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Autor Thema: Taverne "Zum einbeinigen Zweibein"  (Gelesen 6264 mal)

Curanthor

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Taverne "Zum einbeinigen Zweibein"
« am: 17. Jan 2017, 05:39 »
Dragan und Tiana von den Straßen Gortharias

Das Lachen Dragans verstummte und Anastia grinste noch eine Weile lang. "Nun, deswegen läuft der Laden gut, er ist witzig.", erklärte sie und zog die Tür auf. Er folgte ihr und stand hinter eine großen Theke in einem riesigen Schankraum. Die Bedienung, eine junge Frau mit roten Haaren blickte ihn nur kurz an und brachte einige Becher Bier zu den Tischen. Die Taverne war gut gefüllt, etwas über die Hälfte der Plätze war besetzt, meist Händler. Sein geschulten Augen erfassten auch mindest neun Söldner, die jeweils an einzelnen Tischen saßen. Erst jetzt bemerkte er den Dolch der Rothaarigen und schalte sich selbst, dass er nicht aufmerksamer gewesen war.
"Ah, Frau Tiana. Wen bringt Ihr denn da mit?", fragte die Bedienung und nickte zu Dragan, der mit einem Grummeln seinen Turban in eine Ecke warf.
"Oh das...", sie bemerkte, wie einige der Männer aufblickten und einige die Ohren spitzten, "Nur etwas Spaß. Du weißt ja, echte Männer gibt es ja kaum noch.", sagte sie mit einem vieldeutigen Grinsen, woraufhin einige der Männer lachten. Die Rothaarige schüttelte jedoch nur den Kopf und brachte einen Mann an einen Einzeltisch ein Wasser. Interessiert beobachtete Dragan den Fremden, der von dem Aussehen her überhaupt nicht in das gängige Bild eines Bewohners von Rhûn passte. Er hatte merkwürdig verkniffene Augen und hatte lange Haare, die er sich zu einem strengen Zopf nach hinten gebunden hatte. Trotzdem schien jeder in dem Raum Respekt vor dem Mann zu haben. Seine eigentümliche Rüstung aus dutzenden Platten und Riemen wirkte schon etwas zerfleddert.
"Pst, du starrst schon wieder.", flüsterte Anastia im vorübergehen, die gerade der Bedienung aushalf, "Geh zu ihm, er ist der Mann.", setzte sie nach als sie wieder an ihm vorbeiging.
"Ich gehe schonmal auf's Zimmer", sagte Dragan etwas lauter zu Anastia, die gerade den fremden Krieger bediente und eine warme Suppe hinstellte. Sie winkte ihm zu, ohne dabei eine Miene zu verziehen. Als er langsam die Treppe neben der Theke hochstieg sah er, dass einige der Anwesenden grinsten. Erst jetzt sah er, dass der Fremde im Schneidesitz auf dem Stuhl saß und ein lange, schlanke Klinge quer in seinem Schoß lag und gegen die Wand lehnte. Als ob er seinen Blick bemerkte, öffnete der Mann die Augen und blickte ihn geradewegs an. Dragan runzelte die Stirn und stieg weiter die Treppe empor. Er stand in einem lang gezogenen Flur, der schwach erleuchtet war, am Ende war eine weitere Treppe, die aber mit einem Eisengitter mit Schloss verriegelt war. Als er an einem der Zimmer vorüberging meinte er Geräusche zu hören und lauschte an der Tür. Er stöhnte innerlich auf, warum er gerade immer genau solche Dinge wahrnahm.
"Es ist unter des Mannes Ehre zu lauschen und vertößt gegen die Tugenden", sagte eine eine Stimme mit starken Akzent und falscher Betonung der Wörter. Dragan drehte sich langsam um und erblickte den fremden Krieger, der einen Helm mit einer Dämonenfratze unter dem Arm geklemmt hatte. Sein merkwürdiges Schwert steckte in dem Gürtel neben eines weiteren, kleineren Schwerts.
"Und wer seid Ihr?", fragte Dragan abschätzend und beschloss den Mann nicht zu verärgern.
"Oh verzeiht meine mangelnde Etikette, Eure Sprache ist nicht einfach. Ich bin nur ein reisender Ronin, der Euch gerne einen Rat geben möchte, falls Ihr erlaubt natürlich." Der Mann musterte ihn von oben bis unten und kam etwas näher auf ihn zu. Erst jetzt wurde Dragan bewussst, dass er in etwa die gleiche Größe maß wie er.
"Vielleicht wäre es angebracht einen besseren Raum aufzusuchen?", schlug der Fremde vor und nickte mit dem Kopf.
Etwas verwirrt von dem Kerl, nickte der Fürstensohn einfach und folgte dem merkwürdigen Mann in eines der Zimmer. Es war nicht sonderlich groß und besaß ein Bett, zwei Stühle mit Tisch und einen Schrank. Ein gepackter Beutel mit Holzstreben darin lehnte gegen den Schrank, das Bett war ordentlich gemacht und weitere schlanke Klingen, aber etwas kürzer als sein anderes Schwert, lag auf dem Kopfkissen. Mit einem Seitenblick bemerkte Dragan auch eine Art Lanze mit Schwert.
Der Krieger setzte sich im Schneidersitz auf das Bett und nickte zur Tür, die Dragan langsam schloss. Mit skeptischen Blick trat er vor und setzte sich auf einen Stuhl nach einer freundlichen Aufforderung. So einen Kerl hatte er noch nie gesehen, er war höflich und respektvoll, ohne dass man ihn einschüchtern musste.
"Wer zum Geier seid Ihr? Und jetzt keinen Quatsch mit Reisenden, das bin ich auch.", platzte aus Dragan heraus, der nun wieder die Geduld verlor.
"Oh nein, ich bin ein reisender Ronin auf der Suche nach einem Daimyō.", antwortete der Fremde mit einem Lächeln und legte die Fäuste gegeneinander haltend in den Schoß.
Verwirrt fragte Dragan nach dem letzten Wort, welches er noch nie gehört hatte. Das stets gleich aussehende Gesicht des Fremden veränderte sich etwas und ein verständnissvolles Lächeln erhellte die Züge des Mannes.
"Hitotsu, doryoku no seishin o yashinau koto", antwortete der Mann in der selben fremden Sprache wie zuvor und legte den gestreckten Zeige- und Mittelfinger gegen die offene Handinnenfläche der anderen Hand. "Mühe Dich, Deinen Geist zu kultivieren. Am besten geht das mit Fragen und ich sehe, dass mein Auftreten sehr viele Fragen aufwirft." Dragan wusste nicht so recht was er tun sollte und nickte stattdessen, es war ihm müßig geworden weiter nachzufragen. Dem Fremden reichte das, denn er hob seine Waffe mit beiden Händen vertikal an und legte es vorsichtig auf seine Knie. "In Eurer Sprache würde man sagen, dass ich auf der Suche nach einem Fürsten bin.", erklärte der Fremde nun endlich und Dragan seufzte auf.
"Mein Vater war einer.", erklärte und entlockte damit dem Mann das Hochziehen einer Augenbraue.
"War? Hat er sein mentsu verloren?", fragte er skeptisch und überlegte kurz, "Gesicht.", setzte er schwerfällig nach und Dragan nickte.
"Dann seit Ihr der Nachfolger des Daimyō", stellte der Fremde erfreut fest und ließ seine Waffe durch die Luft wirbeln, "Benötigt ihr die Dienste eines Reisenden auf dem Bushidō?", fragte er, verneigte sich und streckte ihm die Waffe mit dem Griff zuerst entgegen.
"Ihr stellt mir Eure Dienste einfach so zur Verfügung? Woher wisst Ihr, ob ich nicht ein Menschenschinder bin?", stellte Dragan die Gegenfrage und der Mann verharrte in der Postion, scheinbar schien er sich zu sammeln.
"Ich kenne Euch, ich habe von Euch gehört. Dem verlorenen Sohn der Heimat, der, der mit den Wölfen heult." Kam die überraschende Antwort und Dragan wusste sofort, dass sein Vater irgendwie seine Hände im Spiel hatte, er wusste nur nicht wie.
"Und was ist der ... Busch...dingsda?", fragte er weiter und er hörte den Krieger glucksen, was zum ersten Mal eine sehr offensichtliche Reaktion darstelle.
"Der Weg des Kriegers.", antwortete der Fremde nachdem er sich wieder gefasst hatte, so als ob das alles sagen würde.
Dragan beschloss erstmal nicht weiter danach zu fragen und packte den umwickelten Griff des Schwerts. Ihm war es egal ob er nun in eine Falle lief oder nicht, wenn der Mann ihn hätte töten wollen, wäre das schon längst geschehen.
"Und was wollt Ihr dafür?", fragte er noch schnell, doch er hatte schon die Waffe gepackt.
"Hitotsu, jinkaku kansei ni tsutomuru koto.", antwortete er sogleich und lächelte ihn an, als er seine Hand am Griff erblickte, "Es ist eine Pflicht, nach der Perfektion des Charakters zu streben" Erneut machte er die Geste mit zwei ausgestrecken Fingern gegen die andere Hand und verneigte sich leicht. "Ich strebe ständig danach und bin mir sicher, dass Ihr, mein Daimyō mich auf dem Weg geleiten werdet." Er beugte sich weit nach vorn runter, sodass Dragan sich wunderte, wie gelenkig der Kerl war. Er zog das Schwert zurück und legte es wieder quer über seinen Schoß, ohne sich aufzurichten.
"Mein Name ist Niwa Kenshin, es ist mir eine Ehre."


