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Autor Thema: Der Palast des Fürsten  (Gelesen 40730 mal)

Fine

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Imrahils Wagnis
« Antwort #45 am: 9. Okt 2019, 11:57 »
Valion hatte eine anstrengende Nacht hinter sich. Er hatte nur wenige Stunden schlafen können, da Lóminîth ihn noch bis spät in die Nacht wach gehalten hatte, um sich ausführlich mit ihm über alles zu sprechen, was seit der Verkündung von Imrahils Urteil und ihrer zeitweiligen Verbannung nach Linhir ergeben hatte. Valion blieb davon aufgrund seiner zunehmenden Müdigkeit nur das Wichtigste im Kopf: Seine Verlobte war froh, wieder in Dol Amroth zu sein und würde versuchen, in den kommenden Wochen einen Platz unter den Hofdamen des Fürsten zu ergattern. Und der dafür wichtigste Schritt würde es sein, ihre Verlobung mit Valion in eine offizielle Ehe zu verwandeln.
Damit die Hochzeit in aller Förmlichkeit stattfinden könnte, würden noch viele Vorbereitungen getroffen werden müssen. Valions Mutter würde aus dem fernen Nan Faerrim nach Dol Amroth geholt werden müssen. Und nicht nur das: Lóminîth bestand darauf, dass auch ihre Seite der Familie zu den Feierlichkeiten eingeladen würde. Und das bedeutete, dass Nachrichten nach Tol Thelyn gesandt werden müssten. Valion fragte sich, wie der Herr und die Herrin der Weißen Insel auf die Einladung wohl reagieren würden und ob sie wirklich nach Gondor reisen würden, wo doch der Krieg in Harad noch immer beinahe vor ihrer Haustüre tobte.

Am frühen Morgen kehrte Valion in Imrahils große Halle zurück und unterdrückte ein Gähnen. Der Fürst hatte noch vor Sonnenaufgang einen Boten zu Valion entsandt und ihn zu sich rufen lassen. Valion fragte sich, ob er nun erfahren würde, was Imrahil von der ganzen Angelegenheit rings um Hilgorns Befreiung hielt.
Doch die Antwort auf seine Fragen würden noch ein Weilchen auf sich warten lassen. In Imrahils Solar wartete nicht nur der Fürst selbst auf Valion, sondern auch seine Söhne Elphir und Erchirion sowie seine Tochter Lothíriel - und zu Valions Überraschung war auch seine Zwillingsschwester, Valirë, unter den Anwesenden. Sie grinste Valion frech zu, sagte jedoch nichts.
Imrahil nickte zufrieden als Valion eintrat. Der Fürst hatte auf seinem großen Schreibtisch eine detaillierte Seekarte der Bucht von Belfalas ausgebreitet und deutete gerade auf den Punkt, der für Dol Amroth stand.
"Gut, nun sind wir alle hier," begann Imrahil. "Es gilt, eine Unternehmung zu besprechen, die ich schon einige Zeit im Sinne gehabt habe. Gestern Nacht haben mich nun Nachrichten erreicht, die meine Pläne beschleunigen." Er machte eine Pause und fuhr mit dem Finger von Dol Amroth über die blaue Bucht nach Südwesten hin. "Ich gedenke, einen großen Teil der Flotte gen Umbar zu senden," fuhr der Fürst fort. "Qúsays Heer belagert die Stadt, doch solange sie den Seeweg nicht blockieren können, wird sich Hasael dort lange halten können. Die freien Haradrim verfügen über kaum eigene Kriegsschiffe. Und auch wenn ich nur ungerne in unserer prekären Lage Soldaten nach Harad entsende, bin ich nach gründlicher Überlegung zu der Entscheidung gekommen, dass es das Risiko wert ist. Mordors Seemacht ist mit dem Niedergang der Korsaren schon lange gebrochen. Unsere Flotte wächst mit jedem Tag und wir verfügen über gut ausgebildete Mannschaften sowie frische Rekruten aus den westlichen Lehen. Wenn Umbar fällt, stünde uns die gesamte westliche Küste Harads für den Handel offen, der dringend benötigte Güter und Vorräte zu uns bringen würde. Außerdem lenkt ein Sieg Qúsays vielleicht einen Teil der Aufmerksamkeit Saurons fort von Gondor und es könnte uns gelingen, die Grenze am Gilrain weiter zu stabilisieren. Jetzt, wo das Komplott um Hilgorn aufgedeckt wurde, bin ich der Meinung, zumindest für einen gewissen Zeitraum relativ sicher vor weiteren Intrigen Mordors zu sein. Wir haben die Gelegenheit, Qúsays Bundtreue zu belohnen und sich uns damit seine Dankbarkeit zu verdienen. Es mag sein, dass er sich schon bald in der Lage sieht, uns auch hier im Norden militärisch zu unterstützen, wenn der Krieg in Harad gut verläuft. Deshalb stelle ich den Teil der Flotte, der in den Häfen von Edhellond und Dol Amroth liegt mit sofortiger Wirkung unter das Kommando Erchirions."

Der letztgenannte Name überraschte Valion. Er versuchte, sich seine Erleichterung nicht anmerken zu lassen. Je länger Imrahils Rede gedauert hatte, desto mehr hatte Valion befürchtet, dass der Fürst ihn zum Kommandanten der Flotte zu machen und zurück nach Umbar zu entsenden. Er hatte nur wenig Lust, in den warmen Süden zurückzukehren. Stattdessen wollte er nach Rinheryn sehen, und die Grenzen Gondors gegen die Orks von Mordor verteidigen. Und nun, da Imrahil Erchirion mit dem Kommando beauftragt hatte, würde Valion nicht zu einer Rückkehr nach Harad gezwungen sein. Er unterdrückte ein zufriedenes Grinsen.
"Ich werde tun, was getan werden muss," sagte Erchirion und klang gleichzeitig stolz und etwas überrascht. Offenbar hatte er ebenfalls nicht erwartet, eine solche Ehre von seinem Vater gewährt zu bekommen.
"Das wirst du. Da bin ich sicher," meinte Imrahil. "Elphir wird die Verteidigung im Osten übernehmen während Amrothos in Rohan ist, und Lothíriel wird mir hier in Dol Amroth helfen, die Angelegenheiten des Reiches zu regeln. Was dich angeht, meine Tochter..." er wandte sich an Valirë.
"Ich möchte mit Erchirion gehen," wagte Valirë zu fordern. "Edrahil ist dort unten, irgendwo im Umbar. Wenn wir die Stadt einnehmen - und diesmal auch richtig - dann wird er vielleicht endlich nach Hause kommen können. Er verdient endlich etwas Ruhe, wie ich finde."
Imrahil zog überrascht die Augenbrauen in die Höhe. "Ich wollte dich eigentlich in meiner Nähe behalten, doch die Bitte, bei meinem Sohn zu bleiben, werde ich dir nicht abschlagen. Ihr beiden arbeitet gut zusammen, das habt ihr bereits bewiesen. Doch mir ist auch zu Ohren gekommen, welchen Einfluss du auf einige der Kapitäne hast, Valirë. Du wirst auf dem Flaggschiff bleiben, das Erchirion auswählt, und es wird keine weiteren Eskapaden geben, hast du verstanden?"
Valirë nickte demütig - eine geradezu absurde Verhaltensweise für seine Schwester, wie Valion feststellte. "Ich höre und gehorche." Das werde ich dich nie vergessen lassen, dachte Valion und hatte noch mehr Schwierigkeiten, sein Grinsen zu verbergen. Er wusste, dass er sich den Zorn seiner Schwester einhandelte, wenn er sie für ihre Unterwürfigkeit Imrahil gegenüber aufzog, doch die Verlockung war einfach zu groß.
"Dann ist es beschlossen," entschied Imrahil. "Erchirion und Valirë werden die Flotte noch heute abfahrtbereit machen und so bald es möglich ist gen Umbar in See stechen."

Nach dem Ende der kleinen Beratschlagung des Fürsten bat Imrahil Valion nur, noch einige Zeit in Dol Amroth zu bleiben, bis seine Dienste wieder vonnöten sein würden, und alle Hintergründe der Verschwörung Hilgorns aufgedeckt wären. So verließ Valion den fürstlichen Solar und suchte erneut die Heilkammern des Palastes auf, um nach Rinheryn zu sehen.
Duinhirs Tochter war inzwischen wach, doch sie sprach nur wenig. Etwas schien noch immer zwischen ihr und Valion zu stehen. Als ihm endlich einfiel, was Rinheryn kurz vor dem Aufbruch von Linhir zu ihm gesagt hatte, war bereits eine zu lange Zeit des unangenehmen Schweigens verstrichen. Er brachte es nicht über sich, das Thema in diesem Moment anzusprechen.
"Die Heiler sagen, du kommst wieder in Ordnung," sagte er etwas betreten.
Rinheryn schlug die Augen nieder. "Das ist gut, schätze ich."
"Du wirst es sehen. Bald stehst du wieder auf eigenen Beinen als wäre gar nichts gewesen."
Ein tiefes Seufzen antwortete ihm. Dann suchte Rinya Valions Blick. "Warum hat er das getan?" verlangte sie zu wissen.
"Hilgorn? Ich weiß es nicht. Ich verstehe es selbst nicht ganz."
"Dann solltest du es herausfinden. Sprich mit ihm, wenn du kannst."
Valion nickte. "Das werde ich." Ich komme später wieder, wollte er noch hinzufügen, aber die Worte wollten seinen Mund nicht verlassen.
Etwas ratlos irrte er einige Minuten in den Gängen des Palastes herum, bis er um eine Ecke bog und beinahe mit Prinzessin Lothíriel zusammengestoßen wäre. Fast hätte er sie nicht erkannt, denn sie trug einen festen Wappenrock aus Leder, ein Kettenhemd darunter und hatte sich ein Schwert umgegürtet.
Sie hielt Valions Blick stand und sagte: "Ich glaube es nicht."
"Wovon sprichst du?"
"Dass Hilgorn ein Verräter sein soll. Das Ganze riecht für mich nach übler Hexerei aus Mordor. Und das werde ich auch beweisen." Sie wirkte so entschlossen wie an dem Tag, an dem Valion sie zum ersten Mal als Fürstin von Tolfalas kennengelernt hatte - an dem sie ihn gefangen genommen hatte.
"Wie-" setzte Valion an.
"Komm mit. Wir werden uns selbst ein Bild der Lage machen, und mit Hilgorn sprechen."
Ohne auf eine Antwort zu warten, eilte Lothíriel davon. Valion blieb nichts anderes übrig als ihr zu folgen - hinab in die Verliese, wo man Hilgorn eingesperrt hatte.
« Letzte Änderung: 10. Jan 2020, 15:59 von Fine »
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Eandril

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Re: Der Palast des Fürsten
« Antwort #46 am: 9. Okt 2019, 15:34 »
Hilgorn erwachte von leisen Stimmen. Er lag auf sauberem Stroh, und um ihn herum war es dunkel, bis auf das flackernde Licht einer Fackel, das durch das in der Tür eingelassene, vergitterte Fenster schien. Offenbar befand er sich in einer Zelle des fürstlichen Kerkers im Palast von Dol Amroth - in seiner Anfangszeit als Gardist hatte er hin und wieder hier unten Wachdienst gehabt. Damals hatte ihm die Dunkelheit der Verliese Unbehagen bereitet. Heute war er froh darüber, hier eingesperrt zu sein, denn hier würde er niemandem schaden können.
"Ich habe Anweisungen, zuerst den Fürsten zu benachrichtigen, wenn der Gefangene aufwacht", stellte eine männliche Stimme entschieden fest. "Und ich darf niemanden zu ihm lassen."
"Für mich würde mein Vater eine Ausnahme machen", erwiderte eine hellere, weibliche Stimme, die Hilgorn entfernt bekannt vorkam. "Glaubst du, wir würden das hier ohne Grund tun, Gwerion?"
"Vermutlich nicht, Herrin", meinte der erste Sprecher zögerlich. "Also schön, ich werde euch einlassen, wenn ihr meint, dass es wichtig ist."
"Kopf hoch", erklang eine dritte Stimme. "Imrahil wird vermutlich zuerst mir den Kopf abreißen. Aber das bin ich gewohnt." Der Sprecher legte eine ironische Schicksalsergebenheit an den Tag, und auch diese Stimme kam Hilgorn bekannt vor. Er hatte das Gefühl, sich sicher sein zu müssen, doch sein Verstand schien in einem dichten Nebel gefangen zu sein.
Die dicke Holztür öffnete sich mit einem Knarren, und eine Frau, die eine Fackel trug, trat vorsichtig in den kleinen Raum dahinter. Eine etwas größere Gestalt folgte ihr, vermutlich einer der beiden Männer, die Hilgorn hatte sprechen hören.
"Ihr seid wach", stellte die Frau fest, als Hilgorn sich ein wenig nach hinten schob, aufrichtete und mit dem Rücken an die kalte Steinwand lehnte. Hilgorn versuchte, sich zu erinnern, wer ihm gegenüber stand, doch sein Gedächtnis ließ ihn im Stich. Stattdessen bemerkte er, wie sich seine rechte Hand im Stroh unwillkürlich zur Faust ballte, als wollte er die beiden Fremden schlagen. Eine kalte Welle Hass überspülte ihn, und ließ ihn ebenso schnell wie sie gekommen war verwirrt zurück.
"Ihr seid... Lothíriel. Imrahils Tochter. Und... Valion?" Hilgorn fragte sich, wie er die beiden nicht hatte erkennen können. Lothíriel wirkte erleichtert.
"Nun, dass Ihr uns erkennt, ist ein gutes Zeichen."
"Was wollt ihr von mir?", fragte Hilgorn müde, und rieb sich abwesend das zerstörte Auge.
Valion schwieg, und betrachtete ihn nur eindringlich. Stattdessen sprach wieder Lothíriel: "Ihr erinnert mich an meinen Bruder, Hilgorn. Für einige Zeit, hatte er einen der neun Ringe bei sich. Er hat mir anvertraut, wie er sich damals gefühlt hat: "Während jener Zeit... lebte ich wie unter einem Schatten. Manchmal wusste ich nicht, wer ich war, oder was ich tat. Manchmal wusste ich, dass ich etwas Falsches tat, doch ich konnte nichts dagegen tun. Es war, als stünde ich unter einem finsteren Zauber, und in gewisser Weise war es auch so, denn der Ring... übte Macht über mich aus." So hat er es mir erzählt, Wort für Wort," schloss Lothíriel.
Hilgorn lauschte, äußerlich gleichmütig, doch seine Gedanken rasten. Er hatte keinen Ring von Arnakhôr bekommen, doch was Lothíriel erzählte, kam ihm nur allzu bekannt vor. Er sagte jedoch nichts, sondern ließ die Prinzessin weiter sprechen. "Ich habe den Verdacht, dass Ihr nicht aus freiem Willen gehandelt habt, sondern unter einem ähnlichen Bann steht", endete sie, und Hilgorn schloss für einen Augenblick sein verbliebenes Auge.
Dann antwortete er: "Was ich oben in der Halle getan habe... habe ich aus freien Stücken getan. Gewissermaßen." Er glaubte, Unverständnis und Abneigung in Valions Augen zu lesen, und Verwunderung in Lothíriels. "Ich... " Es fiel Hilgorn schwer, die richtigen Worte zu finden. Beinahe hatte er das Gefühl, dass etwas in ihm sich dagegen sperrte, die Wahrheit zu sagen. "Ich hatte den Wunsch, Gondor zu schaden", fuhr er schließlich fort. "Also... musste ich etwas tun. Irgendetwas, um eure Aufmerksamkeit zu erregen."
Valion schüttelte den Kopf. "Ich verstehe nicht. Wie konntet Ihr..."
Lothíriel unterbrach ihn. "Ihr habt Euch selbst ausgetrickst", meinte sie, und die Verwunderung war ihrer Stimme deutlich anzuhören. "Nicht wahr?"
"Ja", erwiderte Hilgorn mühsam. Es fiel ihm schwer, einen klaren Gedanken zu fassen, als wollte er sich selbst daran hindern, zu antworten. "Ihr... hättet mir vertraut. Valion hat mir geglaubt. Ihr alle hättet mir geglaubt, und ich hätte euch ins Verderben geführt. Ich musste... Aufmerksamkeit erregen."
Der Gedanke, dass er sich hatte täuschen lassen, schien Valion nicht sonderlich zu gefallen. Er verschränkte die Arme, und sagte: "Ich hatte mir diese Befreiungsaktion ein wenig anders vorgestellt, wisst ihr? Nun stellt sich heraus, dass alles umsonst war."
Lothíriel schüttelte den Kopf, und betrachtete Hilgorn nachdenklich. "Ich denke nicht, dass es umsonst war. Der Zauber, mit dem die schwarzen Númenorer Hilgorn belegt haben... nun, es war ihm ja offensichtlich möglich, ihn zu einem gewissen Grad zu umgehen. Ich nehme an, dass deine Rettungsaktion sie daran gehindert hat, seinen Geist vollständig zu brechen, da ihnen dafür die Zeit gefehlt hat." Valion wirkte ein wenig beruhigt.
"Wie... wie hat Euer Bruder den Einfluss des Rings brechen können?", presste Hilgorn mühsam hervor. Er wusste nicht, warum er das gefragt hatte. Es war doch unbedeutend. "Nicht alleine, so viel ist sicher", antwortete Lothíriel. "Er hatte Hilfe, aber den Ausschlag... den Ausschlag hat Irwyne gegeben." Ihre Miene wurde nachdenklich. "Einen Versuch wäre es wert. Vielleicht sollten wir..."
Hilgorn hatte bereits begriffen. "Nein", stieß er hervor, und versuchte sich, aus seiner sitzenden Position hochzustemmen, doch eine seltsame Lähmung schien seinen Körper ergriffen zu haben. "Bringt sie nicht hierher. Auf keinen Fall!"
Valion hatte offenbar ebenfalls verstanden, denn er wandte sich an Lothíriel: "Bist du sicher, dass das er einzige Weg wäre? Wenn es scheitert, was dann? Welche Qual wäre es für Faniel, Hilgorn so zu sehen, und ihm nicht helfen zu können?"
"Ich bin mir nicht einmal sicher, ob es helfen würde", gab Lothíriel betreten zurück. "Ich... ich wünschte, Meister Elrond wäre hier. Oder Radagast. Oder Mithrandir. Sie wüssten sicherlich, was wir tun könnten."
Die Worte drangen zwar an Hilgorns Ohr vor, doch er begriff ihre Bedeutung nicht. Seit er Faniels Namen gehört hatte, kreisten seine Gedanken nur noch darum.
"Bringt sie nicht hierher", bat er erneut. "Ihr müsst sie beschützen... ihr... wenn es nötig ist, tötet mich. Nur... bringt sie nicht hierher."
« Letzte Änderung: 10. Jan 2020, 15:53 von Fine »

Oronêl - Edrahil - Hilgorn -Narissa - Milva

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Die Herrin Silberglanz
« Antwort #47 am: 24. Okt 2019, 15:56 »
Mehr oder weniger verstört verließen Lothíriel und Valion die Kerkerebene unterhalb des Palastes. In gedämpftem Ton unterhielten sie sich darüber, was sie gesehen und gehört hatten.
"Ich fürchte, man kann Hilgorns Lage wohl doch nicht so sehr mit jener vergleichen, in der sich Amrothos einst befand," meinte Lothíriel und klang einigermaßen ernüchtert. "Sein Wahn ging von diesem verfluchten Ding aus, diesem unscheinbaren Ring - ich kann kaum glauben, dass ein so einfaches Schmuckstück den Geist meines Bruders so gewaltig beherrschen konnte, und bin so froh, dass es vorbei ist. Man sagte mir, dass der Elb, Oronêl Galion, den Ring für immer zerstört hat." Sie atmete tief durch und fuhr fort: "Und doch war Amrothos' Situation damals eher durch Zufall entstanden, wenn ich es aus seiner Erzählung richtig verstanden habe. Niemand zwang ihm diesen Ring in böswilliger Absicht auf. Amrothos erlag seiner Versuchung."
"Worauf willst du damit hinaus?" wollte Valion wissen.
"Ich will sagen, dass Hilgorns Zustand absichtlich herbeigeführt wurde," erklärte Lothíriel. "Dieser Mornadan, dieser Schwarze Númenorer - er hat Hilgorn gefoltert und ihn mit böswilliger Absicht seinem Willen unterworfen. Ich glaube nicht, dass Hilgorn sich selbst davon befreien kann, und seine Reaktion auf meinen Vorschlag, Faniel zu ihm zu bringen, sagt mir, dass auch sie es nicht könnte. Wir brauchen jemanden, der größere Macht als derjenige besitzt, der Hilgorn mit diesem Wahn belegt hat."
"Ich fürchte, so jemanden gibt es in Gondor nicht," meinte Valion niedergeschlagen. "Kaum jemand wagt es, die dunklen Künste des Feindes zu studieren, und mit denen, die es tatsächlich versuchen, nimmt es nur selten ein gutes Ende."
Lothíriels Antwort bestand aus einem zaghaften Lächeln. "Ich denke, ich kenne jemanden, der vielleicht einen Rat haben könnte."

