Vorgeschichte: Haus Cirgon vom Ethir
Anduin, der Große Strom, fließt ungefähr 1388 Meilen südwärts von seinen beiden Quellen im Grauen Gebirge durch viele Länder und Reiche, bis er schließlich die Bucht von Belfalas erreicht. Hier liegt der Ethir, das große Delta der Mündung des Anduins. Der Fluss beginnt sich ab Pelargir beständig zu verbreitern, was durch Anschwemmung dazu geführt hat, dass im Ethir viele langgezogene Inseln zwischen Nordwest- und Südostufer des Anduins entstanden sind. Ebbe und Flut spielen hier bereits eine Rolle, sodass viele dieser Inseln von Zeit zu Zeit vom Wasser bedeckt sind und immer wieder ihre Größe ändern. Einige Inseln jedoch sind im Laufe der Jahre fester und permanenter geworden und bieten heute einen bequemen Übergang über den Fluss, sofern man ein Boot besitzt um die Flussarme zwischen den Inseln zu überqueren.
Zwei Jahrtausende hatte dieses Gebiet zu Lebennin, einem der größten Lehen Gondors gehört und unterstand der Herrschaft der Fürsten von Pelargir, die zugleich den Titel des Herrn von Lebennin führten. Die Erben von Haus Avalozîr stammten von einem Númenórer ab, dem König Isildur bei seiner Neuordnung des Reiches in den beiden Jahren nach dem Fall Saurons Pelargir und die umliegenden Lande als Lehen zugesprochen hatte. Die Linie ist bis heute ungebrochen.
Fürst Margon von Pelargir, der 1811 D.Z. seinem Vater nachfolgte, hatte zwei Söhne. Celegmir, der Ältere, würde der Tradition nach der nächste Fürst werden, doch Cirgon, der jüngere, erwies sich als ein außergewöhnlich fähiger Kommandant und Herrscher. Es obliegt den Fürsten Pelargirs, die Südgrenze Gondors und die Furten des Poros zu sichern, was Cirgon als Vertreter seines Vaters mit hoher Effizienz gelang. Cirgon, der ein guter Freund von Heermeister Earnil war, diente als dessen Rechte Hand im Krieg gegen die Haradrim, die 1944 das Reich bedrohten, und war am großen Sieg beteiligt, der Earnil später den Königstitel einbrachte. Aufgrund des Einflusses des Königs sprach Fürst Margon kurz vor seinem Tod im Jahr 1949 seinem zweitgeborenen Sohn Cirgon die Mündungen des Großen Stroms als Lehen zu. Weiterhin behielten die Fürsten von Pelargir die Oberherrschaft über das Gebiet, doch es war nun getrennt von Lebennin und ein eigenständiges Lehen Gondors. Cirgons Erben führten seitdem den Titel des Herren vom Ethir und schworen den Fürsten von Pelargir die Treue, denn stets verbanden die beiden verwandten Häuser enge Freundschaft und gute Beziehungen.
Cirgon erbaute am Nordwestufer des Anduins eine Burg für sich und seine Familie. Der Rest seines Volkes lebte in Fischerdörfern. Städte hatte es im Ethir nie gegeben da aufgrund der Lage zwischen Pelargir, Tolfalas und Linhir kein Bedarf bestand. Bis auf Cirgons Burg und viele kleine Wachposten an beiden Ufern und auf den festeren Inseln gibt es kaum befestigte Orte im Ethir. Trotz allem waren die Männer vom Ethir immer tapfere, loyale Streiter, die in den Kriegen Gondors kämpften, wenn König, Truchsess oder Fürst sie riefen. Die meisten von ihnen leben auf den Inseln und am Nordwestufer, denn spätestens nach dem endgültigen Verlust Harondors war das Südostufer zum umstrittenen, gefährlichen Land geworden, auf das Cirgons Erben stets ein wachsames Auge halten mussten.
