Das Schicksal Mittelerdes (RPG) > Angmar

Carn Dûm

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Fine:
Laedor und Kerry mit den Orks vom Gebiet südlich von Carn Dûm


Als vor ihnen die Festung im Herzen von Sarumans Reich in Angmar aufgetaucht war hatten Kerry die Worte gefehlt. Auf einem flachen Hügel, der sich am Ende der langen Gebirgskette erhob, die vom Nebelgebirge nach Nordwesten in das Land namens Angmar hineinragte, erhob sich eine ganze Stadt voller Orks und anderer Diener der Weißen Hand. Kerry verstand nun, wo die Armee, die Fornost angegriffen hatte, untergebracht und ausgebildet worden war. Die Orks begleiteten Laedor durch das große Tor in den frisch erbauten Mauern, von deren Zinnen wachsame Uruk-hai in Pelzumhängen auf die umliegenden Lande hinaus spähten. Kerry kam es vor, als sei die ganze Festung in Aufruhr und immer wieder hörte sie vereinzelte Wortfetzen der Unterhaltungen heraus, die sie schließlich zu einem Bild zusammensetze. Soweit Kerry es verstand, war die Armee, die Fornost angegriffen hatte, noch immer auf dem Rückweg nach Carn Dûm. Und sie wurden sehnlichst erwartet, denn von Osten drohte Ärger: ein rivalisierendes Ork-Reich hatte sich zum Angriff auf Sarumans Bastion im Norden entschlossen. Sie konnte jedoch nicht heraushören, weshalb oder wie es dazu gekommen war.

Klarer wurde die Angelegenheit erst, als Laedor das Pferd, auf dessen Rücken Kerry noch immer lag, zur Zitadelle der Festung brachte und es in den Stallungen dort angebunden hatte. Ein Ork legte Kerry über seine Schulter und trug sie mühelos hinter Laedor her, der nun vor dem großen Eingangsportal stand. Es öffnete sich, und ein großer Uruk mit einem großen Kriegshelm auf dem Kopf, auf dem eine S-Rune eingraviert worden war, kam heraus, gefolgt von einem Dutzend seiner Art.
"Laedor," begrüßte er den Elben. "Wird Zeit, dass du eintriffst. Die Boten des Meisters sind bereits vor Tagen mit neuen Befehlen eingetroffen."
"Schon gut, Fárlûk," gab Laedor geradezu zerknirscht zurück. "Wie lauten die Anweisungen?"
"Die Festung muss um jeden Preis gehalten werden," erklärte Fárlûk. "Deshalb auch der Rückzug bei Fornost. Wir hätten vorsichtiger sein und nicht alles auf eine Karte setzen sollen."
"Wer hätte auch ahnen können, dass die Verteidiger Fornosts solch erbitterten Widerstand leisten würden?" fragte Laedor ärgerlich. "Unser Heer hätte sie aushungern sollen, anstatt anzugreifen."
"Dafür hatten wir nicht die Zeit," gab der Uruk-Kommandant zurück. "Diese Gundabad-Maden haben sich im schlechtesten Zeitpunkt erhoben, gerade als das Hauptheer bei Dol Guldur und die zweite Armee vor Fornost stand."
"Wir wissen, wer dafür verantwortlich ist," sagte Laedor erbittert, und sein Gegenüber nickte.
"Einer der Kreischer, so viel steht fest," sagte er. "Wenn der Angriff abgewehrt ist werden wir ihn in seinem Rattenloch ausräuchern. Boten sind bereits nach Moria entsandt worden. Dort soll eine neue Streitmacht gezüchtet werden."
"Was ist mit den Dunländern?" fragte Laedor. "Die meisten von ihnen stehen doch noch immer unter Angbaugs Kommando?"
"Wir haben zu lange keine Nachricht von ihm erhalten," antwortete Fárlûk. "In Dunland soll es drunter und drüber gehen. Offenbar hat es eine Art Aufstand gegeben."
"Nun, ich bin mir sicher, der Meister hat einen Plan."
"Das hat er," bestätigte der Uruk. "Er hat für jede erdenkliche Möglichkeit geplant."
"Gut," sagte Laedor zufrieden. "Gib mir eine Stunde. Dann treffen wir uns am Kommandoposten. Wir kümmern uns schon um diese minderwertigen Angreifer aus Gundabad."

Der Ork, der Kerry trug, folgte Laedor ins Innere der Zitadelle und durch schier endlose Korridore und Treppen hinab, bis sie in einen Gefängnisbereich kamen. Dieser Ort war schlimmer als jedes Verlies war, das Kerry sich nur vorstellen konnte. Es stank nach Verwesung und nach Blut, und in vielen der Zellen, an denen sie vorbeikamen, lagen Leichen oder halbtote Opfer der orkischen Gefängniswärter. Kerry hätte die Hand vor ihren Mund gepresst, wenn sie nicht noch immer gefesselt gewesen wäre. So presste sie die Augen fest zu und versuchte, so wenig wie möglich zu atmen. Der Zellentrakt, durch den sie gingen, zog sich immer weiter dahin, doch dann endlich spürte sie, wie der Ork stehenblieb. Sie machte die Augen wieder auf und sah, dass sie vor einer eisernen Tür standen, die Laedor gerade aufschloss. Die Tür schwang mit einem schmerzhaften Quietschen auf und enthüllte eine steile Treppe, die vom Licht der orkischen Fackel nur wenig erhellt wurde. Kerry vermutete, dass die Orks weniger Licht brauchten und besser im Dunkeln sehen konnten. Laedor hob die Fackel und ging die Stufen herab, und Kerrys Träger folgte ihm.

Sie kamen nach ungefähr dreißig Stufen (Kerry hatte so gut es ging mitgezählt) in einen kleinen Gang, an dessen rechte Seite zwei Zellen angrenzten. Kerry sah, dass diese sehr ähnlich wie das Verlies angelegt waren, in dem Ardóneth in Fornost gesessen hatte: Die Zellen hatten nur eine Rück- und eine Seitenwand, und ihre Vorderseite bestand aus einer engen Reihe von Gitterstäben, die vom Boden bis zur Decke reichten. Auf dieselbe Art und Weise waren die beiden Zellen auch voneinander getrennt und Kerry vermutete, dass der Raum vielleicht einst eine große Zelle gewesen war, die man mit dem Gitter in zwei kleinere geteilt hatte. Folgte man dem Gang an der zweiten Zelle vorbei endete er an einer weiteren Eisentür. Laedor schloss die erste Zelle auf, und der Ork warf Kerry grob hinein. Laedor ging neben ihr in die Hocke und zog sein Messer. Als er sah, dass sich Kerrys Augen beim Anblick der Klinge weiteten, lachte er böse und kam langsam und bedrohlich näher. Sein Messer zielte auf ihr Gesicht. Er schlug zu - und Kerry stellte fest, dass er ihre Fesseln zerschnitten hatte.
"Die brauchst du jetzt nicht mehr, kleines Rotkehlchen," höhnte Laedor. "Du hast es geschafft. Jetzt kannst du dich endlich ausruhen - vielleicht ein bisschen Schlaf finden - und darauf warten, dass Freund Oronêl in meine Falle geht." Er steckte das Messer weg und stand auf. Dann schloss er Kerrys Zelle ab und blieb noch einen Augenblick außerhalb der Gitterstäbe im Gang stehen. Er betrachtete sie, wie sie im flackernden Licht der Fackel ihren Umhang eng um sich schlang und bis an die Rückwand der Zelle rutschte, um so weit wie möglich vom Eingang weg zu sein. Laedor grinste niederträchtig und wandte sich dann ab. Gefolgt von seinem orkischen Diener betrat er den Raum am Ende des Ganges und schlug die Tür fest zu.

Angst und Ungewissheit hielten Kerry wach. Zwar war es hier unten wärmer als auf der eisigen Ebene von Angmar, und auch der Geruch von Tod und Verwesung, der in den oberen Trakten geherrscht hatte, war in Kerrys Zelle längst nicht so stark. Und dennoch spürte Kerry die uralte Bosheit, die von diesem Ort ausging. Sie stellte sich vor, wie einst der Hexenkönig über die Festung geherrscht und tapfere Dúnedain in seinen Verliesen zu Tode gefoltert hatte. Bei dem Gedanken musste sie an ihre Familie denken, die sicherlich krank vor Sorge um Morilië sein mussten. Aber wie sollen sie mich hier unten jemals finden? Ich glaube, ich bin tief unter der Erde gelandet... an einem der finstersten Orte in ganz Mittelerde. Kerry hoffte noch immer, dass Mathan, Halarîn und Oronêl ihre Spur verfolgten, und glaubte fest daran, dass die Elben alles geben würden, um sie zu retten. Doch jetzt, da sie die Festung des Feindes von innen gesehen hatte war sie voller Zweifel. Würde es ihren Rettern gelingen, sie in einer Bastion voller Feinde aufzuspüren und in Sicherheit zu bringen? Und selbst wenn sie es bis zu Kerrys Zelle schaffen würden, würden sie den Schlüssel brauchen, den Laedor offenbar stets bei sich trug. Sie stellte sich vor, wie der verräterische Elb Oronêl und Mathan Falle um Falle stellte und sie in tückische Hinterhalte lockte. Er war der Herr von Carn Dûm und hatte tausende von Dienern, die er den Elben in den Weg stellen konnte. Kerry schüttelte den Kopf, wie um diese düsteren Gedanken abzuschütteln. Ich weiß, dass sie kommen werden. Und deshalb werde ich die Hoffnung nicht aufgeben, sagte sie sich und beschloss, sich nicht der Verzweiflung hinzugeben. Sie hatte erlebt, wie trotz Tod und Verlust wie er ihr in der Schlacht von Fornost widerfahren war, ihr Leben dennoch wieder Freude und Schönheit erfahren hatte. Und sie war fest davon überzeugt, dass sie auch diese scheinbar aussichtslose Lage überstehen und mit ihrer Familie wieder vereint werden würde.

Mit neuem Mut begann sie, ihre Zelle zu erkunden. Es war stockdunkel und sie musste sich über den Boden und die Wände ein räumliches Bild ihrer Lage ertasten. Der Boden war felsig und an einigen Stellen unregelmäßig, woraus sie schloss, dass dieser Teil der Festung direkt aus dem Fels gehauen worden sein musste, auf dem Carn Dûm stand. Die Gitterstäbe fühlten sich kalt und glitschig an, als Kerry die Finger darum legte. Die Decke war hoch genug, dass sie selbst mit einem Sprung nicht daran reichte und ihre Hände griffen ins Leere. Kerry kniete sich wieder hin und begann, den Boden gründlich abzutasten. Bis auf einige Stoffetzen und ein wenig Staub fand sie nichts, bis sie in die hinterste Ecke kam, wo Rück- und Seitenwand zusammenstießen. Ihre linke Hand fuhr über etwas rundliches, das einen hohlen Klang von sich gab, als sie vorsichtig mit dem Fingerknöchel dagegen klopfte. Sie nahm die zweite Hand zur Hilfe, und tastete den seltsamen Gegenstand weiter ab. Er ungefähr doppelt so lang wie ihre Hand und wies an einer Seite drei große Löcher auf, unterhalb derer sich eine Reihe von...
Kerry ließ das Ding entsetzt fallen als ihr klar wurde, worum es sich dabei handelte. In einer panischen Reaktion trat sie es mit ihren Füßen von sich, und es prallte knirschend gegen die Gitterstäbe. Kerry erschauerte. Sie war eingesperrt, im tiefsten Verlies Angmars - mit einem Totenschädel.