Ohne auf Valions Nachfrage einzugehen führte Lothíriel ihn hinauf in die obersten Stockwerke des Palastes, wo die Familie des Schwanenfürsten lebte. Sie kamen durch mehrere luxuriös eingerichtete, weitläufige Gemächer bis auf einen großen Balkon, der nach Südwesten hin einen atemberaubenden Blick auf die Bucht von Belfalas bot. Dort standen drei Frauen am Geländer, die prunkvolle Kleider in den Farben der Stadt trugen - das zarte Blau der ruhigen See und das Schwanensilber von Dol Amroth. Valion machte große Augen, denn zwar erkannte er die erste der drei Frauen sofort, doch es war viele Monate her, dass er sie zuletzt in einem solchen Aufzug gesehen hatte. Es war Ta-er as-Safar. Sie warf Valion einen wissenden Blick zu.
Die zweite Frau war eine vollkommen Unbekannte. Die Dritte hingegen kam Valion entfernt bekannt vor, doch erst als sie sprach, wurde him klar, wen er da vor sich hatte.
"Lothíriel! Was hatte ich über das Tragen von Waffen in meinen Gemächern gesagt?"
Valion beugte respektvoll das Haupt, während Lothíriel mit einem unwilligen Murren den Schwertgurt abschnallte. "Ja doch, Mutter."
Lothíriels Mutter - die Fürstengemahlin Imrahils, Avórill von Dol Amroth, die vom einfachen Volk "Herrin Silberglanz" genannt wurde, fasste nun Valion ins Auge. "Das gilt auch für dich, Valion." Imrahils Frau war zu Beginn des Krieges mit Mordor auf die als sicher geltende Insel Tolfalas gebracht worden, wo sie auch nach Lothíriels Rückkehr in die Schwanenstadt verweilt war. Weshalb sie nun zurückgekehrt war, wusste Valion nicht - bis jetzt hatte er nicht einmal gewusst, dass die Herrin Silberglanz wieder in der Stadt war.
Er wusste, dass er keine wirkliche Strafe zu befürchten hatte. Denn wo Imrahil (und Edrahil) stets streng gewesen waren, als die Zwillinge jung gewesen waren und den Kopf voller Streiche gehabt hatten, war die Fürstin eine der wenigen gewesen, die über die Späße lachen konnte. Sie war es gewesen, die die schlimmsten Strafen von Valion und Valirë abgewandt hatte und die den Zorn ihres Gemahls hatte besänftigen können. Trotzdem tat Valion es Lothíriel gleich und legte seine Waffe beiseite.
"Habt ihr mit dem General sprechen können?" wollte Ta-er as-Safar ungewohnt interessiert wissen.
"Das hat sich ja rasch herumgesprochen," murmelte Valion.
Lothíriel schien einen ähnlichen Gedanken zu haben. "Wer weiß noch davon? Vater befahl, dass niemand zu Hilgorn vorgelassen werden soll."
"Niemand weiß davon," erklärte Avórill beruhigend. "Ich habe es erraten, dass ihr den jungen Hilgorn aufsuchen würdet, als ihr beiden so lange verschwunden geblieben seid." Sie musterte sie beide mit einem interessierten Blick. "Doch ich vermute, ihr seid nun nicht unseretwegen hier, nicht wahr?"
Das wüsste ich auch gerne, dachte Valion, als Lothíriel nickte. "Wir sind hier, um mit Mithrellas zu sprechen."
Die dritte Frau, die sich bislang eher im Hintergrund gehalten hatte und auf das ruhige Meer hinaus geblickt hatte, wandte sich ihnen zu, als Lothíriel ihren Namen nannte. Sie war von atemberaubender Schönheit. Valion war überrascht, dass er dennoch, anstatt sich zu ihr hingezogen zu fühlen, stattdessen einen tiefen Respekt vor der Fremden empfand.
"Dies ist Mithrellas, Tochter des Oronêl Galion und Ahnherrin der Fürsten von Dol Amroth," stellte Lothíriel die Dame mit hörbarem Stolz vor.
Erst jetzt fiel es Valion auf, dass er eine Elbin vor sich hatte. Und obwohl die Tore der Schwanenstadt nun schon seit mehreren langen Monaten von Elben bewacht wurden und er einen von ihnen, Ladion, ein wenig kennengelernt hatte, waren Elben für Valion noch immer ein etwas befremdlicher Anblick. "Hier ist Valion vom Ethir, einer unser tapfersten Krieger," stellte Avórill Valion der Elbin mit einem schelmischen Lächeln vor.
Mithrellas bedachte Valion mit einem forschenden Blick. "Du hast Gilmîths Augen," sagte sie in einem sonderbaren Tonfall. "Wie wundersam die Gabe der Zweitgeborenen doch ist. Imrahils Familie trägt Galadors Blutlinie in sich, doch sie sind bei weitem nicht die Einzigen, die von meinen Kindern abstammen."
"Gilmîth von Dol Amroth, Schwester Galadors des Ersten heiratete den Fürsten von Belfalas," sagte Lothíriel und erinnerte Valion daran, dass sie auch als Mädchen schon gerne mit ihrem Wissen angegeben hatte.
"Ich fühle mich geehrt," sprach er etwas holprig und deutete eine Verbeugung vor Mithrellas an. "Doch ich glaube nicht, dass wir hier sind, um über Stammbäume und Ahnen zu sprechen."
"Nein, sind wir nicht," ergriff Lothíriel rasch die Gelegenheit. "Es stimmt, dass wir mit Hilgorn gesprochen haben. Und es steht wahrlich nicht gut um ihn. Die Knechte Mordors haben ihn lange gefoltert und nun ist er nicht mehr der, der er einst war. Sein Angriff, der meinem Vater galt und die arme Rinheryn traf, ist der größte Beweis dafür."
"Und ihr ersucht nun meinen Rat, wie man General Hilgorn von seinem Leiden befreien könnte," schloss Mithrellas scharfsinnig.
"So ist es," meinte Valion überflüssigerweise.
"Ich bin keine Kriegerin und kenne mich in den dunklen Künsten der Diener des Feindes nur wenig aus," antwortete die Elbin entschuldigend. "Andere von meinem Volk könnten weiseren Rat geben, doch sie weilen fern von hier. Selbst mein Vater hat die Stadt bereits wieder verlassen."
"Ihr müsst ihm doch irgendwie helfen können," sagte Valion. "Immerhin seid Ihr älter als die Grundfesten dieser Stadt!"
"Alter und Weisheit gehen nicht immer Hand in Hand," konterte Mithrellas mit einem traurigen Lächeln. "Ich habe viele Jahre in tatenloser Bitterkeit verbracht und oft sind die goldenen Blätter Lóriens gefallen, ehe sich etwas daran änderte."
Valion wechselte einen Blick mit Lothíriel, die sich ganz offensichtlich mehr erhofft hatte und enttäuscht drein blickte. Erst ein strenger Blick von ihrer Mutter brachte die Prinzessin dazu, sich zu beherrschen und eine neutrale Miene aufzusetzen.
"Eure Augen haben mehr gesehen, als unsere es jemals könnten," sagte die Fürstengemahlin diplomatisch. "Vielleicht genügt es bereits, wenn Ihr einfach nur mit dem General sprecht."
"Nun, diese Bitte werde ich euch nicht abschlagen," erwiderte Mithrellas. "Die Zeit meiner Tatenlosigkeit ist vorbei. Wenn ich etwas dazu beitragen kann, diese Stadt meiner Kinder, die ich liebe, in Sicherheit zu wissen, dann will ich tun, was ich kann."
Sie verließ ihren Platz am Geländer des Balkons und schien sich direkt auf dem Weg zu den Zellen machen zu wollen. Als sie an Valion vorbeikam, blickte ihm die Elbin für einen langen Moment in die Augen, der die Verbundenheit noch verstärkte, die er ihr gegenüber fühlte. Doch erst als sie gegangen war, fiel ihm auf, was Lothíriel zuvor schon angedeutet hatte: Mithrellas, die einst den Begründer der Linie von Dol Amroth geheiratet hatte, war nicht nur die Vorfahrin Imrahils und seiner Kinder - durch ihre Tochter und deren Nachfahren floss ein winziger, längst bis zur Unkenntlichkeit verdünnter Teil von Mithrellas' elbischem Blut auch in den Adern der Zwillinge vom Ethir...
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Ein unerwarteter Vorschlag
« Antwort #48 am: 14. Nov 2019, 15:06 »
Obwohl Valion durchaus daran interessiert war zu erfahren, was die Herrin Mithrellas wohl zu Hilgorn sagen würde, wurden Lothíriel und er jedoch von der Fürstin Avórill am Gehen gehindert.
"Ich habe eine Bitte an euch beide," sagte Imrahils Gemahlin, während Ta-er sich mit scheinbarem Desinteresse abgewandt hatte und auf das Meer hinaus blickte. "Erst seit ungefähr zwei Wochen weile ich wieder in der Stadt, doch mir ist aufgefallen, dass sich am Hof des Fürsten einiges verändert hat. Schmerzlich vermisse ich nun Edrahils Abwesenheit - er verstand es, die allzu ambitionierten Adeligen im Zaum zu halten. Sein Stellvertreter vermag es, wohl über die Spione an unseren Grenzen zu gebieten, doch ich fürchte, Amrodins Ohren und Augen fehlt einfach noch die Erfahrung, um auch das leisere, verborgenere Geflüster in den Hallen des Palastes aufzuschnappen."
"Worauf willst du hinaus, Mutter?" wollte Lothíriel wissen.
"Es gibt einen neuen Spieler am Tisch der Mächtigen, die um die Macht am Hofstaat des amtierenden Truchsessen ringen. Jemand schart Leute um sich, die auf die eine oder andere Art und Weise ihren Weg in den Palast finden und dort auf subtilstem Wege Einfluß zu nehmen. Hier ein geflüstertes Wort in das richtige Ohr, dort ein wie zufällig wirkendes Gerücht... selbst vor der Fürstenfamilie machen diese Leute keinen Halt. Für meine beiden noch unverheirateten Kinder -" sie blickte hierbei eindringlich Lothíriel an "-gab es in den vergangenen Wochen vielerlei Verlöbnisangebote, die auf mich höchst suspekt wirken. Sie stammen allesamt von plötzlich auftauchenden Nachfahren längst untergegangener Adelshäuser oder von Junggesellen im falschen Alter, die sich eigentlich längst für ein unverheiratetes Leben entschieden hatten. Und darüber hinaus stelle ich immer wieder fest, dass nicht alle der Bediensteten im Palast im besten Interesse ihrer Herren zu handeln scheinen. Immer wieder verschwinden scheinbar unwichtig wirkende Gegenstände. Truhen mit persönlichen Besitztürmern werden durchwühlt und Schränke mit Gewalt geöffnet. Zwei angesehene Adelige sind tot - in Friedenszeiten wäre dies ein Schock und würde eine gründliche Untersuchung einleiten. Doch es herrscht Krieg, und selbst die Stadtwache ist bis an die Grenzen ihrer Kapazität ausgelastet. In beiden Fällen scheint ein Selbstmord vorzuliegen, doch ich glaube längst nicht mehr daran. Deshalb will ich, dass sich jemand dieser ganzen Angelegenheit annimmt, dem ich absolut vertrauen kann."
Bedeutungsvoll sah sie Valion und Lothíriel an. "Ich spreche von euch beiden," fügte Fürstin Avórill unnötigerweise hinzu. "Findet heraus, was wirklich vor sich geht, und wer dahintersteckt. Ich kann nicht erlauben, dass jemand die Autorität meines Gatten untergräbt und die innere Sicherheit Gondors gefährdet."
"Wo... wo sollen wir anfangen?" stieß Valion überrumpelt hervor.
"Bei deiner Verlobten," schlug Lothíriel vor. "Ich weiß, dass sie viele Waisenmädchen in ihre Dienste genommen hat und bin mir fast sicher, dass einige von diesen jungen Frauen identisch mit so mancher frisch verheirateten Adeligen aus einem der lange verschollen geglaubten Häuser sind."
Valion seufzte. "Ich werde sehen, was sich machen lässt," meinte er. "Doch ich glaube nicht, dass Lóminîth Gondor verraten würde. Sie hat ohnehin schon genug mit den Vorurteilen zu kämpfen, die ihr aufgrund ihrer Herkunft entgegenschlagen."
"Ich teile deine Einschätzung, Valion," sagte Avórill. "Doch ist diese Angelegenheit zu wichtig, um nicht alle Möglichkeiten zu untersuchen. Sprich mit Lóminîth und finde die Wahrheit über ihre Absichten heraus. Vielleicht kann sie dir sogar bei den Nachforschungen behilflich sein."
"Und was ist meine Aufgabe in all dem?" wollte Lothíriel wissen.
Seine Mutter lächelte wissend. "Du wirst uns dabei helfen, eine Falle für unseren geheimnisvollen Spieler zu stellen. Dein Bruder, Amrothos, wird dabei den Köder spielen. Noch wissen nur wenige von Irwynes Existenz, was das arme Kind bislang vor den meisten Intrigen verschont hat. Sicherlich wirst du mir zustimmen, wenn ich sage, dass es am Besten so bleiben sollte. Amrothos wird sich also offen für Verlobungsangebote geben und du, Lothíriel, wirst dir die Bewerberinnen ganz genau ansehen und ihre Hintergründe offenlegen."
"Aber -" wagte Lothíriel zu protestieren.
"Lothíriel, das war keine Bitte."
"Mutter, so höre doch. Ich fürchte... Irwyne wird es nicht verstehen, ich -"
"Sie wird Einsicht zeigen. Sie ist ein kluges Mädchen, wie du selbst auch. Und natürlich wird Amrothos nicht ernsthaft auf eine Verlobung eingehen," erklärte Avórill gelassen.
Lothíriel ließ geschlagen die Schultern hängen. "Da verlangst du aber viel von ihm, Mutter."
"Denk daran, dass Gondors Sicherheit auf dem Spiel steht," erinnerte die Fürstin sie.

Einige Minuten später hatte sich Valion von Imrahils Familie verabschiedet. Er suchte in seinen Gemächern nach Lóminîth, doch seine Verlobte war nicht dort. Eine der Bediensteten ließ Valion ausrichten, dass die Herrin in der Stadt unterwegs und mit diversen äußerst wichtigen Vorbereitungen für ihre anstehende Hochzeit beschäftigt sei und nicht gestört werden wollte. Die Hochzeit, fiel es Valion wieder ein. Er hatte in all der Aufregung völlig vergessen, dass er diesbezüglich einen dringenden Brief an seine Mutter in Nan Faerrim zu schreiben hatte.
Etwas unschlüssig stand Valion am Eingang des Gemaches herum und überlegte, was er als Nächstes tun sollte. Ob er den Brief jetzt sofort aufsetzen sollte? Oder wäre es sinnvoller, zunächst nach Lóminîth zu suchen?
Dass jemand an ihn herangetreten war, bemerkte er erst, als sich eine zaghafte Hand auf seinen Arm legte.
"E-entschuldigung," stieß die junge Frau hervor und zog ihre Hand sofort wieder zurück. Endlich erkannte Valion sie: die Schwester des Waldläufers des Nordens, der er gemeinsam mit Rinheryn in Anórien begegnet war.
"Areneth, richtig?" fragte er.
Sie nickte. "Ich habe nach dir gesucht," sagte sie ein wenig außer Atem. "Ich brauche deine Hilfe, Valion."
Schon die Nächste, die etwas von mir will, dachte Valion, und sagte mit einem schiefen Grinsen: "Das wollen viele."
Areneth warf ihm einen verärgerten Blick zu. "Lass den Unsinn! Ich bin keine von... dieser Sorte Frauen."
"Natürlich nicht," wagte Valion zu sagen.
Die Dúnadan gab ein leises Schnauben von sich, ehe sie sich wieder fasste. "Ich muss in die große Bibliothek im Stadtzentrum. Aber man will mir keinen Zugang gewähren!"
"Was suchst du dort denn?"
"Zwei Dinge: Einerseits Spuren, die mich zu den Nachfahren des Hauses Glórin führen können. Und zweitens jemanden, der mir bei der Suche zu helfen versprach: Thandor, der alte Archivar aus Minas Tirith, der mit uns aus Ithilien nach Dol Amroth gekommen ist."
"Und weshalb hat man dich nicht in die Bibliothek hineingelassen?"
Areneth verdrehte die Augen. "Diese ganze Stadt scheint zurzeit unter Verfolgungswahn zu leiden. Man traut keinen Fremden mehr. Sie haben mich verdächtigt, eine Spionin Mordors zu sein!"
"Vielleicht sollte ich mal ein Wörtchen mit Onkel Beretar wechseln," murmelte Valion, als ihm einfiel, wer nach Hilgorns Beförderung zum General das Kommando über die Stadtwache von Dol Amroth übernommen hatte. "Also gut, Areneth. Gehen wir. Ich werde schon dafür sorgen, dass man dich in die Bibliothek lässt."
"Danke, Valion," sagte die Dúnadan des Nordens. "Ich bin jetzt schon beinahe einen Monat in dieser Stadt und bin dem Artefakt, das mein Bruder mir zu finden auftrug, noch keinen Schritt näher gekommen. Ich wünschte, ich hätte bei ihm bleiben und mich im Kampf nützlichen machen können..."
"Dafür ist sicherlich auch später noch Zeit," meinte Valion leichthin. Er warf einen Blick aus einem nahen Fenster, um nach dem Stand der Sonne zu sehen. Seiner Schätzung nach hatte der Nachmittag gerade erst begonnen. Er rechnete nicht damit, dass Lóminîth vor dem Abend zurückkehren würde. Sich mit ihr zu befassen konnte also warten. "Komm, Areneth. Ich werde dir bei deiner Suche ein wenig unter die Arme greifen."


Valion und Areneth zur Bibliothek des Túron
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Eandril

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Re: Der Palast des Fürsten
« Antwort #49 am: 26. Nov 2019, 23:22 »
Nachdem Valion und Lothíriel ihn wieder in der Dunkelheit allein gelassen hatten, hatte Hilgorn sich mit dem Rücken an die kalte Steinwand gelehnt, die Augen geschlossen, und begonnen, langsam und gleichmäßig tief durchzuatmen - eine Technik, die ihm während seiner Ausbildung beigebracht worden war. Eigentlich sollte sie dazu dienen, sich vor einem Kampf so weit wie möglich zu entspannen und den Geist für die kommende Aufgabe zu schärfen, doch jetzt versuchte Hilgorn nur die Schreckensbilder, die ihn plagten, zu verdrängen. Bilder von Faniel, wie sie sah, was Arnakhôr aus ihm gemacht hatte. Wie sie sich entsetzt abwandte, und vor ihm floh. Er glaubte nicht, dass er sie jemals wieder sehen wollte, sofern kein Wunder geschah. Sollte sie die Erinnerung an den Mann, der er einst gewesen war, behalten.
Langsam beruhigte sich sein Herzschlag, und für einen Augenblick konnte Hilgorn beinahe vergessen, in welcher Lage er sich befand. Vielleicht würde der Fürst ihm eines Tages, wenn der Krieg vorüber war, gestatten, den Kerker zu verlassen. Er könnte weit nach Westen gehen, in die Wildnis von Anfalas, wo er niemandem schaden konnte. Der Gedanke stimmte Hilgorn gleichermaßen froh wie traurig.

Er wusste nicht, wie viel Zeit vergangen war, als ein leises Knarren ihm verriet, dass seine Zellentür geöffnet wurde. Merkwürdigerweise hörte er keine Schritte, und als er langsam das rechte Auge öffnete, blendete ihn für einen Augenblick eine seltsame Helligkeit. Vor ihm stand eine hochgewachsene, schlanke Gestalt, die von innen heraus zu leuchten schien. Hilgorn blinzelte in der unerwartete Helligkeit, und die Gestalt ging vor ihm auf ein Knie nieder und ergriff seiner Hände.
"Ich weiß nicht, ob ich etwas für dich tun kann", sagte eine weibliche Stimme. "Doch ich werde es versuchen." Hilgorn konnte nicht anders, als ihr ins Gesicht zu blicken. Es war von einer unwirklichen Schönheit, deren verwirrend graue Augen sich geradezu in seinen Geist zu bohren schienen. Ein Teil von ihm hasste und fürchtete dieses Gesicht, und wand sich unter diesem Blick. Ein anderer Teil fühlte sich unter ihrem Blick geborgen und beschützt, und beide Teile kämpften miteinander um die Vorherrschaft.
"Sieh mich an, Hilgorn aus dem Hause Thoron. Ich spüre die Dunkelheit, die sich auf deinen Geist gelegt hat. Ich spüre, wie Furcht, Hass und Hinterlist versuchen, dich zu überwältigen. Doch deine Seele ist unberührt vom Schatten. Und darum, Hilgorn, gibt es Hoffnung."
Bei den letzten Worten wurde sich Hilgorn der Kälte, die sich in seinem Inneren ausgebreitet hatte, zum ersten Mal bewusst. Es fühlte sich an wie ein Eissplitter, der tief in ihm steckte. Sein Blick fiel auf eine zweite Person, die noch im Türrahmen stand und nun zögerlich näher kam. Ihr langes, rabenschwarzes Haar fiel ihr bis auf die Hüften, und Hilgorn fühlte seine Hände bei ihrem Anblick zittern.
"Nein", murmelte er undeutlich. "Nicht..." Er fühlte den Druck warmer Hände, und die Stimme fuhr fort: "Jeder hat das Recht, sich seine Kämpfe auszuwählen. Und jeder hat das Recht zu wählen, ein Opfer zu bringen. Und manchmal... ist es in Ordnung, andere dieses Opfer für einen selbst bringen zu lassen."
Faniel kniete sich neben Hilgorn ins Stroh, und blickte ihm fest ins Gesicht. "Mit dir habe ich die Liebe gefunden, die ich mein Leben lang gesucht habe", sagte sie leise, aber spürbar entschlossen. "Und ich werde mir das von niemandem wegnehmen lassen, auch nicht von Sauron selbst. Hörst du? Von niemandem."
Hilgorn erwiderte ihren Blick, und stieß einen langen, zitternden Atem aus. Er spürte, wie der Eissplitter in seinem Inneren schmolz, wie sich Wärme in ihm ausbreitete. Er konnte stark genug sein. Vielleicht nicht für Imrahil, für Dol Amroth, oder die ganze Welt, doch für sie konnte er Hilgorn bleiben. Um Faniels Willen würde Arnakhôrs Zauber nicht die Macht über ihn erringen.
Mit einem Mal breitete sich ein stechender Schmerz über seinen ganzen Körper hinweg aus, und er öffnete den Mund zu einem lautlosen Schrei. Der Druck der Hände, die die seinen hielten, verstärkte sich, ein helles Licht erfüllte den Raum, und mit einem Mal war der Schmerz verschwunden. Und nicht nur der Schmerz. Sein Geist schien zum ersten Mal seit Tagen wieder vollständig klar zu werden, und das immer im Hintergrund lauernde Bedürfnis zu töten und zu zerstören, war verschwunden.
Hilgorn atmete tief durch, und blickte Faniel an, die bei diesem Blick die Hand vor den Mund schlug, und ein Schluchzen unterdrückte. Die andere Frau ließ seine Hände los, und sackte ein wenig in sich zusammen. Das Leuchten, das für Hilgorn noch vor kurzem den Raum beherrscht hatte, war verschwunden, und jetzt erkannte Hilgorn sie.
"Herrin Mithrellas", sagte er langsam, mit rauer Stimme. "Mir war nicht klar, dass ihr Wunder vollbringen könnt."
Mithrellas wischte sich mit einer Hand über die Stirn und lächelte schwach. Ihre unwirkliche, überirdische Erscheinung war verschwunden, und trotz aller elbischen Schönheit wirkte sie im Vergleich zu vorher überraschend ungewöhnlich. "Nun, ich habe auch eher gehofft etwas bewirken zu können, als dass ich es wusste", erwiderte sie. "Vermutlich hätte ich es nicht gewagt, hätte euer Freund Valion mich nicht so eindringlich darum gebeten."
Hilgorn nickte langsam. Offenbar schuldete er Valion inzwischen mehr, als er hoffen konnte jemals zurückzuzahlen. Er tastete mit der rechten Hand nach Faniels Linker und ergriff sie fest. "Wie kommst du hierher?", fragte er. "Ich... ich wollte eigentlich nicht, dass du mich hier siehst."
Faniel schnaubte verächtlich, und blinzelte eine einzelne Träne weg. "Die Geschichte von deiner Rückkehr konnte nicht ewig geheim bleiben, und als ich hörte, was geschehen ist, musste ich zum Palast kommen. Dort bin ich Mithrellas begegnet, und sie hat mich mit hierher genommen."
"Was sich als kluge Entscheidung herausgestellt hat", warf Mithrellas ein, die sich inzwischen erhoben hatte, und in der Tür stand. "Ich werde mit Imrahil sprechen", erklärte sie dann. "Er muss erfahren, was geschehen ist."
Hilgorn nickte abwesend, doch der Fürst war im Augenblick seine letzte Sorge. Mit Faniels Hilfe kam er etwas mühsam auf die Füße, bevor er seine Frau fest in seine Arme zog, das Gesicht in ihre dichten schwarzen Haare gepresst. Nach einer halben Ewigkeit, die ihm immer noch zu kurz erschien, ließ er sie wieder los.
"Ich hoffe, du zweifelst jetzt nicht, dass du den richtigen Mann geheiratet hast", sagte er leise, und deutete mit einer nachlässigen Geste auf seine linke Gesichtshälfte. Faniels Antwort bestand aus einer Ohrfeige, die Hilgorns rechte Wange brennen ließ und ihn in seinem gegenwärtigen Zustand beinahe von den Füßen gerissen hätte. "Einen solchen Satz möchte ich nie wieder aus deinem Mund hören", stieß sie hervor, und packte Hilgorn bei den Schultern. In ihren Augen glitzerten nun Tränen. "Ich habe dich nicht für dein gutes Aussehen geheiratet, weißt du. Das da... das ändert nichts. Ich trage dein Kind unter dem Herzen, und ich möchte weitere Kinder mit dir haben. Ich möchte den Rest meines Lebens mit dir verbringen, und es ist mir völlig gleichgültig, ob du zwei Augen hast oder nur eines. Vollkommen gleichgültig, verstehst du? Also sag so etwas nie wieder."
Hilgorn musste gegen seinen Willen lächeln, und wischte mit dem Daumen eine Träne von ihrer Wange. "Also gut", erwiderte er. "Ich werde aber darauf achten, nicht noch ein Auge zu verlieren. Ich würde dich nämlich gerne weiterhin ansehen können."
Faniel blickte ihn für einen Moment an, als hätte er den Verstand verloren, doch dann brach sie in hilfloses Lachen aus. "Es gibt wahrlich niemanden, der so schöne Komplimente machen kann und dabei ein vollkommener Narr ist." Dann küsste sie ihn.