Eigentliche Geschichte: Valion, Erbe des Ethir
Am Ende des zweiten Jahrtausends des Dritten Zeitalters wurde Amlan, Cirgons Erbe, Vater von Zwillingen. Ihre Mutter gab ihnen die Namen Valion und Valirë, und in ihren ersten Lebensjahren waren die beiden kaum auseinanderzuhalten, obwohl sie Junge und Mädchen waren. Und auch als sie älter wurden und sich ihre Körper zu verändern begannen blieben sie dennoch im Geiste eng verbunden, hatten die gleichen Ansichten und Vorlieben. Valion war ein junger Mann, der den Ansprüchen seiner Linie zu entsprechen schien: Tapfer und loyal, geübt im Kampf und zumeist ehrenhaft im Auftreten (abgesehen von seinen vielen Liebeleien). Valirë hingegen war ihm ähnlicher, als es ihren Eltern lieb war. Die klassische Damenrolle ablehnend beschäftigte sie sich lieber mit Ausritten, Kampfübungen und der Jagd als mit den höfischen Pflichten, die man von ihr erwartete.
Ihr Vater sagte schließlich, halb im Scherz, halb resignierend: "Wer meine Tochter im Fechtkampf oder einem Reiterwettlauf besiegt, dem werde ich ihre Hand gewähren!"
Viele versuchten es, denn Valirë war von großer Schönheit und Anmut. Doch keinem gelang es, denn sie war ebenso wild und kräftig und besaß einen eisernen Willen. Trotz allem jedoch war sie ein wenig besonnener als ihr Bruder, denn Valion hatte ein hitziges Gemüt und einen ziemlichen Dickschädel. Auch wenn sein Zorn oft so schnell verrauchte wie er entflammt war und Valion ein geschickter Schwertkämpfer war kam es immer wieder vor, dass er überstürzend handelte, sich selbst überschätzte und dabei in Gefahr geriet. Dass er es geschafft hatte, ohne größere Narben oder Verluste von Gliedmaßen durch den Ringkrieg zu geraten konnte man als wahres Wunder ansehen. Aber die, die ihn kannten, wussten, dass er ein loyaler Soldat Gondors war und einst ein guter Herrscher des Ethirs werden würde.
Leider sollte es dazu nicht kommen.
Als im Frühjahr 3018 die südlichen Leuchtfeuer zwischen Minas Tirith und Dol Amroth entzündet wurden zogen Valion und Valirë mit allen, derer sie habhaft werden konnten, zur Verstärkung der Weißen Stadt nach Norden. Mehr als einhundert Kämpfer konnten sie in der Eile nicht versammeln, denn die meisten Soldaten des Ethirs waren entweder in Pelargir oder Linhir stationiert. Die Korsaren von Umbar bedrohten die Küsten Gondors in diesen Tagen im großen Maße. Amlan, Valions Vater, hatte bereits mehrere Tage zuvor eine große Streitmacht nach Pelargir geführt, wo Fürst Faltharan nach dem verlorenen Gefecht an den Poros-Übergängen die Verteidigung vorbereitete. Valion und seine Schwester kamen in die Weiße Stadt und kämpften in der Belagerung Gondors und der Schlacht auf dem Pelennor, in der beide leicht verletzt wurden. Aufgrund ihrer Wunden wurde ihnen nicht gestattet, mit dem Heer weiter zum Morannon zu ziehen, was sie sehr frustrierte.
"Da ziehen nun Gondors Beste ins Schwarze Land, zu unsterblichen Ruhm, und wir müssen wegen dieser Kratzer Gefangene der Heiler bleiben!"
Valion verstand es nicht.