Verlinkung ergänzt
« Letzte Änderung: 18. Jan 2017, 08:47 von Fine »

Curanthor

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Re: Taverne "Zum einbeinigen Zweibein"
« Antwort #1 am: 18. Jan 2017, 02:14 »
Sie saßen zu dritt um einen Tisch herum und blickten einander abwechselnd an. Der große Schankraum der Taverne war etwas leerer, denn eine Karawane hatte sich auf dem Weg in die Wüste gemacht. Dragan kippelte den Stuhl gegen die Wand und musterte Anastia, oder Tiana, genauer. Kenshin dagegen saß erneut mit geschlossenen Augen im Schneidersitz und hatte sein Schwert dabei über seine Knie gelegt. Er redete nie sondern lauschte aufmerksam.
"Also... Tiana?", fragte Dragan und sie hob fragend eine Braue, "Klingt hübsch, der Andere ist ein wenig lang", fuhr er fort und grinste schelmisch.
Sie warf ihm einen "Halt-die-Klappe"-Blick zu und er erinnerte sich, dass sie, nachdem Kenshin sich vorgestellt hatte ins Zimmer gekommen war. Dort war ihre Erklärung, dass sie Anastia als Decknamen benutzte und sonst immer nur Tiana, die Besitzerin einer Taverne war, in der sich Söldner, Händler und Karawanenanführer trafen.
"Wie seit Ihr eigentlich an eine Taverne rangekommen? Es ist ja nicht gerade klein und bestimmt nicht billig gewesen", fragte er neugierig und schlürfte einen exotischen Tee.
"Ein Erbe des wertern Herrn Vaters", antwortete Tiana und schaute dabei zu Kenshin, dessen Mundwinkel zuckten, da sie ihn imitierte, "Damals war es nur eine große Lagerhalle aber er hat sie umgebaut und den unteren Teil als Schankraum eingerichtet. Dort, wo oben die Zimmer sind, lag ursprünglich unser Familienbereich."
Dragan stellte den Stuhl richtig hin, als sein Interesse geweckt wurde. "Aber da geht noch eine Treppe rauf, wohin geht es dort?", fragte er und schaufelte sich Zucker in den Tee. Kenshin öffnete die Augen und drehte den Kopf zum Eingang, was Dragan dazu veranlasste ebenfalls dorthin zu blicken. Drei schwer gerüstete Kerle traten in die Gaststätte ein, sie waren alle kahl geschoren und hatten kantige Gesichter. Sie waren breit gebaut und überragten die meisten Gäste um einen Kopf.
"Oh nein, nicht schon wieder...", murmelte Tiana und holte irgendwoher aus ihrer Kleidung einen Dolch.
"Ach, das war die Beule zwischen deinen Beinen vorhin!", rief Dragan triumphierend.
Kenshin, der gerade seinen Tee trank prustete den Inhalt quer über den Tisch und hustete. Tiana funkelte den Fürstensohn böse an, dennoch konnte er ein zartes Rosa auf ihren Wangen entdecken. "Du bist ein Idiot", schimpfte sie und knallte die Waffe auf den Tisch, "Er war im Oberteil versteckt", zischte Tiana und lief augenblicklich rot an.
Der arme Kenshin kam nicht aus dem Husten heraus und hob abwehrend die Hände. "Ich muss... sehr bitten", brachte er hervor und Dragan klopfte ihm kräftig auf dem Rücken. Nachdem sein Hustenanfall vorüber war, wurden sie wieder ernst.
"Was sind das für Kerle?" Dragans Frage war absehbar gewesen, denn sie beobachteten die Kahlköpfe durchgehend, wie sie sich grob zum Tresen durchdrängelten und Weinbrand bestellten.
"Böse Menschen. Schlächter ohne Ehre", erklärte Kenshin und lies mit seinem Daumen sein schlankes Schwert ein Stück aus der Scheide springen, "Sie sind eine Beleidigung und Vertoß gegen Gi, Ji und Meiyo. Es wäre mir eine Freude ihr jämmerliches Leben zu beenden; wenn Ihr erlaubt, Daimyō?"
"Nein, es würde unser Vorhaben erschweren. Das Problem löst sich gleich von selbst. Warte einfach ab." Tiana saß ganz ruhig mit dem Dolch vor sich und drehte ihn im Kreis, trotz ihrer Worte machte Kenshin jedoch keine Anstalten seine Waffe zu senken. Erst als Dragan den Kopf schüttelte, legte er das Schwert wieder in seinen Schoß.
"Da kennen wir uns schon seit ein paar Wochen und plötzlich ist es dir egal was ich sage?", fragte Tiana empört an Kenshin gewandt. Es brauchte einen Moment, bis sie verstand. "Daimo? War das nicht dieses Fürsten-....", sie blickte zu Dragan und schlug sich die Hand vor dem Kopf, "Natürlich, er suchte einen Fürsten dem er dienen konnte. Unser Netzwerk hat das Gesuch weitergetragen bis zu Ivailo, der wiederum das Treffen angeleiert hatte." Dragan horchte bei Tianas Worten auf und funkelte sie säuerlich an. "Er wusste davon? Warum hast du das nicht gleich gesagt?", fragte er vorwurfsvoll, winkte aber dann ab. Ihm verging die Lust weiter darüber zu sprechen. Er konzentrierte sich lieber auf die drei grobschlächtigen Kerle, die gerade an einer Gruppe Söldner vorübergingen.
"Es geht los", murmelte Kenshin und rückte seinen Waffengurt zurecht.
Dragan verstand erst nicht was gemeint war, bis einer der drei Kerle einen Söldner beiseite schubste. Dieser beschwerte sich lautstark und bekam dafür prompt eine Faust in das Gesicht. Augenblicklich befanden sich die Hälfte der Gäste auf den Beinen und droschen auf die drei Männer ein. Ehe Dragan reagieren konnte war Kenshin mit einem Hechtsprung vom Stuhl aufgesprungen und rammte einem der Glatzköpfe aus dem Sprung heraus seine Waffe mit dem Griff voran in die Magengrube. Der Mann fiel zu Boden und wurde sofort von Fußtritten eingedeckt. Seine zwei Kumpanen hoben schützend die Arme um die Prügel abzuwehren und zogen ihren jammernden dritten Mann zur Tür heraus. Tiana seufzte erleichtert auf, stellte sich mit dem Dolch schwenkend auf den Stuhl und rief: "Eine Freirunde! Dafür, dass nichts kaputt gegangen ist."
Jubelnd und mit Ho-Rufen wurde die Ankündigung aufgenommen und die Becher geschwenkt. Mit einem zufriedenen Grinsen, das sofort verschwand kehrte Kenshin an den Tisch zurück. Sogleich kniete er vor Dragan nieder. "Verzeiht mir, ich ließ mich von persönlichen Gefühlen leiten. Es wird nie wieder passieren", sagte er ernst und erwartete offensichtlich eine Bestrafung.
"Das war ein guter Hieb. Nun setz dich und erkläre mir, was daran persönlich war", erwiederte Dragan interessiert und blickte zu Tiana, die unwissend die Schultern zuckte. Er hob skeptisch eine Braue, hörte aber dann Kenshin zu, der zu erklären begann: "Weiter im Osten, wo ich herkomme lebt ein Stamm von ihnen. Sie kamen vor einigen Jahren in die Nähe meines Dorfes. Wir leben sehr abgeschieden und halten alle äußeren Einlüsse von uns fern. Doch diese Wilden kümmert das nicht, sie kennen keine Ehre und greifen uns immer an. Sie machen keinen Unterschied ob Frau, Mann, Kind oder kranker Mann. Unsere Waffen wollen sie haben." Er zog die schlanke Klinge und legte sie auf den Tisch. Interessiert betrachteten Dragan und Tiana die Waffe mit einem ungewöhnlichen Wellenschliff. "Das nennen wir ein Katana. Sie glauben, das sie unzerstörbar sind, dabei sind sie nur sehr scharf."
Dragan nickte verstehend und legte ihm eine Hand auf dem Arm. "Mach dir keine Sorgen, ich würde auch so reagieren, wenn ich so etwas erlebt hätte", beruhigte er den Krieger, der sogleich aufatmete und sich erhob. Der Fürstensohn war nun noch mehr an der Kultur von Kenshin interessiert, hielt sich jedoch zurück und wartete auf einen passenderen Augenblick.
"Diese Kerle sind außerdem die übelsten Kopfabschneider, die man für Geld anheuern kann. Sie sind billig und bevorzugen die Drecksarbeit", Tiana verzog angewidert das Gesicht während sie sprach, "Es sind Barbaren und hier gibt es immer wieder heftige Prügeleien mit den anderen Söldnern. Zwar mag man sich untereinander durch die Konkurrenz nicht sonderlich, doch es gibt auch die Berufsehre. Da aber solche Kerle keine haben, und da sind sich einmal alle auch einig, werden sie überall rausgeschmissen. Meistens geht dabei etwas zu Bruch..." Sie deutete zu den großen Wagenrädern, die mit einigen Ketten von der Decke hingen und Kerzen trugen, "Die musste ich schon viermal neu kaufen, nach dem zweiten Mal habe ich einfach Gebrauchte geholt und nichts bezahlt." Sie grinste kurz und handelte sich einen tadelnden Blick von Kenshin ein. "Das war aber nicht dem Gi entsprechend", sagte er und runzelte kurz die Stirn, "Aufrichtig?", setzte er fragend nach und erhielt ein Nicken.
Dragan strich sich über den kurzen Bart und wollte schon fragen ob Tiana schon selbst Söldnerin war, doch sie kam ihm mit der gleichen Frage zuvor. Er schüttelte nur den Kopf und mied es über seine Vergangenheit zu sprechen, dafür kannte er beide noch nicht gut genug. Der Tumult in dem Gastraum war einem durchgehenden Tuscheln gewichen und Dragan ahnte, dass dort nicht nur königsgetreue Dinge abgeschlossen wurden. "Kreuzen hier auch bestimmte Gestalten auf, wie neulich?", fragte er an Tiana gewandt. Diese nickte stumm und gab ihm zu verstehen nicht zu deutlich zu werden. "Viele kommen auch wegen unserem Weinbrand her, er ist der Beste der Stadt. Meine Verwandten auf dem Lande stellen ihn selbst her."
Ihm entging nicht der Stolz in ihrer Stimme und er verstand nun besser warum sie so wenig preisgab: Sie wollte ihre Familie schützen. Als gute Weinbrandlieferantin war man durchaus bekannt und Dragans Respekt für sie stieg, da das sehr gefährlich für sie war. Kurz fragte er sich, wie Tiana hier in der Stadt gelandet war, wenn sie vom Land kommt. Und wie kam er hier her..., fügte Dragan im Gedanken hinzu und blickte zu Kenshin, der in aller Ruhe einen weiteren Becher Tee leerte.
« Letzte Änderung: 18. Jan 2017, 05:40 von Curanthor »

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Ein unerwartetes Treffen
« Antwort #2 am: 18. Jan 2017, 15:00 »
Cyneric vom Hafen


"Du hast wirklich Glück, dass du mich getroffen hast," sagte Orvar und leerte seinen Krug. "Bedienung! Auffüllen!" rief er und knallte das Gefäß lautstark auf die Tischplatte. Cyneric musste lachen. So oder ähnlich war es in vielen Tavernen in Rohan ebenfalls abgelaufen, wenn er nach Schichtende mit anderen Gardisten etwas Freizeit genossen hatte.
"Nun, Orvar, ich muss dir wirklich recht geben," gab Cyneric lächelnd zu. "Das ist wirklich ein sehr gastfreundliches Haus, und der Weinbrand ist tatsächlich mit nichts zu vergleichen, was ich bisher gekostet habe."
"Sagte ich dir ja," bekräftigte Orvar und prostete ihm mit dem bereits wieder gefüllten Krug zu.

