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Edrahils Versteck

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Eandril:
Narissa und Edrahil von den Straßen Umbars...

Edrahil wurde einfach nicht klug aus dem seltsamen weißhaarigen Mädchen. Auf dem ganzen Weg von ihrer Hütte zu dem Versteck dass Saleme ihm am Tag zuvor gezeigt hatte, hatte Narissa kein Wort gesagt und auf keine seiner Fragen eine Reaktion gezeigt. Nun saß sie mit übereinander geschlagenen Beinen und verschränkten Armen Edrahil gegenüber, den Blick stur an die Decke geheftet.
Der alte Spion seufzte und verschränkte die Hände auf dem Tisch. "Weißt du, Narissa, es lebt sich viel einfacher wenn man hin und wieder auch mit Leuten spricht mit denen man eigentlich nicht reden möchte. Oder was glaubst du, ich würde freiwillig mit jemandem wie dir sprechen?" Das Mädchen rümpfte verächtlich die schmale Nase, und erwiderte: "Ich spreche nur mit dieser Frau, die offenbar weiß wer ich bin und die hier das Sagen hat."
Edrahil musste unwillkürlich lachen, und erntete als Belohnung die ersten Zeichen von Unsicherheit auf Narissas bislang so regungslosem Gesicht. "Saleme?", fragte er, immer noch lachend. "Sie hat nur ebenso sehr das Sagen wie ich. Ich bin nicht ihr Untergebener, sondern ihr Verbündeter - zumindest für den Augenblick."
"Aber warum..."
"Warum ich, ein Mann aus Gondor, mich dann in Umbar herumtreibe? Oder warum sie diejenige war die wusste, wo wir dich und diesen Schreiber finden?"
Das Mädchen nickte, und löste die verschränkten Arme von einander. Edrahil deutete das als gutes Zeichen. "Beides."
"Nun, zum ersten: Ich komme aus Dol Amroth, wo im Augenblick das Zentrum des Widerstands in Gondor liegt. Aber Dol Amroth wird nicht nur von Mordor, sondern auch aus dem Süden von Harad und vor allem von Umbar aus bedroht. Wir können uns nicht ewig gegen die Haradrim behaupten, also ist die einzige Lösung irgendwie zu verhindern, dass wir weiterhin aus dem Süden angegriffen werden. Und deshalb bin ich hier." Er beobachtete, dass Narissa ihm aufmerksam zuhörte, und offenbar ihre eigenen Schlüsse zog.
"Und zum zweiten: Ich habe hier in Umbar wenig Kontakte, deshalb muss ich mit dem arbeiten was Saleme mir erzählt."
Narissa unterbrach ihn. "Traut ihr ihr etwa?" Edrahil zog eine Augenbraue hoch. "Natürlich nicht. Aber manchmal hat man keine Wahl mit jemandem zusammen zu arbeiten, dem man nicht traut." Das Mädchen nickte, und presste die Lippen zusammen. "Gut. Man sollte niemandem trauen."
Edrahil zog die Augenbraue noch weiter in die Höhe, denn eine solche Haltung bei einem so jungen Ding war überraschend. Offensichtlich hatte Narissa schon einiges erlebt.
"Nun, da ich jetzt deine Fragen beantwortet habe, wäre es nur gerecht wenn du meine beantworten würdest.", wagte er zu sagen, obwohl er sich keinen großen Erfolg von dieser Taktik erhoffte. Junge Leute konnten so unglaublich stur sein.
Zu seiner Überraschung zog Narissa einen ihrer Dolche aus dem Schulterholster und betrachtete die Waffe finster. "Nein. Zuerst beantwortet ihr mir noch eine Frage."
Edrahil nickte, wobei er den Dolch vorsichtig im Auge behielt. "Also gut."
Das Mädchen drehte den Dolch in den Händen und stieß ihn plötzlich in die Tischplatte. "Werdet ihr Suladan stürzen?"
Die Frage überrumpelte Edrahil. Er hatte keine so direkte Frage erwartet, und schon gar nicht nach Suladan. Aber die Antwort schien Narissa wichtig zu sein, denn sie hatte sich ein wenig vorgebeugt und umklammerte den Griff des vor ihr im Tisch steckenden Dolches mit beiden Händen.
"Nun...", begann Edrahil, und überlegte fieberhaft. Der Sturz des Sultans lag für ihn noch in weiter Ferne, und im Augenblick wollte eher sich eher auf Hasael und Saleme konzentrieren. Aber ein Blick in Narissas Gesicht ließ nur eine Antwort zu, und er war sich plötzlich sicher, dass er dieses Mädchen lieber auf seiner Seite haben wollte.
"Ja.", gab er zur Antwort. "Ja, wenn wir mit Hasael fertig sind ist Suladan an der Reihe."
"Gut.", erwiderte Narissa, und Edrahil erschrak vor dem Hass in ihrem Blick. "Und wenn es so weit ist, dann werde ich diejenige sein, die ihn tötet." Den letzten Teil schien sie mehr zu sich selbst als zu Edrahil gesagt zu haben, und so gab er darauf keine Antwort. Für einen Moment versanken die beiden in etwas unbehaglichem Schweigen, das Edrahil schließlich brach: "Wunderbar. Willst du mir dann nicht vielleicht etwas mehr von dieser Insel erzählen, von der du kommst? Das klingt nämlich sehr interessant."

