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Autor Thema: Forna Ascira  (Gelesen 11111 mal)

Curanthor

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Forna Ascira
« am: 2. Jul 2017, 17:47 »
Mathan aus dem Düsterwald

Nach einer mehr oder weniger ruhigen Reise durch die nördlichen Lande von Rhovanion traf Mathan in die vereisten Ebenen nördlich der bekannten Lande ein. Er war gut durchgekommen, hatte Saruman und Thal umgangen sowie alle bekannten Wege gemieden. Bei Thal ist er nach Osten abgebogen und aus einem Gefühl heraus gerade nach Norden gewandert. Sein Zeitgefühl hatte ihn stellenweise im Stich gelassen, doch er wusste, dass es nicht allzu lange gedauert hatte. Immerhin konnte er alleine ein deutlich höheres Wandertempo einschlagen, als in einer Gruppe. Die Reise war unspektakulär und er konnte auch nicht viel nachdenken, da er ständig unter höchster Anspannung stand.

Sobald es kälter wurde und der Nordwind ihm um die Ohren pfiff, stellte sich bei Mathan ein Gefühl ein. Er konnte nicht sagen was es war, doch es schien ihm den Weg zu weisen. Sobald der erste vereiste Schnee unter seinen Stiefeln knirschte, wusste er genau wo er hin gehen sollte. Er kam sich dabei ein wenig in der Zeit zurückversetzt vor, als er damals mit seinen Gefährten durch die Eiswüste wanderte. Dort war ihm auch klar geworden, dass er mehr erreichen konnte und seine Mutter noch lebte. In seinem Kopf stapelten sich die Fragen, doch schob er sie mit größter Mühe beiseite.


Der Wind blies ihm dutzende Schneeflocken in das Gesicht, seine Schritter versanken kaum in dem Schnee. Dennoch fühlte er sich unwohl und befürchtete trotzdem einzusinken. Sein Gefühl sagte ihm, dass mehr unter diesem Schnee war, als er wissen wollte. Mathan verharrte und drehte sich um. Trotz seinen Elbenaugen konnte er nichts mehr erkennen, das Schneetreiben war zu dicht. Zu gern hätte er Halarîn dabei. Ihre Wärme und Zuversichtlichtkeit wirkte beruhigend auf ihn. Ihm wurde bewusst, dass er aufgeregt war. Seine Hände waren leicht schwitzig, obwohl die Temperaturen das eigentlich nicht zulassen sollten. Er seufzte und blickte nun direkt nach Süden, wo er Kerry vermutete. Ihm war gar nicht wohl sie in der Höhle des Löwens zu lassen. Er hatte gesehen, dass Saruman seine Kräfte bündelte. Gerne wäre er dort geblieben um ihr beizustehen, doch Finelleth und Oronêl würden auch auf sie aufpassen. "Ni mel mime nosse", murmelte er leise und schickte seiner Familie all seine Kraft. Das Schneetreiben ließ etwas nach und so machte Mathan sich wieder auf den Weg. Er wusste zwar nicht genau wonach er suchte, doch war er sich sicher, dass ihn seine Mutter finden würde. Sein Atem ging leicht keuchend, denn er hatte fast keine Pausen eingelegt und war einige Nächte durchgewandert. Zu seinem Vorteil hatte er in der Vergangenheit so viele Wanderungen gemacht, dass er eine außerordentliche Kondition besaß. Doch hier im Norden schien das keinen Unterschied zu machen, denn er musste öfters stehen zu bleiben. Der Wind heulte immer wieder auf und pfiff ihm Schneeflocken in das Gesicht. Er wollte kein Risiko eingehen und blieb öfters stehen. Das war ihm lieber, als in eine Gletscherspalte zu stürzen, die er durch das Schneetreiben übersehen hatte.

Seine Vorsicht zahlte auch bald aus, denn vor ihm tat sich plötzlich ein riesige Furche von zwei im Schritt Durchmesser auf. Er war schon mehrere Stunden in der Schneewüste unterwegs und hatte nie aufgehört vorsichtig voranzugehen. Die Gletscherspalte zog sich wie eine Wunde quer durch das Land. Mathan blieb stehen und stampfte zur Sicherheit auf dem Boden auf, doch nichts stürtzte ein. Wie zur Antwort ließ das Schneetreiben erneut etwas nach und gab den Rest des riesigen Risses frei. Der Spalt verbreiterte sich auf wenigen Metern zu einer Schlucht, durch die ein Fuhrwerk passte. Das Heulen des Windes ließ etwas nach und es wurde merkwürdig still. Ihm kam es fast so vor, als ob das Land den Atem anhielt. Mathan schüttelte unmerklich den Kopf und schalte sich einen Narren. Kurz musste er den Impuls unterdrücken laut nach seiner Mutter zu rufen. Sein Gefühl, das ihn von Anfang an hierher geleitet hatte, war fast verschwunden. Bedeutete das, dass ich angekommen bin, fragte er sich im Gedanken und blickte in die Schlucht. Vor seinen Füßen reichte der Abgrund nur zwei Schritt hinab, doch weiter hinten waren es bereits mehr als zehn. Ein plötzliche Wispern ließ ihn zusammenfahren. Es waren dutzende Tage vergangen, seitdem er andere Stimmen gehört hatte, als seine eigene. Seine Hand fuhr an einen Schwertgriff. Aufmerksam blickte er sich um, dazu bereit sofort zuzuschlagen. Erneut ertönte das Wispern und kalter Wind schlug ihm in sein Gesicht. Erleichtert atmete er aus, als er bemerkte, dass der Luftzug aus der Schlucht kam. Langsam löste er die Hand von seinem Schwert und tastete nach seinem Seil, das er seit einer ganzen Zeit mitführte. Sorgsam seilte Mathan sich ab und betrat den Grund der Schlucht, der steil zu seinen Füßen abfiel. Der vorherige Luftzug war hier stärker und ließ ihn etwas frösteln, auch wenn die Kälte ihm kaum etwas ausmachte. Es war eine andere Kälte, dunkler und bedrohlicher. Trotzdem setzte Mathan vorsichtig einen Fuß vor dem anderen und hielt stets eine Hand an einem Schwertgriff. Während er langsam voranschritt blickte er sich immer um, doch die hohen Eiswände waren von einer dünnen Schneeschicht bedeckt. Die Wände wuchsen immer höher, je weiter er ging. Auch die Schlucht weitete sich immer mehr, während die oberen Kanten der Schlucht immer weiter hinein neigten. Er war mit Sicherheit schon fünfzig Schritt weiter unterhalb der Stelle, an der er in die Schlucht gestiegen ist. Ein heftiger Windstoß fuhr ihm durch die Haare, ein Wispern ertönte. Kurz hatte er das Gefühl, dass es an seinem Ohr vorbeistreifte. Sofort drehte er sich um und zog dabei ein Klinge. Stahl schlug auf Stahl. Funken stoben und Mathan sog scharf die Luft ein. Vor ihm stand eine der Gestalten, die er in der Eiswüste gesehen hatte. Eine hellblaue Klinge wuchs aus einem der Ärmel hervor und hatte seine Klinge gestoppt. Der Elb spannte die Muskeln und blitzschnell seine zweite Klinge. Doch der Eiswächter machte einen Satz zurück und hob die Hand. Zumindest dachte Mathan es, denn der Ärmel hob sich, ohne dass man eine Gliedmaße erkennen konnte. Sogleich kam ein heftiger Wind auf und wirbelte die Schneeflocken auf. Er fluchte leise und führte beide Klingen aneinander. Sofort vereinte sich das Silmacil. Er hob das Schwert, bereit zum Stich und packte es mit beiden Händen. Ein Schub ging durch seinen Körper, als er den Griff mit der zweiten Hand berührte. Die Klinge seiner Waffe leuchtete schwach auf. Sein Blick klärte sich trotz des Schneetreibens. Er konnte den Eiswächter erkennen, der einen Schild aus Eis an einem seiner langen Ärmel trug, während die hellblaue Klinge aus dem anderen Ärmel ragte. Mathan vernahm eine Stimme, leise und ohne Emotion. Sie wiederholte etwas immer und immer wieder. Dabei klang es immer bedrohlicher.
"Scanara", wiederholte Mathan leise und machte einen Schritt auf den Eiswächter zu.
"Silmacil, escani dairica", antwortete der Wächter und ließ seine Waffen sinken. Der Schild aus Eis zersprang und der leere Ärmel hob sich. Unter der Robe konnte Mathan Panzerstiefel aus eisblauen Stahl erkennen, als der Wächter auf ihn zuschwebte. Der Eiswächter stoppte einige Schritt vor ihm und die verhüllte Gestalt legte den Kopf schief. Das Schwert war verschwunden.
"Beschützen", sagte der Wächter mit kalter Stimme erneut auf Quenya und deutete mit den leeren Ärmel auf Mathans Waffe, "Träger des Silmacil, Sohn der Herrin."
Mathan ließ langsam sein Schwert sinken und nickte langsam. Der Wächter schweig beharrlich und schwebte nun langsam an ihm vorbei.
"Folgt mir", hauchte die Gesalt dabei und glitt weiter in die Schlucht hinab.
Der Elb zögerte, folgte dem Eiswächter aber dann, ohne sein Schwert loszulassen.