Fine:
Kerry schreckte auf. Die Dunkelheit war immer noch allgegenwärtig. Sie wusste nicht, wie spät es war. Irgendwie hatte sie es trotz ihres entsetzlichen Fundes geschafft, vor Erschöpfung einzuschlafen. Sie fragte sich, wieviel Zeit vergangen war. Hunger verspürte sie noch keinen, also konnten nur wenige Stunden verstrichen sein seitdem Laedor sie in die Zelle gesperrt hatte. Ihr Kopf fühlte sich seltsam an. Sie schob es auf die tagelange Liegeposition auf dem Rücken von Laedors Pferd, bei der ihre Wange mehr als nur ein paarmal gegen die Flanke des Tieres geschlagen war wenn Laedor es zum Galopp antrieb. Kerry atmete tief durch und setzte sich aufrecht hin. Es war nicht die Dunkelheit, die ihr Unbehagen bereitete. Die Schwärze verbarg den Schädel und die Gitterstäbe, die sie daran erinnerten, wo sie war und wie schlimm ihre Lage war. Stattdessen war es die anhaltende Stille, die an Kerrys Verstand nagte. Auf dem Weg nach Angmar hatte sie immerhin die Geräusche der Natur mitbekommen und hatte sogar hin und wieder ein paar Worte mit Laedor gewechselt. Doch hier, im tiefsten Verlies, gab es nichts als Stille. Ab und zu bildete Kerry sich ein, ein leises Rascheln zu hören, doch wenn sie dann den Atem anhielt, sich selbst nicht bewegte und die Ohren spitzte, hörte sie nichts. Sie hatte den Eindruck, langsam ein bisschen durchzudrehen. Und dabei bin ich noch nicht einmal einen Tag hier.

Einige Zeit später hörte sie endlich ein Geräusch. Es war die Tür, durch die Laedor gegangen war, die sich mit einem leisen Knarzen öffnete. Doch kein Licht drang hindurch. Die Dunkelheit blieb, während die Tür sich wieder schloss. Kerry kroch langsam auf die Stelle zu, an der sie das Gitter, das zum Gang lag, vermutete. Dort angekommen umklammerte sie die Stäbe und wartete, doch nichts geschah. Sie verharrte mehrere Minuten in dieser Position und versuchte, sich einen Reim darauf zu machen. Und als sie sich gerade abwenden wollte legte sich eine kalte Hand um ihren Hals - und drückte fest zu. Kerry bekam keine Luft mehr und versuchte, den Griff um ihre Kehle zu lösen, doch ihre Finger glitten wirkungslos ab. Ein unangenehm grelles Licht sprang ohne Vorwarnung hervor und enthüllte Laedors Gesicht, auf der Höhe von Kerrys Kopf, auf dem ein unnachgiebiger Ausdruck lag. Der Elb drückte noch fester zu und rammte Kerrys Stirn gegen die Gitterstäbe, ehe er endlich losließ. Das Licht, das von einer kleinen Elbenlampe stammte, tauchte seine Gestalt in ein unheilvolles, bläuliches und kaltes Licht.
"Hast du Angst vor dem, was im Dunkeln lauert?" fragte Laedor höhnisch. Sie gab keine Antwort. Kerrys Kehle schmerzte und noch immer hatte sie Atemprobleme. "Das solltest du," fügte Laedor hinzu. Dann wandte er sich ab und ging.

Kerry schleppte sich zurück zu der Stelle, an der Halarîns Umhang lag, und rollte sich in einer liegenden Position zusammen. Sie versuchte, sich zu klein wie möglich zu machen und zog den Umhang wie eine Decke über sich. Sie wurde aus Laedors Verhalten einfach nicht schlau. Kerry vermutete, dass er sie in den Wahnsinn treiben wollte und schwor sich, das nicht zuzulassen. Sie rief sich ihre Familie ins Gedächtnis und erneuerte ihre Entschlossenheit. Mathan, Halarîn und Oronêl würden kommen, um sie zu retten. Sie spürte, das dies der Wahrheit entsprach, und es spendete ihr Trost und Mut.

Schließlich begannen ihre Halsschmerzen nachzulassen. Die Stille hingegen plagte sie noch immer. Also beschloss sie, die Stille zu durchbrechen. Noch fühlte sie sich nicht imstande, ein Lied zu singen, nicht inmitten dieser Düsternis und dem Grauen. Doch sie begann, leise Worte in der Elbensprache aufzusagen, die Halarîn und Faelivrin sie gelehrt hatte. Sie konnte bereits bis zehn zählen, und sagte die Zahlen nacheinander auf, und dann rückwärts. Sie fuhr mit den Worten für Mutter, Vater und Schwester fort; "Amil, Ontáro, Nésa," und begann dann damit, alle weiteren Worte nachzusprechen, die sie hier und da bei den Gesprächen der Elben aufgeschnappt hatte.
Sie war bei alaco, dem Wort für Windstoß, angekommen, als sie innehielt. Erneut glaubte sie, etwas gehört zu haben. Sie hielt den Atem an. Und tatsächlich, war da etwas: zunächst ein beinahe unhörbares Rascheln, und dann, etwas eindeutiger: eine leise Stimme. Kerry konnte nicht verstehen, was sie sagte. Es schien ein einzelnes Wort zu sein. Es klang wie...
"...Farel," hauchte die Stimme.
"Ist da jemand?" fragte Kerry, doch eine lange Zeit kam keine Antwort. Sie begann, die ganze Sache bereits als Einbildung zu betrachten, da hörte sie die Stimme wieder, diesmal etwas näher und deutlicher.
"Farel?" Es war eindeutig eine Frage. Die Stimme war hoch und weiblich, so viel konnte Kerry erkennen, doch die Dunkelheit machte es ihr schwer, auszumachen ob das Wort aus der zweiten Zelle gekommen war, wie sie vermutete.
"Wer spricht da?" versuchte sie es erneut, doch nur Stille antwortete ihr. Kerry kroch näher an die Gitterstäbe heran, die die beiden Zellen voneinander trennten. Einer Eingebung folgend versuchte sie es diesmal mit Quenya.
"Man esselya ná?" Es war einer der wenigen ganzen Sätze, die sie beherrschte, und eine einfache Frage: Wie lautet dein Name?
Während sie auf eine Antwort wartete, erreichte Kerry die Gitterstäbe. Obwohl sie Angst hatte, erneut am Hals gepackt zu werden, legte sie vorsichtig die Hände um zwei der Stäbe und wartete. Dann wiederholte sie die Frage.
Und tatsächlich kam diesmal eine Antwort. "Cuventai," sagte die Stimme, diesmal ganz nahe. Und Kerry erschrak, als sich eine kleine Hand auf ihre legte. Doch sie beherrschte sich und nahm all ihren Mut zusammen.
"Ní am Morilië," sagte sie vorsichtig und spürte, wie die zarten Finger der anderen Person über ihre Hand strichen und sie zu ertasten schienen.
"N'a mi-Farelyë," flüsterte die Stimme, und wiederholte das, was wohl ihr Name sein musste: "Farelyë."
"Wer... oder was bist du?" fragte Kerry, doch statt einer Antwort zogen sich Farelyës Finger zurück. Sie flüsterte: "Farel," und es raschelte wieder. Und dann war da ein winziger, eisblauer Lichtpunkt, schwebend, zwischen zwei der eisernen Gitterstäbe. Und schwach beleuchtet davon - ein Gesicht. Kerrys Augen weiteten sich. Sie nahm kaum Details wahr, denn ihr Blick wurde von den Augen Farelyës angezogen und sie fand sich nicht imstande, ihn wieder zu lösen. Die Augen waren silbern. Kerry hatte so etwas zuvor gesehen, bei Halarîn, die den silbernen Schimmer oft unterdrückte, doch Farelyës Augen schimmerten nicht nur, sie leuchteten förmlich, stärker und auf eine Art und Weise älter als es bei Halarîn der Fall gewesen war. Die Augen zogen Kerry sofort in ihren Bann. Jung, und auch wieder nicht jung, wie zwei schier endlose silberne Brunnen, und dennoch gleichzeitig nicht tiefer als ein seichter Teich. Farelyë hielt ihren prüfenden und geheimnisvollen Blick auf Kerry bei, und sie schwiegen eine ganze Weile, während das Licht immer mehr schwand.
Schließlich gelang es Kerry, den Rest des Gesichts zu betrachten, ehe das Licht komplett erlosch. Farelyë besaß ein kleines, beinahe sogar kantiges Gesicht, und Kerry stellte erstaunt fest, dass sie nicht älter als zehn Jahre sein konnte. Und doch... besaß sie deutlich sichtbare, spitz zulaufende Ohren.
"Du bist ja eine Elbin," stieß Kerry überrascht hervor. Was tat ein Elben-Mädchen hier? Sofort fiel Kerrys Verdacht auf Laedor, und sie wollte sich gar nicht ausmalen, zu welchem Zweck er Farelyë hier unten gefangen hielt. Das Mädchen betrachtete Kerry mit einem fragenden Ausdruck im Gesicht, also sagte Kerry: "Quendi?"
"Cuventai," gab Farelyë zurück als das Licht endgültig ausging und sie beide wieder in Dunkelheit eauchte. Erneut strich Farelyës Hand über Kerrys Arm, und sie begann, offenbar etwas aufzuzählen: "Cuind, Hwenti, Kindi, Kinn-lai, Windan, Penni, Cuventai."
"Was bedeutet das?" fragte Kerry, die trotz aller Schrecken Carn Dûms langsam neugierig wurde.
Doch Farelyë sagte nur: "Cuventai - Farel yi-Farelyë."
Also beschloss Kerry, ebenfalls etwas zu wiederholen: "Ni am Ténawen Morilië Nénharma," sagte sie.
"Morilyë," wiederholte Farelyë leise. "T'a ni-Morilyë. N'a mi-Farelyë... lum'bale."

