Das Schicksal Mittelerdes (RPG) > Dol Amroth
Der Palast des Fürsten
Curanthor:
Eigentlich hatte sie nicht erwartet irgendwelche Bekanntschaften zu machen. Mit zusammengekniffenen Augen verfolgte Verdandi den Kerl mit dem Namen Valion, der gerade augfgestanden war. Die vorige Unterhaltung mit ihm hatte zwar ihr Misstrauen etwas gelindert, aber noch immer kam er ihr merkwürdig vor. Er bewegte sich anders, als die meisten Bittsteller, das war ihr sofort aufgefallen. Auch schien er über weiterreichende Kampfkentnisse zu verfügen als der Pöbel, wie man die einfachen Leute in solchen Städten bezeichnete. Sie war sich sicher, dass man sie auch dazu zählen würde. Dabei stammte sie noch nicht einmal aus Gondor oder Dol Amroth. Viel hatte sie von der Stadt auch nicht sehen können, was ihr eigentlich auch ganz lieb war.
Ihr Blick fiel wieder auf Valion, dessen markantes Gesicht sich ihr wieder zuwandte. Scheinbar hatte er sich kurz mit der Wache unterhalten, was erneut ihr Misstrauen weckte. Als er zu ihr zurückkehrte und verkündete, dass sie nun dran seien hob sie ein Augenbraue, sagte aber nichts. Verdandi ahnte schon, dass der zuvor freundliche Kerl in ihrem Alter eigentlich nicht warten musste. Anders konnte sie die plötzliche Audienz sich nicht erklären. Ihr Vater hatte ihr schon von den Gepflogenheiten des Adels erzählt und scheinbar war nicht alles davon veraltet.
"Also war die Unterhaltung mit mir nur ein Zeitvertreibt?", zischte sie Valion leise zu und ging an ihm vorüber, ohne auf eine Antwort zu warnte, "Ich bin keine Dame, die Hilfe nötig hat."
"Vielleicht nicht", erwiderte er lächelnd was Verdandi schweigend ignoriere und eintrat. Suchend ließ sie ihren Blick durch den Raum gleiten und fand Imrahil an einem Tisch sitzend. Der Fürst blickte auf und legte ein Pergament zur Seite. Hinter ihnen wurde das Tor wieder geschlossen. Der Blick des Mannes, der zuerst zu Valion ging bestätigte Verdandis Verdacht und sie schnaubte kaum hörbar. Der Fürst wandte sich ihr zu und musterte sie erst ausführlich. Sie erwiderte den Blick mit gerecktem Kinn und musterte ihrerseits das strenge Gesicht.
"Ich hörte, Ihr habt eine wichtige Nachricht? Mein Meldereiter konnte mir nicht mehr darüber sagen und mein Freund Valion...", Der Fürst nickte zu dem Kerl, der sie begleitet hatte, "Ist vermutlich nicht der Überbringer der Nachricht, also mit wem habe ich die Ehre?
Verdandi warf Valion einen ärgerlichen Blick und nickte dem Fürsten zu. "Auch wenn ich ungern vor ihm spreche, tue ich es. Mein eigentlicher Name ist Verdandi allerdings bin ich in Gondor eher unter den Namen Bariana bekannt."
Sie konnte sehen, wie ihr Gegenüber für einen winzigen Moment die Stirn runzelte, aber dann nickte. "Ich bin Imrahil, Fürst von Dol Amroth. Nun Verdandi, worum geht es in der Nachricht und was ist Euch widerfahren? Ich hörte, Ihr kommt aus den besetzten Gebieten?"
"Die Nachricht.", erklärte sie, zog das gefaltete Pergament aus ihrer Tasche und legte es Imrahil auf den Tisch, "Wenn Ihr sie liest, muss ich nicht so viel erklären."
Schweigend entfaltete Imrahil das Schriftstück und las es ausführlich. Anhand dessen Augenbewegungen sah sie, dass er es sich mehrmals durchlas. Sie selbst hatte es auch ebenfalls auf dem Weg zum Palast getan, denn das was dort auf dem Pergament stand, war eine ziemlich wichtige Information.
Mit ernstem Gesicht ließ Imrahil das Pergament wieder sinken. "Das sind schlechte Nachrichten, aber auch wertvolle Informationen. Sagt, habt Ihr die genannten Lager selbst gesehen? Könnt Ihr etwas zu den Truppenbewegungen sagen, die angedeutet wurden?"
"Nur zwei Gefangenenlager, ich kann Euch aber bestätigen, dass sie genau dort liegen, wo sie beschrieben sind. Zu den Truppenbewegungen kann ich leider nicht viel mehr berichten, als dort in dem Bericht steht." Die Antwort kam ihr zäh über die Lippen. Sie hasste die Zeit in den Lagern.
Imrahil schien ihren Widerwillen zu bemerken und reichte das Pergament Valion, während er sich erneut an sie wandte: "Verzeiht Euch damit zu drängen, aber könnt Ihr erzählen was in den Lagern vorgeht und wie es der Bevölkerung geht?"
Verdandi atmete tief aus und nickte schließlich, während sie die Lippen zusammenkiff.
"Die Lager sind gut strukturiert", begann sie und vermisste den Griff einer Waffe in ihrer Hand, "Sie trennen die Familien sofort und achten darauf, dass sich niemand kennt. Frauen und Männer werden ebenfalls getrennt, dann wird nochmal im Altersklassen unterschieden. Die Orks erledigen die Drecksarbeit, die normalen Bewacher haben sie aus dem Abschaum der Gesellschaft geholt. Die Lagervorsteher sind meistens Männer aus dem Osten oder Süden... Kaahnd, Rhon und Hrarat oder so ähnlich, ich habe davon noch nie gehört. Dann gibt es da die Gebietsvorsteher, das sind meistens Schwarze Númenorer. Sie sind es, die die Listen aufstellen und die Menschen sortieren."
"Sortieren?" Die Nachfrage Imrahils war neutral, doch fiel Verdandi seine geballte Faust auf. Bisher hatte der Fürst ihr nickend zugehört.
"Ja, mein Herr. Sie sortieren, trennen Familien und zwingen die Männer in den Kriegsdienst, während die Frauen als Druckmittel in Arbeitslagern schuften. Manchmal...", sie stockte und ballte die ebenfalls die Hand zur Faust, "Wenn die Aufpasser sich vergüngen wollen, tun sie ihnen auch Gewalt an. Manche zwingen sie auch Spionage zu betreibten, indem sie die Kinder der Frauen wegnehmen. Das konnte ich in Linhir nicht preisgeben, da es dort wohl von Spionen nur so wimmelt aber hier..."
Sie verstummte und seufzte. Nachdenklich massierte sie ihre Faust und entspannte sie wieder. "Ihr müsst wissen, dass das mit den Spionen eine Sache ist, die ich in einem Lager aufgeschnappt habe. Eigentlich versucht man es so geheim wie möglich zu halten. Man möchte in die Frauen dazu anstiften in den Tavernen und Gaststätten die Soldaten auszuhorchen. Wenn sie nicht gehorchen oder nicht rechtzeitig zurückkehren tötet man ihre Kinder oder andere Verwandte."
"Wir müssen etwas dagegen unternehmen. Diese Leute sind Gondorer... wir dürfen sie nicht länger im Stich lassen." Es war Valion, der gesprochen hatte. Verdandi warf ihm einen Blick zu. Er wirkte aufgebrachte und sie hatte das Gefühl, dass er platzen könnte, wenn er noch mehr über die Lager erfahren würde.
Imrahil wirkte hingegen bedrückt und ließ sich mit der Antwort Zeit. Sie verstand, dass man als Fürst eine große Verantwortung trug, konnte sich aber nicht in ihn hineinversetzen. Wenn es ihr Dorf gewesen wäre, hätte sie sofort alle kampffähigen Bewohner in die Schlacht geführt. Nichts war glorreicher als die Rettung der Seinen. Verdandi trat unruhig von einen Fuß auf den anderen. Sie hasste die Erfahrungen in den Lagern wirklich. Die Zeit in der großen Stadt gar nicht eingerechnet.
Fine:
"Es steht ganz außer Frage, dass wir etwas unternehmen müssen," sagte Imrahil zu Valion. "Doch überstürzt zu handeln wird uns nicht viel bringen - wie wir im Ethir gesehen haben."
Valion unterdrückte seine Wut, denn der Fürst hatte Recht. Der impulsive Angriff der Zwillinge hatte zwar zu einem anfänglichen Erfolg geführt, doch keine vier Wochen später war alles wieder verloren gewesen, und nun lag Valions Heimat noch mehr in Trümmern als bei ihrer ersten Eroberung durch Mordor.