Sie folgten dem Verlauf der Schlucht, die sich immer mehr weitete, sodass man schon Häuser darin bauen könnte. Mathan bemerkte, dass der Wächter nie einen Fuß auf das unebene Eis setzte, sondern stets schwebte. Auf Dauer löste das in ihm eine gewisse Unruhe aus, denn den Anblick war man in Mittelerde nicht gewöhnt. Der Wächter schwieg und Mathan war nicht auf ein Gespräch aus. Nach knapp einer Stunde Weg spannte sich über seinem Kopf bereits eine dicke Decke aus Eis. Nur wenig Tageslicht drang nach unten. Mathan schätze, dass sie etwa zweihundert Schritt unter der Oberfläche waren und der Weg ging immer weiter abfallend in einem leichten Bogen nach Nord-Osten.

Nach einer weitere Stunde erreichten sie eine Art unterirdische Halle, die von gigantischen Eissäulen gestützt wurden. Plötzlich fühlte er sich ganz klein und unbedeutend. Wie riesige Pilze ragte die Säulen empor und hielten die Decke, die über vierhundert Schritt über seinem Kopf lag oben. Die Halle hatte wahrlich gigantische Ausmaße, doch sein Gefühl sagte ihm, dass das noch nicht alles war. Nach fünfhundert Schritt an unzähligen Säulen vorbei, bogen sie um eine Ecke und standen plötzlich vor einem ebenfalls gigantischen Tor aus Eis. Der Eiswächter deutete auf einen faustgroßen Saphir, der in der Mitte des Tores eingelassen war. Mathan blickte sich unsicher um. Er hatte das Gefühl, dass dutzende Augen auf ihn gerichtet waren. Vorsichtig streckte er die Hand aus und strich über das Eis. Es war kühl, doch nicht schneidend kalt. Schließlich berührte er mit der Hand den Saphir. Erwartungsvoll blickte er nach oben, doch es geschah nichts. Ein rascher Seitenblick ging zum Eiswächter, doch die verhühllte Gestalt blieb regungslos. Es knirschte laut. Mathan fuhr erschrocken zusammen als die Stille unterbrochen wurde und machte einige Schritte zurück. Das Geräusch von berstenden Eis ertönte. Kurz fragte er sich, ob er etwas falsches getan hatte, doch seine Sorgen verschwanden sogleich. Um den Saphir leuchteten Linien auf, die sich über die ganze Tor zogen. Es knrischte erneut durchdringend und feine, akkurate Bruchlienen zogen sich durch das Tor und die Flügel wurden erkennebar. Er schätzte jeden Torflügel auf fünfzig Schritt Höhe und dreißig Schritt Breite. Die leuchtenen Linien zogen sich über das gesamte Tor und ergaben ein Muster, wie Mathan erstaunt feststellte.
"Eine Sternrune", murmelte er leise und beobachtete aufmerksam die verschlungenen Schriftzeichen, die sich an den Zacken des Stern befanden. Doch zu seiner Enttäuschung konnte er sie nicht lesen, da sie in einer unbekannten Sprache geschrieben waren.
Plötzlich schwang das Tor lautlos nach Innen auf. Ein Schwall kalter Luft schlug ihm entgegen. Vor ihm lag gähnende Dunkelheit.
"Willkommen...", sprach der Eiswächter und machte eine ruckartige Bewegung. Die leeren Ärmel schlugen dabei nach oben und wie außen, wurden einzelne Eissäulen sichtbar. Jedoch waren diese im Inneren der Halle kunstvoll verziert und spendeten ein diffuses Licht. Jede Säule maß fünfzehn Schritt und war über und über mit merkwürdigen Runen und Schriftzeichen bedeckt. "...in Forna Ascira"
« Letzte Änderung: 5. Jul 2018, 18:35 von Fine »