Narissa hatte keine Gelegenheit zu antworten, denn nun betraten Saleme und der Schreiber Bayyin den Raum. Die Spionin erfasste mit einem Blick die Lage im Raum, und für einen Moment schien ihr Blick an dem im Tisch steckenden Dolch hängen zu bleiben. "Freut mich, dass ihr miteinander auskommt." Sie wartete bis Bayyin seine Habseligkeiten, die er in einem einzigen großen Beutel verstaut hatte, in einer Ecke des Raumes abgelegt hatte. Währenddessen dachte Edrahil darüber nach, dass Salemes Stimme überhaupt nicht begeistert geklungen hatte.
"Ich werde euch nun für den Moment verlassen, denn wichtige Dinge verlangen nach meiner Aufmerksamkeit." Edrahil nickte nur stumm, bemüht sich seine Zufriedenheit nicht anmerken zu lassen. Sowohl Narissa als auch Bayyin waren hochinteressant und verbargen eindeutig noch das ein oder andere vor ihm, und das würde er lieber herausfinden ohne dass die Spionin in der Nähe war.

Eandril:
Nachdem Saleme den Raum verlassen hatte, bedeutete Edrahil Bayyin und Narissa mit einer Geste zu schweigen. Er wartete einen Moment ab, stand dann auf und begann, die Wände auf Löcher oder Geheimverstecke abzuklopfen, von denen aus Saleme oder ihre Getreuen sie belauschen könnten.
Narissa begriff offenbar schnell was er vorhatte und tat es ihm gleich, während der Schreiber verwundert dabeistand. Nachdem sie alle Wände sowie die beiden kleinen angrenzenden Räume, in denen jeweils zwei Betten standen ergebnislos abgesucht hatten, kehrten sie wieder in den Hauptraum zurück. Edrahil ließ sich auf der einen Seite des Tisches nieder und streckte erleichtert sein schmerzendes Bein aus, während Narissa und Bayyin sich ihm gegenüber setzten.
"Also.", begann Edrahil mit einem etwas gezwungenen Lächeln, und rieb sich unter dem Tisch das Knie. "Da wir jetzt unter uns sind, würde ich gerne unser angefangenes Gespräch fortsetzen."
Narissa öffnete den Mund um etwas zu sagen, doch Edrahil hob in einer gebieterischen und lang geübten Geste die Hand. "Nein, ich will für den Moment nichts über deine Insel hören sondern viel lieber, was euch nach Umbar geführt hat und warum Saleme denkt es hätte einen Sinn mit euch zusammen zu arbeiten."
Die beiden wechselten einen raschen Blick, der Edrahil sofort verriet dass sie beide wussten wovon er sprach.
"Nun...", begann das Mädchen zögerlich. "Das hängt wahrscheinlich schon mit meiner Herkunft zusammen." Und sie begann zu erzählen, von der Weißen Insel, Tol Theyn, wo auch weit im Süden noch Nachfahren der Númenorer lebten und gegen den Schatten kämpften. Zwar war das meiste davon Edrahil tatsächlich neu, doch er erinnerte sich an den geheimnisvollen Dírar, den er bei Thorongils Angriff auf Umbar gesehen hatte, und der dort an der Seite des Hauptmannes gefallen war. Welche Rolle diese Turmherren über die Jahrhunderte in Harad als heimliche Unterstützer Gondors gespielt hatten war Edrahil nicht bekannt gewesen, und er wunderte sich nicht länger dass Saleme es für sinnvoll befunden hatte, dieses Mädchen für ihre Zwecke zu rekrutieren - erst recht als sie erzählte, wie Suladans Truppen die Insel überfallen und ihre Bewohner vernichtet hatten. Das erklärte zumindest teilweise ihren Hass auf den Sultan, und machte sie zu einer sicheren Verbündeten.