Ehe Kerry weiter mit Farelyë sprechen konnte ging die schwere Tür auf, die zu den oberen Stockwerken führte. Orks kamen herein, Fackeln tragend. Farelyë flüsterte: "Yricai!" und zog sich in die Schatten zurück. Die Orks öffneten die Zelle und warfen Kerry einen Laib Brot zu, dessen untere Hälfte bereits abgebissen war. Der Ork, der den Schlüssel trug, scheuchte einen kleineren Ork hinein, der zwei Eimer hereintrug. Einer war gefüllt mit Wasser, der andere leer.
"Ich hoffe, du hast Hunger, Rotkehlchen," sagte Laedor, der plötzlich im Gang aufgetaucht war. "Sei dir bewusst, dass du besser behandelt wirst als die meisten Gefangenen hier."
"Wer ist das Mädchen in der Zelle neben mir?" wagte Kerry zu fragen.
Laedors Grinsen schwand und er wurde ungewohnt ernst. "Sie ist ein roher Diamant. Etwas ganz besonderes. Das würdest du nicht verstehen."
Die Orks verschwanden grunzend durch die Tür durch die sie gekommen waren und Stille kehrte wieder ein. "Erkläre es mir," forderte Kerry. "Sie heißt Farelyë, nicht wahr?"
"Du hast mit ihr gesprochen?" rief Laedor alarmiert und kam ganz nah an das Gitter heran. "Was hat sie dir gesagt?"
"Nicht viel," antwortet Kerry. "Ich verstehe die Sprache nicht... es klingt nach Quenya, aber die Worte und die Aussprache sind ganz anders. Mehr als ihren Namen habe ich nicht erfahren."
"Das liegt daran, dass sie kein Quenya spricht, Rotkehlchen," erklärte Laedor mit einem seltsamen Ton in der Stimme. "Die Überlieferung der Nandor berichtet von jenen Quendi, die sich der Großen Reise verweigerten, und im Osten blieben als der Jäger des Westens rief. Und durch Gerüchte und Legenden hörte man von den sechs Stämmen der Avari: Cuind, Hwenti, Kindi, Kinn-lai, Windan und Penni, die sich irgendwann zerstreuten und seitdem in Ländern jenseits von Rhûn oder Harad leben. Jeder Stamm wurde von einem Paar von Elben begründet, das vor Zeitaltern an den Wassern des Erwachens zum ersten Mal die Sterne erblickte." Er machte eine Pause und flüstere dann bedeutungsvoll: "Aber die Legenden vergaßen ein Paar."
"Die... Cuventai," schlussfolgerte Kerry, der allmählich klar wurde, wovon Laedor da sprach.
Der Elb hob überrascht die Augenbrauen. "Oh, hast du das ganz alleine herausgefunden? Wirklich scharfsinnig von dir. Du überraschst mich, kleines Rotkehlchen. Farel und Farelyë sind die Begründer des Stammes der Cuventai... oder sollten es zumindest sein."
"Was ist geschehen?" fragte Kerry voller Wissensdurst.
"Ich weiß es nicht. Niemand weiß das. Ich verstehe nur sehr wenig von dem, was Farelyë von sich gibt. Sie ist auf der Suche nach Farel, das ist klar. Irgendetwas muss ihr zugestoßen sein, kurz nachdem sie erwachte."
"Wie kam sie denn hierher?"
"Man fand sie bei Grabungsarbeiten, als Saruman die Festung neu errichten ließ," erzählte Laedor heiser. "Wenn man den Orks glauben kann war sie in einer Höhle, die bis zum Rand mit Eis gefüllt war. Irgendjemand kam auf die Idee, sie aufzutauen. Du weisst ja sicher, was Orks mit Leichen machen."
Kerry erschauerte. Sie wusste es nicht, und sie wollte es auch nicht wissen.
"Jedenfalls merkten sie rasch, dass das Mädchen noch am Leben war. Zum Glück war ich gerade in der Nähe. Ich sah einen blauen Blitz aus einer der frischen Gruben fahren und fand sie, umgeben von toten Orks vor. Die Körper der unnützen Maden waren von einem geheimnisvollen Feuer versengt worden. Farelyë war bewusstlos geworden, weshalb ich sie hierher brachte und versuchte, herauszufinden, wer oder was sie ist."
"Und was hast du mit ihr vor?" wollte Kerry wissen.
"Das geht dich nichts an, Rotkehlchen. Du wirst es sowieso nicht mehr erleben. Die Macht, die einem erweckten Elben innewohnt, ist jedenfalls etwas, das ich nicht ungenutzt lassen werde - und Saruman auch nicht."
Damit schien für ihn das Gespräch beendet zu sein. Er wandte sich ab und ging, ließ Kerry erneut in der Dunkelheit zurück.

Doch die Stille bot ab diesem Moment keinen Schrecken mehr für Kerry. Sie beschloss, Farelyës Sprache zu erlernen. Hin und wieder wechselte sie ein paar Worte mit dem Mädchen, bis sie schließlich zu müde wurde um sich zu konzentrieren.
"Morilyë," flüsterte es leise als Kerry gerade die Augen schließen wollte.
"Was ist los?" fragte sie, obwohl sie bezweifelte, dass Farelyë sie verstand.
"Elentai," sagte die kleine Elbin, die so jung und doch gleichzeitig so uralt zu sein schien. "Elentai."
Aus dem Augenwinkel erhaschte Kerry einen winzigen Lichtpunkt, der vorher noch nicht da gewesen war. An der gegenüberliegenden Wand, beinahe an der Decke (so schätzte Kerry) war etwas hervorgetreten, dass unverkennbar das ferne Leuchten eines einzelnen Sternes sein musste. Kerry fand später heraus, dass hier ein Sprung in der Wand in einen kleinen, armdicken Schacht mündete, den irgendeine namenlose Kreatur vor vielen Jahren gegraben haben musste. Und durch diesen Schacht schien nun tatsächlich ein Bruchteil des Sternenlichts von draußen hinein.
"Elentai," hauchte Farelyë bewundernd.
Mit diesem Wort in den Ohren schlief Kerry ein.

Eandril:
Die Rettungstruppe aus der Wildnis nördlich der Ettenöden

Der Anblick der Festung, die sich vor ihnen auf einem niedrigen, breiten Hügel erhob war dazu geeignet, selbst die Mutigsten verzagen zu lassen. Wenige Stunden nach dem Kampf mit den Orks hatten sich ihnen Faelivrins Leibwächter erneut angeschlossen, die die Gegend erkundet hatten und von vielen weiteren Orkspuren berichteten. Je näher sie der alten Festung Angmars kamen, desto zahlreicher wurden die Spuren der Orks und desto langsamer und vorsichtiger gingen die Elben vor. Die Hoffnung, Laedor einzuholen bevor er  Carn Dûm erreichte war inzwischen ohnehin vollständig geschwunden, also hatten sie beschlossen, keine unnötigen Risiken einzugehen

Sie waren in der Nähe der Festung ein wenig nach Osten umgeschwenkt, denn es gab keinen Grund mehr, Laedors Spuren noch zu folgen, und näherten sich ihrem Ziel nun im Schatten der Gebirgskette, die sich vom Nebelgebirge entlang der nördlichen Grenze Angmars erstreckte. Am Fuß der Berge stießen sie immer wieder auf Ruinen und Mauerreste, Zeugen des alten Reiches von Angmar, und hinter einer dieser Mauern lagen nun Oronêl und Finelleth auf der dünnen Schneedecke, und sahen zur wiedererrichteten Festung Carn Dûm hinüber.
"Das wird auf keinen Fall leicht, dort hineinzukommen - erst recht ungesehen", sagte Finelleth. Direkt beim ersten Anblick der Festung hatten sie den Gedanken eines offenen Angriffs verworfen -  Carn Dûm lag keineswegs in Trümmern und wirkte gut bewacht.
"Ja...", erwiderte Oronêl langsam, und lies seinen Blick entlang der Mauern schweifen. Hinter den Zinnen spähten Uruks mit dem Zeichen der Weißen Hand hervor, beobachteten aufmerksam alles, was sich vor ihren Mauern bewegte. "Es muss einen Weg hineingeben", überlegte er. "Laedor will mich schließlich persönlich haben, da kann er nicht riskieren dass ich von den Uruks auf der Mauer erschossen werde, also..." Sein Blick erreichte das östliche Ende der Mauer, wo Befestigungen am letzten Ausläufer der Gebirgskette endeten. Direkt an der Mauer waren die Felsen so steil und scharfkantig, dass dort niemand hinunterklettern konnte, doch dahinter, ein Stück nach Norden, wurde der Abhang flacher. Oronêl deutete in die Richtung und sagte: "Wenn wir irgendwo hier nach oben klettern, könnten wir dort wieder herunterkommen und hätten die Mauern umgangen." Finelleth zog skeptisch die Augenbrauen zusammen. "Aber würde ein solcher Schwachpunkt nicht ebenfalls bewacht sein?" "Möglich." Oronêl schob sich langsam rückwärts den Abhang hinunter, bis er von der Festung ungesehen stehen konnte. "Aber Laedor will, dass wir es in die Festung schaffen."
Sie eilten den kurzen Abhang hinunter, bis sie den Rest ihrer Gruppe erreichten, die in der niedrigen Senke gewartet hatte.
"Die Festung ist stark und vor allem gut bewacht", berichtete Finelleth, und Mathan befühlte grimmig den Griff eines seiner Schwerter. "Also doch ein Frontalangriff?", fragte er, offenbar zu allem entschlossen, doch Oronêl schüttelte den Kopf. "Nicht unbedingt. Ich habe eine Schwachstelle entdeckt, die möglicherweise unbewacht sein wird - wenn man bedenkt, dass Laedor mich hineinlocken will."
"Wir laufenden also sehenden Auges in seine Falle?", fragte Faelivrin ruhig. "Das klingt nach keinem sehr guten Plan."
"Wenn ihr einen besseren habt, nur heraus damit", gab Oronêl kühl zurück. "Ich jedenfalls wäre bereit dazu, mein Leben zu riskieren."
"Denkt ihr, ich nicht?" Ein Funken Zorn blitzte in Faelivrins Augen auf, als sie fortfuhr: "Das Haus Manarîn verteidigt die seinen mit allem, was es geben kann."
"Schön", knurrte Oronêl. "Geht diesen Weg mit mir oder sucht euch einen eigenen - mir ist es gleich. Er wandte sich ab, und ging einige Schritte in südlicher Richtung davon. Eine unangenehme Stille senkte sich über die Gruppe, bis schließlich Halarîn neben Oronêl stand, mit ihm über die öde Wildnis nach Süden blickte, und leise sagte: "Du gibst dir die Schuld an dem was passiert ist."
Oronêl zuckte mit den Schultern. "Mit Kerrys Entführung wollte Laedor mich treffen, mich in eine Falle locken. Wäre ich ihr nicht begegnet... wäre sie jetzt nicht dort, in dieser Festung voller Orks." "Tu das nicht", erwiderte Halarîn. "Denn wenn es danach geht, dürftest du niemals wieder Freunde haben, bis Laedor tot ist. Du bist nicht verantwortlich für seine Taten."
"Du hast recht", meinte Oronêl, schüttelte aber dennoch ein wenig hilflos den Kopf. "Aber ich kann einfach nicht anders als mich schuldig zu fühlen."
"Dann hilf uns, unsere Tochter zu retten, und töte ihn", sagte Halarîn. "Aber zuvor solltest du mit meiner anderen Tochter sprechen. Streit ist im Augenblick das, was wir am allerwenigsten gebrauchen können."
Oronêl nickte langsam, atmete tief durch und wandte sich um, in die Richtung, in der Mathan leise mit seiner Tochter sprach. Als Oronêl herankam wandte sich ihm beide zu, und Oronêl neigte den Kopf vor Faelivrin. "Ich wollte nicht an eurer Entschlossenheit zweifeln, Herrin. Verzeiht meine Worte."
"Und ich glaube nicht, dass ihr uns blind in eine Falle führen würdet", erwiderte Faelivrin mit einem Gesicht, dass einer Königin würdig war. "Von daher verzeihe ich euch, wenn ihr meine Zweifel vergeben könnt."
"Mit Freuden", meinte Oronêl erleichtert. "Ich bin mir sicher, ihr seid eurem Volk eine gute Königin." Ein Hauch von Traurigkeit stand in Faelivrins Augen, als sie antwortete: "Vielleicht." Dann verschwand der Ausdruck, und sie zwinkerte Oronêl tatsächlich zu. "Und, Oronêl... als Freund des Hauses Manarîn verleihe ich dir das Privileg, mich nicht länger mit Herrin ansprechen zu müssen."