Wahrscheinlich rettete ihnen dies das Leben, denn die Schlacht am Schwarzen Tor wurde zur Katastrophe für Gondor. König Elessar geriet in Gefangenschaft und der Großteil des Heeres fiel. Der Truchsess, der in Minas Tirith geblieben war, floh mit vielen nach Norden ins Elbenreich, doch Valion und Valirë waren nicht gewillt, ihre Heimat so einfach aufzugeben. Als sich die Weiße Stadt den Streikräften Mordors ergab und man einen Statthalter über sie setzte, der nur Mordors Willen befolgte, stahlen sie sich aus der Stadt und ritten gen Süden. Pelargir und die südlichen Lehen waren weiterhin frei und leisteten mit der Unterstützung Dol Amroths Widerstand, denn Prinz Imrahil hatte das Gemetzel am Morannon überlebt. Einige Wochen wehrte man die Angriffe der Orks ab, denn Saurons Hauptarmee war mit der Eroberung Rohans beschäftigt. Im April jedoch kam ein starkes Heer aus Minas Morgul, angeführt von einem der Ringgeister, und schloss Pelargir ein. Verzweifelt kämpften die Soldaten Gondors gegen die übermächtigen Horden von Orks an, doch sie waren weit in der Unterzahl. Fürst Faltharan gab schließlich den Befehl, Frauen, Kinder und all jene die nicht kämpfen konnten, auf die Schiffe zu schicken, die im Hafen ankerten. Ein Schiff nach dem anderen legte ab und nahm Kurs auf Anfalas oder Dol Amroth, bis nur noch ein einziges übrig geblieben war. Schritt für Schritt zogen sich Faltharan und seine Männer nun dorthin zurück, die engen Gassen der Stadt zu ihrem Vorteil nutzend. Valion und seine Schwester waren unter ihnen, und auch ihr Vater Amlan hatte sich geweigert, eines der früheren Schiffe zu nehmen. Doch als sie das Schiff beinahe erreicht hatten traf ein Pfeil den Herrn vom Ethir und er fiel. Faltharan, ein besonnener Mann dem man in den Lehen Gondors viel Respekt zollte und für seine klugen Worte und Ratschläge bekannt war, gelang es nur unter Aufbietung all seiner Authorität und seines Willens, die Zwillinge davon abzuhalten, sich wild vor Rachedurst in die Reihen ihrer Feinde zu stürzen. Das letzte Schiff verließ den Hafen, und Pelargir, Lebennin, der Ethir und alles Land zwischen Linhir und Minas Tirith fiel in die Hände Mordors.
Ein Jahr verbrachten Valion und Valirë in Anfalas, weit weg vom Krieg, doch als Nachrichten zu Golasgil, dem Herrn von Anfalas kamen, dass Dol Amroth selbst bedroht wurde und Prinz Imrahil eine Belagerung befürchtete hielten es die Zwillinge nicht länger aus.
"Wie können wir hier stillsitzen während unsere Landsleute für den Frieden, den wir hier haben, bluten und sterben?" sagte Valion und erbat sich die Erlaubnis seines Lehnsherrn Faltharan, sich dem Widerstandskampf erneut anzuschließen. Widerwillig wurde sie ihm gewährt. Begleitet von Valirë reiste er per Schiff nach Dol Amroth, kurz bevor die Wogen des Krieges einschlossen. Dort trafen die beiden auf eine große Grupe Männer vom Ethir, die Valion als ihr rechtmäßiges Oberhaupt proklamieren wollten. Doch er lehnte ab.
"Solange meine Heimat von den Füßen der Orks beschmutzt wird, kann ich diesen Titel nicht guten Gewissens führen. Ich habe ihn noch nicht verdient."
Und er schwor, den Ethir aus den Klauen Mordors zu befreien. Zwar trug er den Siegelring seines Hauses, doch lehnte er jeden Anspruch auf seinen Adelsstand ab und wohnte und speiste mit dem einfachen Kriegern in den Kasernen. In den beiden Belagerungen von Dol Amroth kämpften die Geschwister tapfer und schweißten die Männer vom Ethir zu einer kampferprobten Kompanie zusammen, deren Tapferkeit außer Frage stand.
Als Elphir, Imrahils Sohn, gen Osten zur Rückeroberung von Linhir aufbrach, entsandte Hilgorn, der Kommandant der amrotischen Armee Valion und seine Kompanie nach Norden, um einige verbliebene Ork-Banden in Belfalas zu jagen. Frustriert darüber, nicht für den Feldzug Elphirs ausgewählt worden zu sein, zogen die Geschwister los, um wenige Tage nach Erfüllung der Aufgabe zur Schwanenstadt zurückzukehren. Mehrfach baten Valion und Valirë den Prinzen, ihnen zu gewähren sich dem Heer bei Linhir anzuschließen, was jedoch verwehrt wurde. Die Verärgerung Valions darüber wurde schließlich so groß, dass er begann, insgeheim einen Plan zu schmieden. Amros von Edhellond, der Kommandant der Flotte Gondors, konnte überredet werden, zwei kleine Schiffe zu entbehren, die Valions Krieger über die Bucht von Belfalas tragen würden. Es war Valirë, der es gelang, den Flottenkommandant dazu zu bringen, diese Übereinkunft geheim zu halten.
