gamdschie ohnehin nicht dein richtiger Name ist."
"Du irrst dich", widersprach Aldoc. "Ich bin ein waschechter Gamdschie, so wahr ich hier stehe."
"Aber sicher. Jemand in deiner Situation ist natürlich ehrlich wie ein unschuldiges Kind und sagt immer nur die Wahrheit, vor allem, wenn es um die eigene Identität geht." Schlagartig trat ein ernster Ausdruck in Lutz' Gesicht. "Hältst du mich für blöd, Junge? Du sagst mir besser die Wahrheit. Das wäre zu deinem eigenen Besten. Glaube nicht, ich würde zimperlich mit dir umgehen, nur weil ich mal ein paar Hobbits gekannt habe. Du bist ein Gefangener. Vergiss das nicht."
Nun, ganz Unrecht hatte der Statthalter damit nicht. Aldoc befand sich tatsächlich in einer äußerst ungünstigen Position. Und Breeländer oder nicht, irgendwie glaubte er, dass dieser Lutz tatsächlich nicht davor zurückschrecken würde, ihn zu foltern, auch wenn es vielleicht nicht über ein paar Schläge hinausging. Dennoch würde Aldoc das lieber vermeiden. Sollte er doch besser seinen richtigen Namen verraten? Oder weiter darauf beharren, ein Gamdschie zu sein?
"Nun, ich sehe, du bist hartnäckig, Aldoc Gamdschie." Auf einmal legte sich ein beunruhigendes Lächeln auf das Gesicht des Menschen. "Bestimmt finden sich im Auenland noch ein paar andere Gamdschies, die ein wenig Züchtigung und mehr Arbeit verdient haben. Ich denke, ich werde meinem Vorgesetzten im Auenland den Vorschlag unterbreiten, diese Familie besonders hart ranzunehmen."
"Warte!" Das hatte Aldoc nicht erwartet. Verprügelt zu werden oder schlimmeres, bis er schließlich kooperierte, darauf war er eingestellt gewesen, aber nicht darauf, dass Lutz an seiner statt andere Hobbits würde leiden lassen, die mit der ganzen Sache gar nichts zu tun hatten. Er gab es nur ungern zu, aber mit diesem unerwarteten Schachzug hatte der Mensch aus Bree ihn aus der Reserve gelockt. Was bedeutete schon ein Name? Die Tuks hatten noch immer Widerstand geleistet, als er aus dem Auenland aufgebrochen war, und so, wie er seine Familie einschätzte, hatte sich daran nichts geändert. Lutz konnte ihnen nichts antun, so wie er den Gamdschies etwas antun konnte. "Tuk. Ich bin ein Tuk. Aldoc Tuk, Sohn von Reginard Tuk. Bist du jetzt zufrieden?"
"Ein Tuk also. Schon besser." Das fiese Lächeln im Antlitz des Statthalters von Tharbad wuchs noch weiter an. "Nun denn, Aldoc Tuk, setz dich doch bitte, damit wir in Ruhe miteinander reden können."
Lutz wies auf einen Stuhl bei einem rechteckigen Tisch aus irgendeinem Edelholz, wo Aldoc nun wie aufgefordert Platz nahm. Der Breeländer setzte sich daraufhin ihm gegenüber und befahl dem Hauptmann, Speis und Trank bringen zu lassen. Danach faltete er die Hände und sah den Hobbit über den Tisch hinweg an.
"Also, Aldoc Tuk, du fragst dich sicher, warum ich dich habe hierher bringen lassen. Als ich hörte, die Dunländer hätten einen aufmüpfigen Hobbit gefangen, dachte ich, es könnte einer der Unruhestifter sein oder vielleicht sonst jemand Wichtiges, immerhin trifft man nicht alle Tage einen Halbling außerhalb des Auenlandes oder Breelandes an. Im Grunde war ich wohl einfach ein wenig neugierig. Aber wie es aussieht, bist du niemand Besonderes. Ich habe jedenfalls noch nie von dir gehört. Einerlei, wenn du wirklich ein Tuk bist, kannst du uns trotzdem noch nützlich werden."
"Das bezweifle ich", sagte Aldoc mit vor der Brust verschränkten Armen.
"Wir werden sehen." Lutz lehnte sich entspannt zurück, wie um zu sagen, dass er den ganzen Tag Zeit hatte und es ihm vollkommen egal war, wie unkooperativ sich Aldoc zum jetzigen Zeitpunkt noch verhielt. Dieser Mann wirkte zwar nicht annähernd so furchteinflößend wie manch einer der Dunländer, denen Aldoc in letzter Zeit begegnet war, aber er war auf seine ganz eigene Art unheimlich. "Kommen wir gleich zur Sache: Ist dir ein Peregrin Tuk bekannt? Und vielleicht auch ein Meriadoc Brandybock? Diese beiden haben in letzter Zeit im Auenland für einige... Probleme gesorgt, zusammen mit ein paar anderen Unruhestiftern."
