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Autor Thema: Die Kalevin-Küste  (Gelesen 3375 mal)

Fine

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Die Kalevin-Küste
« am: 12. Mär 2017, 13:59 »
Cyneric und Salia aus Gortharia


Die Straße, die Gortharia nach Osten verließ und zur südöstlichen Bucht des Meeres von Rhûn und zum dahinter liegenden Fürstentum Dervesalend führte, verlief größtenteils in Sichtweite der Küste. Hin und wieder entdeckte Cyneric in der Ferne Schiffe, bei denen es sich seiner Einschätzung nach um Fischerboote handeln könnte. Sie trafen auf der Straße immer wieder auf andere Reisende, die Cyneric mit gebührendem Respekt begegneten. Salia erklärte ihm, dass die Menschen in dem Gebiet, das sie gerade durchquerten, zu den loyalsten Untertanen des Königs gehörten. Den Grund dafür konnte die Schattenläuferin ihm jedoch nicht sagen.
"Das war schon immer so," sagte sie etwas ratlos während sie im Schritttempo die Straße in östlicher Richtung entlang ritten. "In Rhûn weiß so ziemlich jedes Kind, dass der König an der Kalevin-Küste immer geachtet wird. Vielleicht liegt es an der Erziehung, oder es ist das Meerwasser, das sie hier trinken... ich weiß es nicht."
"Sie trinken das Meerwasser? Ist das nicht viel zu salzig?" wunderte sich Cyneric.
"Nicht wenn man es abkocht und verdampfen lässt. Die Kaleviner sind nicht umsonst für ihr Salz bekannt, dass sie aus dem Meerwasser gewinnen. Wasser gibt es hier im Überfluss, und sie spalten es in Salz und Trinkwasser auf. Beides können sie gut gebrauchen und verkaufen. Hier geht es den Leuten daher vergleichsweise gut... und umso schwieriger wird es für uns, sie davon zu überzeugen, dass der König verschwinden muss."
"Moment mal," unterbrach Cyneric. "Ich dachte, meine Aufgabe ist es, den Leuten zu helfen."
"Offiziell schon. Aber du weißt doch, welches Ziel Merîl und die anderen haben. Die Fürsten sollen dran glauben, und dann der König. Damit die Ordnung wiederhergestellt wird."
"Ich glaube eher, dass das das Land ins vollständige Chaos stürzen würde," meinte Cyneric."
"Ja, das würde es," bestätigte Salia achselzuckend. "Aber das ist es, was die Schattenläufer wollen."
"Chaos? Wirklich? Merîl will also nicht selbst die Macht ergreifen?"
Salia schüttelte den Kopf. "Ihre Ziele sind selbst für mich ein Mysterium. Weißt du, seit meiner Ankunft in Gortharia haben sie mir diese Tränke verabreicht, die einen ganz seltsam im Kopf machen und Gedanken und Gefühle unterdrücken. Ich glaube, du hast selbst schon erleben dürfen, wie sich das anfühlt. Und jetzt wo wir die Stadt für ein paar Tage verlassen kann ich zum ersten Mal seit Wochen wieder klarer denken."
"Wie lange bist du denn schon in der Stadt gewesen?" fragte Cyneric und lenkte sein Pferd wieder zurück auf die Straße, von der es etwas abgekommen war als es einem aus der Gegenrichtung kommenden Reiter auswich.
"Ich kam mit dem Heer, das vom Erebor heimkehrte in die Stadt. Ryltha und Morrandir haben mich in Thal... rekrutiert," antwortete Salia und verzog das Gesicht. Sie schien mit diesem Fakt nicht sonderlich zufrieden zu sein.
"Wo kommst du denn ursprünglich her?"
"Aus der Umgebung von Thal. Ich lebte bei meinem Onkel, der in der Stadt mit Waffen handelte... bis die Ostlinge angriffen."
"Und wie bist du dann bei den Schattenläufern gelandet?" wunderte sich Cyneric.
"Du fragst zu viel," wehrte Salia ab. "Du brauchst nur eins zu wissen: Ich werde den König von Rhûn töten, denn er ist für den Tod meiner Familie verantwortlich. Deswegen tue ich, was ich tun muss. Und jetzt genug der Nachfragerei. Erzähl mir lieber von dir, Eorling. Was macht ein Reiter von Rohan so weit weg von zuhause?"