Sie wurden von einem vernehmlichen Räuspern unterbrochen. In der offenen Zellentür stand Imrahil, Fürst von Dol Amroth, begleitet von drei seiner Leibwächter. Der Fürst sah angespannt und müde aus, wirkte allerdings ein wenig erleichtert. "Mithrellas hat mir berichtet was geschehen ist", sagte er. "Und ich hoffe, sie hat nicht übertrieben. Seid ihr wieder bei uns, Hilgorn?"
Hilgorn verneigte sich. "Ich denke schon, Herr. Doch wie kann ich jemals wirklich sicher sein?", fragte er wahrheitsgemäß. Im Augenblick hatte zwar tatsächlich das Gefühl, dass Arnakhôrs Zauber geschwunden war, doch er konnte nicht wissen, ob er tatsächlich völlig gebrochen war oder nur für einige Zeit gewissermaßen schlief.
"Das ist eben das Problem", erwiderte Imrahil ernst. "Ich würde nichts lieber tun, als euch sofort in eure alten Ämter wieder einzusetzen und euch an die Front zu schicken - wir sind wahrlich schwach genug aufgestellt. Doch ich kann diese Wagnis nicht eingehen."
"Ich verstehe. Was also soll mit mir geschehen?"
Imrahils Blick wanderte von Hilgorn zu Faniel und zurück. "Ich werde euch nicht in diesem Kerker belassen", sagte der schließlich. "Aber für den Moment kann ich es nicht wagen, euch in völlige Freiheit zu entlassen. Nicht nur wegen der Ungewissheit, was euren Zustand betrifft, sondern auch weil es vermutlich Duinhir verärgern würde. Immerhin habt ihr seine Tochter, sein einziges überlebendes Kind verwundet. Ich werde euch bis auf weiteres unter Hausarrest stellen. Ihr könnt euch in eurem Haus und Garten frei bewegen, doch für alles weitere benötigt ihr meine persönliche Erlaubnis."
Mit diesen Bedingungen war Hilgorn nur allzu gerne einverstanden. Es bedeutete, dass er Faniel sehen konnte, und Iorweth und Belegorn, so oft er wollte.
Er neigte den Kopf ein wenig vor Imrahil. "Ich danke euch, Herr." Zur Antwort nickte Imrahil knapp, machte dann aber einen Schritt auf Hilgorn zu und legte ihm eine Hand auf die Schulter. "Wir werden irgendeinen Weg finden, wie wir sicher sein können, dass ihr nicht mehr in Gefahr seid", sagte er leise. "Und eines Tages, Hilgorn, werdet ihr wieder eine Armee Gondors in die Schlacht führen, und dann werdet ihr die Gelegenheit bekommen, euch bei Arnakhôr zu revanchieren. Das verspreche ich euch."

Hilgorn und Faniel in die Stadt
« Letzte Änderung: 10. Jan 2020, 16:09 von Fine »

Oronêl - Edrahil - Hilgorn -Narissa - Milva

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Besuch vom Meer
« Antwort #50 am: 12. Feb 2020, 12:59 »
Hilgorn, Valion und Lóminîth aus der Stadt


Es vergingen einige ruhigere Tage, die Valion zum Großteil damit verbrachte, sich die Zeit mit Spaziergängen, Ertüchtigungsübungen und Nickerchen zu vertreiben, während Lóminîth im Zuge der Hochzeitsvorbereitungen zu Hochform auflief. Es schien, als hätte sie geradezu jeden freien Arbeiter in Dol Amroth unter Vertrag genommen, um die gewaltigste Feier zu organisieren, die der Fürstenpalast jemals gesehen hatte. Woher sie das benötigte Geld hatte, war eine Frage, die Valion sich immer mal wieder für kurze Zeit stellte, bis er jedes Mal Kopfschmerzen davon bekam und mit den Achseln zuckte, um resignierend aufzugeben. Sein persönliches Vermögen - der kleine Teil, der seit dem Fall des Ethirs noch übrig geblieben war - war jedenfalls unberührt geblieben. Seine Verlobte musste sich also wohl einer anderen Einnahmequelle bedient haben...

Ungefähr eine Woche nachdem er mit Areneth bei Hilgorn gewesen war - die Dúnadan hatte die Stadt inzwischen verlassen und sich auf die Suche nach ihrem Bruder gemacht, der mit den Waldläufern Ithiliens noch immer hinter feindlichen Linien in Lebennin agierte - war Valion gedankenverloren über einen der Märkte im unteren Teil der Stadt geschlendert, als ihn einer der Pagen des Fürstenhofes entdeckt hatte. Es war der junge Bergil, der Valion aufgefordert hatte, sich in aller Eile an Imrahils Hof einzufinden - anscheinend würden dort schon bald einige sehr wichtige Gäste eintreffen, und der Fürst hatte um Valions Anwesenheit gebeten. Unterwegs war ihnen Hilgorn begegnet, der einfache Kleidung und einen Kapuzenumhang getragen hatte. Bei ihm war Bergil zuvor schon gewesen, denn streng genommen stand der sich derzeit nicht im Dienst befindliche General unter Hausarrest, weshalb er nun von drei Soldaten der Stadtwache begleitet worden war.
 
So kam es, dass sie wenig später in der großen Halle der Schwanenfürsten standen, dessen Berater und Familie sich um den hohen Sitz jenseits der Marmorstufen versammelt hatten. Valion trug nun seine Rüstung sowie die Insignien seines Ranges als Lehnsfürst, während Hilgorn seine Bekleidung nicht gewechselt hatte - offiziell bekleidete er im Augenblick kein Amt, doch inoffiziell schien zumindest Imrahils Erbe Elphir zu wünschen, dass Hilgorn persönlich von den wichtigen Vorgängen am Hofe erfuhr.
Neben Imrahils Sitz war der Stuhl der Fürstin Silberglanz aufgestellt worden. Avórill trug ein tiefblaues Kleid mit silbernen Stickereien entlang der Ärmel und in ihrem Haar steckte eine weiße Blüte. Etwas mehr im Hintergrund standen Elphir, ebenfalls in Rüstung, sowie die Lehnsfürsten Golasgil, Amros und Ardamir, die jeder einen grünen Umhang trugen. Zur Linken des Thrones, ebenfalls im Hintergrund, hielten sich die Berater des Fürsten auf: der Herr der Spione, der Schatzmeister, der Hauptmann der Stadtwache und der Quartiermeister. Ihnen gegenüber standen die Hofdamen, in deren Mitte Valion Lothíriel, Mithrellas, sowie Lóminîth entdeckte.
Eigentlich war Valions Platz bei den anwesenden Lehensfürsten Gondors, doch man schien seine immer wiederkehrenden Verstöße gegen die strengen Etikette des Fürstenhofes mittlerweile stillschweigend mehr oder weniger zu akzeptieren. Daher hielt er sich etwas abseits, links neben der untersten Stufe, und tauschte sich dabei leise mit Hilgorn aus, der neben ihm stand.
"Ich frage mich, welches hohe Tier wohl heute erwartet wird," flüsterte er dem General zu.
Hilgorn warf ihm einen abwägenden Blick zu. "Nun, wenn man den Gerüchten Glauben schenkt, dann handelt es sich um potenzielle neue Verbündete für Gondor."
Valion zog fragend die Brauen zusammen, doch ehe er nachbohren konnte, öffneten sich die großen Tore am jenseitigen Ende der Halle, und der fürstliche Herold marschierte herein, begleitet vom Klang von Posaunen. Exakt drei Schritte vor der untersten Stufe blieb der Mann stehen und machte eine tiefe Verbeugung, dann entrollte er eine Schriftrolle und verkündete: "Höret, Ihr Edlen Gondors, und Ihr, Truchsess des Südlichen Königreiches, Imrahil, Sohn des Adrahil: Hier ist Thorongil, Sohn des Hador, vom Hause der Turmherren und Herr von Tol Thelyn, der Weißen Insel des Trennenden Meeres, mitsamt seiner Frau Melíril vom Turme, und seinem Sohn und Erben, Túor vom Turme."
Nun erschien ein zweiter Herold, der ein Banner trug, das in Weiß und zartem Orange gehalten war und das Siegel von Tol Thelyn zeigte: Ein Schiffssegel, einen Turm, und eine weiße Blüte, übereinander gelegt. Er sprach nicht, sondern reichte das Banner, nachdem er es Imrahil präsentiert hatte, an einen der nahe der Treppen wartenden Soldaten weiter. Inzwischen waren die angekündigten Personen selbst in der Halle eingetroffen. Umgeben von einer kleinen Eskorte in den Farben Tol Thelyns marschierte der Herr des Turmes in Imrahils Halle, gehüllt in eine neu aussehende Rüstung mit einem weißen Umhang. Ehefrau und Sohn folgten ihm auf dem Fuße, bis die Familie mitsamt ihren Begleitern vor dem Thron stand. Als sie an Valion vorbei kamen, warf Melíril - die ja in Wahrheit Minûlîth hieß - Valion einen Blick zu und lächelte, ohne vorerst jedoch etwas zu sagen. Der kleine Túor trug ein Kettenhemd und einen Dolch am Gürtel und wirkte gleichzeitig aufgeregt und ein wenig eingeschüchtert, schien sich jedoch alle Mühe zu geben, eine ernste Miene zu bewahren.
Imrahil erhob sich von seinem Sitz und breitete die Arme leicht aus, die Hände leer und die Handflächen nach oben zeigend. "Willkommen, Thorongil, am Hofe von Dol Amroth. Ich hoffe, Eure Überfahrt verlief recht angenehm?"
Thorongil legte die Hände zusammen und nickte leicht, ohne sich jedoch zu verbeugen. "Habt Dank für Euren freundlichen Empfang, Fürst Imrahil. Unser Schiff hatte keinerlei Schwierigkeiten bei der Fahrt. Eure Stadt ist beeindruckend, muss ich schon sagen," meinte er anerkennend.
"Nun, das ist der Verdienst meiner Vorfahren," erwiderte Imrahil, ehe er sich an den ganzen Saal wandte und seine Stimme lauter werden ließ. "Menschen Gondors und Dol Amroths, der Herr des Turmes ist gekommen, um die Schwester seiner Frau, die Herrin Lómíril, mit dem Herrn des Ethirs, Valion, zu vermählen. Sollte jemand dagegen berechtigte Einwände erheben, so möge er nun sprechen."
Beinahe erwartete Valion, dass Rinheryn auftauchen würde, um tatsächlich zu protestieren. Doch Duinhirs Tochter lag noch immer in der Obhut der Heiler. Die Verletzung, die sie durch Hilgorn erlitten hatte, war anfänglich recht gut verheilt, doch dann hatte die Wunde überrascht zu schwären begonnen und hatte Rinya an ihr Bett gefesselt. Valion hatte sie seither zweimal besucht - beide Male hatte sie ihm ihr Leid geklagt, wie sehr sie es vermisste, zu reiten und frei herumzulaufen. Einer der Heiler hatte Valion anvertraut, dass Rinheryn immer wieder Albträume habe und dass selbst der obersten Heilerin inzwischen die Mittel ausgingen, sie wieder zur Ruhe zu bringen.
So sprach also nun niemand gegen Imrahils Ansinnen. "Es sei also," sagte der Fürst. "Die Hochzeit soll in zwei Wochen stattfinden. Doch wie ich höre, führt Euch noch ein weiteres Anliegen an meinen Hofe, Thorongil?"
"So ist es," bestätigte der Herr des Turmes. "Eine Vermählung hat im Hochadel oft den Zweck, ein Bündnis zu besiegeln. Es war Meister Edrahil, der Herr der Spione von Dol Amroth, der aus exakt diesem Grund jene Verlobung zwischen Valion und Lómíril einfädelte. Doch seitdem Umbar wieder an unsere Feinde gefallen ist, betrifft ein solches Bündnis lediglich Dol Amroth und Tol Thelyn. Ich bin hier, um offiziell eine Allianz mit Euch einzugehen. Ihr habt uns bereits beim Wiederaufbau der Insel unterstützt, doch ich möchte diese Verbindung nun legitimieren. Lasst die Hochzeit das Zeichen dafür sein, dass die Dúnedain des Südens nun wieder vereint gegen ihre Feinde stehen."
Imrahil nickte, doch da trat einer der Lehnsfürsten vor. Es war Ardamir, der Herr von Belfalas. Mit einem Zeichen gab der Fürst von Dol Amroth ihm die Erlaubnis, zu sprechen. "Mein Fürst, eine solche Allianz ist gewiss erstrebenswert, doch bedenkt, dass der Titel des Turmherren in Gondor niemals offiziell anerkannt worden ist. Der Einschätzung der Gelehrten zufolge entspräche er wohl ungefähr einem niederen Adelsrang, allenfalls dem eines geringeren Lehenstitels. Wenn wir eine Allianz mit Tol Thelyn schließen, muss sie im Rahmen eines Lehnseides geschehen."
"Allein der König von Gondor vermag es, ein gänzlich neues Außenlehen zu schaffen," mischte sich Golasgil von Anfalas ein. "Auch wäre es meiner Meinung nach unklug, einen so standhaften Verbündeten gleich zu einem Untergebenen zu machen."
"Tol Thelyn war niemals ein Teil von Gondor," stellte Melíril klar, als sie zum erste Mal das Wort nahm. "Selbst in den Tagen der Schiffskönige, als Gondors Macht ihren Höhepunkt erreicht hatte, erhielten die Turmherren ihre Selbstständigkeit aufrecht."
"Der Truchsess des Königs hat nahezu dieselben Hoheitsrechte," hielt Ardamir dagegen, ohne auf Melíril einzugehen. "Es steht ihm frei, bei der Führung des Königreiches nach eigenen Gutdünken zu handeln. Und kehrte der König wieder-"
"Genug," unterbrach Imrahil laut. "Thorongil und seine Familie sind nicht hergekommen, um das Knie vor mir zu beugen. Dies sollte ein freudiger Tag für ganz Gondor sein - dank den tapferen Menschen von Tol Thelyn steht uns eine nie geahnte Versorgungslinie nach Harad hinein offen. Unsere Flotte liegt vor Umbar und muss keinerlei schwarzen Segel mehr fürchten. Wann konnten Gondors Küsten zuletzt so frei aufatmen?" Er ließ sich wieder auf seinem Sitz nieder. "Thorongil, wie verläuft die Belagerung Umbars? Gibt es Neuigkeiten von der Erstürmung?"
"Schleppend verläuft sie," antwortete Thorongil, dessen Miene schwer zu deuten war. "Die Verteidiger scheinen gut vorbereitet zu sein. Ich habe mehrere Tage nichts mehr von Edrahil gehört, auch wenn ich mir sicher bin, dass er die Lage unter Kontrolle zu bringen versucht. Eure Flotte blockiert den Hafen - wenn Qúsay Geduld zeigt, wird er die Stadt eines Tages ausgehungert haben."
"Und wird er diese Geduld aufbringen können?"
"Nun... ich denke nicht, dass er ewig warten wird," meinte der Herr des Turmes. "Aber mit Sicherheit kann ich es nicht sagen."
"Ich verstehe," sagte Imrahil. "Vermutlich wäre es das Beste, wenn wir uns im Detail über die Lage im Süden unterhalten, doch ich bin kein unhöflicher Gastgeber. Ihr habt einen weiten Weg hinter Euch. Hier im Palast wurden Gemächer für Euch und Eure Familie bereitgestellt. Erholt Euch dort für diesen Tag - morgen würde ich mich freuen, wenn Ihr mich in meinem Solar aufsuchen würdet."
"Ich werde kommen, Imrahil, doch eine Frage habe ich noch. Ihr nennt Euch Truchsess des Reiches, der Stellvertreter des Königs, doch... was würdet ihr tun, käme es zu einer... Rückkehr des Königs?"
Imrahil blickte nachdenklich drein. "Dies scheint... unwahrscheinlich. Geradezu unmöglich. Der König Gondors liegt in Gefangenschaft des Dunklen Herrschers persönlich, und es ist nun an uns, die Verteidigung Gondors zu übernehmen."
"Unwahrscheinlich mag es sein, doch mir geht es um Eure Einstellung. Kehrte der König wieder, würdet Ihr zurücktreten?"
"Ich... würde mein Amt zur Verfügung stellen," meinte Imrahil langsam. "Im Falle einer Rückkehr des Königs wäre ich noch immer Fürst von Dol Amroth, doch es stünde ihm frei, einen neuen Truchsess zu ernennen."
"Danke," sagte Thorongil, der zufrieden wirkte. "Ich werde morgen zu Euch kommen, damit wir in Ruhe über alles sprechen können. Habt Dank für Eure Gastfreundschaft." Er nickte Imrahil zu und ging dann auf dem Weg, auf dem er gekommen war, gefolgt von seiner Familie. Als sie fort waren, begann der Hofstaat sich langsam zu zerstreuen.
Valion warf einen Blick zu Hilgorn hinüber, der mit nachdenklicher Miene das gesamte Spektakel verfolgt hatte. Er fragte sich, was der General wohl von der ganzen Angelegenheit halten mochte.


Valion und Hilgorn in die Stadt
« Letzte Änderung: 21. Mai 2020, 15:39 von Fine »
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Im Solar des Schwanenfürsten
« Antwort #51 am: 27. Jul 2020, 16:39 »
Aragorn, Gandalf, Irwyne, Amrothos, Valion, Narissa und Aerien aus der Stadt

Sie verwendeten einen der Nebenzugänge des Palastes. Da die Wachen Amrothos und Valion persönlich kannten, stellten sie keine Fragen, als um Einlass gebeten wurde. Der junge Prinz führte die Gruppe durch die leeren Korridore des großen Gebäudes und brachte sie schließlich in Imrahils Solar, wo er sie bat, sich zu setzen und auf seinen Vater zu warten. Dann verschwand Amrothos durch eine Tür, die zum Schlafgemach seiner Eltern führte.
Valion trat auf den großen Balkon hinaus, der den Solar im Nordwesten begrenzte. Die Aussicht war bei Tageslicht phänomenal, denn sie bot einen unvergleichlichen Ausblick über Edhellond, die Küsten von Anfalas und die westliche Bucht von Belfalas. Im Augenblick jedoch konnte man nur erahnen, die hoch sie sich über dem Meerboden befanden, denn der Prinzenpalast war auf dem höchsten Punkt der Klippenfelsen erbaut worden, auf dem die ganze Stadt von Dol Amroth ruhte.
Ein kühler Wind bauschte Valions Umhang hinter ihm auf, und er zog die Ränder des dicken Stoffes enger um seine Schulter. Da trat eine der Frauen neben ihn; jene, die sich bisher meist im Hintergrund gehalten hatte. Sie trug einen grauen Umhang und dunkle Reisekleidung aus Leder, doch ihre Kapuze war ihr auf die Schultern gerutscht und im schwachen Licht, das aus dem Solar drang, sah Valion, dass das Mädchen schwarze Haare und graue Augen hatte. Sie erinnerte ihn stark an seine Verlobte, auch wenn er sie um ein gutes Jahrzehnt jünger schätzte. Ihr Blick ging hinaus auf die Bucht, doch dann schaute sie zu Valion auf.
"Ihr stammt von hier?" fragte sie leise. Sie besaß einen gewissen Akzent, den Valion nicht einordnen konnte. Die Kleine klang nicht so, als käme sie wie Lóminîth aus Umbar oder dem Süden.
"Ich bin Valion, Herr des Ethir Anduin... zumindest war ich das, bis Mordor ihn erobert hat," sagte er wahrheitsgetreu. "Jetzt sitze ich mehr oder weniger hier in der Schwanenstadt fest und erledige einige Dinge für Imrahil, wenn dem Prinzen danach ist." Er schenkte ihr ein schiefes Lächeln. Schlecht sah sie nicht aus - ganz im Gegenteil sogar. Wenn er ehrlich war, entsprach das Mädchen sogar ziemlich genau seinem Geschmack... doch er war bereits verlobt, und die Kleine war ohnehin zu jung für ihn.
"Ein Lehnsfürst des südlichen Königreiches?" Die junge Frau riss recht erschrocken die Augen auf, dann machte sie einen anständigen Knicks.
"Lass den Unsinn, Kleine. Ich mache mir nichts aus meinen Titeln, das sage ich meinen Soldaten auch immer. Meine Verlobte ist zwar anderer Meinung, aber... diese Höflichkeiten sind nicht vonnöten. Nenn' mir einfach deinen Namen, dann hast du deine Schuld abgetan."
"Aerien," sagte sie leise.
"Und ich bin Narissa," sagte eine zweite Stimme, als die dritte Frau in Amrothos' Gruppe sich plötzlich zu ihnen gesellte. Auch sie trug keine Kapuze mehr und Valion erkannte erstaunt, dass ihr Haar schneeweiß zu sein schien. Sie sprach im Gegensatz zu Aerien akzentfrei und wirkte gleichzeitig aufgekratzt und müde, eine Mischung, die Valion nur zu gut aus seinen Tagen an der Kriegsfront kannte.
"Schön euch zwei kennenzulernen, Aerien und Narissa," sagte Valion. "Und was macht ihr in der Begleitung eines Prinzen von Dol Amroth, der sich eigentlich auf einer diplomatischen Mission nach Rohan befinden sollte?"
Beide Mädchen schauten Valion an, ohne eine Antwort zu geben. Ratlos drehte er den Blick zurück in den Solar, doch dort entdeckte er nur Irwyne, die sich geduldig auf einen der freien Stühle gesetzt hatte und auf Amrothos' Rückkehr zu warten schien. Erst auf den zweiten Blick hin bemerkte Valion, dass die beiden Männer sich in eine der Ecken des großen Arbeitszimmers zurückgezogen hatten und sich leise miteinander unterhielten.