Im Morgengrauen am Tag der Schlacht bei Linhir liefen die beiden Schiffe aus dem Hafen von Edhellond aus, umrundeten das Kap von Belfalas und die Festung von Lontirost und kamen am Folgetag in Sichtweite von Tolfalas, als ein gewaltiger Sturm aufzog, der ihre Schiffe beschädigte bis sie in einer geschützten Bucht Schutz suchen konnten. Doch durch Willenskraft und Glück erreichten sie gegen Mittag den Ethir. Nahe der Burg der Erben Cirgons gingen sie an Land. Nur wenige Orks hielten sich in Cirgons Lehen auf, doch die Burg hatten sie zu einem ihrer Stützpunkte gemacht. Der Kampf war kurz und heftig, denn die Orks hatten der Wut der Männer Ethirs wenig entgegenzusetzen, und kaum einer hielt stand vor den Zwillingen, die ihre Rache in vollen Zügen auskosteten. Am Abend schon war der Ethir frei von Feinden.
Der Sieg hatte seinen Preis.
Als sie gerade die Leichen der Orks auf einen großen Haufen außerhalb der Mauern warfen, verdunkelte ein Schatten die sinkende Abendsonne und ein furchterregendes Kreischen ertönte. Sie alle hatten es zuvor gehört, bei der Belagerung von Dol Amroth, als der Ringgeist, der den Angriff anführte, in den Kampf eingegriffen hatte. Die geflügelte Bestie landete krachend auf dem obersten Turm der Burg. Eine grauenhafte Stimme erklang von dort, wo sich das Gesicht ihres Reiters, der in schwarze Roben und Rüstung gehüllt war hätte befinden müssen - doch dort war nichts als schwarze Leere zu sehen.
"Narren," zischte der Ringgeist. "Ist euch das Leben und die Gesundheit eures Königs denn nichts wert? Ihr habt den Gilrain als Grenze missachtet. Für diese Untat wird er leiden."
"Was soll das bedeuten, Scheusal? Wir wissen nichts von einer Abmachen dergleichen. Dies ist unser Land, und du besitzt kein Recht, Drohungen auszusprechen wenn wir uns zurückholen, was unser ist. Ich bin Valion vom Ethir, und verweise dich hiermit des Ethirs, für alle Zeiten! "
Die Männer brachen in verhaltenden Jubel aus, doch der Schatten sprach weiter. "Ihr seid nichts weiter als der Letzte einer ehrlosen Linie. Was ist das Haus Cirgons mehr als ein unwürdiger Abkömmling der jämmerlichen Fürsten von Pelargir, deren Erbe in Anfalas sitzt und vor der Macht Mordors erzittert?"
Valion ballte die Faust und griff nach dem Bogen eines seiner Männer. Bevor er einen Pfeil auflegen konnte, fuhr der Ringgeist fort: "Euer wertloses Banner war nicht bei Linhir und so werdet ihr noch nichts von den Ereignissen dort wissen. Prinz Elphir liegt im Sterben und sein Opfer war vergebens. Kein Mann Gondors darf den Gilrain überschreiten, denn Elessar ist im Dunklen Turm gefangen und wird für jedes Vergehen seiner Landsleute bestraft werden."
Dies waren keine guten Neuigkeiten. Elphir gefallen und Elessar in Gefangenschaft? Dies musste wohl bedeuten, dass die Armee Dol Amroths bei Linhir besiegt worden war.
"Behaltet diesen erbärmlichen Flecken Land, wenn euch so viel daran liegt," fuhr der Schatten fort. "Zwischen den Orks im Norden und den Haradrim im Süden wird es euch schlecht genug ergehen. Doch wagt ihr es, weiter vorzustoßen, werdet ihr es bereuen."
Keiner der Anwesenden verstand die wahren Motive des Ringgeistes. Eine herbe Niederlage hatten die Armeen Mordors bei Linhir erlitten, und im Jahr zuvor war Saurons gesamte nördliche Streitmacht in Rohan vernichtet worden. Zwar hatte der Dunkle Herrscher den Einen Ring zurückerhalten, doch er gewann nur sehr langsam an körperlicher und geistiger Kraft. Seine Heere waren über Mittelerde verstreut und von mehreren Fronten wurde er bedroht. Besorgt blickte das Rote Auge nach Norden, wo Saruman immer mehr Macht gewann und Dol Guldur und den Gundabadberg bedrohte. Rohan war erneut erstarkt und die Grenze zu Anórien ein Gefahrenherd geworden. Zwar blieb Ost-Gondor besetzt, doch in den beiden Schlachten um Dol Amroth hatten die Orks viel zu hohe Verluste erlitten. Und dazu kam nun der Verrat der Haradrim, der den Süden unsicher machte. Zu allem Überfluss gewannen auch die Partisanen in Ithilien an Stärke und behinderten und sabotierten die Versorgungslinien Mordors. Der Krieg lief nicht gut, weshalb die Ringgeister nun auf Schadensbegrenzung aus waren und nicht mehr als Drohungen aussprechen konnten. So also zischte der Nazgûl eine letzte Drohung in Valions Richtung und hob ab, flog in Richtung Pelargir davon.