Bevor Oronêl etwas erwidern konnte, wehte der Wind von Osten merkwürdige Geräusche heran. "Hört ihr das auch?", fragte Finelleth, und die Elben nickten, während die Menschen die Köpfe schüttelten. "Klingt wie... Orks", sagte Mathan, und Oronêl ergänzte: "Eine ganze Menge von ihnen."
"Vielleicht kehrt das Heer von Fornost zurück?", vermutete Valandur, doch Mathan schüttelte den Kopf. "Dazu kommen sie aus der falschen Richtung. Fornost liegt im Südwesten, diese hier kommen von Osten."
"Verstärkungen aus Moria?", schlug Súlien vor, und Oronêl ergänzte: "Oder etwas völlig anderes - der Grund, warum das Heer von Fornost inmitten der Schlacht abgezogen ist. Aber was es auch ist, wir sollten nicht allzu lange hier verweilen - selbst wenn sie noch einige Meilen entfernt sind."

Mathan runzelte die Stirn, so als ob er noch ein weiteres Geräusch wahrnahm. "Was ist los?", fragte Halarîn, die seinen Gesichtsausdruck bemerkt hatte.
"Da kommt jemand...", der Elb drehte sich um und deutete in die Richtung aus der sie gekommen waren, "Hinter uns, ich kann es aber nicht genau einordnen, der Lärm ist zu laut."
Augenblicklich hatten die Gefährten die Waffen in den Händen und drehten sich um. Faelivrin nickte ihre drei Leibwachen zu, die langsam mit erhobenen Schilden vorrückten. Dann hörten sie es auch, ein rythmisches Klappern und sehr leise Schritte.
"Ich hasse Berge...Aule hat keinen Geschmack", fluchte eine Stimme unzufrieden und sorgte für verdutzte Gesichter, es war Quenya, das gesprochen wurde. Grabesstimme legte sich über die Gemeinschaft, bis das Klappern auch für die Menschen hörbar wurde. Jeder rechnete fest mit Laedor und die Spannung war zum greifen nahe.
Sogleich erschien ein Elb mit stahlschwarzen Haaren und einem grimmigen Gesicht. Halarîns Pfeil schoss knapp an seinem Kopf vorbei. "Nicht schießen!", rief dieser beinahe gleichzeitig mit Faelivrin. "Bei den Sternen!", entfuhr fuhr es Faelivrin und starrte den Neuankömmling an, der sich zu Boden geworfen hatte. Als dieser sich erhob, klapperten seine Waffen und sie erkannten, dass es das war, was ihn so lautstark angekündigt hatte.
Er trug einen Speer, sowei einen Schild auf dem Rücken und an seinem Gürtel baumelte ein aufwändig gearbeiteter, schwarzer Krähenschnabel. Bei jedem Schritt schlug der Speer gegen den Schild. Er hob die Hände und zeigte, dass er keine Waffen in den Händen trug.
"Wer seid Ihr?", frate Oronêl scharf, der seine Axt nicht senkte. Trotzdem schien ihm das Gesicht des offensichtlich jungen Elben irgendwie bekannt.
"Na, ein neues Mitglied eurer Heldentruppe!", erklärte dieser wie selbstverständlich und fiel Faelivrin in die Arme, die verdutzt und ungläubig dreinblickte. Nachdem er sich von ihr wieder löste, verneigte er sich formlich und wedelte dabei mit der Hand.
"Erlaubt mir, mich vorzustellen: Ich bin Anastorias, genannt Der Sänger und vorletzter Erbe des Hauses Manarin." Ein verführerisches Lächeln lag auf dem edel geschnittenen Gesicht, für das ihn so manch Anderer beneiden könnte.
Allgemeine Überraschung lag auf den Gesichtern, als auch die Letzten begriffen hatten, wer der junge Elb war. Die drei Gardisten verneigten sich respektvoll, während Mathan, Halarîn und besonders Faelivrin ihn überrascht anstarrten, unfähig ein Wort herauszubekommen.

Fine:
Farelyë hatte erneut ihr geheimnisvolles Licht entzündet. Kerry konnte sich keinen Reim darauf machen, wie das Elbenmädchen das zustande brachte, doch sie fragte nicht danach. Farelyë ließ den kleinen, blauen Lichtpunkt zwischen den Gitterstäben emporsteigen, die ihre beiden Zellen voneinander trennen, und sagte: "Caliya!" Ein Ausdruck kindlicher Freude legte sich auf ihr Gesicht, und sie ergriff Kerrys Hand mit ihren schlanken Fingern. Das Staunen und die Freude, die sie ausstrahlte, waren selbst hier, im tiefsten Verließ, sehr ansteckend. Kerry konnte sich gut vorstellen, wie die ersten Elben damals, vor so vielen Zeitaltern, die junge Welt erkundet hatten und den Dingen Namen gegeben hatten, die sie erblickten. Es schmerzte sie, dass Farelyë all dessen beraubt worden war und sie nun Jahrtausende zu spät aus dem Eis befreit worden war. Sie spürte, dass Farelyë noch immer sehr durcheinander war, und das konnte Kerry nur zu gut nachvollziehen. Das Mädchen war ohne Orientierung aufgewacht, umgeben von schrecklichen Feinden, die ihre vermeintliche Leiche verspeisen wollten, und hatte instinktiv reagiert. Und nach ihrer Ohnmacht war sie in der Finsternis von Laedors Zelle wieder erwacht.

"Licht," sagte Kerry und zeigte auf die Quelle der Helligkeit, die bereits wieder zu erlöschen begann. In den Tagen seitdem sie entdeckt hatte, dass die zweite Zelle nicht leer war, hatte Kerry sich vorgenommen, Farelyës Sprache zu erlernen, die aus einem uralten Avarin-Dialekt zu bestehen schien. Und vielleicht würde das Mädchen ja dadurch, dass Kerry ihr die Worte im Westron aufsagte, im Gegenzug lernen, Kerrys Sprache zu sprechen.
"Caliya," wiederholte Farelyë und lächelte glücklich. "Li-cht," sagte sie dann, und Kerry nickte.
"Hand," sagte Kerry nach kurzer Zeit, und zeigte auf ihre eigene Hand, und danach auf Farelyës Hand, die das Gitter umklammert hielt.
Farelyë folgte Kerrys Bewegung und sagte: "Címa."
"Címa," wiederholte Kerry und merkte sich das Wort.
Kerry wusste nun ebenfalls, was Elentai bedeutete: Sie vermutete, dass es eines der ersten Worte gewesen war, die Farelyë nach ihrem Erwachen gesprochen hatte, denn es war eine Bezeichnung für die Sterne. Und wann immer Sternenlicht durch den winzigen Riss in der Wand drang, blickte Farelyë wie gebannt darauf und schien jeden einzelnen Augenblick zu genießen und in sich aufzunehmen. In ihren silbernen Augen schimmerte das schwache Licht der Sterne dann trotz der Dunkelheit besonders intensiv.
"Morilyë," sagte das Mädchen leise und nahm erneut Kerrys Hand. "T'a ni-Nísa."
Kerry blickte sie fragend an. "Was meinst du damit?" wollte sie wissen.
"Farelyë yi-Morilyë ti-Nísai," sagte Farelyë mit einem schüchternen Lächeln. "Nísai."
Unsicher, was der Satz zu bedeuten hatte legte Kerry dem Mädchen die freie Hand auf die Wange und strich sanft darüber. Dann nickte sie, da sie nicht wusste, was sie sagen sollte.
"Nísa Morilyë," sagte Farelyë bekräftigend. Ihre Hand fuhr durch Kerrys Haar und blieb an ihren Ohren liegen, die sie gründlich betastete.
"Ich habe keine spitzen Elbenohren wie du," sagte Kerry, die die Verwunderung in Farelyës Gesicht gesehen hatte. "Ich bin nämlich keine Elbin."
Doch Farelyë verstand natürlich nicht, was sie sagte. Sie schien anzunehmen, dass jemand die Spitzen von Kerrys Ohren abgeschnitten hatte, was den bemitleidenden Ausdruck in ihrem Gesicht erklären würde.
"Morilyë sataí," sagte sie tröstlich. Und obwohl sie es aus dem falschen Grund sagte, fand Kerry dennoch Trost in den Worten der kleinen Elbin. Sie war nicht allein und hatte noch immer die feste Hoffnung, dass Hilfe bereits auf dem Weg zu ihr war.

Farelyë schien viel Schlaf zu brauchen. Kerry vermutete, dass das Entzünden des kleinen Lichtes das Mädchen auslaugte. Kurz nach ihrem Gespräch rollte Farelyë sich dicht an den Gitterstäben zusammen, um nah bei Kerry zu bleiben. Die kleine Elbin hatte offenbar eine dicke Pelzdecke von Laedor erhalten, in die sie sich wickelte und die Augen schloss. Und wenigen Minuten später war von ihr nur noch nahezu unhörbares, regelmäßiges Atmen zu hören. Kerry tat es ihr gleich und versuchte, zu schlafen. Ihr Kleid sorgte dafür, dass einige Stellen ihres Körpers hin und wieder juckten und kribbelten, da sie den seidigen Stoff nicht gewohnt war und jetzt schon viele Tage nicht die Gelegenheit gehabt hatte, sich umzuziehen. Sie beschloss, Laedor bei der nächsten Gelegenheit um Kleidung zum Wechseln zu bitten, auch wenn sie nicht erwartete, dass der verräterische Elb ihr diesen Wunsch erfüllen würde. Doch es war einen Versuch wert.