"Nun, sicherlich hat dir Ryltha bereits alles über mich erzählt, was es zu wissen gibt," meinte Cyneric. Am Horizont war ein kleines Dorf am Straßenrand aufgetaucht, und er hielt nun darauf zu.
"Ich möchte es aber von dir hören," beharrte Salia. "Wieso bist du hier?"
"Auf Befehl meines Marschalls," gab Cyneric zu und blickte sich vorsichtig um. Doch es war niemand in Sicht, der sie belauschen konnte. "Ich sollte die Stärke der Armee Rhûns auskundschaften und abschätzen, ob aus dem Osten in naher Zukunft eine Bedrohung für die Riddermark besteht."
"Ha! Eher friert das Rhûnenmeer zu, bis der König einen weiteren Angriff befiehlt!" lachte Salia. "Dieser Feigling hat sich in seinem protzigen Palast verschanzt und sieht überall Verräter. Und der Rat der Zehn ist viel zu uneins, um irgendwelche richtungsweisenden Entscheidungen zu fällen. Außerdem, sollte es wirklich wieder Krieg geben, wird er an anderen Grenzen ausbrechen. Im Norden zum Beispiel, wo die Zwerge Feuerfausts den Boten des Königs mit Beleidigungen abgewiesen haben. Oder im Osten, wo es Gerüchte über wilde Reiterhorden gibt, die plündern und brandschatzen. Außerdem hört man immer wieder von Spitzohren, die nachts im Verborgenen nach Westen ziehen. Du siehst also, es gibt in Gorans Reich genug Ablenkungen. Rohan ist nicht in Gefahr."
"Dasselbe hat Ryltha auch gesagt, und hat meine Gefährten mit dieser Nachricht zuruück zu Erkenbrand geschickt," sagte Cyneric, der das langsam näher rückende Dorf im Blick behielt.
"Also ist dein Auftrag eigentlich erfüllt," schlussfolgerte Salia. "Was hält dich also noch hier? Ist es Anntírad?"
"Anntírad?"
"Der Brunnen," erklärte Salia. "Ich war dabei, als du hineingesehen hast."
"Ja. Ich meine, nein, nicht direkt. Vielmehr das, was ich darin gesehen habe."
"Deine Tochter. Die hübsche Blonde. Ich hab' sie auch gesehen."
"Dann weißt du, dass ich mehr darüber herausfinden möchte, was ihr zugestoßen ist, und vor allem, wo sie jetzt gerade ist," erklärte Cyneric offen.
"Du willst sie also finden?"
"Natürlich will ich das. Ich will sie finden, und in Sicherheit bringen. Wenn sie das möchte. Ich habe sie so lange nicht gesehen... ich hoffe, dass sie mich überhaupt noch erkennt. Sie müsste jetzt ungefähr in deinem Alter sein, Salia."
Salia nickte leicht. "Nun, ich wünsche dir viel Erfolg bei deiner Suche, Eorling. Jetzt solltest du dich aber auf deine Rolle als Gesandter des Königs konzentrieren." Sie wies nach vorne, denn das Dorf war schon ganz nahe.

Nebeinander ritten sie in das Dorf hinein, das direkt am Strand lag. Die Häuser waren aus dem dunklen Holz der Bäume in der Nähe erbaut worden und waren mit Stroh gedeckt. Am Ufer ankerten zwei Fischerboote, und Netze lagen am kleinen hölzernen Kai aus. Schnell versammelte sich eine kleine Menschenmenge um die Neuankömmlinge herum, denn die Dorfbewohner erkannten sogleich, um wen es sich bei ihrem Besucher handelte.
"Gesandter!" rief ein Mann, bei dem es sich um den Dorfvorsteher handeln musste. Er hatte erautes Haar und einen beeindruckenden Bart. "Du kommst gerade rechtzeitig! Es gibt Arbeit für dich."
"Sei gegrüßt, guter Mann," antwortete Cyneric und stieg aus dem Sattel. "Was ist los? Wobei braucht ihr meine Hilfe?"