Der Fürst erhob sich von seinem Sitz und stand Verdandi und Valion nun gegenüber. "Zunächst möchte ich dir, Verdandi, danken, dass du mir diese Nachricht überbracht hast - unter Einsatz deines Lebens, wie mir scheint."
Verdandi nickte leicht, blickte den Fürsten jedoch weiterhin mit einem herausfordernden, erwartungsvollen Ausdruck im Gesicht an.
"Ich habe bereits veranlasst, die Hälfte der Soldaten Gondors und Dol Amroths an die Grenze zu verlegen, die vom Gilrain gebildet wird. In Linhir gibt es genug Platz für den Großteil davon. Valion hat ganz Recht; wir können und dürfen unsere Leute in den besetzten Gebieten nicht länger im Stich lassen."
Valion schlug bekräftigend die Hände zusammen. Endlich schienen die Dinge ins Rollen zu geraten.
Doch Imrahil sprach weiter. "Dennoch bin ich auch für den Schutz jener verantwortlich, die innerhalb der Grenzen des freien Gondors leben. Und ich werde diese Aufgabe nicht vernachlässigen. Ich werde also einen Kompromiss zwischen einer erfolgreichen Grenzverteidigung und der Befreiung der gondorischen Gefangenen aus den Lagern, die Verdandi beschrieben hat, finden müssen. Für eine großangelegte Offensive auf das Gebiet zwischen Linhir und Pelargir ist es zu früh. Wir brauchen mehr Informationen wie diese," er hielt die Schriftrolle hoch, die Verdandi ihm gebracht hatte.
"Wenn es darum geht, die Gefangenen zu befreien, habt Ihr schon mindestens eine Freiwillige gefunden," stellte Verdandi klar. "Ich werde zurück in die besetzten Gebiete gehen und sehen, was ich tun kann."
Valion nickte anerkennend. Das Mädel hat Mut, dachte er.
Auch Imrahil schien zufrieden mit dieser Aussage zu sein. "Deine Tapferkeit ehrt dich. Doch du solltest nicht einfach drauflos reiten, ohne einen guten Plan dafür gemacht zu haben. Das, Valion, ist übrigens auch einer der Gründe, warum ich dich heute morgen zu mir rufen ließ. Nun fehlen nur noch mein geschätzter General und der Herr der Spione."
Wie aufs Stichwort öffnete sich eine der Nebentüren der großen Halle, und Hilgorn marschierte hindurch, eine kurze Verbeugung vor Imrahil andeutend. Der Fürst reichte ihm Verdandis Nachricht, und er überflog sie rasch, eher er sie an Amrodin weiterreichte, der ihm dicht gefolgt war."
"Meine Späher haben Gerüchte über solche Dinge gehört, aber dies ist... ein äußerst wertvoller, schmerzlich detaillierter Bericht," kommentierte der Spion.
Hilgorn zeigte eine ähnlich besorgte Reaktion wie Fürst Imrahil. "Ich hätte nicht gedacht, dass es so schlimm ist."
"Und deswegen müssen wir schnellstens etwas unternehmen," beharrte Valion, und Verdandi schien ihm mit einem raschen Nicken zuzustsimmen.
Rasch besprachen sie die von Imrahil angeordneten Truppenbewegungen und Hilgorn wurde zum Kommandant der nach Linhir marschierenden Verstärkungen ernannt. Dies wurde innerhalb weniger Minuten geklärt, doch trotzdem sah Valion, wie die Ungeduld in Verdandis Gesichtsausdruck mehr und mehr wurde. Ganz offensichtlich hielt sie nicht allzu viel von den Befehlsketten und Prozeduren an Imrahils Hof.
Amrodin war erfreut, als er hörte, dass die junge Frau sich als Freiwillige angeboten hatte. Er blickte ihr anerkennend ins Auge. "Wir brauchen mutige Leute wie Euch," sagte er. "Gebt gut auf Euch acht, wenn ihr nach Lebennin jenseits des Gilrain zurückkehrt. Ihr habt ja mit eigenen Augen gesehen, welche Zustände dort herrschen. Wenn Ihr nach Linhir kommt, und Unterstützung benötigt, sprecht mit einer Frau namens Sírien. Sie ist normalerweise in der Taverne am Westtor anzutreffen und hat auffällig rotes Haar. Sie kann Euch viele Dinge beschaffen und ist mein Kontakt vor Ort. Zeigt ihr diese Münze," er reichte Verdandi eine kleine, bronzefarbene Münze, "dann weiß sie Bescheid, dass ich Euch geschickt habe."
Verdandi blickte den Herrn der Spione mit sichtbarem Misstrauen an, nahm jedoch nach einer kurzen Pause die Münze entgegen und ließ sie in einer ihrer Taschen verschwinden.
Imrahil sagte: "Die Dinge, die nun ins Rollen geraten, werden sich ohne Frage auf den Verlauf des Krieges gegen Mordor auswirken. Mögen die Valar unsere Entscheidungen lenken und uns die baldige Befreiung Lebennins ermöglichen."
"Mit Mut, Entschlossenheit und ein klein wenig Glück wird es schon hinhauen," sagte Valion optimistisch. Doch dann musste er an den Fall des Ethir und die Zerstörung Belegarths denken, und sein Lächeln verschwand.
Hilgorn verabschiedete sich, um sich um den Abmarsch seiner Verstärkungstruppen nach Linhir vorzubereiten, und auch Amrodin und Verdandi verließen die große Halle Imrahils bald darauf.
Valion blieb zurück, denn Imrahil hatte ihm ein Handzeichen gegeben.
"Du wirst nicht mit Hilgorn reiten, Valion. Für dich und deine Schwester habe ich eine andere Aufgabe, die ebenso wichtig ist."
Valion hatte fest damit gerechnet, mit dem Heer nach Linhir zu gehen. Umso überraschter war er nun, dass dem nicht so war. "Meine Fähigkeiten wären an der Front besser aufgehoben," wendete er ein.
"Es geht um deine Mutter, Valion," erklärte Imrahil und verschaffte sich damit Valions vollständige Aufmerksamkeit. "Wie du weißt, befindet sie sich auf dem Sitz ihrer Familie, in Nan Faerrim. Heute traf ein Vogel mit einer Nachricht von ihr ein."
"Wieso habt Ihr mir das nicht gleich gesagt? Was schreibt meine Mutter?"
Imrahils Besorgnis schien nicht weniger zu werden. "Sie bittet deine Schwester und dich, so bald wie möglich zu ihr zu kommen und eure Verlobten mitzubringen. Das scheint von äußerster Wichtigkeit zu sein. Auch wenn ich Erchirion gerade nur schwer entbehren kann, bin ich geneigt, ihn aufgrund der Dringlichkeit der Nachricht zeitweise von seinen Aufgaben in Dol Amroth zu entbinden."
Valion platzte beinahe vor Ungeduld. "Was ist denn so dringlich? Sind Nan Faerrim und Haus Seren in Gefahr?"
"Mileth schreibt, dass im Westen, in den Pinnath Gelin und in Anfalas, eine Bewegung an die Macht gekommen ist, die nur wenig am Krieg im Osten interessiert ist. Es sind Separatisten, wenn man so will. Wie du weißt, versorgen die Gebiete im Westen Dol Amroth und die übrigen Fürstentümer mit dringend benötigter Nahrung, und es gibt dort noch viele, die aus dem Osten geflohen sind und sich vielleicht dazu motivieren ließen, erneut in den Kampf zu ziehen. Wir brauchen dringend Verstärkung, und wir brauchen die Nahrungsmittel noch dringender. Wir können nicht zulassen, dass die westlichen Lehen sich abspalten. Und ich fürchte, dass deine Mutter sich nun inmitten eines Netztes aus Intrigen zu befinden scheint."
Valion war zutiefst bestürzt. Noch nie in der Geschichte Gondors war es zu einer Abspaltung eines der Lehen gekommen. Dies waren wahrlich finstere Zeiten. "Ich werde gehen. Und meine Schwester und meine Verlobte sollen mich begleiten. Gemeinsam mit Erchirion werde ich dafür sorgen, dass ihr weiterhin die volle Unterstützung aus dem Westen bekommt, und jeden kampffähigen Mann dazu bringen, sich bewaffnet vor den Toren Dol Amroths einzufinden."
"Darauf zähle ich, Valion. Du hast dich in Umbar gut geschlagen. Jetzt beweise mir, dass sich das Vertrauen, das ich in dich gesetzt habe, nicht fehl am Platz war."