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Der Untergrund von Forna Ascira
« Antwort #1 am: 11. Sep 2017, 02:22 »
Eine gigantische Halle öffnete sich ihm, Mathan stand am Rande einer riesigen Treppe, die in eine großen Bogen nach innen machte. Die Luft war kühl aber erstaunlich mild, der vorherige starke Windzug war vergessen. In regelmäßigen Abständen reihten sich die Eissäulen aneinander. Sie trugen eine kunstvoll geformte Kuppeldecke, an der hin und wieder dicke Eiszapfen nach unten wuchsen, doch auch sie waren mit kunstvollen Spiralen verziert und fügten sich nahtlos in die eindrucksvolle Deckenkonstruktion ein. Der Eiswächter schwebte an ihm vorbei und Mathan stieg die Stufen der Treppe herab. Bei dreißig Schritt hörte er schon auf zu zählen. Am Fuße der Treppe angekommen blickte er sich suchend um, doch der Eiswächter war verschwunden. Vor ihm lag die große Halle, in deren Mitte sich ein großer See befand. Das Wasser war nicht gefroren und glitzerte blau im sonderbaren Licht der Säulen. Scheinbar befand er sich in der Eingangshalle, denn als Mathan sich umblickte, erkannte er nach rechts und links abgehende große Gänge. Hier unten war alles auf Eis, selbst die Torbögen, die die Eingänge zu den Tunneln zierten waren aus dem Eis geschnitzt. Staunend betrachtete er eine lange Zeit die unglaublich detaillierten Arbeiten. Ein kalter Hauch in seinem Rücken ließ ihm kurz frösteln. Als Mathan über die Schulter blickte sah er, wie sich das große Tor bereits langsam schloss. Knirschend zog eine Schicht über den See und lenkte seine Aufmerksamkeit somit auf das Geschehen. Stirnrunzelnd trat er an das Wasser, dass innerhalb kurzer Augenblicke eingefroren war. In der Mitte des Sees formte sich ein Eiszapfen und wuchs immer weiter in die Höhe. Seine Elbenaugen erkannten in dem immer breiter werdenden Eiskristall eine vertraute Gestalt. Sogleich zersprang das Eis und gab den Blick auf seine Mutter frei. Sie trug noch immer die gleiche Kleidung wie bei ihren Treffen auf dem Hohen Pass, einzig von ihrer Waffe fehlte jede Spur. Als sie ihn bemerkte, hoben sich ihre Mundwinkel zu einem knappen, aber herzlichen Lächeln.
"Mein Eiswächter berichtete mir bereits, dass du hier angekommen bist. Es ist schön dich zu sehen, mein Sohn", begrüßte sie ihn mit sanfter Stimme und schritt mit bloßen Füßen über den gefrorenen See zu ihm an das Ufer. "Willkommen in meinem Heim."
Mathan blickte seine Mutter eine ganze Weile lang an und musste mehrfach schlucken. Er hatte sich nicht ausmalen wollen, wie es wäre ihr wieder gegenüber zu stehen. In seinem Gedanken hatte er sich oft ihren Tod ausgemalt, dass ihr Körper bereits irgendwo zu Ruhe gebettet war und ihre Seele in Valinor auf ihn wartete, zusammen mit seinem Vater. Als sie nahe genug heran gekommen war, breitete seine Arme aus und ging ihr einen Schritt entgegen. Er konnte nicht anders. Ihm blieben keine Worte seine Gefühle auszudrücken. Sie erwiderte die Geste und fielen sich in die Arme. Erst als er ihre kühle Haut an der Seinen spürte, erlaubte er sich erleichtert aufzuseufzen.
"Mutter", sagte er befreiend und strich ihr über den Rücken.
Es fühlte sich so an, als ob er einen lebendigen Schneesturm in den Armen hielt, denn die durchdringende Kälte ließ seinen Atem vor dem Mund gefrieren. Er spürte, wie sie leicht zitterte und ihm schließlich ebenfalls seufzte. Noch nie hatte er so einen Laut voller Erleichterung und Glück von seiner Mutter gehört
"Mein Sohn", wiederholte Ringelendis und klang dabei stolz.
Als sie sich voneinander lösten, blickten sie sich leicht verlegen in die Augen. Sie waren nie besonders emotionsvoll gegenüber den anderen gewesen, aber die simple Geste hatte gereicht um alle Gefühle rüberzubringen. 
"Es ist wahrlich schön dich zu sehen", begann Mathan und wischte sich einzelne Tränen fort, die sich in seinen Augenwinkel gesammelt hatten, "Ich habe so lange..." Er stockte und räusperte sich, "So lange nach dir gesucht. Ich habe gespürt, dass du noch irgendwo da draußen warst. Warum hast du dich nie gezeigt?"
Ringelendis Miene wurde eine Spur kälter, auch wenn sie noch immer lächelte, Trauer mischte sich unter den Ausdruck im ihren Gesicht.
"Ich durfte nicht", erklärte sie betrübt und blickte scheinbar in die Ferne, "Es war einmalig. Ich hab schon einmal meine Aufgabe vernachlässigt, in einer feurigen Nacht. Die Folgen waren schwerwiegend. Es hat mir gezeigt, dass ich nicht meinem Schicksal entkommen kann, so gern ich es wollte. So gern ich zu dir, deinen Schwestern und deinem Vater zurückkehren wollte, es blieb mir verwehrt. "
Mathan spürte, dass seine Mutter echte Trauer verspürte und legte ihr eine Hand auf den Schulterpanzer ihrer Rüstung.
"Dann erkläre mit ein paar Dinge, denn ich verstehe es noch immer nicht. Warum bist du fortgegangen und woher wusstest du, wo ich war?", platzte es Mathan heraus, als er seine Hand wieder zurückgezogen hatte.
Seine Mutter warf ihm einen nachdenklichen Blick zu und nickte dann. Ihre offenen, hellblauen Haare fielen ihr ins Gesicht, als sie sich umdrehte und zu den Gang zur Rechten des Tores zusteuerte. Neugierig folgte er ihr und blickte sie dabei immer wieder an.
Als sie in den Gang einbogen, der sich als eine Treppe nach unten entpuppte, begann sie zu erzählen: "Ich musste gehen, weil es mein Schicksal ist. Meine Macht ist an den Norden gebunden, ich habe Verpflichtungen hier. Mehr kann ich dir dazu nicht sagen, aber wir sind auf dem Weg zu einem Ort, der dir es zeigen wird. Worte können es nicht beschreiben."
Langsam stiegen sie die lange Eistreppe in die Tiefe hinab. Hin und wieder erblickte Saphire, die in dem Eis steckten und Licht spendeten, doch seine Mutter schien all das gewöhnt zu sein. Offenbar war es ihr Heim, doch er war sich nicht sicher. Zögerlich stellte er seine Vermutung als Frage. Das erste Mal seit unzähligen Jahren hörte er seine Mutter lachen. Es war herzlich und in der hohe Tonlage, die er so vermisst hatte.
"Mein Heim, Mathan, das ist stets dort, wo meine Familie ist. Ich bin immer bei euch. Dies hier ist nur ein Ort, an dem ich Wache halte und mich aufhalten muss." Ein Schatten huschte über ihr Gesicht. "Warum die Wache nötig ist, wirst du später erfahren. Deswegen musstest du die Schwerter finden, bevor du hierher kamst."
Verwirrt fragte er, was das mit den Schwertern zu tun hat, was Ringelendis flüchtig grinsen ließ.
"Du hast doch mit Sicherheit ihre Kraft gespürt." Er nickte, was sie zum weitersprechen veranlasste: "Sie können ihre volle Macht nur im Norden entfalten. Es reagiert auf dein Erbe. Je näher du dem Norden kommst, umso stärker wird es. Mein Einfluss ist hier am stärksten, also kannst du die Macht des Silmacil auch nur hier erlernen. Ob es in den übrigen Landen Mittelerde später ebenfalls funktioniert weiß ich nicht, ich denke aber weniger oder gar nicht."
"Und warum das Ganze? Wieso so mächtige Waffen erschaffen?", fragte er mit unverholender Neugierde.
"Das wirst du bald erfahren. Ich habe aber deine andere Frage noch nicht beantwortet." Sie warf ihm schmunzelnd einen Seitenblick zu, "Woher ich wusste, wo du warst? Überleg mal über die vergangenen Wochen."
Er nickte und grübelte angestrengt nach, während sie noch immer die Stufen hinabstiegen. Sie waren mit Sicherheit mehrere hundert Schritt schon unterhalb der Eingangshalle. Niemals hätte er gedacht, dass es so tief runtergehen könnte. Es fühlte sich fast so an wie in einem Zwergenbau. Zwerge liebten es nach Metall zu schürfen. Metalle verarbeiteten sie zu Waffen, Rüstungen und Schmuck. Schmuck! Plötzlich fiel es ihm ein.
"Das Medaillion", rief er und fasste sich an die Stirn, "Warum habe ich nicht eher daran gedacht."
"Das Eis im Inneren ist ein Teil meiner Macht. Es ist ein winziger Teil und hat keine große Wirkung, aber ich kann es aufspüren, wo immer es sich in Arda befindet. Dein Vater besitzt auch so eins. Deine Schwestern leider noch nicht, aber sie werden bald eines erhalten, der Schöpfungsprozess dauert sehr lange", eklärte seine Mutter und blieb auf der Treppe stehen. Verwundert stoppte er ebenfalls und blickte sie an. Ihre Zeichen im Gesicht lenkten ihn etwas ab, doch dann sah er Interesse in ihren strahlend blauen Augen aufblitzen. "Wo wir gerade bei Familie sind. Was genau hat es mit dem blonden Mädchen auf sich?"
Mathan blinzelte ein paar Momente, überrascht von dem Themenwechsel und versuchte mühsam seine Gedanken zu richten. Seine Mutter bemerkte, dass er gerade nicht so schnell wechseln konnte, hob die Hand und erklärte, dass sie dafür später noch genug Zeit hätten.
"Das Schwert... du hattest es in einer Höhle versteckt?" Es war mehr eine Frage, als eine Feststellung. Auf ihr Nicken hin, fragte er weiter: "Und was hat es mit dem Saphir auf sich? Überall sehe ich ihn."
"Eine gute Frage. Wie du merkst, ist die Kälte und das Eis mein Element, doch eigentlich ist es nur gefrorenes Wasser. Ich kann dir sagen, wer sich gerade durch die Eiswüste kämpft, wer in der Forodhwaith um sein Leben kämpft und wer schlitternd versucht einen gefrorenen Fluss zu überqueren. Das Eis ist ein Teil von mir und dadurch stehe ich auch indirekt zu dem Wasser im Kontakt. Die Saphire, die ich benutze bergen einen Anteil an Wasser in sich, natürlich von mir nachgeholfen."
Ihre Erklärung war weit gefasst und er konnte sich nur schwer vorstellen, dass sie zu sowas imstande war, auch wenn ihr Auftauchen am Hohen Pass äußerst spektakulär war.
Scheinbar bemerkte sie seine zusammengezogene Augenbrauen, denn seine Mutter schnalzte mit der Zunge. "Zieh dein Schwert, du wirst es brauchen."
Ohne weitere Worte setzte sie sich wieder in Bewegung. Mathan blickte die Treppe herab und bemerkte, dass es durch Fels- und Gesteinsschichten ging. Es wurde auch wärmer, was gar nicht zu dem sonstigen Ort passte. Ein leicht modriger Geruch schlug ihm entgegen. Ohne weitere Fragen zu stellen zog er sein Schwert. Das Silmacil begann sofort in einem hellem Weiß zu leuchten, jedoch ohne, dass es ihn blendete. Jetzt ergab der Name für ihn auch Sinn. Er grinste, denn es war so typisch für seine Eltern es so offensichtlich zu machen. Hastig folgte er seiner Mutter den Treppen hinab.