So stur und verschlossen Narissa auch vorher gewesen war, jetzt nachdem er die Barrieren durchbrochen hatte erzählte sie alles und schien erleichtert, vieles davon endlich loszuwerden. Sie erzählte wie sie gemeinsam mit Bayyin von der Insel entkommen war, aber schließlich wieder von ihm getrennt und gefangen genommen wurde. Wie sie mit der Hilfe eines Elben namens Níthrar wieder entkam und sich in der Folgezeit bis nach Umbar durchschlug, wo Saleme und Edrahil sie letztendlich gefunden hatten.
Als Narissa ihre Erzählung beendet hatte, meinte Edrahil: "Jetzt weiß ich, warum Saleme uns zusammengebracht hat. Wir verfolgen beide das gleiche Ziel, und wie es aussieht bist du bestens dafür geeignet." Er wandte sich dem Schreiber zu. "Ich weiß allerdings noch nicht, was sie an dir gesehen hat. Fälscher gibt es in dieser Stadt wahrlich genug."
Bayyin schüttelte den Kopf. "Ich glaube nicht, dass ihr Interesse daher rührt, sondern eher von meiner Bekanntschaft mit Narissa. Vielleicht hat sie geglaubt, ich würde ebenfalls den Dúnedain vom Turm angehören.", sagte er, und überraschte Edrahil damit, denn der Spion war zum gleichen Schluss gekommen.
"Allerdings...", setzte Bayyin zu einer Ergänzung an, brach auf einen warnenden Blick Narissas hin aber wieder ab.
Edrahil seufzte, und kratzte sich das Kinn auf dem ihn die Bartstoppeln furchtbar juckten. "Es gibt also eine Verbindung von der Saleme nichts weiß, ja?", fragte er, erntete also nur Schweigen.
"Meine lieben neuen Verbündeten, ihr braucht nicht zu befürchten dass ich Saleme irgendetwas von dem erzähle, was ihr mir hier sagt." Er zuckte mit den Schultern. "Narissa, ich habe dir vorhin sehr deutlich gemacht, dass ich dieser Spionin keineswegs vertraue, sondern nur aus der Not heraus mit ihr zusammenarbeite. Du jedoch bist eindeutig eine Feindin Suladans und Mordors, und stehst allein deshalb auf meiner Seite und hast von mir nichts zu befürchten." Das Mädchen schaubte verächtlich, deshalb sprach Edrahil rasch weiter um einer scharfen Erwiderung zuvor zu kommen. Er kannte diese Art junger Leute, die meinten von Alten nichts befürchten zu müssen.
"Ich habe nur zwei Interessen, die ich um jeden Preis verfolge: Das überleben Dol Amroths und Gondors, und Saurons Sturz. Beides kann ich nur erreichen, indem ich gegen Suladan und Hasael vorgehe, und dazu benötige ich jede Information die hilft, diese zu stürzen. Eure Ziele sind die gleichen, von daher ist es in eurem Interesse, mir diese Informationen zu geben."
Auf einen Blick Bayyins verdrehte Narissa die Augen, und erwiderte: "Eigentlich sind es sogar zwei Dinge, die euch interessieren könnten. Da wäre zum einen ein Dokument, dass Bayyin in der Bibliothek von Aín Sefra gefunden hatte, dass ihn über den Weißen Turm nach Umbar geführt hat."
"Darin war von einem geheimen Weg von Süden nach Mordor die Rede, der nicht einmal dem Dunklen Herrscher bekannt wahr.", erklärte Bayyin leise. "Wo genau dieser Weg liegt konnte ich noch nicht herausfinden, aber der Verfasser des Berichts hat sich nach seiner Reise einige Zeit in Umbar aufgehalten. Also habe ich gehofft, hier genauere Informationen zu finden, aber bislang hatte ich keinen Erfolg."

