Dragan, Tiana, Kenshin, Nerassa und Ukko aus dem Untergrund von GorthariaEs war noch kurz vor Sonnenaufgang, die Taverne war kaum noch gefüllt, in einer Ecke döste ein betrunkener Gast, zwei Söldner unterhielten sich leise am Thresen mit einem Tuchhändler und eine vermummte Gestalt in einem weißen Kapuzenmantel saß an einem runden Tisch direkt am Fenster nach draußen. Dragan gähnt gelantweilt, legte seine Beine auf die Sitzbank und lehnte seinen Kopf an die Holzvertäfelung hinter ihm. Er saß an seinem gewohnten Platz, an dem er vor ein paar Wochen schon einmal mit Kenshin und gelegentlich Tiana gesessen hatte. Von seinem Platz aus, hatte er einen guten Blick auf die geräumige Taverne. Rechts von ihm ging die Treppe nach oben, wo gerade der betrunkene Gast - unter strengen Blicken der Schankfrauen - benommen hinaufwankte. Linksseitig konnte er aus dem Fenster blicken, wo sich gerade die ersten Sonnenstrahlen durch die leicht gräulichen Wolken durchkämpften und die Ränder in ein kräftiges rot tauchten. Die Tür schwang auf und Tiana marschierte in die Taverne hinein. Wie abgemacht, trafen sie einzelnd und auf verschiedenen Wegen an ihrem Treffpunkt ein. Sie würdigte ihm keines Blickes, sondern ging zu ihren Angestellten und erkundigte sich, wie die Nacht verlaufen war. Sie sprachen sehr leise, sodass er kein Ton verstand. Dragan gähnte erneut. Er hatte fast die ganze Nacht damit verbracht einen Spion der königlichen Gilde abzuschütteln, der ihm gefolgt war, sobald er das geheime Versteck verlassen hatte. Offenbar war das Versteck nun nicht mehr geheim. Das wusste scheinbar auch Tiana, denn sie hatte dunkle Ränder unter den Augen, als sie einen Kontrollrundgang durch den Schankraum machte. Offenbar wusste man in Gortharia, dass sie mit dem Sohn des ehemaligen Fürsten von Govedalend zu tun hatte. Zumindest redete sich Dragan das ein, denn wenn die königlichen Attentäter wüssten, dass Tiana auch "Anastia" von dem Inneren Zirkel war, hätte man sie wohl sofort getötet. Also kam er zu dem Schluss, dass er als rechtmäßiger Erbe von Govedalend eine Gefahr darstellte und man ihn deswegen beobachtete. Dragan war sich sicher, dass niemand wusste, wo Ivailo sich aufhielt und ob er überhaupt noch am leben war, sonst würde man ihn nicht beschatten. Er schnaubte wütend. Sein Vater hatte es schon immer verstanden, andere Menschen zu täuschen und zu manipulieren. Er ballte die Fäuste, sodass seine Lederhandschuhe knirschten. Tiana warf ihm einen raschen Blick zu, dann gab sie die Anordnung die Karren der Taverne fertig zu machen. Fast gleichzeitig schwang erneut die Tür auf und eine schlanke Frau in blauen, halb durchscheinenden Seidengewändern trat ein. Sie hatte ihre braunen Haare zu eine kompliziert aussehenden Steckfrisur hochfrisiert und wirbelte lässig einen ihrer goldenen Dolche in der Hand umher. Dragan stöhnte leise auf. Nerassa neigte so sehr zur extravaganz, dass es ihr unmöglich war, sich unauffällig zu kleiden. Mit einem füchsischem Blick aus grünen Augen, erfasste sie den gesamten Schankraum und setzte sich quälend langsam ihm gegenüber. Dragan runzelte fragend die Stirn.
"Hallo, mein schöner Mann. Habt ihr Lust auf reizende Gesellschaft? Nur für ein paar Stunden, versteht sich", fragte der Fuchs mit säuselnder Stimme.