Schließlich schlief Kerry ein. Und tatsächlich war ihr eine ruhige Nacht vergönnt, in der sie niemand weckte oder aus dem Schlaf riss. Zwar war es noch immer (oder wieder) dunkel, als sie erwachte, doch direkt neben ihr lag die kleine Farelyë und Kerry lächelte. Das Mädchen verstärkte ihre Hoffnung auf eine geheimnisvolle Art und Weise, die Kerry nicht verstand. Sie stellte sich bereits vor, wie Mathan und Oronêl durch die schwere Tür und die Treppe hinab gestürmt kamen, das Licht des Tages mit sich bringend. Sie würden die Zellen aufbrechen, Kerry und Farelyë befreien, und in Sicherheit bringen. Kerry war schon darauf gespannt, wie die Elben auf das Mädchen reagieren würden. Wenn es stimmte, was Laedor über sie gesagt hatte, dann war sie etwas ganz Besonderes, und war von großer Bedeutung für die Eldar. Vielleicht würde Kerry ihr sogar dabei helfen können, den geheimnisvollen Farel zu finden - falls dieser noch am Leben war und noch immer in Mittelerde weilte. Wenn sie wieder draußen waren und das Verlies und diesen ganzen furchtbaren Ort hinter sich gelassen hatten.

Die kleine Elbin schlief noch immer, und Kerry betrachtete sie nachdenklich. Was ist dir bloß zugestoßen? fragte Kerry sich. Welche böse Macht ist dafür verantwortlich, dass du so lange im Eis eingeschlossen warst und so viele Zeitalter verpasst hast, in denen du die Welt erkunden und die Cuventai hättest anführen sollen? Dir ist so viel genommen worden... Sie ließ die Schultern hängen. Wie sollte sie dem armen Mädchen all das jemals nur erklären? Kerry hoffte, dass Halarîn ihr dabei helfen würde. Als sie an ihre Mutter dachte, konnte deren besorgtes Gesicht geradezu vor sich sehen. Kerry sehnte sich danach, Halarîns sanfte und liebevolle Berührungen zu spüren und sich bei ihr geborgen zu fühlen. Und noch immer zog sie Kraft aus den wenigen Stunden, in denen sie diese Berührungen in Fornost erfahren hatte. Sie versuchte, dasselbe für Farelyë zu tun, doch sie wusste nicht, wie die kleine Elbin es empfand. Zwar lächelte sie oft und viel, und schien Kerrys Nähe zu suchen, doch ihre Laune war grundsätzlich relativ gut - wahrscheinlich, weil sie gar nicht richtig verstand, in welcher Lage sie sich befand; und Kerry konnte es ihr auch nicht wirklich erklären.

Die Tür zum Ausgang öffnete sich, und Orks kamen herein, die erneut Essen brachten. Kerry versuchte, das schlafende Elbenmädchen vor den Blicken der Gefängniswärter zu verbergen, doch die Orks scherten sich gar nicht um sie. Wenige Minuten später waren sie wieder verschwunden. Von Laedor fehlte hingegen jede Spur. Kerry vermutete, dass er sich an der Verteidigung der Festung beteiligte, von der sie auf dem Weg in die Verliese gehört hatte. Sie wusste nicht recht, was sie davon halten sollte, dass ein feindlicher Ork-Stamm Carn Dûm angriff. Einerseits freute sie sich, dass Sarumans Orks in Bedrängnis gerieten, doch auf der anderen Seite war sie in den Verliesen relativ sicher, zumindest bis Oronêl eintraf. Sie wollte sich nicht vorstellen was geschehen würde, wenn Carn Dûm eingenommen wurde und einen neuen Herrscher bekam. Vielleicht würde er als erste Amtshandlung alle in den Verliesen verbliebenen Gefangenen hinrichten, um Platz für Laedor und seine Verbündeten zu schaffen, falls diese gefangen genommen würden...

Laedors plötzliches Auftauchen riss sie aus ihren Gedanken. "Es ist soweit, kleines Rotkehlchen," sagte der Elb mit einem bösen Lächeln und rieb sich die Hände. Dann schloss er die Zelle auf und zerrte Kerry grob von der schlafenden Farelyë weg, die noch immer nicht erwacht war. Oh nein, dachte Kerry. Wenn er mich jetzt woanders hin bringt, schaffen wir es vielleicht nicht, auch Farelyë zu retten! Sie wehrte sich gegen Laedors eisernen Griff, doch er war zu stark für sie. Geschwind hatte er sie gefesselt und schob sie unnachgiebig vor sich her, sodass sie die Stufen hinauf stolperte, auf ein ungewisses Ziel zu.

Eandril:
Als die Sonne im Westen hinter der Festung versank, erhob Oronêl sich von dem flachen Felsen, von dem aus er die Umgebung im Auge behalten hatte. Faelivrin sprach noch immer leise in einer ihm unbekannten Sprache, von der er nur wenige Wörter verstand, mit dem Neuankömmling, Anastorias. Offensichtlich hatten sie sich rasch über die Lage ausgetauscht, und wandten sich nun Oronêl zu.
"Nun... lasst uns aufbrechen." Anastorias warf ihm einen merkwürdigen Blick zu. "Aufmunternde Reden sind nicht eure Sache, oder?"
Oronêl schüttelte den Kopf. "Ich glaube nicht, dass ich irgendjemanden hier zu unserem Vorhaben aufrütteln muss."
"Ganz gewiss nicht!", erwiderte der junge Elb. "Wir werden nicht zulassen, dass das neueste Mitglied des Hauses Manarîn auch nur einen Augenblick länger in Feindeshand bleibt als nötig!" Mathan warf Oronêl einen vielsagenden Blick zu, der still in sich hinein lächelte. Der junge Krieger erinnerte ihn an sich selbst vor vielen tausend Jahren, als er selbst jung gewesen war und sich für jede Herausforderung der Welt bereit gefühlt hatte.

Sie erkletterten die Ausläufer der nördlichen Gebirgskette an einem steilen aber gut begehbaren Hang, der gerade außerhalb der Sichtweite der Festung lag. Die Pferde der Waldläufer hatten sie weiter unten zurückgelassen, gut versteckt zwischen mehreren Felsen an einigen niedrigen, verkrüppelten Felsen angebunden. Eigentlich hatte Mathan auch Adrienne dort zurücklassen wollen, doch das Mädchen hatte ihn überzeugt, dass es dort mit dem heranmarschierenden Orkheer nur unwesentlich ungefährlicher sein würde. Dennoch hatte Mathan erst nachgegeben, als sie gedroht hatte ihnen andernfalls heimlich nachzugehen.
Ungefähr auf halber Höhe des Bergkammes bogen sie entlang des Hanges nach Westen ab, und folgten ihm bis zu der Klippe an der die Berge von Angmar endeten. Dort schlichen sie vorsichtig und ungesehen von den Wachen auf der Mauer unter ihnen bis zu dem niedrigen Hang ein Stück weiter im Norden. Am unteren Ende des Hanges erhob sich die westliche Mauer des großen Hauptgebäudes der Festung, doch in erreichbarer Höhe befand sich ein Fenster - unbewacht. "Jede Wette, dass hier nur heute keine Wache steht", flüsterte Finelleth als sie sich an der Mauer versammelt hatten. Oronêl ging unterhalb des Fensters leicht in die Hocke, sprang und packte am höchsten Punkt seines Sprunges den steinernen Fenstersims. Er zog sich hoch, und landete lautlos im Inneren, einem kahlen, steinernen Gang, der lediglich noch vom schwachen Tageslicht draußen erhellt wurde. Er warf einen Blick nach Links und Rechts nachdem seine Augen sich an das Dämmerlicht gewöhnt hatten, und rief dann leise nach unten: "Der Weg ist frei, ihr könnt hochkommen." Einer nach dem anderen kamen seine Gefährten durch das Fenster geklettert, als letzter Mathan der Adrienne nach oben geholfen hatte.
"Drin wären wir. Wie finden wir jetzt meine Tochter?", fragte er, nachdem er sich ebenfalls in beide Richtungen umgeschaut hatte. "Vielleicht sollten wir uns aufteilen", schlug Valandur vor, doch Oronêl schüttelte den Kopf. "Nein, dann finden wir uns womöglich niemals wieder. Niemand von uns kennt sich in dieser Festung aus."
"Also bleiben wir zusammen, suchen einfach drauflos und hoffen, dass wir nicht zu schnell entdeckt werden", fasste Finelleth mit einem Lächeln zusammen. "Allerdings", bestätigte Mathan. "Aber mögen die Valar denjenigen gnädig sein, die uns zuerst entdecken - denn ich werde es nicht sein."

Ihre Hoffnung, möglichst lange unentdeckt zu bleiben, endete bereits an der ersten Kreuzung, an der sich ihr Gang in drei weiter aufteilte. Dort lauerte bereits eine Horde Orks, die über sie herfiel, sobald sie Mathan, der mit Oronêl an der Spitze ging, zu Gesicht bekommen hatten. Oronêl riss Hatholdôr vom Gürtel, bereit einen Schwerthieb abzufangen - der niemals kam. Stattdessen stürmte einer der Orks geradewegs an ihm vorbei, und im nächsten Moment zertrümmerte Anastorias' Krähenschnabel ihm mit einer schnellen Bewegung den Schädel. Der junge Elb riss seinem Opfer die Spitze der Waffe aus dem Kopf, was den Schädel noch etwas weiter seine Form verlieren ließ. "Der scheint kein allzu großes Interesse an euch gehabt zu haben", sagte er zu Oronêl, während Mathan die beiden letzten Orks mit raschen Schwerthieben zu Boden schickte. 
"Laedor spielt ein Spiel mit uns", stellte Oronêl fest, und wischte ein Klümpchen grauer Masser von seinem Bein. "Er kann niemals erwartet haben, dass dieser kleine Trupp uns aufhält." Tatsächlich hatten nur Mathan, Anastorias und Finelleth gekämpft, und dabei keinen Kratzer abbekommen. "Er will uns müde machen", meinte Finelleth, und stieß ihr Schwert wieder in die Scheide, und Mathan lächelte. "Das kann er lange versuchen. Bis meine Tochter aus seinen Händen befreit ist, werde ich auch nach hundert Orks nicht müde sein."
"Er will uns nicht nur ermüden", erklärte Oronêl. "Diese Orks hatten es nicht auf mich abgesehen, sondern auf euch. Er wird möglichst viele von euch kampfunfähig machen wollen, bis wir auf ihn treffen, denn ich bin es, gegen den er kämpfen will. Vielleicht sollte ich am Schluss gehen, denn ansonsten könnten sie versuchen uns von hinten zu dezimieren." Mathan nickte zustimmend, und Oronêl blieb an der Wand stehen, bis der Rest der Gruppe an ihm vorbei war.