Edrahil spürte, wie sein Herz schneller schlug. Ein geheimer Weg nach Mordor! Das nützte ihm zwar bei seiner unmittelbaren Aufgabe wenig, aber jede Information dieser Art die den Weg nach Dol Amroth fand, verbesserte ihre Chancen Sauron letzten Endes zu besiegen. "Das klingt schon äußerst vielversprechend.", meinte er, bemüht sich seine Aufregung nicht anmerken zu lassen. "Und worum handelt es sich bei der zweiten Sache."
"Ein Mann namens Qúsay, der sich mit Gondor verbündet hat, hat eine Versammlung seiner Verbündeten in Aín Sefra einberufen, die in sechs Tagen stattfinden wird."
Dieses Mal zuckte Edrahil sichtbar zusammen. Natürlich wusste er bereits von Hasaels Neffen und seinem Bündnis mit Gondor, doch von dieser Versammlung hörte er zum ersten Mal.
"Woher weißt du davon?", fragte er, und dachte dabei fieberhaft nach. Diese Versammlung konnte eine Gelegenheit sein, mit diesem Qúsay direkt in Kontakt zu treten, auch wenn ihm eigentlich widerstrebte mit einem Haradrim zusammen zu arbeiten. Aber man musste Kompromisse eingehen. Zu seiner Überraschung antwortete Bayyin. "Ich habe gestern einen Brief entschlüsselt, der von einem meiner Auftraggeber abgefangen worden war. Darin schilderte einer von Narissas Volk die Ereignisse in Linhir, und wie er Qúsay und einen seiner Verbündeten namens Marwan beim Gespräch über diese Versammlung belauscht hat."
"Er wusste offenbar nicht, dass unser Volk nicht länger existiert.", fuhr Narissa an seiner Stelle tonlos fort. "Bayyin hat mir den Brief gezeigt und seinem Auftraggeber gegenüber behauptet, dass er ihn nicht entschlüsseln könnte. Ich hatte gerade überlegt nach Aín Sefra zu gehen und mir diesen Qúsay anzusehen, als ihr aufgetaucht seid."
Edrahil schwieg einen Augenblick, und dachte fieberhaft nach. Eigentlich wollte er Narissa am liebsten in der Nähe behalten, denn sie würde ihm bei seiner Aufgabe ziemlich nützlich sein. Allerdings... hin und wieder musste man ein Risiko eingehen.
"Geh nach Aín Sefra.", meinte er, und genoss für einen Augenblick den Ausdruck der Überraschung auf den Gesichtern der beiden. "Versuch dich mit Qúsay zu treffen und finde heraus was er für ein Mann ist. Wenn er ehrlich ist und sein Bündnis mit Gondor einhalten und gegen Mordor kämpfen will, erzähl ihm von mir. Sag ihm, dass Edrahil von Linhir in Umbar ist und Hasaels Position für ihn schwächen wird."
"Aber...", unterbrach das Mädchen ihn. "Ich lasst mich einfach so gehen?"
Edrahil lächelte. "Ja, das tue ich. Vielleicht begehe ich einen Fehler, vielleicht fliehst du einfach oder ich habe dich falsch eingeschätzt und du schließt dich unseren Feinden an. Doch die Gelegenheit ist dieses Risiko alle mal Wert. Allein können wir nicht viel ausrichten, doch wenn wir mit Qúsay zusammenarbeiten, können wir dieses ganze Reich zum Einsturz bringen."
Narissa nickte, die Antwort schien sie zufrieden zu stellen. "Ich werden sofort aufbrechen."
Edrahil erwiderte: "Gut. Bayyin, du bleibst hier. Ich werde dir helfen diesen Bericht über den Weg nach Mordor zu finden. Im Gegensatz dazu wirst du deine Kontakte zu Unterwelt von Umbar nutzen, um mir dabei zu helfen, Hasael zu schwächen oder sogar zu stürzen."
Zu seiner Überraschung widersprach keiner der beiden.

Narissa auf die Straßen von Umbar...