Valion zum Hafen
Verdandi in die Stadt
Eandril:
Hilgorn aus dem Tum-en-Dín
"Ihr bringt keine guten Nachrichten, General?", fragte einer der Wächter vor der Halle des Fürsten, als er Hilgorns Miene sah. Dieser schüttelte den Kopf. "Nein, doch sie sind für den Fürsten bestimmt und nicht für dich, Amron. Ich will nicht, dass sie in der ganzen Stadt bekannt sind, bevor Imrahil davon weiß." Der junge Soldat grinste, doch dem Grinsen fehlte ein wenig der Übermut. Schlechte Nachrichten waren in Dol Amroth derzeit nichts wirklich ungewöhnliches, doch sie waren der Stimmung nie zuträglich.
"Im Augenblick spricht der Fürst mit seinen Beratern", sagte jetzt der andere Wächter. "Er wünscht, nicht gestört zu werden."
"Er wird eine Ausnahme machen", erwiderte Hilgorn. "Ich werde dafür sorgen, dass ihr nicht in Schwierigkeiten geratet." Die beiden Männer tauschten einen Blick, und traten dann beiseite - allerdings ohne ihm die Tür zur öffnen. Hilgorn verdrehte die Augen, öffnete die schwere Tür kurzentschlossen selbst, und trat ein.
In der hohen, hellen Halle hatte sich eine Gruppe Männer um einen Tisch versammelt, auf dem eine große Karte von Gondor und den angrenzenden Gebieten ausgebreitet war. Hölzerne Figuren in verschiedenen Farben symbolisierten die Armeen von Gondor, Rohan und Mordor, und mit Sorge erkannte Hilgorn, dass die schwarzen Figuren Mordors deutlich überwogen.
Der erste, der ihn bemerkte als er sich dem Tisch näherte, war Elphir dessen freudiges Lächeln beim Anblick von Hilgorns Gesichtsausdruck sofort wieder verschwand.
"Hilgorn", sagte er, und machte damit die anderen Männer auf Hilgorns Ankunft aufmerksam. "Willkommen zurück." Hilgorn nickte zur Antwort, ließ kurz den Blick durch die Runde schweifen und sank dann vor Imrahil, der sich zu ihm umgewandt hatte, auf ein Knie nieder. Er versuchte, die Worte zu sagen, die er sich auf dem Ritt von Tíncar hierher zurechtgelegt hatte, doch jetzt, in Gegenwart Imrahils, brachte er keinen Ton heraus.
"So sprachlos, General", sagte Imrahil mit leichtem Spott, doch jeder konnte die Sorge in seiner Stimme hören. "Erhebt euch und sprecht, ganz gleich welche Nachrichten ihr bringen mögt." Hilgorn kam wieder auf die Füße, und räusperte sich. "Vor... vorletzte Nacht griff Mordor mit ganzer Kraft Linhir an. Wir verteidigten uns mit ganzer Kraft, doch als das Tor durchbrochen wurde, mussten wir uns zurückziehen. Mordor hat das Ostufer eingenommen, doch wir haben die Brücken zerstört und sie können den Fluss im Augenblick nicht überqueren."
Die Furchen auf Imrahils Stirn schienen sich bei Hilgorns Worten zu vertiefen. "Und wir ebensowenig."
Hilgorn atmete tief durch. "Bitte verzeiht, Herr... aber es war die einzige Möglichkeit, das, was von meiner Armee übrig war, zu retten. Und wenn ihr ein offenes Wort erlaubt, ich habe gesehen, welche Macht Mordor aufbieten kann und wird. Solange wir allein stehen, wird jeder weitere Versuch, den Gilrain zu überqueren, in einer Katastrophe für uns enden."
"Er hat Recht, Imrahil", sprang Angbor ihm bei. Der Fürst von Lamedon war offenbar während Hilgorns Abwesenheit nach Dol Amroth gereist, um sich mit Imrahil zu beraten. "Meine Späher berichten, dass es am Ostufer von Orks und anderem Gezücht geradezu wimmelt. Im Augenblick sollten wir froh sein, dass uns der Gilrain einigermaßen vor ihnen schützt, anstatt davon zu träumen, den Krieg wieder nach Osten zu tragen."
Imrahil nickte, und legte Hilgorn eine Hand auf die Schulter. "Ihr habt recht. Es kann gewiss nicht leicht gewesen sein, mit solchen Nachrichten zurückzukehren, doch ich gehe davon aus, dass ihr alles getan habt, was in eurer Macht stand." Ein leichtes Lächeln kehrte auf sein Gesicht zurück. "Ich erwarte morgen einen vollständigen Bericht von euch, doch für heute Abend seid ihr entlassen. Ich nehme an, dass eure reizende Verlobte bereits sehnsüchtig auf euch wartet."
Tatsächlich hatte Hilgorn Faniel seit seiner Ankunft in Dol Amroth noch nicht gesehen, denn er war direkt zum Palast geritten um Bericht zu erstatten. Der Gedanke, dass sie mit jeder weiteren vergangenen Minute um ihn bangte, bereitete ihm Unbehagen. Dennoch schüttelte er jetzt den Kopf. "Es gibt eine weitere Angelegenheit, über die ich sprechen möchte. Die Flotte hat ein Schiff aufgebracht, dass aus dem Süden kam. Von einem Ort, den sie Tol Thelyn nannten."
Bei diesem Namen horchte Erchirion, der auf der anderen Seite des Tisches stand, sichtlich auf. "Das ist die Insel, von der Valirë erzählt hat, Vater." Imrahil nickte zum Zeichen, dass er verstanden hatte, und bedeutete Hilgorn, weiterzusprechen.
"Das Schiff wird von zwei unserer Schiffe hierher geleitet und sollte spätestens morgen früh eintreffen, dann werdet ihr mit dem Kapitän sprechen können. Allerdings... zwei seiner Passagiere wollten mich über Land begleiten, doch sie..." Er atmete tief durch, denn die Angelegenheit war ihm nicht wenig peinlich. "Sie sind mir gestern in der Nacht in Rendûl entwischt."
Imrahil zeigte mit keiner Miene, was er darüber dachte. Stattdessen fragte er ruhig: "Fürchtet ihr, dass es sich bei ihnen um Spione Mordors oder Suladâns haltet?"
Über diese Frage hatte Hilgorn reiflich nachgedacht, und so schüttelte er jetzt ohne Zögern den Kopf. "Nein, das glaube ich nicht. Es waren zwei Frauen, und sie..." Weiter kam er nicht, denn die Tür öffnete sich mit einem vernehmlichen Geräusch. Imrahil wandte sich der Quelle der Störung mit unwilliger Miene zu, doch dann erstarrte er ebenso wie seine beiden Söhne. Auch Hilgorn starrte den Neuankömmlingen entgegen, und verstand den Fürsten zur allzu gut - immerhin war das ebenmäßige Gesicht mit den schwarzen Haaren und meergrauen Augen nur schwer zu verwechseln.
Amrothos, jüngster Sohn des Fürsten von Dol Amroth, stand in der offenen Tür, und blickte seinem Vater und seinen Brüdern entgegen. Für einen Augenblick herrschte ein beinahe schockiertes Schweigen, bevor Imrahil sich zu einem gänzlich ungewöhnlichen Gefühlsausbruch hinreißen ließ, seinem verschollen geglaubten Sohn mit drei langen Schritten entgegen kam und ihn in seine Arme zog. Hilgorn lächelte unwillkürlich und trat diskret zur Seite, um Elphir und Erchirion Platz zu machen, die geradezu stürmisch um den Kartentisch herumgeeilt kamen. So fand er sich neben Fürst Golasgil von Anfalas wieder, der ihm ins Ohr flüsterte: "So übermütig habe ich Imrahil nicht erlebt, seit er den Titel geerbt hat - eigentlich noch nie."
"Ich wusste nicht, dass ihr den Fürsten so gut kennt", gab Hilgorn ebenso leise zurück, während Elphir drauf und dran schien, seinem jüngsten Bruder mit seiner Umarmung die Rippen zu brechen. Golasgil zog amüsiert eine Augenbraue in die Höhe. "Mein Vater schickte mich als Knappen nach Dol Amroth, und zwar in Imrahils Dienst. Und obwohl er mehr als ein Jahrzehnt älter ist, als ich, sind wir gute Freunde geworden, denn er ist einer der besten Männer, die ich kenne." Hilgorn fand, dass es an der Aussage nichts auszusetzen gab.