"Banditen plagen unser Dorf seit Tagen," erklärte der ältere Mann. "Sie kommen jeden Tag zur Mittagszeit, und nehmen alles mit, was sie tragen können. Wir haben zu wenige Waffen, um sie abzuwehren."
"Wie viele sind es denn?" fragte Salia.
"Ungefähr zwei Dutzend! Sie haben Bögen und Speere, und schrecken vor keiner Grausamkeit zurück. Einer von uns wollte sich ihre Unverschämtheiten nicht gefallen lassen - da haben sie ihn auf einem spitzen Pfahl aufgespießt und uns unter Androhung des Todes verboten, die Leiche zu entfernen!" Er deutete hinter sich, wo in der Mitte des Dorfs tatsächlich ein Gepfählter zu sehen war.
Cyneric verzog ergrimmt das Gesicht. "Bis Mittag sind es nur noch wenige Minuten, meiner Einschätzung nach. Wenn ich euch helfen soll, gute Leute, dann müsst ihr euer Dorf auf einen Kampf vorbereiten. Holt alle Waffen her, die ihr finden könnt. Alle, die nicht kämpfen können, sollen sich in ihren Häusern einschließen. Der Rest versteckt sich und wartet auf mein Zeichen. Salia - du postierst dich dort, auf dem Balkon der Scheune da drüben. Sieh zu, dass du deine Pfeile nicht verschwendest." Salia nickte entschlossen und eilte in Richtung der Scheune davon, die Armbrust bereits in der Hand. Cyneric nahm seine Hellebarde und stellte sich in die Mitte des Dorfs, während sich die bewaffneten Dorfbewohner zwischen den Häusern und in der Umgebung versteckten.
"Alles ist bereit," rief ihm der Dorfälteste schließlich zu und gesellte sich zu ihm. "Ich werde hier mit dir warten. Ich bin für diese Leute verantwortlich."
"Also gut," sagte Cyneric. "Aber wenn es zum Kampf kommen sollte, hältst du dich hinter mir." Der Mann nickte bestätigend.

Sie mussten nicht lange warten. Nur wenige Minuten nach ihrem Gespräch erklang raues Gelächter von Süden, und die Banditen tauchten auf. Es waren ungefähr zwanzig grobe Kerle, schmutzig und verschlagen. Sie brauchten nicht lange, um Cyneric zu entdecken.
"He, seht euch den mal an!" rief einer der Banditen und winkte den Rest herbei.
"Da soll mich doch ein Pferd treten," knurrte ein anderer. "Ein Gesandter!"
"Ich will seinen Helm!" rief ein dritter. Schon hatten sie Cyneric und den Dorfältesten umstellt.
"Was ist hier los?" rief eine ungehaltene Stimme im Befehlston. Der Anführer der Banditen trat auf, ein muskelbepackter Krieger, der eine eisenbeschlagene zweihändige Keule über die Schulter gelegt trug.
"Hier kehren heute wieder Frieden und Ordnung ein, das ist los," gab Cyneric ungerührt zurück und hielt die Hellebarde griffbereit.
"Sagt wer? Du etwa? Ha! Du magst ein Gesandter sein, aber du bist allein, bis auf diesen Wicht, der sich so feige hinter dir versteckt. Na los, Jungs, schnappt ihn euch. Aber macht seine Rüstung nicht allzu sehr kaputt!"
"Du irrst dich," erwiderte Cyneric. "Ich bin nicht allein."
Ein Surren erklang, und der Anführer der Banditen stürzte, von einem eisernen Bolzen ins Auge getroffen. Und während die Banditen noch dabei waren, sich von dem Schreck zu erholen, gab der Dorfvorsteher das verabredete Signal, und die versteckten Dorfbewohner gingen zum Angriff über. Salia streckte weitere Ziele mit ihrer Armbrust nieder, und auch wenn bei weitem nicht jeder Schuss ein Treffer war, befand Cyneric hinterher doch, dass sie maßgeblich zum Erfolg beigetragen hatte. Er selbst schwang die Hellebarde in einem weiten Bogen und riss einen Banditen von den Beinen. Und kurz darauf war bereits alles vorbei. Fünf Angreifer waren tot, der Rest war gefesselt und gründlich verprügelt worden.

