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Autor Thema: Anwesen des Fürsten von Gorak  (Gelesen 5304 mal)

Rohirrim

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Anwesen des Fürsten von Gorak
« am: 21. Sep 2017, 01:31 »
Zarifa und Tekin aus Harondor

„ALLE RAUS AUS DEN WAGEN! WIR SIND DA! UND MIT EIN BISSCHEN TEMPO, WENN ICH BITTEN DARF!“

Nach mehreren Wochen waren sie also endlich angekommen. Was auch immer als Nächstes passieren würde, zumindest war die Reise vorbei. Die Enge hätte Zarifa keinen Tag mehr ertragen. Mit einem teilnahmslosen Gesichtsausdruck verließ sie gemeinsam mit den anderen Gefangenen die Kutsche, wo sie direkt von einigen Wachen empfangen wurden.

„Denkt gar nicht erst an einen Fluchtversuch. Der Tod wäre eine Gnade im Vergleich zu dem, was euch erwarten würde“, hieß es unmittelbar nachdem Zarifa einen Fuß auf den Boden gesetzt hatte. Sie wurde fest am Arm gepackt und unsanft in Richtung eines großen Tores gestoßen. Die Gefangenen aus allen Kutschen mussten sich in einer Reihe aufstellen, um anschließend durch das Tor und den dahinterliegenden Park in Richtung eines riesigen Hauses geführt zu werden.
Zarifa ließ das alles über sich ergehen. Sie fühlte eine innere Leere in sich aufsteigen. Nichts war mehr wichtig. Sie folgte einfach nur den Anderen und versuchte an nichts zu denken. Sie wollte nicht schon wieder Ziad vor ihrem geistigen Auge sehen und hasste sich selber im gleichen Atemzug dafür, dass sie ihn aufgrund dieses Gedankens vor Augen hatte. Hätte sie in den letzten Tagen genug zu trinken gehabt, würden ihr jetzt vermutlich Tränen in die Augen schießen. Stattdessen spürte sie ein unangenehmes Brennen in ihren Augen. Sie versuchte sich abzulenken und wagte einen kurzen Blick zur Seite. Ein zahnloses Grinsen schoss durch ihren Kopf, als sie sah, wie eine der neben ihnen herlaufenden Wachen sie anscheinend interessiert musterte. Sie wollte hier weg. Schnell senkte sie ihren Blick und versuchte ihre Gedanken in eine andere Richtung zu lenken. Tekin, der sich ein wenig vor ihr befand, drehte seinen Kopf in ihre Richtung und schenkte ihr ein aufmunterndes Lächeln. Sie vermochte es im Augenblick jedoch nicht zu erwidern.

Die Tür des Anwesens wurde aufgestoßen und die Gefangenen wurden in eine riesige Eingangshalle und anschließend eine Treppe hinuntergeführt. Am anderen Ende der Treppe befand sich ein kahler, dunkler Raum – kein Vergleich zur prunkvollen Eingangshalle. Dieser Bereich war nicht für den Hausherren und seine Gäste. In der Mitte des Raumes stand ein kleiner Holztisch mit zwei Bänken. An den langen Wänden hingen eine ganze Reihe an Uniformen. Auf der einen Seite anscheinend die für Männer und an der anderen Seite die für die Frauen.

„LINKS DIE MÄNNER, RECHTS DIE FRAUEN“, ertönte ein lauter Ruf aus der Tür. Das war er. Der Mörder Ziads hatte den Raum betreten. Die Stimmung im Raum war zuvor schon ängstlich gewesen. Jetzt erfüllte eine Woge des Grauens die Halle, die förmlich greifbar war. Sie alle hatten Ziads Tod mitangesehen. Sein Dolch blitzte im Licht der Fackeln, die den Raum spärlich beleuchteten, immer wieder auf. Zarifa erinnerte sich an diesen Dolch und ihr wurde schlecht. Wenn sie einen Mageninhalt besessen hätte, läge dieser nun vor ihr auf dem Fußboden. Sie konnte an nichts anderes mehr Denken, als diese unfassbare Grausamkeit.
Sobald alle ihren Platz gefunden hatten, sprach der Mann erneut: „Und jetzt, verneigt euch alle vor eurem Herrn und Meister: Fürst Radomir von Gorak persönlich ist hier, um euch willkommen zu heißen." Sofort gingen alle Gefangenen auf die Knie.

„Danke, Kazimir. Ihr könnt wegtreten.“ Die Schreckensgestalt, der Zarifa nun auch einen Namen zuordnen konnte, verneigte sich und verließ den Raum.
„Die angekündigte Großlieferung aus Umbar ist also endlich angekommen. Das ist sehr gut, denn in letzter Zeit hatten wir leider einen ziemlich großen... Schwund an Arbeitsmaterial. Wir können Nachschub also sehr gut gebrauchen. Ich hoffe, euer... Haltbarkeitsdatum läuft ganz nicht so schnell ab. Aber ich schweife ab: Herzlich Willkommen in Gorak. Ihr alle habt die große Ehre dem Fürsten dieser prächtigen Stadt höchstpersönlich zu dienen. Ihr werdet die Regeln hier schon sehr bald kennen lernen. Fürs Erste reicht es, wenn ihr wisst, dass ihr mir und meinen Angestellten in allem was wir sagen zu gehorchen habt. Und jetzt wird es Zeit, euch von all euren persönlichen Besitztümern zu trennen. Legt alles was ihr habt ab, werft es auf den Tisch in der Mitte und zieht eure neue Uniform an. Meine Leute werden aufpassen, dass ihr auch wirklich alles ablegt. Und ihr wollt gar nicht wissen, was passiert, wenn sie euch erwischen. Gleichzeitig werden sie einige... Untersuchungen an euch durchführen. Lasst euch davon nicht stören. Im Anschluss daran werdet ihr in Gruppen eingeteilt und erhaltet eure Aufgaben. Ich verschwinde jetzt von hier. Ungeziefer überträgt ja bekanntlich Krankheiten.“

Der Fürst verschwand und einer der Angestellten, die er zurückgelassen hatte, forderte sie auf, sich umgehend umzuziehen. Niemand wagte es, zu widersprechen. Zarifa besaß nichts, als das weiße Laken, das sie als Kleidung verwendete. Doch sie wollte es nicht ausziehen. Nicht vor all diesen Leuten. Sie zögerte mit dem Saum des Lakens in der Hand und fing sich dafür urplötzlich einen Hieb mit einem Schlagholz in die Rippen ein. Der körperliche Schmerz war harmlos im Vergleich zu der Erinnerung an ein zahnloses Grinsen, welches abermals vor ihrem geistigen Auge aufblitzte.

„Hier wird nicht getrödelt!“, grunzte die Wache.

Es half alles nichts. Zarifa tat wie ihr geheißen. Die Angestellten gingen derweil umher, begutachteten die Gefangenen und machten sich Notizen. Von der Körpergröße über die Größe der Oberarme bis zu den Falten im Gesicht wurde alles dokumentiert. Zarifa mochte die Berührungen nicht. Sie hatte Glück, dass ihre Beine nicht auf sie hörten, denn ansonsten wäre sie schon längst zur Tür gerannt und hätte dabei vermutlich den Tod gefunden. Wenn sie Glück gehabt hätte.
« Letzte Änderung: 16. Jan 2019, 13:47 von Fine »
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Rohirrim

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Re: Anwesen des Fürsten von Gorak
« Antwort #1 am: 23. Sep 2017, 01:00 »
Zarifa erwachte auf einem dieser Holzkonstrukte, die sie hier als Betten bezeichneten. Sie hatte 19 Jahre lang als Obdachlose in Umbar gelebt und dennoch selten so unbequem geschlafen, wie die letzten paar Tage. In jeder Nacht, die Zarifa bisher in Gorak geschlafen hatte, wurde sie im Traum von schrecklichen Bildern verfolgt – ein zahnloses Grinsen, Blutspritzer auf ihrer Kleidung, Ziads Leiche, und ein Dolch in ihrem Mund. Und jedes Mal, wenn sie aufwachte, traf es sie wie ein Schlag, dass ihr ein weiterer Tag harter Arbeit und grausamer Behandlung als Sklavin im Anwesen des Fürsten von Gorak bevorstand.
Bei der Behandlung seiner Sklaven zeigte der Fürst keinerlei Menschlichkeit. Das ganze wirkte mehr wie eine sorgsamst durchorganisierte Tierhaltung. Zarifa erinnerte sich zurück, wie sie kurz nach ihrer Ankunft in Gruppen eingeteilt wurden. Nachdem sie von den Bediensteten inspiziert worden waren, wurden sie entsprechend ihrer Größe, ihres Alters und ihrer Muskulatur in verschiedene Gruppen eingeteilt. Anschließend wurden sie gebrandmarkt. Jede Gruppe bekam einen anderen Buchstaben auf das linke Handgelenk gebrannt. Zarifa erinnerte sich zurück, wie die Bediensteten ohne jede Gnade und die Schmerzensschreie komplett ignorierend, ihre Aufgabe erfüllten. Sie selbst war an körperlichen Schmerz gewöhnt und hatte schon weit schlimmeres erlebt. Dennoch gefiel ihr das Gefühl gebrandmarkt zu sein nicht. Ein Zeichen am Körper zu haben, was sie immer an den Schrecken hier erinnern würde, war keine schöne Vorstellung, doch auch bei weitem nicht ihre größte Sorge im Moment.
Die Arbeit, die sie hier verrichten musste, war anstrengende, als alles was die junge Haradan bisher in ihrem Leben tun musste. Aufgrund ihres jungen Alters und ihres schlanken Körperbaus, war sie für Lieferungen und Botengänge im gesamten Haus zuständig. Wann immer jemand im Haus irgendetwas brauchte, war es ihre Aufgabe, dies so schnell wie möglich zu besorgen. Und wann immer Gegenstände angeliefert wurden, war es Zarifas Aufgabe, diese so schnell wie möglich zu ihrem vorgesehen Platz zu bringen. Und wann immer sie dabei gesehen wurde, wie sie sich zu langsam fortbewegte, bekam sie einen Peitschenhieb zu spüren. Eine Schicht dauerte 18 Stunden. Anschließend hatte man sechs Stunden Zeit sich auszuruhen, bevor es wieder von vorne losging. Die Anstrengung brachte Zarifa fast um. Mehrfach hatte sie mit dem Gedanken gespielt, sich einfach zu weigern. Sich einfach hinzusetzen und nichts mehr zu tun. Doch bisher konnte sie dieser Versuchung noch widerstehen. Schließlich wusste sie inzwischen, welche Art von Bestrafungen es hier für Sklaven gab...

Schon eine ganze Zeit lang, hatte sich in Zarifas Hinterkopf die Frage getummelt, wie zur Hölle es möglich sein sollte, so viele Sklaven gleichzeitig zu halten, ohne dass diese sich letztenendes zusammentaten und es zu einem Aufstand kam. Direkt an ihrem zweiten Tag bekam sie eine Antwort auf diese Frage. Sie hatte gerade ihre erste volle Schicht abgearbeitet und wollte sich am Abend an den kleinen Tisch, der ihr schon am ersten Tag aufgefallen war, um dort den Rest ihrer Tagesration an Nahrung zu sich zu nehmen. Allerdings bekam sie daraufhin sofort einen schmerzhaften Hieb mit einem kleinen Stock zu spüren. Ein kleiner Wachmann hatte blitzschnell reagiert und auf einen Zettel verwiesen, der mitten auf dem Tisch lag. Nur „besonders verdienten“ Sklaven, sei es erlaubt, am Tisch Platz zu nehmen. Alle anderen mussten ihr Abendbrot im Stehen zu sich nehmen.
Wie Zarifa schnell erfuhr, war dies nur eine der vielen möglichen Belohnungen für Sklaven, die entweder besonders effizient arbeiteten oder die Vergehen von anderen Sklaven meldeten. Hier wurden auf geschickte Weise die Unterdrückten gegeneinander ausgespielt. Die Sklaven kontrollierten sich gegenseitig und wer meldete, dass jemand beispielsweise eine Kleinigkeit aus der Speisekammer des Fürsten für sich selber behielt, bekam das Recht sich an den Tisch setzen zu dürfen. Weitere Belohnungen waren unter anderem das Recht auf andere Toilette gehen zu dürfen, die aufgrund der selteneren Benutzung wesentlich sauberer war, eine Erhöhung der täglichen Rationen oder das Recht, auf eine 15 minütige Pause während der Schicht. Und die ultimative Belohnung: Wer sich als meisterhafter Spion erwiesen hatte, durfte sich einen Gegenstand aus dem Korb der persönlichen Gegenstände aussuchen, die die Sklaven am Anfang abgeben mussten. An ihrem dritten Tag sah Zarifa, wie ein junger Mann, der schon länger als sie hier war, mit ihrem alten Laken, das die junge Haradan früher als Kleid getragen hatte, in den großen, kahlen Raum im Keller kam. Er warf Zarifa einen frechen Blick zu. Anschließend schnupperte er ausgiebig an dem Laken. Dabei wurde sein Blick immer gieriger. Er warf Zarifa eine Kusshand zu und stopfte das Laken anschließend in seine Hose. Zarifa war angeekelt und hätte dem jungen am liebsten eine reingehauen. Wie konnte er es wagen? Doch sie schaffte es sich zu beherrschen. Sie wollte nicht, dass der junge direkt wieder einen Anlass hatte jemanden zu melden. Schon gar nicht, wenn es dabei um sie ging. Sie fürchtete sich vor den Strafen.
Denn abgesehen von dem Belohnungssystem für Sklaven, die die Missetaten anderer Sklaven meldeten, gab es auch ein Bestrafungssystem für die entsprechenden Missetäter. Extrastunden, Peitschenhiebe, Essenskürzungen und tagelanges angekettet Werden waren nur eine kleine Auswahl der verschiedenen Strafen, die nicht nur nach Schwere der Missetat, sondern auch individuell aufgrund der Person ausgeführt wurden. Was die ultimativen Strafen waren, wusste Zarifa noch nicht, und sie war sich auch nicht sicher, ob sie wirklich die ganze Wahrheit wissen wollte. Sie hatte in dem Zusammenhang nur den Begriff „vogelfrei“ aufgeschnappt, ohne jedoch recht was damit anfangen zu können. Alles was sie wusste war, dass eine schon etwas ältere Frau eine solche Strafe einst hatte erdulden müssen. Sie weigerte sich jedoch darüber zu sprechen.
Dieses System zeigte Wirkung. Die Sklaven konnten einander nicht vertrauen und an einen Aufstand war nicht zu denken. Zarifa hatte zwar bisher noch keine anderen Sklaven verraten, doch die Bestrafungen brachten sie dazu, den Kopf unten zu halten und einfach nur durchzuhalten. Sie wollte so etwas, wie an dem Tag als Ziad starb, niemals wieder durchmachen müssen. Die Arbeit hier war zwar körperlich das anstrengendste und schmerzhafteste, was sie jemals hatte durchmachen müssen, doch es waren die Nächte, die mehr fürchtete. Die Alpträume, die immer wieder kamen. Wenn sie vor Anstrengung fast umfiel, musste sie zumindest nicht an Ziad denken. Sogesehen hatte die Arbeit fast eine positive Wirkung auf sie, obwohl sich die junge Südländern für dieses Eingeständnis selbst ein bisschen hasste.
Und dann war da immer noch Tekin. Der einzige Mensch, der sie in ihren dunkelsten Stunden motivieren konnte. Wenn sie abends weinte, kam er zu ihr und legte seinen Arm um sie. Wenn sich ihre Blicke trafen, lächelte er, während Zarifa in seine wunderschönen braunen Augen sah – mit einem Gefühl, das sie zunächst gar nicht einzuordnen vermochte.
« Letzte Änderung: 2. Nov 2017, 18:37 von Rohirrim »
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Rohirrim