Was soll das denn schon wieder? Dragan wollte schon pampig antworten, dass sie sich gefälligst andere Kunden suchen sollte, als er den todernsten Blick Tianas bemerkte, der ihm befahl mitzuspielen. Ein Schauer ging ihm über den Rücken. Selten hatte er die Tavernenbesitzerin so streng erlebt. Er räusperte sich verhalten.
"Wenn Ihr mit mir zufrieden seid, sage ich nicht nein."
Nerassa kicherte vergnügt und beugte sich vor, sodass ihre Brüste auf die Tischplatte gequetscht wurden.
"Das wird aber nicht ganz billig", sagte sie augenzwinkernd und streckte eine Hand aus, den Dolch legte sie ganz auffällig neben sich.
Verdammtes, listiges Weib!Ein rascher Blick genügte ihm zu erkennen, dass Tiana gerade Ukko begrüßte, der sich als fahrender Händler mit einer starken Söldnergruppe ausgab. Ihr Seitenblick traf ihn. Es kam ihm vor, als ob ihre Augen Dolche schleuderten.
"Also schön", grummelte er mit kaum beherrschter Wut und warf Nerassa einen Beutel voller Münzen zu.
Sie fing ihn geschickt auf und lächelte breit.
"Stets zu Diensten, mein Herr", antwortete sie und befestigte sich den Beutel an ihrem Gürtel, ihre die Dolche hingen, "Wo gedenkt Ihr, die Gesellschaft zu genießen?"
Dragan atmete gereizt aus. Ihre grünen Augen nahmen plötzlich einen mahnenden Ausdruck an. Er fluchte innerlich. Sie hatten sich vor ihrem Aufbruch keinen Plan zurechtgelegt, wie sie die Gäste in der Taverne täuschen würden.
"Ich wollte als Söldner anheuern", brach es in einer plötzlichen Eingebung aus ihm hervor, " Vielleicht mögt ihr mich begleiten? Das Geld würde sogar für eine Reise an das große Meer im Osten ermöglichen. Es ist aber nicht so, dass ich dorthin will."
Nerassas Augen funkelten zufrieden, ehe sie mädchenhaft kicherte und sich an seine Seite warf. "Oh, so ein großzügiger Herr, arbeitet in so einem gefährlichen Beruf. Ich werde aber nur bis an die Grenzen dieses Reiches Euch begleiten. Ich denke, dann ist genug Zeit für ein paar
schöne Stunden."
Er nickte erleichtert und nahm sich fest vor, sich vor diesem Weibsbild in Acht zu nehmen. Ihre Schauspielkunst übertraf alles, was er je gesehen hatte.
Ukko stand plötzlich neben ihnen am Tisch.
"Hab' gehört Ihr seit'n Söldner? Lust auf 'n kleinen Ausflug in 'n Fürstentum im Osten? Diese beschissene Stadt stinkt und mach' hier keine guten Geschäfte. Hab die hübsche Tavernenfrau gefragt, ob sie auch Nachschub braucht. Weißt ja, zusammen reisen ist sicherer. Hat ja gesagt, also sind wir mit vier Wagen unterwegs. Interesse?"
Dragan blinzelte einen Moment, um nicht laut loszulachen. Die Art wie der Stier sprach war zu komisch. Sein Prusten ging in ein kleines Hüsteln über.
"Wenn nichts dagegen spricht, dass diese hübsche Dame hier, auf einem deiner Wagen Platz findet, bin ich dabei. Wie viel?", antwortete Dragan mit geheucheltem Interesse.
Ukko musterte Nerassa abschätzig, wobei sein Blick auffällig lange an ihrem Busen ruhte, der noch immer auf der Tischplatte ordentlich Platz einnahm.
"Also gut", brummte der Stier schließlich, "Das Püppchen kann mit. Dafür ziehe ich aber etwas Sold ab, immerhin ist mein Wagen keine Kutsche."
"Damit kann ich leben", gab Dragan schulterzuckend zurück.