Inzwischen schien die erste überwältigende Wiedersehensfreude in der fürstlichen Familie ein wenig abgeebbt zu sein, denn hinter Amrothos kamen drei Frauen in die Halle. Valirë verzichtete, ganz sie selbst, irgendjemanden zu begrüßen, sondern gesellte sich unauffällig zu Hilgorn, Golasgil und Angbor, den einzigen Anwesenden, die nicht zur fürstlichen Familie zählten. "Nun seht sie euch an", sagte sie mit einem Grinsen. "Und ich habe nicht einmal einen Mehlsack zur Hand gehabt, um Amrothos angemessen zu begrüßen." Hilgorn erwiderte ihren Blick verständnislos, doch Angbor und Golasgil tauschten einen wissenden, belustigten Blick. "Ach, ihr wart ja damals noch gar nicht hier. Tut mir leid", sagte Valirë etwas nachlässig an Hilgorn gewandt. "Ich erzähle euch die Geschichte bei Gelegenheit, das war einer unserer gelungensten Einfälle."
Hilgorn nickte stumm, und richtete seine Aufmerksamkeit auf die beiden anderen Frauen, die mit Amrothos gekommen waren. Die größere der beiden Frauen erkannte er sofort wieder, denn Mithrellas, die elbische Ahnherrin des Fürstenhauses, hatte einen bleibenden Eindruck hinterlassen - und damit klärte sich auch die Frage auf, wie Amrothos nach Dol Amroth zurückgekommen war. Die andere war ein junges, blondes Mädchen in einem grünen Kleid, das Hilgorn nicht erkannte. Aber die Art und Weise, wie Amrothos sie seinem Vater vorstellte, ließ ihn bestimmte Schlüsse ziehen. Als sie das Lächeln auf seinem Gesicht bemerkte, lachte Valirë leise. "Sieh an, General. Ihr denkt das gleiche wie ich."
Hilgorn setzte wieder eine möglichst gleichmütige Miene auf. "Ich bin mir nicht sicher, wovon ihr sprecht." Valirë verschränkte die Arme vor der Brust. "Also bitte. Selbst jemandem wie euch sollte doch auffallen, wie er die kleine Irwyne anschaut." Sie seufzte. "Eigentlich ein Jammer, ich habe Amrothos immer gemocht. Aber eigentlich habe ich es mit Erchirion auch nicht schlecht getroffen." Hilgorn presste die Lippen zusammen, um sich nicht anmerken zu lassen, wie skandalös er Valirës Worte fand. Sie schien es ihm trotzdem anzumerken, und lachte erneut. "Ihr seid leicht zu schockieren, General."
Die Antwort blieb Hilgorn erspart, denn jetzt kam Amrothos zu ihnen, wurde zuerst von Angbor und Golasgil freudig begrüßt, und wandte sich dann Hilgorn zu. "Ihr müsste General Hilgorn sein. Mein Bruder Elphir spricht in höchsten Tönen von euch." Hilgorn ergriff die angebotene Hand, und antwortete: "Ich freue mich über eure sichere Heimkehr, mein Prinz. Bei eurer Abreise gehörte ich noch der Stadtwache an, und bin erst recht kürzlich auf diesen Posten berufen worden."
"Hm", machte Amrothos ironisch. Er sah geradezu unverschämt gut und gesund aus, doch in seinen grauen Augen glaubte Hilgorn etwas seltsames zu erkennen, wie einen Schatten, der auf seiner Seele lag. "Meine reizende Beinahe-Schwägerin hat euch bereits am Hafen erwähnt", fuhr Amrothos fort, und warf Valirë einen Seitenblick zu. "Ich glaube, das Wort war Jungspund, nicht war, Valirë?" Die Angesprochene blickte demonstrativ zur Decke, wirkte allerdings nicht so, als ob sie sich schämen würde. Hilgorn beschloss, nicht gekränkt zu sein, und erwiderte: "Ich werte das als ein Kompliment, dass ich mir ein jugendliches Aussehen bewahrt habe." Amrothos lachte leise, und meinte dann: "Ich dachte, ihr wärt in Linhir?"
"Bis vor zwei Tagen", antwortete Hilgorn. "Ich bin kurz vor euch hier eingetroffen." "Und ihr bringt keine guten Nachrichten." Es war eine Feststellung, keine Frage. Offenbar stand der jüngste Prinz seinem Vater in Sachen Scharfsinn nichts nach. Hilgorn schüttelte bedauernd den Kopf. "Keine wirklich guten, nein", stimmte er zu. "Doch ich möchte den Tag eurer Heimkehr nicht damit überschatten."
Amrothos fuhr sich mit einer Hand über das Kinn, und warf einen Blick zu seinem Vater und seinen Brüdern, die jetzt mit Mithrellas sprachen. Irwyne stand etwas verloren neben der Tür und schien unsicher zu sein, was sie tun sollte. "Ich habe im Norden genug erlebt, dass mich ein paar schlechte Nachrichten nicht erschüttern. Ich möchte wissen, wie es in Gondor aussieht, General. Mithrellas ist... nicht besonders mitteilungsfreudig."
"Solange ich in Dol Amroth bin, stehe ich euch gerne zur Verfügung", meinte Hilgorn und deutete eine Verbeugung an. Valirë machte ein Gesicht, als wollte sie irgendeine spitze Bemerkung einwerfen, doch sie kam nicht dazu, denn Lóthiriel, die offenbar irgendwie von Amrothos' Ankunft erfahren hatte, drängte sich zwischen Erchirion und Elphir hindurch und warf Amrothos mit einem nicht sehr damenhaften Jubelschrei die Arme um den Hals.
Hilgorn spürte sein Herz schneller schlagen, als Faniel ihr folgte, und er konnte nur mit Mühe verhindern, ebenso in Jubel auszubrechen wie Lóthiriel. Es war nicht viel Zeit vergangen, seit der Faniel gesehen hatte, doch er kam ihm wie eine Ewigkeit vor. Trotzdem beschränkte er sich darauf, ihr seinen Arm um die Taille zu legen und sie sittsam auf die Stirn zu küssen. Das Strahlen in ihren Augen genügte ihm.
Mit ein wenig Mühe gelang es Amrothos, sich aus der Umarmung seiner Schwester zu befreien, und ließ den Blick über seine versammelte Familie schweifen. Er atmete tief durch. "Es ist schön, wieder zuhause zu sein."
"Es ist schön, dich wieder zuhause zu wissen, mein Junge", brummte Golasgil. "Dein Vater hat sich fürchterliche Sorgen gemacht, nachdem wir die Nachrichten aus Lórien hörten." Amrothos lächelte ein wenig verlegen. "Nicht ohne Grund, fürchte ich. Aber es ist alles gut ausgegangen, dank Oronêl, und dank... Irwyne." Hilgorn hätte schwören können, dass die Wangen des Prinzen sich ein wenig gerötet hatten, als er das blonde Mädchen zu ihnen winkte. Irwyne knickste zwar ein wenig unbeholfen, aber ohne Scheu. Wenn sie mit Amrothos und Mithrellas aus Lindon hergekommen war, wirkte ein menschlicher Fürstenhof vermutlich längst nicht so beeindruckend wie das, was sie dort gesehen hatte, dachte Hilgorn bei sich. "Dies ist Irwyne, eine gute Freundin der ich mein Leben und meinen Verstand verdanke", stellte Amrothos sie vor. "Irwyne, dies sind Angbor, der Fürst von Lamedon, Golasgil, Fürst von Anfalas, Hilgorn, Generals in der Armee Gondors und..." Er stockte, als er zu Faniel kam. Sie ließ Hilgorn los, knickste um einiges eleganter als Irwyne, und erwiderte: "Faniel Glórin von Tugobel, Herr. Mein Vater war ein Vasall eures Vaters."
"Dann seid ihr Hilgorns..." "Verlobte. Wir werden in ein paar Tagen heiraten." Hilgorn musste lächeln, als er den Stolz in ihrer Stimme hörte, und nahm unauffällig ihre Hand. Auch Amrothos lächelte, als er sagte: "Nun, ich freue mich darauf. Zumindest wenn ich eingeladen bin", fügte er mit einem Augenzwinkern hinzu. Selbst wenn es nicht so gemeint sein mochte, fasste Hilgorn eine solche Äußerung grundsätzlich als Befehl auf, und so erwiderte er: "Es wäre uns eine Freude, euch auf unserer Hochzeit zu sehen. Und euch natürlich ebenfalls, Fräulein Irwyne."