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Re: Anwesen des Fürsten von Gorak
« Antwort #2 am: 1. Okt 2017, 23:35 »
Etwa eine Woche, nachdem Zarifa in Gorak angekommen war, hatte sich ihre Strategie, den Kopf unten zu halt und möglichst produktiv zu arbeiten, ausgezahlt. Für ihre gute Arbeit hatte man ihr das Tischrecht zugesprochen. Sie durfte sich nun in ihrer äußerst begrenzten freien Zeit an den Tisch setzen. Unglücklicherweise bedeutete das, dass jemand anderes sein Tischrecht entzogen werden musste. Der schon etwas ältere Mann blickte Zarifa äußerst finster an, als sie sich zum ersten Mal setzte. Man sah ihm an, dass er alle Mühe hatte, seine Wut zurückzuhalten und Zarifa konnte es ihm nicht einmal übel nehmen. Es widerte sie an, wie gut das System des Fürsten funktionierte. Wie er es schaffte, seine Sklaven zu spalten und gegeneinander aufzuhetzen, sodass sie niemals rebellieren würden. Es war so einfach und doch so genial. Sie würde ja aufstehen und dem älteren Herrn ihren Platz anbieten, obwohl ihre Beine sie kaum nach tragen wollten, wenn es denn etwas bringen würde. Doch niemand, der nicht das Recht dazu besaß, durfte sich an den Tisch setzen. Zwei Wachen standen am Eingang und taten den ganzen Tag nichts anderes, als darauf zu achten, dass die strengen Regeln auch eingehalten wurden. Da standen sie, finster dreinblickend und das Schlagholz im... Nanu, wo sind sie denn hin?

Tekin kam in den Raum geschlichen. Er schien etwas unter seiner Uniform zu verstecken und bewegte sich sehr bedächtig. Als er Zarifa erblickte, bedeutete er ihr mit seinem Arm, mit ihm in eine Ecke des kahlen Raums zu gehen. Dort waren sie ungestörter. Wieder einmal stieg dieses seltsame Gefühl in Zarifa auf.

„Der Fürst ist weg“, flüsterte Tekin, sobald sie beide sich etwas abseits von den anderen Sklaven befanden. Er schien diese Information unbedingt so schnell wie möglich loswerden zu wollen. Zarifa erstarrte mitten in der Bewegung. Konnte das wirklich wahr sein? „Was? Wieso? Und woher weißt du davon?“ „Ich habe eben zwei Angestellte zufällig belauscht. Anscheinend ist Radomir heute in Richtung Hauptstadt abgereist. Ich weiß zwar nicht warum, aber eines weiß ich: Kazimir hat vorübergehend die Geschäfte hier übernommen.“ Allein beim Klang dieses Namens tauchten schon wieder schreckliche Bilder vor ihrem inneren Auge auf. Ein silberner Dolch, Blutflecken auf ihrer Kleidung … Ziads Leiche. Sie schob diese Bilder mühsam beiseite, während Tekin weitersprach: „Und die Angestellten sind darüber offensichtlich gar nicht mal so glücklich. Dieser Kazimir ist anscheinend noch gar nicht so lange Radomirs Vertreter zu sein und er scheint ihn nicht besonders gut ersetzen zu können.“
„Nun, in Grausamkeit steht er ihm zumindest in nichts nach“, gab Zarifa trocken zurück.
„Oh, ähm ja...tut mir leid“, meinte Tekin etwas verlegen. „Aber sieh mal. Die Wachen an der Tür sind nicht einfach zufällig verschwunden. Das liegt daran, dass Kazimir sie woanders hin beordert hat, ohne für Ersatz zu sorgen. Ihm fehlt einfach das organisatorische Talent. Im ganzen Haus herrscht mehr oder weniger Chaos. Und das habe ich ausgenutzt.“ Er machte nun auf das Etwas aufmerksam, das er unter seiner Uniform versteckt hatte und beugte sich ganz nahe an Zarifa heran, um sicherzugehen, dass niemand außer ihr seine gehauchten Sätze verstehen würde. „Die Tür zum Weinkeller stand offen und war unbewacht. Ich habe die Gelegenheit genutzt eine Flasche besten Wein entwendet. Ich dachte den können wir uns später teilen. Die Nachtschicht arbeitet jetzt schon und gleich gehen hier alle schlafen. Dann wären nur wir zwei hier. Mit einer guten Flasche Wein.“
„Ich trinke eigentlich keinen Alkohol“, meinte Zarifa. „Ich habe gesehen, was er aus Menschen machen kann. Diesen kompletten Kontrollverlust möchte ich nicht erleben.“
„Du hast gerade 16 Stunden am Stück geschuftet. Ich denke, du hast dir ein bisschen Spaß verdient, meinst du nicht. Und du musst ja nicht so viel trinken. Na komm schon.“
„Also, ich weiß nicht recht.“
„Du kannst es dir ja noch überlegen, bis die anderen endlich eingeschlafen sind.“
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Rohirrim

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Re: Anwesen des Fürsten von Gorak
« Antwort #3 am: 3. Okt 2017, 00:29 »
Zwanzig Minuten später saßen Zarifa und Tekin gemeinsam am Tisch in der Mitte des kahlen Raums. Es war bereits ziemlich spät und Zarifa war auch schon etwas müde. Doch sie hatte sich dazu durchgerungen, noch ein kleines Glas Wein zu trinken. Tekin hatte recht. Wenn es einen Grund zum Trinken gab, dann war ihre gegenwärtige Situation definitiv ein solcher. Außerdem würde sie lügen, wenn sie behaupten würde, sie sei nicht neugierig auf die Wirkung. Alle schwärmten immer davon. Und ein Glas würde wohl kaum allzu viel Schaden anrichten. Und selbst wenn: Konnte es ihr in ihrer derzeitigen Situation wirklich noch schlechter gehen? Was hatte sie schon zu verlieren?

„Na dann: Prost!“, sagte Tekin, nachdem er den Wein in zwei Gläser eingeschenkt hätte. „Auf die Freiheit, die wir hoffentlich eines Tages wiedererlangen.“ Zarifa nickte nur stumm und stieß mit Tekin an. Sie war aufgeregt. Beging sie möglicherweise doch einen Fehler? Na komm, scheiß drauf, dachte sie und nahm einen großzügigen Schluck. „Bah, was ist das denn?“, fragte Zarifa und musste sich fast übergeben. Etwas widerlicheres hatte sie noch nie im Leben getrunken. Und das musste schon was heißen, denn immerhin hatte sie in ihrer Zeit als Obdachlose bereits Wasser aus Regentonnen getrunken, um nicht zu verdursten. „Und es gibt wirklich Leute, die so etwas freiwillig trinken?“ „Es geht dabei weniger um den Geschmack, sondern mehr um die Wirkung. Und an ersteres gewöhnt man sich auch irgendwann.“, erklärte Tekin. Er hatte nicht unrecht. Zarifa spürte auf einmal eine Wärme in sich aufsteigen, die sie an diesem Ort noch nie gespürt hatte. Zunächst war es ihr aufgrund des scheußlichen Geschmacks gar nicht aufgefallen. „Nimm am besten erst einmal kleinere Schlücke. Dann wird das schon“, meinte Tekin lächelnd.
Dieses Lächeln reichte aus, um Zarifa zu bestärken. Sie vertraute diesem Mann, auch wenn sie ihn eigentlich kaum kannte. Warum wusste sie eigentlich so wenig über ihn?
„Woher kommst du eigntlich?“, fragte die junge Südländerin auf einmal relativ forsch.
„Na aus Umbar, genau wie du.“
„Ich meinte, woher genau? Familie, Freunde, Bekannte?“
„Meine Eltern sind gestorben, als ich noch ein Kind war. Mein älterer Bruder hat mich aufgezogen, doch der ist ebenfalls recht früh gestorben. Ich habe mich dann in Umbar als Aushilfskellner durchgeschlagen. Zumindest, bis es zu dem Aufstand kam.“
Der Aufstand
„Und wie genau ist es dir während des Aufstandes ergangen? Ich selber habe ja erst recht spät davon erfahren.“
„Nun, darauf bin ich ehrlich gesagt nicht stolz. Lass uns lieber von etwas anderem sprechen.“
„Ähm okay, also wieso bist du mir und Ziad damals eigentlich gefolgt? Wo doch eigentlich klar war, dass wir... dass wir...“
„Gib dir nicht die Schuld, an dem was passiert ist. Wir alle wollten an eine bessere Zukunft glauben. Ich wollte glauben, dass das was ich in der Nacht getan hatte tatsächlich einem edlen Zweck diente. Ihr habt uns ein Ziel gegeben. Ohne euch wären wir verloren gewesen.“
„Ich habe euch vielleicht ein Ziel gegeben, doch vor allem habe ich euch zu einem Ziel gemacht“, meinte Zarifa trübselig, während sie einen weiteren Schluck Wein zu sich nahm.
„Ich wollte alles besser machen, doch ich habe alles nur noch schlimmer gemacht.“
„Hey, Kopf hoch“, meinte Tekin und legte seinen Arm um sie. „Manchmal muss in seinem Leben Risiken eingehen. Es wird sich zwar nicht immer auszahlen, aber wenn man es aus den richtigen Gründen tut, wird sich irgendwann alles zum Guten wenden. Davon bin ich überzeugt.“
„Wie soll sich die Situation hier denn jemals wieder zum Guten wenden?“, fragte Zarifa skeptisch und mit einer Träne im Auge.
„Du musst das Positive sehen. Nach nur einer Woche Sklavenarbeit sitzen wir hier zusammen als Freunde an einem Tisch und trinken Wein. Es könnte schlimmer sein.“
Ja genau... als Freunde.
„Und außerdem vergisst du, was ich dir vorhin erzählt habe. Kazimir ist unfähig. Das können wir doch bestimmt irgendwie ausnutzen.“
Zarifa hob den Kopf. Meinte Tekin, was sie dachte, was er meinte?
„Du willst von hier fliehen?“
„Naja, zunächst mal will ich bei noch einem Glas Wein über das Fliehen nachdenken. Das ist deutlich weniger gefährlich und macht zumindest kurzfristig mehr Freude. Auch noch ein Glas?“
„Also gut, eins noch“



„Schmeckt es dir inzwischen besser“, fragte Tekin, nachdem er das dritte Glas Wein eingeschenkt hatte.
„Naja, es ist wie du gesagt hast. Man gewöhnt sich dran“, meinte Zarifa und suchte Tekins Blick. Das war leichter gesagt als getan.
„Du hast so wunderschöne Haare“, merkte die junge Haradan beiläufig an und fuhr ihm mit ihrer Hand dabei durch seine Frisur. Zumindest versuchte sie das. In Wahrheit verfehlte sie seinen Kopf um gute fünf Zentimeter.
„Was?“, fragte Tekin verträumt.
„Ach, nicht so wichtig“; sagte sie und grinste. Warum wusste sie selber nicht so genau, doch irgendwas an dieser Situation war unfassbar komisch.
„Also, zurück zum Ernst des Lebens. Wie willst du von hier entkommen?“, fragte Zarifa plötzlich in sehr ernstem, geschäftsmäßigen Tonfall.
„Wie bitte? Wir haben bis vor einer Minute noch darüber diskutiert, ob Brot mit Butter besser schmeckt als ohne. Wie kommst du denn jetzt darauf?“
„Darüber wolltest du doch vorhin sprechen.“
„Achja... aber sollten wir nicht zuerst unser aktuelles Gespräch zu Ende führen, bevor wir uns so einem wichtigen Thema widmen?“
„Wie du meinst.“
„Okay, also ich finde Butterbrot köstlich.“
„Ich nicht.“
„Okay, das hätten wir geklärt. Wie kommen wir jetzt aber hier weg?“
„Naja, ich denke wenn du unbedingt.. äh ich meine unbemerkt von den Wachen Wein stehlen konntest, müsste es theoretisch auch möglich sein unbemerkt von den Wachen zu entkommen.“
„Da ist was dran. Wir müssten es nur schaffen, den richtigen Moment abzpassen. Wenn Kazimir mal wieder die Pläne für die Wache verkackt. Nur wie bekommen wir das hin?“
Ja, wie bekommen wir das hin?