Pippin und Merry sind zurück im Auenland? Die Elben in Imladris hatten ihm mitgeteilt, diese beiden Hobbits seien in Aldburg, aber offenbar war diese Information inzwischen veraltet. Aldoc seufzte tief. Wieder einmal stellte sich ihm die Frage, wie viel Zeit er eigentlich im Kerker verbracht und was er währenddessen alles verpasst hatte. Zu viel, das stand fest.
Die Situation im Auenland hatte sich offenbar grundlegend geändert. Pippin und Merry waren anscheinend aus dem Süden zurückgekehrt... dann diese Probleme, von denen Lutz sprach, und all die Erwähnungen dieser Unruhestifter... so langsam begann das alles, sich zu einem deutlichen Bild zusammenzufügen. Aber noch wusste er nicht genug. Er musste mehr über das erfahren, was in letzter Zeit geschehen war.
"Was genau meinst du mit Unruhestiftern?", fragte er Farnrich, obwohl ihm bewusst war, dass er sich eigentlich nicht in der Position befand, um Fragen zu stellen.
"Was man mit Unruhestiftern eben meint", gab Lutz genervt zurück. "Leute, die Unruhe stiften. Aufrührer. Widerspenstige, kleine Plagen, die nicht wissen, wann sie sich unterzuordnen haben. Und du, mein kleiner Freund, wirst mir jetzt ein bisschen mehr über die Leute erzählen, die einigen wichtigen Persönlichkeiten wie mir in letzter Zeit so viele Kopfschmerzen bereiten."
Aldoc zuckte mit den Schultern. Er würde reden, um Lutz zufriedenzustellen, aber das bedeutete nicht, dass er die Wahrheit sagen musste. Dieser Mensch durfte auf keinen Fall erfahren, wie gut er mit Pippin befreundet war. "Peregrin ist ein Familienmitglied, also ja, ich kenne ihn, aber nicht sehr gut. Anderer Familienzweig und so, wenn du verstehst. Und Meriadoc, das ist einer der Hobbits aus Bockland, meilenweit von Tuckbergen entfernt. Ich kenne ihn nur vom Sehen. Was die aktuellen Ereignisse angeht, weiß ich nicht mehr als du, im Gegenteil. Ich meine, ich saß die letzte Zeit in einer stickigen Zelle unter der Erde fest. Woher soll ich denn wissen, was im Auenland vor sich geht und wer diese Unruhestifter sind, von denen du immerzu sprichst?"
"Nun, wenn man das so sieht, hast du wohl recht." Lutz strich sich nachdenklich über das Kinn. "Aber nun lass uns erst einmal etwas essen. Du bist nach deiner Flucht vor den Dunländern sicher hungrig. Wir mögen keine Freunde sein, aber du sollst später trotzdem nicht behaupten können, ich hätte dir nicht eine gewisse Gastfreundschaft entgegengebracht."
Tatsächlich erschienen schon kurz darauf einige ziemlich abgemagerte Diener und brachten das Mahl, das der Statthalter zu Beginn des Gespräches geordert hatte. Aldoc fühlte sich zwar zum einen nicht gut dabei, sich an den reichen Speisen gütlich zu tun, die nun aufgetischt wurden, nachdem er die ausgemergelten Diener gesehen hatte, aber zum anderen hatte er selbst lange genug viel zu karge Mahlzeiten erdulden müssen. Er war Lutz fast schon dankbar dafür, dass er es ihm ermöglichte, die Zähne endlich wieder in richtiger Nahrung vergraben zu können. Gebratenes Fleisch, verschiedene Obstsorten, frisches Brot... das war nach dem Kerker wahrlich ein Festschmaus!
"Wie kommt es, dass die Diener hier so ausgehungert wirken?", fragte er, während sie aßen.
Farnrichs Blick verdüsterte sich. "Der Krieg im Osten. Die Heere meines Herrn müssen versorgt werden, weißt du. Da bleibt nicht viel für die Leute hier. Aber es ist genug. Niemand muss verhungern. Sie müssen nur ein paar kleine Entbehrungen hinnehmen, zum größeren Wohle."
"Dein Herr", griff Aldoc dieses eine Wort aus der Erklärung auf. "Saruman, nehme ich an?"
"Das ist kein Geheimnis", gab der Breeländer zurück. "Jeder hier dient dieser Tage dem weißen Zauberer."
Jeder, hm? Aldoc runzelte die Stirn. Aber ich nicht. Niemals.
