Das Schicksal Mittelerdes (RPG) > Nah-Harad und Harondor

Aín Sefra - In der Stadt

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Fine:
Beregond und Aerien verließen den Fürstenpalast von Aín Séfra. Am Eingangstor erhielten sie ihre Waffen zurück. Mit breitem Grinsen wiesen die Torwächter Aerien darauf hin, dass ihr Schwert in ihrer Abwesenheit nicht berührt worden war und sie schenkte ihnen ein kleines Lächeln. Sie verabschiedeten sich und gingen ihrer Wege.

"Was hältst du nun von der ganzen Sache?" fragte Aerien auf Sindarin.
"Für mich stand vor der Audienz schon fest, dass Fürst Qúsay ein ehrlicher Verbündeter ist," antwortete Beregond. "Truchsess Imrahil hat ihn in Dol Amroth empfangen und ihm sein Vertrauen geschenkt. Er hat Qúsay ja sogar zum Lehnsfürsten von Tolfalas und Harondor gemacht. Doch nun Auge in Auge mit dem neuen Herrscher Harads zu stehen hat mir einige weitere Dinge verraten. Er wirkt echt, ein kluger und verständnisvoller Anführer. Er ist berechnend und vorsichtig, das hat sein Verhalten bei unserem ersten Treffen gezeigt als er sich zwar wahrheitsgemäß als Ibn Nazir vorstellte, seine eigentliche Identität jedoch zunächst vor Fremden wie uns schützte. Dazu kommt, dass er ein ausgezeichneter Heerführer und Befehlshaber zu sein scheint. In Ithilien habe ich Berichte über die große Schlacht bei Linhir gehört. Es war nicht Elphir von Dol Amroth, der für Gondor den Sieg errang. Ohne Qúsays Hilfe und sein taktisches Können wäre die Schlacht wohl nicht zu unseren Gunsten ausgegangen. Nun bleibt jedoch abzuwarten, ob sich Qúsay auch als gerechter und guter Herrscher erweist. Ich habe Vertrauen und Hoffnung, dass dem so sein wird."

Beregond verstummte schließlich und Aerien ließ seine Worte auf sich wirken. Zum großen Teil deckten sie sich mit ihrem eigenen Bild, das sie sich vom Anführer des neuen Malikats in Harad gemacht hatte. Doch ein Puzzleteil fehlte ihr noch.
"Wie kommt es, dass er die Elbensprache versteht?" fragte sie, mehr an sich selbst als an Beregond gewandt. "Wohnen die Eldar so tief im Süden Mittelerdes? Wenn nicht, welchen Sinn würde es für ihn ergeben, diese Sprache zu erlernen?"
"Vielleicht aus dem gleichen Grund wie du selbst," vermutete Beregond. "Du hast es gelernt, weil dich das Wissen reizte, stimmt's? Vielleicht ist es bei Qúsay ebenso. Womöglich teilt er deine Leidenschaft für die Erben Númenors."
"Ich weiß nicht recht," gab Aerien zurück. "Mir kam es vor, als verwende er die Sprache und sein Wissen über Gondor eher als Werkzeug, als Stufe auf der Leiter zu mehr Macht. Du sagst, er herrscht nun über Tolfalas und Harondor. Sind dies nicht Ländereien Gondors? Wie konnte Imrahil nur zulassen, dass diese Gebiete so leichtfertig abgetreten werden? Hat Qúsay ihn womöglich mit seinem Wissen über Gondor für sich eingenommen?"
"Du vergisst, in welcher Situation sich das Reich befindet," erinnerte Beregond sie. "Der Sieg bei Linhir war nur möglich, weil wir unerwartete Hilfe von den Haradrim erhielten. Und der Krieg gegen Mordor ist noch lange nicht gewonnen. Zwar halten wir den Gilrain als östliche Grenze, doch die großen Städte Gondors sind weiterhin in der Hand des Feindes: Pelargir, Minas Tirith, Osgiliath. Dort herrschen die Ringgeister. Nur durch das Bündnis mit Qúsay können wir darauf hoffen, bleibende Erfolge gegen den Schatten im Osten zu erreichen. Und dieses Bündnis hat nun einmal seinen Preis. Harondor ist ohnehin seit Jahren nahezu verlassen; und Tolfalas regiert Qúsay soweit ich weiß nur als Lehnsfürst Gondors, nicht als eigenständiger Herrscher."
Aerien nickte, wurde jedoch von einer Bewegung am rechten Rand ihres Sichtsfelds abgelenkt. Dort stand ein Mann im Türrahmen eines großen Gebäudes und winkte ihr aufdringlich zu. Ihre Augen verengten sich als sie Sahír, den Händler vom Vortag erkannte.
"Ein Freund von dir?" fragte Beregond verwundert, woraufhin sie entschlossen den Kopf schüttelte.
"Bei den Sternen, nein! Aber ich denke, er stellt eine gute Gelegenheit dar, uns mit passenderer Kleidung auszustatten." Sie ergriff Beregonds Hand und zog den verdutzten Gondorer auf Sahírs Laden zu.