Eandril:
Zwei Tage nach Narissas Abreise saß Edrahil am Tisch seines Verstecks und schrieb Briefe. Es war zwar noch mehrere Stunden vor Sonnenaufgang, doch er hatte nicht schlafen können und dann beschlossen die Zeit sinnvoll zu nutzen.
Bayyin hatte sich mit seinen Kontakten zur Unterwelt von Umbar als Gold wert erwiesen, und Edrahil plante, die zahlreichen miteinander konkurrierenden Banden zu seinem eigenen Vorteil einzusetzen. Er und Bayyin hatten bereits zuvor einige Straßenkinder aufgetrieben, von denen es in der Stadt nur so wimmelte - Waisen, Flüchtlinge, unerwünschte Bastarde. Jetzt dienten sie Edrahil, und sie würden seine Augen und Ohren überall in der Stadt sein, am Hafen, auf den Mauern, vor dem Palast und in den kleinsten Gassen. Er hatte ihnen Gold für jede sinnvolle Information versprochen, die sie ihm brachten, und er hatte bereits die ein oder andere interessante Sache erfahren. Zum Beispiel von einem verlassenen, halb eingestürzten Haus an der Nordmauer, das laut dem kleinen Jungen der ihm davon erzählt hatte, voller alter Bücher und Schriftrollen sein sollte. Der Schreiber war über diese Information ganz aufgeregt gewesen, und hatte dem Jungen ein Goldstück aus der mit Münzen gefüllten Truhe gegeben, die sie in einem der Nebenräume gefunden hatten. Offenbar hatte Saleme ein Interesse daran, ihre Verbündeten möglichst gut auszustatten.

Gerade als Edrahil seinen Brief an den Kopf einer Schmugglerbande beendet hatte, klopfte es an der Tür des Verstecks. Er stand mühsam auf, humpelte zur Tür hinüber und öffnete. Vor ihm stand ein zerlumptes Mädchen, dass vor Erschöpfung nach Luft schnappte.
"Meister... Meister Edrahil?" Edrahil lächelte so freundlich und vertrauenerweckend wie es ihm möglich war. "Ja? Was hast du zu erzählen?"
"Ich war am Hafen, und da habe ich zwei Leute gesehen die so aussahen wie du!"
Edrahil stockte für einen Moment, doch dann wurde ihm klar dass das Mädchen Menschen aus Gondor meinen musste.
"Wirklich?", fragte er. "Und was haben sie da getan?"
"Sie kamen mit einem Fischerboot, und dann kam eine Wache und hat mit ihnen gesprochen. Sie sind alle drei aufs Boot gegangen, aber die Wache kam nicht wieder und das Boot brannte!"
"Hmmm..." Edrahil strich sich nachdenklich über den Bart, den er sich in letzter Zeit hatte wachsen lassen, und in dem sich zu seinem Entsetzen deutliche graue Spuren zeigten. Dass sich Gondorer in Umbar herumtrieben, konnte verschiedene Gründe haben - entweder Flüchtlinge, die sehr weit vom Weg abgekommen waren, Verräter im Dienste Hasaels oder Suladans oder Boten aus Dol Amroth. Gegen die Flüchtlinge sprach die Tatsache, dass sie offenbar einen Wachmann getötet haben, was ebenfalls die Möglichkeit der Verräter unwahrscheinlich machte...
Er warf dem Mädchen eine Silbermünze zu. "Hier. Wenn du mich hinbringst bekommt du mehr."

Edrahil zum Hafen...

Eandril:
Edrahil, Valion und Valirë von den Straßen Umbars...

Edrahil drehte den Griff der Tür, die zu seinem Versteck führte, einmal links, einmal rechts und noch einmal links, und die Tür schwang auf. Er ging als erster hinein, wobei er sich seines Humpelns und der Blicke der Zwillinge in seinem Rücken deutlich bewusst war, und sah Bayyin an dem großen Holztisch sitzen.
"Es gibt Neuigkeiten", sagte er zu dem Schreiber, und zeigte mit dem Daumen der linken Hand auf Valion und Valirë, die ihm folgten. "Diese beiden werden uns im Auftrag Dol Amroths bei unseren Aufgaben behilflich sein. Du kannst dir die Höflichkeiten sparen", fügte er hinzu, als Bayyin den beiden freundlich zunickte. "Es sind leider vollständige Holzköpfe."
"Nun, äh..." Der Schreiber erhob sich, und klopfte die Krümel seiner Mahlzeit von seiner Kleidung ab. "Ihr habt sicher viel zu besprechen. Wenn ihr mich braucht, ich bin bei dieser eingestürzten Bibliothek, von der wir gestern erfahren haben." Sein Blick blieb für einen winzigen Augenblick an Valirë hängen, dann schien er sich jedoch zu straffen, raffte die Papiere und Stifte die er auf dem Tisch hatte liegen lassen zusammen und packte sie in den runden, länglichen Behälter den er am Gürtel trug. Mit einem knappen Abschiedsnicken quetschte er sich an den Zwillingen vorbei, wobei Edrahil nicht entging dass Valirë sich ein wenig breiter machte als unbedingt nötig, und verließ das Versteck.
"Also gut", sagte Edrahil, und ließ sich auf Bayyins verlassenem Platz nieder, wobei er einladend auf die beiden Stühle ihm gegenüber deutete. "Jetzt erzählt mir alles. Wie es gekommen ist dass die Prinzessin entführt wurde, und wieso ausgerechnet ihr hier seid - und diesmal die ganze Wahrheit, bitte." Der Blick, den er Valion zuwarf, hätte vermutlich den Fürsten von Umbar selbst eingeschüchtert.