Ehe er bei Aerien und Narissa nachhaken konnte, öffnete sich die Tür, durch die Amrothos verschwunden war, und der Prinz kehrte in Begleitung seines Vaters sowie Meister Edrahils und Golasgils von Anfalas zurück. Zuletzt kam auch Amrothos' Mutter herein, die Herrin Avórill Silberglanz. Da kam Bewegung in die beiden geheimnisvollen Männer, die sich aus ihrer Ecke auf den Fürsten zu bewegten.
"Kann es wirklich wahr sein?" sagte Imrahil und wirkte geradezu ehrfürchtig - so hatte Valion den Fürsten noch nie erlebt.
Als Valion neugierig näher kam, traten die beiden jungen Frauen neben ihn. Beide wirkten auf ihre eigene Art und Weise stolz: die weißhaarige Narissa stellte es offen zur Schau, während man Aerien die Gefühlsregung nur an dem schwachen Lächeln auf ihren Lippen ansehen konnte.
"Glaubt es, Fürst Imrahil. Unserem Feind ist ein schwerer Schlag versetzt worden," sagte der ältere der beiden Männer, und mit einem Mal hielt er einen Stab in der Hand, von dem ein geheimnisvolles Leuchten ausging. Da fiel es Valion wie Schuppen von den Augen. Er kannte ihn - er hatte ihn auf den Mauern der weißen Stadt gesehen. "Mithrandir..." murmelte er vollkommen überrascht.
Wie auf ein stummes Kommando gingen Imrahil und seine Frau, sowie Amrothos und auch Fürst Golasgil auf die Knie. Erst glaubte Valion, sie würden vor dem Zauberer knien, doch dann erkannte er an den Blicken, dass sie jemand anderes anschauten. Den zweiten Mann, der sich mit Mithrandir unterhalten hatte. Dieser setzte nun seine Kapuze ab und im Licht des Zauberstabes erkannte Valion sein Gesicht: Streng, kantig... königlich. Er hatte die Gerüchte vom Herrn Elbenstein, dem Kommandanten der Dúnedain des Nordens, die nach der Schlacht auf dem Pelennor unter den Soldaten umgegangen waren, gehört, und besagten Kriegsanführer einmal mit eigenen Augen gesehen, als dieser in den Häusern der Heilung gewesen war, wo Valion und seine Schwester gelegen hatten. Und er wusste, dass unter den Heilern das Wort ging, dass dieser Mann den Thron von Gondor einfordern konnte.
Viel zu langsam ließ er sich ebenfalls auf ein Knie herab, als Aerien und Narissa es ihm gleich taten. Nur der Zauberer blieb stehen und sagte feierlich: "So kehrt Aragorn, Sohn des Arathorn zurück aus dem Schattenland, um seinen rechtmäßigen Platz als König von Gondor wieder einzunehmen."
"Und ich als Truchsess des südlichen Königreiches werde einer solch unverhofften Rückkehr des Königs wahrlich nicht im Wege stehen," sagte Imrahil.
"Steht auf, meine Freunde," sagte Aragorn leise. "Ich danke euch, dass ihr unser Land während meiner Gefangennahme verteidigt habt und die Hoffnung der Menschen bewahrt habt."
"Doch wie seid Ihr der Gefangenschaft unseres Feindes entflohen?" wollte Avórill wissen, als alle wieder aufgestanden waren.
"Meine Befreier waren so unwahrscheinlich wie einst Earendils Fahrt durch die verwunschenen Inseln vor der Küste von Aman," sagte der König und lächelte. "Eine von ihnen kehrte freiwillig in den Schatten zurück, aus dem sie unter Einsatz ihres Lebens geflohen war. Die andere fand einen geheimen Weg, den selbst Sauron nicht kannte. Jeder im Reich soll wissen, dass es Narissa und Aerien waren, die Gondor seinen König zurückbrachten."
Erstaunt drehten sich alle zu den beiden jungen Frauen um. Während Narissa zufrieden nickte, schien Aerien die Aufmerksamkeit eher unangenehm zu sein.
"Ich bin mir sicher, da steckt eine wahre Heldengeschichte dahinter," sagte Golasgil und nickte anerkennend. "Wie gerne würde ich sie hören."
"Die Zeit dafür wird es geben," sagte Mithrandir. "Doch wir alle sind müde, und morgen steht uns ein wichtiger Tag zuvor. Ich bin mir sicher, dass der Fürst mir zustimmen wird, wenn ich ihn bitte, uns Schlafgemächer zur Verfügung zu stellen und den offiziellen Teil der Rückkehr des Königs ... auf einen anderen Tag zu verschieben." Der Zauberer schmunzelte amüsiert, und Imrahil nickte. "Das wäre wohl das Beste. Ich würde mich freuen, euch alle beim Frühstück zu empfangen, um die Einzelheiten zu besprechen. Edrahil, bitte bereite alles dafür vor." Der Herr der Spione nickte. Dann humpelte er hinaus.

Wenig später machte Valion sich schließlich auf den Heimweg. Er konnte noch immer kaum glauben, was er erfahren hatte. Gondors verschollener König war aus Mordor befreit worden - von zwei Mädchen, die zwar eindeutig Mut in den Knochen zu haben schienen, aber nicht wie unüberwindliche Krieger aussahen. Mit dem Gedanken im Kopf, dass in den kommenden Tagen wohl viele wichtige Entscheidungen getroffen werden würden, schlief Valion schließlich ein.
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Eandril

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Re: Der Palast des Fürsten
« Antwort #52 am: 3. Aug 2020, 10:42 »
Narissa wurde von einem leisen, beinahe zaghaften Klopfen geweckt. Sie richtete sich im Bett auf, vorsichtig, um Aerien nicht zu wecken, und rieb sich mit den Fäusten die Augen.
"Narissa? Aerien?", hörte sie eine leise Stimme von der anderen Seite der Tür. "Seid ihr da?" Eine weibliche Stimme. Sie kam Narissa bekannt vor, doch in ihrem noch immer etwas schläfrigen Zustand konnte sie sie nicht richtig einordnen.
Sie stieg aus dem Bett, wobei sie die Decke wieder über Aeriens schlafender Gestalt zurecht zog, schlich auf Zehenspitzen zur Tür und öffnete sie einen Spalt weit. Draußen im noch dämmrigen Flur stand Minûlîth, deren Lächeln beim Anblick von Narissas Kopf noch ein wenig breiter wurde.
"Da bist du ja. Ich dachte mir, dass ich dich hier finde." Narissa räusperte sich, einen Augenblick lang verlegen. Tatsächlich waren ihr und Aerien getrennte Räume zur Verfügung gestellt worden, doch da sie beide in der ersten Nacht in Dol Amroth nicht allein sein wollten, hatte sich Narissa kurze Zeit später hinüber in Aeriens Zimmer geschlichen.
"Ja", erwiderte Narissa, bevor sie sich erneut die Augen rieb. Allmählich verließ sie auch der letzte Rest Schläfrigkeit. "Aber wie kommst du überhaupt hierher?"
"Später. Wenn du dir etwas anziehst, könnten wir einen kleinen Spaziergang machen und über alles sprechen. Was ist mit Aerien?"
Narissa warf einen Blick über die Schulter. Aerien drehte ihr den Rücken zu, doch sie hatte ihre Position kein Stück verändert und schlief offensichtlich weiterhin tief und fest. Narissa kämpfte einen kurzen Moment mit sich. Einerseits wollte sie Aerien auf keinen Fall wecken, denn ein wenig Schlaf in einem ordentlichen Bett konnte ihr nur gut tun. Andererseits stellte Narissa fest, dass ihr allein der Gedanke, Aerien alleine zurückzulassen, Schwierigkeiten verursachte - vor allem wenn sie daran dachte, was geschehen war, als sie sich das letzte Mal für nur kurze Zeit getrennt hatten.
Schließlich atmete sie tief durch, und drehte sich wieder zu Minûlîth, die geduldig wartete, um. "Wir sollten sie schlafen lassen. Es gibt nur ein Problem... Meine ganzen Sachen sind in meinem Zimmer."
Minûlîths Gesicht ließ kaum eine Regung erkennen, höchstens ein leichtes belustigtes Zucken. "Dann würde ich sagen, ich gehe ans andere Ende des Flurs und passe auf, das niemand kommt, und in der Zeit schleichst du zurück."
Narissa nickte, bevor sie sich so leise wie möglich ihre Unterbekleidung von einem der Stühle schnappte. Sie warf einen letzten Blick auf die schlafende Aerien, und kritzelte dann rasch mit Feder und Tinte, die auf dem einzigen Tisch bereitgestellt waren, eine kurze Notiz.
Aerien -
bin mit Minûlîth gegangen. Ich wollte dich nicht wecken.
Wir sehen uns spätestens beim Fürsten.

Die Zungenspitze zwischen die Lippen geschoben, setzte Narissa nach kurzer Überlegung noch einen weiteren Satz hinzu.
Du bist niedlich wenn du schläfst, falls ich dir das noch nie gesagt habe.
Sie ließ das Papier auf dem Tisch liegen, und schlich, ihre Kleidung an sich gepresst, auf nackten Füßen zur Tür hinaus. Natürlich hätte sie zumindest ihre Unterwäsche schon anziehen können, fiel ihr ein, während sie vollkommen nackt durch den verlassenen Flur schlich. Doch sie hatte Glück. Niemand versuchte in diesem Augenblick diesen Weg zu nehmen, und sie gelangte ohne Zwischenfälle bis zu ihrem Zimmer.
Dort angekommen stellte Narissa fest, dass ihre Reisekleidung verschwunden war - vermutlich um gewaschen zu werden, und das war auch besser so. An ihrer Stelle war zur ihrer Erleichterung kein Kleid bereitgelegt worden, sondern im Grunde ihre übliche Kleidung, nur in den blau-silbernen Farben Dol Amroths. Nachdem sie sich angezogen hatte und ihre von der Nacht zerzausten Haare ein wenig geordnet hatte, trat Narissa wieder hinaus auf den Flur, wo Minûlîth sie bereits erwartete.
"Früher musste immer meine Schwester für mich Schmiere stehen", sagte sie, mit einem nostalgischen Funkeln in den Augen. Narissa hakte sich bei ihrer Tante unter, und folgte ihr den Gang hinunter, an weiteren Türen vorbei. Nach rechts gingen verglaste Fenster auf die Bucht hinunter, doch durch sie war nicht viel mehr als Grau zu sehen. Es versprach ein trüber Tag zu werden.
"Wieso?", fragte Narissa nach, und Minûlîth lächelte ein wenig wehmütig. "Als dein Onkel und ich und kennenlernten, lebte mein Vater noch. Er war nicht besonders begeistert von Thorongil - Tayyad, wie er sich damals öffentlich nannte. Er hielt ihn für einen nutzlosen Rumtreiber, der natürlich niemals gut genug für seine Töchter sein könnte. Das hat Thorongil natürlich nicht davon abgehalten, mich zu besuchen, selbst wenn mein Vater ausnahmsweise einmal zuhause war. Zum Glück konnte ich mich auf Lóminîths Hilfe verlassen."
Sie bogen um die Ecke in einen breiteren Flur mit einem Teppich im allgegenwärtigen Blau und Silber ab.
"Ich hatte wirklich nicht damit gerechnet, dich hier zu sehen", wechselte Narissa das Thema. "Ist mein Onkel auch hier?"
"Ja. Und Túor auch." Bei der Erwähnung ihres Sohnes lächelte Minûlîth. "Die beiden sind noch früher auf gewesen als ich, und sind zum Hafen hinunter gegangen, um sich Schiffe anzusehen. Dafür wissen sie noch nichts von eurer Ankunft."
"Wie hast du überhaupt davon erfahren?", fragte Narissa. "Und wie kommt es, dass ihr hier in Dol Amroth seid?"
Minûlîth wirkte belustigt. "Ich hatte ja gehofft, zuerst mit den Fragen an der Reihe zu sein, aber ich hätte es besser wissen müssen." Inzwischen hatten sie einen kleinen Innenhof mit einem Springbrunnen erreicht, den sie überquerten bevor sie in den nächsten langgestreckten Flur auf der anderen Seite eintraten. "Zu deiner ersten Frage: Ich bin einem sehr freundlichen Herrn namens Mithrandir begegnet, der eine Menge zu wissen schien, und der mir von eurer Ankunft erzählt, und mir gleichzeitig einen Eid abgenommen hat, mit niemandem darüber zu sprechen." Sie beugte sich ein wenig näher zu Narissa herüber, und fügte im Flüsterton hinzu: "Heißt das, dass ihr Erfolg hattet?"
Narissa verzichtete auf eine wörtliche Antwort, sondern nickte nur kurz, wobei sie sich ein stolzes Lächeln nicht verkneifen konnte. Minûlîth blieb stehen, zog Narissa in eine kurze, aber feste Umarmung. Als sie wieder los ließ, glänzten ihre Augen, und sie lächelte.
"Und um deine zweite Frage zu beantworten... ", fuhr sie fort, als wäre nie etwas gewesen. "Meine Schwester heiratet in ein paar Tagen Valion vom Ethir, und da wollten wir dabei sein."
"Valion?", fragte Narissa. "Ich glaube, dem sind wir gestern begegnet. Er ist uns in der Stadt über den Weg gelaufen, und hat uns zum Palast begleitet."
Minûlîth wirkte aus irgendeinem Grund nicht sonderlich glücklich über diese Erkenntnis. "Er ist ein guter Mann", sagte sie. "Und er hatte einen nicht unbedeutenden Anteil daran, dass niemand aus meiner Familie in Umbar gestorben ist - und daran, Prinzessin Lóthiriel aus der Gefangenschaft zu retten. Aber..." Minûlîth seufzte leise. "Ich fürchte was er weiß, erfährt auch bald meine Schwester, und..."
Sie brach ab.

Bevor Narissa die Frage stellen konnte, die ihre auf der Zunge lag, erreichten sie das offenstehende Haupttor des Palastes, wo sie beinahe mit einem hochgewachsenen Mann zusammengestoßen wären. Der Mann verneigte sich entschuldigend, wobei ihm die schwarzen Haare ein wenig ins Gesicht rutschten, und sagte: "Bitte entschuldigt. Ich war in Gedanken, und habe euch nicht gesehen."
Minûlîth winkte großzügig ab. "Macht euch darum keine Gedanken. Wir waren so in unser Gespräch vertieft, dass wir euch ebenfalls übersehen haben."
Sobald der Mann den Kopf gehoben und die Haare aus dem Gesicht zurückgestrichen hatte, war Narissa aufgefallen, dass sein linkes Auge von einer schwarzen Augenklappe bedeckt war, was sein eigentlich gut aussehendes Gesicht ein wenig wild wirken ließ. Sein Lächeln war allerdings offen, und er erwiderte: "Dann ist es gut, dass wir alle gerade noch rechtzeitig unsere Augen geöffnet haben." Bei dem Wort Augen zuckte sein Mundwinkel ein winziges bisschen, als wäre es ein unbedachter Ausdruck gewesen, der ihm selbst Schmerzen bereitete. Doch sein Lächeln fing sich schnell wieder, als er hinzufügte: "Ich erinnere mich an euch, Herrin Melíril, doch ich fürchte, eure Begleiterin noch nie gesehen zu haben."
"Mein Name ist Narissa", erklärte Narissa. "Min- Melíril ist meine Tante. Also, die Frau meines Onkels. Thorongil. Er..." Sie brach mit einem frustrierten Laut ab. Höfliche Förmlichkeiten würden wohl nie ihre Stärke werden.
"Hilgorn Thoron, zu euren Diensten", stellte sich ihr Gegenüber formvollendet vor, und fügte in verschwörerischem Tonfall hinzu: "Unter uns gesagt, die höfische Ausdrucksweise ist nicht gerade meine Stärke." Er wandte sich wieder Minûlîth zu. "Ich bin eurem Gemahl und eurem Sohn auf dem Weg hierher begegnet. Ich habe mit eurem Gemahl bereits darüber gesprochen, aber... Nun, jedenfalls habe ich einen Neffen und eine Nichte - jetzt eher meine Stiefkinder - die in einem ähnlichen Alter sind wie euer Sohn. Ich weiß nicht, wie lange ihr in Dol Amroth bleiben werdet, doch sollte euer Sohn sich einsam fühlen... vielleicht könnten sie Freunde werden."
"Ich danke euch für das Angebot", erwiderte Minûlîth. "Und ich werde Túor danach fragen."
Hilgorn verbeugte sich erneut. "Ich fürchte, ich muss jetzt weiter, sonst komme ich zu spät. Auf Wiedersehen." Damit eilte er in den Palast hinein, seine langen Schritte auf dem hellen Marmor der Eingangshalle widerhallend.

Narissa und Minûlîth traten auf den Vorhof des Palastes hinaus, und Minûlîth führte sie durch das äußere Tor hindurch, und dann eine gepflasterte Gasse direkt unterhalb der Mauer hinab, bis ans Ufer der Bucht heran. Hier lag, ein wenig versteckt in einer Einbuchtung der Felsplatte, auf der der Palast und Teile der Stadt erbaut waren, eine kleine Anlegestelle, von der aus vermutlich die Adligen von Dol Amroth in sichereren Zeiten mit kleinen Booten auf die Bucht in See stechen konnte. Minûlîth zog Narissa auf eine niedrige Mauer neben sich, sah sich um und sagte dann: "Ich glaube, hier sind wir ungestört. Erzähl."
Also erzählte Narissa, wie die Reise nach Mordor verlaufen war - in Kurzfassung. Dennoch ließ sie nichts wichtiges aus, bis auf das, was in Durthang geschehen war. Als sie fertig war, schüttelte Minûlîth ungläubig den Kopf. "Wenn du nicht hier sitzen würdest, würde ich die ganze Geschichte für ein Märchen halten."
Narissa musste grinsen, und lehnte den Kopf gegen den Felsen hinter ihr. "Mir geht es nicht viel anders. So richtig kann ich immer noch nicht glauben, dass wir es wirklich getan haben."
Sie schwiegen einen Moment, bevor Narissa die Frage stellte, die ihr noch immer auf den Lippen brannte: "Was ist schlimm daran, wenn deine Schwester erfährt, was passiert ist? Misstraust du ihr?"
Minûlîth seufzte. "Nein, das ist nicht das richtige Wort. Ich liebe sie wirklich, aber... Lóminîth tut nichts, was ihr nicht zum Vorteil gereicht. Ich habe dir erzählt, wie sie mir geholfen hat, wenn Thorongil... zu Besuch kam." Narissa nickte, sie erinnerte sich an die Geschichte. "Sie hat mir zuverlässig geholfen und mich nie verraten, doch sie hat immer eine Gegenleistung der ein oder anderen Art von mir eingefordert. Immer. Und wenn sie die Wahrheit erfährt... ich glaube nicht, dass sie soweit gehen würde, uns an Mordor zu verraten. Nicht meine Schwester. Aber ich fürchte, dass sie unvorsichtig sein würde, was am Ende aufs gleiche hinauslaufen würde."
"Hm...", machte Narissa nachdenklich. "Vielleicht könnte Edrahil mit diesem Valion reden. Das müsste doch Eindruck machen."
Minûlîths Augenbrauen hatten sich misstrauisch zusammengezogen. "Edrahil? Aber er ist doch in Umbar."
Ihre Worte ließen Narissa stutzen. "Nein, er ist... er war gestern dabei, als wir beim Fürsten waren. Aber... er hat kein Wort zu Aerien oder mir gesagt, und er hat auch keine Regung gezeigt, als er uns gesehen hat."
"Das ist an sich nicht unbedingt bemerkenswert", meinte Minûlîth langsam. "Dieser Mann liebt seine Geheimnisse. Aber seltsam ist es doch - wieso sollte er einfach so zurückkehren, ohne seine eigene Aufgabe zu erfüllen? Das passt nicht zu ihm."
"Ich werde mit ihm reden", sagte Narissa kurzentschlossen. "Dann finde ich schon raus, was los ist."
"Tu das", erwiderte Minûlîth, doch sie wirkte besorgt. "Aber tu es am besten nicht alleine. Falls tatsächlich irgendetwas an der Sache faul ist, wärst du alleine in Gefahr."
"Aerien wird mich begleiten", stellte Narissa wie selbstverständlich fest, und musste erneut lächeln. "Ich glaube nicht, dass sie mich alleine gehen lassen würde."
"Wo wir gerade davon sprechen..." Minûlîth blickte zum Himmel auf, wo die Sonne blass durch die Wolken schien. "Wir sollten uns besser auf den Rückweg machen. Denn egal was für Heldentaten man auch vollbracht haben mag: Einen Fürsten lässt man am besten nicht warten."

Oronêl - Edrahil - Hilgorn -Narissa - Milva

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Ein Frühstück mit dem Fürsten
« Antwort #53 am: 5. Aug 2020, 13:22 »
Die Sonne, die durch das kleine Fenster hereinfiel, weckte Aerien. Sie stellte fest, dass sie auf dem Bauch lag, was so gar nicht zu ihren normalen Schlafgewohnheiten passte. Schon immer hatte sie am liebsten auf der linken Seite geschlafen. Da fiel ihr wieder ein, dass Narissa spät Abends zu ihr gekommen war.
"'Rissa?" murmelte sie undeutlich und tastete mit der Hand über die Matratze. Aber ihre Finger griffen ins Leere. Verschlafen setzte Aerien sich auf, das dunkle Haar fiel ihr unordentlich über Stirn und Gesicht. Sie strich sich die Strähnen etwas unwillig hinter die Ohren und musste feststellen, dass Narissa fort war, ebenso wie deren Kleider.
Wo ist sie denn so früh bloß hingegangen? fragte sie sich. Ohne dass sie dagegen etwas tun konnte, stiegen leise Stimmen in Aerien auf die ihr einzureden versuchten, Narissa hätte Geheimnisse vor ihr. Sie verscheuchte diese Gedanken mit einem energischen Kopfschütteln und begann dann, sich für das Frühstück mit dem Truchsessen Gondors präsentabel zu machen.