Ringelendis war inzwischen äußerst flink am Ende des Treppe angelangt. Nach einigen Momenten hatte er zu ihr aufgeholt. Vor ihm öffnete sich ein schummriger Raum, der wie eine Versammlungshalle wirkte. Vereinzelt standen steinernde Stühle herum, die meisten waren jedoch zerschlagen. Ein einziger Tunnel, aus dem eine gähnende Leere herauswaberte, war der übrige Zugang. Das Eis war nur an den Wänden, die zu der Seite der Treppe lagen, auf der anderen Seite war nur nackter Stein. Schwarze und teils verrottete Metallverkleidungen zierten die Wände des Versammlungsraumes. Herausstechend waren die Gravuren auf dem Metall. Darauf fand sich immer eine große, kaum kenntliche Gestalt mit einer Krone aus drei Zacken. Oft war sie unkenntlich geworden durch gezielte Zerstörung. Ein unheilvolles Kribbeln arbeitete sich von seinen Händen bis hinauf zu den Armen und seinem Rücken. Der Riese in einer albtraumhaften Rüstung war stets in siegreichen und gebieterischen Posen gearbeitet.
"Schenke diesem Gekritzel nicht zu viel Aufmerksamkeit", ermahnte ihn seine Mutter und legte ihm eine Hand auf die Schulter, "Sie kommen."
Wie von Geisterhand erschienen links und rechts von ihnen Eiswächter. Ein Blick zu Ringelendis ließ ihn kurz zögern. Ihre Augen leuchteten golden, während ihre Miene zu einem furchteinflößenden, machtvollem Ausdruck erstarrt war. Ihm fiel auf, dass sie nicht atmete, die Eiswächter aber alle ihre Bewegungen nachhahmten. Er jetzt fiel es ihm wie Schuppen von den Augen: Sie kontrollierte sie.
Ehe er sich darüber Gedanken machen konnte, spuckte die Schwärze des Tunnels eine kaum zu beschreibende Kreatur aus. Es war wie ein zu groß geratener Uruk, dessen Körperteile stellenweise durch Metall ersetzt wurden. Seine Haut hing in Fetzen von seinem Körper, schwärenden Wunden bedeckten den Teil, der noch intakt war. Das Wesen hatte schwere Eisenstäbe in dem Fleisch dar Arme, schwang jedoch einen schweren Streibkolben aus schwarzen Stahl. Es konnte nicht schreiben oder Geräusche von sich geben, man hatte es den Unterkiefer komplett zertrümmert. Hass- und ekelerfüllt starrte Mathan das Viech an und senkte sein Schwert. Scheinbar blendet das Weiß, denn der Metalluruk zuckte zurück. Nach ein paar Versuchen sprang das Wesen jedoch vor und schlug nach ihm. Keiner der Eiswächter rührte sich, seine Mutter hingegen hob eine Hand und spreizte vier Finger ab. Sogleich stürmten vier weitere Uruks aus dem Tunnel, die ähnliche Verunstaltungen trugen. Einem wurden sogar die Beine durch metallenen Klingen ersetzt.
"Wenn du sie schlagen willst, musst du dein Erbe beherrschen" Die Stimme seiner Mutter drang zu seinem Ohr, über das Lärmen der Uruks hinweg, die glucksende und kaum deutliche Geräusche zustande brachten. Ihre metallischen Gerätschaften am Körper waren jedoch das, was so einen Lärm verursachte.
Ehe er weiter beobachten konnte, sprang erneut einer der Uruks vor. Es war der, der als erstes erschienen war. Mathan machte einen Schritt zurück und wich dem Hammerkopf aus. Sein Konter bestand in einem Stich auf die ungedeckte Flanke, doch der Uruk fing seine Klinge mit einer Hand ab, indem her den Hammer einhändig führte. Das Wesen hatte erstaunliche Reflexe, trotzdem es durch das Licht des Silmacil schon etwas geblendet wurde.
"Konzentriere dich auf das, was dir am Wichtigsten ist. Das stärkste Gefühl in deinem Geist", ermahnte ihn seine Mutter mit strenger Stimme.
Mathan wusste nicht, wie ihm das helfen sollte und machte einen Satz zur Seite um einen dreifachen Angriff zu entgehen. Mittlerweile waren alle fünf Gegner zum Angriff übergegangen. Die anderen zwei sprangen ebenfalls herbei und schwangen ihre Schwerter. Einer band klirrend Mathans Klinge. Er fluchte und schlug das feindliche Schwert zur Seite, mit dem Fuß wehrte er den zweiten Angriff ab, der seinem Bauch gegolten hatte. Zornig trennte er das Silmacil und reckte das linke Schwert nach vorn, das Rechte wechselte er den Griff, sodass es nach hinten zeigte. Sofort musste er einen Hammerschlag ablenken, der in einen der steinernen Stühle ging. Krachend zerbrach er. Der Elb duckte such unter einem Hieb und stach nach dem gegnerischen Kinn und traf. Der Uruk mit den Metallbeinen stürzte Blut spuckend nach hinten. Mathan wirbelte herum und blockte mit gekreuzten Klingen einen Hammerschlag. Kurzentschlossen lenkte er den Schlag mit dem linken Schwert ab und stach mit der umgekehrten, rechten Klinge in den Kopf seines Gegners. Der Uruks, der als erstes aufgetaucht war fiel wie ein Blitz getroffen zu Boden. Ein kalter Hauch an seinem Rücken ließ ihn herumwirbeln. Mathan starrte einen Uruk an, der sein Schwert zu einem Stich erhoben hatte. Es zeigte auf seinem Rücken, aber der Gegner war in der Bewegung eingefroren. Ringelendis zog den Elb von dem Uruk weg, in der Zwischenzeit gingen die Eiswächter zum Angriff über und schleuderten Speere aus Eis auf die restlichen Uruks, die von dem Eingreifen Mathans Mutter überrascht zurückgewichen waren. Die verbliebenden Feinde wurden dutzendfach von dem Eishagel durchbohrt und fielen tot zu Boden. Mit gezogenen, eisblauen Schwertern stürmten die acht Eiswächter in den schwarzen Gang. Geklirr und Kampfgeräusche hallten wieder. Mehr und mehr Eiswächter strömten in den Gang. Als Mathan sich umdrehte bemerkte er, dass die Wesen aus dem Eis selbst kamen und nicht von der Treppe. Seine Mutter führte ihn an die Stufen, ihre goldenen Auge waren verloschen. Mit knappen Worten gab sie den Eiswächtern Befehle, bis sie sich zu ihm umdrehte.
"Was hat dir der Kampf gezeigt?", fragte sie ernst und beugte sich leicht nach vorn.
"Dass ich selbst mit meiner Erfahrung nicht gegen diese Feinde bestehen kann. War das Sinn dieses... Tests?", stellte er die Gegenfrage und verstaute die Silmacil.
Seine Mutter schüttelte den Kopf. "Es war kein Test. Es sollte dir helfen, dein Erbe zu erkennen, aber ich denke nach der langen Reise brauchst du zuerst eine Ruhepause."
Mathan nickte und folgte seiner Mutter, die begann die Treppen hinaufzusteigen. Noch immer schälten sich dutzende Eiswächter aus dem Eis rund um den Tunnel nach oben, doch er folgte Ringelendis.
Als er zu ihr aufgeschlossen hatte, fragte er nachdenklich:" Was ist das für ein Ort? Und warum sind diese Uruks so anders?"
Seine Mutter warf ihm einen langen Blick über die Schulter zu und seufzte. "Das ist eine lange Geschichte. Ich glaube es ist besser, sie zu einem anderen Zeitpunkt zu erzählen. Zuerst solltest du dich ausruhen, mein Sohn."
Er grinste und stimmte ihr zu. Immer wenn sie ihn so ansprach, war sie unerbittliche und würde darauf bestehen, egal wie freundlich ihre Worte klangen. Schweigsam stiegen sie die Stufen hinauf. Mathan war gespannt, ob er nach dem heutigen Tag überhaupt zur Ruhe kommen konnte und wo man hier überhaupt ruhen konnte.

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Mutter und Sohn
« Antwort #2 am: 13. Okt 2017, 15:00 »
Zu seiner Überraschung hatte Mathan sogar gut geschlafen. Er lag in einem weichen Bett, dass in einem höher gelegenen Teil des Ortes lag, an dem seine Mutter seit langer Zeit lebte. Sein Atem ging regelmäßig und der Blick hing an der Decke. Er lag in einem Zimmer, dass mit Holz ausgekleidet war und sogar über einen kleinen Ofen verfügte. Die Feuerstelle verbreitete eine angenehme Wärme und spendete ein schummriges Licht. Sobald er sich hinlegte, war er auch schon eingeschlafen. Seine Mutter war ohne weitere Worte verschwunden und er hatte ohne Problem durchschlafen können.