"Oh, ich werde sehr gerne kommen", sagte Irwyne fröhlich. "Ich bin noch nie auf einer solchen Hochzeit gewesen, aber ich... ich fürchte, ich habe nur dieses eine Kleid." Valirë zwinkerte ihr zu. "Eins reicht auch vollkommen, finde ich."
Beim Klang ihrer Stimme fiel Hilgorn etwas wieder ein, dass er beinahe vollständig vergessen hatte. "Verzeiht, wenn ich unterbreche", sagte er. "Aber ich muss euch etwas fragen, Valirë."
"Ihr wollt mich fragen, ob es nicht besser wäre, wenn ich eurer Hochzeit fernbliebe?", vermutete Valirë mit einem Grinsen. "Das wäre es vermutlich, aber es wäre auch viel langweiliger. Um euch davor zu bewahren, werde ich auf jeden Fall kommen." Irwyne kicherte leise, doch Hilgorn ließ sich nicht ablenken. "Seid ihr auf eurer Reise in den Süden einer Frau namens Ta-er begegnet?"
Valirë wurde zur Abwechslung einmal ernst, und sie blickte Hilgorn aufmerksam an. "Allerdings, in Umbar. Aber woher kennt ihr diesen Namen?"
"Weil ich ihr ebenfalls begegnet bin", antwortete Hilgorn. "Gestern, in der Nähe von Linhir. Ihr Schiff war durch den Sturm vom Kurs abgekommen, doch sie behaupteten, von der Insel Tol Thelyn zu kommen."
Valirë zog die Augenbrauen in die Höhe, während sie nachzudenken schien. "Dort bin ich ihr nicht begegnet, als wir da waren", sagte sie schließlich. "Aber Edrahil kennt sie ebenfalls, also kann es sein, dass er sie dorthin geholt hat." Hilgorn atmete erleichtert auf. "Also ist sie auf keinen Fall eine Feindin?"
"Sie war ein wenig undurchsichtig", meinte Valirë. "Aber im Grunde hat sie uns geholfen, und sie schien nichts für Mordor übrig zu haben." Ihr schien ein Gedanke zu kommen. "Ihr wolltet sie mitbringen, aber sie ist euch zwischendurch entwischt, nicht wahr?" Hilgorn nickte unglücklich, und spürte, wie Faniel seine Hand ermutigend drückte. Doch statt der erwarteten spitzen Bemerkung winkte Valirë einfach ab. "Macht euch nichts draus, ich glaube, sie wäre sogar dem alten Edrahil ebenbürtig."
Nur wenig später verabschiedeten Hilgorn und Faniel sich, ebenso wie die Fürsten Angbor und Golasgil, um der fürstlichen Familie die Gelegenheit zu geben, Amrothos' Rückkehr in Ruhe zu feiern. Und außerdem, gestand Hilgorn sich ein, konnte er ein wenig Zeit mit Faniel jetzt wirklich gebrauchen.
Eandril:
Hilgorn zog nervös an seinem Mantel, der ihm, egal was er tat, immer falsch zu sitzen schien. Aldar, der neben ihm auf einer niedrigen Bank saß und entspannt die Beine übereinander geschlagen hatte, verdrehte die Augen. "Nun hör endlich auf damit. Du siehst gerade so gut genug aus, dass sie nicht schreiend aus der Halle laufen wird, das muss doch genügen." Hilgorn zwang sich zu einem Lächeln, erwiderte aber nichts.
Er und sein Bruder befanden sich in einer kleinen Seitenkammer der großen Halle des Fürsten, und warteten darauf, in die Halle gerufen zu werden. Hilgorn begann, unruhig auf und ab zu laufen. Der Tag, den er seit geraumer Zeit herbeigesehnt hatte, war gekommen, doch mit einem Mal verspürte er ein beinahe überwältigendes Bedürfnis, einfach davonzulaufen.
Aldar schien seine Gedanken erraten zu haben, und sagte: "Nun hör auf. Du willst sie doch heiraten, oder nicht? Und sie dich ziemlich offensichtlich auch." Hilgorn nickte, und fuhr sich mit der Hand durch die Haare. "Ja, ja natürlich. Aber was ist, wenn..." Er wurde unterbrochen, als sich die Tür öffnete, und Elphir mit einem breiten Lächeln den Raum betrat.
Aldar seufzte mit gespielter Erleichterung tief auf. "Prinz Elphir, ihr kommt genau zum rechten Zeitpunkt - gerade habe ich mit dem Gedanken gespielt, meinen Bruder zu fesseln und zu knebeln. So wie er sich verhält, könnte man beinahe meinen, es wäre seine erste Hochzeit." Er zwinkerte fröhlich, und Elphir erwiderte mit einem Zwinkern: "Seltsam, wie mag das nur kommen?" Dann wandte er sich direkt an Hilgorn: "Ich war am Tag meiner Hochzeit mindestens ebenso nervös wie du, mein Freund. Darüber hinaus war ich ein paar Jahre jünger als du heute, hatte noch nichts besonderes vollbracht und kannte Tírneth so gut wie gar nicht. Und sieh dir uns heute an."
Hilgorn atmete tief durch, und zog seinen Mantel ein letztes Mal zurecht. Elphirs Worte trugen tatsächlich wie beabsichtigt zu seiner Beruhigung bei. "Das kann auch nicht so viel schlimmer sein, als mitten in der Nacht Linhir anzugreifen", sagte er leise vor sich hin, und richtete sich dann auf. "Also. Ich bin bereit."
Hinter Aldar trat er hinaus in die große Halle der Fürsten von Dol Amroth. Entlang der hohen Marmorwände waren lange Tische aufgestellt worden, an denen sich die Hochzeitsgäste eingefunden hatten - beinahe der gesamte Adel von Dol Amroth und Belfalas war gekommen, und auch viele Adlige aus den anderen Fürstentümern Gondors, die sich im Augenblick in der Stadt aufhielten, genau wie viele der wohlhabenderen und einflussreicheren Bürgern der Stadt und Umgebung. Hilgorn kannte die wenigsten von ihnen persönlich und von vielen nicht einmal den Namen, und er glaubte auch nicht, dass die meisten seinetwegen hier waren, sondern eher des Festes wegen. Es war ihm allerdings gleich, denn er hatte nur Augen für das, was auf der Empore am Ende der Halle geschah. Dort am Kopfende der Halle war ein einzelner, großer Tisch aufgestellt worden, hinter dem Hilgorn viele bekannte Gesichter erblickte: In der Mitte stand Imrahil, Fürst von Dol Amroth, flankiert von seinen jüngeren Söhnen. Neben Erchirion saß Valirë vom Ethir, deren hellblaues Kleid ihr trotz ihrer immer offenkundig zur Schau gestellten Abneigung gegen festliche Kleider hervorragend stand. Auf der anderen Seite neben Amrothos saß die Elbin Mithrellas, deren würdevolle Ausstrahlung den meisten Menschen Ehrfurcht und auch ein wenig Unbehagen einflößen konnte. Auch Amros von Edhellond, Angbor von Lamedon und Ardamir von Belfalas waren Ehrenplätze an der hohen Tafel zugewiesen worden, doch fünf weitere Plätze waren bislang freigeblieben.
Als Aldar, Hilgorn und Elphir nacheinander die zwei Stufen zur Empore erklommen hatten, erhob sich Imrahil, und sprach mit einer Stimme, die mühelos im ganzen Saal zu verstehen war: "Wer tritt vor mich, um den Bund der Ehe zu schließen, und wer führt ihn vor mich?" Es waren die traditionellen Worte, die bei den meisten Hochzeiten gesprochen wurden - doch in der Regel nicht vom Fürsten von Dol Amroth höchstpersönlich. Hilgorn war sich der Ehre, die Imrahil ihm damit erwies, nur allzu bewusst. Auf Imrahils Worte hin trat Aldar vor. "Ich bin Aldar Thoron, Sohn des Ithon von Tíncar, und Kapitän der Falthaleth. Und ich führe meinen Bruder Hilgorn Thoron vor euch, General von Dol Amroth und Gondor, der in den Stand der Ehe treten soll, denn er ist einer der besten Männer die ich kenne - selbst wenn er mein kleiner Bruder ist", fügte er mit einem Augenzwinkern hinzu, und leises Gelächter über seinen Scherz perlte durch den Saal. Hilgorn spürte, wie die Anspannung langsam von ihm abfiel. Das hier würde passieren - es passierte gerade - und es würde vermutlich keine Katastrophe mehr geschehen, die es verhinderte.