"Ehrwürdige Aerien!" rief ihr der Händler entzückt entgegen als Aerien und Beregond näher kamen. "Erneut bringt Ihr mit Eurem Anblick mein Herz zum Jubeln! Kommt, lasst mich mein Versprechen einlösen und Euch meine Waren zeigen. Ihr erinnert Euch, Ihr dürft Euch etwas aussuchen, als Dank für das Geschenk Eures Anmutes." Er warf einen kurzen Blick auf Beregond. "Bringt Euren Vater gerne mit! Auch er soll mir willkommen sein."
Das entlockte Aerien ein belustigtes Grinsen, während Beregond zur Antwort ansetzte: "Ich bin nicht ihr..."
Doch Sahír war bereits ins Innere des Gebäudes geeilt, und die Dúnedain folgten ihm. Der Laden war bis zum Rand mit den verschiedensten Waren gefüllt. Der Händler führte sie durch verschiedeste Räume während er mit einem unuterbrochenen Redeschwall erklärte, welche Stücke etwas Besonderes waren (nahezu alle), für welche er den beiden einen Freundschaftspreis anbieten würde (ebenfalls beinahe alle) und welche ausschließlich bei ihm und bei keinem anderen Händler zu erhalten waren (der Großteil seines Bestandes). Dabei wurde er niemals müde, darauf hinzuweisen, dass er der beste Händler der Stadt, wenn nicht sogar des Landes sei. Auch erzählte er zwischendrin allerlei Gerüchte über die Geschehnisse in der Stadt und über die Stammesführer, die sich in Aín Sefra versammelten.
"Supet Azruba'al ist ein gerissener Verhandlungsführer," sagte Sahír gerade als sie ein weiteres Zimmer voller Waren betraten. "Alle Kinaḫḫu sind sich einig, dass er als unser Anführer unsere Interessen vortrefflich vertreten wird, und dass unsere Handelsprivilegien erneut bestätigt werden, so wie es unserem ruhmreichen Stamm auch zusteht."
"Sind die anderen Kinaḫḫu auch so... " setzte Aerien an.
"...geschäftstüchtig wie ich? Natürlich nicht," beendete Sahír ihren Satz. "Bei uns gibt es viele Händler, doch es gibt nur einen Sahír. Meine Waren und meine Preise sind unvergleichlich!" Er machte eine großspurige Verbeugung, was Beregond nutzte um das Wort zu ergreifen.
"Wir benötigen passende Kleidung für das warme Klima des Südens," erklärte der Gondorer. "Wir sind vorhin durch einen Raum mit Kleidungsstücken gekommen. Dürften wir uns dort erneut umsehen?"
"Selbstverständlich!" erwiderte der Händler entzückt. "Die besten Gewänder für meine neuen Freunde!" Er eilte voran ohne seinen Redefluss zu unterbrechen.