Der Rest des Mahles verlief schweigend, wobei sich Aldoc durchweg der wachsamen Blicke des Hauptmannes bewusst war, der noch immer neben der Tür stand und das ganze Treffen mit starrem Blick beobachtete. Niemand hatte sich die Mühe gemacht, den Hobbit zu fesseln, lediglich seine Waffen hatte man ihm abgenommen, daher war es wohl nicht verwunderlich, dass ein Wachmann mit im Raum blieb. Selbst ein unbewaffneter Feind war noch ein Feind, auch wenn er nur ein kleiner Hobbit sein mochte.
Als sie fertig waren, wurden die leeren Teller abgeräumt und Lutz zögerte keinen Moment lang, das Gespräch an dem Punkt fortzusetzen, an dem er es vor dem Mahl unterbrochen hatte. "Nun, du behauptest also, nichts von den Dingen zu wissen, die zurzeit im Auenland geschehen. Und ich glaube dir das, immerhin warst du tatsächlich einige Zeit in den Kerkern dieser Wilden. Aber das bedeutet nicht, dass ich dich einfach gehen lassen kann. Ich denke, ich werde einen Brief an den Thain schicken und Lösegeld verlangen. So kann ich vielleicht sogar noch ein wenig Profit aus deiner Gefangennahme schlagen."
Lösegeld und Gefangennahme waren zwei Worte, die in Aldocs Ohren über einen sehr schlechten Klang verfügten. Er hatte langsam genug von Kerkern. Irgendwie musste er Lutz davon überzeugen, ihn gehen zu lassen. "Ich glaube nicht, dass sich das lohnt. Du weißt bestimmt, dass wir Hobbits nicht gerade ein wohlhabendes Volk sind, das über Berge von Gold verfügt wie ein habgieriger Drache. Ich denke, unser wichtigstes Handelsgut dieser Tage ist das Pfeifenkraut, und davon karrt ihr ohnehin schon massenweise aus dem Auenland heraus, sofern sich daran seit meinem Aufbruch von dort nichts geändert hat. Außerdem sind die Tuks nicht gerade für ihre Krautfelder bekannt. Im Ernst, was genau, denkst du, kann meine Familie dir geben, was du hier nicht schon im Überfluss hast, Lutz Farnrich? Lösegeld zu fordern, ist die Mühe nicht wert, mich versorgen zu müssen, bis alles geregelt ist. Außerdem stamme ich wie gesagt nur aus einem bedeutungslosen Nebenzweig der Tuks. Mit dem Thain habe ich kaum etwas zu tun."
"Warum sind deine Argumente nur so einleuchtend?", fragte der Statthalter von Tharbad seufzend. Er kratzte sich ein wenig irritiert am Kopf. "Hm... ich kann für dich kein Lösegeld fordern, aber Informationen kannst du mir auch keine geben. So langsam gelange ich zu dem Schluss, dass dieses ganze Gespräch nur reine Zeitverschwendung war. Am besten schicke ich dich einfach wieder zurück nach Dunland."
"Können wir nicht irgendeine andere Lösung finden?", fragte Aldoc hastig. Er wollte auf keinen Fall zurück nach Dunland! "Ich meine, ich habe dir und den anderen Dienern Sarumans im Grunde keine Probleme bereitet wie diese Unruhestifter. Gut, vielleicht gehen ein oder zwei tote Dunländer auf mein Konto, aber ich möchte nur einmal anmerken, dass sie mich angegriffen haben, nicht umgekehrt. Ich habe mich lediglich verteidigt. Komm schon, besteht denn wirklich die Notwendigkeit, mich wieder in einen Kerker zu stecken? Lasse mich laufen, und ich verspreche, dir keine Probleme zu machen."
"Ich bezweifle, dass du dieses Versprechen halten kannst." Lutz verschränkte die Arme vor der Brust. "Nun denn, Aldoc Tuk, es ist Zeit..."
"Verzeiht, Statthalter, aber ich hätte vielleicht eine Idee", meldete sich der Hauptmann plötzlich zu Wort, der bislang das ganze Gespräch über geschwiegen hatte.
Überrascht hob Farnrich eine Augenbraue. "So, eine Idee? Dann lass mal hören, Girion."
Jetzt kannte Aldoc wenigstens endlich den Namen des Hauptmannes. Girion trat nun an den Tisch heran und räusperte sich. "Nun... also, wenn es euch darum geht, Informationen zu erlangen, Statthalter, warum schickt ihr diesen Hobbit dann nicht ins Auenland, damit er mehr für euch herausfindet?"
"Als Spion, meinst du?" Der Gedanke schien Lutz zu gefallen, zumindest veranlasste er ihn wieder einmal zu einem fiesen Lächeln, während er Aldoc mit einem abschätzenden Blick bedachte. "Die Frage ist nur, wie stellen wir sicher, dass er uns auch gehorcht?"