"Wie können wir dir jemals danken, Gesandter?" fragten die Dorfbewohner ihn.
"Dankt nicht mir, sondern meiner Begleiterin," antwortete Cyneric. "Sie hat den Anführer erschossen, und das hat den anderen ihren Mut geraubt."
"Hab' Dank, Mädchen," sagte der Dorfvorsteher zu Salia. "Du wirst uns hier im Dorf immer willkommen sein.
"Schön," meinte Salia. "Es war gut, etwas Zielschießen zu üben. Aber der Gesandte und ich sollten jetzt weiterziehen."
"Ja, das sollten wir," bestätigte Cyneric. Sie sattelten auf und verließen das Dorf, um der Küstenstraße weiter nach Osten zu folgen.
« Letzte Änderung: 5. Nov 2019, 12:21 von Fine »
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In der Stadt Varek
« Antwort #1 am: 13. Mär 2017, 21:20 »
Drei weitere Tage folgten sie der Küstenstraße nach Osten, bis in der Ferne die südöstliche Bucht des Meeres von Rhûn auftauchte. An der Stelle, wo sich das südliche und das östliche Ufer des Meeres trafen, hatten die Könige von Gortharia einen hohen Leuchtturm errichten lassen, und um diesen Turm herum war mit den Jahren eine kleine Stadt gewachsen, die Varek genannt wurde. Die Häuser hier bestanden aus dem hellen Stein der umliegenden Klippen und besaßen Dächer aus Ziegeln. Eine hölzerne Palisade umschloss die Stadt und die drei Tore wurden von Männern mit Speeren und Schilden bewacht. Die Wachen trugen dieselbe Rüstung wie die Stadtwachen von Gortharia und Cyneric vermutete, dass sie man sie aus der Hauptstadt hierher entsandt hatte. Als er ans Westtor geritten kam, winkten ihn die Wachen sogleich durch als sie ihn als Gesandten erkannten.
"Gut dass du kommst, Gesandter," meinten die Goldröcke. "Es gibt Arbeit für dich."
"Worum geht es?" fragte Cyneric.
"Rechtsprechung," wurde die Frage beantwortet. "Der hiesige Richter ist zurzeit verreist, aber als Gesandter steht es in deiner Macht, Urteile zu fällen wenn die Situation es verlangt."
Die Männer baten Cyneric, ihnen zu folgen und führten in über die Hauptstraße bis zum zentralen Platz der Stadt. Dort war ein großer Galgen aufgebaut worden. Die betroffenen Leute wurden herbeigerufen, während man Cyneric in der Zwischenzeit die genaueren Umstände erklärte. "Es hat in der letzten Zeit vermehrt Diebstähle in Varek gegeben. Dabei werden hauptsächlich Nahrungsmittel gestohlen, aber in letzter Zeit machen die Diebe auch vor Geld und anderen Wertgegenständen nicht mehr halt. Die Bauern und Händler haben besonders darunter zu leiden. Aber gestern ist es uns endlich gelungen, den Kopf der Bande zu fassen, die dafür verantwortlich ist. Sie hat die Nacht in Eisen verbracht."
"Sie?" wiederholte Salia. "Es steckt also eine Frau hinter den Diebstählen?"
"Ja. Nennt sich selbst Habicht, nach den großen Greifvögeln, die man hier ab und zu sieht. Hält sich für besonders clever. Du wirst es gleich sehen."

Zwei Gefängniswärter zerrten die gefesselte Frau herbei, während sich um sie herum eine Menschenmenge ansammelte. Der Habicht trug einen Sack über dem Kopf, den die Wachen erst wegrissen, nachdem man sie bis zum Galgen geschleift hatte. Darunter kamen lange dunkle Haare zum Vorschein, und ein auf Cyneric erschreckend jung wirkendes Gesicht - sie kam ihm sogar jünger als Salia vor.
"Habt ihr es euch endlich überlegt, Jungs?" rief sie trotzig. "Jetzt also doch der Galgen?"
"Halt dein freches Maul!" knurrte einer der Gefängniswärter und versetzte ihr einen Faustschlag. Getroffen krümmte sie sich zusammen.