„WAS GIBT ES DARAN DENN NICHT ZU VERSTEHEN?“ Zarifa war außer sich. Dies war wirklich von Bedeutung. Es war äußerst wichtig, dass Tekin begriff, doch der war anscheinend schon viel zu betrunken, um selbst die einfachsten Dinge zu begreifen.
„Tut mir ja leid, aber ich verstehe einfach nicht inwieweit wir die Welt zu einem besseren Ort machen können, indem wir die Kleider von Adeligen zu Zelten umfunktionieren.“
„Na einfach indem... indem... verdammt, weil es halt einfach ne gute Idee ist. So von wegen... das nutzen, was die Adeligen verschwenden.“
„Ja schon klar, ich find die Idee ja auch nicht schlecht. Nur halt nicht... so besonders.“
„Du bist *HICKS* einfach schon zu betrunken, um es zu versehen.“



„Es muss doch theoretisch möglich sein, unbemerkt von den Wachen zu entkommen“, überlegte Zarifa.
„Ja, gar kein schlechter Gedanke“
„Es gibt da übrigens etwas, das du über mich wissen solltest...“
„Und das wäre?“
„Ich... Ich... Ich mag kein Butterbrot.“
„Das weiß ich doch schon lange.“
„Ich wollte es halt nochmal betonen. Is eben wichtig. Und jetzt gib mir noch mehr Wein“



„Sieh mir in die Augen, Tekin.“
„Okay“
Tekin sah sie mit seinen wunderschönen braunen Augen an. Sie wollte etwas sagen, doch sie war noch nicht so weit. Stattdessen sagte sie:
„Schenkst du uns noch Wein nach?“
„Äh ja... natürlich.“ Tekins Hand schnellte nach der Flasche, doch anstatt deren Inhalt in Zarifas Glas zu befördern, bespritzte er Zarifa mit einer großen Ladung Wein, die sich nun in ihrem Gesicht, ihrer Kleidung und ihrem Schoß ausbreitete. „Hey!“, rief Zarifa und lachte. Sie nahm sich nun die Flasche und entleerte sie über Tekins wunderschönen braunen Haaren. Beide lachten und begannen sich spielerisch zu raufen. „Pass auf, die Bank.“ „Whoa!“



Zarifa lag auf dem Boden und wusste nicht mehr ganz so genau wie sie dort hingekommen war. Sie roch nach Wein. Tekin lag neben ihr. Die beiden grinsten sich an. Sie kamen sich näher. Ihre Lippen berührten sich. In diesem Moment fühlte sich Zarifa so leicht und unbeschwert, wie noch nie zuvor in ihrem Leben.
„Ups, tschuldigung“, hickste Tekin.
„Wieso Entschuldigung?“, fragte Zarifa verwirrt.
„Ich ähm... nunja“, begann Tekin, doch der Satz wurde nie zu Ende geführt, denn Zarifa leckte ihm unvermittelt übers Gesicht. „Wir wollen doch keinen Wein verschwenden, oder?“, meinte sie lachen, während Tekin etwas verdattert doch zugleich amüsiert dreinblickte. „Nein, das wäre wirklich eine Schande“, erwiderte er lachend und streifte mit seinem Finger über Zarifas Bein. Dies war das erste mal seit langem, dass sie berührt wurde und es ihr überhaupt nichts ausmachte. Im Gegenteil. Erneut küssten sich die beiden. Zarifa kam das Bild eines Schmetterlings in den Sinn.



Früh am nächsten morgen erwachte Zarifa mit einem Gefühl, als würde sich ein Schraubstock durch ihr Gehirn bohren. Es roch stark nach Wein und Erbrochenem. Neben ihr lag Tekin. Ach du Scheiße!
« Letzte Änderung: 16. Mär 2018, 22:22 von Rohirrim »
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Rohirrim

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Re: Anwesen des Fürsten von Gorak
« Antwort #4 am: 5. Okt 2017, 00:51 »
Zarifa konnte am Ende des Tages selber nicht genau sagen, wie sie es geschafft hatte, den Tag zu überstehen. Jeder Schritt, jede noch so kleine Bewegung tat weh. Ihr Versuch ein Frühstück zu sich zu nehmen endete damit, dass sie den Ärger eines anderen Sklaven auf sich zog, indem sie dessen Uniform vollkotzte. Zum Glück verriet er sie nicht an die Wache. Es war schön zu sehen, dass sich nicht jeder auf die Spielchen des Fürsten einließ. Dennoch war Zarifa heute wohl drauf und dran gewesen, ihr Tischrecht wieder zu verlieren, denn sie arbeitete maximal halb so produktiv wie sonst, was ihr zwischendurch auch einige Stockhiebe der Wachen einbrachte.
Während sie so am Tisch saß und immer noch unter Kopfschmerzen litt, dachte sie darüber nach, was sie an diesem Tag motiviert hatte. Sie und Tekin hatten sich geküsst. Zwar jetzt nicht unbedingt auf die romantische Art, wie sie es sich vielleicht vorgestellt hatte, aber sie hatten es getan. Und allein der Gedanke daran erfüllte sie mit Wärme. Sie wusste jetzt, was dieses Gefühl war, dass sie zuvor noch nicht richtig einordnen hatte können. Sie war verliebt. Zum ersten Mal so richtig. Es schien, als hätte sie dieses Gefühl schon seit der Abreise aus Umbar motiviert, auch wenn sie es aufgrund der Trauer um Ziad, des Hasses auf Kazimir, Yasin und Hasael und dem zeitweisen Verlust ihres Lebenswillens nicht sofort erkannt hatte. Er war so nett zu ihr gewesen und gleichzeitig so schön. Aber empfand er auch das Selbe für sie? Zählte so ein Kuss im Alkoholrausch überhaupt? Sie hatten seit gestern Nacht nicht mehr miteinander gesprochen. Hauptsächlich weil Sprechen zu schmerzhaft gewesen wäre. Möglicherweise erinnerte Tekin sich gar nicht mehr an das, was gestern Nacht zwischen ihnen passiert war? Sie mussten unbedingt noch einmal nüchtern miteinander sprechen.
Außerdem hatten sie auch davon gesprochen, von hier zu fliehen. Aber war das überhaupt möglich? Oder war das nur die Phantasie von zwei betrunkenen Sklaven gewesen? Immerhin hatte Tekin schon bewiesen, dass Kazimir nicht das organisatorische Talent des Fürsten besaß. Aber dennoch war es riskant. Und Zarifa hatte Angst. Angst vor der möglichen Strafe. Angst vor dem, was sie erwarten würde, wenn man sie erwischte. Kazimir hatte seine Grausamkeit bei der Ermordung Ziads bereits unter Beweis gestellt. Etwas Ähnliches wollte Zarifa niemals wieder durchmachen. Und immerhin hatte sie es mit harter Arbeit und geducktem Kopf bereits zu einigen Annehmlichkeiten gebracht. War es nicht leichter, einfach so weiterzumachen wie bisher und die letzte Nacht zu vergessen?
Nein, sagte sie mahnend zu sich selbst. Du darfst nicht zulassen, dass das System von Radomir funktioniert. Er will genau das erreichen. Er will, dass die Sklaven nur darauf aus sind, die möglichen Belohnungen einzuheimsen anstatt sich gegen ihre Herren aufzulehnen. Er will, dass die Sklaven sich gegenseitig misstrauen. Doch ich vertraue Tekin und er vertraut mir. Wir lieben uns (hoffe ich). Und wir wollen hier weg. Wir werden es schaffen. Wir werden gemeinsam von hier fliehen. Wir brauchen nur einen Plan.
Abrupt stand Zarifa auf, um augenblicklich mit Tekin über diesen Plan zu sprechen, doch dabei schoss der Schmerz wieder zurück in ihren Kopf.
Autsch! Okay, das Ganze kann auch bis morgen warten. Jetzt sollte ich lieber schlafen gehen... und ich darf dieses Teufelszeug nie wieder anrühren.
« Letzte Änderung: 8. Okt 2017, 21:24 von Rohirrim »
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Rohirrim

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Re: Anwesen des Fürsten von Gorak
« Antwort #5 am: 6. Okt 2017, 16:28 »
Alles war bereit. Die letzten zwei Tage hatten Tekin und Zarifa akribisch damit verbracht, einen Plan zu schmieden und den hatten sie jetzt. Sie würden sich in einem günstigen Moment in Kazimirs Büro im ersten Stock schleichen und den Dienstplan für die Wache fälschen, der an diesem Nachmittag ausgehängt werden sollte. Da sie heute für die Nachtschicht eingeteilt waren, hatten sie die Zeit dazu. Sie würden dafür sorgen, dass die Ausgänge und der Hof unbewacht sein würden. Aufgrund von Kazimirs Unfähigkeit, würde das zunächst nicht verdächtig auffallen und es würde ihnen ein kurzes Zeitfenster zur Fluchtmöglichkeit geben. Tekin meinte, er würde dafür sorgen, dass die Tür unbewacht und nicht abgeschlossen sein würde. Zarifa wusste zwar nicht, wie er das anstellen wollte, doch sie vertraute Tekin. Allerdings schien dieser das Vertrauen nicht zu erwidern, was die junge Haradan ziemlich verunsicherte. Zumindest hatte Tekin sich am Vortag sehr merkwürdig verhalten. Ständig hatte er ihr zugeflüstert, dass sie ihm vertrauen müsse und dabei extrem darauf geachtet, dass niemand sie beobachtete. Was sollte das? Wieso sollte sie ihm denn nicht vertrauen? Immerhin hatten sie sich bereits geküsst. Sie mochten einander. Sie hatten sich doch ausgesprochen und sich gegenseitig gestanden, dass ihre Zuneigung füreinander nicht nur Folge des übertriebenen Alkoholkonsums war, sondern echt. Wieso stellte Tekin das jetzt infrage? Und wieso blickte er sie die ganze Zeit so besorgt an. Hatte er etwa doch keinen echten Plan? Seine ständigen Ermahnungen, ihm zu vertrauen, hatten eher das Gegenteil bewirkt. Und dann hatte er sie auch noch mehrfach gefragt, ob sie Schlösser knacken und klettern könnte, ohne jedoch auf ihre Nachfrage, wieso er das wissen wollte, zu antworten. Es schien fast, als würde er Informationen vor ihr zurückhalten und einen eigenen Plan schmieden.
Je länger Zarifa, über Tekins merkwürdiges Verhalten nachdachte, desto weniger glaubte sie daran, dass es wirklich eine gute Idee war, den Plan heute durchzuziehen. Sie wollte daran glauben, doch die Angst davor, was passieren würde, wenn man sie erwischte. Doch andererseits konnte und wollte sie jetzt nicht zweifeln. Nicht jetzt, wo sie zum ersten Mal in ihrem Leben spürte, was Liebe war. Wenn sie dem Mann den sie liebte nicht vertrauen konnte, was bedeutete die Liebe dann überhaupt? Oder war sie inzwischen schon blind vor Liebe geworden?
Nein, denk sowas nicht, ermahnte Zarifa sich selbst. Es wird alles gut. Der Plan wird funktionieren und Tekin und ich werden frei sein. Oh Mist, schon so spät. Zeit nach oben zu gehen.