Erst als sie beinahe fertig war, entdeckte sie den Zettel, auf dem in Narissas unordentlicher Schrift etwas gekritzelt stand. "Bin mit Minûlîth gegangen?" las Aerien fragend vor. "Minûlîth ist hier?" Sie schlüpfte in ein Kleid, das wohl der Hofstracht von Dol Amroth entsprach, denn es war hellblau, mit silbernen Stickereien und einem Ziersaum aus weißen Schwansymbolen am Rock und an den Ärmeln. Woher die Dienstmädchen ihre Maße kannten, fragte Aerien sich gar nicht erst - wenn Minûlîth wirklich in der Stadt war, waren solche Dinge nicht sehr verwunderlich.
Zwei Pagen wiesen ihr freundlicherweise den Weg zum Solar des Fürsten. Beide schienen von Aeriens Anblick recht angetan zu sein, was sie selbst ein wenig verlegen machte. Die Jungen waren natürlich weder in ihrem Alter, noch ihr Typ. Aber sie konnte dennoch nicht ganz verhindern, dass sie sich etwas geschmeichelt fühlte. In Durthang hatte sie gelernt, solcherlei Zuneigung für ihre Zwecke auszunutzen. Doch mittlerweile kam ihr diese Vorgehensweise so absurd vor, dass sie beinahe laut gelacht hätte.
"Wenn ich es dir doch sage, Edrahil. Hast du dir in Umbar irgendwo den Kopf gestoßen? Es passt nicht zu dir, so ein Detail einfach zu vergessen." Als Aerien diese Stimme hörte, sah sie wie Valion vom Ethir vor ihr um eine Ecke bog, in Begleitung Edrahils, der sich auf seinen Stab stützte. Sie war erstaunt, dass die beiden sich kannten und blieb stehen. Da hatte der impulsive Valion sie bereits entdeckt und kam auf Aerien zu, sein Gesprächsthema mit Edrahil beiseite lassend. "Guten Morgen, Aerien!" grüßte er sie gut gelaunt.
"Ich freue mich, Euch zu sehen, Meister Valion," sagte Aerien und machte einen angemessenen Knicks. Immerhin war dies ein Lehnsfürst Gondors, auch wenn sein Erbland wohl im derzeit von Mordor besetzten Gebiet des Reiches lag.
Eine breite Hand legte sich auf Aeriens Kopf und wuschelte ihr durch das sorgfältig in Form gebrachte Haar, und sie hörte Valion lachen. "Meister Valion?" wiederholte er. "Ich sagte doch, du sollst diesen förmlichen Kram sein lassen, Kleine." Sie schaute auf und sah, wie er breit grinste. "Ich bin Valion... mehr nicht. Wenn du schon jemandem mit Meister anreden willst, dann spare dir das für Edrahil auf."
"Du solltest nicht ihre offensichtlich gute Erziehung und vorbildliche Manieren untergraben," sagte Edrahil streng.
"Ihr beiden kennt euch?" wollte Aerien zaghaft wissen.
"Lange Geschichte," winkte Valion ab. "Wenn du möchtest, erzähle ich dir alles, was du über unseren alten Griesgram wissen willst, aber... "
"Der Fürst wartet," sagte Edrahil kühl. "Wir werden uns verspäten."

Tatsächlich trafen sie noch genau rechtzeitig ein. Eine kleine Glocke aus Silber schlug, als die drei Menschen in den privaten Gästesaal der Fürstenfamilie kamen. Gandalf, Aragorn, Amrothos und Irwyne waren bereits anwesend und hatten an einer langen Tafel Platz genommen, auf der ein ausgiebiges Frühstück aufgetischt worden war. Am Kopfende des Tisches saß Fürst Imrahil, und neben ihm seine Ehefrau, die, wie Aerien aufgeschnappt hatte, im Volksmund "Fürstin Silberglanz" genannt wurde. Neben der Fürstin saß eine Frau, die wie eine jüngere Ausgabe von ihr aussah - Aerien erkannte sie sofort als Amrothos' Schwester, Lothíriel. Und neben der Prinzessin saßen Minûlîth, und... Narissa.
Narissa! dachte Aerien, und in dem Augenblick drehte Narissa ihr den Kopf zu und winkte sie eifrig zu sich hinüber. Gerade noch rechtzeitig, denn als Aerien den freien Stuhl neben Narissa erreichte, entdeckte sie einen der anderen Würdenträger Gondors - Golasgil von Anfalas, wie sie später erfuhr - der wohl ebenfalls denselben Sitzplatz angestrebt hatte. Er neigte respektvoll das Haupt und ließ Aerien den Vortritt.
"Oh - danke!" sagte sie und nahm mit einem Lächeln Platz.
"Wie könnte ich einer Heldin Gondors den Vortritt verweigern?" sagte Golasgil schmunzelnd und wählte dann stattdessen den Sitzplatz neben Aerien. Auch Valion und Edrahil hatten mittlerweile Platz genommen - beide saßen genau gegenüber von Aerien und Narissa - und somit schien die Tafel vollständig zu sein.
Fürst Imrahil schien bereits über so manches Detail im Bilde zu sein, unter Anderem über Minûlîths Wissen über Narissas und Aeriens Reise, was wohl die Anwesenheit der Herrin des Turms an der Tafel erklärte. Von Thorongil hingegen fehlte jegliche Spur, auch der kleine Túor war nicht zu sehen. Aerien fragte sich, ob die beiden überhaupt in Dol Amroth waren. Ehe sie Minûlîth jedoch danach fragen konnte, nahm der amtierende Truchsess Gondors, Imrahil, das Wort.
"Ich hoffe, ihr hattet eine ruhige Nacht, meine Freunde. Bitte, esst und seid frohen Mutes. Gondors Stern scheint heute heller denn je zuvor, seit dem Fall der östlichen Lehen. Es wird viel zu besprechen geben, doch zunächst sollten wir uns stärken. Und während wir das tun, wird Mithrandir uns allen erzählen, wie es dazu gekommen ist, wir heute hier mit dem rechtmäßigen König der Erben Númenors zu Tisch sitzen können."
Aerien schaute erstaunt zu dem Zauberer hinüber, ihrem Blick mit einem zufriedenen Anheben der linken Augenbraue begegnete, ehe er zu sprechen begann. "Euch allen ist die Insel Tol Thelyn ein Begriff," sagte Gandalf. "Einer ihrer Söhne, Arandir der Wanderer, fand vor Jahrtausenden einen verborgenen Weg nach Mordor hinein, der selbst den Weisesten nicht bekannt war. Auch Sauron war sich dieses Weges nicht gewahr. Unzählige Jahrhunderte schlummerte Arandirs Geheimnis, bis es seinen Weg in die Hände Narissas fand, die wie Arandir aus dem Haus der Turmherren stammt. Als bekannt wurde, dass der dunkle Herrscher Gondors König in seinem Turm gefangen hielt, wurde das Schicksal von Arandirs Weg offenbart. Narissa tat sich mit Aerien zusammen, deren Wissen sich als unschätzbar erweisen sollte, und so beschlossen sie, den Gefangenen Saurons zu befreien. Sie gingen nicht allein, sondern hatten Hilfe von vielen Seiten - die Thelynrim der Weißen Insel versorgten sie mit einem Schiff und Proviant; ein Abtrünniger der Menschen Mordors leitete sie auf ihrem Weg durchs Schattenland, und.. .ein guter Freund von mir lieh ihnen in Mordor seine Kraft und seine Findigkeit."
Aerien staunte. Gandalf schien vieles zu wissen, was er nur von Narissa oder von ihr selbst erfahren haben konnte. Außer Gimli hatten die Mädchen nämlich niemandem die genauen Details ihrer Reise nach Mordor erzählt... "Gimli!" entfuhr es ihr leise, und Narissa nickt bestätigend, als sie den Namen hörte. "Er muss es Gandalf erzählt haben," flüsterte sie, ehe Gandalf weitersprach. Der Zauberer hielt sich zwar kurz, dennoch brauchte er eine halbe Stunde, um die wichtigsten Ereignisse von Narissas und Aeriens Weg von Tol Thelyn über Harondor, Mordor, Ithilien, Anórien und schließlich Rohan bis nach Dol Amroth zusammenzufassen. In der Zwischenzeit hatten alle anderen ihr Frühstück beendet, blieben aber sitzen, da weder Aragorn noch Fürst Imrahil sich erhoben hatten.
"Ihr fandet diese... Karte zu Arandirs Weg," sagte der Fürst von Dol Amroth und blickte dann seine Tochter an. "Haben wir nicht von dir, Lothíriel, etwas Ähnliches gehört, nach deiner Rückkehr aus Umbar?"
Die Prinzessin nickte. "Als man mich aus den Verliesen Hasaels befreite, entwendete der Schreiber-"
"Bayyin," warf Narissa ein.
"-Bayyin," wiederholte Lothíriel ruhig. "Er entwendete die Karte aus der Bibliothek Umbars, soweit ich weiß. Ich nehme an, er hat sie entschlüsselt."
"So ist es," sagte wieder Narissa. "Aber die Idee, Arandirs Weg zur Befreiung Aragorns zu benutzen, stammte nicht von Bayyin."
"Sondern von wem?" wollte die Fürstin Silberglanz wissen.
"Es war Ed-" sagte Aerien, und riss überrascht die Augen auf, als sich Narissas Hand auf ihren Mund legte.
Minûlîth beugte sich leicht vor und schaute zu Gandalf hinüber. Ihr Blick sagte Aerien, dass beide etwas zu wissen schienen, was den meisten anderen noch verborgen blieb. "Der Verantwortliche soll selbst erklären, wie er auf die Idee gekommen ist. Immerhin hat er dadurch einen nicht zu vernachlässigenden Anteil am Ruhme der Rückkehr des Königs."
Ratloses Schweigen antwortete ihr. Dann endlich rührte sich Edrahil, gerade als Aerien zu dem Glauben gekommen war, der alte Spion wäre im Sitzen mit offenen Augen eingeschlafen.
"Es war selbstverständlich... mein Vorschlag," sagte Edrahil.
Doch sein Zögern hatte zu lange gedauert. Etwas musste mit Edrahil geschehen sein, denn der Mann, den Aerien auf der Insel kennengelernt hatte, hätte deutlich schneller, und verärgerter reagiert, und hätte den Ruhm unwirsch zurückgewiesen. Minûlîth schien derselben Meinung zu sein. Sie erhob sich und legte die Hände zusammen. Sofort tauchten in den beiden Zugängen zur Halle bewaffnete Soldaten auf. Als auch Gandalf aufstand, und die anderen Anwesenden begannen, überrascht und wild durcheinander zu reden, starrte Aerien in Edrahils Richtung und... die Zeit schien mit einem Mal still zu stehen.

Alle Farben verblassten und der Raum wurde grau. Ein düsterer Nebel breitete sich aus. Niemand bewegte sich, und nach und nach verblassten die Menschen rings um Aerien, einer nach dem anderen, bis es nichts mehr gab als sie selbst, ihren Stuhl, den Tisch vor sich und... Edrahil auf der anderen Seite der schmalen Tafel. Er sah sie an... und als er sprach, erklang seine Stimme in Aeriens Kopf.
Hast du wirklich geglaubt, du wärest entkommen, Azruphêl?
Dachtest du, die Augen des Dunklen Turmes wären blind?
Ich wusste, dass du ihn hier her bringen würdest.
Ich habe euch erwartet.

Sie konnte sich nicht rühren. Die Stimme war wie flüssiges Eis in Aeriens Ohren. Sie erschauerte bis aus Mark, als sie sie erkannte.
Nein, du... du bist tot, keuchte sie in ihren Gedanken auf.
Tot? Ein schrilles Lachen erklang und Edrahils Gesicht schien zu schmelzen, als es sich langsam und grauenhaft umformte. Zu Metall wurde. Eine abscheuliche stählerne Maske bildete sich heraus. Die Maske des Bleichen Herolds. Es bedarf mehr als der Klinge eines erbärmlichen Verräters um mich zu töten. Der Tod ist auf meiner Seite, Azruphêl. Du gehörst mir.
Die toten Augen des Herolds leuchteten feurig leuchtend hinter seiner Maske auf, und schneller als eine Schlange schoss er über den Tisch hin auf sie zu, ein langes Messer in der Hand.

Ein langgezogener Schrei durchbrach die Starre und Aerien war es, als ob der Nebel um sie herum wie Glas zersplitterte. Es war Narissa, die entsetzt aufgeschrien hatte. Aerien konnte sich wieder bewegen, und sah, wie Edrahil über den Tisch hinweg auf sie zusprang, als wäre sein Gebrechen wie durch ein Wunder verschwunden. Der Dolch in seiner Hand hätte sich in Aeriens Herz gebohrt, wenn nicht in diesem Augenblick zwei Dinge geschehen wären. Etwas sirrte unglaublich nahe an Aeriens Gesicht vorbei, und kaum einen Sekundenbruchteil später blitzte ein blendend helles Licht auf, begleitet von einem lauten Donnerschlag und einem Krachen von berstendem Holz.
Als Aerien die Augen wieder öffnete, lag vor ihr auf dem Tisch - oder was von dem Tisch übrig war, denn er war in zwei Hälften gespalten worden - der rauchende Leichnam Edrahils. In seinem Hals steckte ein Wurfmesser, das bis zum Anschlag eingedrungen war. Als Aerien sich das Gesicht näher ansah, stellte sie fest, dass die Gesichtszüge nun keinerlei Ähnlichkeit mehr mit Edrahil hatten.
Jemand trat neben sie. Es war eine Frau mit dunkelbraunen Haaren und Augen, die beinahe dasselbe Kleid trug wie Aerien selbst. "Sieht aus als wäre meine Hilfe gar nicht vonnöten gewesen," sagte sie trocken und schaute ungerührt auf die Leiche herab, dann zog sie das Wurfmesser heraus. Es war Ta-er as-Safar.
"Es ist gut zu wissen, dass mehr Augen über Aerien wachen, als selbst mir klar war," sagte Gandalf, der nun den Tisch umrundete. Sein Stab strahlte eine gewisse Wärme aus, und wie Aerien bald schon von Narissa erfuhr, war der Zauberer für den Blitzschlag verantwortlich gewesen.
Valion vom Ethir versetzte der Leiche einen Fußtritt und diese rollte an Aerien vorbei und blieb auf dem Rücken liegen. "Das... ist verdammt noch mal nicht Edrahil," sagte der junge Adelige und sprach damit aus, was allen inzwischen klar geworden zu sein schien.
"Ich hatte es befürchtet," sagte Minûlîth.
"Wie ist das möglich?" wollte die Fürstin Silberglanz wissen.
"Dies ist das Werk des Bleichen Herolds," sagte Gandalf. "Er hat diesen Menschen behext und mit den dunklen Künsten sein Aussehen so verändert, dass die Täuschung beinahe perfekt war. Dies war von langer Hand geplant, wie es mir scheint."
Amrothos sagte leise: "Ich glaube... das war es, was... auch mit Hilgorn geschehen sollte..."
"Sauron weiß, dass wir hier sind," sagte Aragorn leise, dann erhob er sich. "Das bedeutet, das Versteckspiel ist vorbei."
Imrahil nickte. "Ich bin froh, dass dieser Verrat aufgedeckt wurde, ehe noch mehr Schaden angerichtet werden konnte."
Narissa, deren Schultern zitterten, sprang auf Aerien zu und drückte sie so fest an sich, dass es beinahe weh tat. Aber nur beinahe. "Ich... ich lass' dich nie mehr aus den Augen, hörst du!" sagte sie mit belegter Stimme, und Aerien glaubte bereits, Narissa würde in Tränen ausbrechen.
"Es... ist mir nichts passiert," sagte sie beruhigend und legte die Arme um Narissa.
"Was für ein Aufruhr am frühen Morgen," sagte Valion, der sich ziemlich fassungslos über den Nacken strich. "Ich hoffe, der Tag hat nicht noch weitere böse Überraschungen zu bieten."
« Letzte Änderung: 3. Dez 2020, 14:02 von Fine »
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Die graue See
« Antwort #54 am: 3. Dez 2020, 15:59 »
Aerien stand auf einem der vielen Balkone des Fürstenpalastes und ließ ihren Blick über die Bucht von Belfalas schweifen, die sich vor ihr nach Westen und Süden hin ausbreitete. Es war kalt, denn selbst hier im Süden Gondors, wo die Winter mild waren, lag eine kühle Luftschicht wie ein unsichtbares, kaltes Netz über dem Land und sorgte dafür, dass Aeriens Nase und Ohren eine rötliche Färbung angenommen hatten. Sie schlang ihren Umhang enger um ihre Schultern. Zwar er mit einem Pelzrand besetzt, doch sie trug darunter nur das feine Kleid, das auf Minûlîths Befehl in ihrem Zimmer für sie bereitgelegt worden war. Kälte kroch langsam ihre Beine hinauf. Aber hineingehen und sich wärmen wollte sie nicht.

Düstere Gedanken plagten Aerien, als sie auf das Meer hinausblickte. Es kam ihr grau und unbarmherzig vor. Wird es jemals aufhören? fragte sie sich. Der Bleiche Herold ist am Leben, obwohl Karnûzîr ihn getötet hat. Ich habe ihn mit eigenen Augen sterben sehen, aber dennoch kann er mich selbst hier, in der sichersten Festung Gondors noch erreichen und mir nach dem Leben trachten. Werde ich jemals wirklich in Sicherheit sein?
Sie dachte an Tol Thelyn. Auch die Weiße Insel war bereits zweimal angegriffen worden, einmal von Sûladan und einmal von Karnûzîr. Ihre Lage war längst kein Geheimnis mehr, weder in Harad noch in Gondor. Wohin ich auch gehe... die Schatten Mordors werden mir folgen, und Leid über die Menschen bringen, die mich aufnehmen. Sie seufzte verzagt und fasste den Entschluss, ein Leben auf Wanderschaft zu verbringen, sofern die Heere des Dunklen Herrschers die Welt der freien Völker nicht überrannten.

"Dunkle Worte stehen dir ins Gesicht geschrieben, Mädchen," sagte eine Stimme, die sie nicht gleich erkannte. Aerien fuhr herum und fand sich Auge in Auge mit einer hochgewachsenen Frau mit silbrigem Haar und grauen Augen. Erst auf den zweiten Blick erkannte sie die Fürstin Silberglanz, die Gemahlin Imrahils.
"Herrin," sagte sie hastig und machte einen Knicks.
"Mein Name ist Avórill von Dol Amroth," sagte die Fürstin und gesellte sich zu Aerien auf den Balkon. "Erzähl mir, was du hier tust, Aerien Bêlkali."
"Ich... ich denke nach, Herrin," antwortete Aerien stockend.
"Du machst dir Sorgen wegen des Angriffs vorhin, nicht wahr?" stellte Avórill fest, während sie die Hände hinter ihrem Rücken zusammenlegte.
"So ist es, Herrin," erwiderte Aerien wahrheitsgemäß.
"Erkläre mir, wie diese Täuschung bewerkstelligt worden ist. Sicherlich kennst du derlei Praktiken aus eigener Erfahrung, aus dem Schattenland?"
Aerien zuckte um eine Winzigkeit zusammen, doch dann nickte sie und verbarg ihr Unwohlsein. "Ja, Herrin. Eine solche Illusion wird Schleier der Schatten genannt und ist nur den erfahrensten Meistern der Dunklen Künste vorbehalten," erklärte sie mit leiser Stimme. "Um sie so täuschend echt hinzubekommen sind viele Monate der Vorbereitung notwendig. Außerdem muss der Anwender das Aussehen der Person, das sein Opfer annehmen soll, sehr genau studiert haben."
"Es würde mich wundern, wenn Edrahil so etwas zugelassen hätte," sagte die Fürstin. "Er war schon immer der vorsichtigste Mensch, den ich kenne."
"Auch ein sehr vorsichtiger Mensch braucht seinen Schlaf," erwiderte Aerien. "Und nachts sind die Dunklen Künste am stärksten, und ihre Anwendung gelingt am leichtesten."
"Ich verstehe," sagte die Fürstin knapp. "Dann erzähle mir, wie sich solche Schleier der Schatten erkennen lassen."
"Die Mittagssonne gibt die Täuschung oft preis," sagte Aerien und wagte einen Blick auf Avórill zu werfen. Die Fürstin blickte ebenso wie Aerien zuvor auf das Meer hinaus; ihr Blick war streng, aber nicht bösartig. "Deswegen zeigen sich jene, die unter dem Schleier wandeln, um jene Tageszeit für gewöhnlich nicht. Aber... Herrin...."
"Was ist, Mädchen?"
"Der Herold... er..."
"So sprich!" forderte die Herrin Silberglanz sie auf. "Nur heraus damit!"
Aerien schluckte und zwang sich dazu, ihren Verdacht zu äußern. "Er wird nun auf... andere Tricks zurückgreifen, fürchte ich. Es geht ihm um mich... solange ich hier bin, bin ich eine Gefahr für ganz Dol Amroth."
Fürstin Avórill wandte sich Aerien zu und musterte sie eine ganze Weile lang mit prüfendem Blick, ohne etwas zu sagen. Dann schüttelte sie sachte den Kopf. "Nun rede keinen Unsinn, Aerien. Du hast dem Feind bereits den schlimmsten Schaden zugefügt, zu dem du imstande warst, und hast dir damit nicht nur unseren Respekt erworben, sondern auch... dich der Gefahr entledigt, in der du geschwebt bist. Mordor braucht keine Ressourcen mehr zu verschwenden, um dich zu töten."
"Herrin, Ihr... versteht nicht, welchen Stellenwert... Rache für die Diener des Dunklen Turms besitzt."
"Oh, ich bin mit dem Konzept von Rache sehr gut vertraut," sagte die Fürstin. "Aber du hast es selbst gesagt: eine solch elaborierte Täuschung anzuwenden, um dir Schaden zuzufügen, würde Monate an Zeit kosten. Zeit, die Mordor nicht hat."
"Wieso nicht?" fragte Aerien atemlos.
"Weil wir ihnen diese Zeit nicht geben werden," antwortete die Fürstin zufrieden. "Du hast Gondor seinen König zurückgebracht, und damit auch seinen Mut. Die Zeit unseres Vormarsches steht kurz bevor, sobald Elessar wieder auf dem Thron sitzt. Du wirst hier sicher sein, Aerien. Du hast mein Wort... und dieses gebe ich nicht leichtfertig."
"Ich... ich danke Euch, Herrin," erwiderte Aerien leise und senkte das Haupt.
Anstatt einer Antwort fuhr ihr Fürstin Avórill einmal überraschend sanft mit der Hand über den Kopf, dann wandte sie sich ab und verschwand im Palast.