Wenig später erreichten sie eine Treppe, die zu ihrer rechten in die tieferen Teile der Burg führte. In der Zwischenzeit waren sie auf zwei weitere Trupps Orks gestoßen, die jeweils größer als der vorhergehende waren, und für die Oronêl nicht zu existieren schien. Inzwischen hatten einige von ihnen frische Wunden davongetragen, doch nichts ernstes und sie alle waren noch kampffähig. Während sie der Treppe nach unten folgten, fragte Oronêl sich, ob Laedor vielleicht die Größe der Gefahr unterschätzt hatte - oder ob er ein anderes, komplizierteres Spiel spielte. Er wurde aus seinen Gedanken gerissen, als Finelleth, die zu ihm zurückgefallen war, ihn ansprach: "Ich weiß was du vorhast."
Oronêl zuckte mit den Schultern. "Was habe ich vor?"
"Tu nicht, als wüsstest du nicht wovon ich spreche", meinte sie ernst, und drückte ihm unauffällig einen länglichen, runden Gegenstand in die Hand. Oronêl betrachtete ihn im Gehen: Es war eine kleine, elbische Flöte. "Spiel einen Ton darauf, wenn es soweit ist", erklärte Finelleth. "Und wir werden dich finden." Damit beschleunigte sie ihren Schritt wieder, und ließ ihn mit seinen Gedanken allein.

Immer tiefer drangen sie in die labyrinthischen Gänge Carn Dûms ein. Diese Festung konnte ein Heer aufnehmen, dass groß genug war den gesamten Norden zu überrennen, und selbst die Armee die Fornost angegriffen hatte, musste hier verloren gewirkt haben. Während sie durch die dunklen Gänge irrten, ohne ein Zeichen von Kerry, hinterließen sie immer mehr tote Orks, die inzwischen hinter nahezu jeder Ecke zu lauern schienen. Und gerade, als Oronêls Hoffnung allmählich zu schwinden begann, hörte er etwas aus dem Gang zu seiner Linken, ein leises Flüstern, ein Name: "Oronêl..." Er blieb auf der Kreuzung stehen, doch niemand seiner Gefährten schien es gehört zu haben, und sie eilten weiter in die Dunkelheit davon. "Sie ist hier...", schien es aus dem Gang zu flüstern, und für einen Moment verharrte Oronêl, unschlüssig ob er seine Gefährten aufhalten oder dem Ruf folgen sollte. "Dann soll es so sein...", sagte er leise, und schloss die Hand um die kleine Flöte, die Finelleth ihm gegeben hatte.
Leise folgte er dem linken Gang, und spürte sein Herz schneller schlagen, als er hinter einer Biegung ein flackerndes Licht sah.
Er schlich vorsichtig heran, spähte um die Ecke und trat schließlich in den von mehreren Fackeln erleuchteten, breiteren Gang hinaus. Einige Meter entfernt stand Laedor neben einer geöffneten, hohen Tür, und neben ihm - Kerry. Das Mädchen sah mitgenommen, aber unverletzt aus und aus ihren blauen Augen sprach der Schrecken, den sie während ihrer Gefangenschaft gesehen haben musste - doch weniger als Oronêl erwartet hatte. Da er nicht an Laedors Güte glaubte, musste Kerry stärker sein, als sie es auf den ersten Blick vermuten ließ.
"Oronêl!", rief Laedor, und ein höhnisches Grinsen verzerrte sein Gesicht. "Wie schön, dass du gekommen bist."
"Ich bin hier, Laedor", sage Oronêl, und griff Hatholdôr fester. "Und ich bin allein, wie du es wolltest. Also lass sie gehen."
"Was bedeutet sie dir schon?", fragte Laedor, und verstärkte seinen Griff um Kerrys Oberarm so sehr, dass das Mädchen vor Schmerz aufkeuchte. "Dieses kleine Rotkehlchen, dass seit Lórien mit dir herumschleppst. Sie ist doch nur ein Mensch."
Oronêl machte unauffällig einen Schritt nach vorne, und sagte mühsam beherrscht: "Du hast das falsche Mädchen entführt. Du wolltest Irwyne, doch du hast Ténawen Morilië Nénharma genommen, die Tochter Mathans und Halarîns. Also lass sie gehen, denn selbst wenn du mich tötest werden sie nie aufhören, dich zu jagen, und sie werden dich finden und töten."
Beim Klang von Kerrys elbischen Namen verzog Laedor verächtlich das Gesicht. "Sprich diese Namen nicht aus, Freund Oronêl", sagte er. "Sie passen nicht zu diesem kleinen Rotkehlchen, denn sie ist kein Elb, sondern ein Mensch."
"Doch du bist ebenfalls kein Elb", erwiderte Oronêl, während er einen weiteren Schritt näher kam. "Nicht länger. Du bist ein Ork, eine Kreatur der Dunkelheit."
Laedors Gesicht verzerrte sich zu einer wütenden Fratze. "Ich bin ein Elb, wie sie sein sollten, erhaben über alle anderen Wesen", zischte er. "Ich habe die Welt gesehen, wie sie ist, und wie sie sein wird. Ich habe die Wahrheit erkannt! Und du wirst erleben, wie deine Welt in den Flammen der neuen stirbt - und heute beginnt es."
Mit einer raschen Bewegung stieß er Kerry durch die offene Tür, und rief hinein: "Lasst die Trolle los." Und mit einem hässlichen Grinsen zu Oronêl fügte er hinzu: "Fresst, was übrig bleibt."
Als Laedor die Tür zuschlagen wollte, handelte Oronêl gedankenschnell. Er machte einen gewaltigen Satz nach vorne, von der Verzweiflung getrieben, doch er würde es nicht schaffen. Während er sprang, zog er Finelleths Flöte aus der Tasche, warf sie in Richtung der Tür und rief: "Spiel, Kerry!" Die Flöte fiel klappernd neben Kerry auf den Steinboden, in dem einen Herzschlag, bevor die Tür ins Schloss fiel.
"Glaubst du, das wird das kleine Rotkehlchen retten?", fragte Laedor höhnisch, und ließ sein gebogenes Schwert aus der Scheide fahren. "Lass uns tanzen, Freund Oronêl." Und er griff an.

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Kerry griff instinktiv nach dem Gegenstand, den Oronêl ihr zugeworfen hatte. Einer der Trolle ließ ein furchterregendes Brüllen hören und sie fuhr herum, mit vor Angst geweiteten Augen. Dann fiel ihr wieder ein, was Oronêl gerufen hatte, und sie setzte die Flöte an den Mund. Ein einzelner Ton drang heraus, gerade, als ein kurzer Moment der Stille eingetreten war. Er verhallte in dem Raum, in dem Kerry sich befand. Dann stürzten sich die Trolle auf sie.

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Mathan und Halarîn kämpften sich an der Spitze der Gefährten durch eine weitere, kleine Horde Orks. Hinter ihnen stand Adrienne, die ihnen den Rücken freihielt und für ihre eigene Sicherheit lieber verzichtete ganz vorne zu laufen. Mathan blickte kurz vor dem Zusammenprall mit den Orks zurück und sah Finelleth zusammen mit Faelivrin als Schlusslicht. Die Menschen hatten sie in die Mitte genommen, wo sie vereinzelte Gegner aus den Rücken der Anderen heraushielten.
Mit Brüllen und Kreischen stürzte die kleine Meute sich auf Mathan und Halarîn. Letztere wollte auch gerade losstürmen, als Anastorias sie an dem Arm festhielt. Ihr Gatte metzelte sich inzwischen durch ihre Feinde und durchtrennte Gliedmaßen, schnitt Köpfe ab und sprenkelte die Wände mit Blut. Er schien sich wieder im Zorn zu sein, doch ihr Urenkel hielt sie weiter fest.
"Bitte, das übernehme ich. Gönne dir etwas Ruhe und beschütze die Kleine.", er nickte zu Adrienne, die beleidigt die Wangen aufbließ. Einen kurzen Augenblick lang sah sie ihrem Urenkel in die blauen Augen, er gab ihr ein hinreißendes Lächeln und stapfte einfach los. "He! Urgroßvater, du kämpfst jetzt nicht alleine!", rief Anastorias laut und zog somit die Aufmerksamket von vier Orks auf sich, "Kommt nur her, ich verarbeite euch zu Brei!", sagte er schon fast fröhlich und Halarîn musste ihn wohl für einen Zwerg halten.
Der junge Elb überspielte seinen Eckel mit Humor und war schon gespannt darauf seinen ersten Feinden in Mittelerde seinen Hammer spüren zu lassen. Anastorias lockerte seine Muskeln und rollte die Schultern durch, während die Orks auf ihn zugestürmt kamen. "Ihr wollt spielen? Das kann ich auch!", rief er mit einem überheblichen Grisnen, womit er die Höflinge nachahmte.
Er zog seinen Schild über den Arm und spielte mit seinem Krähenschnabel, warf ihn auf und ab, während Mathan vor ihm einem Ork den Bauch aufschlitzte und in die offene Wunde nachstach. Und schon waren seine eigenen Gegner heran, der Schnellste von ihnen konnte nicht schnell genug ausweichen. Er schwang den Hammerkopf mit den spitzen Diamanten gegen den schrumpeligen Kopf. "Nummer eins!" Es gab ein platzendes Geräusch, zuckend und blutsprudelnd fiel der kopflose Körper zu Boden. Das Gehirn des Gegners landete an der Wand. Er und machte mit dem Schwung des Hammers eine Drehung und duckte sich dabei unter einem Schlag hinweg. Mit zusätzlichem Schwung führte er den Hammerkopf beim aufstehen beidhändig gegen den vorgebeugten Ork, der gerade zustechen wollte. "Nummer Zwei", sagte er und spürte wie die Waffe in den orkischen Brustkorb hämmerte, die Rüstung zerfetzte und dessen Knochen pulverisierte. Durch die Kraft des Aufschlags wurde der Körper nach hinten geschleudert und schlitterte den anderen Orks in die Füße, sie stolperten beide. Er nutzte die Gelegenheit und holte weit zur Seite aus und schlug mit dem Sporn mittig gegen den Rumpf des einen Orks. Es schmatzte widerlich als die Waffe in den Körper eindrang. "Drei und vier.", sagte er übermütig und machte eine Drehung mit dem aufgespießten Ork und traf den letzten seiner Gegner mit der Leiche, die dabei vom Sporn rutschte. Er warf einen kurzen Blick zu Mathan, der mittlerweile Unterstützung von dem Waldläufer Namens Valandur hatte, der keuchend im Gang stand, beide umgeben von Toten. Er schulterte den blutverschmierten Hammer und trat an sie heran, im Gehen ahnte er schon, dass Mathan nicht zufrieden war.
"Du hast dir Zeit gelassen", stellte er säuerlich fest und schleuderte das Blut von den Klingen, "Immerhin kannst du gut kämpfen. Vielleicht nur ein bisschen schneller nächstes Mal."
Anastorias lächelte und entschuldigte sich, da er zu übermütig geworden war. Er musterte die Anderen, die ihm immer wieder Blicke zuwarfen. Seine Großmutter wirkte ganz und gar königlich wütend, er wollte schon mit ihr sprechen, als ihm Etwas auffiel.
"War da nicht noch ein Waldelb? Oro...keine Ahnung?", fragte er in die Runde, die gerade ihr weiteres vorgehen besprachen, "Eben war er doch noch da."
"Stimmt, Oronêl fehlt", bestätigte Finelleth, die mit ihm die Nachhut gebildet hatte, "Falls er aber in schwierigkeiten kommen sollte, habe ich im eine Pfeife für den Notfa-..." Ihre Augen weiteten sich als genau in diesem Moment ein heller, durchdringender Flötenton erklang. "Sie fluchte leise.
"Los, schnell!", rief Mathan laut und sofort rannten alle in die Richtung, aus der die Flöte zu hören war, dabei überholte er alle anderen, "Wir kommen alle hier raus, mit Kerry!, sagte er entschlossen und Anastorias nickte grimmig. Er nahm den Krähenschnabel am Kopf und spurtete hinter ihnen her.