"Gar nicht", sagte Aldoc entschieden. "Ich werde mich definitiv nicht zu einem Spitzel Sarumans machen lassen. Dass kannst du vergessen, Farnrich."
"Dann ist es wohl doch der Kerker..."
"Halt! Warte! Vielleicht können wir doch über die Spion-Sache reden!" Aldoc biss sich verärgert auf die Lippe. Das verlief in eine Richtung, die ihm ganz und gar nicht gefiel. Aber vielleicht war es tatsächlich das beste, sich auf Lutz' Forderung einzulassen, damit er endlich von hier wegkam. Sobald er Tharbad erst einmal hinter sich gelassen hatte, könnte Lutz lange auf seine ersehnten Informationen warten. Oder vielleicht würde er ja doch welche erhalten... Falschinformationen allerdings. So betrachtet stellte es möglicherweise sogar einen gewissen Vorteil dar, ein Spion zu sein. "Na gut, ich mache es."
Lutz nickte zufrieden. "Ich will die genauen Namen sämtlicher Aufrührer im Auenland wissen, ich will wissen, wo sie sich derzeit aufhalten, ich will wissen, was sie als nächstes planen. Und du, Aldoc Tuk, wirst mir all dieses Wissen beschaffen. Hauptmann Girion wird dich begleiten."
"Wie bitte?", fragte besagter Hauptmann verdutzt. "Warum? Ich meine, was will ich denn im Auenland? Ich habe hier in Tharbad alles, was ich brauche."
"Ja, ja, schon klar, aber ich vertraue diesem Hobbit nunmal nicht. Dir vertraue ich jedoch, Girion. Die Sache ist die: Niemand kann mir garantieren, dass Aldoc sich auch wirklich an unsere Abmachung hält. Deshalb werde ich ihm sozusagen noch einen zweiten Spion mitgeben." Nun wandte er sich an den Hobbit. "Du, mein kleiner Freund, wirst deinen Hobbitfreunden im Auenland sagen, Girion sei ein vertrauenswürdiger Reisegefährte, der dich schon lange begleitet. Er wird dich überwachen und zugleich selbst versuchen, an einige Informationen zu gelangen. Wie sagt man so schön? Doppelt hält besser. Ach ja, Aldoc, bevor ich vergesse, es zu erwähnen, Girion ist autorisiert, dir den Kopf abzuschlagen, solltest du irgendetwas verdächtiges versuchen, was mir nicht gefallen könnte. Klar soweit?"
"Glasklar", grummelte der junge Tuk ganz und gar nicht begeistert. In letzter Zeit lief aber auch wirklich alles schief! Nun, vielleicht konnte er Girion auf dem Weg ins Auenland ja irgendwie entkommen. Noch war es nicht in Stein gemeißelt, dass er Lutz und somit indirekt auch Saruman als Spion dienen musste. Nicht, solange er noch über einen freien Willen verfügte.
Lutz sah das Gespräch damit offenbar als beendet an. Er erhob sich, verabschiedete sich mit seinem üblichen, unsympathischen Lächeln von dem Hobbit und dem Menschenhauptmann, und schickte die beiden somit offiziell ins Auenland. Ihnen wurden einige Vorräte zur Verfügung gestellt, und Aldocs Waffen wurden Girion übergeben, der sie unter Verschluss halten würde. Noch am Nachmittag desselben Tages überquerten die beiden unfreiwilligen Gefährten schließlich die steinerne Brücke im Zentrum von Tharbad und verließen die Stadt am Nordtor in Richtung Auenland.
So kam es, dass Aldoc Tuk als Spion Sarumans in die Heimat zurückkehrte.

Aldoc und Girion zur Nord-Süd-Straße

Fine:
Oronêl, Adrienne, Celebithiel und Kerry mit Aéd vom Gwathló


Die kleine Gruppe folgte Aéd und seinen Männern durch das Unterholz am Flussufer. Kerry warf einen letzten Blick zurück und sah die Avalosse hinter einem dichten, mannshohen Busch verschwinden. Ich hoffe, sie bleiben außer Sicht bis Oronêl die Lage geklärt und den Weg frei gemacht hat, dachte sie. Seitdem sie den Ring nicht mehr trug hatte eine innere Unruhe Kerry erfüllt und sie war froh, endlich wieder festen Boden unter den Füßen zu haben und neue Gegenden zu erkunden als immer nur auf dem kleinen Elbenschiff auf und ab zu laufen. Zwar machte sie sich Sorgen um ihre Familie, doch sie vertraute darauf, dass Mathan gut auf das Schiff aufpassen würde.