"Wie lautet die Anklage?" fragte Cyneric und trat dazu, um die Wächter von weiteren Gewalttaten abzuhalten. Er sah aus den Augenwinkeln, wie Salia bereits nach ihrer Armbrust tastete. Sie spürte ebenfalls die Anspannung, die in der Luft lag, denn die Menschen beobachteten aufmerksam, was vor sich ging. Eine falsche Bemerkung konnte jetzt schlimme Folgen haben, befand Cyneric.
"Dreister Diebstahl!" antworteten die Wachen. "Über mehrere Wochen hin. Wir sollten sie aufhängen, dann ist Schluss damit!"
"Nun, das ist eine Möglichkeit," sagte Cyneric vorsichtig. "Ich kann jedoch nicht nur aufgrund von Anschuldigungen ein solches Urteil verhängen. Habt ihr Beweise, dass sie es war?"
"Wir alle sind Zeugen!" rief ein anderer Wächter. "Sie und ihre Bande sind immer frecher geworden und haben irgendwann sogar direkt vor unserer Nase gestohlen!"
"Also gut. Dann würde ich jetzt gerne mit der Angeklagten sprechen," sagte Cyneric. "Was hast du zu deiner Verteidigung zu sagen, Habicht?"
Sie warf ihm einen abschätzenden Blick zu. "Du siehst nach einem anständigen Kerl aus, Gesandter. Würdest du mir glauben, wenn ich dir sage, dass ich all das Essen nicht für mich und meine Leute gestohlen habe?"
"Möglich," antwortete Cyneric. "Gibst du die Taten also zu?"
"Selbst ein Kleinkind könnte diesen Nichtsnutzen alles Mögliche stehlen," höhnte sie. "Ja, ich war es. Aber ich hatte einen guten Grund!"
"Hör nicht auf sie, sie lügt wenn sie nur den Mund aufmacht!" meinte einer der Stadtwächter.
"Das werde ich entscheiden," befand Cyneric. "Ich muss diese Entscheidung gut überdenken und die Gefangene gründlich verhören. Alleine. Gibt es ein Haus, wo ich ungestört sein kann?"

Man zeigte Cyneric und Salia ein verlassenes Haus, das nur wenige Minuten vom zentralen Platz Vareks entfernt stand. Während die Wachen die Gefangene ins Innere bugsierten, raunte Cyneric Salia zu: "Sieh zu, ob du mehr herausfinden kannst, weshalb diese Goldröcke hier sind. Wir treffen uns in zwei Stunden wieder hier." Sie nickte und eilte davon. Cyneric schloss die Tür des Hauses hinter sich und setzte sich gegenüber des Habichts auf einen wackeligen Holzstuhl. Man hatte ihr ebenfalls einen Stuhl zur Verfügung gestellt, sie aber daran angebunden.
"Also gut, Habicht. Ich bin geneigt, mir deine Geschichte anzuhören," begann Cyneric. "Zunächst eines: Wie heißt du wirklich, und was soll dieser Vogelname?"
"Wüsste nicht, was dich das angeht," gab sie patzig zurück.
"Es geht mich etwas an, weil dein Leben in meiner Hand liegt. Wenn du ehrlich zu mir bist - und zwar in Allem - können wir uns vielleicht einigen."
Sie seufzte und gab den Widerstand auf. "Ich heiße Tyra. Aus Dervesalend. Habicht nennen mich meine Leute, weil ich besonders verwegen bin."
"Nun, Tyra aus Dervesalend, dann erzähle mir von den Diebstählen. Du hast gesagt, du hast nicht für dich selbst gestohlen. Für wen dann?"
"Bist du im Krieg gewesen? Vielleicht sogar in der Schlacht um den Zwergenberg?" fragte Tyra. "Nein, danach siehst du nicht aus. Du hast den Schatten nicht gesehen, der die Armeen des Königs jetzt anführt. Aber viele andere schon, Männer und Frauen, die zum Kriegsdienst gezwungen wurden. Einige von ihnen hatten genug davon. Also desertierten sie, und holten ihre Familien aus Gortharia heraus, unter Lebensgefahr. Auf Desertion steht die Todesstrafe, wie du weißt. Sie haben in der Nähe eine kleine versteckte Siedlung errichtet, aber noch können sie sich nicht selbst versorgen und müssen Hunger leiden."