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Oronêl parierte Laedors mächtigen Hieb mit Hatholdôr. Sein Gegner starrte ihm in die Augen und zischte: "Gut. Du hasst mich. Ebenso sehr, wie ich dich hasse." Oronêl antwortete mit einem Hieb, der gegen Laedors Kopf gezielt war, doch dieser parierte mühelos und drängte ihn mit raschen Hieben den Gang entlang. Oronêl glaubte, über dem Geräusch ihres Kampfes einen einzelnen Flötenton gehört zu haben, doch vielleicht war es nur eine trügerische Hoffnung gewesen. Er spürte, dass er den Kampf verlieren würde, während Laedor ihn eine Treppe hinauftrieb, immer weiter fort von Kerry. Sein Gegner war noch immer stärker und schneller als er, und doch... dieses Mal war etwas anders. Oronêl hatte die Möglichkeit seines Todes angenommen, und spürte einen seltsamen Frieden. Er war ruhiger als bei ihren letzten Kämpfen, ganz im Gegensatz zu Laedor, den sein Triumph zu berauschen schien. Calenwens Medaillon auf seiner Brust fühlte sich warm an, als Oronêl einen Schwerthieb Laedors mit einem kräftigen Schlag konterte und seinen Feind mit einem Tritt gegen das Knie aus dem Gleichgewicht brachte. Doch so leicht ließ Laedor sich nicht besiegen. Er stolperte zurück, und riss mit der freien Hand einen Stein aus der brüchigen Wand. Ein Riss zog sich durch die Wand bis nach oben an die Decke - und endete direkt über Oronêl.
Er stieß einen Fluch aus, und warf sich zur Seite als ein Teil der Decke und Wand einstürzte, und Sternenlicht hereinließ. Von draußen waren Schreie und Kampfgeräusche zu hören, doch Oronêl hatte keine Zeit, sich darüber Gedanken zu machen. Ein größerer Mauerbrocken stürzte von oben herab, traf seinen linken Arm, der hörbar knackte, und quetschte seine linke Hand ein. Ein scharfer Schmerz schoss durch den Arm, und Oronêl wusste instinktiv, dass er gebrochen war.
Mit zusammengebissenen Zähnen schob er den Stein von seiner Hand, doch bevor er sich wieder aufrichten konnte war Laedor über ihm. Sein Gegner hatte sein Schwert verloren und blutete aus einer Platzwunde auf der Stirn, doch in seinen Augen glühte noch immer der gleiche entschlossene Hass wie zuvor.
"Du wirst sterben", zischte er, und führte mit seinem Dolch einen Stoß auf Oronêls Gesicht, den dieser gerade noch mit dem Griff seiner Axt, die er rechtzeitig wieder ergriffen hatte, abwehren konnte. Er rammte Laedor sein Knie gegen die Brust und befreite sich damit ein wenig, doch sein Feind griff augenblicklich wieder an. Inmitten der Staubwolke, die der Einsturz aufgewirbelt hatte, rangen sie miteinander, wobei Oronêls Vorteil den er durch Hatholdôr nun besaß durch seinen nutzlosen linken Arm wieder ausgeglichen wurde. Erneut waren sie einander ebenbürtig, und keinem gelang es, einen Vorteil zu erlangen.
Schließlich kamen sie zu einem Loch in der Mauer, das von einer Wand aus Eiszapfen verschlossen wurde, und in die Halle herunter führte, in die Laedor Kerry gestoßen hatte.
"Willst du sehen, was die Trolle mit dem kleinen Vögelchen gemacht haben?", keuchte Laedor. "Ich zeige es dir." Er deutete mit dem Dolch auf das Mauerloch, durch das schwache Kampfgeräusche drangen - oder, wie ein junges Mädchen von riesigen Trollen getötet wurde.
"Du hättest sie nicht entführen sollen", gab Oronêl angestrengt zurück, und spürte, wie  Wut und Verzweiflung die Kontrolle übernahmen. "Du hättest mich besiegen können - doch nicht jetzt." Mit mehr Kraft als er von sich selbst erwartet hätte, die Schmerzen ignorierend, stürzte er sich auf Laedor, und gemeinsam durchbrachen sie das Eis und stürzten in die Tiefe.

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Im Laufschritt eilten sie der Flöte entgegen und machten einige Orks nieder, die verwirrt über den Ton stehen geblieben war. Mathan lief an einem vorbei und erstach ihn von hinten durchs Herz, kurz warf er einen Blick zurück und stellte fest, dass alle dabei waren. Seine Familie und Kampfgefährten, sie machten alle verbissene Gesichter. Sein Blick hing kurz an Anastorias, der überraschend gut mit dem Krähenschnabel umging.
Eine größere Halle öffnete sich zum Gang hin und verdächtiger Lärm ertönte. Orks und vermutlich Schlimmeres, Größeres. Er steuerte den Raum an und wartete einen Moment, bis die Anderen aufgeholt hatten. Mathan gab zwei rasche Handzeichen, woraufhin Finelleth und Anastorias rechts und links von ihm postierten. Die beiden Waldläufer gingen zu Halarîn, während die Avari ihre Königin beschützten. Jeder blickte sich nochmal an und holte Luft, dann gab Mathan das Zeichen zum Angriff.
Die drei Elben stürmten in den Raum und landeten vor einer Horde Orks, die sich in einem großen, hohen Raum versammelten hatten. In der Mitte befanden sich zwei Trolle und... sein Herz machte einen Hüpfer und er musste an sich halten um nicht laut zu rufen. Die blonden Haare waren unverkennbar. Sogleich stürmte er los, der erste Gegner hatte nichts mitbekommen und sank mit durchschnittener Kehle zu Boden. Anastorias hämmerte dem nächsten Ork seinen Hammerkopf in den Rücken, woraufhin sich ein Tumult ausbreitete, der sich bis nach vorn zog. Ein Troll brüllte wütend auf und schleuderte einen Ork zur Seite, der zu nahe gekommen war. Das Ungetüm hob erneut die Hand um Kerry zu packen. Ein schwarz gefiederter Pfeil traf den Troll in die Hand, die er überrascht von dem unerwartete Schmerz zurückzog. Eine Bewegung ging durch die Orks, die nun ihre Gruppe bemerkt hatten. "Kommt nur!", schrie Mathan und gab sich gab den Kampfrausch hin.
Auf seinen Ruf hin bahnte sich ein Troll den Weg durch die Menge, er kam nur langsam voran und schien verwirrt durch den ganzen Tumult. Faelivrin und Halarîn schossen Pfeil um Pfeil und hinterten somit den zweiten Troll Kerry zu nahe zu kommen. Kurz lobte er sich die Zugkraft der elbischen Bögen und parierte mit gekreuzten Klingen einen schweren Hib gegen seinen Kopf. Er trat dem Ork die Beine Weg und im Fall zematschte der schwere Kopf des Krähenschnabels den Ork. Anastorias ließ neben ihm seine schwere Waffe kreisen und brach dutzende Knie. Dabei lachte er wieder übermütig und entlockte Mathan ein Stirnrunzeln. Er spießte zwei Orks gleichzeitig auf und sprang zurück um mehreren Hieben zu entgehen.

Faelivrin hatte einen Köcher bereits leergeschossen und war froh, noch ihren Zweiten zu haben. Erneut ließ sie einen Pfeil von der Sehne, der den zweiten Troll dort traf, wo das Ohr sein solte. Sie zischte unzufrieden, als der Pfeil ein paar Fingerbreit daneben ging und am dicken Schädel eine Schramme hinterließ. Wenigstens war das Biest zu abgelenkt um auf die arme Kerry einzudreschen. Lange würde das aber auch nicht mehr gutgehen. Kaum hatte sie das gedacht, wichen einige Orks zurück und der erste Troll stand nun Mathan gegenüber. Zwei Elbenschwerter gegen eine große Keule mit einem riesigen Steinsporn. Der Troll holte aus und verfehlte ihren Vater um einen Meter, dieser rammte beide Klingen gegen die Sehnen an den Füßen. Er traf nicht richtig und musste einen Hechtsprung zur Seite machen, als der Troll wütend nach ihm schlug. Bis zusammengebissenen Zähnen schoss sie wieder auf den zweiten Troll, der sich nun nach dem Pfeilhagel umsah. Ihr Pfeil traf ihm ins Auge und er brüllte vor Schmerz auf. Der Troll taumelte zurück und stieß hart mit dem Schädel gegen einen Metallstrebe. Es rumpelte es und kleinere Brocken fielen von der Decke.

Anastorias eilte seinem Urgroßvater zu Hilfe und sprang den Troll von hinten an, der gebogene Sporn bohrte sich tief in den Rücken des Fleischbergs und blieb stecken. Fluchend hielt er sich an dem Stiel fest, während der Troll versuchte ihn abzuschütteln. Mathan nutzte die Gelegenheit undzerschnitt mit einem kräftigen beidhändigen Hieb die Sehnen am rechten Fuß, der sofort einknickte. Dafür konnte er jedoch der flachen Hand des Trolls nicht mehr ausweichen und kassierte eine harten Schlag, der ihn durch die Luft segeln ließ. Er prallte gegen ein paar Orks, die sich ängstlich zurückgezogen hatten und nun aus der Halle liefen. Benommen schüttelte er den Kopf und tastete nach seinen Schwertern, konnte jedoch nur eine Klinge finden. Er fluchte und sah zum hockenden Troll, der jetzt wie wild versuchte Anastorias abschütteln, dessen Krähenschnabel sich nicht lockerte. Er fasste einen bescheuerten Plan und blickte sich um; Faelivrins Leibwachen wehrten tapfer dutzende Orks mit ihren Schildern ab, einzig Súlien und Valandur hatten Probleme Halarîn zu beschützen, die nun selbst im Nahkampf war. Verwirrt suchte er Finelleth, fand sie aber nicht. Grimmig packte er sein Schwert und erhob sich, während der Troll seine Keule fallen ließ und nach dem jungen Elb griff. Ein Wurfmesser hielt ihn davon ab, scheinbar hatte sie nur darauf gewartet. Mathan schlug einem Ork die Faust ins Gesicht und dem Anderen den Schwertknauf gegen den Hals. Röchelnd ging er zu Boden. Er rannte den nächsten Gegner davon und legte einen kurzen, aber sehr heftigen Sprint hin. Kurz kamen ihm Zweifel, die er sofort verdrängte und er hielt auf den großen Trollrücken zu und sprang. Seine Stiefel berührten den Troll kaum, da hatte er sich schon wieder abgestoßen und wurde durch den zappelnden Troll nach vorn katapultiert. Dieser versuchte mit einem Schnauben ihn noch zu packen, doch war zu langsam. Der Elb segelte durch die Luft und legte eine weitere Strecke hin als gedacht. Mit einem harten Schlag prallte er gegen die Wand über dem benommenen Troll und brachte damit einen Teil der Decke zum Einsturz. Die stählerne Querstreben fiel zusammen mit ihm herab und zerschmetterten dutzende Orks und begrub den benommenen Troll unter sich. Mathan bekam mehrere harte Stöße ab, etwas Scharfes schnitt ihm über die Unterarme, die er schützend vor dem Kopf hielt. Ein heftiger Stoß in den Magen raubte ihm den Atem. Dann war es vorbei, er lag in einer Staubwolke und mit kleinen Trümmern bedeckt. Der Troll schnaubte und stemmte sich gegen das Gewicht der Strebe, die er langsam hochstemmte. Das Ungetüm warf ihn einem hasserfüllten Blick und war scheinbar mächtig sauer auf ihn. Der Elb rollte sich stöhnend zur Seite und erhob sich schwanken, die Klinge glücklicherweise noch immer in der Hand.
"Niemand bedroht meine Familie", sagte er kalt und rammte dem Troll sein Schwert in die Kehle, zog es heraus und stach von unten durch das Maul in das Gehirn. Sofort fiel die Strebe nieder und zertrümmerte mit einem lautem Knacken den Brustkorbs des toten Trolls.