Bald darauf waren Beregond und Aerien mit luftigen Hosen und leichten Gewändern ausgestattet, die das heiße Wetter Harads erträglicher und sie selbst weniger auffällig machen würde. Aerien fixierte das weite Oberteil mit zwei Gürteln um die Taille, um die Beweglichkeit beizubehalten und hängte sich die Schwerthülle ihres Bastardschwertes über die Schulter. Zuletzt stellte sie sicher, dass der Sternenanhänger ihrer Halskette gut sichtbar auf ihrer Brust prangte.
"Wunderbar, ganz wunderbar," schwärmte Sahír hocherfreut. "Jetzt seht Ihr aus wie eine wahre Wüstenkriegerin. Wirklich bezaubernd!"
Aerien ignorierte ihn. Die Kleidung würde ihren Zweck erfüllen, das genügte ihr. Ihre Gedanken schweiften ab während der Händler mit Beregond den Preis aushandelte. Sie rief sich erneut ins Gedächtnis was sie bisher über Qúsay in Erfahrung gebracht hatte.
"Sahír," unterbrach sie dessen Redeschwall, "Was könnt Ihr mir über Malik Qúsay erzählen? Woher stammt er? Wie kommt es, dass er die Elbensprache spricht?"
Der Händler machte eine entschuldigende Geste. "Mit diesem Wissen kann ich leider nicht dienen," sagte er. "In seiner Weisheit wird er sicherlich einen triftigen Grund gehabt haben, jene Sprache zu erlernen. Malik Qúsay vom Stamm der Quahtan ist aus dem Geschlecht der Quasatamiden, einem alten und ehrwürdigen Hause. Sein Onkel, Hasael, verweigerte ihm den Anspruch auf die Nachfolge seines Vaters Nazir, wie ihr gewisst ebenfalls wisst. Nun strebt er nach dem, was sein Geburtsrecht ist."
Und wohl nach so einigem mehr, dachte Aerien.
Sahír fuhr noch eine Weile fort, über Qúsay und sein Reich, das Malikat Harad zu sprechen, welches gerade erst im Entstehen war. Der Händler empfahl ihnen, unbedingt auf das Ergebnis des Majles, des Rats der Stammesanführer zu warten, der noch heute stattfinden sollte. Dann endlich schafften sie es, sich zu verabschieden und kehrten zurück auf die staubigen Straßen Aín Sefras.

"Psst, Aerien! Beregond! Hier drüben!"
Die helle Stimme riss Aerien aus ihren Gedanken und sie fuhr herum. Beregond hatte sich bereits mehrere Schritte in eine kleine Seitengasse bewegt, und Aerien beeilte sich, ihm zu folgen. Dort wartete im Schatten der Mauern eine schlanke Gestalt in weiten haradischen Gewändern. Ihr Gegenüber blickte sich vorsichtig um und setzte dann die Kapuze ab. Darunter kam ein sommersprossiges Gesicht, eingerahmt von zerzausten, hellbraunen Haarsträhnen zum Vorschein.
"Serelloth!" stellte Beregond fest, und da erkannte auch Aerien die Waldläuferin, die sie in Damrods Versteck gesehen hatte.
"Wie lange folgst du uns schon?" wollte Beregond mit einem leichten Vorwurf in der Stimme wissen.
"Glóradan und ich brachen einen Tag nach euch auf," erklärte die junge Frau fröhlich. "Wir begleiteten eine mehrere Dutzend starke Gruppe, die den Barad Harn besetzen sollte um die Poros-Furten zu überwachen. Dort angekommen erhielten wir die Anweisung, euch zu folgen um nach eurem Treffen mit dem Fürsten Harondors Nachricht an Damrod zu schicken. Ist es gut gelaufen?"
"Kann man so sagen," erwiderte Beregond langsam. "Er hat sich Damrods Botschaft angehört und sie gut aufgenommen. Ich habe ein gutes Gefühl bei der Sache."
"Schön!" kommentierte Serelloth eifrig. "Dann kann Glóradan ja mit guten Neuigkeiten zurück nach Ithilien aufbrechen. Ich werde es ihm gleich erzählen!"
Damit wandte sie sich um und eilte davon, ehe sie sie aufhalten konnten.

"Ist sie immer so... stürmisch?" fragte Aerien mit einer Mischung aus Verwunderung und Misstrauen.
"Wenn es um ihren Vater geht schon," antwortete Beregond. "Sie will ihn stets beeindrucken und sich ein Lob von ihm verdienen. Deswegen kommt es vor, dass sie etwas übereifrig wird."
"Und ihr Vater ist...?"
"Kannst du es dir nicht denken, Aerien?"
"Doch nicht etwa..." setzte Aerien an und blickte Beregond scharf ins Gesicht.
"Was? Ich? Nein, wo denkst du hin?" Beregond lachte leise und lange. "Sie ist Damrods Tochter. Serelloth mag man ihr Alter nicht ansehen, doch wenn ich mich recht entsinne ist sie nicht älter als siebzehn. Ein tapferes Mädchen, mit dem Herzen am rechten Fleck."
Sie verließen die Seitengasse wieder. Von Serelloth (oder Glóradan) fanden sie keine Spur. "Lass uns zum großen Platz in der Mitte der Stadt gehen," sagte Beregond. "Wenn heute tatsächlich der Majles stattfindet, bin ich mir fast sicher, dass das Ergebnis dieser Beratung dort verkündet werden wird. Ich bin gespannt was wir erfahren werden!"