Kerry ging am Ende der Reihe, und Adrienne kam als Letzte hinter ihr. Oronêl und Celebithiel liefen neben Aéd und unterhielten sich angeregt mit dem jungen Krieger, der sie immer außer Sichtweite der Mauern Tharbads bis an den Rand eines großen Heerlagers führte, wo sich Zelt an Zelt reihte und an vielen Stellen Lagerfeuer brannten.
Aéd winkte den Wachen lässig zu, als diese die Gruppe bemerkten, und man ließ sie passieren. Während sie zielstrebig durch das Lager gingen, begann Kerry, sich mehr und mehr unbehaglich zu fühlen, denn obwohl die meisten Blicke den beiden Elben galten war es doch sehr deutlich zu sehen, dass es nur sehr wenige Frauen im Heerlager gab. Und nicht alle Blicke, die an Kerry und Adrienne hängen blieben waren freundlich - auch wenn keiner wirklich abweisend dreinblickte, ganz im Gegenteil sogar...
Adrienne packte den Griff ihres Schwertes fester und ging mit finsterem Blick neben Kerry her. "Mir gefällt es gar nicht, wo wir hier hinein geraten sind," wisperte sie.
"Mir auch nicht," gab Kerry ebenso leise zurück. "Das sind alles Dunländer... in meiner Heimat hört man nur sehr wenig Gutes über diese Leute. Sie sind wild und rachsüchtig. Und sie hegen seit Jahrhunderten einen tiefen Groll gegen Rohan und seine Bewohner."
"Dann wollen wir hoffen, dass sie dir deine Herkunft nicht ansehen," antwortete Adrienne.
Kerry hoffte das ebenfalls. Ihr Haar war heute nach Elbenart geflochten und sie trug ihre normale Reisekleidung, die genauso gut aus Rohan wie aus jedem anderen Land, in dem Menschen lebten, stammen konnte. Aber dennoch spürte sie, dass es unter den Dunländern hier durchaus einige gab, die in ihr eine Eorlinga erkannten.
"Wir können froh sein, dass die Dunländer sich gegenseitig bekämpfen," flüsterte Kerry Adrienne zu. "Sie waren schon immer Feinde der Rohirrim, und das letzte was Rohan jetzt gebrauchen kann ist ein neuer Angriff auf die Isenfurten."

Ehe Adrienne etwas erwidern konnte kamen sie an ein besonders großes Zelt, das von aufmerksamen Kriegern mit großen runden Schilden und schweren Äxten bewacht wurde.
"Sagt meinem Vater, dass ein alter Freund hier ist, um mit ihm zu sprechen," kündigte Aéd Oronêls Ankunft an. "Geht ruhig schon hinein," fuhr er an die Elben gewandt fort. "Ich sorge derweil dafür, dass sich die jungen Damen nicht langweilen."
Oronêl warf ihn einen zweifelnden Blick zu.  "Sollte ihnen etwas zustoßen..."
"Macht euch keine Sorgen. Das Wolfsrudel wird für die Sicherheit der beiden garantieren," versicherte Aéd. "Ich bringe sie wohlbehalten zurück, darauf habt ihr mein Wort, so wahr ich Aéd Forathssohn bin."
"Also gut," sagte Oronêl schließlich.

"Sie werden mit meinem Vater sprechen und wichtige Pläne machen," sagte Aéd an die Mädchen gewandt, während Oronêl und Celebithiel das Zelt betraten. "Kriegspolitik und solche Dinge liegen bestimmt nicht unbedingt in eurem Interesse. Lasst mich euch in der Zwischenzeit einen Rundgang durch das Lager anbieten und die einzelnen Stämme und Abteilungen des Heeres vorstellen." Er wartete gar nicht auf eine Antwort sondern ging gut gelaunt voran, während sich das Wolfsrudel in der nahen Umgebung zerstreute. Kerry warf Adrienne einen hilflosen Blick zu und folgte Aéd dann notgedrungen. Sie war zwar nicht sonderlich davon begeistert, dass er es sich herausnahm, ihre Interessen besser zu kennen als sie selbst, und eigentlich wäre Kerry auch gerne dabei gewesen wenn Oronêl mit dem Anführer der Dunländer Pläne schmiedete,  doch sie wusste, dass sie in ihrer momentanen Lage gut beraten wäre, im Lager nicht für Aufregung zu sorgen. Adrienne verdrehte die Augen und schien dasselbe zu denken. Eilig schlossen sie zu Aéd auf, der bereits ein Stück voraus gelaufen war.
"Der Stamm des Schildes lagert hauptsächlich in der Mitte des Heeres, weil er das herz unserer Rebellion gegen Saruman bildet," erklärte der junge Krieger, "Nach dem Tod Boráns, des vorherigen Häuptlings, stieg mein Vater Forath zum Anführer auf und schloss mit drei anderen Stämmen ein Bündnis, um unser Land von Sarumans schädlichem Einfluss zu befreien. Zwei Schlachten haben wir bereits geschlagen, und beide waren wir siegreich. Und jetzt haben wir unsere Feinde hier in Tharbad in die Enge getrieben."