Zarifa betrat den ersten Stock und traf sich dort mit Tekin. Erleichtert stellte sie fest, dass er offenbar Wort gehalten hatte, denn die Tür zu Kazimirs Büro war unbewacht.
„Ah da bist du ja. Sollen wir?“, fragte Tekin mit einem leichten Zittern in der Stimme, das er anscheinend nicht ganz unterdrücken konnte. Auch Zarifa fühlte sich etwas unsicher, nickte aber und die beiden betraten Kazimirs Büro. Die Tür war tatsächlich nicht abgeschlossen. Eine Woge der Erleichterung durchfuhr Zarifa. Tekin hatte Wort gehalten. Er hatte einen Plan gehabt. Sie konnte ihm vertrauen.
„Also, wo ist der Dienstplan für die Wachen?“, fragte Zarifa und ging ein paar Schritte auf den Schreibtisch zu, um mit der Suche zu beginnen. Sie hatten nicht viel Zeit. Doch Tekin blieb stehen. Sie spürte seinen Atem im Nacken. Verwundert drehte sie sich um und blickte direkt in Tekins braune Augen. Er wirkte gequält. Verzweifelt. Tränen standen ihm in den Augen. In der Hand hielt er eine Glasflasche. „Bitte vertrau mir. Es tut mir leid“, hauchte er, bevor er zuschlug. Die Glasflasche traf auf Zarifas Kopf und die junge Frau sah nur noch schwarz.
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Re: Anwesen des Fürsten von Gorak
« Antwort #6 am: 8. Okt 2017, 02:27 »
Zarifa schlug die Augen auf. Sie lehnte mit zusammengebundenen Händen und Füßen an einer Wand. Ihr Kopf schmerzte. Ihre Kleidung lag neben ihr zerrissen auf dem Boden. Zunächst wusste die junge Haradan all diese Dinge nicht so recht einzuordnen. Doch dann trafen sie die Erinnerungen wie ein Schlag. Der Plan, Tekins merkwürdiges Verhalten, die offene und unbewachte Tür, Tekins zögern und schließlich der Schlag mit der Glasflasche. Sie hatte ihn geliebt und dachte, umgekehrt gelte das gleiche. Doch Tekin hatte sie verraten und sie hier nackt und gefesselt in Kazimirs Büro zurückgelassen. Wieso hatte er das getan? Hatte Kazimir ihm eine Belohnung dafür versprochen, genau wie all die anderen Sklaven belohnt wurden, die Regelverstöße petzten? Das wäre zumindest nicht überraschend. Was Zarifa jedoch überraschte, war, dass Tekin darauf eingegangen war. Wut stieg in der jungen Frau auf. Gab es denn auf dieser gesamten verfluchten Welt nicht einen Menschen, dem man vertrauen konnte? Waren alle einfach nur egoistische, auf den eigenen Vorteil bedachte, geldgeile Arschlöcher?
Nein, dachte sie. Es gab einen Menschen, dem ich vertrauen konnte. Der mich bereits als kleines Baby vor dem sicheren Tod gerettet hatte und seitdem immer für mich da gewesen war, wenn er die Möglichkeit dazu hatte. Doch der ist Tod. Warum musste ausgerechnet an ihm ein Exempel statuiert werden? Hätte Kazimir nicht stattdessen einfach Tekin töten können? Dann wäre mir all das hier erspart geblieben. Ziad hätte mich nicht hintergangen. Für keine Belohnung auf dieser Welt. Er war immer loyal. Im Gegensatz zu Tekin...
Je länger Zarifa über Tekin nachdachte, desto zorniger wurde sie. Wie hatte er ihr das nur antun können?
Falls ich es irgendwie schaffe hier raus zu kommen, wird Tekin bezahlen. Ich werde ihn aufspüren und töten. Und wenn es das letzte ist, was ich tue. Seine letzten Worte schossen ihr in den Kopf: [/i]„Bitte vertrau mir. Es tut mir leid.“ Was zur Hölle soll das bedeuten?[/i]

Die Tür ging auf und Kazimir betrat den Raum. Sofort schossen wieder Gedanken Zarifas Kopf, die sie eigentlich verdrängen wollte. Gedanken an Ziads Leiche. Den Dolch, der seinen Körper durchbohrte. Den Geschmack seinen Blutes. Sie schloss die Augen. Sie konnte den Anblick dieses Mannes einfach nicht ertragen.

„Ah, der Junge hat also Wort gehalten. Wie schön“, sagte Kazimir mit einer höchst selbstzufriedenen, arroganten Stimmlage, während er die Tür schloss.
„Mir ist zu Ohren gekommen, dass du meine Warnungen ignoriert hast. Ich dachte, der Tod deines Freundes wäre dir eine Lehre gewesen, dich nicht gegen mich aufzulehnen. Doch da habe ich mich offenbar getäuscht. Du hast zusammen mit diesem Jungen Pläne geschmiedet, von hier zu entkommen. Dachtest du, mir würde so etwas nicht auffallen. Dachtest du, meine Wachen wären blind? Nun ja, wie auch immer. Ich wusste, dass ich dich nicht zur Kooperation bewegen können würde. Doch ich wollte dem Anderen eine Chance geben. Ich dachte, er wäre vielleicht etwas vernünftiger als du und anscheinend hatte ich Recht. Ich habe ihm die Freiheit und etwas Geld angeboten, wenn er dich hier in diesem Zustand in meinem Büro hinterlässt.“
Darum war die Tür also offen und unbewacht, schoss es Zarifa durch den Kopf.
„Und tada, hier bist du. Weißt du, was wir mit Ungeziefer machen, dass sich gegen seine Herren auflehnt? Wir sorgen dafür, dass es sich auf andere Weise nützlich machen kann. Wir sind schließlich keine Unmenschen, weißt du? Bei uns bekommt jeder, der einen Zweck erfüllen kann die Chance, das auch zu tun, selbst wenn sich derjenige oder diejenige zuvor bereits als unnütz erwiesen hat. Und du hast sehr viel Potential, was wir ausnützen können. Weißt du, es gibt bei uns sehr viele, hart arbeitende Leute, die ab und an einfach mal ein wenig Entspannung brauchen. Und gibt es eine bessere Art der Entspannung als die... Vergnügung mit einem hübschen Mädchen? Zumindest keine, die mir bekannt wäre. Du wirst diese Entspannung sein. Du musst auch gar nicht so viel tun. Einfach nur rumstehen, dein Maul halten und dich nicht widersetzen. Klingt einfach oder?“ Zarifa bekam mit jedem gesprochenen Wort mehr und mehr das Bedürfnis, sich zu übergeben. Das konnte er doch unmöglich ernst meinen? Doch dann erinnerte sie sich zurück an die Frau, die einst die Höchststrafe für schlechtes Benehmen hatte erleiden müssen. Auf einmal ergab es einen Sinn, dass sie nicht darüber hatte sprechen wollen. Zarifa hätte in diesem Augenblick alles getan, um dieser Strafe zu entgehen. Verzweifelt ruckelte sie mit den Armen, um sich irgendwie von den Fesseln zu befreien. Dabei stellte sie fest, dass die Fesseln relativ locker saßen. Gleichzeitig drang ein seltsamer Geruch in ihre Nase.
Wie merkwürdig

„FEUER!“ Kazimir schnellte herum. Hastige Schritte waren zu hören und der Gestank nach Rauch wurde immer prägnanter. Ohne der jungen Haradan auch nur einen weiteren Blick zuzuwerfen, verließ Kazimir sein Büro, um der Sache auf den Grund zu gehen. Zarifa war nun wieder allein. Nun, da sie einmal festgestellt hatte, dass ihre Hände nur sehr locker zusammengebunden waren, hatte sie keine großen Schwierigkeiten, sich selber zu befreien. Sie lachte bei dem Gedanken an Tekins Unfähigkeit. Was würde Kazimir wohl dazu sagen, wenn er feststellen musste, dass Tekin zwar der Egoistische von den Beiden war, aber gleichzeitig auch der Unfähige. Mit den befreiten Händen war es nun auch kein Problem mehr, die Fußfesseln zu lösen. Sie war frei und sah sich um. Was jetzt?
Vor der Tür waren immer noch hastige Schritte zu hören. Das Feuer musste ganz in der Nähe sein. Durch die Tür konnte sie also nicht gehen. Doch hier bleiben konnte sie auch nicht. Wenn man sie fand, würde man sie einfach erneut fesseln. Sie musste hier weg. Vielleicht durch das Fenster? Bei einem Brand in der Wohnung, würde doch bestimmt niemand bemerken, wenn sich jemand durch den Garten davonschleichen würde? Doch wie sollte sie die Glasscheibe kaputt kriegen? Ein einfacher Faustschlag war sehr riskant. Das hatte Ziad ihr bereits in sehr jungen Jahren eingeschärft. Bei einem Einbruch niemals das Fenster einschlagen. Zum einen wegen des Lärms, aber vor allem wegen der möglichen Schnittverletzungen, die im schlimmsten Fall sogar tödlich enden konnten. Moment, was ist das? Ein Hammer auf der Fensterbank? Kazimir ist wohl wirklich nicht der hellste. Oder er hat einfach zu sehr darauf vertraut, dass Tekins Fesseln sicher wären. Wie naiv, dachte Zarifa spöttisch. Da war er, der Weg hier raus und in die Freiheit. Sie musste nur aufpassen, dass niemand das Klirren des Glases hörte. Zum Glück ging es vor der Tür immer noch sehr laut zu. Die Löscharbeiten mussten noch in vollem Gange sein. Zarifa schloss die Augen und hoffte. Irgendwann musste sie doch auch mal wieder Glück haben.
*KLIRR*
Das Glas ging zu Bruch. Ängstlich blickte Zarifa zur Tür. Doch dahinter ging es immer noch genauso laut zu wie zuvor. Anscheinend hatte niemand etwas gehört. Erleichtert atmete sie auf. Die Wand herunterzuklettern würde eine ihrer leichteren Übungen sein. Immerhin waren sie gerade einmal im ersten Stock. Zarifa blickte noch einmal auf ihre Kleidung, doch die war völlig zerstört. Und für eine Reparatur blieb keine Zeit. Sie musste hier weg. Vorsichtig, und darauf bedacht sich nicht an den Scherben zu schneiden, kletterte Zarifa durch das Fenster. Dreißig Sekunden später hatte sie festen Boden unter den Füßen. Sie hatte es geschafft.
Während sie durch den Garten schlich und dabei erleichtert feststellte, dass tatsächlich gerade niemand hier war, ließ sie ihre Flucht noch einmal Revue passieren. Sie hatten wirklich verdammt viel Glück gehabt. Ihre locker anliegenden Fesseln, das Feuer im richtigen Augenblick, der Hammer auf der Fensterbank... Plötzlich kam ihr ein Verdacht.

„ZARIFA“, hörte sie den Ruf, als sie sich dem Zaun des Anwesens näherte. Es war Tekin. Er kam auf sie zugerannt, ein weißes etwas vor sich ausgestreckt und demonstrativ zur Seite blickend. „Bitte, Bitte verzeih mir“, stammelte er mit sich überschlagender Stimme. „Ich hatte keine Wahl. Ich wurde gezwungen. Ich habe alles getan, um deine Flucht zu ermöglichen. Ich wusste, du würdest es schaffen. Hier, ich habe Kleidung für  dich besorgt und bin dann hierher zurückgekehrt, um...“
*KLATSCH*
Zarifa hatte ihm eine saftige  Ohrfeige verpasst. „Warum hast du Mistkerl mich denn nicht eingeweiht? Ich wäre vor Angst fast gestorben.“ „Nun, äh, ich...“, begann Tekin und wagte nun doch einen vorsichtigen Blick auf Zarifa. Sie blickte ihn wütend an, doch innerlich war sie fast ein bisschen belustigt über Tekins Verunsicherung. Auch wenn sie gleichzeitig immer noch zornig darüber war, dass er ihr nichts gesagt hatte. Sie riss ihm das Kleidungsstück aus der Hand, was er immer noch vor sich ausgestreckt hielt. Es war ein einfaches, kurzes, weißes Kleid, fast wie Zarifa es früher getragen hatte. Nur etwas professioneller hergestellt. Sie warf es sich schnell über, während Tekin weiter stammelte und wieder demonstrativ wegsah. „Ich konnte es doch nicht riskieren. Kazimir hat mitbekommen, dass wir etwas planten. Und er hat angekündigt, mich genau im Auge zu behalten. Wenn er auch nur den Verdacht geschöpft hätte, dass ich dich einweihe, wäre ich Tod gewesen. Oder schlimmeres.“ Vermutlich eher schlimmeres, dachte Zarifa.
*KLATSCH*
Sie hatte Tekin noch eine Ohrfeige verpasst. „Sieh mir gefälligst in die Augen!“ Tekin blickte sie mit seinen wunderschönen braunen Augen an. Eine Träne kullerte seine Wange herunter. „Es tut mir... wirklich Leid. Ich weiß, ich habe es nicht verdient, aber bitte... verzeih mir. Ich mache alles wieder gut“; schluchzte er. Zarifa konnte nicht anders. Sie grinste. „Gehen wir ein Bier trinken?“

Zarifa und Tekin in die Straßen von Gorak
« Letzte Änderung: 10. Okt 2017, 15:24 von Rohirrim »
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Re: Anwesen des Fürsten von Gorak
« Antwort #7 am: 21. Okt 2017, 01:38 »
Zarifa und Tekin aus den Straßen von Gorak

Heute werde ich meine Rache bekommen. In weniger als einer Stunde wird Kazimir, der Mörder von Ziad, tot vor mir liegen. Ich kann es vor mir sehen. Gelöste Fesseln, ein erschrockenes Gesicht, ein silbern schimmernder Dolch, aufspritzendes Blut und das befreiende Gefühl der Vergeltung.
Ein befreiendes Gefühl. Wird es wirklich befreiend für mich wirken? Auch wenn ich nicht mehr physisch eingesperrt bin, so bin ich dennoch gefangen in meinen eigenen Gefühlen. All diese Bilder: Ein silberner Dolch, Blutspritzer auf meiner Kleidung, ein Keuchen... Ziads Leiche... ein blutiger Dolch in meinem Mund. Ich kriege sie einfach nicht aus dem Kopf.


Und plötzlich schoss Zarifa noch ein anderes Bild durch den Kopf: das Bild eines zahnlosen Grinsens.

Schluss damit! Kazimir ist dafür maßgeblich verantwortlich. Er hat mir diese Bilder in den Kopf gepflanzt. Ich hoffe nur, dass sein Tod mir wirklich helfen kann. Was wenn nicht? Wäre ich dann im Grunde nicht auch nur ein Mörder wie jeder andere? Rede ich mir vielleicht sogar nur ein, dass ich ihn töten muss, um mich selber zu retten? Oder will ich einfach nur töten? Für das was er mir angetan hat?

Nun tauchte ein anderes Bild vor ihrem geistigen Auge auf. Ein weinender Junge, der durch ein Fenster dabei zusieht, wie sein Vater Tod geprügelt wird. Stumme Tränen rollen seine Wangen herunter. Zarifa verkniff es sich, selbst eine Träne zu verdrücken.