"Und was geht dich das an?" fragte Cyneric, obwohl ihm bereits ein Verdacht gekommen war.
"Ich helfe den einfachen Leuten, wenn sie in Not sind. Und ich bin nicht alleine." Sie strich sich die Haare aus der Stirn und dabei wurde eine schwarze Zeichnung auf ihrem Handgelenk sichtbar.
"Die Schwarze Rose," sagte Cyneric und sah seine Vermutung bestätigt. "Das erklärt so einiges."
"Du hast es also herausgefunden," gab sie trotzig zurück. "Und jetzt? Wirst du mich jetzt hinrichten lassen?"
"Im Gegenteil," sagte Cyneric und senkte seine Stimme. "Es mag sich unglaubwürdig anhören, aber ich bin ein Verbündeter der Schwarzen Rose - zumindest indirekt. Ich bin mir sicher, du verfolgst ein edles Ziel. Mich würde nun umso mehr interessieren, was die Goldröcke hier treiben..."
"Sie hetzen die Stadtbewohner gegen mich und meine Leute auf," erklärte Tyra. "Schieben uns alles Mögliche in die Schuhe, während sie selbst im Geheimen die Stadt ausnehmen."
"Tatsache," sagte Salia, die vorsichtig durchs Fenster herein geklettert kam. "Ich habe gar nicht lange suchen müssen, um das herauszufinden. Hab' zwei von diesen Kerlen belauscht. Sie wollen, während die Menge durch die Hinrichtung abgelenkt ist, die Kassen der Händler plündern. Das nenne ich mal saubere Wachen. Aber das ist man von den Goldröcken ja gewohnt. Vor allem seitdem sie diesen neuen Anführer haben."
"Die Kröte streckt ihrer gierigen Finger also jetzt schon bis zur Kalevin-Küste aus," murmelte Cyneric.
"Hier trauen die Leute den Männern des Königs noch, und die Kaleviner haben tiefe Taschen, denn es geht ihnen vergleichweise gut," erklärte Tyra.
"Also gut," sagte Cyneric. "Wir werden Folgendes tun..."

Auf Cynerics Nachricht hin versammelten sich alle in der Stadt stationierten Goldröcke in dem größeren Raum des Hauses, in dem er Tyra verhört hatte. Es waren insgesamt fünfzehn Mann. Salia lehnte mit desinteressiertem Blick an einer der Wände, während Tyra wieder gefesselt worden war und am Boden kniete.
"Was gibt es, Gesandter? Knüpfen wir sie jetzt auf, ja?" fragte der Anführer der Goldröcke, ein Mann mit dichtem schwarzen Bart und Glatze.
"Erst habe ich eine Frage an euch alle. Jeder einzelne von euch steht nun vor der Wahl: Tretet aus der korrupten Wache aus, sagt euch von eurem Anführer los, und werdet anständige Behüter dieser friedlichen Stadt. Oder kehrt in Schande zu eurem Auftraggeber zurück. Euer Beutezug in Varek hat heute ein Ende. Ich weiß, was ihr getan habt, und gebe euch die Chance, es friedlich zu beenden."
Erstauntes Raunen und böse Mienen folgten auf seine Ankündigung hin, und der Anführer zog sein Messer. "Du weißt nicht, was du da sagst, Gesandter. Wir sind viele, und du bist nur einer. Überleg dir lieber nochmal genau, was du tun willst."
Ehe jemand etwas sagen konnte, bewegte sich Salia und hielt ihm blitzschnell ihren Dolch an die Kehle. "Eine falsche Bewegung, und du bist tot," raunte sie unheilvoll.
"Schon gut, schon gut!" wehrte er panisch ab und versuchte zurückzuweichen, doch Salia hielt ihn mit eisernem Griff am Arm fest und ihr Dolch ritzte die weiche Haut auf.
Einen langen Moment blieb es still, und die Spannung war deutlich spürbar. Dann nahm ein Mann langsam seinen Helm ab und ließ ihn achtlos zu Boden fallen. "Ich hatte es sowieso satt, Befehle von diesem unausstehlichen Reptil entgegenzunehmen," meinte er und löste damit verhaltenes Gelächter aus. Einer nach dem anderen warfen die Wachen ihre Helme und die goldenen Umhänge ab. "Recht hast du! Schluss mit der Betrügerei!"