Nachdem Ryltha ihn alleine am Hafen stehen gelassen hatte war Cyneric langsam in Richtung des Palastes gelaufen. Es war zwar Abend, aber noch nicht spät genug, dass er wirklich müde gewesen wäre. Unterwegs hatte er Orvar getroffen, einen Gardisten aus dem Fürstentum Dorwinion, dessen Schicht gerade zu Ende gegangen war und der Cyneric überzeugt hatte, sich das "Einbeinige Zweibein" anzusehen. Und nun stellte Cyneric fest, dass der Besuch sich gelohnt hatte. Im Schankraum herrschte eine fröhliche Stimmung, die nur einmal durch einen kurzen Tumult am Eingang unterbrochen worden war, als drei grobschlächtige Kerle hereingeplatz waren, offensichtlich auf der Suche nach Streit. Ein fremdländischer Krieger hatte sie jedoch schnell und effizient wieder vertrieben, woraufhin die Gastwirtin eine Freirunde verkündet hatte, die begeisterten Anklang gefunden hatte.

Jetzt kam sie gerade an den Tisch. "Gardisten, nicht wahr?" stellte sie lächelnd fest.
"Sieht man es uns so sehr an?" fragte Cyneric und erwiderte das Lächeln.
"Man sieht es an der Art, wie ihr euch bewegt und an eurer Haltung," antwortete sie wissend. "Obwohl ihr Feierabend habt, bleibt ein Teil von euch immernoch wachsam, und ihr kennt eure Grenzen im Bezug auf den Alkohol; wisst genau, wann ihr mit dem Trinken aufhören müsst."
"Das dauert noch eine ganze Weile, Tiana," stellte Orvar gut gelaunt klar.
"Nun, ihr seid große Jungs, ihr müsst das selbst entscheiden," scherzte Tiana. "Wenn ihr noch etwas braucht, meldet euch einfach. Und noch etwas: Danke, dass ihr keinen Ärger macht. Ich weiß, dass hier auch oft Söldner und andere fragwürdige Gestalten aufkreuzen, doch die meisten halten sich an die Regeln. Es ist gut, dass ihr beiden nicht zu der Sorte gehört, die sofort aufspringen und die Schwerter ziehen. Ihr habt ja selbst gesehen, wie sich das Problem von selbst gelöst hat - wir brauchen keine Stadtwächter, die immer gleich aus allem eine große offizielle Angelegenheit machen."
"Wir sind Palastwächter, keine Goldröcke," korrigierte Orvar. "Das ist ein Unterschied von.... mindestens der Hälfte meines Soldes," fügte er grinsend hinzu.
"Und unsere Befehle kommen direkt aus dem Palast, und nicht von dieser Kröte, die seit neustem das Amt das Stadtkommandanten innehat," sagte Cyneric im Plauderton. Er hatte den Mann zwar selbst noch nicht getroffen, aber das Gerede im Palast war nur schwer zu überhören gewesen. Der neue Kommandant, vom König selbst ernannt, war nicht einmal ein Adeliger, sondern ein Emporkömmling aus dem Volk, was vor allem bei den höher gestellten Menschen an Gorans Hof nicht gut ankam. Glatzköpfige Kröte war noch eine der freundlicheren Bezeichnungen, die Cyneric aufgeschnappt hatte.
"Ich verstehe schon," sagte Tiana und lachte. "Ihr seid 'was Besonderes, hmm?"
"Worauf du dich verlassen kannst, Schätzchen," bekräftigte Orvar.
"Also schön," sagte sie. "Trotzdem kann ich nicht meine gesamte Zeit nur für euch verschwenden; ich will ja die übrigen Gäste nicht vergraulen. Meldet euch, wenn ihr was braucht." Damit rauschte sie davon.
"Das Einbeinige Zweibein ist für zwei Dinge bekannt," erklärte Orvar, der offenbar vergessen hatte, dass er Cyneric genau dasselbe bereits auf dem Weg zur Taverne eingeschärft hatte. "Einerseits für seinen ausgezeichneten Weinbrand - "
"Und andererseits für Tiana, ich weiß," unterbrach Cyneric.
"Sie hat eine ganz bezaubernden Persönlichkeit, nicht wahr?"
Cyneric nickte, auch wenn ihm Orvars Schwärmerei eher durch den Alkohol hervorgerufen vorkam. "Ja, ich vermute, das hat sie."

Während Orvar weiterhin bewundernde Blicke auf Tiana warf, die sich an einen der hinteren Tische gesetzt hatte, machte sich Cyneric ein Bild der übrigen Gäste. Der Großteil bestand aus Menschen, die nach Händlern aussahen und offenbar auf der Durchreise waren. Einige andere waren eindeutig die von Tiana beschriebenen Söldner, die sich vor allem in den Ecken oder direkt am Ausschank tummelten. Cyneric sah vor allem Ostlinge, doch auch einige Männer und Frauen, die Orvar ähnelten und wohl aus Dorwinion oder sogar aus Thal stammten. Schließlich blieb sein Blick an den beiden Männern hängen, die an Tianas Tisch saßen. Einer war ein kräftig gebauter Ostling, der hellgraue Jagdkleidung trug. Bei dem zweiten Mann handelte es sich um den Fremdländer, der die drei Raufbolde vertrieben hatte. Er saß in einer seltsamen Sitzhaltung da und schien sich nicht am Gespräch zu beteiligen. Die Körperhaltung des Mannes und seine Rüstung wirkten auf Cyneric beinahe wie aus einer anderen Welt.
"Ein Ronin-Krieger aus Minzhu," erklärte Orvar, der Cynerics Blick bemerkt hat. "Die sollte man sich besser nicht zum Feind machen; aber das hast du ja vorhin selbst beobachten können."
Cyneric nickte. "Er scheint einen ausgeprägten Gerechtigkeitssinn zu besitzen."
"Oder er fühlte sich durch diese drei Kerle bei... was auch immer er da gerade tut, gestört," mutmaßte Orvar. "Jedenfalls möchte ich nicht dabei sein, wenn diese Klinge, die er bei sich trägt, zum Einsatz kommt. Sieht aus, als könnte er damit glatt durch jegliche Rüstung schneiden."
Die gebogene, schlanke Klinge war Cyneric ebenfalls aufgefallen. Doch als er einen weiteren Blick darauf werfen wollte wurde er plötzlich gewahr, dass der Fremde ihn ebenfalls ansah und offensichtlich mitbekommen hatte, dass die beiden Palastwachen ihn beobachte. In den Augen des Ronin blitzte es, und Cyneric wandte schnell den Blick ab. Er wollte es nicht darauf ankommen lassen.
"Besser, wir riskieren keinen Blick mehr," befand Orvar. "Sonst könnte es noch ungemütlich werden."
"Ungemütlich kann ich jetzt nicht gebrauchen," stimmte Cyneric zu.
"Nein", bekräftigte Orvar. "In Zeiten wie diesen kann das niemand."