Anastorias war zu sehr von dem Sprung Mathans gefesselt gewesen und wurde nach dem Fall der Metallstrebe samt seinem Krähenschnabel davongeschleudert. Der Troll brüllte wütend und wollte auf Faelivrin losgehen und humpelte geschwächt auf sie zu. Ihre drei Gardisten umkreisten den Troll und stachen mit ihren Speeren und dem Zweihänder auf ihn ein. Er schlug wütend zur Seite und erwischte einen der Avari, der gegen die Wand geschleudert wurde und benommen liegen blieb. Anastorias eilte dem Elb zu Hilfe, da einige verbliebende Orks ihn niederstechen wollten. Er sprang nach vorn und warf dabei seinen schweren Krähenschnabel. Mit einem Knirschen fand die schwere Waffe sein Ziel und blieb in dem, was von dem Kopf übrig war liegen. Er rannte hinterher und wehrte einen Schwerthieb eines Orks mit seinen eisernen Armschützern ab. Als Antwort rammte er dem kleinen, grünen Viech seinen Armschild in das Gesicht und zertrümmerte sämtliche häßlichen Züge. Der nächste Ork stach nach seinen Beinen und zerschnitt ihm die Lederhose. Ein überraschender Hieb von hinten schleuderte ihn nach vorn. Valandur taumelte an ihm vorbei, Blut prangte an seiner Stirn. Sie blickten sich kurz an, ehe der Waldläufer dem Ork, der zuvor Anastorias angegriffen hatten den Kopf abschlug. "Alles in Ordnung?", fragte er den Menschen, der sich den Kopf hielt und abwinkte. "Geht schon." sagte dieser und kehrte zurück zum Troll, der noch immer um sich schlug. Er blutete aus dutzenden Wunden und war durch den hohen Blutverlust deutlich geschwächt, trotzdem verzieh solch ein Gegner er keine Unachtsamkeit.
Anastorias kniete sich neben den Gardisten und half ihm auf die Beine. "Danke, mein Herr", sagte Asea benommen und hielt sich den Arm vor die Brust.
"Nicht der Rede wert. Alles noch dran?", fragte er. Sie schüttelte den Kopf und hielt sich den Arm, der offensichtlich gebrochen war. "Vorsicht!", schrie sie und ließ sich zu Boden fallen, wohin sie ihn mitzog. Kurz darauf krachte die schwere Keule über ihren Kopfen in die Wand und blieb dort mit dem Sporn stecken. Steine und Schutt regnete auf sie herab, er blinzelte und erblickte die wenigen Orks, die etwas unschlüssig umherliefen. Finelleth tauchte aus dem Staub auf und kümmerte sich wortlos um die Verletzte, die Waldelbe nickte ihm zu. Entschlossen packte Anastorias seinen Krähenschnabel und bemerkte einige Schnitten an Armen und Beinen. Blut lief ihm ins Auge, doch er ignorierte es. Nun war er richtig sauer, denn niemand verletzt eine Frau, denn sie sind zum beschützen da. Der Troll befand sich nun auf allen Vieren und verhinderte mit beinahe lächerlichen Bewegungen, dass man ihm zu nah kam. Dabei bemerkte der Elb, dass in der anderen Ferse die Waffen von Finelleth steckten. Gerade wischte der Troll wieder über den Boden und zwang die beiden Gardisten und Faelivrin zurück zu weichen. Lautlos schlich sich der Elb von hinten an den Troll heran, mit einem beiläufigen Rückhandhieb zerschmetterte er das Gesicht eines angreifenden Orks. "Keine Zeit zu spielen"; murmelte er und hielt den Krähenschnabel so über seinem Kopf, dass er an seinen Rücken stieß. Stumm rannte er los, zwischen den Beinen des Trolls hindurch und holte mit aller Kraft weit aus. Er traf etwas Ledriges, das kurz nachgab aber dann vor seiner Kraft kapitulierte. Der Troll brüllte laut auf und rollte sich zur Seite auf den Rücken, wobei er Anastorias von sich schleuderte. Der Krähenschnabel steckte zu Hälfte im Kopf des Ungetüms und er bewegte sich noch immer, doch wurde dabei immer langsamer. Vereinelt griffen die Orks immer wieder an, jedoch nicht mehr so entschlossen wir zuvor. Plötzlich klirrte Etwas weit über ihren Köpfen und alle blickten nach oben.

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Oronêl und Laedor landeten hart auf dem Steinboden, doch Oronêls Fall wurde durch Laedor ein wenig gebremst. Sofort setzte er Laedor, dem ein dünner Blutfaden aus dem Mundwinkel lief, die Klinge seiner Axt an die Kehle und sah sich in der Halle um. Ein dünner Staubschleier lag in der Luft, und überall lagen tote Orks verstreut - und auch zwei mächtige Trolle. Einige wenige Orks standen noch, wurden jedoch rasch von den Elben zusammengetrieben und getötet. Nur wenige Meter entfernt sah er Kerry, die äußerst mitgenommen wirkte, aber lebte, und Erleichterung durchströmte ihn.
"Oronêl", hörte er Laedor schwach sagen. "Ich sehe die Sterne." Durch einen Riss in der Decke schien ein wenig schwaches Sternenlicht hinein. Oronêl sagte nichts, und nahm auf die Klinge nicht von Laedors Kehle. "Oronêl...", sagte dieser wieder. "Kannst du mir verzeihen?" Einen Herzschlag lang sah Oronêl seinem ehemaligen Schüler in die Augen, dann antwortete er: "Nein." Er fuhr herum, und trennte mit einem einzigen Hieb Laedors Hand, die sich gerade in seinem Rücken wieder um den Griff seines Dolches geschlossen hatte, am Gelenk ab. Laedor keuchte vor Entsetzen und Schmerz auf, und Hatholdôrs Klinge sprühte Funken, als sie auf den Steinboden traf. Oronêl blickte auf, und sah Mathan auf sich zukommen, die von Orkblut schwarz gefärbten Schwerter in den Händen. "Und hier ist noch jemand, der das nicht kann...", sagte er, und richtete sich mühsam auf, wobei ein Schmerz wie Feuer durch seinen gebrochenen Arm schoss. "Er gehört dir, Schwertbruder. Lass ihn leiden, aber nicht zu lange - irgendetwas geht hier vor, und wir sollten schnellstmöglich wieder verschwinden."
"Nur zu gerne", erwiderte Mathan mit Feuer in den Augen. Während Oronêl langsam auf Kerry zuging, hörte er hinter sich Laedor einen ersten Schmerzensschrei ausstoßen.
Oronêl kniete vor dem Mädchen, das neben Halarîn auf dem Boden an ein Trümmerteil gelehnt saß, nieder, und nahm ihre rechte Hand ihn seine. "Es tut mir Leid, was du erdulden musstest", sagte er leise. "Ich hoffe, du kannst mir verzeihen."
Kerry schüttelte nur den Kopf, zunächst sprachlos. "Ihr seid gekommen", hauchte sie dann. "Ihr seid wirklich alle gekommen. Ich habe es gewusst."
"Wir würden unsere Tochter niemals im Stich lassen", sagte Halarîn liebevoll, und strich Kerry über die blonden, zerzausten Haare.
"Und ich niemals eine Freundin", ergänzte Oronêl leise, und Kerry lächelte. Dann schlug sie entsetzt eine Hand vor den Mund. "Oh, Oronêl - dein Arm."
"Er ist gebrochen, ich weiß", erwiderte Oronêl ächzend. "Aber das wird heilen." "Und deine Finger", wisperte Kerry, und ihre Augen weiteten sich. "Sie sind..."
Zum ersten Mal seit dem Einsturz betrachtete Oronêl seine linke Hand genauer, und der Anblick verursachte ihm leichten Schwindel. Der Ring- und kleine Finger waren von dem Stein offenbar voll getroffen und zerquetscht worden. Beide waren flach gedrückt und hingen nur noch schwach an der Hand.
"Oh", machte Oronêl nur, und atmete tief ein. "Nun, da ist wohl nicht mehr viel zu retten." Es war ein merkwürdiges Gefühl, in so vielen Schlachten gekämpft zu haben und nie ein Körperteil verloren zu haben - um jetzt nach so vielen Jahren, zwei Finger zu verlieren. "Ich kann es machen", sagte Finelleth, die neben ihm in die Hocke gegangen war, und Oronêl nickte mit zusammengebissenen Zähnen. "Was machen?", fragte Kerry verwirrt, doch dann schien sie zu begreifen. "Nein. Es muss einen anderen Weg geben!"
Trotz der Schmerzen, die jetzt auch in seinen zerstörten Fingern pulsierten, musste Oronêl lächeln. Menschen waren erstaunlich, und Kerry in diesem Moment ganz besonders. Sie saß hier, inmitten einer feindlichen Festung nach Tagen der Gefangenschaft, und machte sich mehr Sorgen um ihn als er selbst. "Es gibt keinen", sagte er schlicht, legte die Hand flach auf den Boden, und sagte zu Finelleth: "Bitte nimm die richtigen."
"Für wen hältst du mich?", fragte sie, ihr Dolch fuhr herab. Ohne es verhindern zu können stieß Oronêl einen kleinen Schmerzenslaut aus, und schloss die Augen. Als er sie wieder öffnete, vermied er es seine auf dem Boden liegenden Finger anzusehen, und sagte mit gepresster Stimme: "Sobald... sobald wir unsere Wunden verbunden haben, sollten wir fliehen. Es gibt noch viel mehr Orks hier, fürchte ich - und mehr werden kommen."

Mathan-Parts von Curanthor, natürlich ^^

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