Imrahil verzog keine Miene, das Lächeln beschränkte sich auf seine Augen. "Wer spricht außerdem für diesen Mann, und erklärt sich bereit, den Bund zu bezeugen?" Elphir trat langsam vor. "Ich spreche für General Hilgorn, denn ich habe mit ihm bei Linhir gekämpft, und er ist einer der besten Männer und Soldaten, die dieses Land zu bieten hat. Und auch abseits des Schlachtfeldes habe ich ihn als guten Freund kennengelernt, dem ich selbst meine eigene Tochter als Ehefrau anvertrauen würde - wenn ich eine hätte." Erneut war leises Gelächter zu hören, doch Hilgorn hatte nur Augen für die drei Frauen, die nun die andere Seite der Empore hinaufstiegen.
Wieder sprach Imrahil. "Wer tritt vor mich, und welche Frau führt sie diesem Mann zu?" Lóthiriel, die die kleine Prozession anführte, lächelte Hilgorn kurz zu, bevor sie sich am Saal zuwandte, und antwortete: "Ich bin Lóthiriel von Dol Amroth, Tochter des Imrahil von Dol Amroth. Und ich führe Faniel Glórin, Tochter des Lanhael von Tugobel vor euch, die diesen Mann heiraten soll, weil es ihr Wunsch ist." Es war im Vorfeld beschlossen worden, Faniel nicht als Imradons Witwe vorzustellen - auch wenn es nicht verboten war, die Witwe seines Bruders zu heiraten, war es doch eher unüblich und hätte bei vielen der Anwesenden, denen diese Tatsache bislang nicht bekannt gewesen war, vermutlich Befremden hervorgerufen.
"Und wer spricht außerdem für diese Frau, und erklärt sich bereit, diese Ehe zu bezeugen?" Hinter Faniel trat Tírneth nach vorne, tauschte einen wissenden Blick mit ihren eigenen Ehemann, und sprach dann: "Ich spreche für Faniel Glórin, die ich in der Zeit ihrer Anwesenheit hier als eine gute Frau und Freundin kennengelernt habe, und der ich jedes Glück wünsche, dass sie sich erhofft."
Hilgorn hatte kaum ein Wort von dem, was Lóthiriel und Tírneth gesagt hatten, gehört, denn er hatte lediglich Augen für Faniel, die in ihrem weißen Kleid, das er durch Tírneths und Lóthiriels unermüdliche Wachsamkeit heute zum ersten Mal sah, auf ihn schöner wirkte als jemals zuvor. Kaum hatte er sie gesehen, war sein Mund trocken geworden, sämtliche Nervosität war von ihm abgefallen, und nichts außer ihr schien noch von Bedeutung zu sein. Sie lächelte nicht, sondern blickte ihn mit einem beinahe konzentrierten Ausdruck an - anscheinend hatte er bei ihre einen ähnlichen Eindruck hervorgerufen, wie sie bei ihm. Er hatte sich den Bart abrasiert, die Haare auf Kinnlänge gestutzt und trug schwarze Kleidung, auf deren Brust der hellblaue Adler von Tíncar prangte.
Hilgorn war derart in Faniels Anblick versunken, dass er erst wieder auf Imrahils Stimme achtete, als sein Bruder ihn unauffällig, aber nicht gerade sanft, in die Rippen stupste. "... für den Rest eures Lebens lieben, ehren und alles in eurer Macht stehende tun, um sie glücklich zu machen?" Hilgorn räusperte sich, denn er traute seiner Stimme im Augenblick nicht, und erwiderte dann mit einem Nicken: "Das will ich tun, mit jeder Faser meines Wesens."
Imrahil stellte Faniel die gleiche Frage, und auch sie nickte, und als sie antwortete, erstrahlte zum ersten Mal ein Lächeln auf ihrem Gesicht: "Das will ich allerdings, Herr. Meinetwegen auch für die nächsten tausend Jahre." Mit einem Mal wurde Hilgorn bewusst, dass er grinste wie ein Trottel, doch ein wenig erstaunt stellte er fest, dass es ihm vollkommen gleichgültig war. Auf ein unauffälliges Nicken von Imrahil nahm er den weißen Mantel mit dem Wappen von Tíncar ab und legte ihn Faniel mit ein wenig zitternden Fingern um die Schultern. Dann zog er den Ring hervor, den Elphir ihm geschenkt hatte - ein silberner Reif, auf dem ein kleiner blauer Edelstein von einer silbernen Blüte eingefasst wurde - und steckte ihn Faniel an.
"Dann erkläre ich euch für Mann und Frau, bis dass der Tod euch scheidet", sprach Imrahil erneut, und zum ersten Mal zeigte sich ein Lächeln auf seinem Gesicht. "Mögen die Valar euch segnen und über euch wachen." An Hilgorn gewandt fügte er hinzu: "Ihr dürft eure Braut nun küssen."
Das tat Hilgorn nur allzu gerne, und es bedurfte eines hörbaren Räusperns von Imrahil, bevor sie sich wieder voneinander lösten.
Das anschließende Festmahl ließ nichts vermissen und war das köstlichste, was Hilgorn jemals gegessen hatte - oder wäre es gewesen, wenn er auch nur einen Bissen von dem, was er aß, wirklich wahrgenommen hätte. Stattdessen verbrachte er den Großteil der Zeit damit, Faniel, die neben ihm in der Mitte der Tafel saß, anzustarren und sich zu fragen, womit er sich ein solches Glück verdient hatte.
Imrahil und seine Söhne waren zur Seite gerückt, damit das Brautpaar die Mitte der Tafe einnehmen konnte, und so saß nun Tírneth zu Faniels linker und Amrothos an Hilgorns rechter Seite. Irgendwann flüsterte Faniel Hilgorn zu: "Es wäre höflich, wenn du dich auch ein wenig mit Amrothos unterhalten würdest. Erchirion hat nur Augen für seine Verlobte, und du für mich - nicht, dass ich nicht geschmeichelt wäre - aber der arme Amrothos dürfte sich deshalb ein wenig langweilen."
"Ich würde dich aber gerne noch ein wenig weiter anstarren", gab Hilgorn ebenso leise zurück. "Dir zu schmeicheln ist eine meiner Lieblingsbeschäftigungen ."
"Aber du hast es nicht mehr nötig", erwiderte Faniel mit diesem Lächeln, dass Hilgorns Herz immer einen Schlag aussetzen ließ. "Immerhin gehöre ich ab heute dir - und du mir. Und außerdem..." Sie senkte die Stimme noch ein wenig mehr. "Außerdem haben wir die ganze Nacht Zeit." Bevor Hilgorn sich ein wenig davon erholt hatte, hatte Faniel sich bereits abgewandt, und begonnen, angeregt mit Tírneth und Elphir zu plaudern.
Notgedrungen wandte Hilgorn sich nach rechts und Amrothos zu, der tatsächlich etwas trübsinnig in die Runde blickte.
"Ihr... stimmt es, dass ihr in Lórien wart, als Saruman das Land überfiel?", begann Hilgorn etwas unbeholfen, und verfluchte sich im gleichen Augenblick dafür, dass er an diesem Tag ein solches Gesprächsthema gewählt hatte. Tatsächlich verdüsterte sich die Miene des Prinzen schlagartig noch mehr, und sein ganzer Körper schien sich zu versteifen. "Nein, ich war zu der Zeit bereits... nicht mehr dort", antwortete er langsam, und sein Tonfall machte deutlich, dass er nicht weiter darüber sprechen wollte. "Aber es gibt etwas, dass ich euch schon länger fragen wollte. Ihr wart doch in Linhir, als wir es zurückerobert haben, und habt diesen Qúsay gesehen. Sagt mir... was haltet ihr von ihm? Immerhin sieht es so aus, als würde er irgendwann meine Schwester heiraten."
"Er... wirkte wie ein guter Mann", erwiderte Hilgorn. "Ich glaube nicht, dass er uns verraten wird, und er hat eurem Bruder das Leben gerettet." Amrothos zog eine Augenbraue in die Höhe, wirkte aber trotzdem nur mäßig interessiert. Stattdessen schweifte sein Blick immer wieder zu irgendeinem Punkt in der Halle ab. "Elphir war vom Schwarzen Atem verwundet worden, und Qúsay hat ihn mit Königskraut geheilt, ganz so wie das, was man sich..."
