Gemeinsam mit Dervorin, der sich in der Gegend am Oberlauf des Gilrain bestens auskannte, den Delferyn und Ladions Elben gelang es Hilgorns Truppen schnell, alle möglichen Übergänge über den Fluss ausfindig zu machen und so gut es ging gegen Angriffe zu sichern. Auf Amrothos' Vorschlag hin wurden an jedem Übergang zwei Männer als Boten abgestellt, die Warnungen nach Norden und nach Süden den Fluss entlang zur nächsten Furt bringen sollten. Auf diese Weise musste ein Bote nur den Weg bis zur nächsten Stellung zurücklegen, bevor ein frischer Bote mit einem frischen Pferd übernehmen konnte, und Warnungen vor einem Angriff konnten sich mit großer Geschwindigkeit entlang des Gilrain verbreiten.
Hilgorn hatte sein Haupquartier auf der Westseite der Ethring-Furt aufgeschlagen - näher an der Halle der Delferyn als am Sitz des Fürsten, der seit ihrer Ankunft seine Festung nicht mehr verlassen hatte und nach Dervorins Informationen viel Zeit damit verbrachte, sich in seinen Gemächern einzuschließen, und niemanden zu sich zu lassen. Hilgorn war darüber nicht traurig, denn Dervorin und auch Gilheston, der Anführer der Delferyn, waren viel eher Männer nach seinem Geschmack, mit denen er gut zusammenarbeiten konnte. Und auch Amrothos zeigte sich, trotz gelegentlicher Phasen in denen seine Gedanken weit abzuschweifen schienen, von seiner besten Seite. So hatte Hilgorn schon nach gerade einmal zwei Wochen das Gefühl, alles für die Sicherung des Gilrain getan zu haben - und dennoch erschien ihm die Ruhe, die über dem Fluss lag, trügerisch. Kein Ork oder sonstiger Diener Mordors war - mit Ausnahme Linhirs - am Ostufer gesichtet worden, kein Versuch war unternommen worden, Gondors Wachsamkeit zu testen.
Am Morgen des vierzehnten Tages rief Hilgorn daher seine Mitstreiter in seinem Zelt zusammen - die Prinzen Amrothos und Dervorin, Gilheston von den Delferyn, Ladion, und seinen eigenen Stellvertreter Balvorn.
"Ich werde morgen nach Dol Amroth aufbrechen, um Fürst Imrahil persönlich Bericht über die Lage am Gilrain zu erstatten", begann er, die Hände auf den Tisch mit der großen Karte, die die gesamten Lande am Gilrain zeigte, gestützt. Auf der Karte waren bemalte Figuren aus Holz verteilt, die ihre eigenen Stellungen und die vermutlichen Positionen des Feindes zeigten. "Und ich nehme an, dass Prinz Amrothos mich begleiten wird." Amrothos bewahrte mühsam eine gleichmütige Miene, nickte aber ein wenig zu hastig. "Ich denke auch, dass es das beste sein wird, wenn ich ebenfalls für den Augenblick nach Dol Amroth zurückkehre."
Hilgorn unterdrückte ein Lächeln, und fuhr fort: "Prinz Dervorin, mit eurer Erlaubnis werde ich euch für die Dauer meiner Abwesenheit die Verantwortung über meine Soldaten übergeben. Mein Stellvertreter Balvorn wird euch beratend zur Seite stehen, und ich nehme an, dass ihr auch auf die Unterstützung von Meister Gilheston zählen dürft."
"Aber sicher darf er das", knurrte der Anführer der Delferyn, und legte Dervorin die Hand auf die Schulter. Er war ein Mann von mindestens sechzig Jahren, hatte eisgraues Haar und ein verstümmeltes rechtes Ohr. Trotz seines fortgeschrittenen Alters hatte er die Figur eines weit jüngeren Mannes, und Hilgorn hatte selbst beobachtet, wie er einen seiner besten Schwertkämpfer ohne sichtliche Mühe entwaffnet hatte. "Wir werden schon dafür sorgen, dass kein Ork seine hässliche Fratze am Westufer zeigt, nicht wahr, mein Junge?" Gilheston war vermutlich der einzige Mann im Ringló-Tal, der sich erlauben konnte, Dervorin, der ja bei weitem kein "Junge" mehr war, so zu nennen.