Mathan wusste nicht, wie lange er dagelegen hatte. Als er erwachte, war das Feuer in dem kleinen Ofen schon heruntergebrannt und die Hitze der Glut ließ den gefrorenen Boden schlüpfrig werden. Scheinbar hatte er erneut geschlafen, was für ihn ziemlich selten war. Entspannt streckte er sich und richtete sich auf. Mathan schlug die Decke zurück und verharrte in der Bewegung. Seine Mutter stand in dem Eingang zu dem Zimmer an eine Wand gelehnt. Sie hatte ihr Haar hochgesteckt und trug ein schlichtes, hellblaues Kleid mit hohen Kragen und weit ausgestellten Ärmeln. Ringelendis lächelte ihm zu und trat in das Zimmer.
"Das hast du früher gern getragen", sagte Mathan leise und zog die Beine an, sodass er auf dem Bett hockte.
Seine Mutter zog einen dreibeinigen Hocker an das Bett und setzte sich darauf.
"Es erinnerte mich an meine Heimat. Jetzt erinnert es mich an meine Familie."
Sie schwiegen einen langen Moment und blickten im Zimmer umher.
"Wie heißt sie?", fragte seine Mutter schließlich und sah ihm in die Augen.
Mathan grinste und antwortete stolz: "Ihr Name ist Ténawen."
Ringelendis nickte langsam und lehnte sich etwas zurück. Verunsichtert von der zurückhaltenden Reaktion seiner Mutter wartete er ab und spielte mit den kostbaren Ring am Finger. Zwar sorgte er sich nicht, ob sie Kerry nicht akzeptierte, aber ihm war es lieber. Er wollte nicht, dass unnötige Abneigung oder gar Feindschaft herrschte. Vor allem nicht nachdem er gesehen und gehört hatte, zu was seine Mutter fähig war.
Zum Glück brach sie nach einer Weile der Stille das Schweigen: "Sie ist jung und unerfahren." Ihre Stimme war dabei wie gewohnt kalt.
"Das sind Menschen nunmal", entgegnete er ebenso kühl und schüttelte den Kopf, "Aber es bringt nichts so herablassen ihnen gegenüber zu sein."
"Und was hat dich zu diesen Schritt veranlasst?"
"Soll ich mich dafür rechtfertigen, einer jungen Frau eine Heimat und Hoffnung gegeben zu haben?"
Auf seine Antwort hin holte Ringelendis Luft, atmete aber dann einfach nur tief aus. Sie wusste, dass er Recht hatte.
"Das war unbedacht von mir", gab sie nach einer Weile zu und mied seinen Blick. "Ich habe eine lange Zeit keine vernünftige Unterhaltung mehr geführt. Da entwickelt man krude Ansichten."
Mathan nickte und schmunzelte flüchtig. Sie sprach fast wie die Mutter, die er von damals in Erinnerung hatte. Aber auch nur fast.
"Wenn du Kerry besser kennst, dann wirst du sie auch mögen."
"Sie scheint ganz nett zu sein", gab Ringelendis zu und verfiel wieder in Schweigen.
"Ich dachte, du kommst hier nicht weg. Woher weiß du das?"
Nun war es an seiner Mutter flüchtig zu schmunzeln. Sie beugte sich vor und strich ihm über die Wange.
"So wie ich deine Schritte verfolgen konnte, kann ich nun auch ihre Schritte sehen."
Mathan setzte sich in den Schneidersitz und hob fragend eine Braue.
"Eine Berührung reichte mir aus. Außerdem nähert sie sich dem Norden. Die Kälte ist mein Verbündeter."
Er nickte verstehend und lehnte sich an die vertäfelte Wand. "Und was hälst du von ihr?"
"Sie ist mutig", antwortete sie prompt und schloss kurz die Augen, "Vielleicht ein wenig leichtsinnig." Ringelendis grinste für einen winzigen Augenblick. "Darin seid ihr beide euch wirklich ähnlich. Je länger ich sie sehe, umso mehr fällt es mir auf."
"Vielleicht verstehst du jetzt, warum wir sie in unserer Familie aufgenommen haben."
"Nun, nachvollziehen kann ich es nicht..." Sie verstummte und runzelte die Stirn. Schließlich seufzte seine Mutter.
"Was ist los?"
"Ich kann leider nicht vieles sehen, aber was ich sehe, gefällt mir meistens nicht. Die Berge wimmeln von Orks und meine Wacht hält die schlimmste Brut zurück."
"Deshalb kannst du diesen Ort nicht verlassen, weil es eine Wacht gegen das Böse ist?"
Mathan hatte sowas schon geahnt, doch noch ergab es für ihn keinen Sinn. Zusätzlich waren die schnellen Themenwechsel für ihn schwer nachvollziehbar. Seine Mutter bemerkte es und hob entschuldigend eine Hand. Eine lange Stille folgte, die nur von ihren Atem unterbrochen wurde. Dabei bemerkte er, dass sie ihre Augen geschlossen hatte.

Nach einer langen Zeit, in der Mathan fast eingeschlafen war, nickte seiner Mutter schließlich.
"Manchmal muss ich mit ganzer Kraft antworten und dazu brauche ich meine volle Konzentration", erklärte sie mit montoner Stimme und richtete sich auf.
Anstelle einer Antwort nickte er. Das, was er zuvor in dem Untergrund gesehen hatte, war ihm nicht aus dem Kopf gegangen. Die Scharen an Eiswächter, die von ihr kontrolliert wurden und die verzerrten Kreaturen, die versuchten an die Oberfläche zu gelangen.
"Nun, dieses Mädchen, Kerry. Denkst du, sie kann den Lauf der Dinge ändern?", fragte Ringelendes unvermittelt.
Überrascht von der Frage blickte Mathan auf. "Darum habe ich sie nicht in meiner Familie aufgenommen. Sonst müsste ich das bei jedem tun, der sich gegen Sauron und Saruman stellt."
"Also denkst du, jeder kann den Lauf der Dinge ändern?"
"Warum nicht? Es steht nirgendwo fest geschrieben, dass es so sein muss."
"Bist du dir sicher?"
Die Nachfrage seiner Mutter ließ ihn stutzig werden. Mit gerunzelter Stirn beugte er sich vor. "Warum beharrst du so darauf?"
Ringelendis ließ sich mit der Antwort Zeit und beugte sich zur Seite. Ihr ausgestreckter Finger berührte den Boden und ließ die getauten Stellen sofort einfrieren.
"Auch ich wollte einst den Lauf der Dinge ändern. Das ist der Grund warum ich nun hier festsitze", sagte sie schließlich leise und richtete sich wieder auf, "Manchmal kann der Preis für das eigene Handeln zu hoch sein."
"Deswegen die Eiswächter? Ich habe gehört, dass sie oft Reisende in der Eiswüste retten..."
Seine Mutter lächelte und nickte. "Es ist ein Weg Mittelerde indirekt zu helfen."
Mathan legte den Kopf schief. "Indirekt? Warum nicht direkt? Du bist doch ein höheres Wesen, du kannst das."
"Können vielleicht schon, aber ich darf nicht. Selbst wenn ich dem Schatten aus Mordor in irgendeiner Weise Einhalt gebiete, sei es auch nur eine Schlacht der freien Völker unterstützen, die Folgen wären fatal.  Du hast gesehen was dort unten herumkreucht und fleucht."
"Bin ich deswegen hier? Du kannst diese Wesen zurückdrängen, aber ich habe das Gefühl, dass das alles ist, was deine Eiswächter tun können."
Mathan hatte lange darüber nachgedacht, bevor er eingeschlafen war. Seine Mutter konnte unmöglich an allen Orten gleichzeitig sein und die Eiswächter waren nicht so mächtig.
"Es geht nicht nur um die Wesen", wandte Ringelendis ein und erhob sich, "Komm. Ich denke, du kannst mir helfen."
Neugierig stand Mathan auf und strich sich sein Untergewand glatt. Auf ein Nicken seiner Mutter hin, legte er seine komplett Ausrüstung an und folgte ihr aus dem Raum hinaus.