Die Eingangstür der Taverne öffnete sich und eine Frau kam herein. Sie blickte sich um, und als Cyneric einen Blick auf ihr Gesicht erhaschen konnte, musst er grinsen: Es war Milva. Und schon hatte sie ihn ebenfalls entdeckt und zog verärgert die Augenbrauen zusammen. Doch dann kam sie herüber und stützte die Hände auf dem Tisch ab, an dem die beiden Gardisten saßen.
"Verfolgst du mich etwa?" wollte sie misstrauisch wissen.
"Ich war vor dir hier," gab Cyneric lächelnd zurück. "Mir scheint, dass du diejenige bist, die mich verfolgt."
"Oh nein, du drehst mir nicht die Worte im Mund herum," sagte sie mit ausgestrecktem Zeigefinger, der direkt vor Cynerics Nasenspitze verharrte. Er schob Milvas Hand sanft beiseite und bot ihr einen Stuhl an.
"Setz dich erst einmal, trink etwas, und dann erzähl uns, was du hier tust," schlug er vor und stellte seinen Krug vor Milva ab.
Und tatsächlich nahm sie Platz und blickte etwas hilflos in die Runde. "Ich wollte einfach weg von dort," sagte sie und meinte offensichtlich das 'Uldor's Rast'. "Diese Stadt bringt mich noch um. Ich stolpere von einer Verschwörung in die Nächste," klagte sie und nahm einen tiefen Schluck aus dem Krug.
"Ha ha!" lachte Orvar. "Tja, das ist Gortharia. Gewöhn' dich dran, Schätzchen!"
"Ich heiße Milva," korrigierte sie mit spitzer Stimme.
"Angenehm. Ich bin Orvar von der Palastgarde," stellte er sich vor.
"Milva," sagte Cyneric, "Mir geht es genauso wie dir. Ich schätze, das ist hier ganz normal. Und es tut mir Leid, dass es dir vorhin so vorkam als würdest du verfolgt. Ich bin wirklich nur zufällig hier."
"Wahrscheinlich hast du recht," seufzte Milva und begann sich offenbar ein wenig zu entspannen. "Also gut, solange ihr beiden dafür sorgt, dass dieser Krug in meiner Hand nicht leer wird, können wir für heute Abend Freunde sein."
Die beiden Gardisten lachten. "Ein leicht zu erfüllender Wunsch," sagte Orvar.
« Letzte Änderung: 3. Mai 2017, 11:24 von Fine »
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Re: Taverne "Zum einbeinigen Zweibein"
« Antwort #3 am: 24. Jan 2017, 01:18 »
Als Tiana wieder zurück an den Tisch kam, brachte sein einen Krug Bier für Dragan und einen Becher Tee für Kenshin. "Wie viel von dem Zeug kannst du dir reinschütten?", fragte der Fürstensohn verwundert und hatte bei dem dritten Becher aufgehört zu zählen. Kenshin ließ kurz den Becher sinken und zwinkerte ihm nur verschmitzt zu.
"Die zwei Kerle dahinten gehören zur Palastwache, da wo sich eben die Frau dazugesetzt hat", sagte die Hausherrin und verstaute ihren Dolch, diesmal jedoch in einer Tasche ihres Umhangs, "Vielleicht hört ihr euch bei denen mal um. Ich arrangiere mal ein kleinen Plausch." Sie setzte sich und plauderte über die aktuellen Geschehen in der Stadt und frischte ihren Wissenstand auf. Sie redete und redete, überflutete sie mit Infos, bis sie wieder auf die beiden Männer zurückkam.
Dragan blickte zu den beiden Männern und der Frau, vor denen jeweils eine Krug vor ihnen auf den Tisch stand. Kenshin hatte sie vorher schon beobachtet und wandte sich nun an Dragan: "Einen von ihnen kann man vertrauen, bei dem Anderen bin ich mir nicht sicher.... genau wie diese Frau.", sagte er mit seinem komischen Akzent.
"Kannst du hellsehen oder woher weißt du das?", fragte Dragan mit einem Stirnrunzeln und nahm einen Schluck von dem Bier, das ihm kaum schmeckte. Er würde gleich zu Weinbrand umsteigen, bevor er sein Mittagessen wiedersieht.
"Die Augen sind das Tor zur Seele, mein Daimyō. Kannst du in ihnen lesen, so wird sich dir ihr wahres Wesen offenbaren. So kannst du ihren geistigen Pfad bis in die tiefsten Abgrunde verfolgen." Kenshin trank noch etwas von seinem Tee und legte sich das Katana quer über den Schoß. Scheinbar war damit alles erklärt und Dragan zuckte mit den Schultern. Vielleicht waren manche Menschen einfach sensibler als er, für ihn gab es einen einfacheren Weg herauszufinden. Tiana nickte ihm zu und sobald er sich vom Stuhl erhob, war auch Kenschin auf den Beinen. Er hob kurz den Finger und bedeutete Dragan zu warten, rasch lief der Krieger hoch und es polterte, dann kam er wieder die Treppe herunter. Er hatte sich sein Katana zusammen mit dem kürzeren, ebenfalls schlanken Schwert an den Waffengürtel gebunden. In seiner Hand trug er die Lanze mit der langen Klinge.
"Was zum Teufel ist das?", entfuhr es Dragan und er betrachtete den metallverstärkten Stab mit einer tödlicher Klinge.
"Eine Naginata, ich dachte, die würde uns Respekt verschaffen.", erklärte Kenshin und brachte Tiana damit zum Prusten. "Was?"
"Den hast du schon, seitdem du hier angekommen bist. Manchmal bist du echt ein komischer Kerl. Trotzdem mag ich dich, weswegen du auch nichts bezahlen musst.", sagte sie lachend und klopfte ihm auf die seltsame Rüstung. Kenshin verneigte sich knapp und nickte zu Dragan, der kopfschüttelnd auf die andere Seite der Taverne steuerte. Zwar warfen ihnen einige Leute ein paar Blicke zu, doch waren die meisten mit sich selbst oder ihrem Krügen beschäftigt.
"Ich habe mir erlaubt ein paar meiner Freunde mitzubringen. Sie beschützen mich vor bösen, bösen Leuten", sagte Tiana mit einem breiten Grinsen und schob mehrere Stühle an den Tisch, an denen die beiden Männer mit der Frau saßen.
"Sind das Eure Leibwächter?", fragte die blonde junge Frau, die gegenüber der beiden Männer sitzt. Ihre braunen Augen huschten zwischen Dragan und Kenhsin hin und her. "Nicht direkt, nur gute Freunde", erwiderte Dragan.
"Keine Sorge Tiana, wir sind keine bösen Leute", sagte der Kerl, den Tiana scheinbar kannte, "Außerdem würde ich ungern gegen ihn antreten müssen" Er nickte zu Kenshin, der ausdruckslos etwas versetzt hinter Dragan stand, der sich nach einem kurzen Moment setzt, was Tiana schon längst getan hatte.
"Wie heißt Ihr eigentlich? Ich sehe viele Gesichter hier, doch Eures ist mir neu.", fragte ihre Gastgeberin an den Mann mit kurzen braunen Haaren gewandt.
Der andere Mann legte dem Angesprochenen einen Arm um die Schulter "Oh, das ist der Neuling er-"
"Klappe Orvar, ich möchte seine Erklärung hören und nicht deine. Du bist schon halb besoffen!", unterbrach Tiana ihn mit einem kalten Lächeln. Orvar schien kurz überrascht, fing sich aber schnell und lachte:"So schnell werde ich nicht besoffen, Süße" Er schlug sich auf die Brust, "Du kennst mich!"
"Ja, leider", erwiderte sie prompt und brachte alle anderen am Tisch zum lachen, selbst Kenshin schmunzelte.
"Mein Name ist Cyneric, Cynegars Sohn", stellte sich der andere Gardist nun vor, nachdem sie sich beruhigt hatten, "Und das ist Milva." Er deutete auf die Blonde, deren Krug fast leer war. Tiana runzelte die Stirn und schnappte ihn sich mit den Worten: "Der geht auf mich" und kam sogleich mit einem gefüllten Krug wieder an den Tisch.
"Ich bin Dragan.", stellte er sich knapp vor und nickte zu Orvar und Cynerik; Milva zwinkerte er zu, die seinen Blick aus braunen Augen erwiderte. "Oh und das ist Kenshin", setzte er nach und deutete auf den Krieger, der nun seine Naginata an die Wand lehnte und sich neben Milva setzte.
"Ich hörte, ihr habt ein bestimmtes Kröteproblem?", fragte Dragan mit einem Grinsen an die beiden Palastwächter gewandt.
"Ach hör auf, wenn ich an diese aufgeplusterte Amphibie denken muss, kommt mir der köstliche Weinbrand wieder hoch!", rief Orvar und knallte den Krug auf den Tisch. "Dafür ist der viel zu schade," setzte Cynerik nach und lächelte zu Tiana die das Lob mit einem warmen Lächeln entgegen nahm.
"Der Kerl geht allen nur auf die Nerven, ich hoffe..", Orvar senkte die Stimme, "Ich hoffe, dass er nicht lange auf seinem Posten hocken kann, diese schleimige Qualle."
Kenshin, der gerade die Augen geschlossen hatte beugte sich etwas zur Seite und blickte zum Eingang. Eine hochgewachsene Gestalt mit Umhang, Kapuze und Mundtuch trat in die Taverne ein. Der Neuankömmling bewegte sich zielsicher auf den Thresen zu und holte einen Händler ab, der mit zwei Geldstücken gespielt hatte.
"Onaji", sagte er und nickte zu der verhüllten Gestalt, die wieder zur Tür hinausschlüpfte. "Was?", fragte Dragan verwirrt.
"Spitzohren. Elben." Orvar blickte sich um und bedeutete ihnen näher zu kommen. "Ich habe gehört, wie sie im Palast gesagt haben, dass irgendwas im Osten vorgeht. Es sind in letzter Zeit viele Elben in der Stadt, aber immer nur sehr kurz. Die Obersten sind davon nicht gerade begeistert, sie haben schon Späher ausgesandt, konnten aber nichts finden." Er lehnte sich wieder zurück und nickte stolz, dass er Etwas über Elben wusste.
"Sie sind schon bei meiner Abreise aus meinem Dorf unruhig gewesen", schaltete sich Kenshin überraschend ein und sie blickten ihn an, "Bei uns in de Nähe lebte ein kleine Stamm. Von einem Tag auf den anderen sind sie verschwunden. Niemand weiß wohin und es gibt Gerüchte, dass auch Andere Elben verschwinden."
Tiana strich sich nachdenklich über das Kinn und begrüßte beiläulig eine weitere Bedienung, die gerade mit der Arbeit begann. "Hmm", machte sie und warf Dragan immer wieder ein paar Blicke zu, "Ungewöhnlich viele Söldner werden angeheuert, wenn Händler in den Norden aufbrechen. Einige die zurückkommen, erzählen, dass sie Nachts von schlanken Gestalten beobachtet wurden. Ich hielt es erst für Unsinn aber jetzt..."
"Also ziehen die Elben aus den östlichen Gebieten nach Westen? Wieso würden sie so etwas gefährliches tun? Sie wurden doch bisher in Frieden gelassen", sagte Milva nachdenklich und schien im Gedanken versunken zu sein.
Dragan konnte sich darauf kaum einen Reim machen und es war wieder Kenshin, der sich in das Gespräch einklingte: "Bevor ich nach Minghzu gekommen bin, habe ich viele Reisen unternommen. Die Elben, die ich getroffen habe waren freundlich aber sehr distanziert. Was ich aber von ihnen weiß ist, dass sie nie ohne Grund weggehen würden. Außerdem haben viele von ihnen Angst, dass Sauron sich irgendwann ihnen zuwenden würde, jetzt da er seine Macht gefestigt hat, aus ihren Blickwinkel natürlich."
"Hmm das ergiebt Sinn... auch wenn ich fast gar nichts über Elben weiß. Angst vor Sauron hat ja eigentlich jeder.", sagte Dragan schließlich und flüsterte den letzten Satz fast. Orvar leerte seinen Krug und stellte ihn geräuschvoll auf den Tisch.
"Na, was kümmern uns die Spitzohren. So lange ich nicht gegen sie kämpfen muss, können sie wohin gehen, wo sie wollen.", sagte er und grinste, "Da genieße ich lieber den Weinbrand hier. Nachschub!", rief er zu der neu hinzugekommenen Bedienung, eine kurvige Frau mit roten Haaren.
"Sauf nicht so viel, du altes Kamel!", schimpfte Tiana mit einem breiten Grinsen, woraufhin Orvar lachte, "Du vernichtest noch meine ganzen Vorräte."
"Ach wirklich? Ich kann es gern darauf ankommen lassen"
Ein amüsierendes Geplänkel zwischen Orvar und Tiana entbrannte, in dem sich die beiden harmlose Beleidigungen an den Kopf warfen und Witze rissen. Dragan beobachtete stattdessen Cynerik und bemerkte, dass dieser sich etwas komisch verhielt. So verstand er nicht einige gute Witze vom Nachbartisch, die wohl jeden zum Schmunzeln brachten, doch er verzog keine Miene. Er mutmaßte, dass er vielleicht aus einem Teil von Rhûn stammte, den Dragan noch nicht besucht hatte.