"Verräter! Ich werde jeden einzelnen von euch melden!" schrie der Anführer außer sich vor Zorn, wagte es jedoch nicht, sich noch einmal zu bewegen.
Die Drohung schien jedoch keine Auswirkung zu haben, denn die Männer verließen nun das Haus und gingen jeder seiner Wege. Cyneric schnitt Tyras Fesseln durch und half ihr auf die Beine. "Die werden dir keinen Ärger mehr machen," sagte er. "Aber vielleicht solltest du das Stehlen von nun an sein lassen."
"Ich werde es versuchen", antwortete sie. "Einige meiner Leute sind dabei, ein Fischerboot zu bauen. Wenn es fertig ist, sollte sich unsere Siedlung selbstständig versorgen können."
"Mein Vorgesetzter wird erfahren, was hier geschehen ist!" wütete der Anführer der Goldröcke, den Salia inzwischen losgelassen hatte.
"Er wird sich nicht gegen das Urteil eines Gesandten stellen können", sagte Cyneric. "Und nun geh' deiner Wege. Du bist in Varek nicht länger willkommen."

Auf dem Platz mit dem Galgen standen immer noch viele Stadtbewohner, die neugierig zusahen, wie der letzte verbliebene Goldrock wutschnaubend auf ein Pferd sprang und in westlicher Richtung davonpreschte. Als die Leute sahen, dass Cyneric die befreite Tyra herbeiführte, breitete sich aufgeregtes Getuschel aus.
"Gute Leute von Varek!" rief Cyneric laut genug, dass ihn jeder verstehen konnte. "Ich habe diese Frau für unschuldig befunden. Wenn ihr eurer gestohlenes Geld und anderen wertvollen Dinge sucht, seht in der Kaserne der Goldröcke nach, denn sie sind es, die euch insgeheim bestohlen haben und dem Habicht die Schuld in die Schuhe geschoben haben."
Dies löste weitere Aufregung aus, und die meisten Leute liefen in Richtung der Kaserne davon, die am anderen Ende des Platzes stand. Und tatsächlich bestätigte sich Cynerics Verdacht.
"Hab Dank, Gesandter," sagten die Stadtbewohner. "Wieder einmal zeigt es sich, dass auf die Männer des Königs Verlass ist."
Ehe Cyneric sich weiter mit der Situation befassen konnte, zog Salia seine Aufmerksamkeit auf sich, als sie ihn am Arm packte. Sie deutete zu dem kleinen Hafen hinüber, der nur wenige Schritte vom Platz mit dem Galgen entfernt lag und in dem drei Fischerboote ankerten. Und in diesem Moment legte ein weiteres Schiff an, das etwas größer war und an dessen Mast die rote Flagge von Gortharia wehte. Cyneric und Salia verabschiedeten sich hastig von Tyra und eilten zum Kai, wo gerade eine in Gardistenrüstung gehüllte Gestalt von Bord ging. Es war ein Mann, mit dem Cyneric bereits ein paar Schichten geschoben hatte, den er aber noch nicht sonderlich gut kannte.
"Welch Glück, du bist hier!" rief der Gardist als er Cyneric entdeckte. "Kommandant Rog ruft uns alle zurück zum Palast. Bin ich froh, dass ich dich nicht lange suchen musste! Das Schiff ist schnell, aber ich hatte nicht damit gerechnet, dich gleich am ersten Ort vorzufinden, an dem ich an Land gehen würde."
"Was ist denn geschehen? Die Gesandten sollten doch mehrere Wochen unterwegs sein," wunderte sich Cyneric.
"Befehl von ganz oben, höchste Dringlichkeit. Die Königsgarde ist in Alarmbereitschaft. Wir brauchen jeden einzelnen Mann im Palast - Anordnung des Königs höchstpersönlich. Er ist etwas paranoid, aber das mit Recht."
"Nun spuck es schon aus, Mann. Was ist passiert?"
"Es gab einen Anschlag auf den König..."


Cyneric und Salia per Schiff zurück nach Gortharia
« Letzte Änderung: 5. Nov 2019, 12:22 von Fine »
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