Am Tag darauf kam ein reitender Bote aus Linhir und brachte wichtige Nachrichten. So erfuhren Valion und Valirë von Elphirs Sieg und Heilung, sowie dem neuen Bündnis mit den Haradrim unter Qúsay. Doch noch wichtigere Botschaften brachte der Reiter.
"Valion, Amlans Sohn, Ihr werdet nach Dol Amroth gerufen. Man wirft Euch Verrat und Eidbruch vor. Erscheint Ihr nicht, werdet Ihr als Feind der Krone und Verräter an Gondors Volk gebrandmarkt."
Valion war außer sich. "Ich habe den Ethir befreit, wie es meine Pflicht als Lehnsherr ist! Ich habe Blut und Schweiß für mein Volk gegeben. Und so dankt man es mir?"
Der Bote blieb unberührt. "Ihr habt Eure Anweisungen erhalten. Ich rate Euch, so bald wie möglich vor Truchsess Imrahil zu treten."
"Truchsess nennt er sich jetzt also?" warf Valirë ein. "Sitzt nicht Heermeister Faramir in Rohan und ist am Leben? Für wen hält sich der Prinz von Dol Amroth, wenn er dieses Amt an sich reißt?"
"Es steht mir nicht zu, darüber urteilen, ebenso wenig Euch," befand der Bote.
Die Zwillinge erkannten schließlich, dass ihnen keine Wahl blieb. Sie ließen den Ethir gut bemannt zurück und kehrten mit einem der beiden Schiffe nach Dol Amroth zurück, wo man sie am Hafen bereits erwartete.
Festen Schrittes traten sie vor den Fürsten, entschlossen, ihre Taten zu rechtfertigen. Die große Halle des Prinzenpalastes war gefüllt mit den in Dol Amroth weilenden Edlen Gondors und an ihrem Ende stand Imrahil, zu seiner Rechten sein Sohn Elphir. Zu seiner Linken stand Hilgorn, der General des Heeres Dol Amroths. Die Zwillinge durchquerten schweigend den Raum, ihre Schritte laut durch die Stille hallend. Bis auf leises Getuschel sprach niemand ein Wort. Imrahil musterte sie mehrere lange Minuten mit einem stechenden Blick aus seinen meergrauen Augen. Dann nahm er den Amtsstab des Truchsessen in die rechte Hand. Das Getuschel verstummte.
Ardamir von Belfalas, Herr von Lontirost und Imrahils oberster Vasall, trug die Anklage vor.
"Valion und Valirë vom Ethir, Kinder Amlans, Handans Sohn, des Herrn vom Ethir und Wächter der Anduin-Mündungen. Ihr werdet des Verrats und Eidbruches angeklagt, denn ihr habt euch unerlaubt von eurem Posten entfernt und mit eurem Überschreiten des Gilrains ganz Gondor in große Gefahr gebracht. Was habt ihr zu eurer Verteidigung zu sagen?"
Es war Valirë, die antwortete. "Ist es Verrat, für die Heimat und für unser Volk zu kämpfen? Wir wussten nichts von den Ereignissen in Linhir. Hätten wir gewartet, wäre uns die Rückkehr zum Ethir gleichfalls verwehrt geblieben und die günstige Gelegenheit nach Elphirs Sieg wäre ungenutzt verstrichen. Wir haben den Ethir befreit!"
"Doch zu welchem Preis?" fragte Prinz Imrahil streng. "Ihr habt die Worte des Schwarzen Reiters vernommen. Kein Mann Gondors soll den Gilrain überschreiten, oder es würde Elessars Schaden sein."
"Und Ihr glaubt diesen Lügnern?" brach es aus Valion hervor. "Sie haben Schwäche gezeigt als sie aus Linhir flohen und erneut, als sie uns den Ethir überließen. Seht Ihr denn nicht, dass die Heere Mordors im Schwinden begriffen sind? Woher wollt ihr wissen, ob sie Elessar wirklich gefangen halten? Die Worte dieser Kreatur sind wertlos."