Curanthor

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Re: Forna Ascira
« Antwort #3 am: 16. Feb 2018, 22:03 »
Ringelendis machte lange, gemächliche Schritte und führte ihn durch ihr Reich. Dabei schwiegen sie, was Mathan nur allzu bekannt vorkam. Seine Mutter war schon immer wortkarg gewesen. Sie konnte mehrere Stunden an dem Fenster in ihrem Wohngemach sitzen und schweigend auf die Stadt hinausstarren. Das hatte sie damals sehr oft getan. Er erinnerte sich daran, dass dabei immer ein schmerzlicher Hauch von Wehmut in ihren Augen lag, als er sie einmal heimlich dabei beobachtet hatte. Sein Vater war zu der Zeit schon in der Schmiede tätig gewesen. Erst später hatte er erfahren, dass viele Elben Ringelendis - damals hieß sie noch Irloê - als verkühlt und unnahbar eingeschätzt hatten. Sie haben nie verstanden, wie sie und Amarin zusammengefunden hatten, oder wie die gegensätzliche Art der beiden zueinander passte. Er selbst hatte sich damals nie darum Gedanken gemacht. Mathan war zwar oft unzufrieden, aber auch dankbar gewesen, dass seine Eltern ihm so viel ihrer Zeit geschenkt hatten.
"Beschäftigt dich etwas, Sohn?", ertönte die fordernde Stimme seiner Mutter.
Sie hatten mit Sicherheit zwei Dutzend große Hallen passiert, die für ihn keinen Sinn ergaben. Meist waren sie hundert Meter lang und fünfzig Meter breit, doch waren sie stets leer. Er hatte aber auch nicht genauer hingesehen, zu sehr war er im Gedanken gewesen.
"Ich denke an unsere gemeinsame Zeit. Damals in Eregion", antwortete Mathan nach einer kleinen Stille. Seine Stimme hallte unangenehm wider. Es war so still, dass selbst ihre Schritte mindestens sechsfach nachhallten. Er blickte seine Mutter an, um sich nicht davon ablenken zu lassen. Ein schmerzlicher Ausdruck trat in ihr sonst so beherrschtes Gesicht.
"Trauer erfüllt mein Herz, sobald dieser Name fällt. Die anfängliche Freude über den Aufbau der Stadt schwand genauso schnell, wie der Morgentau auf den Blumen, die an dem Hügel standen, wo wir uns oft unterhalten hatten und den Müßiggang fröhnten. Ich spürte den Untergang kommen, noch bevor der Überbringer des Leids seine Geschenke brachte. Meine Macht war zu der Zeit aber viel zu schwach. Ich wusste nicht, wer es sein würde, der das Unheil bringen würde. Ich wusste auch nicht, wann es soweit war. Mir war klar, dass ich, sobald ich wusste wer es war, nie wieder mit euch zusammen leben konnte."
Mathan beschloss direkt zu sein und räusperte sich. Er hatte genug davon, sich zurückzuhalten und höflich zu sein. Ringelendis legte ihm eine Hand auf die Schulter und nickte ihm auffordernd zu. Sie war bereit für seine Frage. Sie wusste, dass er sie schon lange stellen wollte.
"Was ist damals geschehen? Wie kommt es, dass ...jemand wie du in diesen Landen wandelt? Wieso bist du fortgegangen, als wir dich am meisten brauchten?"
Seine Mutter nickte langsam und strich sich eine lange Haarsträhne hinter ihr Ohr.
"Ich wusste, dass du das fragen würdest. Ich bin mir sicher, dass du dir schon ein paar Dinge zusammengereimt hast. Wenn auch mit Hilfe."
Er antwortete nicht. Sie wusste, dass sie Recht hatte, das sah er an ihrem Blick.
"Das, was alle Dummen verleitet: Gefühle. Emotionen. Selbst die Mächtigen sind davor nicht sicher, auch ich nicht. Ich hatte nur einen Auftrag, der für mich wie eine Lebensaufgabe war. Ich kannte nichts anderes. Ich war dazu ausgewählt worden, von wem weiß ich nicht. Es war einfach in meinem Geist, so als ob es schon immer da war."
Sie machte eine kurze Pause und blickte ihn aufmerksam an.
"Also eine Aufgabe für die Ewigkeit?", fragte er zögerlich.
"Nicht ganz. Eigentlich, nach Maßstäben für Elben eine simple Aufgabe. Ein Auge auf den Eisrachen (Helcaraxe) werfen, nachdem die Noldor diesen überschritten hatten. Verhindern, dass noch mehr Elben diesen unsäglichen Eid leisten und in ihr Verderben ziehen. Zu ihren eigenen Schutz. Natürlich dürfte ich nicht aktiv eingreifen, aber subtil  den Weg erschweren, Zweifel wachrufen und andere Dinge waren mir möglich."
"Moment", unterbrach Mathan sie und versuchte seine Gedanken zu ordnen, "Du redest da von-..."
"Von den Jahren der Bäume, ja. Als diese endeten, verlagerten sich auch meine Aufgaben. Es kamen Neue hinzu, an die ich mich nicht erinnern vermag. Die Wacht war weniger wichtig, aber noch wichtig genug, dass wir immer dort präsent waren. Du musst wissen, dass der Eisrachen sehr gefährlich war. Ihn zu überqueren verlangte den Noldor damals große Opfer ab. So kam es eines Tages, nachdem die Sonne ihre ersten Umläufe vollzogen hatte, dass ein einzelner Elb den Weg nach Mittelerde einschlug."
Mathan wurden besonders hellhörig. Ihm war klar, dass dies nur sein Vater sein konnte, so wie seine Mutter ihre Worte betonte. Ein versonnenes Schmunzeln umspielte ihre Lippen und er lauschte gebannt, als sie fortfuhr: "Ich war neugierig. Bis dahin hatte ich noch nie gesehen, dass jemand den Mut aufbringt, es ganz alleine zu versuchen. Es löste auch Bestürtzung in mir aus. Zum ersten Mal verspürte ich mir noch nie bekannte Gefühle. Sorgen und Neugierde. Das ist das Einzige, was ich verspüre, wenn ich an diese Zeit zurückdenke. Alle anderen Erinnerungen liegen in weiter Ferne, wie ein Nebelband über einen Feldweg. Du kannst danach greifen, aber wirst es niemals fassen können. Selbst jetzt ist mein Geist eingepfercht in dieses Nebelband. Denke ich weiter zurück, als den Moment, in dem ich Amarin gegenüber stand, verschwimmt es mehr und mehr."
"Weißt du noch, wie du mit ihm gesprochen hast? Was hast du getan?"
Ringelendis lächelte nun, sanft und etwas scheu. Das hat Mathan noch nie an ihr gesehen. Verwundert starrte er sie an.
"Ich habe ihn nach seinen Namen gefragt. Als er ihn mir nannte, wollte er meinen wissen. Ich konnte mich aber nicht mehr daran erinnern. Also nannte er mich Ringelendis. Die kalte Sternenfrau, denn es war Nacht und immer wenn ich sprach, schauderte es ihm vor Kälte. Amarin war jung und sehr wissensdurstig. Er fragte mich viele Dinge. Ich konnte davon aber leider nichts beantworten. Das Gespräch dauert fast die ganze Nacht lang, bis er nach dem Weg fragte. Ich stellte eine Gegenfrage, wohin er denn gehen wollte. Er sagte, dass er die Welt sehen will. Keinen goldenen Käfig. Er wollte Abenteuer erleben und in den Fußstapfen seiner Vorväter wandeln."
"Und diesen Wunsch hast du ihm erfüllt? Vertieß das nicht gegen deine Aufgabe?"
"Schon das Gespräch war ein Verstoß und als ich ihm den Weg wies, wusste ich sofort, dass ich nicht mehr zurück konnte. Ich war an den Körper gebunden, den ich gewählt hatte. Nun ist er mein goldener Käfig."
Mathan bemerkte den bitteren Ton in ihrer Stimme und legte ihr zögerlich eine Hand auf ihren Handrücken. Ihre Haut war wie gewohnt kühl, doch spürte er tief in seinem Inneren eine Wärme, die diese Berühung auslöste. Eine einzelne Träne funkelte in ihrem Auge, als sie ihm einen raschen Blick zuwarf. Gleich darauf straffte sie sich und bedeutete ihm zu folgen. Nachdenklich kam er der Aufforderung nach. Vor seinem inneren Augen stellte er sich vor, wie sich seine Eltern getroffen hatten. Rasch stellte er fest, dass er sich Amarin nicht als jungen Elb vorstellen konnte. Er würde in ihm immer den stolzen Schmied sehen, der unter Menschen als Waffennarr durchgehen konnte. Kernig aber herzlich. Er grinste bei dem Gedanken und nahm seine Mutter an der Hand. Überrascht zuckte sie zusammen und bickte ihm verwundert an.
"Selbst wenn es ein goldener Käfig ist, ich bin froh, dass es geschehen ist", gestand er und drückte sie fest.
Ringelendis nickte stumm und erwiderte den Händeruck fest, ehe sich ihre Hände voneinander lösten.