Wie dem auch sei. Es gibt keine Entschuldigung, für Kazimirs Verhalten. Er hat den Tod verdient. Genau wie der Kaufmann, der Ziad gefangen gehalten hatte, es nicht anders verdient hatte. Es ist tragisch, dass diese Menschen eine Familie haben, die sie vermissen wird. Doch darauf kann ich keine Rücksicht nehmen. Selbst wenn es mir nicht hilft, so ist die Welt in jedem Fall besser ohne Kazimir dran. Und das wäre doch auch zumindest schonmal etwas. Ist das vielleicht sogar die Lösung für die allgemeine Ungerechtigkeit? Die Herrschenden töten? War ich in meinen bisherigen Anstrengungen vielleicht einfach nicht radikal genug? Kann man das System vielleicht nur verändern, indem man es mit Gewalt zerschlägt? Aber wäre man dann überhaupt besser als die kriegstreibenden, slavenhaltenden und ungerechten Herrscher? Eine schwierige Frage.
Egal, das ist heute nicht so wichtig. Heute ist es was Anderes. Und heute muss ich konzentriert bleiben. Ich darf mich nicht ablenken lassen. Dafür ist das hier zu wichtig. Oh, wir sind da.


Sie standen vor dem großen Tor zum Anwesen des Fürsten. Fast zwei Wochen war es inzwischen her, dass Zarifa zum ersten Mal vor diesem Tor stand. Damals hatte sie Angst gehabt, weil sie nicht wusste, was sie erwarten würde. Heute fürchtete sie sich vor dem, was sie tun würde. Tekin hatte sie mit auf dem Rücken zusammengebundenen durch die Stadt geführt. Zumindest sah es danach aus. Er hatte der Wache am Stadttor erklärt, er habe Zarifa in den bergen gefunden und wolle sie persönlich zu Kazimir bringen, um eine Belohnung abzustauben. Die Wache war nach kurzer Diskussion einverstanden gewesen, hatte jedoch auf eine Begleitung bestanden. Die Wache, die dafür auserkoren worden war, redete nun mit der Wache des Anwesens und erklärte die Situation. Wenige Augenblicke später wurden sie hereingelassen und von einer Wache des Anwesens in Richtung des Hauses geleitet.

„Ich werde euch unverzüglich zu Kazimir ins Büro bringen. Ihr habt euch eure Belohnung redlich verdient, Tekin. Ich bin mir sicher, Kazimir wird sehr zufrieden sein und sich entsprechend erkenntlich zeigen.“

Zarifa erinnerte sich daran, wie sie vor fast zwei Wochen hier im Gänsemarsch mit den anderen Sklaven lang laufen musste. Sie war damals an ihrem Tiefpunkt gewesen. Immer noch traurig über Ziads Verlust, immer noch traumatisiert von Yasins und Kazimirs Misshandlung und große Angst bezüglich der Zukunft. Ohne Tekin, überlegte sie, hätte sie es niemals da durch geschafft. Hatte sie ihm eigentlich jemals wirklich dafür gedankt? Sie beschloss, das unmittelbar nach der ganzen Aktion nachzuholen. Sie hatte damals dringend jemand gebraucht und Tekin war dieser Jemand gewesen. Er war der Einzige, der sich für sie zu interessieren schien. Die anderen Sklaven, die Zarifa noch aus ihrer gemeinsamen Zeit aus Umbar gekannt hatte, hatten kaum noch mit ihr gesprochen. Einige hatten vermutlich zu viel Angst, andere gaben ihr vielleicht sogar dir Schuld für die Gefangennahme.
Und ganz Unrecht hätten sie damit nicht, dachte Zarifa verbittert. Eines Tages werde ich diese ganze Sklavenhaltung hier auflösen. Doch heute ist erst einmal Kazimir dran.

Sie betraten das Haus und gingen direkt in den ersten Stock zu Kazimirs Büro. Die Bediensteten, an denen sie vorbeikamen, staunten nicht schlecht und es gab viel Getuschel hinter ihrem Rücken. Wenige Augenblicke später klopfte eine Wache an Kazimirs Tür und sie traten ein. Als Kazimir die junge Südländerin erblickte, breitete sich ein Grinsen auf seinem Gesicht aus. Er wirkte euphorisch, fast wie in Ekstase. Zarifa dagegen kamen sofort wieder die altbekannten Bilder in den Sinn und ihr Hass aber auch ihre Entschlossenheit wuchs. Dies war der Moment. Sie war so nahe. Ziad würde gerächt. Sie selbst würde wieder frei sein. Der Mann, den sie mehr als alles Andere auf der Welt verachtete, würde endlich tot sein. Nur noch ein paar Minuten musste sie ruhig bleiben. Sich nichts anmerken lassen. Ihren Plan nicht durch Gesten und Mimik preisgeben. Nachdem eine der Wachen kurz erklärt hatte, was passiert war, blickte Kazimir Tekin freudestrahlend an.

„Ich wusste doch, dass auf dich Verlass ist. Weißt du, ich hatte meine Zweifel, ob du wirklich Wort gehalten hattest, oder ob du Zarifa hier doch in unser kleines Geschäft eingeweiht hattest. Doch hier stehst du nun und lieferst sie mir aus. Etwas, was meine Leute tagelang erfolglos versucht haben.“

Er blickte streng zu den Wachen, die sich noch im Büro befanden. Diese blickten demütig zu Boden.

„Ihr könnt wegtreten. Ich brauche euch nicht mehr. Dies ist eine Sache zwischen Tekin, Zarifa und mir.“

Die Wachen taten, wie ihnen geheißen.

„Also, das entflohene Vögelchen ist wieder da. Weißt du, es hat mir gar nicht gefallen, als ich nach dem Brand zurück in mein Büro kam und feststellen musste, dass du von deinem zugewiesenen Platz abgehauen warst. Weißt du, wir alle haben im Leben eine Rolle zu spielen. Und ich hatte eine Rolle für dich auserkoren. Niemand anderes in dieser Stadt würde einer dunkelhäutige, vorlaute junge Frau auch nur den Hauch eines Nutzens zusprechen. Doch ich, großzügig wie ich nunmal bin, weiß, dass in jedem Menschen ein Nutzen steckt. Ich wusste, du als eines der hübschesten Exemplare unter dem Ungeziefer, würdest eine hervorragende Leistung bei der *Motivation* unserer männlichen Angestellten leisten. Doch du wolltest dieses Geschenk meinerseits nicht annehmen. Niemals erkennt das Ungeziefer, wenn jemand höhergestelltes ihnen eine Gnade erweist. Doch so ist Ungeziefer nunmal. Es kann nicht denken.“

Zarifa wurde schlecht. Sie erinnerte sich noch zu gut an die „Rolle“, die Kazimir für sie auserkoren hatte und am liebsten hätte sie sich genau in diesem Augenblick schon auf ihn gestürzt und ihn erwürgt. Doch das wäre unklug. Sie musste ihren Zorn noch ein wenig im Zaum halten. Nur noch ein kleines bisschen länger.

„Aber, ich will mal nicht so sein. Ich weiß, du hast Potenzial, auch wenn du dich weigerst, es auszuschöpfen. Meine männlichen Bediensteten werden noch viel Freude an dir haben. Doch zunächst, möchte ich dir Tekin, den Vortritt lassen. Neben einer weiteren finanziellen Belohnung, hast du denke ich auch ein Interesse daran, dich von dem *Potenzial* unserer jungen Freundin hier zu beeindrucken oder?“
„Nun, wenn sie das so ausdrücken wollen...“; antwortete Tekin. Zarifa bebte innerlich.
„Na dann komm mal mit.“

Kazimir betätigte einen Schalter und auf der gegenüberliegenden Seite des Zimmers tat sich eine Geheimtür auf.

„Das, mein lieber Tekin, ist meine Lieblingskammer. Ich bin mir sicher, du wirst alles finden, was du brauchst. Tob dich ruhig aus. Dir steht alles zur Verfügung. Sorg nur dafür, dass sie am Leben bleibt. Alles andere ist mir egal.“

Scheiße, eine extra Kammer? Hoffentlich denkt Tekin mit. Das gehört nicht zum Plan. Von meinen Fesseln bin ich bereits befreit. Es kann eigentlich nichts mehr schief gehen, wenn Tekin jetzt gut improvisiert.

„Ähm Sir.... ich hab da nochmal eine Frage, doch ich befürchte, es könnte unhöflich sein.“
„Nur raus damit mein Junge. Du hast mir heute einen großen Dienst erwiesen. Da kann man sich ein bisschen Unhöflichkeit ruhig erlauben.“
„Also, sie haben da doch diesen Dolch, mit dem sie Ziad getötet haben... Könnte ich mir den, nun eventuell ausleihen? Ich möchte bei Zarifa gerne einige... Erinnerungen wecken. Wenn sie verstehen, was ich meine.“
„Ah, ich verstehe. Sie schätzen die Macht von seelischen Schmerzen ebenso wie die Körperlichen. Genau wie ich. Also gut. Aber nicht zu tief reinbohren.“
Er gab Tekin den Dolch.
„Keine Sorge. *Ich* werde diesen Dolch nicht zu tief reinbohren.“

Das war der Moment. All der Zorn, der sich in Zarifa innerhalb der letzten Minuten aufgestaut hatte, entlud sich. Sie riss die Hände von ihrem Rücken, nahm den Dolch an sich und stürzte sich auf Kazimir. Der war nicht in der Lage, die plötzliche Wendung schnell genug wahrzunehmen. Er rührte sich nicht von der Stelle. Blut spritzte auf. Kazimir keuchte. Tekin reagierte schnell und stopfte dem Vertreter des Fürsten seine Faust in den Mund, um den Schrei zu ersticken.
„Das ist für Ziad, du Bastard“, flüsterte Zarifa mit so viel Zorn in der Stimme wie nur möglich. Am liebsten hätte sie geschrien, doch dann wären sie innerhalb von Sekunden von Wachen umzingelt. Kazimirs Augen weiteten sich. Zarifa zog den Dolch wieder zu sich und der Mörder von Ziad ging ebenso hilflos wie sein Opfer damals zu Boden. Dieser Gedanke machte Zarifa fast wahnsinnig. Dieses Arschloch starb auf die gleiche Weise wie Ziad? Das war nicht richtig. Das reichte nicht. Wie im Wahn begann Zarifa, mit dem Dolch auf Kazimirs sich ohnehin kaum noch rührenden Körper ein. Zarifas Kleid wies inzwischen mehr rote als weiße Stellen auf.

„Hey Zarifa, das reicht“, meinte Tekin und zog die junge Haradan weg.
„Was soll das heißen? Dieser Mann hat Ziad getötet? Wie kann da irgendetwas reichen.“
„Er ist tot. Und wir müssen hier weg.“
„Aber...“
„HERR; WAS IST DA DRINNEN LOS?“
„Okay, du hast recht. Weg hier.“

Wie sie gehofft hatten, war das Fenster noch nicht wieder repariert worden. Dies war ihr Ausweg. Es war ihnen gelungen.

Zarifa und Tekin in die umliegenden Berge von Gorak
« Letzte Änderung: 28. Okt 2017, 00:47 von Rohirrim »
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Re: Anwesen des Fürsten von Gorak
« Antwort #8 am: 3. Nov 2017, 00:11 »
Zarifa aus den umliegenden Bergen von Gorak