Die Führung durch das Heerlager dauerte am Ende zwei Stunden, und Kerrys Füße begannen mehr und mehr zu schmerzen. Aéd hingegen schien unermüdlich zu sein und stellte jeden noch so kleinen Stamm und jede Gruppe vor, die sich Foraths Rebellen gegen Saruman angeschlossen hatten. Adrienne sah mit jedem Schritt genervter aus und stahl sich schließlich in einem unbemerkten Moment davon - Kerry stellte plötzlich fest, dass das gondorische Mädchen spurlos verschwunden war und hatte nicht mitbekommen, wo und wann es dazu gekommen war.
"Wo ist Adrienne?" fragte sie und unterbrach Aéds Nacherzählung der Geschichte und der Traditionen des Stammes des Stabes.
"Sie ist bereits vor einer halben Stunde zum Schiff zurück gekehrt," antwortete der junge Krieger seelenruhig. "Vermutlich war sie nicht ganz so interessiert der Zusammensetzung unseres Heeres wie du," sagte er. "Sag mal, wie heißt du eigentlich?" fragte er plötzlich und blieb stehen.
"Ténawen Morilië Nénharma von den Manarîn," sagte Kerry auf, und als sie Aéd hochgezogenen Augenbrauen sah fügte sie hinzu: "Wenn dir das zu schwierig zu merken ist, kannst du mich auch Kerry nennen." Ihren rohirrischen Namen wagte sie nicht zu nennen - nicht hier, inmitten einer wortwörtlichen Armee von Dunländern.
"Kerry also," wiederholte Aéd. "Ein schöner Name für eine schöne Dame. Wer ist denn der Glückliche, der sich deine Hand gesichert hat? Oder ist diese Position etwa noch offen?"
Kerry blinzelte mehrmals und fragte sich, ob sie sich verhört hatte. Doch es war wahr: Aéd hatte sie tatsächlich gerade einfach so gefragt, ob sie vergeben war. Kerry war sehr überrumpelt von dieser Frage und machte den Mund auf, um eine Antwort zu geben, doch ihr fiel keine Erwiderung ein.
"Aha, es ist also ein Geheimnis?" sagte Aéd lächelnd, der ihre Reaktion offenbar missverstanden hatte.
"Nein, nein," sagte Kerry schnell als sie ihre Sprache wiedergefunden hatte. "Es gibt niemanden. Meine Eltern würden das sowieso nicht erlauben."
"Soso, strenge Eltern, was?" sagte Aéd und lachte. "Das ist bei mir anders. Mein Vater vertraut mir und ich vertraue ihm." Er machte eine Pause und sagte dann: "Ich hoffe, die Führung hat dir gefallen, schöne Kerry?"
"Äh... ja, sicher," sagte Kerry unschlüssig. So direkte Komplimente wie Aéd sie gerade machte waren ihr etwas fremd und sie wusste gerade nicht, wie sie damit umgehen sollte. "Sehr freundlich von dir, Wolf," sagte sie und fiel wieder in ihre alte Gewohnheit, Namen direkt wieder zu vergessen.
"Ein Spitzname? Na du gehst aber ran," amüsierte sich Foraths Sohn. "Damit will ich natürlich nicht sagen, dass er mir mir gefällt. Das alles gefällt mir sogar ziemlich gut." Er kam ganz nahe und nahm Kerrys Hand, was sie für einen Augenblick aufgeregt erstarren ließ. Was macht er denn da? schoss es ihr dich den Kopf, der hochrot geworden war.
"Süß," kommentierte Aéd die Errötung, und endlich überwand Kerry ihre Starre. Sie riss die Hand etwas zu grob weg und machte einen Schritt rückwärts.
"T-tut mir leid," stieß sie hervor. "Ich sollte wohl zum Schiff zurück, ehe sich meine Eltern noch Sorgen um mich machen..."
"Und das wollen wir ja nicht," antwortete Aéd mit einem schiefen Lächeln. Kerrys Reaktionen schienen ihn nicht im geringsten verletzt zu haben. "Ich lasse dich zum Schiff eskortieren. Würde mich freuen, wenn wir uns mal wieder treffen würden."
"Ich weiß nicht," antwortete Kerry, ehe sie ging. Sie war zu durcheinander um weiter darauf einzugehen und war froh, dass Aéd nur wenige Worte mit ihr wechselt während er sie zurück zur Avalosse führte. Kerry wollte so schnell wie möglich aus den Augen der Dunländer verschwinden, ehe noch mehr von ihnen auf ähnliche Ideen wie Aéd kommen konnten...