Nach einigen Augenblicken der fiktiven Absprache der Reiseroute, riefen sie Tiana an den Tisch. In der Zwischenzeit hatte sich die Taverne weiter mit Leuten gefüllt. Vornehmlich andere Händler und Söldner, ihre kleine Truppe fiel nun nicht mehr auf. Das Tagesgeschäft begann, nun, da der Morgen angebrochen war. Der Schankraum wurde von dem Duft von gebratenem Essen erfüllt. Dragan hatte ganz vergessen, dass die Taverne auch regelmäßig Mahlzeiten zu den drei Tageszeiten anbot.
Ein durchdringendes Gemurmel herrschte inzwischen im Schrankraum, doch es verstummte, als die Gesalt in weißem Kapuzenmantel sich erhob und eine schlanke Klinge zog. Dragan bemerkte, dass einige Söldner Messer gezogen hatten, oder mit ihren Händen die Griffe ihrer Schwerter oder Äxte umklammerten. Die vermummte Gestalt bahnte sich einen Weg durch die Gäste, bis Tiana ihr in den Weg trat.
"Weg mit der Waffe, mein Gasthaus ist kein Ort für Auseinandersetzungen", forderte sie den Fremden barsch auf.
Zur allgemeinen Überraschung kniete er sich nieder und stellte das Schwert vor sich auf die Spitze, den Griff umklammern.
"Erlaubt mir, Euch zu begleiten."
Die Stimme war sanft und drang gedämpft durch das mehrfach gewickelte Tuch vor dem Gesicht hindurch. Dragan konnte nicht sagen, ob es ein Mann oder eine Frau war.
"Ich werde ein Schatten sein, nichts essen, nicht reden und Euch mit meinem Leben beschützen."
"Wer seid Ihr?", fragte Tiana skeptisch und machte einen Schritt auf die knieende Gestalt zu. Wie aus dem Nichts tauchte Kenshin auf und hielt die Tavernenbesitzerin zurück, sich dem Fremden noch weiter zu nähern. Er trug eine einfache weite Weste, einen breiten Stoffgürtel, in dem seine Schwerter steckten und eine weite, luftige Hose.
"Ich bin namenlos, doch Ihr könnt mich Weiß nennen. Bitte verlangt nicht nach mehr Informationen als nötig", antwortete der Fremde nach einer langen Pause. Leises Getuschel erhob sich um sie herum. Nerassa flüsterte ihm ins Ohr, dass Weiß ein berühmtberüchtigter Attentäter war, der vor vielen Jahrhunderten alle Fürsten Rhûns innerhalb einer Woche auf bestialische Art und Weise abgeschlachtet und danach verrückt lachend, sich selbst den Kopf abgeschnitten habe. Ukko murmelte, dass es eigentlich ein Märchen war, um Kinder zu erschrecken, wenn sie etwas innerhalb einer Woche tun sollten, sonst würde sie Weiß holen kommen.
"Nun gut", sagte Tiana langsam, "Ich werde Euch nicht zwingen Euer Gesicht hier vor allen Menschen zu zeigen, oder Dinge auszuplaudern. Wir sollten den Rest unseres Geschäfts in einem
privaterem Umfeld besprechen. Kommt."
Dragan beobachtete den Fremden, wie er sich elegant erhob und das Schwert in eine weiße Scheide verstaute, die unter dem langen Mantel verborgen war. Mit langsamen Schritten folgte er Tiana und war bald aus seinem Blickfeld verschwunden. Dragan, Ukko und Nerassa setzten sich etwas ratlos an den Tisch, wo sie zuvor gesessen hatten. Kenshin war offensichtlich mit Tiana gegangen, um sie beim Notfall zu beschützen.
"Hat jemand von euch schon einmal so einen Fremden gesehen?", stellte Ukko die Frage, die wohl allen Anwesenden im Schankraum im Kopf herumgeisterte.
Dragan zuckte mit den Schultern und blickte zu Nerassa, die den Kopf schüttelte.