„Ich will ganz offen zu dir sein: Ich halte dich für sehr talentiert, Zarifa.“ Sie hatten soeben das Anwesen Radomirs erreicht. „Du hast es geschafft meinen Vertreter zu töten, ohne erwischt zu werden. Das verdient Bewunderung und ich fände es schade, dein Talent zu verschwenden. Von daher wirst du nun erneut Zeugin meiner Großzügigkeit. Ich werde deine Worte von vorhin einfach vergessen und dir eine weitere Chance geben. Ich will dich in meinen Diensten.“
Zarifa antwortete nicht. Sie stand in der Eingangshalle umgeben von Wachen und durfte sich nun diese Worte von dem Mann anhören, der vor weniger als einer Stunde Tekins Tod befohlen hatte. Sie traute ihren Ohren nicht. Glaubte Radomir wirklich, dass sie das einfach vergessen? Dass ihr eine Anstellung bei ihm mehr Wert war, als das Leben ihrer ersten großen Liebe?
Radomir schien zu ahnen, was in der jungen Frau vorging.
„Es fällt dir schwer, Tekin zu vergessen, nicht wahr? Aber ich hatte nunmal keine andere Wahl. Hätte ich ihn am Leben gelassen, hätte das ein falsches Signal gesendet. Und jetzt ist es ohnehin vorbei. Du musst jetzt an dich selber denken, wenn du Tekins Schicksal nicht teilen willst.“
Lieber sterbe ich, als irgendeinen Handel mit dir einzugehen, hätte Zarifa fast gesagt, doch sie entschied sich, vorläufig noch abzuwarten. Möglicherweise ergab sich ja noch eine bessere Gelegenheit. Auch wenn Zarifa allmählich Frieden mit dem Gedanken schloss, dass es aus ihrer derzeitigen Situation keinen Ausweg gab. Radomir war im Gegensatz zu Kazimir extrem gut organisiert und fähig. Er hatte es innerhalb eines Tages geschafft sie zu finden – etwas was Kazimir in über einer Woche nicht geschafft hatte. Und er würde sie nicht wieder entkommen lassen. Sollte sie also vielleicht doch eine Weile mitspielen? So tun, als hätte sie alles vergessen? Zum Schein auf Radomirs Seite stehen, um im entscheidenden Moment zuschlagen zu können? Das Bild von Tekins abgetrenntem Kopf, der ihr von Radomir ins Gesicht gepresst wurde, erschien vor ihrem geistigen Auge. Angewidert blickte sie zu Radomir auf, sagte jedoch weiterhin nichts.
Nein, eine Zusammenarbeit kam nicht infrage. Nicht einmal zum Schein. Ihre Abscheu für diesen Mann war nicht in Worte zu fassen. Dies war der Mann, der hinter all ihrem Unglück steckte. Der Mann, der sie als Sklavin aus Umbar gekauft hatte. Der Mann, der Kazimir befohlen hatte nach Umbar zu fahren und damit letztlich auch Ziads Tod herbeigeführt hatte. Der Mann, der seine Sklaven wie Dreck behandeln ließ. Und der Mann, der Tekin hatte töten lassen und sie anschließend mit dem abgetrennten Kopf von Tekin verhöhnt hatte. Kazimir war nur ein Handlanger gewesen. Grausam und schrecklich, doch letztlich nur ein Handlanger. An den Vorgängen in diesem Anwesen hatte Kazimirs Tod rein gar nichts geändert. Es war Radomir, der sterben musste.
Zarifa wurde wütend und traurig zugleich. Sie wollte Radomir töten, wie sie auch Kazimir getötet hatte. Doch sie hatte keine Möglichkeit dazu. Sie befand sich in Gefangenschaft. Und mit Tekin war auch ihr einziger Verbündeter in der Stadt gestorben. Sie war also komplett auf sich allein gestellt. Denn wer sonst wäre dumm genug, einen Anschlag auf Fürst Radomir in dessen eigenem Anwesen zu versuchen?
Nein, niemand würde kommen und sie selbst konnte nichts tun. Denn so verlockend der Gedanke auch war, sie konnte sich auf keinen Handel mit dem Mann einlassen, der so viel Leid in ihr Leben gebracht hatte. Die altbekannten Bilder tauchten erneut vor ihrem geistigen Auge auf. Und so sehr sie auch versuchte, an etwas anderes zu denken, gelang es ihr nicht. Wie könnte sie, selbst wenn es nur zum Schein war, mit dem Mann zusammenarbeiten, der letztlich für all das verantwortlich war? Finger, die sie berührten, obwohl sie es nicht wollte. Ein silberner Dolch. Blutspritzer auf ihrer Kleidung. Ziads Leiche. Der Geschmack von Blut auf ihrer Zunge. Tekins abgetrennter Kopf in ihrem Gesicht.
Es kam nicht einfach nur darauf an, Radomir zu töten. Es ging hier auch um das Prinzip. Wenn sie Radomir um jeden Preis töten wollen würde, würde sie zum Schein mit ihm zusammenarbeiten, um sein Vertrauen zu erlangen. Doch dann wäre sie mitverantwortlich für das Leid der Sklaven in diesem Anwesen und aller anderen, die unter Radomirs Herrschaft litten. Sie müsste Befehle ausführen, die sie nicht ausführen wollte. Sie müsste Radomir anlächeln, obwohl sie ihm am liebsten einen Dolch zwischen die Rippen rammen würde. Und das konnte sie einfach nicht. Nicht nach Allem, was Radomir getan hatte.
Während Zarifa all diese Gedanken durch den Kopf schossen, wurde sie in Richtung des Raums geführt, in dem Kazimir seine letzten Atemzüge getan hatte, und der inzwischen vermutlich wieder von Radomir als Büro genutzt wurde. Der Fürst ergriff nun erneut das Wort:

„Wie du sicherlich bereits festgestellt hast, gibt es unter meinem Eigentum immer wieder Gesindel, das Fehler begeht. Und wie du sicherlich auch schon festgestellt hast, toleriere ich keine Fehler. Fehltritte müssen bestraft werden. Und hier kommt nun deine zweite beziehungsweise schon dritte Chance ins Spiel. Sei gewarnt, denn eine weitere Chance wird es nicht geben. Auch wenn ich ehrlich zu dir war, als ich sagte, dass ich dich für talentiert halte, solltest du nicht glauben, dass ich auch nur eine Sekunde zögern werde, dich fallenzulassen. Denn letztlich bist du nichts wert. Ich biete dir an, deinem Leben einen Wert zu geben, indem du mir dienen darfst. Wenn du das ablehnst, bist du ein nichts und wirst auch so behandelt.“

Was für ein unfassbar arrogantes Arschloch, dachte Zarifa, während Radomir den Schalter für die Geheimtür zur Folterkammer betätigte. Es geht in die Folterkammer? Was hat Radomir vor? Soll ich etwa gefoltert werden, wenn ich sein Angebot ablehne? Seine letzten Worte klangen jedenfalls nicht so, als wolle er mich töten. Das scheint ihnen allen nicht zu reichen. Doch er hat auch immer noch nicht genau erklärt, was ich jetzt eigentlich für ihn tun soll. Immer noch als Vorkosterin dienen? Oder ist dies ein neues, verbessertes Angebot? Und was geschieht mit mir, wenn ich ablehne?

Ein Schauer des Grauens durchfuhr Zarifa, als sie daran zurückdachte, was Kazimir einst mir ihr vorgehabt hatte. Er hatte davon erzählt, als sie zum Schein gefesselt in seinem Büro gewesen war. Zarifa mochte die Worte nicht einmal in ihrem Kopf wiederholen, so schrecklich war die Vorstellung. War es das, worauf es hinauslaufen würde? Der Tod wäre die bessere Alternative.
Sie betraten nun die Folterkammer. Hier drin war es dunkel. Nur sehr wenige Fackeln erleuchteten den Raum. Zarifa sah viele Gerätschaften, die sie noch nie in ihrem Leben gesehen hatte und deren genauer Zweck sich ihr entzog. Vermutlich ging es aber bei allen Geräten darum, in irgendeiner Form einer anderen Person Schmerzen zuzufügen. Hier spielten sich also vermutlich die meisten Bestrafungen für Sklaven ab. In der Mitte des Raumes war ein gefesselter, junger Mann zu sehen.

„So, da wären wir“, ergriff Radomir nun erneut das Wort. „Hier ist nun deine letzte Chance, Zarifa. Ich mache dir noch einmal das gleiche Angebot, wie vorhin in der Höhle. Ich biete dir an, mich zu beschützen. Du wirst alles in deiner Macht Stehende tun, um einen potentiellen Anschlag auf mich zu verhindern.“
Haben es etwa wirklich Leute auf ihn abgesehen? Oder ist er einfach nur paranoid?, dachte Zarifa.
„Und weil ich dich für wirklich talentiert halte, habe ich hier noch ein kleines Extra für dich. Erkennst du unseren jungen Gast hier?“

Zarifa betrachtete den gefesselten Mann in der Mitte des Raumes nun genauer. Was sollte das alles? Er hatte kurze blonde Locken und ein markantes Kinn. Zarifa erschrak. Sie erkannte ihn tatsächlich wieder. Doch die Erinnerung an ihn steigerte ihre Stimmung nicht im Geringsten. Im Gegenteil. Sie konnte es noch genau vor sich sehen. Es war an ihrem dritten Tag in Gorak gewesen, als eben dieser junge Mann, der schon länger als sie hier gewesen war, mit ihrem alten Laken, welches Zarifa früher als Kleid getragen hatte, in den großen, kahlen Raum im Keller gekommen war. Er hatte ihr einen frechen Blick zugeworfen und anschließend ausgiebig an dem Kleid geschnuppert, bevor er Zarifa eine Kusshand zugeworfen und sich das Kleid in seine Hose gesteckt hatte. Die junge Haradan erinnerte sich noch gut daran, wie gerne sie ihm damals eine reingehauen hätte. Und jetzt hockte eben dieser Mann hier gefesselt in der Mitte der Folterkammer. Was hatte das alles zu bedeuten?

„Ah, dein Blick sagt alles. Du kennst ihn, richtig? Er hat dich verhöhnt, als du an deinem emotionalen Tiefpunkt warst, nicht wahr? Und du würdest nichts lieber tun, als ihm für sein gemeines Verhalten Schmerzen zuzufügen, richtig?“

Zarifa war von sich selbst angeekelt, weil Radomir genau ihre Gedanken aussprach. Er schien sie zu verstehen und das machte sie wütend. Sie wollte nicht von ihm verstanden werden. Sie wollte ihn töten. Doch immer noch sagte die junge Frau kein Wort. Ein kleiner Teil von ihr wollte sogar hören, was Radomir als Nächstes zu sagen hatte, auch wenn der restliche Teil ihres Bewusstseins sie selbst dafür verachtete.

„Nun, es trifft sich, dass dieser junge Mann namens Rami sich in letzter Zeit gar nicht gut geschlagen hat und es jemanden braucht, der ihn wieder auf Linie bringt. Ich schätze mal, so etwa zehn Peitschenhiebe dürften ausreichen. Na, wie klingt das?“

Zarifa nahm wahr, wie eine der Wachen, eine lange Peitsche hervorholte. Unwillkürlich dachte Zarifa an einen kalten kahlen Raum, mit einer verschlossenen Tür, die den einzigen Ausweg darstelle. Sie verwarf den Gedanken und fragte sich, ob Radomir dachte, was sie dachte, was er dachte.

„Ich drücke dir diese Peitsche in die Hand, als Zeichen meines Vertrauens. Du wirst Rami bestrafen. Ich weiß, wie sehr du es willst. Im Gegenzug, wirst du mich beschützen. Und wenn ich nach einer Woche noch lebe und meine Feinde tot sind, stelle ich dich als Angestellte in diesem Anwesen ein. Dies ist das großzügigste Angebot, das ich jemals einer rebellischen Sklavin gemacht habe. Ich bin mir sicher, du wirst mich nicht enttäuschen.“

Es war also wahr. Radomir wollte Zarifas Abscheu gegenüber Rami ausnutzen, um sie gefügig zu machen. Er wollte damit von den noch viel abscheulicheren Taten seiner selbst ablenken. Genau dieses System nutzte er, um seine Sklaven gefügig zu machen. Misstrauen untereinander säen, damit es nicht zum kollektiven Aufstand kommt. Die Aussicht auf ein besseres Leben bieten, wenn man sich lange genug fügte. Das war seine Art und Zarifa hasste, wie gut es funktionierte.

„Los, zieht Rami das Oberteil aus und stellt ihn mit dem Kopf zur Wand“, befahl Radomir und seine Wachen gehorchten sofort. Doch Zarifa würde nicht zulassen, dass Radomirs System auch bei ihr funktionierte. Sie würde sich nicht an ihn verkaufen. Sie würde nicht alles verraten, wofür sie stand, nur um ein einfacheres Leben zu führen. Sie würde nicht zuschlagen. Oder?
Zarifa blickte auf die Peitsche, die Radomir ihr nun in die Hand drückte. Die Worte „süße Diebin“ kamen ihr in den Sinn. Warum, konnte sie zunächst auch nicht so genau sagen.
Wie war es eigentlich, wenn man Geld verdiente, indem man einer Arbeit nach ging? Wenn man nicht täglich darauf angewiesen war, andere Leute zu bestehlen, um zu überleben? Zarifa blickte Rami an, wie er nun mit nacktem Rücken zu ihr stand. Er hatte keinerlei Narben auf dem Rücken, im Gegensatz zu ihr. Er musste bis vor kurzem ein braver kleiner Sklave gewesen sein, dem immer nur auf den eigenen Vorteil bedacht gewesen war. Was hatte er nun getan, um hier zu landen? Es waren gerade Leute wie er, die dafür sorgten, dass Radomirs System der Unterdrückung so gut funktionierte. Weil Leute wie er selber alles tun würden, um sich selbst ein besseres Leben zu ermöglichen, konnte es niemals zu einer Rebellion der eigentlichen Mehrheit kommen. Leute wie er, versuchten in einem ungerechten System, egoistisch das Beste für sich selbst zu erreichen, anstatt gemeinsam und solidarisch mit den Anderen für eine Abschaffung des ungerechten Systems zu kämpfen.
War Rami nicht im Grunde genauso wie Radomir selbst? Egoistisch, machthungrig und skrupellos? Das hatte er doch bereits bewiesen. Ihm fehlte einfach nur die Macht, für grausamere Taten. Und ihr stand er nun vor ihr und sie hatte die Macht, ihm Schmerzen zu bereiten. Doch was sollte das bringen? Letztlich kannte Zarifa ihn doch auch gar nicht.

„Na los, Zarifa. Tu es! Ich weiß doch, wie sehr du es willst. Nur keine Skrupel.“
Vielleicht konnte es doch nicht schaden, das Spiel für eine Weile mitzuspielen? Wenn es wirklich konkrete Anschlagspläne gegen Radomir gab, konnte sie dann nicht zum Schein für ihn arbeiten und insgeheim dafür sorgen, dass der Anschlag gelänge? Erneut blickte Zarifa auf die Peitsche. Ein Schlüssel, der sich im Schloss dreht, kam ihr in den Sinn.
Hatte Rami nicht im Grunde genau das hier verdient? Wen kümmerte es schon, von wem der Befehl kam? Gerechtigkeit war Gerechtigkeit. Sie musste einfach nur ausholen und zuschlagen. Rami bekam was er verdiente und sie selbst würde die Chance erhöhen, dass ein potentieller Anschlag auf Radomir gelingen würde. Was war daran falsch?
Eine sich quietschend öffnende Tür, tauchte vor Zarifas geistigem Auge auf.
Aber hatte Rami das hier wirklich verdient? Konnte sie einem seit Monaten und vielleicht sogar Jahren eingesperrten Mann wirklich vorwerfen, dass er seinem Leben ein wenig mehr Freude verpassen wollte?
Aber diese Freude kam auf meine Kosten, sagte Zarifa innerlich zu sich selbst.
Aber wenn ich jetzt zuschlage, verbessere ich mein Leben auf seine Kosten. Will ich wirklich so tief sinken? Bin ich nicht besser als das? Rami ist ein Sklave, genau wie ich. Wir müssen zusammenarbeiten, antwortete der andere Teil ihres Bewusstseins.