Curanthor

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Re: Taverne "Zum einbeinigen Zweibein"
« Antwort #4 am: 28. Jan 2017, 13:19 »
Es war mittlerweile schon spät am Abend und die Taverne hatte die betriebsamen Stunden des Tages hinter sich. Abgesehen von einer kleinen Rauferei zwischen zwei Söldner, die sich nicht grün waren blieb alles still. Tiana musste öfters einspringen um die mittlerweile sechs Bedienungen zu unterstützen weil es so voll gewesen war. Dragan blieb die ganze Zeit über mit Kenshin am Tisch von Cyneric, Milva und Orvar, der auf eine kleinen Empore stand, so konnten sie die Taverne gut überblicken. Sie redeten meist über belangloses Zeug, Dragan erzählte aus seiner Heimat und wie sein Onkel aus dem überflüssigen Getreide einen guten Schnapps brannte. Als Tiana sich wieder zu ihnen gesellte, war Orvar schon deutlich angetrunken, aber noch einigermaßen klar.
"Ist es immer so voll hier?", fragte Milva, nachdem der meiste Trubel verüber war.
Tiana nickte und tupfte sich mit einem Tuch den Schweiß von der Stirn, ihre Haare hingen ihr etwas wild ins Gesicht.
"Eine harte Arbeit, trotz sechs Bedienung und jede von ihnen war dauernd unterwegs", in Cynerics Stimme schwang Bewunderung mit, aber auch ein wenig Mitleid, "Genau wie Ihr. Was motiviert Euch den Laden am Laufen zu halten?"
Etwas überrascht von der Frage blickte sie Cyneric eine Weile lang an und die Anderen beugten sich interessiert nach vorn. Dragan bemerkte, dass es das erste Mal war, das Tiana die Worte fehlten, oder sie war einfach zu erschöpft.
"In den Jahre gewöhnt man sich dran, aber man ist froh Abends ins Bett zu kommen, wenn man denn schlafen kann" Sie warf Dragan einen unauffälligen Blick zu und er verstand, "Die Motivation.. nun, ich führe das Geschäft meines Vaters weiter, das er aus dem Nichts erschaffen hat. Verdienen tue ich auch nicht schlecht und da die Söldner gern von reichen Säcken angeheuert werden, kann ich so wenigstens das Geld wieder in die Taschen zurückfließen lassen, aus denen es stammt."
"Es stimmt schon, dass es in den letzten Jahren hart geworden ist", pflichtete Orvar überraschend ernst ihr bei und spielte wohl damit auf die Unzufriedenheit im Volk an.
"In den letzten fünf Jahren habe ich viel von Rhûn gesehen, meistens unschöne Dinge. Es ist sehr löblich und auch beruhigend eine ganz normale Taverne zu finden", sagte Dragan nach einer Weile und strich sich über den Bart, "Auch wenn es hier etwas rauer zu geht", setzt er nach und grinste.
Tiana lachte und begrüßte die Nachtschicht, die gerade anfing. Zwei Frauen und drei Männer, letztere sogar von recht kräftiger Statur.
"Wie viele Angestellte habt Ihr eigentlich?", fragte Cyneric interessiert und beobachtete die elf Leute, die gerade die Schürzen tauschten.
"Nun, die Taverne ist groß und die Nachtschicht hat immer Männer dabei. Die Erfahrung zeigt, dass die Nacht auch lichtscheue Gestalten in die Stube bringt. Also kann ich zwei Dinge verbinden und denen, die keine Arbeit haben eine geben und dafür halten sie den Laden in Ordnung und ich kann beruhigt schlafen."
Cynerik nickte lächelnd und stellte seine Frage genauer, und erfragte die Anzahl der Angestellten. Tiana strich sich die Haare zurück und machte eine entschuldigende Geste. Rasch flitzte sie zu den fünf von der Nachtschicht und wechselte einige Wörter mit ihnen, bis sie wieder zu ihnen an den Tisch kam.
"Sie müssen ja wissen wie viel Vorräte wir noch haben... Nun Cyneric, ich habe insgesamt zwanzig Leute bei mir angestellt.", erklärte Tiana und sorgte für erstaunte Gesichter.
"Das sind nicht gerade wenig" Dragan hob eine Braue und war wirklich verwundert, er hätte sie nicht so eingeschätzt. Scheinbar hatte sie viele Seiten, die er nicht kannte.
"Tja, ich brauche fünf um für Ordnung zu sorgen, drei die immer das große Lager in Schuss halten und der Rest wechselt sich in den Schichten für die Bedienung ab."
"Ihr habt das gut im Griff", gestand Milva anerkennend, woraufhin Tiana sie etwas matt, aber nickend anlächelte.
"Zwei von den fünf sehe ich aber nicht...", nuschelte Orvar in seinen Krug und stellte in etwas schwerfällig auf den Tisch ab, "Also die Ordnungswächter."
"Rausschmeißer", verbesserte Tiana und sie grinste, "Einer sitzt hier am Tisch und der Andere irgendwo im Raum"
Sie blickten Kenshin an, der schmunzelnd die Augen öffnete. "Eine Arbeit für nebenbei. Nichts das Ehre bringt aber ein gutes Gefühl verleiht.", erklärte er nickend und wirkte etwas weniger abweisend, "Und es füllt den Geldbeutel."
Tiana lächelte und schnippte ihm ein Geldstück zu, das er geschickt aus der Luft fing. Sie erhob sich und gähnte. "Ich werde mich dann zurückziehen, ihr könnt gerne hier übernachten, es sind genug Zimmer frei. Zum Glück ist die Karawane heute aufgebrochen. Keine Sorge, die Bedienung weiß bescheid."
Kenshin war ebenfalls aufgestanden und blickte Dragan fragend an. Er nickte und überlegte kurz, eine Schlafmöglichkeit selbst zu suchen war zu spät. Außerdem schien es so, als ob sie ohne zu Behzahlen übernachten konnten.
"Es war schön euch kennenzulernen.", sagte er an die beiden Palastwachen gewandt, "Edle Dame, " Er nickte Milva zu und wünschte ihnen eine gute Nacht. Kenshin wartete an der Treppe auf ihn und gemeinsam verließen sie den Schankraum. Vorher bekam er noch einen Schlüssel von der Bedienung zugeworfen.  Auf der Treppe gähnte Kenshin ausgiebig und verabschiedete sich mit knappen Worten. Als er die Tür abschloss, hörte Dragan wie der Krieger etwas in seiner Muttersprache murmelte. Mit den Schultern zuckend betrat er sein eigenes Zimmer, das genauso eingerichtet war wie das von Kenshin. Ein Bett, zwei Stühle, ein Tisch und ein Kleiderschrank. Tiana hatte ihm wohl eine Kerze entzündet, die ein gemütliches Licht spendete und das Bett aufgeschlagen. Ein kleiner Zettel lag darauf.
"Willkommen im Inneren Zirkel, A-T", las er leise murmelnd vor und steckte den Zettel schulterzuckend ein. Dragan schloss die Tür ab und legte sich ins Bett, es dauert auch nicht lange, bis er einschlief.


Cyneric zurück zum Königspalast
Dragan mit Tiana und Kenshin in die Straßen von Gortharia
Milva zum Treffpunkt mit Aivari
« Letzte Änderung: 14. Feb 2017, 17:47 von Fine »

Fine

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Gespräch mit Milva
« Antwort #5 am: 6. Mai 2017, 00:50 »
Milva von den Straßen der Stadt
Cyneric aus Rylthas Haus


Die Wachschicht hatte an diesem Tag einfach kein Ende nehmen wollen. Wieder und wieder waren Menschen auf die Stufen des Königspalastes gekommen und hatten mehr oder weniger feindliche Absichten gezeigt. Irgendetwas musste in der Stadt geschehen sein, das die Leute gegen den König aufgebracht hatte. Und die Gardisten brauchten nicht allzu lange, um herauszufinden, worum es sich dabei handelte. Ein Adeliger, der sich offen gegen König Goran ausgesprochen hatte, war in der vergangenen Nacht von einem Attentäter der königlichen Gilde der Dolche ermordet worden - oder zumindest schienen alle Beweise darauf hinzudeuten. Außerdem hatte es in einem der Händlerviertel einen Aufruhr gegeben, bei dem es offenbar um ein Spottlied auf den König gegangen war, und bei dem die Schwarze Rose offen für die unterdrückten Bürger eingestanden war.
Cyneric war froh, dass in seiner Heimat jemand herrschte, der sich (zu recht) großer Beliebtheit beim Volk erfreute. Königin Éowyn kannte die meisten ihrer Untergebenen mit Namen und behandelte jeden mit dem Respekt, den er verdiente. Er saß an einem der freien Tische in Tianas Taverne und leerte gerade seinen Krug, als er tatsächlich Milva entdeckte, die etwas unsicher wirkend durch den Eingang der Trinkhalle gestapft kam. Suchend blickte sie sich um, und Cyneric machte mit einem beherzten Winken auf sich aufmerksam. Als die Jägerin vom Carnen ihn entdeckte, kam sie rasch herüber und ließ sich in den Sitz gegenüber Cynerics fallen.
"Du bist ja tatsächlich hier," stieß sie erleichtert hervor und griff nach seinem Krug, doch Cyneric hielt ihre Hand reaktionsschnell fest.
"Wo ist denn dein Benehmen, junge Dame?" mahnte er lächelnd. "Dies ist mein Bier. Deines wird gleich hier eintreffen." Er gab einer der Bedienungen das entsprechende Zeichen. "Du hast mich also gesucht," stellte er fest.
Milva nickte und nahm ihr Getränk von der Bedienung entgegen. "Es gibt da etwas, worüber ich mit dir sprechen möchte. Du bist der Einzige, der es verstehen wird und der dadurch nicht in Gefahr gebracht wird."
"Na, da bin ich mal gespannt."
Rings um sie herum war es gerade laut genug, dass sie nicht schreien mussten, um einander zu verstehen, doch laut genug, dass es kaum möglich war, ihr Gespräch zu belauschen.
"Du hast auch schon in den Brunnen geblickt, nicht wahr?" fragte Milva.
Cyneric nickte. "Ich habe gesehen, dass meine Tochter lebt und konnte einige Eindrücke darauf erhaschen, was ihr zugestoßen ist seitdem sie aus Rohan geflohen ist. Aber ich weiß noch nicht, wo ich nach ihr suchen soll. Ich muss mir also einen weiteren Blick in den Brunnen verdienen."
"Und deswegen hilfst du den Schattenläufern," schlussfolgerte Milva.
"Korrekt. Auch wenn ich glaube, dass es nur zu Gutem führen kann wenn der König und die fünf Fürsten stürzen, gefallen mir die Methoden der Schattenläufer dennoch mit jedem Tag weniger. Ich glaube nicht, dass ich ihnen helfen würde, wenn sie nicht der Schlüssel zu einem Wiedersehen mit meinem kleinen Mädchen wären."
"Bist du dir sicher, dass sie nicht selbst nach Macht streben, wenn der König weg ist?"
"Ziemlich sicher," entgegnete Cyneric. "Ich war dabei, als sie ein Bündnis mit der Schwarzen Rose schlossen. Deren Anführer scheint der ehemalige König Rhûns zu sein, dessen Ziel natürlich die Rückkehr auf den Thron ist. Die Schatten schienen damit kein Problem zu haben."
"Hm," machte Milva. "Und was glaubst du, haben sie stattdessen wirklich vor?"
"Ich habe gestern von Salia einige Dinge über unsere geheimnisvollen Auftraggeber erfahren. Du darfst niemandem davon erzählen, sonst bringst du sie in große Gefahr," sagte Cyneric eindringlich.
Milva nickte, fragte dann aber: "Wer ist Salia? Der bin ich wohl noch nicht begegnet."
"Doch", erwiderte Cyneric. "Das ist es ja gerade - Teressa heißt eigentlich Salia." Dann berichtete er rasch, was Salia ihm in der vorherigen Nacht über die Rituale der Schattenläufer, über ihre geheimnisvolle Anführerin, und über den Trank, der Salia in Teressa verwandelte, erzählt hatte.

~~~

Milva nahm einen tiefen Schluck aus ihrem Krug, um ihr Gesicht zu verbergen. Cynerics Geschichte hatte sie mehr erschüttert, als sie wahrhaben wollte. Wenn es wahr war, was sie gesehen und gehört hatte, dann besaß die Herrin der Quelle eine Verbindung zu diesem Brunnen und schien ihn sogar erschaffen zu haben. Doch so sehr Milva die Herrin auch gerne und oft verfluchte, sie konnte und wollte nicht glauben, dass sie Teil an derart finsteren Ritualen hatte.
"Das heißt also... irgendwo hier in Gortharia läuft jemand mit einem uralten finsteren Geist im Körper herum, oder?", fragte sie. Hier, in der Wärme und Geborgenheit der vollen Taverne, war diese Vorstellung lächerlich. Doch sie wusste, draußen auf den nächtlichen Straßen würde das anders aussehen.
"Wenn man es so ausdrückt, klingt es ziemlich lächerlich", sprach Cyneric aus, was sie gedacht hatte. "Aber ich glaube nicht, dass Salia sich das ausgedacht hat. Sie war vollkommen ehrlich."
"Das wollte ich auch gar nicht sagen", erwiderte Milva, und verwischte gedankenverloren den feuchten Rand, den ihr Bierkrug auf dem Tisch hinterlassen hatte. "Aber ich frage mich... was bedeutet das für uns? Wir haben doch nichts von diesem Trank bekommen, und wir gehören nicht wirklich zu... ihnen. Also sollten wir doch nicht in Gefahr sein, wenn wir einfach... weitermachen. Oder?"