Dervorin fegte die Pranke mit einem nachsichtigen Lächeln von seiner Schulter, und wandte sich Ladion zu. "Ich hoffe, dass ich während Hilgorns Abwesenheit auch auf eure Unterstützung rechnen kann?"
Der Elb deutete eine Verbeugung an, und erwiderte: "Ich und meine Späher stehen auch euch selbstverständlich zur Verfügung. Es ist unser Auftrag, Gondors Ostgrenze zu verteidigen, ganz gleich, wer das Kommando über eure Soldaten hat."
Bevor Hilgorn etwas sagen konnte, wurde die Plane vor dem Zelteingang beiseite gerissen, und ein junger Soldat stürzte hindurch.
"Wir haben Orks am Ostufer gesichtet, Herr", stieß er atemlos hervor. "Nur ein paar Meilen von hier, eine ganze Kompanie Wolfsreiter."
"Wie lange ist das her?", fragte Hilgorn knapp, während er bereits nach seinem Schwertgurt griff.
"Zwei Stunden etwa", erwiderte der Bote. "Ich bin sofort losgeritten." Gilheston, der offenbar die Ruhe selbst war, hob eine Augenbraue. "Du musst geritten sein wie ein Dämon, mein Junge." Der Soldat blickte verlegen zu Boden - unter den einfachen Soldaten waren die Delferyn und ganz besonders ihr Anführer legendär. "Danke, Herr. Mein Pferd ist schnell."
Wider willen amüsiert warf Hilgorn ein: "Wenn wir mit den Artigkeiten fertig sind, wärst du dann so gut uns zu zeigen, wo genau die Orks gesichtet worden sind?"
Der Bote errötete, warf einen Blick auf die Karte und deutete dann auf einen Punkt, der sich genau zwischen zwei möglichen Furten befand. "Es war ungefähr hier. Sie waren in nördlicher Richtung unterwegs, aber..." Er zögerte einen Augenblick, bevor er Hilgorn ins Gesicht sah. "Etwas war merkwürdig. Sie bewegten sich nur langsam, und gut sichtbar am Flussufer entlang. Beinahe so, als wäre ihnen egal, dass sie entdeckt werden."
Schweigen legte sich über die Runde, bevor Dervorin das offensichtliche aussprach: "Eine Falle. Meint ihr nicht? Vermutlich wollen sie die südliche der beiden Furten angreifen und uns nach Norden locken."
"Eine stümperhafte Falle, wenn dem so ist", entgegnete Ladion, der bislang geschwiegen hatte, ruhig, und alle Gesichter wandten sich ihm zu. "Wenn man eine Falle stellt, sollte doch das wichtigste sein, dass das Opfer diese Falle nicht erkennt", fuhr der Elb fort. "Doch wir haben diese
Falle beinahe sofort erkannt, und könnten nun entsprechend Handeln. Vielleicht ist das Offensichtlichste nicht immer die tatsächliche Wahrheit."
"Ihr meint, sie bluffen", stellte Amrothos fest. "In dem sie offenbar die nördliche Furt angreifen wollen, lenken sie unsere Aufmerksamkeit auf die südliche, während sie doch im Norden angreifen?"
"Es wäre eine Möglichkeit", meinte Ladion. "Doch sicher können wir uns nicht sein, denn es gibt viele Möglichkeiten, und wir können unmöglich alle bedenken und uns gegen alle vorbereiten."
Hilgorn schüttelte den Kopf, und zog den Schwertgurt mit einem Ruck fest. "Wir verlieren Zeit, je länger wir darüber diskutieren. Wie viele Orks hast du gezählt?", fragte er an den Boten gerichtet. "Etwa fünfhundert", antwortete dieser. "Vielleicht weniger ein bisschen weniger."