Mehrere Minuten blieb Aerien an Ort und Stelle stehen und hatte Mühe, ihre Gedanken zu ordnen. Mit einem Mal vermisste sie ihr Schwert - oder irgend eine andere Waffe - das sie schwingen und mit dem sie sich verausgaben konnte. Ihr war nicht mehr kalt; stattdessen kam es ihr vor, als füllte sich ihr Herz langsam mit neuer Entschlossenheit. Als sie auf das Meer hinausblickte, glaubte sie, inmitten des Graus einen feinen, silbrigen Glanz wahrzunehmen.
So fand Narissa sie kurz darauf. "Hier steckst du also," beschwerte die Weißhaarige sich, ehe sie Aerien eng umarmte. "Du bist einfach so verschwunden, und wenn dieser Valion mich nicht mit seinen Kriegsgeschichten unterhalten hätte, wäre es mir auch viel früher aufgefallen!"
"Tut mir Leid, 'Rissa... ich brauchte einfach etwas frische Luft, nach... nach all dem, was beim Frühstück passiert ist."
"Versteh' ich ja, wirklich... aber das nächstes Mal sagst du mir Bescheid, ehe du dich davonmachst, versprich's mir!"
"Ich verspreche es dir."
Narissa lächelte besänftigt und begann, Aerien eine Zusammenfassung der Geschichten zu geben, die sie von Valion gehört hatte. "Wusstest du," sagte sie und wurde erstaunlich rot, um dann kichernd fortzufahren, "dass Valions Zwillingsschwester es geschafft hat, Bayyin..." Den Rest flüsterte sie Aerien ins Ohr, welche daraufhin die Hände vor den Mund schlug und noch eine Spur roter als Narissa wurde. "Wirklich! Diese Zwillinge sind, dafür dass sie Adelige sind, ziemlich nach meinem Geschmack," fuhr Narissa fort. "Sie waren sogar schon auf der Weißen Insel!"
Als sie das sagte, legte sich ein seltsamer Ausdruck auf Narissas Gesicht, der ihr typisches Grinsen ein wenig schwinden ließ. Aerien drückte sie mitfühlend an sich und sagte: "Du hast Heimweh, nicht wahr?"
Narissa nickte zaghaft. "Ja... aber nicht nur das. Ich..." Sie schwieg eine lange Minute, dann wurde ihr Gesicht hart. "Es gibt da noch etwas, das ich... erledigen muss. In Harad."
"Du willst zurück? So bald schon?" fragte Aerien erschrocken.
"Je länger ich zögere, desto schwerer wird es werden."
"Wovon sprichst du?" wollte Aerien beinahe tonlos wissen und blickte Narissa aus großen Augen an.
"Ich werde meinen Vater suchen und töten," antwortete Narissa leise. "Dafür was er meiner Mutter und meinem Großvater angetan hat. Ich muss es tun, und ich muss es bald tun."
Aerien sagte nichts. Ihr Herz wurde ihr wieder schwerer, denn sie hatte gehofft, eine Weile in Dol Amroth bleiben zu können, nun da die Fürstin ihr hier Sicherheit versprochen hatte.
So kam es, dass einer der Pagen die beiden Mädchen fand, ehe sie ihr Gespräch fortführen konnten. "Der Fürst schickt nach Euch, edle Damen," sagte der Junge und überschlug sich beinahe bei seiner Verbeugung. "Er wünscht euch beide in der Großen Halle zu sehen."
Sie sahen einander an und ohne dass sie etwas sagen mussten, verstanden beide, dass sie ihr offenes Gespräch ein andermal fortführen würden. Sie folgten dem Pagen zurück ins Innere des Palastes.
« Letzte Änderung: 16. Jan 2021, 09:46 von Fine »
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Die Bitte der Attentäterin
« Antwort #55 am: 14. Jan 2021, 07:27 »
Nach dem Tumult beim Frühstück hatte sich Valion eine ganze Weile mit Narissa unterhalten, dem weißhaarigen Mädchen das mit Mithrandir und Amrothos in die Stadt gekommen war. Sie erinnerte ihn mit ihrer quirligen und ruhelosen Art ein wenig an seine Zwillingsschwester, als sie in diesem Alter gewesen war. Der große Unterschied bestand allerdings darin, dass Narissa im Gegensatz zu Valirë den Fürsten und Rittern in ihrem Umfeld nur das Nötigste an Aufmerksamkeit zu schenken zu schien.
Beinahe eine ganze Stunde lang saßen sie beieinander und tauschten sich aus. Valion stellte fest, dass er das Mädchen wirklich gut leiden konnte. Ihre direkte Art zu denken passte zu seiner eigenen Herangehensweise, und als er erfuhr, dass sie die Nichte Thorongils von Tol Thelyn war, fielen ihm die Gemeinsamkeiten auf, die Narissa mit ihrem Onkel hatte. Er erzählte ihr von seinen Erlebnissen im Krieg gegen Mordor und seiner Reise nach Umbar, während sie ihm aufmerksam und voller Interesse zuhörte und oft Zwischenfragen stellte. Doch ehe Valion Narissa noch mehr kennenlernen konnte, beschloss diese, sich auf die Suche nach ihrer Freundin Aerien zu machen, die seit dem Angriff beim Frühstück verschwunden war.

Valion beschloss, nach seiner Verlobten zu sehen, doch auf dem Weg aus dem Palast hinaus lief ihm Ta-er as-Safar über den Weg, die ein Kleid in der Tracht von Dol Amroth in Silber und Blau trug und die noch immer das Wurfmesser in der Hand hielt, mit dem sie den falschen Edrahil aufgehalten hatte. Die Klinge war blutig, was Ta-er nicht im Geringsten zu stören schien.
"Einen Augenblick deiner wertvollen Zeit, wenn's dir genehm ist," sagte sie und lotste Valion in einen der verwaisten Seitengänge des Prinzenpalastes.
"Was gibt es denn? Neue Geheimnisse?" wollte er wissen.
"Nein. Keine Verschwörungen oder dergleichen. Nur eine simple Bitte."
"Nun gut. Dann lass mich diese Bitte hören."
"Ich brauche deine Hilfe, Valion," sagte Ta-er leise und ernst. "Umbar ist gefallen und der Krieg in Harad geht in die entscheidende Phase. Ich brauche jemanden dort, dem ich absolut vertrauen kann. Jemand, der nicht bereits in die verworrenen Streitigkeiten Harads verwickelt ist."
Valion zog verwundert die Brauen zusammen und warf ihr einen zweifelnden Blick zu. "Was genau verlangst du von mir?"
"Die Assassinen sind von der Bildfläche verschwunden, Valion. Seit ihrem Angriff auf Burj-al-Nar hat niemand etwas von ihnen gehört. Ich... fürchte das Schlimmste, seitdem der Schattenfalke in den Süden gezogen ist. Edrahil kehrte von dort ohne ihn zurück. Der Silberne Bogen ist in Gefahr..."
"Ta-er," sagte Valion ruhig und wiederholte seine Frage etwas deutlicher. "Was verlangst du von mir?"
"Dass du mit Narissa gehst und ihr dabei hilfst, Sûladan zu töten. Und dass du dafür sorgst, dass... Saleme entmachtet wird, am besten durch ihren Tod."
Valions Augen weiteten sich. Wieder einmal war er überrascht davon, wieviel Ta-er as-Safar wusste, obwohl sie keinen großen Wirbel darum machte. "Und du glaubst, dass ich dazu in der Lage sein werde? Oder dass Fürst Imrahil mich einfach so gehen lassen wird?"
"Die Erlaubnis mit Narissa nach Harad zu gehen zu erhalten ist Teil der Herausforderung, welche ich dich bitte, anzunehmen," sagte Ta-er. "Aber soweit ich verstehe weilt deine eigene Schwester in Umbar, an der Seite Erchirions."
"Ich habe das Kommando über Linhirs Garnison erhalten, wie du weißt..."
"Und du hast getan, weswegen du dorthin entsandt worden bist. Gondors General ist frei und bei guter Gesundheit. Er wird den Befehl wieder selbst aufnehmen wollen."
"Nun, da... hast du vermutlich recht," gestand Valion ihr ein.
"Jemand muss ein Auge auf Narissa haben, sonst rennt sie noch in ihr Verderben," fuhr Ta-er as-Safar fort.
"Das verstehe ich, aber... wieso ist sie dir so wichtig?"
Ta-er starrte ihn eine Weile lang an und blieb ihm die Antwort schuldig. "Wirst du es tun, oder nicht?" wollte sie schließlich wissen.
Valion begegnete ihrem Blick. Ein Mann von besonnenerem Gemüt hätte sich an seiner Stelle vermutlich jetzt Bedenkzeit erbeten, doch Valion hatte selten lange über Entscheidungen nachgegrübelt. Er traf sie, indem er auf sein Bauchgefühl vertraute. "Also gut. Ich werde tun was du verlangst."
Sein Gegenüber nickte und für einen kurzen Augenblick erschien es ihm, als huschte ein erleichtertes Lächeln über Ta-ers Lippen, die sonst stets von einem ruhigen, neutralen Ausdruck beherrscht wurden. "Möge dir Erfolg beschieden sein," murmelte Ta-er. "Dieser Krieg in Harad... er dauert bereits viel zu lange. Stell dir vor, was die Menschen erreichen könnten, wenn sie einem vereinten Ziel folgen würden..."
"Und welches Ziel wäre das?"
"Der Sturz des Dunklen Herrschers," antwortete sie prompt. "Er erwartet derzeit keinen Angriff aus dem Süden. Gegen den Osten geht er bereits vor... ich fürchte, die Zeit verrinnt schneller als angenommen, und sie spielt gegen die Haradrim. Eines nicht allzu fernen Tages werden die Horden Mordors sich gen Ain Séfra und Umbar wenden."
Valion verstand. Je eher der Bruderkrieg in Harad ein Ende fand, desto eher konnte Gondor auf eventuelle Entlastung im Krieg gegen Mordor hoffen. "Dann werde ich dafür sorgen, dass Sûladan fällt. Du hast mein Wort."
"Ich danke dir, Valion..." Ta-er nickte ernst, dann wandte sie sich ab und verschwand den Gang entlang.

Valion blieb eine Weile dort stehen und ging in Gedanken durch, was er nun alles zu erledigen hatte, ehe er Dol Amroth verlassen konnte. Er musste mit dem Fürsten sprechen... und mit seiner Verlobten. Er musste die Hochzeit, die Lôminîth und Valions Mutter geplant hatten, verschieben, falls es irgend möglich war. Er musste dafür sorgen, dass Hilgorn - oder jemand anderes - das Kommando über die Garnison von Linhir zurückerhielt. Und er musste mit Narissa über all dies sprechen.
Wie es der Zufall wollte, kamen in jenem Augenblick Narissa und Aerien den Gang entlang geeilt. Valion trat ihnen in den Weg, als er die Mädchen bemerkte.
"Auf ein Wort, Narissa," bat er.
"Wie? Valion? Ähm - nun gut, aber es muss schnell gehen! Der Fürst ruft uns alle zu sich in die große Halle, du wirst dort vermutlich ebenfalls erwartet."
"Ist das so?" wunderte sich Valion, doch dann nickte er. "Vermutlich wollen sie euren Freund Aragorn wieder offiziell auf den Thron setzen... was die Anwesenheit sämtlicher Lehnsfürsten Gondors erforderlich macht." Er grinste. "Und wenn der Herr des Ethirs fehlt, können sie nicht beginnen."
Aerien blickte etwas unbehaglich drein, anscheinend war es ihr unangenehm, zu spät zu kommen, doch Narissa musste lachen. "Ha! Gut mitgedacht. Also, was gibt es denn so Dringendes?"
"Ich weiß, dass du nach Harad zurückkehren wirst," begann Valion und er sah, wie die beiden Mädchen einen erstaunten Blick miteinander wechselten. "Ich bitte um deine Erlaubnis, dich zu begleiten und dir zu helfen... Sûladan zu töten."
Narissa gab ein überraschtes Keuchen von sich. "Woher..."
Aerien schob Narissa beiseite und stellte sich schützend vor sie. Misstrauisch starrte sie Valion an. "Wir haben genug Verrat erlebt um eine so offensichtlichen Falle zu erkennen wenn sie uns gestellt wird," sagte sie kalt. "Ich lasse nicht zu, dass Narissa in noch größere Gefahr gerät als sie dieses Unterfangen es ohnehin schon tut."
"Ich weiß es von Ta-er as-Safar," sagte Valion rasch. "Und ich will dir wirklich helfen, Narissa. Meine Zwillingsschwester ist in Umbar, und ich bin mir sicher, dass sie sich der Mission anschließen wird wenn sie davon hört. Drei Klingen sind tödlicher als nur eine, und je eher Sûladan aus dem Weg geräumt ist, desto eher wird es für Gondor eine Entlastung im Krieg geben."
"Nein," sagte Narissa scharf. "Ich werde diejenige sein, die ihn tötet. Er gehört mir."
"Narissa..." setzte Aerien leise an.
"Du kannst mit mir kommen, wenn du es mir so aus freien Stücken anbietest," fuhr Narissa fort. "Aber Sûladan gehört mir."
"Natürlich," antwortete Valion. "Ich werde ihn nicht anrühren. Aber du hast meine Schwerter, um dir den Weg zu ihm freizuräumen."
"Dann akzeptiere ich dich und deine Klingen gerne," sagte Narissa, und schien bemüht, erst gar keine Diskussion über ihre Entscheidung zu ermöglichen. "Und jetzt sollten wir zum Fürsten, ehe er noch beschließt, dich deines Amtes zu entheben."
Valion nickte, doch als er Aerien ansah, starrte sie ihm mit demselben Blick entgegen, den er von seiner Verlobten nur allzu gut kannte: in ihren grauen Augen leuchtete gut kontrollierter, lodernder Zorn, den ihr Gesichtsausdruck nur begrenzt preisgab. Er hatte das eindeutige Gefühl, dass es darüber noch eine ganze Menge zu reden geben würde...
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Eandril

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Re: Der Palast des Fürsten
« Antwort #56 am: 16. Jan 2021, 11:04 »
Hilgorn musste sich zwischen zwei edel gekleideten Adligen hindurchzwängen, um die große Halle des Fürsten zu betreten, was ihm böse Blicke von beiden eintrug. Faniel folgte ihm und lächelte den beiden Männern entschuldigend zu, was sie offenbar ein wenig besänftigte. Ein Bote Lóthiriels hatte sie beide zum Palast gerufen, allerdings ohne Näheres über den Anlasse zu verraten. Angesichts der Tatsache, dass nahezu jeder von Rang und Einfluss sich in der Halle eingefunden hatte, musste allerdings etwas wichtiges bevorstehen.
Hilgorn verschaffte Faniel und sich einen Platz auf der linken Seite der Halle in einer der vorderen Reihen. Direkt vor dem Sitz des Fürsten hatten sich die hochrangigen Fürsten Gondors versammelt - Imrahil stand unterhalb des Thrones, flankiert von seinen Söhnen Amrothos und Elphir. Als Elphirs Blick in Hilgorns Richtung fiel, hob er kurz die Hand zum Gruß. Hilgorn entdeckte außerdem die Fürsten Dervon vom Ringló, seinen Verwandten Ardamir von Belfalas und Elatan von den Pinnath Gelin. Amros von Edhellond war in ein Gespräch mit Golasgil von Anfalas und und Angbor von Lamedon vertieft. Der Anblick Duinhirs von Morthond, der ein wenig abseits mit Faltharan, dem Fürsten von Pelargir im Exil, stand, versetzte Hilgorn einen leichten Stich - immerhin hätte er um ein Haar Duinhirs Tochter auf dem Gewissen gehabt.
Über der ganzen Halle lag eine nervöse, aufgeregte Spannung, der sich auch Hilgorn nicht entziehen konnte. Die Anwesenheit fast aller überlebenden Lehensfürsten Gondors musste bedeuten, dass etwas überaus wichtiges bevorstand.
"Was glaubst du, wo Valion steckt?", flüsterte Faniel ihm ins Ohr. "Immerhin ist er doch auch einer der Fürsten, und wenn alle anderen hier sind..."
Hilgorns Mundwinkel zuckten amüsiert. "Vermutlich kommt er nur zu spät. Es würde..." An der Tür der Halle entstand ein wenig Unruhe, als Valion mit langen Schritten geradezu herein gestürmt kam, dicht gefolgt von zwei jungen Frauen. Hilgorn erkannte eine von ihnen als Narissa, die Nichte des Fürsten Thorongil von Tol Thelyn. "... ihm ähnlich sehen.", beendete er seinen Satz. Während Valion sich, ohne sich um die Unruhe, die er auslöste, zu kümmern, nach vorne zu den anderen Fürsten durchkämpfte, hatten Narissa und ihre Begleiterin offenbar Fürst Thorongil und seine Familie entdeckt, die auf der rechten Seite des Saales dicht an der Wand standen, und gesellten sich zu ihnen.
Als Valion die Gruppe der Fürsten erreicht hatte, nickte Imrahil knapp, und stieg die flachen Stufen zu seinem Sitz hinauf. Oben angekommen setzte er sich nicht, sondern blieb stehen, der Menge zugewandt und den Amtsstab der Truchsessen in der Hand. Schon bald hatte sich Stille in der Halle ausgebreitet, und der Fürst begann zu sprechen.
"Söhne und Töchter Gondors. Ich habe euch hier zusammengerufen, um euch etwas mitzuteilen. Am heutigen Tage lege ich, Imrahil, Adrahils Sohn, Fürst von Dol Amroth, die mir verliehene Macht als Truchsess von Gondor nieder."
Ein Raunen ging durch die Halle, während Imrahil eine Pause machte. Er zeigte ein kaum wahrnehmbares Lächeln.
"Dies hat einen einfachen Grund - es ist im Augenblick nicht nötig, das Amt des Truchsessen auszufüllen, denn... der König von Gondor, Aragorn Elessar, Arathorns Sohn, ist zurückgekehrt."
Wie auf einen Schlag verstummten sämtliche Geräusche in der Halle, und Hilgorn spürte, wie sich Faniels Hand um seine schloss und sie fest umklammerte.
Durch die schmale Tür unterhalb des Thronsitzes trat ein einzelner, dunkelhaariger Mann. Er trug keinen Schmuck und keine Krone, und einfache Gewänder wie sie für die Männer Dol Amroths übrig waren, doch obwohl sein Gesicht gezeichnet und zerfurcht war, erkannte Hilgorn den Mann, unter dessen Führung er in Pelargir und auf den Feldern des Pelennor gekämpft hatte, mit einem Blick wieder. Ohne einen weiteren Gedanken ging er auf die Knie, noch bevor der König die erste Stufe des Thrones erreicht hatte, und zog Faniel mit sich. Um ihn herum taten es ihm immer mehr unter den Anwesenden gleich, bis schließlich der ganze Saal kniete.
Aragorn erreichte die oberste Stufe, und nahm den Stab der Truchsessen, den Imrahil ihm darbot, entgegen. "Imrahil, Fürst von Dol Amroth und Truchsess von Gondor", sagte er mit tragender Stimme. "Unter eurer Führung hat Gondor dem Ansturm des Schattens bis heute widerstanden. Es wäre mir eine Ehre, wenn ihr dieses Amt weiterhin ausfüllen würdet, um zu Zeiten meiner Abwesenheit über das Reich zu regieren." Mit diesen Worten gab er Imrahil den Stab zurück, und der Fürst verneigte sich tief, bevor er die Stufen hinunterstieg und sich zu seinen Söhnen gesellte.
Aragorn ließ währenddessen den Blick über die Halle schweifen, und sprach weiter: "Bitte, erhebt euch. Jedem einzelnen von euch gebührt ebenfalls Dank, denn ohne eure Tapferkeit hätte es kein Gondor gegeben, in das ich hätte zurückkehren können." Er wartete einen Augenblick ab, bis sich alle wieder erhoben hatten und erneut Stille eingekehrt war. "Ihr werdet diese Tapferkeit weiterhin brauchen, denn ich fürchte, gefährliche Tage stehen uns bevor. Der dunkle Herrscher weiß um mein Entkommen aus Barad-Dûr, dem dunklen Turm. Wir sind uns außerdem sicher, dass er inzwischen weiß, dass ich nach Gondor zurückgekehrt bin, und sein Zorn wird schrecklich sein. Noch ist seine Kraft anderswo gebunden, doch schon bald wird sich seine volle Aufmerksamkeit wieder auf uns richten. Dann müssen wir bereit sein."
Er wechselte einen raschen Blick mit Imrahil. "Heere allein werden nicht genügen, um den Schatten abzuwehren. Darum rufe ich am heutigen Tag den Orden des geborstenen Schwertes ins Leben - zum Andenken an die Klinge, die geborsten war." Mit den letzten Worten zog Aragorn das Langschwert, dass er an der Seite trug, aus der Scheide, und hielt es nach unten gerichtet vor sich, sodass die Spitze leicht den Boden berührte. "Die Mitglieder dieses Ordens werden jene sein, die herausragende Taten im Krieg gegen den Schatten vollbracht haben - oder noch vollbringen werden. Sie werden an die gefährlichsten und dunkelsten Orte dieser Welt gehen, und den Kampf zum dunklen Herrscher selbst tragen. Es ist eine Ehre, und gleichzeitig eine Verpflichtung."
Aragorns Blick glitt zur rechten Seite der Halle hinüber, und er lächelte. "Die ersten beiden Mitglieder dieses Ordens sind bereits an den dunklen und gefährlichsten Ort dieser Welt gegangen, und nur ihretwegen stehe ich heute hier. Tretet vor, Narissa, Herlennas Tochter aus dem Haus Ciryatan von Tol Thelyn, und Aerien Bereneth."
Ein Raunen ging durch die Menge, und auf der rechten Seite der Halle entstand ein wenig Unruhe, bevor Narissa und die schwarzhaarige junge Frau, die mit ihr in die Halle gekommen war, vorgetreten waren. Wie auf ein Kommando blieben sie nebeneinander stehen, und sanken vor dem Thron auf die Knie.
Aragorn schüttelte leicht den Kopf, und ging langsam die Stufen hinunter, bis er vor den beiden stehen blieb. "Nein", sagte er, leiser, doch seine Stimme war noch im ganzen Saal zu hören. "Ihr kniet nicht vor mir. Ohne euch säße ich noch immer an der Spitze des Dunklen Turms und mein Geist würde früher oder später dem dunklen Herrscher erliegen und zerbrechen. Ihr habt mich vor diesen Schicksal bewahrt, und mir die Hoffnung zurückgegeben." Damit hob er erst Aerien, dann Narissa auf, und schloss beide nacheinander kurz, aber fest in die Arme.
Neben Hilgorn schniefte Faniel, und wischte sich mit der freien Hand kurz über die Augen. Als sie seinen Blick bemerkte, drückte sie seine Hand ein wenig fester.
Inzwischen hatten sich Aerien und Narissa hinter Aragorn zu Füßen des Throns postiert, und als Hilgorn auffiel, dass sie ebenfalls die Hand der jeweils anderen ergriffen hatten, wurde ihm schlagartig einiges klar.
Jetzt trat Imrahil an Aragorns Seite, und sagte laut: "Der König hat den Fürsten Gondors die Ehre erwiesen, selbst Mitglieder für den Orden des geborstenen Schwertes vorzuschlagen, die sich in den Jahren seiner... Abwesenheit durch Tapferkeit oder große Taten ausgezeichnet haben. Einer dieser Männer ist mein jüngster Sohn Amrothos."
Ein wenig zögerlich trat Amrothos vor, und sank dann vor dem König auf die Knie. Hilgorn konnte sein Gesicht nur kurz sehen, doch die Miene des Prinzen ließ eindeutig erkennen, dass der damit nicht gerechnet hatte. "Amrothos hat tapfer in jener Schlacht gekämpft, die die Belagerung dieser Stadt beendete, und auch wenn sein Weg ihn danach für einige Zeit fort von Dol Amroth und Gondor führte, kämpfte er doch immer auf unserer Seite - selbst im verlorenen Lothlórien." Bei den letzten Worten zuckte Aragorns Wangenmuskel, als wären sie schmerzhaft für ihn. Seine Stimme war jedoch unverändert, als er Amrothos aufhob und ihm beide Hände auf die Schultern legte: "Erhebe dich, Amrothos von Dol Amroth, Ritter vom geborstenen Schwert."
Als nächstes trat Fürst Duinhir von Morthond vor. "Es gibt einen aus unseren eigenen Reihen, den ich für würdig erachte, diesem Orden beizutreten." Er verzog ein wenig das Gesicht. "Allein schon, weil meine Tochter oft genug von seinen Heldentaten schwärmt."
Hinter Duinhir zuckte Valion, der gerade Elphir etwas zugeflüstert hatte, sichtlich zusammen, und Duinhir wandte sich mit einem ein wenig grimmigen Lächeln zu ihm um. "Ja, genau. Die Rede ist von dir, Valion vom Ethir." Wieder an die Menge gewandt, fur der Fürst von Morthond fort: "Valion hatte nicht unbeträchtlichen Anteil daran, einen Einfall von Orks in mein eigenes Fürstentum abzuwehren. Bevor aber jemand unterstellt, man müsste nur mein kleines Fürstentum retten - wie wohl den meisten bekannt ist, befreiten Valion und seine Schwester unsere allseits geliebte Prinzessin Lóthiriel aus der Gefangenschaft in Umbar und brachten sie zu uns zurück. Ich könnte noch ein bisschen länger mit der Aufzählung seiner Heldentaten verbringen, aber fragt ihn am besten selbst danach, er erzählt sie sicher gerne."
Nachdem auch Valion niedergekniet und von Aragorn in den Orden aufgenommen worden war, trat der zurück neben Amrothos, der ihm anerkennend auf die Schulter klopfte. Hilgorn musste bei dem Anblick lächeln. Valion mochte ungestüm und oft voreilig und unvorsichtig sein, doch Hilgorn verdankte ihm mehr als einmal sein Leben.
Gerade als Aragorn ansetzte, etwas zu sagen, trat Lóthiriel aus der Menge hervor.
"Verzeiht", sagte sie respektvoll. "Mein Vater vergisst es gerne, wenn es ihm passt, doch gehöre auch ich als Fürstin von Tolfalas zu den Fürsten Gondors." Imrahil warf ihr einen zornigen Blick zu, doch Aragorns Blick zeigte Interesse, und er bedeutete Lóthiriel fortzufahren.
"Auch ich habe einen Kandidaten für euren Orden", sprach Lóthiriel weiter. "Hilgorn Thoron, General von Dol Amroth."
Hilgorn war geneigt, seinen Ohren zu misstrauen, und offenbar ging es nicht nur ihm so. Fürst Duinhir hatte die Zähne fest zusammengebissen und blickte Lóthiriel ungläubig an, und auch die Gesichter einiger anderer Fürsten zeigten Unverständnis.
"Meine Tochter, hältst du das wirklich für eine gute Idee?", fragte Imrahil leise. "Hast du vergessen..."
"Ich habe nichts vergessen", unterbrach Lóthiriel ihn kurzerhand. "Wir sollten doch nicht vergessen, dass General Hilgorn gemeinsam mit Elphir für den Sieg in der ersten Schlacht von Linhir verantwortlich war?" Sie wandte sich kurz Duinhir zu. "Dass er das Heer angeführt hat, das Morthond vor den einfallenden Orks rettete? Dass er seinen eigenen Bruder als Verräter entlarvte und so eine gefährliche Verschwörung direkt vor unseren Mauern aufdeckte? Dass er Linhir vor dem erneuten Fall bewahrte und dabei beinahe in der Schlacht fiel? Dass er die Furten des Gilrain für Gondor hielt und anschließend in der Gefangenschaft Folter und Zauberei ausstand? Habt ihr das alles vergessen, und straft nun einen eurer getreuesten Gefolgsleute mit Missachtung?"
"Ich schließe mich dem an", ergriff Valion, der vorgetreten war, kurzentschlossen das Wort. "Wie soll eine Tat, zu der er durch dunkle Zauberei gezwungen wurde, Jahre des Dienstes ungeschehen machen? Ich habe an Hilgorns Seite gekämpft, und bürge für ihn." Hilgorn bemerkte kaum, dass Narissa und Aerien bei Valions erstem Satz einen raschen Blick tauschten. Seine Hände zitterten, und er wünschte sich, irgendwo zu sein, nur nicht hier.
Imrahil wirkte nun tatsächlich ein wenig verlegen, wollte aber dennoch etwas erwidern als Aragorn die Hand hob. "Ich werde selbst darüber entscheiden. Tretet vor, Hilgorn Thoron."
Hilgorn rührte sich zuerst nicht, denn seine Beine wollten ihm nicht gehorchen. Schließlich legte Faniel eine Hand auf seinen Rücken und schob ihn langsam nach vorne. Er bewegte sich wie in einem Traum, bis er schließlich vor dem König stand und auf die Knie gehen wollte. Aragorn jedoch bedeutete ihm, stehen zu bleiben, und sah ihm fest ins Gesicht. "Ich sehe keine Bosheit an euch", sagte er leise, und scheinbar mehr zu sich selbst als wirklich an Hilgorn gerichtet. "Was immer die Diener des Schattens getan haben... es ist vergangen." Er legte Hilgorn beide Hände auf die Schultern, und sagte lauter: "Erhebt euch, Hilgorn Thoron, als Ritter des geborstenen Schwertes."
Als Hilgorn sich neben Valion stellte, klopfte dieser ihm auf die Schulter, und sagte etwas, doch Hilgorn nahm es nicht wirklich wahr. Er hörte auch nicht mehr, was der König als nächstes sagte, denn er verspürte nur Erleichterung. Erleichterung, dass er nicht das geringste Bedürfnis verspürt hatte, Aragorn Leid zuzufügen, als er vor ihm gestanden hatte. In diesem Augenblick wagte er zum ersten Mal zu glauben, dass Arnakhôr tatsächlich keinerlei Macht mehr über ihn hatte.