Eandril:
Narissa aus Umbar...

Am Vormittag des sechsten Tages nach ihrem Aufbruch erreichte Narissa schließlich ihr Ziel. Sie hatte die Nacht in einem kleinen Oasendorf einige Meilen vor der Stadt verbracht und dort, wie schon einige Male zuvor auf ihrer Reise, neben Grauwind im Stroh eines Pferdestalls geschlafen. Trotz der unbequemen Schlafgelegenheit war sie früh am Morgen erfrischt, wenn auch etwas nach Pferd riechend, aufgewacht und hatte sich auf den Weg in die Stadt gemacht bevor die Sonne hoch am Himmel stand.
Die Wachen am Westtor von Aín Sefra warfen ihr und im speziellen ihren Dolchen zwar den ein oder anderen misstrauischen Blick zu, ließen sie aber ungehindert passieren. Durch die vielen Krieger verschiedenster Völker fiel Narissa vermutlich nicht weiter auf. Während sie sich auf Grauwinds Rücken langsam einen Weg durch die Menge bahnte, die die Straßen verstopfte, blickte Narissa sich neugierig um. Auf den Mauern wehten verschiedenste Banner, von denen sie einige kannte, andere wiederum nicht. Eines, dass die Farben Schwarz, Grün, Rot und Weiß und auf dem grünen Streifen die Buchstaben M-L-K zeigte, fiel ihr besonders ins Auge, da es sich von den üblichen ein- oder zweifarbigen Bannern der meisten haradischen Stämme abhob. Wahrscheinlich handelte es sich dabei um Qúsays Banner, worauf auch die Buchstaben M-L-K, für Malik hindeuten konnten.