~~~

Cyneric dachte einen Augenblick nach, dann legte er Milva beruhigend die Hand auf den Arm. "Keine Sorge, Milva. Momentan suchen die Schattenläufer keine neuen Rekruten. Sie sind immer zu dritt, und Salia zufolge haben sie gerade erst einen Wechsel ihrer Anführerin hinter sich. Ich glaube nicht, dass das, was du hier in Gortharia tust, Jahrzehnte dauern wird. Sofern du die Stadt innerhalb der nächsten Jahre wieder verlässt und dich von den Schatten fern hältst, ist alles in Ordnung. Wir sollten uns vermutlich von Ryltha und ihren Freundinnen einfach nicht zum Essen einladen lassen... dann kommen wir mit diesem üblen Trank nicht in Berührung."
Milva schien etwas beruhigt zu sein, doch Cyneric sah ihr an (und spürte, auf eine Art und Weise, die er nicht ganz verstand), dass sie weiterhin Zweifel hatte und sich Sorgen machte. Er legte einen besonders beruhigenden Klang in seine Stimme, der bei seiner Tochter immer hervorragend gewirkt hatte, und sagte: "Milva, ich werde nicht zulassen, dass dir etwas zustößt. Wenn du meine Hilfe brauchst, werde ich da sein."
Sie starrte ihn einen Augenblick an. Überraschung stand in ihren Augen. Rasch sprach er weiter: "Erzähl mir, was dich nach Gortharia bringt, und weshalb du dich mit den Schattenläufern eingelassen hast. Meine Gründe kennst du ja bereits: Ich will meine Tochter finden. Du hast von einer Herrin der Quelle gesprochen, und davon, dass sie mit dem Brunnen im Untergrund in Verbindung steht. Was hat es damit auf sich? Und weshalb hast du mich nach dem König von Thal gefragt, als wir uns zum ersten Mal trafen?"
« Letzte Änderung: 19. Sep 2017, 12:52 von Fine »
RPG:

Eandril

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Re: Taverne "Zum einbeinigen Zweibein"
« Antwort #6 am: 6. Mai 2017, 01:05 »
Milva seufzte. "Ich rede zu viel, scheint mir." Nach einem weiteren Schluck aus dem Krug erklärte sie: "Die Herrin der Quelle ist eine Elbin - eine sehr, sehr alte, glaube ich. Sie lebt mit einigen ihres Volkes in einem Wald, den sie den Sternenwald nennen - und ich stehe für immer in ihrer Schuld."
Sie hob den Kopf und strich sie Haare beiseite, sodass der dünne Ring aus Narbengewebe rund um ihren Hals gut zu sehen war. Cyneric zog scharf die Luft ein, und fragte: "Ist das..."
"Ja", antwortete Milva, senkte den Kopf wieder und ließ die Haare wieder zurückfallen. "Ich habe in den Wäldern irgendeines Adligen gewildert um nicht zu verhungern. Damit habe ich angefangen, nachdem mein Vater gestorben war, damals war ich elf oder zwölf, ich weiß es nicht mehr. Mein Onkel, bei dem ich dann lebte, hatte nicht genug Essen um uns alle durchzufüttern, also nahm ich meinen Bogen und fing an, Jagd auf Hasen und Enten zu machen. Als ich älter wurde, hab' ich irgendwann angefangen, auch größere Tiere zu schießen. Meistens Rehe, aber ein oder zwei mal auch einen Hirsch. Und vor..." Sie rechnete kurz im Kopf nach. "Vor ungefähr fünf Jahren begannen die Wildhüter des Adligen, mir auf die Schliche zu kommen. Irgendwann hat ein Trupp Soldaten mich dann auf frischer Tat ertappt, zwei Tage lang nach Norden gehetzt und schließlich am Rand eines Waldes erwischt und ohne viel Federlesens aufgehängt."
Milva starrte in ihren Bierkrug. Darüber zu sprechen fiel ihr auch fünf Jahre später noch schwer. Sie erinnerte sich, wie die Männer gelacht hatten, als sie in der Luft hing. Die Schlinge um den Hals, die ihr die Luft abschnürte, die verzweifelt zappelnden Beine. Sterne tanzten vor ihren Augen, deren Sichtfeld sich immer mehr verdüsterte... Dann ein Sirren, der Druck auf ihren Hals ließ nach, und sie stürzte zu Boden. Dann nur Schwärze, und als sie erwachte, über sich silberne Augen, tief wie Brunnen.
"Der Wald war der Sternenwald", fuhr sie schließlich fort. "Die Elben haben mich gerettet und die Soldaten getötet - und sie haben mir nie gesagt, wieso. Die Herrin hat mich gesundgepflegt, und seitdem habe ich für sie gekämpft. Ihre Feinde in Hinterhalte gelockt, ihre Leute zurück in den Wald geführt..." Sie nahm einen weiteren kräftigen Zug der den Krug leerte, und winkte die Bedienung erneut herbei.
"Habt ihr vielleicht auch etwas stärkeres?" "Klar", erwiderte die Frau. "Kommt sofort."
Milva erkannte den vorwurfsvollen Blick in Cynerics Augen, und meinte: "Was denn? Darüber zu reden ist nicht grade schön."
Die Bedienung stellte einen Krug mit einer klaren Flüssigkeit und zwei kleine Becher zwischen ihnen auf den Tisch. Milva füllte ihren Becher, und leerte ihn in einem Zug. Der Schnaps war stark und brannte wie Feuer in ihrer Kehle.
"Also." Sie stellte den Becher ab. "Irgendwann fand ich dann schließlich diesen Kerl an einem Flussufer. Er war verwundet, fieberte und war kurz davor zu sterben. Vor einiger Zeit war das Heer vom Erebor durchgezogen, also dachte ich mir, er wäre vermutlich ein entlaufener Gefangener. Ich hätte ihn liegen lassen sollen, aber hab ihn dann doch zur Herrin gebracht, und die hat ihn wie mich damals gesund gepflegt - zumindest so weit, dass er seinen Namen sagen und mich auf diese irrsinnige Reise schicken konnte."
Sie füllte ihren Becher wieder, trank diesmal allerdings nur einen kleineren Schluck.
"Deswegen hab ich dich nach dem König von Thal gefragt. Er wollte wohl wissen, was mit seinem Vater passiert ist."
"Der Mann, den du gefunden hast, ist also... König Bards Sohn?", fragte Cyneric ungläubig, und Milva nickte. "Ganz genau. Prinz Baldr - oder so ähnlich." Sie nahm einen weiteren Schluck, und spürte, wie ihr Sichtfeld ein wenig zu schwanken begann. Das Zeug war eindeutig verdammt stark.
"Das erklärt aber noch nicht, warum... du weißt schon", meinte Cyneric, und Milva sammelte ihre Gedanken. "Schau dich doch um", sagte sie. "Überall werden die Leute in den Staub getreten. Ich werd' einfach so an einen Baum gehängt, weil ich ein Tier gegessen habe um nicht zu verhungern, dass der Besitzer dieses Tiers weniger gebraucht hat als einen Floh in seinem Bett. Ein Spielmann singt ein Lied, und soll dafür gefoltert werden. Mein Vater hustet sich zu Tode, weil er kein Geld hat, um einen Heiler zu bezahlen. Und immer wieder Krieg, Krieg, Krieg, der niemandem etwas bringt, und wo nur unsere Freunde sterben."
Sie spürte eine einzelne Träne ihre Wange herunterlaufen, und wischte sie zornig weg. Dann trank sie den letzten Schluck aus ihrem Becher, und fuhr fort: "Ich hatte so einen Freund, weißt du? Miran hieß er, und war der Sohn eines Fischers. Es... vielleicht hätte es etwas werden können mit uns, obwohl ich im Grunde immer auf der Flucht vor den fürstlichen Soldaten war. Aber es war ihm egal, zumindest schien es so. Er wollte mit mir weggehen, woanders neu anfangen, aber... dann kam der Krieg. Eines Tages ging ich zu seiner Hütte, und er war fort. Die Nachbarn erzählten mir, dass die Soldaten jeden elften Mann in einem bestimmten Alter zum Heer geholt hätten, und Miran hatten sie ausgelost. Es war... nicht einmal böse Absicht. Die Soldaten wussten nichts von ihm und mir, sie wussten ja nicht mal genau, wer ich war. Es war einfach nur Zufall."
Sie stockte, und biss die Zähne zusammen. "Von den fünf Männern aus den zwei Dörfern kamen nur zwei zurück, und einer hatte eine Hand verloren - er ist inzwischen verhungert. Sie erzählten mir, dass Miran in einer großen Schlacht gefallen war. Bei einer Stadt namens Minstrit, oder so."
"Minas Tirith?", fragte Cyneric leise, und Milva nickte. Dann musste sie die Augen schließen, um den aufsteigenden Schwindel zu bekämpfen. "Genau, so hieß es. Warst du auch da, auf der anderen Seite?"
Cyneric zögerte einen Augenblick, dann nickte er. "Ha. Ein merkwürdiger Zufall", sagte sie mit einem Hauch von Bitterkeit in der Stimme. "Wer weiß, vielleicht hast du ihn sogar getötet? Er hatte keine Chance, er war nicht wirklich ausgebildet - solchen Zwangsrekruten wird vor dem Kampf nur eine Waffe in die Hand gedrückt, und eine Rüstung - wenn sie Glück haben."
Cyneric schüttelte langsam den Kopf. "Milva, ich... Es war eine gewaltige Schlacht, größer als jede, die ich gesehen habe. Ich weiß nicht, wen ich dort getötet habe."
"Wahrscheinlich warst du's nicht", meinte sie. "Wär ein zu großer Zufall, dass wir jetzt hier sitzen. Und selbst wenn, ich könnte es dir nicht mal übel nehmen. Du hast dein Land verteidigt, deine Heimat. Du kannst dir keine Gedanken darüber machen, ob die Feinde vielleicht zum Kampf gezwungen werden, denn wenn sie gewinnen, bist du tot, und alle die du liebst, ebenfalls. Es gilt, du oder sie. Du trägst an Mirans Tod keine Schuld, und auch keiner von denen, die mit dir gekämpft haben, sondern einzig und allein der König, seine Adligen, und der Dunkle Herr, dem sie hinterherlaufen wie Schoßhunde."
Sie schniefte, hob den Blick und sah Cyneric fest in die Augen. "So. Jetzt weißt du, warum ich es tue. Weil sie dafür gesorgt haben, dass ich aufgehört habe an Liebe zu glauben, und stattdessen an den Hass glaube." Sie griff erneut nach dem Schnapskrug, doch Cyneric packte ihre Hand und hielt sie fest.
"Ich glaube, du hattest genug." Milva sah auf die Hand, und verspürte ein merkwürdiges Bedürfnis, zu grinsen.
"Was soll das werden? Willst du mich... ins Bett bringen?" Jetzt grinste Milva tatsächlich, und betrachtete Cyneric aufmerksam. Schlecht sah er ja nicht aus, eigentlich ziemlich gut... Was bei allen Göttern ist los?
Cyneric wandte den Blick ab, offenbar ein wenig verlegen. "Du bist betrunken."
"Das..." Milva atmete tief ein. "... war der Sinn der Sache. Manche Sachen kann man nicht nüchtern erzählen. Also, hättest du nicht Lust..."
"Nein", erwiderte Cyneric fest. "Du bist doch nicht viel älter als meine Tochter - ich könnte dein Vater sein."
"Oh, na großartig." Milva versuchte aufzustehen, doch die Beine gaben unter ihr nach und sie sank auf ihren Stuhl zurück. "Also wenn du dich schon dafür hältst, dann... hilf mir wenigstens dabei, nach Hause zu kommen. Wenn du mir schon nicht anders... zu Diensten sein willst"
Sie stöhnte auf, schloss die Augen und schüttelte den Kopf, um das dämliche Grinsen loszuwerden, dass auf ihren Lippen festgefroren zu sein schien. "Tut mir Leid, das... wollte ich nicht sagen. Aber... bitte hilf mir trotzdem. Ich glaube nicht, dass ich alleine gehen kann."
Cyneric schüttelte vorwurfsvoll den Kopf, und ließ einige Münzen auf den Tisch fallen. Dann stand er auf, zog Milva auf die Füße, legte ihren Arm über seine Schultern und seinen eigenen um ihre Taille. "Das Zeug scheint wirklich verdammt stark gewesen zu sein", meinte er, während er sie langsam zum Ausgang führte. "An deiner Stelle, würde ich demnächst die Finger davon lassen."
"Jajaja", murmelte Milva ein wenig benommen, als sie in die kühle, belebende Nachtluft hinaustraten. "Da lang müssen wir - glaub ich zumindest."