Rami drehte den Kopf nun leicht zu ihr hin. Sie blickte ihm in seine blauen Augen. Und sofort schossen ihr wieder die Bilder in den Kopf. Wie sie selber erschöpft von der Arbeit, um Ziad trauernd und dabei zu versuchen, die Misshandlung durch Yasin zu vergessen, in dem Aufenthaltsraum der Sklaven stand. Und wie dann diese blauen Augen einen gierigen Blick zu ihr hinüberwarfen. Wie dieses schmierige Arschloch ihr altes Kleid in der Hand hielt und daran schnupperte. Es sich letztlich sogar in die Hose steckte und sie anschließend noch mit einer Kusshand verhöhnte. Hass stieg in ihr auf. Rami verdiente das hier. Er war nichts weiter als ein widerliches, auf den eigenen Vorteil bedachtes, triebgesteuertes Arschloch.
Zarifa hob die Peitsche in die Luft, sammelte all ihren Zorn und schlug zu. Der von Rami ausgestoßene Schmerzensschrei durchfuhr Zarifa wie ein elektrischer Schlag. Er halte im gesamten Raum wieder. Und jetzt schossen andere Bilder in Zarifas Kopf. Bilder, von Fingern, die sie berührten, obwohl sie es nicht wollte. Die Erinnerung an Hilfeschreie, die niemand hörte. Und schließlich ein zahnloses Grinsen. Ein zahnloses Grinsen, das zu einem dicken Mann gehörte, der die damals noch sehr junge Zarifa in einem kalten, kahlen Raum mit nur einer verschlossenen Tür als Ausweg aufsuchte. Er baute sich vor dem jungen Mädchen auf, mit einer Peitsche in der rechten Hand.
„NEIN!“, schrie Zarifa. Sie konnte das nicht tun. Rami mochte Vieles sein, doch im Moment war er genau wie sie damals, ein ängstlicher, eingesperrter Mensch, dem schreckliche Qualen drohten und dem niemand zur Hilfe eilen würde. Es gab in diesem Raum nur einen, der diese Schmerzen verdient hatte. Zarifa holte erneut mit der Peitsche aus. Doch diesmal zielt sie auf Fürst Radomir, der in einer Ecke stand und dessen breites Grinsen nun schlagartig zu Eis gefror. „Was zum...?“ Zarifa schlug zu und brachte ihn damit zum Schweigen. Hier ging es nicht um Rami. Hier ging es nicht um Wahrscheinlichkeitsmaxim ierung. Hier hing es um den Unterschied zwischen richtig und falsch. Um den Unterschied zwischen gut und böse. Den Unterschied zwischen dem einfachen Weg und dem richtigen Weg. Kurz gesagt: Hier ging es ums Prinzip.
Doch das Prinzip war der jungen Frau leider nicht freundlich gesonnen, denn sie wurde sofort von Radomirs Leuten überwältigt. Die Peitsche wurde ihr aus der Hand gerissen und sie wurde grob gegen die Wand gedrückt.
„Herr, seit ihr okay?“
„Argh... ja es geht schon. Es ist bedauerlich, dass dieses Gesindel nie erkennt, wann es eine Möglichkeit ergreifen sollte. Los sperrt sie in den Kerker. Ich habe jetzt keine Zeit dafür. Doch keine Sorge, ihr werdet euren Spaß schon noch bekommen. Wir wissen ja zum Glück, was man mit aufständischen kleinen Mädchen tun kann. Doch heute Nacht brauche ich euch alle. Wir müssen uns vorbereiten. Ich bin mir nicht sicher, wie viel Zeit wir noch haben.“

Zwei Männer packten Zarifa nun fest an den Armen und schleiften sie mit. Sie versuchte sich zu wehren, doch es hatte keinen Zweck. Hatte sie überstürzt gehandelt? Hatte sie sich gerade eine Riesenchance durch die Finger gleiten lassen? Doch wie hätte sie Rami weiter auspeitschen können? Er hatte es nicht verdient, genauso wenig wie sie das verdient hatte, was ihr im Alter von elf Jahren geschehen war. Radomir war der wahre Schurke. Und sie hatte alles in ihrer Macht Stehende getan, um ihm so viele Schmerzen wie möglich zu bereiten. Das war zwar nicht viel, doch es war das Richtige. Und wenn sie dafür mit dem Leben bezahlte, dann war das eben so. Ohne Tekin wusste sie ohnehin nicht, was sie mit ihrem Leben noch großartig anfangen sollte. Doch dann kamen Zarifa wieder die Worte von Radomir in den Sinn. Und ihre schlimmsten Befürchtungen schienen sich zu bewahrheiten. Hätte Radomir sie töten wollen, hätte er das einfach getan. Bei Tekin hatte er auch nicht gezögert. Doch er ließ sie einsperren. Das konnte nichts gutes heißen.

Sie waren nun vor einer kleinen Zelle angekommen, in die Zarifa hineingestoßen wurde. Anschließend wandte sich die kleinere der beiden Wachen an die andere Wache:
„Was meinst du? Für einen kleinen Vorgeschmack dürfte doch noch Zeit sein, oder?“
„Das denke ich auch“, antwortete die andere Wache mit einem gemeinen Grinsen.
Die beiden betraten nun ebenfalls die Zelle und schlossen die Tür hinter sich.
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Re: Anwesen des Fürsten von Gorak
« Antwort #9 am: 11. Nov 2017, 00:09 »
Ein Schlüssel drehte sich im Schloss. Zarifa blickte auf. Ein zahnloses Grinsen kam ihr in den Sinn. Die Narben auf ihrem Rücken fingen wieder an zu brennen. Sie hatte gewusst, dass es irgendwann so kommen würde. Die letzten zwei Tage hatte die junge Frau relativ unbehelligt in ihrer kleinen Zelle gesessen. Vermutlich war Radomir zu sehr mit seinen eigenen Hirngespinsten beschäftigt. Bis auf eine sehr dürftige Nahrungsversorgung und dumme Sprüche seitens einiger Wachen war nicht viel passiert. Zumindest nicht von außen betrachtet.
Innerlich hatte Zarifa mehr und mehr begonnen, zu resignieren und sich mit ihrem Schicksal abzufinden. Die einzigen beiden Menschen, denen sie jemals vertraut hatte, waren Tod. Sie hatte keine Freunde mehr auf dieser Welt. Es gab keinen Ausweg für sie. Ihr innerer Antrieb, das Feuer, das die Rache an Kazimir in ihr entfacht hatte, war fast komplett erloschen. Die Kräfte, mit denen sie sich angelegt hatte, waren zu groß gewesen. Sie war nur eine einfache Obdachlose aus Umbar, die es teilweise mit mehr Glück als Verstand geschafft hatte, irgendwie am Leben zu bleiben und sogar einige Nadelstiche gegen die von ihr verhasste Obrigkeit zu setzen. Doch was waren diese kleinen Nadelstiche schon, im Vergleich zu dem Leid, das sie dadurch erlitten hatte. Ihr gesamter Einsatz, ihr gesamter Versuch, die Situation für die armen Leute zu verbessern, hatte ihr nur Schmerz und Trauer gebracht. Erreicht hatte sie nichts. Es wäre ihr besser ergangen, wenn sie Ziad niemals wieder gefunden und befreit hätte. Der Gedanke schmerzte, doch es war die Wahrheit. Wäre sie einfach weiterhin egoistisch durchs Leben gegangen, wäre ihr all das Leid erspart geblieben. Sie wäre immer noch eine einfache Obdachlose in Umbar, die sich jedoch mit Diebstählen einigermaßen über Wasser halten konnte. Sie wäre immer noch frei und unbeschwert. Stattdessen war sie nun traurig und traumatisiert. Selbst wenn sie wie durch ein Wunder lebend hier raus käme, wäre sie nie wieder in der Lage, ein so unbeschwertes Leben zu führen wie damals. Denn die Erinnerung an ihr eigenes Leid würde sie nicht mehr loslassen. Sie konnte nur noch darauf hoffen, einen möglichst schnelles und schmerzfreies Ende zu finden. Doch selbst das schien an diesem Ort unmöglich zu sein.
Zarifa blickte auf die Tür, deren Klinke nun heruntergedrückt wurde. Sie fühlte sich an jenen Ort zurückversetzt, an dem sie vor etwa sechs Jahren erstmals erfahren hatte, was es bedeutete, ein junges und wehrloses Mädchen in der Hand von mächtigen Männern zu sein. Ein völlig kahler Raum. Modriger Geruch von Wänden. Nur eine einzige verschlossene Tür als Ausweg. Kälte, sowie das angsteinflößende Gefühl der Verunsicherung. Ein Schlüssel, der sich im Schloss dreht. Angstschweiß auf ihrem Rücken. Eine sich quietschend öffnende Tür. Ein zahnloses Grins... Moment mal!

„Alvar?“, fragte Zarifa erstaunt? Es war wirklich eine grausame Ironie des Schicksals, das ausgerechnet der Mann, dem sie erst vor wenigen Tagen Informationen über Kazimir entlockt hatte, nun vor ihr Stand, um ihre Strafe zu vollstrecken. Oder zumindest einen Teil ihrer Strafe. Oder was zum Teufel auch immer sich dieser kranke Bastard Radomir für sie ausgedacht hatte.
„Psst“, zischte Alvar. Ein starker Alkoholgeruch ging von ihm aus. Das erinnerte sie an ihre letzte Begegnung mit diesem Mann. Er war damals nicht besonders gut auf den Vertreter von Fürst Radomir zu sprechen gewesen. Und jetzt stand er hier so geheimnistuerisch in ihrer Zelle. Was hatte das zu bedeuten?
„Ich bin hier, um dich zu befreien.“
„Wie bitte?“

Zarifa und Alvar in die umliegenden Berge von Gorak
« Letzte Änderung: 21. Nov 2017, 18:07 von Rohirrim »
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Sturm auf das Anwesen
« Antwort #10 am: 24. Nov 2017, 20:48 »
Ryltha, Salia und Cyneric aus der Stadt


Es dauerte eine Weile, bis es Ryltha und Cyneric gelungen war, Salia aufzuspüren. Die dunkelhaarige Schattenläuferin hatte ihren Beobachtungsposten auf dem Dach  eines der Häuser in der Nähe des Fürstensitzes längst aufgegeben. Ryltha umrundete die Rückseite der Mauer, die Radomirs Wohnsitz umgab und blickte sich suchend um, bis sie mit einem zufriedenen Nicken geradeaus deutete. Cyneric folgte ihrem Blick und entdeckte eine Menschenmenge, die sich vor dem Haupttor des Anwesens zu versammeln begann. Sie setzte sich größtenteils aus Menschen in ärmlicher Kleidung zusammen. Viele trugen improvisierte Waffen mit sich.
“Sehr gut,” meinte Ryltha. “Sie hat bereits damit begonnen, die Bevölkerung gegen Radomir aufzubringen.”
Als er genauer hinsah, entdeckte Cyneric Salias dunklen Schopf inmitten der Menge. Er war erstaunt, wie jung sie nun wirkte, denn sie hatte ihre dunkle Kleidung gegen Lumpen aus hellerem Stoff getauscht und ihre Haare flatterten frei im Wind.
Die Menge war laut, doch Cyneric konnte die aufgebrachten Worte nicht verstehen, denn offenbar verwendeten die Menschen in ihrem Protest einen gorakischen Dialekt der Ostlingssprache. Ryltha übersetzte: “Sie sagen, dass eine der Wachen sich an dem Mädchen mit den dunklen Haaren vergangen hat, obwohl sie keine Sklavin ist und obwohl das Betteln auf dem Platz vor dem Anwesen ausdrücklich erlaubt ist.”
Sie hielten etwas Abstand von der Menge und beobachteten, wie sich die Situation entwickelte. Vor dem Tor des Anwesens standen vier bewaffnete Wachen, die ihre Speere in Richtung der Menschenmenge gerichtet hatten. Doch Cyneric konnte an ihrer Körperhaltung erkennen, dass nicht alle von ihnen sonderlich davon überzeugt waren, mit Gewalt gegen die Aufständischen vorzugehen. Als die Menge wenig später noch größer geworden war, zogen sich die Wachen schließlich durch das Tor ins Innere des Anwesens zurück.
Das schien den Zorn der Menschen noch mehr anzufachen. Sie schlugen mit Fäusten und Keulen gegen das Tor und schließlich wurden Fackeln in Brand gesetzt, die noch mehr Schaden an denen Holzkonstruktion des Torhauses anrichteten. Schon bald stand das gesamte Tor in Flammen.
Eine Alarmglocke ertönte vom obersten Stockwerk des Anwesens, und die halb zerstörten Torflügel schwangen auf. Mehr als ein Dutzend Wachen strömten heraus und es gelang ihnen zunächst, die Menge ein gutes Stück zurückzudrängen.
Salia tauchte inmitten des sich ausbreitenden Chaos neben Cyneric und Ryltha auf. Rasch band sie ihre Haare zusammen, damit sie bei den Kämpfen nicht im Weg waren, während Ryltha ihren Bogen vom Rücken nahm.
“Zeit, dass sich die Sklaven an der Sache beteiligen,” meinte sie seelenruhig, während sie sich von Salia einen schweren Brandpfeil reichen ließ. Mit einem gut gezielten Schuss über die Überreste des Tores hinweg ließ sie den Pfeil durch eines der oberen Fenster des Anwesens fliegen.
Es dauerte nicht lange, bis die Kämpfe am Tor und das Feuer im Inneren bemerkt wurden. Das Fenster neben dem, durch das Ryltha ihren Pfeil geschossen hatte, zerbarst in einem Regen aus Scherben, als der Körper eines Gardisten mit Wucht hindurchgeworfen wurde. Gleichzeitig gerieten die Wächter am Haupttor in Unordnung, als sie von hinten von aufständischen Sklaven angegriffen wurden. Einige von ihnen ergriffen die Flucht während der Rest weiter verbissen versuchte, Radomirs Anwesen zu verteidigen.