Fine:
Bei Edrahils Blick machte Valion unwillkürlich einen Schritt rückwärts und stieß gegen den Arm seiner Schwester. Er blinzelte, fing sich und fixierte das Gesicht des Herrn der Spione.
"Also gut, Meister Edrahil," sagte er und legte etwas mehr Respekt in seine Stimme als gewöhnlich. "Von Anfang an. Lasst mich überlegen... Ihr bracht nach der zweiten Schlacht um Dol Amroth von dort auf, wenn ich mich recht entsinne." Er warf einen schnellen Seitenblick auf Valirë, welche zustimmend nickte. "Sicherlich wisst Ihr auch von Elphirs Auftrag, Belfalas und Linhir zurückzuerobern. Er und dieser Emporkömmling Hilgorn ritten nach Osten und waren siegreich nachdem sie mit der Unterstützung des von Sauron abtrünningen Südländerfürsten Qúsay eine große Schlacht bei Linhir geschlagen hatten."

Valirë übernahm und sagte: "Während dieser Ereignisse nahmen mein Bruder und ich uns zwei Schiffe und fuhren zum Ethir, die günstige Gelegenheit nutzend. Unsere Burg Belegarth und beinahe das gesamte Lehen sind nun wieder in Gondors Hand!" Triumphierend schlug sie mit der Faust auf den Tisch.
"Wir wussten allerdings nicht, dass nach dem Sieg bei Linhir die Diener Saurons eine Drohung ausgesprochen hatten. Sollte Gondor weitere Angriffe östlich des Gilrainflusses ausführen würde es der Schaden König Elessars sein, der als Geisel gehalten wird," sagte Valion und berichtete von den Worten des Ringgeists der Belegarth einen kurzen Besuch abgestattet hatte.
"Nach diesen Ereignissen rief uns Imrahil zurück nach Dol Amroth," berichtete Valirë.
"Natürlich," sagte Edrahil. "Ihr habt unerlaubt euren Posten verlassen."
Valirë zog verärgert die Brauen zusammen. "Als wir ankamen fanden wir die Stadt im Aufruhr vor. Wie es dazu kam, dass ein Schiff voller Korsaren im Hafen ankerte, ist mir ein Rätsel, doch irgendwie gelang es diesen Mistkerlen, Klein-Lothíriel zu entführen. Niemand konnte sie verfolgen, da sie gedroht hatten, die Prinzessin zu verletzen. Diese Feiglinge!"

"Ihr solltet wirklich ein ernstes Gespräch mit Amrodin führen," bemerkte Valion. "Nun, wie dem auch sei. Kurz vor dieser Entführung war dieser Qúsay mit Elphir nach Dol Amroth gekommen und hatte das Bündnis seines neuen Reiches mit Imrahil und Gondor besiegelt. Seine Bedingungen waren folgende: Seine Ernennung zum Fürst von Tofalas und Harondor und... die Hand Lothíriels."
Bei Valions Worten kam es ihm vor, als würde sich Edrahil einen winzigen Augenblick verkrampfen. Doch als er ein zweites Mal hinsah strahlte der Spion Dol Amroths wieder nichts als Ruhe und Besonnenheit aus.
"Hat Imrahil dem zugestimmt?" wollte er wissen.
"Das hat er," beantwortete Valirë die Frage. "Und als wir dann einige Tage später eintrafen nutzte er die Gelegenheit, ein weiteres Kind zu verloben..." Sie ließ den Satz unbeendet ausklingen.
"Er schickt uns, weil wir seine beste Option sind," sagte Valion. "Wir müssen uns in seinen Augen beweisen. Wir werden unser Bestes geben. Lothíriel mag eine Nervensäge sein, doch sie ... gehört nun zur Familie. Wir werden sie nicht im Stich lassen." Eine ungekannte Ernsthaftigkeit war über ihn gekommen. "Wir drei werden die Prinzessin befreien und ihren Entführern die Rache Dol Amroths zukommen lassen!"

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