Milva und Cyneric auf die Straßen Gortharias
« Letzte Änderung: 17. Jun 2017, 10:12 von Fine »

Oronêl - Edrahil - Hilgorn -Narissa - Milva

Curanthor

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Weiß
« Antwort #7 am: 31. Jan 2019, 20:05 »
Dragan, Tiana, Kenshin, Nerassa und Ukko aus dem Untergrund von Gortharia

Es war noch kurz vor Sonnenaufgang, die Taverne war kaum noch gefüllt, in einer Ecke döste ein betrunkener Gast, zwei Söldner unterhielten sich leise am Thresen mit einem Tuchhändler und eine vermummte Gestalt in einem weißen Kapuzenmantel saß an einem runden Tisch direkt am Fenster nach draußen. Dragan gähnt gelantweilt, legte seine Beine auf die Sitzbank und lehnte seinen Kopf an die Holzvertäfelung hinter ihm. Er saß an seinem gewohnten Platz, an dem er vor ein paar Wochen schon einmal mit Kenshin und gelegentlich Tiana gesessen hatte. Von seinem Platz aus, hatte er einen guten Blick auf die geräumige Taverne. Rechts von ihm ging die Treppe nach oben, wo gerade der betrunkene Gast - unter strengen Blicken der Schankfrauen - benommen hinaufwankte. Linksseitig konnte er aus dem Fenster blicken, wo sich gerade die ersten Sonnenstrahlen durch die leicht gräulichen Wolken durchkämpften und die Ränder in ein kräftiges rot tauchten. Die Tür schwang auf und Tiana marschierte in die Taverne hinein. Wie abgemacht, trafen sie einzelnd und auf verschiedenen Wegen an ihrem Treffpunkt ein. Sie würdigte ihm keines Blickes, sondern ging zu ihren Angestellten und erkundigte sich, wie die Nacht verlaufen war. Sie sprachen sehr leise, sodass er kein Ton verstand. Dragan gähnte erneut. Er hatte fast die ganze Nacht damit verbracht einen Spion der königlichen Gilde abzuschütteln, der ihm gefolgt war, sobald er das geheime Versteck verlassen hatte. Offenbar war das Versteck nun nicht mehr geheim. Das wusste scheinbar auch Tiana, denn sie hatte dunkle Ränder unter den Augen, als sie einen Kontrollrundgang durch den Schankraum machte. Offenbar wusste man in Gortharia, dass sie mit dem Sohn des ehemaligen Fürsten von Govedalend zu tun hatte. Zumindest redete sich Dragan das ein, denn wenn die königlichen Attentäter wüssten, dass Tiana auch "Anastia" von dem Inneren Zirkel war, hätte man sie wohl sofort getötet. Also kam er zu dem Schluss, dass er als rechtmäßiger Erbe von Govedalend eine Gefahr darstellte und man ihn deswegen beobachtete. Dragan war sich sicher, dass niemand wusste, wo Ivailo sich aufhielt und ob er überhaupt noch am leben war, sonst würde man ihn nicht beschatten. Er schnaubte wütend. Sein Vater hatte es schon immer verstanden, andere Menschen zu täuschen und zu manipulieren. Er ballte die Fäuste, sodass seine Lederhandschuhe knirschten. Tiana warf ihm einen raschen Blick zu, dann gab sie die Anordnung die Karren der Taverne fertig zu machen. Fast gleichzeitig schwang erneut die Tür auf und eine schlanke Frau in blauen, halb durchscheinenden Seidengewändern trat ein. Sie hatte ihre braunen Haare zu eine kompliziert aussehenden Steckfrisur hochfrisiert und wirbelte lässig einen ihrer goldenen Dolche in der Hand umher. Dragan stöhnte leise auf. Nerassa neigte so sehr zur extravaganz, dass es ihr unmöglich war, sich unauffällig zu kleiden. Mit einem füchsischem Blick aus grünen Augen, erfasste sie den gesamten Schankraum und setzte sich quälend langsam ihm gegenüber. Dragan runzelte fragend die Stirn.
"Hallo, mein schöner Mann. Habt ihr Lust auf reizende Gesellschaft? Nur für ein paar Stunden, versteht sich", fragte der Fuchs mit säuselnder Stimme.
Was soll das denn schon wieder? Dragan wollte schon pampig antworten, dass sie sich gefälligst andere Kunden suchen sollte, als er den todernsten Blick Tianas bemerkte, der ihm befahl mitzuspielen. Ein Schauer ging ihm über den Rücken. Selten hatte er die Tavernenbesitzerin so streng erlebt. Er räusperte sich verhalten.
"Wenn Ihr mit mir zufrieden seid, sage ich nicht nein."
Nerassa kicherte vergnügt und beugte sich vor, sodass ihre Brüste auf die Tischplatte gequetscht wurden.
"Das wird aber nicht ganz billig", sagte sie augenzwinkernd und streckte eine Hand aus, den Dolch legte sie ganz auffällig neben sich.
Verdammtes, listiges Weib!
Ein rascher Blick genügte ihm zu erkennen, dass Tiana gerade Ukko begrüßte, der sich als fahrender Händler mit einer starken Söldnergruppe ausgab. Ihr Seitenblick traf ihn. Es kam ihm vor, als ob ihre Augen Dolche schleuderten.
"Also schön", grummelte er mit kaum beherrschter Wut und warf Nerassa einen Beutel voller Münzen zu.
Sie fing ihn geschickt auf und lächelte breit.
"Stets zu Diensten, mein Herr", antwortete sie und befestigte sich den Beutel an ihrem Gürtel, ihre die Dolche hingen, "Wo gedenkt Ihr, die Gesellschaft zu genießen?"
Dragan atmete gereizt aus. Ihre grünen Augen nahmen plötzlich einen mahnenden Ausdruck an. Er fluchte innerlich. Sie hatten sich vor ihrem Aufbruch keinen Plan zurechtgelegt, wie sie die Gäste in der Taverne täuschen würden.
"Ich wollte als Söldner anheuern", brach es in einer plötzlichen Eingebung aus ihm hervor, " Vielleicht mögt ihr mich begleiten? Das Geld würde sogar für eine Reise an das große Meer im Osten ermöglichen. Es ist aber nicht so, dass ich dorthin will."
Nerassas Augen funkelten zufrieden, ehe sie mädchenhaft kicherte und sich an seine Seite warf. "Oh, so ein großzügiger Herr, arbeitet in so einem gefährlichen Beruf. Ich werde aber nur bis an die Grenzen dieses Reiches Euch begleiten. Ich denke, dann ist genug Zeit für ein paar schöne Stunden."
Er nickte erleichtert und nahm sich fest vor, sich vor diesem Weibsbild in Acht zu nehmen. Ihre Schauspielkunst übertraf alles, was er je gesehen hatte.
Ukko stand plötzlich neben ihnen am Tisch.
"Hab' gehört Ihr seit'n Söldner? Lust auf 'n kleinen Ausflug in 'n Fürstentum im Osten? Diese beschissene Stadt stinkt und mach' hier keine guten Geschäfte. Hab die hübsche Tavernenfrau gefragt, ob sie auch Nachschub braucht. Weißt ja, zusammen reisen ist sicherer. Hat ja gesagt, also sind wir mit vier Wagen unterwegs. Interesse?"
Dragan blinzelte einen Moment, um nicht laut loszulachen. Die Art wie der Stier sprach war zu komisch. Sein Prusten ging in ein kleines Hüsteln über.
"Wenn nichts dagegen spricht, dass diese hübsche Dame hier, auf einem deiner Wagen Platz findet, bin ich dabei. Wie viel?", antwortete Dragan mit geheucheltem Interesse.
Ukko musterte Nerassa abschätzig, wobei sein Blick auffällig lange an ihrem Busen  ruhte, der noch immer auf der Tischplatte ordentlich Platz einnahm.