Oronêl - Edrahil - Hilgorn -Narissa - Milva

Eandril

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Re: Der Palast des Fürsten
« Antwort #57 am: 1. Feb 2021, 23:46 »
Narissa trat ein wenig ungeduldig von einem Fuß auf den anderen, während Aragorn weiter sprach, jetzt wieder direkt an den ganzen Saal gerichtet.
"Der Krieg ist noch lange nicht vorüber, im Gegenteil - ich fürchte, vor uns allen liegen noch dunkle Tage. Doch vielleicht befinden wir uns an einem Wendepunkt. Und, Männer und Frauen Gondors, erinnert euch immer an eines: Hoffnung kann man selbst an den dunkelsten Orten und in den verzweifeltsten Momenten finden."
Mit diesen Worten trat er von seinem Platz an den Stufen des Thrones zurück, und langsam begann sich die Halle unter allgemeinem Raunen und Getuschel zu leeren. Während sich die Fürsten Gondors um den König scharten, wandte sich Hilgorn Narissa und Aerien zu. Sein eines Auge zeigte Neugierde, vor allem als sein Blick auf Aerien fiel.
"Wir sind einander ja bereits begegnet", begann er, den Blick auf Narissa gerichtet. "Auch wenn mir natürlich die Tragweite nicht bewusst war. Aber wir hatten noch nicht das Vergnügen", fügte er mit einer leichten Verbeugung in Aeriens Richtung hinzu.
"Mein Name ist Aerien... wie ihr ja sicherlich gehört habt", erwiderte Aerien ein wenig unbeholfen, und Hilgorn lächelte. Narissa kam nicht umhin zu bemerken, wie stark dieses Lächeln den Mann veränderte - vorher hatte sein einäugiges Gesicht ein wenig grimmig gewirkt, doch das Lächeln machte ihn um ein Vielfaches sympathischer.
"Ich denke, Förmlichkeiten sind jetzt überflüssig, oder? Unter uns bin ich einfach Hilgorn."
"Diese ganze Förmlichkeit ist sowieso nichts für mich", meinte Narissa. "Ehrlich gesagt kann ich es kaum abwarten, wieder nach Harad zurückzukehren, und mir darum keine Gedanken zu machen." Sie sagte es betont leichthin, und tat so, als spürte sie Aeriens Blick nicht, der sich in ihre Seite bohrte.
"Was führt dich zurück nach Harad?", fragte Hilgorn interessiert. "Der Krieg? Ein geheimer Auftrag von Edrahil?"
"Ihr... du kennst Edrahil also?", mischte sich Aerien wieder ein. Offenbar war sie nicht sehr erpicht darauf, über das Thema Harad zu sprechen. Hilgorn nickte, und antwortete: "Ich war früher Mitglied der Stadtwache, und hatte das ein oder andere mit ihm zu tun. Kurz bevor er nach Umbar aufbrach, haben wir gemeinsam einen Angriff auf die Stadt abgewehrt, was mir letztendlich meine Stellung als General eingebracht hat. Ich war froh zu hören, das er offenbar immer noch in Harad seine Netze gegen Mordors Anhänger spinnt."
"Von ihm stammt der ganze Plan, der uns hierher gebracht hat", sagte Narissa, doch bevor sie noch mehr sagen konnte, traten Aragorn, Thorongil und Valion zu ihnen. Nur einen Augenblick später schloss sich auch Amrothos und sein Vater ihnen an.
Ein wenig überrascht stellte Narissa fest, dass sich die Halle bis auf diese Gruppe inzwischen beinahe vollständig geleert hatte - lediglich Prinzessin Lóthiriel und Hilgorns Begleiterin standen noch in der Nähe der Türen, offenbar wartend.

"Ich hoffe, mein Sohn hat eure Kinder noch zu keinen allzu großen Untaten angestiftet", meinte Thorongil an Hilgorn gerichtet, der mit einem Lächeln abwinkte. "Sie sind beide sehr gut in der Lage, von alleine Unheil anzurichten - vor allem Iorweth." Er schüttelte mit einem kleinen Seufzer den Kopf, und fügte hinzu: "Macht euch darum nur keine Sorgen. Vor allem Iorweth tut es sicherlich gut, einen Spielgefährten in ihrem Alter zu haben."
Aragorn, der den kurzen Austausch geduldig abgewartet hatte, hob eine Hand. "Wir haben einiges zu tun. Sauron weiß über meine Anwesenheit in Gondor Bescheid, und er wird sie nicht lange dulden. Nach allem, was wir wissen, bleibt uns allerdings ein wenig Zeit, denn er ist im Augenblick auf einem Straffeldzug in Rhûn beschäftigt. Diese Zeit sollten wir nutzen."
Aus der Nähe fiel Narissa auf, dass der dunkle Ringe unter den Augen trug und tatsächlich erschöpfter wirkte als vor ihrer Ankunft in Dol Amroth. Sie fragte sich, ob er seitdem überhaupt geschlafen hatte.
"Wir sind uns einig, dass Gondor im jetzigen Zustand einem entschlossenen Angriff Mordors nicht lange standhalten wird", ergriff Imrahil das Wort. "Erst recht nicht, wenn der dunkle Herrscher selbst das Schlachtfeld betritt - zumindest hört man solche Gerüchte aus dem Osten."
Bei diesen Worten zuckte Narissa unwillkürlich zusammen, und ihr fiel auf, das allen anderen bei der Vorstellung ebenso unbehaglich zumute war wie ihr. Sie fürchtete sich nicht vor dem Kampf gegen Mordor, doch Sauron selbst... das war etwas anderes. "Wir brauchen Verbündete", fuhr der Fürst von Dol Amroth fort. "Die Rohirrim werden an unserer Seite stehen, nehme ich an?"
Aragorn nickte. "Ich habe mit Faramir und Königin Éowyn gesprochen, und wenn die Stunde kommt, werden sie alles, was in ihrer Macht liegt, tun um uns beizustehen. Doch es wird nicht reichen. Wir brauchen mehr Verbündete, und wir finden sie im Norden - und im Süden."
"Den Süden übernehme ich", sagte Narissa, ohne groß nachzudenken, und warf einen Seitenblick zu Valion. "Oder - wir?"
"'Rissa...", sagte Aerien leise, doch es klang bedrohlich. Narissa wandte sich ihr zu, ohne dem Zorn in Aeriens Augen auszuweichen. "Ich muss, Aerien. Ich wünsche mir, du kämest mit, aber..." Sie musste schlucken. "Wenn du nicht willst, dann werde ich alleine gehen müssen."
"Nicht ganz alleine", meinte Valion leise, doch in diesem Moment beachtete Narissa ihn nicht, sondern hielt ihren Blick auf Aerien gerichtet. Aeriens Wangenmuskel zuckte einmal, bevor sie sich abrupt abwandte.
Aragorn räusperte sich leise. "Es mag schmerzhaft sein, aber... ich spüre, dass dies tatsächlich der beste Weg ist. Narissa und Valion werden mit dem Auftrag nach Harad gehen, Malik Qúsay und Meister Edrahil dabei zu unterstützen, den Bruderkrieg so schnell wie möglich zu beenden und die Haradrim zu unserer Unterstützung nach Norden zu führen." Aerien blickte ihn an als wollte sie sagen das ist nicht dein Ernst.
Narissa legte eine Hand auf ihre Schulter, doch Aerien schüttelte sie mit einer knappen Bewegung ab.
Thorongil ergriff das Wort. "Ich werde ebenfalls nach Süden gehen, tun was ich kann. Melíril und Túor werden, mit eurer Erlaubnis, hier in Dol Amroth bleiben." Die letzten Worte waren an Imrahil gerichtet, der nickte und entgegnete: "Es wäre mir eine Ehre."
"Wir werden außerdem jemanden brauchen, der nach Norden geht, gemeinsam mit Gandalf", fuhr Aragorn fort. Amrothos hob ein wenig zurückhaltend die Hand. "Das wäre vielleicht eine Aufgabe für mich. Ich glaube, von uns bin ich der einzige, der sich ein wenig im Norden auskennt."
Er warf seinem Vater einen halb entschuldigenden Blick zu, doch Imrahil wirkte zufrieden. "Tatsächlich halte ich mein Sohn für überaus geeignet, Verbündete im Norden zu sammeln."
"Dann ist es beschlossen", meinte Aragorn. "Genaueres werden wir noch besprechen. Und was euch angeht, Hilgorn und Aerien: Ich spüre, dass euer Platz im Augenblick hier ist, in Gondor. Wir werden auch hier Schwerter brauchen und jene, die den Menschen Hoffnung geben."
Er ließ den Blick von Aerien zu Narissa schweifen, und sagte dann: "Wir werden uns später treffen um genauere Pläne zu schmieden. Für den Augenblick hätte ich jedoch gerne mit Aerien und Narissa allein gesprochen."

Als sie schließlich allein waren, ließ Aragorn sich langsam auf die Stufen des Thrones sinken, während Narissa und Aerien unsicher stehen blieben.
"Meine Freunde", begann Aragorn leise. "Meine Retterinnen. Ich trenne euch nicht gerne von einander, und ich tue es nicht mutwillig. Mein Herz sagt mir, dass dies der beste Weg für euch ist, auch wenn es schmerzhaft sein mag. Doch es ist nie gut, im Streit auseinander zu gehen. Gebt euch nicht gegenseitig die Schuld dafür, dass es euch auch an unterschiedliche Wege zieht - Wege trennen sich, und sie vereinen sich wieder. Das ist noch lange kein Ende."
Als weder Aerien noch Narissa etwas sagten, seufzte Aragorn leise. "Sprecht miteinander, bevor es soweit ist. Schweigen... ist Gift. Und gerade in diesem Fall ist es wichtig, einander die Wahrheit zu sagen." Narissa hatte das Gefühl, dass Aragorn sie mit den letzten Worten direkt angesprochen hatte, und sie wusste auch, worum es ging. Doch sie bezweifelte, dass sie tatsächlich tun konnte, was er sich vorstellte.

Sie schwiegen noch den ganzen Weg zurück zu ihren Zimmern, und als Narissa ein wenig unschlüssig auf dem Gang stehen blieb, wandte Aerien sich in der Tür um und sagte: "Nun komm schon mit rein. Ich werde dir nicht den Kopf abreißen." Da es nur einen Stuhl in dem Zimmer gab, ließ Narissa sich schließlich Aerien gegenüber auf der Bettkante nieder.
"Ich..." "...muss nach Harad gehen", beendete Aerien den Satz für sie. "Ja, ich weiß. Aber ist es denn wichtig, wer Sûladan am Ende tötet? Wenn Qúasy ihn in die Finger bekommt, ist er genauso tot, wie wenn du es tust."
"Das weiß ich", entgegnete Narissa heftig, und atmete dann tief durch. "Aber... es würde sich nicht einfach nicht richtig anfühlen. Sûladan... ohne ihn würde ich nicht existieren, doch gleichzeitig ist er verantwortlich für alles Schlechte in meinem Leben. Er hat mir die Männer weggenommen, die ein Vater für mich waren - Yaran und meinen Großvater. Er hat meine Heimat zerstört, zuerst die in Qafsah und dann die auf Tol Thelyn. Er hat meine Mutter jahrelang eingesperrt bis sie... bis sie..." Narissa konnte nicht weitersprechen, und als sie sich mit der Hand über das Gesicht fuhr, spürte sie, dass ihre Wangen feucht waren.
"Sûladan hat mehr als einmal alles Gute in meinem Leben zerstört", fuhr sie schließlich fort. "Und deshalb muss ich es selbst tun. Verstehst du?"
"Rache wird nichts davon zurückbringen", erwiderte Aerien leise. "Aber sie könnte dich zerstören."
Narissa schniefte, und wischte sich mit dem Ärmel die Tränen von den Wangen. "Das werde ich nicht zulassen. Und du weißt, wenn ich mir einmal etwas vorgenommen habe..." "Dann bringt dich nichts in der Welt davon ab", ergänzte Aerien, und lächelte schwach, bevor sie sich neben Narissa auf die Bettkante setzte, und ihr einen Arm um die Schultern legte.
"Ein nicht allzu kleiner Teil von mir will auch unbedingt mit dir nach Harad zurückgehen", sagte sie. "Denn dummerweise liebe ich dich eben."
"Und ein großer Teil von mir würde am liebsten mit dir hier bleiben", entgegnete Narissa, und lehnte den Kopf sanft gegen Aeriens. "Denn, vielleicht wusstest du es noch nicht, aber ich liebe dich schließlich auch, Sternchen. Aber... es scheint, als hätte das Schicksal andere Pläne mit uns. Normalerweise glaube ich ja nicht an so etwas, aber..."
"Hm", machte Aerien. "Versprich mir nur eins: Dass du heile wieder zu mir zurückkommst. Und ich werde diesem Valion sagen, dass er ja dafür sorgen soll, dass du in einem Stück bleibst."
Narissa schnaubte ein wenig verächtlich. "Wahrscheinlich werde ich eher dafür sorgen müssen, dass er in einem Stück bleibt." Sie wurde rasch wieder ernst. "Ich verspreche es dir. Und du versprichst mir, dass du in der Zeit auf dich acht gibst. Lass dich lieber nicht täuschen - auch die Menschen von Gondor sind nur das: Menschen."
"Ich werde auf mich achtgeben", versprach Aerien. "Wie sollte ich sonst überprüfen, ob du dein Versprechen einhältst?"
"Das ist ein guter Punkt", meinte Narissa leise, und atmete tief durch. "Hör mal, es gibt etwas, das ich dir noch erzählen muss. Ich..." Sie brach ab. Sie fühlte Aeriens warme Schulter an ihrer, den Arm, der um ihre Schultern lag und... brachte es nicht fertig. Stattdessen räusperte sie sich verlegen. "Vielleicht ein anderes Mal. Ist nicht so wichtig."
Aerien löste sich ein wenig, und blickte ihr ins Gesicht. "Es hörte sich aber wichtig an, 'Rissa."
"Nein, es..." Narissa schloss kurz die Augen, und atmete erneut tief durch. "Vielleicht. Aber... jetzt ist kein guter Zeitpunkt. Ich verspreche, ich erzähle es dir, bevor ich aufbreche."