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Silmaca Ascira
« Antwort #4 am: 13. Jun 2018, 17:17 »
Etwa einen halben Tag wandelten sie durch die Hallen seiner Mutter, er konnte es nicht genau sagen, da sein Zeitgefühl ihn im Stich ließ. Mathan bemerkte dabei, dass sie sich weiter von den bewohnten Teil entfernten und weiter in die Tiefe gingen. Ringelendis wurde schweigsamer als zuvor. Einzig ihre Schritte waren zu hören, wobei seine Mutter sich beinahe geräuschlos fortbewegte. Sie folgten schon einer ganze Weile einen breiten Tunnel, der irgendwann den Untergrund unter dem Eis erreichte. Der Geruch von kaltem Stein und fauliger Erde drang in seine Nase. Das eigentümliche Licht das Eises blieb über ihnen, im weiteren Verlauf des Tunnels gähnte eine schwarze Leere. Mathan legte unwillkührlich eine Hand an einen Schwertgriff. Sein Blick ging zu seiner Mutter. Sie wirkte ein wenig angespannt, ihre Augen funkelten konzentriert. Ein Schauer rann seinen Rücken hinab.
"Du wirst gleich etwas sehen", sagte Ringelendis leise, " das sonst niemand sehen sollte. Ich bin mir gar nicht sicher, ob du überhaupt imstande bist, es zu erkennen. "
Es knisterte leise, woraufhin Mathan einen Blick auf ihre Hände warf. Kalter Nebel rann von ihren Innenflächen ab. Sofort lockerte er sein Schwert in der Scheide, um es so schnell wie nur möglich zu ziehen. Der Tunnel endete abrupt in einer größeren Kaverne. Eine einzelne Feuerschale in der Mitte zog seine Aufmerksamkeit auf sich. Das Feuer, das dort brannte flackerte unstet, doch sein Schein erreichte noch nicht einmal den Boden. Eine durchdringende Dunkelheit schien die Flammen zu ersticken.
"Besuchst du mich wieder?", fragte eine kalte, rauchige Stimme vor ihnen. Ein Gefühl der Leere stieg in Mathan auf, als er sie das erste Mal hörte. "Wie lange ist das jetzt her?"
Er blickte zu seiner Mutter, die nur eine Hand hob. Ein Zischen ertönte und die Dunkelheit wich etwas zurück. Die Flammen in der Feuerschale gewannen etwas an Kraft. Ein Schauer lief ihm über den Rücken. Er konnte nichts erkennen, nur Schwärze, die um das Feuer wogte.
"Ein Kräftemessen? Wie oft haben wir das schon hinter uns?", fragte die indessen Stimme säuselnd und die Flammen in der Schale erzitterten.
Ringelendis ging näher an Mathan heran und beugte sich zu ihm herunter.
"Wenn das Feuer am hellsten brennt..", begann sie ihm in das Ohr zu flüstern und gab ihm dann genaue Anweisungungen, was er zu tun hatte. Als sie endete, blickte sie ihm lange in die Augen. Er schluckte unsicher. Das, was er hier tun sollte, war nicht seine Welt. Es war ihre und nur ihre. Trotzdem ist sie seine Mutter und er ihr Sohn. Er war verpflichtet ihr zu helfen. Mathan nickte knapp, zog seine Silmacil und fügte es zu einer Klinge zusammen.
Ringelendis antwortete der Stimme nicht, sondern hob nun beide Hände. Es kam Bewegung in die Dunkelheit um die Feuerschale. Ein lauteres Zischen als zuvor ertönte, dabei zitterten die Flammen bedrohlich und waren kurz davor zu verlöschen. Eine Kältewelle erfasste ihn. Eis knirschte um sie herum. Das Feuer gewann an Kraft und drängte die Dunkelheit zurück. Ringelendis murmelte ein einzelnes Wort und mit einem Mal loderten die Flammen auf. Mathans Beine zitterten, doch zögerten nicht, als er einen Satz nach vorn machte. Er biss die Zähne zusammen und riss sein Schwert empor. Ein entsetzliches Gefühl der Leere und Einsamkeit machte sich in ihm breit, als er in die Dunkelheit sprang, fort von der Seite seiner Mutter. Es waren nur winzige Augenblicke, in denen er sich in der Luft befand, doch in denen fragte er sich, warum er überhaupt hier war und ob es all das Wert war. Er fühlte sich verloren. Er kannte es. Als Eregion kurz vor dem Untergang war, hatte er sich in Fangorn versteckt und alles an sich vorbeiziehen lassen. Zorn kochte in ihm hoch. Amandis würde ihn dafür einen Klapps auf den Hinterkopf geben, sich so einzugraben. Kälte stieg in ihm auf. Das erste Mal spürte Mathan das Erbe seiner Mutter mit vollem Bewusstsein. Bezeichnungen kamen ihm in den Sinn. Dann war der Moment vorbei, seine Füße berührten den Boden. Er packte den Griff seines Schwerts fester und rief das, was ihm gerade in den Sinn kam: "Silmaca Ascira."
Seine Schwertklinge begann blau aufzuleuchten, heller als die Klingen von Gondolin. Die Temperatur fiel rapide und das Feuer in der Schale verlöschte zischend. Dann fuhr sein Schwert hinab, gerade durch die Dunkelheit. Die Stimme ächzte, dann war es vorbei. Mathan blinzelte, als plötzlich die Kaverne von den Flammen der Feuerschale erleuchtet wurde. Die drückende Dunkelheit war fort. Ringelendis trat neben ihm und legte ihm eine Hand auf die Schulter.
"Ich bin stolz auf dich... ", sagte sie leise und nickte zu den Wänden der Höhle. Sie waren überzogen mit feinen Eiskristallen, die ein wunderschönes Blumenmuster bildeten, " mein Sohn."
Er blickte zu ihr auf und lächelte schwach. Zu mehr war er nicht imstande. Sein Körper fühlte sich taub und ausgelaugt an. Ringelendis schlang einen Arm um ihn und stützte ihn ohne Probleme. Er hielt noch immer sein Schwert fest umklammert. Die Eindrücke von dem Wesen hallten noch immer in ihm nach. Diese Leere der Finsternis, die er zuvor gespürt hatte, war schlimmer gewesen, als selbst der Kampf gegen den Hexenkönig, den er nur beigewohnt hatte. Er hatte gerade den wahren Schrecken kennengelern: Die ewige Einsamkeit.
"Lass uns gehen, er wird so schnell nicht zurückkehren", erklang die Stimme seiner Mutter beruhigend, und setzt leise nach: "Davon wird er sich kaum erholen, das hast du gut gemacht."
Wie in Trance bekam er mit, wie sie ihn zurückschaffte und in sein Bett legte. Der Weg kam ihm gar nicht so lang vor wie auf dem Hinweg. Bevor er einschlief, beugte sich ihr Gesicht zu ihm herab und sie gab ihm einen Kuss auf die Stirn.