Je näher sie dem Zentrum der Stadt kam, desto langsamer kam Grauwind voran und das dichte Gedränge zwang Narissa schließlich zum Absteigen. Sie führte die Stute langsam durch die Menge an den Rand der Hauptstraße und in eine etwas leerere Seitengasse hinein, in der sie ein Gasthaus erspäht hatte. Über der Eingangstür hing ein Schild auf dem ein stilisierter Löwenkopf und die lahmidischen Worte "Zum Wüstenlöwen" prangten. Narissa band Grauwind an einem in die Wand des Gasthauses eingelassenem Haken fest, hoffte dass niemand das Pferd entführen würde, und betrat den dämmrigen Schankraum.
Sobald ihre Augen sich an das Dämmerlicht im inneren des Gasthauses gewöhnt hatte, trat sie an den Tresen heran, hinter dem der Wirt, ein Mann um die vierzig mit einem schwarzen Schnurrbart gelangweilt einen Becher auswischte.
"Habt ihr ein Zimmer für mich und einen Platz für mein Pferd?", fragte Narissa in der Sprache der Lahmiden. Der Wirt stellte den Becher ab und nickte, antwortete allerdings:
"Kommt drauf an. Ihr kommt aus Qafsah, nicht wahr?" Seine Miene war alles andere als freundlich, und Narissa verfluchte sich insgeheim. Offenbar war an ihrem Akzent deutlich zu hören, dass sie mit dem Dialekt von Qafsah aufgewachsen war. Das war das Problem an den vielen haradischen Sprachen, die sich alle in gewisser Weise miteinander verwandt waren, denn mit diesen nicht verwandte Sprachen wie Sindarin oder die Gemeinsprache des Nordens sprach Narissa beinahe akzentfrei.
Wie die Reaktion des Wirtes ihr verriet, war Qafsah in Aín Sefra momentan nicht allzu wohl gelitten. Verständlich, wenn man bedachte dass der Herrscher von Aín Sefra sich offen gegen das mit Suladan verbündete Mordor aufgelehnt hatte und Qúsay als Malik von Harad einsetzen wollte.
"Ich bin in Qafsah aufgewachsen.", gab Narissa wahrheitsgemäß zu, fuhr aber fort: "Ich bin allerdings lange nicht mehr dort gewesen, seit Suladans Machtübernahme nicht mehr."
Die finstere Miene des Wirtes hellte sich deutlich auf. "Ah, das ist deutlich besser. Und welche Geschäfte führen euch in die schöne Stadt Aín Sefra?"
"Ich bin auf der Suche nach einem Freund.", erwiderte Narissa ausweichend. In gewisser Weise war das sogar die Wahrheit, schließlich war sie hier um zu untersuchen ob Qúsay ein Freund war.
"Nun, dabei wünsche ich euch viel Glück.", meinte der Wirt, jetzt lächelnd. "Wie lange werdet ihr hier bleiben?"
Narissa konnte nur mit den Schultern zucken. "Ich weiß es nicht genau, kommt drauf an wie lange ich brauche."
Sie einigten sich schließlich darauf, dass sie vorerst für drei Nächte Unterkunft für sich und ihr Pferd zahlte, und bei Bedarf noch verlängern konnte. Ein Bediensteter brachte Grauwind für sie in den Stall, der sich in einem kleinen Hof auf der Rückseite des Hauses befand.
Nachdem sie ihren Beutel auf ihr Zimmer, einen kleinen Eckraum im oberen Stockwerk des Gasthauses mit einem schmalen, aber bequemem Bett, einem kleinen Ecktisch mit Stuhl und einer mit Wasser gefüllten Schale gebracht hatte und sich ein wenig den Stallgeruch abgewaschen hatte, verließ Narissa den Wüstenlöwen und trat wieder hinaus auf die Straße. Der Morgen war inzwischen voran geschritten, und die Sonne stand schon beinahe im Zenit. Trotz der Hitze kehrte Narissa auf die Hauptstraße zurück, wo sie sich in der Menge in Richtung des zentralen Platzes treiben ließ. Hier und da schnappte sie Gesprächsfetzen auf, die sich darum drehten dass offenbar noch heute die Ergebnisse der Versammlung, die die einberufenen Fürsten in diesen Minuten abhielten, verkündet werden sollten.
Narissa überlegte ob es ihr möglich wäre, sich irgendwie in den Palast zu schleichen und die Fürsten, besonders Qúsay, zu belauschen, als sie, völlig in Gedanken, mit einer schwarzhaarigen Frau die ein Bastardschwert auf dem Rücken trug und gerade aus einer Seitengasse gekommen war, zusammenstieß.
"Oh, Verzeihung.", sagte sie entschuldigend in der Sprache der Lahmiden, und trat einen Schritt zurück, wobei ihr sofort die für Bewohner Harads ungewöhnlich hellen Augen der Frau auffielen.

Fine:
Das Mädchen sagte etwas in einer Sprache, die Aerien nicht verstand, doch ihre Reflexe hatten bereits die Kontrolle übernommen. Sie wusste, dass ein leichtes Anrempeln in Städten wie diesen allzu oft einen Taschendiebstahl kaschieren sollte und taste hastig nach ihrer Halskette. Beruhigt stellte sie fest, dass das Schmuckstück noch da war, ebenso wie Lôminzagar. Sie nahm die Hand vom Griff der Klinge und fixierte ihren Gegenüber mit einem misstrauischem Blick.
"Pass' doch auf, wo du hingehst," sagte sie auf Sindarin, ehe sie ihren Fehler bemerkte. Das versteht sie bestimmt ebenso wenig, wie ich sie gerade verstanden habe, dachte sie, doch ein Blick in die tiefgrünen Augen des Mädchens zeigte keine Verwirrung, sondern Überraschung, Entschlossenheit und ein Aufblitzen von Verstehen. Aerien drehte ihren Kopf zur Seite, doch von Beregond war keine Spur zu sehen. Der Gondorer war offenbar alleine weiter zum großen Marktplatz gezogen. Auch gut, dachte sie. Ich finde ihn dort später.