Kerry zurück zum Gwathló

Eandril:
Als Oronêl und Celebithiel das dämmrige Zelt betraten, wandten sich ihnen sofort alle Gesichter zu, und Foraths ernste Miene verwandelte sich zu einem Grinsen.
"Ha, hier ist derjenige, durch dessen Hilfe wir Bóran losgeworden sind." Die anderen drei anwesenden Männer wirkten weniger begeistert, sahen die Elben allerdings mit verholener Neugierde an.
"Soweit ich mich erinnere, wäre ich ohne deine Hilfe ein wenig länger in Bórans Kerker geblieben", erwiderte Oronêl lächelnd, und packte den Arm, den Forath ihm darbot. "Wie ich sehe, führt ihr euren Krieg recht erfolgreich."
"Bis heute zumindest", knurrte einer der anderen Männer mit einem buschigen Bart. "Und jetzt haben sich unsere Feinde wie Ratten hinter diesen Mauern verkrochen und wir können sie nicht erreichen."
Forath warf ihm einen tadelnden Blick zu und erklärte: "Corgan, Häuptling des Stammes des Stabes. Und auch wenn ich es anders ausgedrückt hätte, hat er nicht Unrecht - offene Feldschlachten sind eine Sache, doch Belagerungen sind eine andere."
Oronêl wechselte einen Blick mit Celebithiel, die entschlossen nickte. "Wie können wir helfen?"

Einige Zeit später hatten sie ihren Plan gefasst. Während Forath und Corgan mit ganzer Kraft die Mauern von Tharbad angreifen würden, würden Oronêl und Celebithiel unterstützt von Aéd und einigen wenigen seiner Männer heimlich in die Stadt eindringen und sich zum Tor durchschlagen, um es für das Hauptheer zu öffnen. Die Avalosse würde als zusätzliche Ablenkung den Hafen von Tharbad angreifen, wobei Forath so viele seiner Männer wie möglich abstellen würde um Mathan, Finelleth und Halarîn zu unterstützen.
Als der Plan beschlossen war, verließen die anderen Häuptlinge das Zelt, und ließen Forath alleine mit Oronêl und Celebithiel zurück.
"Also", begann der Häuptling. "Du scheinst einiges erlebt zu haben seit du Dunland verlassen hast - damals hast du noch fünf Finger an der linken Hand gehabt."
"Einiges", bestätigte Oronêl, und hob die Linke. "Ein Andenken von einem alten Feind. Aber er ist tot und ich nicht, also denke ich, dass ich besser aus der Sache herausgekommen bin."
Forath lachte. "Mit Sicherheit. Wir für unseren Teil haben auch den ein oder anderen Kampf durchgestanden, zuletzt vor etwa zehn Tagen."
In diesem Moment betrat sein Sohn Aéd das Zelt, und Forath meinte: "Wie aufs Stichwort, der Held der Stunde."
Aéd wirkte verlegen und murmelte etwas von "Pflicht" und "Nicht mein Verdienst", und Forath erklärte: "Ich hatte vor der Schlacht einen Fehler gemacht, und dem falschen Mann vertraut - was uns beinahe den Sieg und das Leben gekostet hätte, wenn Aéd die Sache nicht noch herumgerissen hätte." Er wirkte äußerst stolz auf seinen Sohn, der seinem Blick jedoch erneut auswich und gedankenverloren auf die sich im Wind bewegende Zeltplane starrte. Irgendetwas schien den jungen Krieger zu beschäftigen, und auch Forath hatte es bemerkt, denn er sagte an seinen Sohn gewandt: "Du wirkst, als hättest du einen Geist gesehen. Was ist los?"
Aéd atmete tief durch, und blickte Oronêl an. "Dieses Mädchen, Kerry... ist sie schon lange mit euch unterwegs?"
"Seit der Schlacht von Fornost", erklärte Oronêl. "Also seit etwas über einem Monat. Warum?"
"Ich... weiß nicht recht", erwiderte Aéd unsicher. "Sie kommt mir bekannt vor, so als ob... ich sie zuvor gesehen hätte."
"Ihr Volk hat wenig mit den Dunländern zu tun, glaube ich...", meinte Oronêl langsam. "Ich kann mir nur schwer vorstellen, dass..." Aéd unterbrach ihn, wobei seine Augen einfach an ihm vorbei in weite Ferne zu blicken schienen.
"Ich meinte nicht, dass ich ihr begegnet bin." Er sah den fragenden Ausdruck in den Gesichtern der anderen, und erklärte langsam und ein wenig widerwillig: "Ich hatte vor einiger Zeit einen Traum, der teilweise die Wahrheit gezeigt hat."