Curanthor

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Abschied von Forna Ascira
« Antwort #5 am: 23. Okt 2018, 19:30 »
Seine Ruhepause dauerte sehr lange. Mathan war sich bewusst, dass er nicht richtig schlief. Sein Geist war in großer Unruhe. Erinnerungen und Eindrücke von längst vergangenen Zeiten durchfluteten ihn. Wie der Anduin flossen sie an ihm vorbei. Bilder von vergangenen Schlachten mischten sich unter Momenten tiefer Traurigkeit. Die Schlacht des letzten Bündnisses, der Tod seines Bruders, über den nie in ihrer Familie gesprochen wurde. Der vermeintliche Tod seines Vaters und das Verschwinden seiner Mutter. Die Schlachten um den Kampf um Arnor und die Niederlage an der Wetterspitze, welche seinen Glauben an seine Führungsqualitäten einen gewaltigen Dämpfer verpasst hatten. Unruhig wälzte er sich herum, doch es half nichts, die wohlverdiente Ruhe wollte einfach nicht eintreten. Erneut durchlebte er die Begegnung in den Tiefen von Forna Ascira. Dieser Hass, die Einsamkeit und die pure Boshaftigkeit, die ihm dort entgegengeschlagen waren. Erst später war ihm bewusst geworden, dass dieses Wesen weitaus älter und mächtiger war, als alles, was er je gesehen hatte - mit Ausnahme seiner Mutter. Und sie hatte Recht behalten: Das war nicht sein Kampf, nicht seine Welt. Er gehört nicht hier her.
Mathan schlug die Augen auf. Er befand sich nicht in seinem Schlafzimmer in dem Bollwerk unter dem Eis. Sein Blick war auf ein Gebirge gerichtet, das ihm sehr bekannt vorkam. Er hatte Jahre an in ihrer Nähe verbracht. Erste Anzeichen des kommenden Winters waren schon zu erkennen. Die Sonne war kälter und fast durchgehend von Wolken bedeckt. Als er blinzelte, befand er sich plötzlich woanders. Es war kühl und ein Donnergrollen zerriss die Stille. Ein Ring fiel klirrend zu Boden. Als Mathan sich danach bückte, wurde er sich seiner Umgebung gewahr. Vor ihm erstreckte sich eine bekannte Landschaft. Der Ring in seinen war so glitschtig, dass er ihm fast aus den Händen glitt. Als er den Blick senkte, waren sie voller Blut. Mit wachsendem Entsetzen betrachtete Mathan den Ring genauer, der ihm schmerzlich vertraut vorkam. Geschmiedet aus einem seltenen, schwarzen Metall und ein blauer Saphir in der Fassung. Erst jetzt bemerkte er, dass das Blut aus dem Saphir quoll. Erschrocken ließ er den Ring fallen.
Keuchend schlug Mathan die Augen auf. Rasch blickte er sich um. Zu seiner Erleichterung befand er sich in dem Schlafzimmer in Forna Ascira. Sein Blick fiel auf den Hocker neben seinem Bett, doch er war leer.
"Was hast du gesehen?", fragte die Stimme seiner Mutter leise.
Mathans Blick folgte den Worten und erkannte Ringelendis, die im Eingang zum Raums tand.
"Da war... ein Gebirge und ein Ring. Er war voller Blut", antwortete er stockend, "Was hat das zu bedeuten?"
"Ich habe es auch gesehen. Du kennst die Antwort auf deine Frage schon, doch willst du sie nicht aussprechen, nicht realiseren, doch war es so real, wie es bald sein wird."
"Das war ihr Ring", sagte er scharf, "Sie darf nicht... Sie ist zu jung."
"Dann weißt du, was du zu tun hast." Ringelendis Augen funkelten bei den Worten. Als er nicht antwortete, legte sie den Kopf schief und fragte, was nicht simmte.
Die Erfahrung war so verstörend für ihn gewesen, dass er es anfangs nicht in Worte fassen konnte. Mathan wusste, was er gesehen hatte und was es bedeutete.
"Ja, so sehe ich die Welt", bestätigte seine Mutter seinen Verdacht, "Da du einen Teil von mir in dir trägst und dieser nun erwacht ist, wirst du diese Art zu sehen nicht mehr los."
Mathan schüttelte den Kopf, während er sich aufsetzte und sagte: "Ich will dieses verfluchte Wissen nicht. Es ist nicht für mich bestimmt, sondern für deinesgleichen."
Er wusste, dass seine Worte hart klangen, doch Ringelendis schien nicht gekränkt, sondern nickte verstehend.
"Das dachte ich mir schon, immerhin habe ich viele Jahre lang als gewöhnliche Elbe gelebt."
"Dann kannst du dir denken, dass ich fortgehen muss", fügte er an ihren Satz an.
Sie nickte knapp und lächelte sanft.
"Ja, das habe ich gesehen", antwortete sie leichthin und trat an sein Bett, "Und auch, dass du dein Erbe noch nicht antreten kannst."
Mathan konnte keine Spur bedauern aus ihrer Stimme heraushören. Seine Mutter hob ihre linke Hand und legte sie ihm auf die Brust, dort wo sein Herz schlug. Er sah, wie sich ihre Lippen bewegten, doch kein Wort drang hervor. Nach einigen Momenten löste sie sich wieder von ihm und strich ihm sanft über die Haare.
"Ich habe schon lange gewusst, dass dies nicht der Ort und die Zeit ist, an der du dein Erbe gebrauchen wirst. Wenn das Ende kommt, wirst du es brauchen, deswegen habe ich es versiegelte, bis du es soweit ist. Bis dahin werden wir uns nicht wieder begegnen."
Mathan blinzelte einen Moment und wollte wiedersprechen, besann sich aber darauf, dass seine Mutter hier eine Aufgabe hatte, die sie auf keinen Fall vernachlässigen konnte.
"Ich verstehe", sagte er nur leise und hob den Blick, "Und du verstehst, dass ich zurück muss."
"Selbstverständlich. Ich würde dich gerne begleiten, aber meine Wacht darf niemals enden. Amarin kann dir erzählen, was passierte, als ich es einmal tat. Sage ihm folgende Worte: Kalt leuchten die Sterne und heiß brennt das Feuer in der Einsamkeit. Dann wirst du verstehen."
"Wieder so kryptische Botschaften. Du hast echt einen Hang für Geheimnisse", brummte er unzufrieden, woraufhin seine Mutter kurz, aber herzlich lachte.
Überrascht von ihrem Gefühlsausbruch grinste er breit. Für einen kurzen Augenblick hatte er wieder jene Elbe vor sich, die sich mit Amarin stets neckte. Das war noch vor der Zeit in der sie sich voneinander distanzierten.
"Vielleicht hast du Recht", sagte sie schließlich noch immer lächelnd und legte ihm eine Hand auf die Schulter", Aber es wäre ja langweilig, wenn man alles auf einmal erfährt." Ringelendis lächelnd verschwand, als sie ernster nachsetzte: "Und man wird nicht alles verstehen können."
Mathan erhob sich und nickte. Seine Mutter zog ihre Hand zurück und deutete auf den Gang vor seinem Zimmer. Er verstand und ging voraus. Es war Zeit für den Abschied. Schweigend gingen sie nebeneinander her. Er ahnte, wohin sie gehen würden und dachte über die Zeit nach, die er hier verbracht hatte. Dabei viel ihm auf, dass er sein Zeitgefühl komplett verloren hatte. Er wusste nicht einmal was für ein Tag heute war.
"Du wirst das Silmacil nur so führen können wie du es getan hast, bevor du herkamst", sagte seine Mutter plötzlich und blickte ihn kurz aus dem Augenwinkel an, "Aber ich sehe, dass dir seit der Zeit in der Tiefe eine Frage auf dem Herzen liegt."
Er nickte. Mathan wollte schon fragen, als er wieder erwacht war, aber ihm war es bisher nicht richtig erschienen. Er merkte, wie seine Mutter sich straffte und einen kurzen Moment mit sich Rang.
"Das was ich dir jetzt erzähle, verlässt diese Hallen nicht", verlange sie schließlich streng, woraufhin er knapp nickte.
"Dieses Wesen war einst so ähnlich wie ich, doch schloss es sich den verderbten Mächten an. Lilómëaquen nenne ich ihn, der Dunkle. Welchen der Valar er einst gedient hatte, weiß ich nicht, doch ist er glücklichweise nicht so mächtig wie Sauron. Dennoch ist seine Seele genauso verdorben. Da ich an diesen fleischlichen Körper gebunden bin, kann ich ihn nicht gänzlich vernichten, nur zurückhalten." Sie machte eine kurze Pause und blickte ihn intensiv an, "Da jedes meiner Kinder einen Teil von mir in sich trägt - oder trug - kann ich ihn nicht vernichten. Mit deiner Hilfe konnte ich ihn aber vertreiben, was bedeutsam mehr ist, als ich bisher ausrichten konnte, doch genug davon."
Sie erreichten die große Eingangshalle, mit dem großen See in der Mitte. Er ahnte, was seine Mutter damit andeuten wollte, wollte aber jetzt nich darüber nachdenken.
"Ich gehe stark davon aus, dass du nicht mitkommst", fragte Mathan, obwohl er wusste, dass es nicht möglich war.
"Meine Wacht sorgt dafür, dass die Bestien der alten Welt dort bleiben wo sie sind. Vergessen und begraben in den tiefsten Verließen Ardas. Dein Vater weiß, was hier einst für ein Ort des Schreckens stand." Als sie endete, reichte ihm eine Hand. Zögerlich nahm er sie, woraufhin Ringelendis einen Schritt auf den See machte. Knirschendes Eis breitete sich auf der Oberfläche aus und er folgte ihrem Schritt zögerlich, nur um festzustellen, dass das Wasser ebenfalls unter seinen Füßen gefror. Gemeinsam schritten sie bis in die Mitte des Sees, der etwa dreißig Meter im Durchmesser besaß. Als sie stehen blieben, ließ seine Mutter seine Hand nicht los und er ahnte, was nun folgte. Mathan hörte, wie sie etwas murmelte, woraufhin er seine Augen schloss. Kälte umschmeichelte seinen Körper, durchdrang seine Kleidung und raubte ihm den Atem, dann war es vorbei und pfeifender Wind schlug ihm ins Gesicht. Als er die Augen öffnete, befand er sich auf einem Plateau in einem Gebirge. Ringsherum scharfkantige Bergspitzen, die von einer leichten Schneeschicht bedeckt waren. Seine Mutter ließ seine Hand los und trat direkt vor ihm. Ihre dunkelblauen Augen musterten sein Gesicht ausführlich.
"Ich bin stolz auf dich. Trotz deiner jahrelangen Suche hast du dich nicht selbst verloren und bist ein geachteter Mann geworden."
Stolz streckte Mathan die Brust heraus und wusste nicht, was er erwidern sollte.
"Ich habe eine Famile, auf die ich nun Acht geben muss", sagte er stattdessen etwas unbeholfen und sie verfielen in eine unangenehme Stille.
Ringelendis atmete tief durch und zog ihn kurz, aber herzlich in eine Umarmung.
"Lebe wohl, mein Sohn. Wir werden uns wieder begegnen, das verspreche ich dir."
Mathan erwiderte die Geste und antwortete: "Wenn nicht hier, dann in Valinor."
Als sie sich voneinander trennten, meinte er ein verdächtiges Glitzern in ihren Augen zu sehen, doch Ringelendis richtete sich zu voller Größe auf und hob die Arme. Ein kräftiger Wind kam auf und hüllte sie in so viele Schneeflocken, dass iher Gesalt verschwand. Als sich der Wind wieder legte, war Mathan alleine. Er wusste wo er war und wohin er gehen musste. Es war der Ort, den er zuvor gesehen hatte.

Mathan in das Nebelgebirge
« Letzte Änderung: 18. Okt 2019, 19:02 von Curanthor »