"... von Elessar berichtet", beendete Amrothos den Satz für ihn, und seufzte. "Letztlich haben wir doch alle einen Tropfen Königsblut in uns. Was beweißt das schon?" Unwillkürlich schweifte Hilgorns Blick zu Mithrellas, die einige Plätze von ihm entfernt saß und nichts von den Speisen angerührt hatte, sondern ernst mir Imrahil sprach. Nie war Hilgorn sich bewusster gewesen, dass auch er sie auf etwas verschlungenen Wegen zu seinen Vorfahren zählen konnte - genau wie jeder einzelne andere Anwesende an der hohen Tafel. Er fragte sich, ob ihr das ebenso bewusst war, uns was sie dabei empfand. Amrothos war seinem Blick gefolgt, und sagte leise, als hätte er Hilgorns Gedanken gehört: "Oh, sie ist sich sehr bewusst, dass im Grunde jeder einzelne Anwesende einer ihrer Nachfahren ist - das schließt euch ein. Aber keine Sorge, man muss vor ihr ebenso wenig Furcht haben wie vor ihrem Vater."
Bevor Hilgorn etwas erwidern konnte, erhob sich Imrahil, und wie auf ein unsichtbares Zeichen hin verstummten nach und nach sämtliche Gespräche im Saal. Am Ende des langen Rechtecks zwischen den Tischen hatte sich eine Gruppe Spielleute eingefunden. "Das Brautpaar hat die Ehre des ersten Tanzes", verkündete Imrahil.
Hilgorn und Faniel erhoben sich, doch anstatt zur Faniel zur Tanzfläche zu führen, blieb Hilgorn stehen und ergriff ihre Hand. Eine erwartungsvolle und verwunderte Stille hatte sich über die Halle gelegt, und Imrahil ließ sich langsam zurück in seinen Stuhl sinken. "Ich danke euch allen, dass ihr gekommen seid", begann Hilgorn ein wenig unsicher zu sprechen. "Nicht jeder von euch mag wissen, dass Faniel... dass meine Frau aus ihrer ersten Ehe bereits zwei Kinder hat, Belegorn und Iorweth." Leises Getuschel erhob sich an den Tischen, und Hilgorn blickte Faniel an, deren verwunderte Miene sich langsam zu einem strahlenden Lächeln wandelte. "Ich möchte an diesem Abend verkünden, dass ich sie, mit der Erlaubnis meines Fürsten, als meine eigenen Kinder annehmen möchte, und behandeln und lieben will wie alle leiblichen Kinder, die ich mit der Gnade der Valar eines Tages haben werde, und ihnen ein Vater sein werde, so gut ich es kann."
Das Schweigen, dass sich über den Saal gelegt hatte, wurde von einem einzelnen Klatschen unterbrochen. Elphir hatte begonnen, zu applaudieren, und ohne zu zögern schlossen sich ihm erst Tírneth, dann Erchirion und Valirë, und schließlich nach und nach der ganze Saal an. Hilgorn war das alles herzlich egal, denn Faniel hatte ihn heftig an sich gezogen, und flüsterte ihm ins Ohr: "Ich glaube, das war das schönste Hochzeitsgeschenk, dass du machen konntest." Hilgorn fehlten vollkommen die Worte, also wischte er ihr stumm eine einzelne Träne von der Wange, und dann führte er sie zum Tanz.
Nach dem ersten Tanz, in dessen Verlauf Hilgorn wieder einmal jeden einzelnen der Hochzeitgäste völlig vergessen hatte, schlossen sich ihnen nach und nach weitere Paare auf der Tanzfläche an, an erster Stelle Elphir und Tírneth. Lóthiriel tanzte mit Ardamir von Belfalas, Imrahil mit Mithrellas, die so anmutig dahinglitt, als würde sie schweben, und selbst Erchirion und Valirë gesellten sich zu den Tanzenden - allerdings erst, nachdem Amros von Edhellond Valirë zum Tanz aufgefordert hatte, und Erchirion seine Verlobte kurzerhand an der Hand genommen und auf die Tanzfläche geführt hatte, ohne Amros auch nur einen weiteren Blick zu schenken. Valirës Miene nach zu urteilen war sie gleichermaßen überrascht und erfreut über Erchirions Handeln, und Amros wirkte, als wäre er mit der Stirn gegen einen Holzbalken gelaufen.
Hilgorn tanzte mit Lóthiriel, dann wieder Faniel, und wieder mit Faniel, und wieder mit Faniel... Schließlich hatte sich die hohe Tafel vollständig gelehrt, nur noch Amrothos saß dort und betrachtete mit düsterer Miene die Tanzfläche. Mit einem Mal ließ Faniel Hilgorn los, und zog ihn mit der Hand mit sich. "Komm, das kann sich ja niemand ansehen." Ohne zu widersprechen, folgte Hilgorn ihr - heute wäre er ihr vermutlich auch in den tiefsten Schlund Mordors ohne in einziges Widerwort gefolgt. Vor Amrothos blieb Faniel stehen, und sagte: "Amrothos, wenn man euch ansieht, bekommt man das Gefühl, auf einer Trauerfeier zu sein, nicht auf seiner eigenen Hochzeit. Da ich als Braut so etwas wie die Königin dieser Halle bin - zumindest habe ich das gehört - befehle ich euch hiermit, eure Trauermiene abzulegen, und tanzen zu gehen."
Amrothos' Mundwinkel zuckten schwach, doch er schüttelte den Kopf. "Ich habe keine Lust zu tanzen. Doch ich werde euch die Laune nicht weiterhin verderben, inzwischen dürfte ich mich davonstehlen können, ohne Aufsehen zu erregen." Sein Blick war über Faniels Schulter hinweg auf einen Punkt in der Halle gerichtet. Faniel wandte sich um, folgte dem Blick, und sagte dann. "Ah. Ich habe doch geahnt, dass es das ist, was euch bedrückt." Hilgorn blickte ebenfalls dorthin, konnte aber nichts Besonderes erkennen.
"Ich habe keine Ahnung, wovon ihr sprecht", entgegnete Amrothos ein wenig frostig und machte Anstalten, sich zu erheben. "Wenn ihr mich entschuldigen würdet..."
"Ich entschuldige nicht", gab Faniel zurück, und Hilgorn zog scharf die Luft ein. Braut oder nicht, so mit einem der Söhne des Fürsten zu sprechen, gehörte sich für niemanden. "Aber ich glaube euch beinahe, dass ihr keine Ahnung habt, worum es geht - Männer können hin und wieder so blind sein." Amrothos tauschte einen Blick mit Hilgorn, der nur hilflos mit den Schultern zuckte.
"Also, mein Prinz", fuhr Faniel mit einem Lächeln fort, das ihren Worten ein wenig die Schärfe nahm. "Ihr werdet jetzt in den Saal hinuntergehen, und sobald dieser Tanz zu Ende ist, werdet ihr Irwyne um den nächsten bitten. Und um den darauf, und um den darauf, und... ihr wisst schon, was ich meine."
"Wieso?", fragte Amrothos mit einem Schulterzucken. "Sie scheint sich doch auch so bestens zu amüsieren."
"Und dennoch schaut die den ganzen Abend immer wieder zu euch hinauf", erwiderte Faniel. Während Hilgorn sich noch fragte, wie um alles in der Welt seine Frau das bemerkt hatte, glätteten sich die Falten auf Amrothos' Stirn, und der Glanz schien in seine Augen zurückzukehren. Er deutete eine Verneigung in Faniels Richtung an, und sagte: "Wenn ihr mich entschuldigen würdet... ich glaube, ich sollte etwas gutmachen." Ohne eine Antwort abzuwarten, eilte er um den Tisch herum, die Empore hinab und in die Richtung, wo die junge Irwyne mit einem jungen Ritter aus Imrahils Gefolge tanzte, den Hilgorn flüchtig kannte. Jetzt erinnerte er sich daran, dass Irwyne nicht mit an der Hohen Tafel, sondern an den unteren Tischen gesessen hatte, wo sie angeregt mit einem anderen jungen Ritter geplaudert hatte. Und er erinnerte sich daran, wie Amrothos bei seiner Ankunft mit ihr umgegangen und sie angesehen hatte, und mit einem Mal ergab das, was eben geschehen war, einen Sinn. Er zog Faniel an sich, und lehnte die Stirn gegen ihre. "Ich habe es ja schon immer gewusst - ich habe nicht nur eine sehr schöne, sondern auch eine äußerst kluge Frau geheiratet."
"Wieso nur sehr schön, aber äußerst klug?", fragte Faniel scheinbar empört, aber sie lachte.
"Meinetwegen auch beides äußerst", erwiderte Hilgorn, und küsste sie unauffällig. "Hm", machte Faniel genießerisch. "Was meinst du, wann können wir uns davonstehlen, ohne einen Skandal zu verursachen?"