"Also gut. Ich werde unsere Reiter, die hier lagern, an die nördliche der Furten führen." Diese Furt lag etwa auf der gleichen Höhe wie das südliche Ende des Ausläufers des Weißen Gebirges, der das Ringló-Tal von dem des Gilrain trennte. "Dervorin, nehmt fünfhundert Mann, und marschiert so schnell ihr könnt zur südlichen Furt. Haltet Ausschau nach Boten und seid bereit, spontan die Richtung zu ändern. Ladion, eure Späher werden die angrenzenden Übergänge beobachten und Alarm schlagen, sollte Mordor an anderer Stelle den Fluss überqueren werden."
Hilgorn blickte in die Runde, und legte die Hand auf den Schwertgriff. "Also, an die Arbeit."
Er verließ als erster das Zelt, dicht gefolgt von Amrothos und gemeinsam machten sie sich auf den Weg zu den Pferden. Während sie darauf warteten, dass ihre Pferde gesattelt wurde, ging Amrothos sichtlich nervös auf und ab. "Erinnert ihr euch an den letzten Angriff auf Dol Amroth?", fragte er schließlich, und Hilgorn nickte.
"Es war die schrecklichste Nacht meines Lebens", gab Amrothos zu. "Ich stand in der ersten Reihe, als das Tor fiel, und als der Nazgûl kam... hatte ich keine Hoffnung mehr. Nur noch Furcht."
"Und dann kamen die Elben, erschlugen den Nazgûl und die Schlacht wurde gewonnen", ergänzte Hilgorn. "Fürchtet ihr, dass heute ebenfalls einer der Schatten auftauchen wird, ohne Elben um ihn in die Flucht zu schlagen?"
Amrothos schüttelte den Kopf. "Das nicht." Er ließ den Kopf hängen, und lächelte ein wenig kläglich. "Dieses Mal habe ich eher Angst davor, nicht zurückzukehren, und nie wieder... Ach wisst ihr, Hilgorn... ich bin verliebt, fürchte ich."
Trotz der ernsten Lage - um sie herum eilten Soldaten hin und her, und bereiteten sich auf den Kampf vor - hatte Hilgorn Mühe, ernst zu bleiben. "Nein wirklich. Das ist sehr... überraschend mein Prinz. Wer mag die Auserkorene nur sein..."
Amrothos hob den Blick, und seine Augen verengten sich. "Ihr macht euch über mich lustig."
Hilgorn erwiderte den Blick, und musste trotz aller Anstrengungen lachen. "Vielleicht ein wenig. Es ist nur so, dass ihr mir nichts neues erzählt." Er klopfte Amrothos auf die Schulter. "Ihr erinnert euch sicher daran, dass Faniel euch auf meiner Hochzeit dazu gebracht hat, die junge Irwyne zum Tanz aufzufordern. Nun, seitdem weiß ich Bescheid."
Amrothos schwieg einen Augenblick, dann lachte er ebenfalls. "Wie es aussieht ist mein Geheimnis schon lange keines mehr. Und euch scheint es früher bewusst gewesen zu sein als mir selbst."
"Bedankt euch bei meiner Frau", erwiderte Hilgorn. "Und ich verspreche euch, dass ihr aus dieser Schlacht heil wiederkehren werdet."
"Selbst wenn, fangen meine Probleme erst an. Ihr glaubt doch nicht, dass der Fürst von Dol Amroth seinem Sohn ein einfaches Mädchen aus Rohan zur Frau geben würde?" Hilgorn zuckte mit den Schultern. "Wieso nicht? Wegen des Geredes? Es würde Gerede geben, sicher... aber ich verrate euch ein Geheimnis." Er schwang sich auf den Rücken seines Pferdes, dass inzwischen fertig gesattelt zu ihm geführt worden war. "Wenn sie die Richtige ist, ist sie all das und noch mehr wert."
Hilgorn nach Lebennin