Oronêl - Edrahil - Hilgorn -Narissa - Milva

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Auf dem Ball des Königs
« Antwort #58 am: 6. Feb 2021, 12:31 »
Am folgenden Abend nahmen Narissa und Aerien als Ehrengäste an einem offiziellen Bankett zur Feier der Rückkehr Aragorns auf den Thron teil. Aerien erinnerte sich später nur noch ungenau an das Fest, es wurden viele Reden geschwungen und für sie bedeutungslose Worte gemacht. Der König selbst hielt sich im Hintergrund, und der Zauberer Gandalf war der Veranstaltung ganz fern geblieben. Das Einzige, was ihr im Gedächtnis geblieben war, war ein Gespräch, das sie mit Valion gehabt hatte, als dieser sie gegen Ende des Abends überraschend zum Tanz aufgefordert hatte. Aerien wusste, dass es sich nicht schickte, eine Einladung von einer so wichtigen Person abzulehnen, aber beinahe hätte sie darauf gepfiffen. Sie war müde und fühlte sich nicht gut. Sie wollte nicht daran denken, dass Narissa bald ohne sie nach Harad ziehen würde. Aber Valion hatte etwas so entwaffnendes an sich, dass sie seinen Aufforderungen schließlich nachgab.
Für einen so großspurigen Kerl war der junge Fürst vom Ethir ein erstaunlich guter Tänzer. Aerien - die natürlich die höfischen Tänze Gondors kaum kannte - konnte ihm getrost die Führung überlassen. Um sie herum mischten sich die Adeligen Dol Amroths; hier und da sah Aerien ein vertrautes Gesicht wie das von Minûlîth, das der Fürstin Silberglanz oder das von Hilgorn, der mit seiner Frau ebenfalls die Tanzfläche betreten hatte. Von Narissa fehlte jede Spur, denn sie hatte sich mit Ta-er in eine ruhige Ecke zurückgezogen, um die Attentäterin über alles auszuquetschen, was es über die aktuelle Lage in Harad zu wissen gab.
Das blausilberne Kleid das Aerien trug, flatterte, als Valion sie herumwirbelte. "Es gefällt dir nicht, dass Narissa nach Harad geht, so viel kann jedermann sehen," stellte er fest. "Du hast die Angst, dass sie in ihr Verderben rennt."
Aerien machte einen Schritt nach vorn, so wie es der aktuelle Tanz erforderte. "Nein. Ich habe Angst, dass ihre Rachsucht sie umbringt."
"Das bedeutet doch das Gleiche," erwiderte Valion. "Aber lass mich dir das Herz ein wenig leichter machen. Narissa wird nicht alleine gehen. Sie wird äußerst fähige Verbündete haben, Kleine."
Sie musterte Valion misstrauisch. "Du sprichst von dir selbst."
"Oh, nicht nur," antwortete Valion lächelnd und ließ seinen Fuß nach rechts gleiten, Aerien an der Hüfte mit sich schiebend. "Denk nur mal an Edrahil. Er wird dafür sorgen, dass nichts schief gehen wird. Er steckt doch hinter eurem Kunststück in Mordor, nicht wahr? Und ist das schief gegangen?"
"Beinahe," beharrte Aerien und ließ zu, dass er sie für einen Moment rückwärts tief herab sinken ließ und dann wieder zu sich in seinen Arm hob. "Es stimmt, Edrahil hat den Plan entworfen. Aber andere haben dafür gesorgt, dass er auch funktioniert hat. Gimli, Aino... Karnûzîr."
Valion nickte. "Nun, damit hast du Recht. Dieses Mal jedoch wird es anders sein. Edrahil ist dort unten, in Harad, und er wird mit Narissa gehen, dafür sorge ich schon. Und er wird nicht der Einzige sein. Zwar wird Ta-er as-Safar noch in Gondor bleiben, aber sie ist nur eine von vielen Kriegern des Silbernen Bogens. Du bist bei ihnen gewesen, nicht wahr? Ich werde sie bitten, Narissa beizustehen, wenn wir nach Tol Thelyn kommen. Und dann ist da noch jemand ganz besonderes..."
"Wer?" wollte Aerien wissen.
"Meine Zwillingsschwester. Valirë. Die beste Kämpferin die ich kenne. Narissa kann viel von ihr lernen."
Aerien zögerte einen langen Augenblick und wäre dabei beinahe aus dem Tanzschritt gekommen. Valion legte den Arm um ihre Taille und führte sie überraschend sanft in die richtige Position, gerade noch rechtzeitig ehe sie über ihre eigenen Füße stolpern konnte. "Du musst mir eines versprechen," verlangte sie, nachdem der Moment verstrichen war.
"Und das wäre?"
Aeriens Hand, die auf Valions Schulter lag, drückte bei den folgenden Worten etwas fester zu, so ernst meinte sie es. "Dass du Narissa mit deinem Leben beschützt. Versprich es mir, bei deiner Ehre."
Valion blickte sie mit einer Mischung aus Überraschung und Verstehen an, dann nickte er langsam. "So ist das also," murmelte er, ehe er wieder sein charakteristisches schiefes Lächeln im Gesicht hatte. "Ich verspreche es dir, Aerien. Wenn ich Narissa durch mein Leben oder meinen Tod schützen kann, dann werde ich es tun... und wenn sie sich noch so sehr dagegen wehrt, sich helfen zu lassen."
"Oh, ja, das wird sie wohl," pflichtete Aerien ihm bei und musste verlegen lächeln. Wie recht er hatte, ahnte er wohl gar nicht.

Sie bewegten sich tanzend zur Mitte des Raumes und eine Gesprächspause trat ein. Aerien bemerkte, dass Valion sie neben Hilgorn und dessen Frau, Faniel, manövriert hatte.
"Wundervoller Abend, nicht wahr?" fragte Valion gut gelaunt und erntete einen etwas irritierten Blick von Hilgorn, Faniel hingegen lächelte.
"Das ist er in der Tat," sagte sie freundlich."
Aerien sah wie Valion grinste und in seinen Augen blitzte der Schalk auf. Sie erstarrte, als er ihre Hände ohne Vorwarnung losliess, gerade als der Tanz eine komplizierte Drehung der Damen erfordert hätte. "Du entschuldigst, Hilgorn," hörte Aerien Valion frech sagen, dann ertönte ein überraschtes "Huch!" von Faniel, Aerien wurde zweimal um die eigene Achse gedreht und fand sich Auge in Auge mit Hilgorn wieder, die Hand auf seiner Schulter, und seine Hand an ihrer Taille.
"Ich borge mir deine Liebste nur für ein Weilchen aus!" lachte Valion, der Faniel im Arm hielt und mit ihr davontanzte, ehe Aerien oder Hilgorn etwas dagegen unternehmen konnten. Weitere Paare in der Nähe näherten sich und zwangen die beiden, um ihr Gesicht zu wahren, miteinander weiter zu tanzen.
"Dieser... Mistkerl," murmelte Aerien. "Tut mir Leid... ich wollte damit nicht andeuten..."
"Dass du nicht mit mir tanzen möchtest?" vollendete Hilgorn den Satz. "Schon gut; so habe ich es nicht aufgefasst." Er seufzte. "Das ist noch einer von Valions harmloseren Streichen. Ich schlage vor, wir machen das Beste draus." Mit diesen Worten trat er Aerien beherzt auf den linken Fuß.
Sie unterdrückte einen Schmerzenslaut. Anscheinend war Hilgorn kein ganz so virtuoser Tänzer wie Valion. "V-verzeih!" murmelte er hastig und führte sie etwas aus dem Zentrum der Tanzfläche heraus. "Ich ahne so langsam, dass ich mich bislang beim Tanz etwas zu sehr auf Faniel verlassen habe, die meine Fehltritte kommen sieht und sie korrigiert..."
"Es... es geht schon," sagte Aerien beschwichtigend. "Lass mich dir helfen, ich glaube ich habe mittlerweile verstanden, welche Schritte wann dran sind, und ganz so verschieden sind die gondorischen Tänze erstaunlicherweise auch gar nicht von denen in ..." Sie brach erschrocken ab und wäre beinahe aus dem Tritt gekommen.
"In...?" fragte Hilgorn verwundert, und musterte sie mit zusammgenzogenen Brauen.
"Ich... nun, was ich damit sagen wollte," beeilte sich Aerien zu sagen, "Ich glaube, du hast vorhin den linken Fuß mit dem rechten verwechselt und dich in die falsche Richtung bewegt, nämlich nach vorne, dabei wärest du mit einem Rückschritt dran gewesen."
"Sieh an," sagte Hilgorn ruhig. "Vielleicht sollte ich dir wirklich die Führung überlassen? Das wäre gar nicht verkehrt." Er überspielte damit den unangenehmen Moment ein wenig. "Aber trotzdem habe ich für meinen Teil habe für's Erste genug vom Tanz, mir ist nach einer Erfrischung. Begleitest du mich?"
Sie bahnten sich ihren Weg von der Tanzfläche herunter und in Richtung der Tische, an denen sie zuvor gesessen und gespeist hatten. Pagen waren noch immer damit beschäftigt, dort Getränke bereitzustellen, selbst nachdem der Großteil des Essens und Bestecks bereits abgeräumt worden war. Hilgorn und Aerien setzen sich nebeneinander und griffen beide gleichzeitig nach einer großen Glaskaraffe, die mit klarem Wasser gefüllt war. Ihre Hände berührten sich und beide mussten lachen. "Ich habe das Gefühl, wir ähneln uns ein wenig," sagte Aerien, nachdem sie ihm den Vortritt gelassen hatte und Hilgorn im Gegenzug ihnen beiden je ein Glas Wasser eingeschenkt hatte.
"Du spielst auf einen Sinn der Vernunft an," stellte Hilgorn fest. "Das mag sein. Deine Freundin, Narissa, sie... kommt mir wiederum ähnlich ungestüm wie der gute Valion vor."
Damit sprach er aus, was auch Aerien bereits aufgefallen war. Wie um die Aussage zu bestätigen tauchte nun Faniel vor ihnen auf, während im Hintergrund Valion zu sehen war, der mittlerweile mit Narissa tanzte. Ganz offensichtlich war deren Gespräch mit Ta-er as-Safar vorbei, auch wenn die Attentäterin nirgends zu sehen war. Aerien kicherte, als sie sah, dass Valion seine liebe Mühe mit Narissas Tanzkünsten - oder der Abwesenheit davon - hatte. Doch rasch wurde sie wieder ernst, als sich Faniel neben ihren Mann setzte und sagte: "Ich fürchte, wenn die beiden gemeinsam nach Harad gehen, dann... stacheln sie sich gegenseitig zu irgendwelchen halsbrecherischen Heldentaten an..."
Hilgorn zog die Brauen zusammen und starrte nachdenklich in Richtung der Tanzfläche, als würde er etwas ähnliches vermuten. Doch Faniel sagte leise: "Und ich bin mir sicher, Meister Edahil wird dafür sorgen, dass sie sich dabei nicht in zu große Gefahr begeben. Nicht wahr, Hilgorn?"
"Oh. Ja, natürlich wird er das," bestätigte Hilgorn und seine Miene entspannte sich wieder ein wenig.
Aerien folgte seinem Blick. Mittlerweile schien Narissa den Dreh etwas besser herausbekommen zu haben, und Aerien sah ihr an, wie gut es ihr tat, ausgelassen zu sein und alle düsteren Gedanken für ein paar kostbare Augenblicke lang zu vergessen. Vielleicht... passen sie ja doch besser zusammen als ich befürchte, gestattete sie sich zaghaft zu hoffen.


Aerien, Narissa, Valion, Lóminîth, Imrahil, Hilgorn und Thorongil zum Hafen
« Letzte Änderung: 18. Mär 2021, 12:56 von Fine »
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Auf andere Gedanken kommen
« Antwort #59 am: 23. Apr 2021, 10:04 »
Aerien aus der Bilbiothek des Túronn
Hilgorn, Faniel und Minûlîth aus der Stadt


Gandalf und Thandor hatten sich in einen abgeriegelten Winkel der Bibliothek zurückgezogen, um alle noch unentschlüsselten Hinweise in dem alten Buch sowie möglichen anderen Quellen aufzudecken, die sie über die Eid-Steine noch finden konnten. Der Zuaberer hatte Aerien gebeten, nachdem er sich seiner Sache sicher geworden war, den König - Aragorn - über den bisherigen Stand der Dinge zu informieren. So hatte sie sich auf den Weg zum Palast von Dol Amroth gemacht, und war dort angekommen, als die Sonne langsam zu sinken begonnen hatte.

Mittlerweile waren sowohl ihr Gesicht als auch ihr Name bei den Wachen gut bekannt. So wurde sie zwar ohne Widerstand jederzeit hinein gelassen, doch obwohl Aerien sich sicher war, dass nur ein ausgewählter Kreis an Personen über ihre wahre Herkunft informiert war, gab es doch den ein oder anderen schiefen oder fragenden Blick, der in ihre Richtung geworfen wurde. Sie seufzte innerlich, nach außen hin ließ sie sich nichts anmerken. Sie beschloss, es den Soldaten nicht nachzusehen. Sie hatten ihr ganzes Leben lang Mordor als ständig wachsende Bedrohung erlebt, die letzten Endes wie eine Welle über das östliche Gondor geschwappt war, und die Hälfte des Reiches noch immer fest im Griff hielt.

Aragorn zu finden stellte sich als nicht sonderlich schwer heraus. Nachdem Aerien den großen Saal des Fürsten leer vorgefunden hatte, machte sie sich auf den Weg zu Imrahils Solar und wurde sogleich fündig. Sowohl König als auch Fürst waren dort, und unterhielten sich über ein Thema, das Aerien durchaus interessierte: Umbar.
"Die Flotte sollte nicht sofort von Umbar aufbrechen," sagte der König gerade, als Aerien hereinkam. Aragorn hielt einen kleinen, noch halb zusammengerollten Brief in den Händen, der sie an eine der Botschaften erinnerte, die man Kuriervögeln an die Beine band. "Wir müssen wissen, wie es um die Stadt stehen wird, wenn dieser Kriegsherr der freien Haradrim seine Streitmacht abgezogen hat."
"Er hat Gondor die Treue geschworen," erklärte Imrahil. "Als Vasall der Krone in der Rolle des Fürsten von Harondor."
"Das mag stimmen, aber über die Lande jenseits des Harnen herrschte er als unabhängiger Monarch, nicht wahr?" hakte Aragorn nach. "Und Umbar scheint er nun ebenfalls als sein Eigentum zu betrachten. Doch dies ist ein Punkt, der noch besprochen werden muss. Umbar gehört mit Fug und Recht der Krone des Südreiches, und ich gedenke, diesen Anspruch durchzusetzen, sofern wir über den Schatten im Osten triumphieren. Ich dachte daran, den Herrn des Turms von Tol Thelyn zum Fürsten zu erheben, gleichgestellt mit den Fürstentümern Pelargir, Dol Amroth und Harondor, und ihm Umbar und die Umlande anzuvertrauen. Bis Umbar verloren ging, herrschten dort ebenfalls Fürsten in Gondors Namen, und die Turmherren haben sich als treue Verbündete erwiesen - eine Treue, die ich zu belohnen weiß."
"Es wird schwierig sein, Qúsay davon zu überzeugen, Umbar abzutreten, das er doch gerade erst unter großen Verlusten erobert hat," wandte Imrahil ein.
"Die Meinung des Herrn der Spione wird von unschätzbarem Wert sein," sagte Aragorn, nachdem er einen Augenblick über die Angelegenheit nachgedacht hatte. "Ich möchte, dass er nach Dol Amroth zurückkehrt. Nachdem ich so viel ihm gehört habe, wäre es mir eine Freude, ihn persönlich sprechen zu können."
Imrahil nickte. "Ich werde Edrahil einen Vogel senden und ihn darüber informieren." Der Fürst wandte sich Aerien zu. "Was gibt es?" fragte er freundlich, aber dennoch ernst.
"Ich komme gerade aus Eurer fürstlichen Bibliothek, Herr," sagte Aerien förmlich. "Ich bringe Neuigkeiten von Gand...von Mithrandir."

Sie erzählte Fürst und König von den Geheimnissen, die Gandalf und Thandor in Erfahrung gebracht hatten. Imrahil war das Erstaunen ein wenig anzusehen, Aragorn hingegen blieb ruhig.
"Dass der Stein von Erech ein solch mächtiges Relikt sein soll übersteigt alles, was ich erwartet hatte," gestand der Fürst ein. "Ich habe den Stein oft gesehen, doch wie die meisten hielt ich ihn nur für ein Überbleibsel von Westernis - geheimnisvoll, aber machtlos."
Aragorn sah Aerien an und sagte: "Als ich dort stand, und... die Eidbrecher dazu aufrief, mir nach Pelargir zu folgen, da spürte ich, dass hier nicht nur meine Willenskraft und mein Erbe als Isildurs Nachkomme am Werke waren. Nun kenne ich die Antwort dieses Rätsels. Allerdings ist dies nicht der erste Eid-Stein, den ich in meinem Leben gesehen habe. Der Landassar von Dorwinion... es muss der grüne Stein sein, der tief in den Fluten des Binnenmeere von Rhûn ruht. Auf meinen Reisen in den Osten und Süden, nachdem ich mein Werk in Gondor unter dem Namen Thorongil vollendet hatte, sah ich vielerlei ungewöhnliche und absonderliche Dinge... doch nichts beeindruckte mich mehr als die geheimnsvollen Kavernen tief unter den umtosten Wassern des Binnenmeeres."
Aerien und Imrahil tauschten einen Blick aus; beide waren sich nicht ganz sicher, was der König damit meinte. "Was fangen wir nun mit diesen Informationen über die Steine an?" fragte Imrahil schließlich.
"Wir tun, was Gandalf geraten hat," sagte Aragorn. "Der Feind darf niemals davon erfahren. Schon einmal zuvor hat er einen Eid-Stein gegen mein Volk gewendet, als er den Tauressar korrumpierte und den Fall Rhudaurs dadurch auslöste. Er muss in den Glauben bleiben, dass dieser Stein ein Unikat war, das nun verloren ist. An unserer Strategie ändert sich nichts, aber dennoch bin ich froh, dass Gandalf dieses alte Geheimnis nun ergründet hat." Er machte eine nachdenkliche Pause, dann sagte er: "Der Fürst von Harondor war bei meiner Krönung nicht zugegen und hat womöglich noch gar nicht davon erfahren. Sobald es die Kriegslage erlaubt, wünsche ich ihn zu sprechen. Er muss sich der Krone Gondors beugen und mir die Treue schwören... am Eid-Stein von Erech."
Aerien war sich nicht sicher, wie gut diese Entscheidung bei Qúsay ankommen würde, den sie zwar als gerecht und gut, aber auch als stolz und freiheitsliebend kennengelernt hatte. Dennoch legte sie keinen Widerspruch gegen Aragorns Worte ein - er war der König, und er hatte entschieden. Aerien war sich sicher, dass sich seine Wahl am Ende als richtig herausstellen würde.

Als Aerien sich gerade verabschieden wollte, stand mit einem Mal Minûlîth in der Tür, die dort wohl geduldig abgewartet hatte, bis König und Fürst Zeit für sie hätten. Bei ihr waren Faniel und Hilgorn, die nun nacheinander herein kamen und vor Aragorn das Haupt beugten, sich allerdings dann an Imrahil wandten. Hilgorn sprach von einem Brief, den er aus seiner Heimat erhalten habe und in dem seine Mutter ihn bat, sie baldmöglichst aufzusuchen. Anscheinend ging es um eine Art Erbstreitigkeit, die Faniels Sohn Belegorn um einen rechtmäßigen Teil seines ererbten Grundbesitzes bringen würde, wenn nichts unternommen werden würde.
"Ich erbitte die Erlaubnis, nach Tûm-en-Dín reisen zu dürfen, mein Fürst," schloss Hilgorn sein Anliegen ab.
"Erneut ruft dich die Heimat, wie es scheint," sagte Imrahil. "Als du zuletzt in jener Angelegenheit loszogst, gerieten Ereignisse ins Rollen, die letzten Endes zu deiner Heirat führten" Imrahil sah bei diesen Worten Faniel wohlwollend an, die etwas verlegen beiseite blickte. "Ich bin gespannt, was sich dieses Mal ergeben wird, Hilgorn. Meine Erlaubnis hast du." Nachdem er dies gesagt hatte, blickte Imrahil abwartend in Aragorns Richtung, der bislang ohne ein Wort zu sagen dem Anliegen gelauscht hatte.
"Ich vertraue dem Urteil des Truchsessen," sagte er knapp und Aerien kam es vor, als wäre Aragorn mittlerweile mit anderen Gedanken beschäftigt. Sie fragte sich, worum es dabei wohl gehen mochte. "Die Reise in Eure Heimat steht Euch frei."
Hilgorn und Faniel verbeugten sich dankbar, dann, wie auf ein unausgesprochenes Zeichen, blickten sie beide in Aeriens Richtung - Hilgorn mit sichtlich gemischten Gefühlen, Faniel mit einem warmen Lächeln. Als jedoch keiner von beiden etwas sagte, war es schließlich Minûlîth, die die Stille mit einem leisen Lachen unterbrach. "Also bleibt es nun doch an mir hängen, sie zu fragen, ob sie euch begleiten möchte?" sagte sie mit erhobenen Augenbrauen und schüttelte mit spielerischer Enttäuschung den Kopf, dann kam sie zu Aerien und legte ihr die Hände an die Schultern. "Ich dachte mir, es würde dir gut tun, ein wenig aus dem Trubel der Stadt herauszukommen und mehr vom ländlichen Gondor zu sehen. Würde dir das gefallen?" sagte sie, wie eine Mutter, die zu ihrem Kind spricht.
Aerien warf Hilgorn und Faniel einen zaghaften Blick zu, denn wirklich gut kannte sie die beiden zwar noch nicht, aber besonders Faniel war ihr ein wenig ans Herz gewachsen, und auch Hilgorn war keine üble Gesellschaft. Faniel sagte: "Wir würden uns über deine Begleitung und Unterstützung freuen."
Nun war es Aragorn, der das Wort ergriff. Er trat zu Mînulîth und lächelte, nun anscheinend frei von seinen ablenkenden Gedanken. Ein unausgesprochenes Verständnis schien zwischen den beiden stattzufinden, als sich ihre Blicke begegneten. "Ich stimme diesem Vorschlag voll und ganz zu," sagte er. "Aerien, du bist ebenfalls freigestellt, um Hilgorn bei seinem Anliegen zu unterstützen. Ich werde deine Hilfe hier in Dol Amroth erneut benötigen, aber für den Augenblick scheint es, dass sowohl Gandalf als auch ich für eine kurze Weile auf dich verzichten können. Diese Reise wird dir gut tun, das spüre ich."
Und mir helfen nicht ständig an Narissa zu denken, dachte Aerien und ein Blick in Mînulîths Gesicht zeigte ihr, dass die Herrin des Turms genau dies insbesondere beabsichtigt hatte. Aerien spürte, wie sie rot wurde. War sie wirklich ein so offenes Buch, was ihren Gefühlszustand anging? Eigentlich hatte sie gedacht, ihre Emotionen nach außen hin meisterlich unter Kontrolle zu haben. Aber sowohl Mînulîth als auch Aragorn schienen die Fähigkeit zu besitzen, hinter Aeriens sorgfältig errichteten Schleier zu blicken, wann immer sie es beabsichtigten.
"Dann ist es also beschlossen," sagte Hilgorn langsam. "Wir werden morgen bei Sonnenaufgang aufbrechen."

Die Nacht verbrachte Aerien in der Gesellschaft Minûlîths, Hilgorns und der beiden dazugehörigen Familien. Es war ein ruhiger, schöner Abend, an dem wenig Ernstes gesprochen und stattdessen Geschichten erzählt, Lieder gesungen und Spiele gespielt wurden. Und obwohl die Stimmung entspannt und froh war, kam Aerien dennoch nicht darüber hinweg, sich zu wünschen, dass Narissa all dies nicht verpassen würde. Tausend Sorgen um ihre Freundin belagerten ihr Herz. Viel konnte auf dieser gefahrvollen Reise nach Süden geschehen. Was wenn Narissa und Valion Schiffbruch erlitten, oder Umbar aus einem anderem Grund gar nicht erst erreichten? Und selbst wenn sie sicher dort ankamen, wie viele weitere Gefahren würden sich ihnen auf ihrem Weg durch den Krieg in Harad bis hin zu der unerreichbar scheinenden Gestalt Sûladans in den Weg stellen?
Aerien gab sich einen innerlichen Ruck und versuchte, sich auf ihre eigene, bevorstehende Mission zu konzentrieren. Als der junge Belegorn vorbeirannte, der von seiner Schwester und Mînulîths Sohn Túor als Teil irgend eines Spiels durch den Raum gejagt wurde, nickte Aerien und wisperte: "Wir werden nicht zulassen, dass dir irgendjemand dein Erbe stiehlt..."


Hilgorn, Aerien und Ladion nach Túm-en-Dín
« Letzte Änderung: 26. Apr 2021, 14:07 von Fine »
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