"Auf meinen Reisen habe ich noch nie von Weiß gehört. Aber von ungeklärten Mordfällen, oder merkwürdigen Unfällen", erklärte sie mit gesenkte Stimme.
"Ich dachte zuerst, es war ein Elb", murmelte Dragan nachdenklich, "Die laufen ja öfters so rum. Sind auch genauso geheimniskrämerisch"
"Das kann gut sein, leider verdeckt die Kleidung den Körperbau", stimmte Ukko zu.
Nerassa ließ sich seufzend nach hinten an die Lehne fallen.
"Ich denke, es ist eine Frau", behauptete sie, "Wegen der Stimme."
"Ist mir scheißegal", antwortete Dragan und blickte missmutig zum Fenster, "Hauptsache, wir verschwinden bald."
Ukko nickte in den Schankraum. "Wenn man gerade davon spricht."
Tiana kam zu ihnen, mit Weiß und Kenshin im Schlepptau, die unnötige Aufmerksamkeit auf sie lenkten.
"Wir können los. Die Pferde sind vor die Wagen gespannt, die Fässer verladen und das Geschäft abgeschlossen", Sie warf einen kurzen Blick zu Weiß, doch unter der Kapuze regte sich nichts, "Wie auch immer, wir sollten aufbrechen."
Sie wandte sich ab und rauschte davon, die anderen folgten ihr. Dragan bemerkte etwas Weißes auf dem Boden und bückte sich danach. Es war ein gefaltetes Papier, rasch entfaltete er es und hielt es so, dass nur er es lesen konnte. In einer sehr feinen und akkuraten Schrift stand dort:
Ich weiß, wer Ihr seid. Ich weiß, wohin Ihr wollt. Ich weiß, was Ihr wann vorhabt.
Ich bin Weiß. Ich beschütze. Ich wache. Ich helfe.
Er ist Schwarz. Er vernichtet. Er terrorisiert. Er tötet.
Er weiß, wer Ihr seid. Er weiß, wohin Ihr wollt. Er weiß, was Ihr wann vorhabt.
Vertraut niemanden. Erzählt niemanden.
Ich töte jeden, der mich angreift,
Ich beschütze jeden, der mein Freund ist.
Weiß beschützt.
Schwarz zerstört.
Nehmt Euch in Acht. Und vertraut niemanden. Ohne Ausnahme.Für einen Moment wusste Dragan nicht, was er davon halten sollte. Die Wörter wiederholten sich immer wieder und wieder in seinem Kopf. Ein kalter Schauer lief seinem Rücken hinab. Hastig verstaute er den Zettel in den Tiefen einer seiner Taschen, doch das Kribbeln an seinem Rücken wollte nicht nachlassen. Wer war dieser Weiß? Und woher wusste er das, was er wusste? Drohte er ihm? Und vor allem: wer war Schwarz? Seine Instinkte hatten schon Alarm geschlagen, als er Weiß das erste Mal gesehen hatte, wie viel schlimmer konnte dann Schwarz sein?
"Dragan, beweg deinen faulen Arsch!", blaffte Ukko vom Eingang her, woraufhin er sich beeilte den anderen zu folgen.
Dennoch gingen ihm die Worte aus dem Brief nicht aus dem Kopf. Auf der Schwelle standen Weiß und Kenshin, die ihm die Doppelflügelige Tür offen hielten. Als er an ihnen vorüberging, meinte er unter Weiß' Kapuze ein paar düster drein blicktende Augen zu erkennen, doch der Moment war zu kurz. Kürzer als ein Herzschlag. Tief ausatmend trat er auf die Straße und fluchte lauthals. Er hasste Geheimnisse über alles. Tiana warf ihm einen unergründlichen Blick zu, als sie an ihm vorüberging und seinen Beutel mit Proviant zuwarf.
Dragan, Tiana, Kenshin, Nerassa, Ukko und Weiß auf die Straßen von Gortharia