"Also gut", brummte der Stier schließlich, "Das Püppchen kann mit. Dafür ziehe ich aber etwas Sold ab, immerhin ist mein Wagen keine Kutsche."
"Damit kann ich leben", gab Dragan schulterzuckend zurück.
Nach einigen Augenblicken der fiktiven Absprache der Reiseroute, riefen sie Tiana an den Tisch. In der Zwischenzeit hatte sich die Taverne weiter mit Leuten gefüllt. Vornehmlich andere Händler und Söldner, ihre kleine Truppe fiel nun nicht mehr auf. Das Tagesgeschäft begann, nun, da der Morgen angebrochen war. Der Schankraum wurde von dem Duft von gebratenem Essen erfüllt. Dragan hatte ganz vergessen, dass die Taverne auch regelmäßig Mahlzeiten zu den drei Tageszeiten anbot.
Ein durchdringendes Gemurmel herrschte inzwischen im Schrankraum, doch es verstummte, als die Gesalt in weißem Kapuzenmantel sich erhob und eine schlanke Klinge zog. Dragan bemerkte, dass einige Söldner Messer gezogen hatten, oder mit ihren Händen die Griffe ihrer Schwerter oder Äxte umklammerten. Die vermummte Gestalt bahnte sich einen Weg durch die Gäste, bis Tiana ihr in den Weg trat.
"Weg mit der Waffe, mein Gasthaus ist kein Ort für Auseinandersetzungen", forderte sie den Fremden barsch auf.
Zur allgemeinen Überraschung kniete er sich nieder und stellte das Schwert vor sich auf die Spitze, den Griff umklammern.
"Erlaubt mir, Euch zu begleiten."
Die Stimme war sanft und drang gedämpft durch das mehrfach gewickelte Tuch vor dem Gesicht hindurch. Dragan konnte nicht sagen, ob es ein Mann oder eine Frau war.
"Ich werde ein Schatten sein, nichts essen, nicht reden und Euch mit meinem Leben beschützen."
"Wer seid Ihr?", fragte Tiana skeptisch und machte einen Schritt auf die knieende Gestalt zu. Wie aus dem Nichts tauchte Kenshin auf und hielt die Tavernenbesitzerin zurück, sich dem Fremden noch weiter zu nähern. Er trug eine einfache weite Weste, einen breiten Stoffgürtel, in dem seine Schwerter steckten und eine weite, luftige Hose.
"Ich bin namenlos, doch Ihr könnt mich Weiß nennen. Bitte verlangt nicht nach mehr Informationen als nötig", antwortete der Fremde nach einer langen Pause. Leises Getuschel erhob sich um sie herum. Nerassa flüsterte ihm ins Ohr, dass Weiß ein berühmtberüchtigter Attentäter war, der vor vielen Jahrhunderten alle Fürsten Rhûns innerhalb einer Woche auf bestialische Art und Weise abgeschlachtet und danach verrückt lachend, sich selbst den Kopf abgeschnitten habe. Ukko murmelte, dass es eigentlich ein Märchen war, um Kinder zu erschrecken, wenn sie etwas innerhalb einer Woche tun sollten, sonst würde sie Weiß holen kommen.
"Nun gut", sagte Tiana langsam, "Ich werde Euch nicht zwingen Euer Gesicht hier vor allen Menschen zu zeigen, oder Dinge auszuplaudern. Wir sollten den Rest unseres Geschäfts in einem privaterem Umfeld besprechen. Kommt."
Dragan beobachtete den Fremden, wie er sich elegant erhob und das Schwert in eine weiße Scheide verstaute, die unter dem langen Mantel verborgen war. Mit langsamen Schritten folgte er Tiana und war bald aus seinem Blickfeld verschwunden. Dragan, Ukko und Nerassa setzten sich etwas ratlos an den Tisch, wo sie zuvor gesessen hatten. Kenshin war offensichtlich mit Tiana gegangen, um sie beim Notfall zu beschützen.
"Hat jemand von euch schon einmal so einen Fremden gesehen?", stellte Ukko die Frage, die wohl allen Anwesenden im Schankraum im Kopf herumgeisterte.
Dragan zuckte mit den Schultern und blickte zu Nerassa, die den Kopf schüttelte.
"Auf meinen Reisen habe ich noch nie von Weiß gehört. Aber von ungeklärten Mordfällen, oder merkwürdigen Unfällen", erklärte sie mit gesenkte Stimme.
"Ich dachte zuerst, es war ein Elb", murmelte Dragan nachdenklich, "Die laufen ja öfters so rum. Sind auch genauso geheimniskrämerisch"
"Das kann gut sein, leider verdeckt die Kleidung den Körperbau", stimmte Ukko zu.
Nerassa ließ sich seufzend nach hinten an die Lehne fallen.
"Ich denke, es ist eine Frau", behauptete sie, "Wegen der Stimme."
"Ist mir scheißegal", antwortete Dragan und blickte missmutig zum Fenster, "Hauptsache, wir verschwinden bald."
Ukko nickte in den Schankraum. "Wenn man gerade davon spricht."
Tiana kam zu ihnen, mit Weiß und Kenshin im Schlepptau, die unnötige Aufmerksamkeit auf sie lenkten.
"Wir können los. Die Pferde sind vor die Wagen gespannt, die Fässer verladen und das Geschäft abgeschlossen", Sie warf einen kurzen Blick zu Weiß, doch unter der Kapuze regte sich nichts, "Wie auch immer, wir sollten aufbrechen."
Sie wandte sich ab und rauschte davon, die anderen folgten ihr. Dragan bemerkte etwas Weißes auf dem Boden und bückte sich danach. Es war ein gefaltetes Papier, rasch entfaltete er es und hielt es so, dass nur er es lesen konnte. In einer sehr feinen und akkuraten Schrift stand dort:

Ich weiß, wer Ihr seid. Ich weiß, wohin Ihr wollt. Ich weiß, was Ihr wann vorhabt.
Ich bin Weiß. Ich beschütze. Ich wache. Ich helfe.

Er ist Schwarz. Er vernichtet. Er terrorisiert. Er tötet.
Er weiß, wer Ihr seid. Er weiß, wohin Ihr wollt. Er weiß, was Ihr wann vorhabt.

Vertraut niemanden. Erzählt niemanden.
Ich töte jeden, der mich angreift,
Ich beschütze jeden, der mein Freund ist.
Weiß beschützt.
Schwarz zerstört.

Nehmt Euch in Acht. Und vertraut niemanden. Ohne Ausnahme.


Für einen Moment wusste Dragan nicht, was er davon halten sollte. Die Wörter wiederholten sich immer wieder und wieder in seinem Kopf. Ein kalter Schauer lief seinem Rücken hinab. Hastig verstaute er den Zettel in den Tiefen einer seiner Taschen, doch das Kribbeln an seinem Rücken wollte nicht nachlassen. Wer war dieser Weiß? Und woher wusste er das, was er wusste? Drohte er ihm? Und vor allem: wer war Schwarz? Seine Instinkte hatten schon Alarm geschlagen, als er Weiß das erste Mal gesehen hatte, wie viel schlimmer konnte dann Schwarz sein?
"Dragan, beweg deinen faulen Arsch!", blaffte Ukko vom Eingang her, woraufhin er sich beeilte den anderen zu folgen.
Dennoch gingen ihm die Worte aus dem Brief nicht aus dem Kopf. Auf der Schwelle standen Weiß und Kenshin, die ihm die Doppelflügelige Tür offen hielten. Als er an ihnen vorüberging, meinte er unter Weiß' Kapuze ein paar düster drein blicktende Augen zu erkennen, doch der Moment war zu kurz. Kürzer als ein Herzschlag. Tief ausatmend trat er auf die Straße und fluchte lauthals. Er hasste Geheimnisse über alles. Tiana warf ihm einen unergründlichen Blick zu, als sie an ihm vorüberging und seinen Beutel mit Proviant zuwarf.

Dragan, Tiana, Kenshin, Nerassa, Ukko und Weiß auf die Straßen von Gortharia
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