Ihre Neugierde war geweckt und sie sah sich ihren Gegenüber genauer an. Die feinen Züge und die Augenfarbe wollten nicht recht ins Bild einer einfachen Südländerin passen. Ob sie wohl einem entfernen Verwandten aus Umbar gegenüberstand? Sie beschloss, ein Risiko einzugehen und mehr herauszufinden.
"Kannst du verstehen, was ich sage?" fuhr sie in der Elbensprache fort. "Wie lautet dein Name?"

Eandril:
Eine Reaktion auf Sindarin zu bekommen war ungefähr das letzte was Narissa erwartet hatte, und so reagierte sie langsamer als normalerweise.
"Ich..." Auch sie war nun ins Sindarin gewechselt, dass ihr näher lag als das Lahmidische. "Ja, ich verstehe was du sagst, aber..." Narissa unterbrach sich und betrachtete die andere Frau für einen Moment genauer, denn wie ihr Großvater ihr beigebracht hatte war Sindarin in Harad unglaublich selten, und wurde in der Regel nur von Angehörigen ihres eigenen Volkes gesprochen. Konnte es sein, dass unverhofft auf ein Mitglied des Spionagenetzwerks, dass ihr Großvater in ganz Harad unterhalten hatte, gestoßen war? Auch wenn schwarze Haare in Harad ganz und gar nicht unüblich waren, die grauen Augen, die Gesichtszüge und zuletzt die Tatsache dass die Frau Sindarin sprach, wenn auch mit einem merkwürdigen Beiklang, sprachen stark für númenorische Vorfahren.
Dennoch beschloss Narissa, vorsichtig zu sein. Sie hatte Geschichten von Schwarzen Númenorern, die Sauron seit langem dienten, gehört, und vielleicht stand sie auch einer aus diesem Volk gegenüber.
"Ich heiße... Herlenna.", antwortete sie mit einem kurzen Zögern. Sie wusste nicht wie intensiv Suladan nach ihr suchen ließ, doch sie wollte kein unnötiges Risiko eingehen, und so nannte sie den Namen ihrer Mutter statt ihren eigenen.

Narissa machte einen Schritt zur Seite um einem Trupp bewaffneter Männer auszuweichen, behielt die andere Frau dabei aber im Auge. "Und du? Wie heißt du, und woher kommst du dass du die Sprache der Elben sprichst?", fragte sie zurück.

Fine:
Ein merkwürdiger Name für ein merkwürdiges Mädchen, dachte Aerien. Seltsamerweise spürte sie ihr Misstrauen schwinden. Irgendetwas sagte ihr, dass diese Herlenna keine Gefahr darstellte. War dies etwa die sagenumwobene Weitsicht der Dúnedain? Nein, überstürze nichts, hielt sie sich selbst an. Behalte alle Fakten im Auge. Sie hat dich nicht bestohlen, also war der Zusammenstoß wahrscheinlich wirklich bloß ein Zufall. Aber was, wenn nicht? Finde mehr heraus!
Sie warf einen vorsichtigen Blick über die Schulter. Man konnte nie wissen, wer zuhörte. Gerade hier im Süden schienen die Wände nur allzu oft Ohren zu haben.

"Ich heiße Aerien... Gesandte des Herrn Damrod von Ithilien. Ich spreche die Elbensprache weil das viele von meinem Volk tun, in Gondor ist sie recht weit verbreitet. Ich komme gerade von einer Audienz mit dem Fürsten Qúsay. Ich hatte ihm dringende Nachrichten aus dem Norden zu überbringen."
Sie fragte sich, warum sie Herlenna all das erzählte. Eigentlich ging dieses Verhalten gegen alles, was sie von ihrem Vater gelernt hatte. Doch dies waren seltsame Zeiten. Sie beschloss, ihrem Instinkt zu vertrauen.
"Du scheinst nicht aus Gondor zu stammen, nicht wahr?" fragte sie. "Leben denn etwa noch Dúnedain so tief im Süden, die die alten Sprachen noch immer beherrschen? In den Aufzeichnungen wurde nichts dergleichen erwähnt. Deine Familie muss wohl im Verborgen leben."

Sie spürte, wie ihr Wissensdurst sie etwas zu weit gehen ließ, und hob entschuldigend die Hand.
"Verzeih' mir, das sind vielleicht etwas viele Fragen auf einmal, und wir kennen uns ja gar nicht. Gewiss hast du hier wichtige Geschäfte in der Stadt zu erledigen?"

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