"Tja, ich weiß nicht... wie wäre es mit... sofort?"
Das Gemach, dass ihnen für diese Nacht im Palast zur Verfügung gestellt worden war, war geräumig und hatte, noch viel wichtiger, ein großes, bequemes Bett. Durch ein hohes, schmales Fenster, das zum Meer hinaus ging, schien der Mond hinein und ließ Faniels rabenschwarzes Haar glänzen. Sie bette den Kopf auf Hilgorns nackte Brust, und Hilgorn fuhr ihr gedankenverloren durch die Haare. Es war ja bei weitem nicht ihre erste gemeinsame Nacht gewesen, und trotzdem... in der Hochzeitsnacht schienen die gewohntesten Dinge neu und aufregend zu sein. "Eigentlich haben wir gerade noch rechtzeitig geheiratet", sagte Faniel langsam und nachdenklich. "Hätten wir noch ein paar Wochen gewartet, hätte es einen Skandal gegeben."
"Was meinst du?", fragte Hilgorn verwirrt, und Faniel packte ihn an den Haaren und zog lachend sanft daran. "Vorhin erst habe ich gesagt, dass Männer blind sein können, und jetzt gibst du das beste Beispiel dafür ab. Ich meine, wenn man alles bedenkt... es wäre ja ein Wunder gewesen, wenn es nicht passiert wäre."
Hilgorn spürte sein Herz einen Schlag überspringen, um dann umso schneller zu schlagen. "Meinst etwa... also, bist du..." Er verstummte, noch unfähig, den Gedanken zu Ende zu denken. Faniel lachte wieder, und es war ein so fröhliches, glückliches Lachen, dass Hilgorn lächeln musste. "Drei Kinder an einem Tag zu bekommen ist auch ein bisschen viel, nicht wahr? Ja natürlich, selbstverständlich bin ich schwanger."
Eandril:
Drei Tage waren seit der Hochzeit vergangen - drei Tage, die Hilgorn mit Sicherheit für den Rest seiner Tage zu den glücklichsten seines Lebens zählen würde. Imrahil hatte ihm drei Tage der Freiheit gewährt, während derer er sich nicht ein einziges Mal um Mordor, den Krieg und irgendwelche Schlachtpläne hatte kümmern müssen. Doch diese Tage waren nun vorüber.
Bereits am frühen Morgen war Hilgorn von einem Boten Imrahils in den Palast gerufen worden, und ihm war sofort klar geworden, dass es sich um etwas dringliches handeln musste. Ohne triftigen Grund rief kein Fürst der Welt seine Generäle zu sich, wenn gerade erst die Sonne aufgegangen war. Imrahils Miene, als Hilgorn das Beratungszimmer betrat, bestätigte diese Vermutung.
"Fürst Dervon von Ethring bittet um unsere Hilfe", begann Imrahil ohne Begrüßung. "Es tut mir leid, euch direkt nach Ende eures Urlaubs damit belasten zu müssen, doch Mordor greift seit zwei Tagen immer wieder die Furten am oberen Linhir an, und Dervon fürchtet, dass er alleine sie nicht viel länger aufhalten kann."
"Dann bin ich dankbar, dass Mordor jetzt erst angreift", erwiderte Hilgorn. "So haben sie mir wenigstens diese drei Tage des Friedens gelassen." Imrahil lächelte nicht, sondern schüttelte bedauernd den Kopf. "Ich wünschte, ich müsste euch nicht schon wieder ins Feld schicken, Hilgorn. Ich weiß wie es ist, gerade erst verheiratet zu sein, und..." Er verstummte, anscheinend unsicher, was er sagen wollte - untypisch für den Fürsten.
"Ich kann nicht sagen, dass ich glücklich darüber wäre", meinte Hilgorn stattdessen. "Aber es ist meine Pflicht, und darüberhinaus: Wenn Mordor den Gilrain überquert stehen die Chancen gut, dass niemand anderes mehr die Gelegenheit bekommen wird, eine Hochzeit zu feiern."
Imrahil nickte erleichtert, und fuhr mit einem Finger die Linie des Gilrain auf der Karte, die vor ihm auf dem Tisch ausgebreitet lag, nach. "Laut den Berichten greift Mordor ausschließlich den nördlichen Verlauf des Gilrain an. Sie scheinen Linhir nicht anzurühren."
"Und dennoch dürfen wir nicht den Fehler machen, die Garnison in Linhir zu schwächen." Hilgorn betrachtete die kleinen Holzfiguren, die entlang der Grenze aufgereiht waren, nachdenklich. "Es könnte ein Ablenkungsmanöver sein, um uns zu provozieren unsere Kräfte im Norden zu konzentrieren, sodass sie im Süden den Fluss überqueren können."
Imrahil bedeutete ihm mit einer Geste, fortzufahren. "Die Frage ist nur, wo nehmen wir die Männer her, um die Furten im Norden zu halten, ohne Linhir verwundbar zu machen?" Zu Hilgorns Überraschung lächelte Imrahil. "Nun, zum Glück haben wir Verstärkungen erhalten."
Aus einer der Fensternischen im Hintergrund löste sich eine hochgewachsene weibliche Gestalt, und Hilgorn erkannte rasch die Elbin Mithrellas. "Viele Elbenkrieger haben mich von Lindon aus nach Süden begleitet", begann sie. "Wir haben ihre Ankunft hier bislang geheimgehalten, um sie vor Mordors Spionen zu verbergen. Doch jetzt ist der Zeitpunkt für sie gekommen, in die Schlacht zu ziehen."
"Mit ihnen und einigen unserer Soldaten solltet ihr genug Schwerter nach Osten führen können, um die Furten über den Winter zu halten", fuhr Imrahil fort. Zum ersten Mal seit Beginn des Gesprächs verspürte Hilgorn ein wenig Zuversicht. Ein Elbenkrieger war mindestens zwei Menschen wert, schätzte er.
"Werdet ihr selbst die Elben nach Osten führen?", fragte er an Mithrellas gewandt, und hoffte, sie mit dieser Frage nicht zu beleidigen. Er wusste, dass bei den Elben auch viele Frauen in die Schlacht zogen, mehr als in Gondor üblich waren, doch es war sicherlich auch bei ihnen unüblich, dass die Fürstin - und dafür hielt er Mithrellas - allzu oft persönlich in den Kampf zog.
Mithrellas schüttelte nur den Kopf, offensichtlich nicht beleidigt. "Nein. Mein Sohn Ladion wird sie anführen. Ich glaube, ihr seit ihm bereits begegnet."
"Das bin ich", erwiderte Hilgorn. "Allerdings wusste ich damals nicht, dass er euer Sohn ist." Und damit ebenfalls mein Verwandter, dachte er bei sich. Der Gedanke war noch immer ein wenig gewöhnungsbedürftig.
"Das wusste bis vor relativ kurzer Zeit beinahe niemand", antwortete Mithrellas kurz. "Doch nach bestimmten... Ereignissen sah ich keine Veranlassung mehr, seine Abstammung geheim zu halten." Ihr Tonfall besagte eindeutig, dass das Thema damit abgeschlossen war, und Hilgorn verzichtete darauf, weiter nachzufragen. Stattdessen wandte er sich erneut an Imrahil.
"Ich werde die Männer an den Gilrain führen", sagte er. "Doch ich habe eine Bitte an euch: Schickt euren Sohn Amrothos mit mir. Er hat einige Zeit unter Elben verbracht, und könnte mir sicherlich eine Hilfe sein."
Imrahil nickte beifällig. "Das ist eine gute Idee. Und vielleicht lässt sich bei dieser Gelegenheit eine Verlobung zwischen ihm und Dervons Enkelin aushandeln - das wäre eine angemessene Belohnung für Dervon. Sie soll ein hübsches Mädchen sein."
Mithrellas bedachte ihn mit einem beinahe mitleidigen Blick, der Hilgorn verriet, dass nicht nur Faniel aufgefallen war, wie es zwischen Amrothos und seiner jungen rohirrischen Freundin wirklich stand, sagte aber nichts.
"Und ich würde euch außerdem darum bitten, einen Teil eurer Schwanengarde in Ethring zu stationieren", fuhr Hilgorn fort. "Wir brauchen eine berittene Truppe, die jederzeit an den Furten eingreifen kann."
"So wird es geschehen", stimmte Imrahil zu. "Lasst Mordor die Furten nicht überqueren, Hilgorn. Zumindest bis der Frühling kommt."
Hilgorn und Amrothos nach Ethring...
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