"Es ist die Wahrheit," sagte Imrahil mit Nachdruck. "Das ist sicher. Unser Feind mag eine Niederlage erlitten haben, doch noch ist er nicht besiegt. Und nichts davon gibt euch eine Entschuldigung dafür, dass ihr ohne meine Erlaubnis gen Osten gesegelt seid. Diese Tat kann ich nicht ungestraft lassen."
"So also gedenkt ihr tapfere Taten und Kriegsruhm zu belohnen?" gab Valirë verärgert zurück.
"Sprich nicht zu mir von Ehre," unterbrach Imrahil sie scharf. "Ihr seid es, die sich entehrt haben. Ihr macht eurem Haus und eurem Vater Schande mit eurem waghalsigen Streben nach Ruhm. Du, Valion, hast keine Weitsicht und folgst deinem Zorn. Soll dein Haus etwa mit dir enden? Und du, Valirë, bist lange genug unverheiratet für eine Frau deines Standes geblieben und folgst kindischen Fantasien von Kampf und Stärke. Dies wird sich nun ändern."
Die Menschen im Raum hielten in Erwartung von Imrahils Urteil die Luft an. Es wurde erneut still.
"Dies also ist mein Spruch," verkündete der Prinz und Truchsess. "Die Befreiung des Ethirs war eine gute Tat und soll nicht durch eure Unbesonnenheit und Unvernunft zunichte gemacht werden. Wenn sich Mordor nicht darum schert, soll das Land frei bleiben. Doch ihr beide werdet nicht dorthin zurückkehren, bis ihr euch nicht meinen Respekt verdient habt. Eine schwere Aufgabe lege ich euch auf: Meine Tochter, Lothíriel, wurde entführt und befindet sich im Süden, wahrscheinlich in Umbar. Findet sie, und bringt sie zurück nach Dol Amroth! Tut dies, und ich werde darüber nachdenken, euch in eure Heimat zurückkehren zu lassen."
Die Zwillinge blickten einander an und sahen, dass sie dasselbe dachten. Sie erkannten, dass Imrahil ein weiser und gerechter Herrscher war, der ihre Fähigkeiten zum Besten Gondors nutzen wollte. Sie nickten einander zu. "Wir werden tun, wie Ihr befehlt, Herr," sagte Valirë."
Ein kleines Lächeln stahl sich auf das Gesicht des Fürsten, als er fortfuhr: "Ihr werdet noch heute aufbrechen... doch zuerst wirst du, Valirë, dich mit meinem Sohn Erchirion verloben."
Ein lautes Getöse von Stimmen brach aus. Valion sah zu, wie das Grinsen im Gesicht seiner Schwester gefror. Erchirion heiraten! Ihm war seltsamerweise zum Lachen zumute.
"Na komm schon, es hätte schlimmer kommen können," sagte er. "Es hätte Amrothos sein können." Dies entlockte Valirë schließlich wieder ein Schmunzeln. Amlans und Imrahils Kinder kannten sich gut, denn in den Tagen vor dem Krieg hatten die beiden Familien, die gut befreundet waren, sich öfters besucht, zumal der Landsitz der Fürsten von Dol Amroth auf der Insel Tolfalas lag. Tolfalas war vom Ethir aus in wenigen Stunden per Boot erreichbar.
Von den Kindern Imrahils war den Zwillingen Erchirion am liebsten gewesen. Vier Jahre älter als Valion und Valirë war er ein Spielkamerad gewesen, den sie einige Zeit lang wie einen älteren Bruder behandelt hatten. Amrothos hingegen, der gleichalt wie die Zwillinge war, war als Kind eher verschlossen gewesen und für sich geblieben. was ihn zum Ziel vieler Streiche der beiden Kinder vom Ethir gemacht hatte. Und Lothíriel, fünf Jahre jünger, war ihnen dabei immer wieder im Weg gewesen, als Nervensäge, die ihrem Vater stets von allen Untaten berichtete.
"Also gut, gehen wir Klein-Lothíriel retten," flüsterte Valirë ihrem Bruder zu.
"Erst spielst du die errötende Braut für Erchirion," gab Valion zurück, was ihm einen festen Stoß in die Magengrube einbrachte.
Gemeinsam verließen sie die große Halle. Bald würden sie gen Süden aufbrechen.