Oronêl erwartete eigentlich, dass Forath über die Worte seines Sohnes lachen würde, doch dieser nickte nur ernst und meinte: "Brigid hat hin und wieder ähnliche Träume." Auf Oronêls fragenden Blick hin erklärte er: "Meine Frau - nicht Aéds Mutter. Seine Mutter war die Tochter eines reichen Bauern aus Gondor, und sie ist... schon lange tot." Er wandte sich wieder seinem Sohn zu. "Du hast mir vor der Schlacht davon erzählen wollen, und wolltest mich vor Gleryons Verrat warnen, doch ich habe nicht zugehört. Was gibt es noch?"
"Nun...", sprach Aéd zögerlich weiter, während Oronêl aufmerksam lauschte. Er erinnerte sich daran, selbst nach dem Gottesurteil einen Traum gehabt zu haben, der ihn nach Fornost geführt hatte. "Da war eine Frau, die zu mir sprach. Sie war in ein weißes Gewand gekleidet, blond und sehr schön - und gleichzeitig irgendwie traurig und weise."
Celebithiel, die bei Aéds Worten aufgehorcht hatte, sagte leise: "Galadriel."
"Ihr wisst von wem er spricht?", fragte Forath verwundert, und beide Elben nickten.
"Sein Traum zeigt die Wahrheit, ich bin mir sicher", erwiderte Celebithiel. "Er hat die Herrin Galadriel gesehen. Was hat sie gesagt?"
"Sie zeigte mir, was weiter im Osten droht", fuhr Aéd fort, jetzt sicherer, da klar war, dass alle Anwesenden ihm Glauben schenken würden. "Und sie forderte mich auf, die Menschen Dunlands gegen den Schatten zu vereinigen."
Forath wirkte besorgt, als er einwarf: "Wir kämpfen gemeinsam, doch einig sind wir nicht wirklich. Vielleicht war es ein Fehler, das Amt des Wolfskönigs nicht zu beanspruchen, doch diese Dinge sollten geklärt werden, wenn Tharbad unser und dieser Krieg vorüber ist."
"Ich verstehe nicht ganz, was das mit Kerry zu tun hat", meinte Oronêl, und Aéd schüttelte langsam den Kopf. "Ich ebenfalls nicht, aber... ich glaube, ich habe sie in diesem Traum gesehen. Da waren Bilder, die zu schnell wechselten um sie zu erkennen, doch jetzt, wo ich ihr begegnet bin... Ja, ich bin mir sicher, dass sie es war. Und... sie ist schöner als ich geträumt habe."
Oronêl musste seine Belustigung mühsam verbergen. Er hatte davon gehört, dass Kerry einige Zeit für den Dúnadan Rilmir geschwärmt hatte - offenbar hatte sie nun selbst einen Verehrer. Forath dagegen kannte keine solche Zurückhaltung, lachte stattdessen herzhaft. "Mein Sohn ist verliebt, und das nach einer Begegnung! Ist das zu glauben?"
Man musste es Aéd lassen, er errötete kein bisschen, auch wenn sie Situation ihm sichtlich peinlich war, und erwiderte: "Ich weiß nicht. Vielleicht. Aber ich weiß nicht, wie ich mit ihr umgehen soll. Ich war offen und vielleicht ein bisschen voreilig und... ich scheine sie ein wenig verschreckt zu haben."
Oronêl konnte ein leichtes Lächeln nicht länger zurückhalten - aber nicht, weil er über Aéd lachen musste, sondern weil es ihn an seine eigenen Schwierigkeiten erinnerte, als er begonnen hatte, um Calenwen zu werben.
"Kerry... hat einige schreckliche Dinge erlebt und Freunde verloren", sagte er. "Und ich glaube, sie ist es nicht gewohnt, dass jemand sich für sie interessiert. Sie braucht Freundlichkeit und Wärme, und das Gefühl, dass sie nicht weniger wert ist als andere."
"Wir sollten uns allmählich auf den Rückweg machen", meinte Celebithiel, während Aéd über Oronêls Worte nachzudenken schien, und Oronêl nickte.
"Ja, wir sollten den anderen von dem Angriffsplan berichten", stimmte er zu. "Und, Aéd..." Foraths Sohn hob den Kopf, und blickte Oronêl fest an. "Wenn es dir ernst ist mit Kerry, wünsche ich dir viel Glück - aber vergiss nicht, dass du auch Mathan überzeugen musst."
Aéd nickte ernst, und als Oronêl mit Celebithiel das Zelt verließ, hörte er Forath sagen: "Hast du es schon mit Blumen versucht? Frauen lieben Blumen. Brigid zum Beispiel..."

Oronêl und Celebithiel zurück zum Gwathló

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