Ryltha zog eine lange, gebogene Klinge hervor. “Jetzt wollen wir doch mal sehen, ob der gute Fürst Radomir Zeit für uns hat. Bei unserem letzten Treffen wurden wir ja leider unterbrochen.” Ein böses Lächeln umspielte ihre Mundwinkel. Dann marschierte sie los, in Richtung des Tores.
Jemand schob sich zwischen Cyneric und Salia, als sie gerade Ryltha folgen wollten. Der starke Alkoholgeruch ließ Cyneric husten. Er blinzelte, und dann erkannte er Alvar, den Gardisten mit dem er in einer der Tavernen gesprochen hatte.
“Ihr geht den Fürsten töten?” fragte Alvar undeutlich.
Ehe Cyneric eine Antwort darauf geben konnte, zog ihn Salia mit sich. Alvar folgte ihnen und hatte diese Reaktion offenbar als Bestätigung aufgefasst.
“Dann komm’ ich mit euch. Habe sowieso nichts mehr zu verlieren.” Er zog sein Schwert und begann, sich seinen Weg zum Tor zu bahnen.
Rasch schlossen sie zu Ryltha auf, die gerade einen der loyalen Gardisten Radomirs erstochen hatte. Die blonde Schattenläuferin warf einen kritischen Blick auf Alvar, nickte dann jedoch als dieser ihr erklärte, dass er helfen wollte.
“Also gut. Bleibt zusammen. Je eher wir Radomir finden - und töten - desto eher können wir aus diesem Chaos verschwinden.”
Sie kamen in die Eingangshalle des Anwesens, in der Sklaven und Wachen sich gegenseitig bekämpften, während sich das Feuer langsam ausbreitete.
“Er wird wohl in seinem Arbeitszimmer sein,” nuschelte Alvar und deutete auf eine der Treppen, die nach oben führten. Glücklicherweise brannte dort noch kein Feuer.
Ryltha eilte voraus, die Treppe hinauf und in einen langen Gang, an den viele Türen angrenzten. Viele standen offen und die dahinter liegenden Räume waren teilweise geplündert worden. Der Großteil der Kämpfe schien in den unteren Stockwerken stattzufinden, doch als die Gruppe um eine scharfe Ecke bog, sahen sie sich drei schwer gerüsteten Wächtern gegenüber, zu deren Füßen mehrere tote Sklaven in einer Blutlache lagen.
Cyneric trat vor, Schwert und Schild kampfbereit erhoben. Salia, die keine Rüstung trug, wich zurück und hielt sich im Hintergrund. Ryltha hingegen schien keinerlei Bedenken zu haben, obwohl sie noch immer das Kleid einer Adeligen trug. Alvar packte sein Schwert mit beiden Händen, und ging zum Angriff über. Er schlug einen Speer beiseite und riss den Mann, der sich ihm in den Weg gestellt hatte, zu Boden. Um sich schlagend kämpften beide im Liegen weiter. Cyneric blockte derweil einen Speerstich mit seinem Schild, doch die Spitze des Speeres verfing sich im Holz und als der Wächter Radomirs seine Waffe brutal zurückriss, verlor Cyneric den Schild. Nur mit Mühe gelang es ihm, zwei weitere Speerstiche zu parieren. Ohne den Schild zu kämpfen war ungewohnt, und er geriet rasch in Bedrängnis. Aus den Augenwinkeln sah er, dass Ryltha ebenfalls in Schwierigkeiten geraten war. Ihr Schwert hatte die schwere Rüstung ihres Kontrahenten nicht durchdringen können, und dank der größeren Reichweite des Speeres musste sie sich darauf beschränken, den Angriffen des Gardisten auszuweichen. Doch in dem Gang, in dem sie kämpften, war nicht genug Platz dafür.
Alvar rappelte sich auf. Sein Gegner hingegen rührte sich nicht mehr. Irgendwie musste er es trotz seines alkoholisierten Zustandes geschafft haben, den Gardisten zu töten. Alvar rülpste lautstark und stürzte sich auf den nächsten Feind, der gerade Ryltha gegen die Wand gedrängt hatte. Diese Ablenkung genügte der Schattenläuferin, um ihre Klinge zielsicher durch den schmalen Schlitz des Gardistenhelmes ihres Gegners zu stoßen. Gurgelnd brach der Mann zusammen.
Cyneric hatte derweil einen langen Schnitt an der Schulter hinnehmen müssen. Er presste die linke Hand auf die Wunde, doch das Blut quoll zwischen seinen Fingern hervor. Einen weiteren Speerstich konnte er mit seinem Schwert gerade genügend ablenken, sodass die Spitze ihn verfehlte. Dann schien der Wächter zu erkennen, dass er sich in der Unterzahl befand. Er ließ von Cyneric ab und stürmte durch eine der offen stehenden Türen davon.
“Das hätten wir,” keuchte Ryltha, während Salia den unteren Rand ihres Gewandes abriss und daraus einen notdürftigen Verband für Cynerics Wunde anfertigte. Sie legten eine kurze Verschnaufpause ein, bis die Wunde aufgehört hatte, zu bluten.

“Da vorne ist es,” murmelte Alvar, der schwer außer Atem zu sein schien. Er deutete auf eine schwere Tür am hinteren Ende des Ganges, in dem sie standen. “Da drin muss er sein, der Bastard.”
“Dann bringen wir es zu Ende,” entschied Ryltha. “Kommt.”
Sie legten das letzte Stück Weg zurück und Ryltha versuchte, die Tür zu öffnen. “Versperrt,” stellte sie frustriert fest. “Also gut. Cyneric, Alvar - aufbrechen!”
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Re: Anwesen des Fürsten von Gorak
« Antwort #11 am: 4. Dez 2017, 23:30 »
Zarifa aus den umliegenden Bergen von Gorak

Das Ziel lag klar und deutlich vor ihren Augen. Ein riesiges Anwesen. Ein hell erleuchteter Raum. Nur durch eine Fensterscheibe von der Außenwelt geschützt. Zarifa blickte auf ihre rechte Hand. Dort befand sich ein silbern schimmernder Dolch. Sie hatte ihn auf dem Weg hierher mit von einem ahnungslosen Händler gestohlen und geflohen, bevor dieser auch nur etwas bemerkt hatte. Das erinnerte die junge Frau an ihre Zeit in Umbar. Wie sie mit Leichtigkeit Kaufmänner, Händler und Adelige bestohlen hatte, um selber über die Runden zu kommen. Es war ein beruhigender Gedanke, dass sie trotz allem, was ihr widerfahren war, ihre Fähigkeiten nicht verlernt hatte. Sie war immer noch der gleiche Mensch, wie damals. Oftmals hatte sie das Gefühl, ihr früheres Leben sei nichts weiter als ein schöner Traum, an den man sich zwar gerne zurückerinnert, der jedoch mit der Zeit immer weiter verblasst und schließlich komplett in Vergessenheit gerät. Und doch war dieses Leben ein Teil von ihr. Ihre Fähigkeiten waren noch da. Ihre Überzeugungen waren noch da. Ihr Humor war noch da. Ich bin noch da!
Erneut blickte Zarifa auf den schimmernden Dolch in ihrer Hand. Ein Dolch war es gewesen, der Ziads Leben beendet hatte. Sie konnte seine Leiche klar und deutlich vor ihrem inneren Auge sehen. Der Mann, der dafür verantwortlich war, war bereits tot. Sie selbst hatte Kazimirs Leben beendet. Und jetzt war Radomir an der Reihe. Zarifa konnte ihr Leben nicht weiterführen, solange Radomir lebte. Und sie konnte nicht sterben, ohne zumindest zu versuchen, Radomir mit in den Tod zu reißen. Was auch immer heute geschehen würde: Am Ende des Tages würde entweder Sie oder Radomir tot sein. Oder beide. Vielleicht würde sie im Tod wieder mit Tekin vereint sein? Vielleicht könnte sie ihm erneut in seine wunderschönen braunen Augen sehen?
Der Dolch in ihrer Hand war sehr leicht und einfach verarbeitet. Keine Verzierungen, kein extravaganter Griff, keine außergewöhnliche Form. Einfach nur eine scharfe Klinge an einem normalen Griff. Zarifa mochte diese Eigenschaften, auch wenn sie nicht genau sagen konnte warum. Irgendetwas verband sie mit diesem Dolch.
Zarifa blickte nun herauf zu dem Fenster. Würde es wirklich so einfach werden? Sie befand sich an der Rückseite des Anwesens und eines der Fenster führte direkt zu Radomirs Büro. Dort hinauf zu klettern würde eine ihrer leichteren Übungen werden. Der schwierige Teil begann in dem Anwesen. Würde sich Radomir überhaupt in seinem Büro befinden? Falls ja, würde er alleine sein? Und wie schnell würde er seine Wachen herbeirufen können, wenn er seinen unerwarteten Besuch bemerkt hatte?
Zarifa blickte sich um. Ihr fiel auf, dass sie bisher noch keine einzige Wache gesehen hatte. Das war seltsam. Hatte Radomir etwa auch den Großteil seiner Wachen ausgesandt, um nach Zarifa zu suchen, so wie Kazimir es damals getan hatte? Das war schwer vorstellbar. Radomir schien wesentlich intelligenter und vorausschauender zu sein als sein oberster Vertreter. Aber wo waren die Wachen dann?
Erst jetzt bemerkte die junge Frau die ungewöhnlich hohe Lautstärke, die von der Vorderseite des Anwesens zu kommen schien. Was ging da vor? Sollte sie vielleicht doch lieber umkehren und einen besseren Plan ausarbeiten?
Nein! Ich habe genug vom Pläne schmieden! Ich werde es jetzt versuchen. Und wenn ich selber dabei draufgehe. Wen interessiert schon die Gefahr? Hier geht es um das, was richtig ist. Wenn ich sterbe, dann ist es eben so. Oder will ich es vielleicht sogar?
Zarifa zwang sich, ihre Gedanken in eine andere Richtung zu lenken. Sie musste jetzt konzentriert bleiben. Vorsichtig kletterte sie über den Zaun, der das Grundstück umgab. Noch immer waren keine Wachen zu sehen. Zügig und entschlossen ging die junge Frau auf das Haus zu. Niemand hielt sie auf. Ging das nicht alles viel zu leicht? Keine Wachen und ein leicht erreichbares Fenster im ersten Stock? Irgendetwas ging hier vor.
Zarifa richtete ihre Gedanken wieder auf ihre Aufgabe. Sie steckte den Dolch in ihren Mund und begann, die Hauswand hinaufzuklettern. Es war nicht leicht, doch Zarifa hatte bereits häufig trainiert, wie man sie nur mithilfe von Fensterrahmen und unregelmäßigen Steinen eine Wand hochklettern konnte. Nach wenigen Sekunden hatte sie ihr Ziel erreicht. Sie blickte durch das Fenster in den Raum, in dem sie einst Kazimir getötet hatte. Anschließend war sie durch eben dieses Fenster geflohen, durch das sie nun blickte. Zarifa untersuchte das Glas. Es war sehr dünn. Genau wie sie gehofft hatte. Es würde ein leichtes sein, diese Scheibe kaputt zu bekommen. Zarifa warf einen erneuten Blick durch das Fenster und erblickte nun Fürst Radomir, der sich gerade an der Tür zu schaffen machte. Er schien die Tür verstärken zu wollen. Ahnte er nicht, dass die Gefahr eigentlich am Fenster lauerte?
Zarifa atmete tief durch. Sie war so kurz davor, den Mann zu töten, der ihr so viel Leid zugefügt hatte. Den Mann, der Tekin hatte töten lassen. Den Mann, der seine Sklaven als bloße Objekte missbrauchte. Niemand sonst befand sich in dem Raum. Es würde kein Entkommen für ihn geben. Zarifa war bereit. Sie packte den Dolch vorsichtig am oberen Ende des Griffes und schlug mit dem Griff auf die Scheibe ein. Es klirrte laut und das Fenster war stark beschädigt. Erschrocken drehte Radomir sich um. Er erblickte Zarifa. Er fing an zu grinsen. Hass schwoll in Zarifa heran. Wie konnte er es wagen, jetzt zu grinsen? Nach allem was passiert war? Wusste er nicht, warum sie hier war?
Erneut schlug Zarifa mit dem Dolchgriff gegen das Fenster. Und diesmal zerbarst die Scheibe, sodass sich eine Einstiegsmöglichkeit bot. Hastig betrat die junge Frau das Zimmer. Dabei ging sie so unvorsichtig vor, dass sie sich mit dem Ellenbogen an einer Glasscherbe schnitt. Der Schmerz, auch wenn es nur ein sehr leichter Schmerz war, durchfuhr Zarifa wie ein Schlag. Es war, als würde sie aus einer Art Traum erwachen. Sie war tatsächlich hier. In Radomirs Büro. Auge in Auge mit dem Feind. Der Schnitt an ihrem Ellenbogen schien irgendwas in Zarifas innerem wieder aufgedreht zu haben. Auf einmal prasselten all die Erinnerungen wieder auf sie ein. Erinnerungen an körperliche Schmerzen. Erinnerungen an seelisches Leid. Erinnerungen an die Verluste von geliebten Menschen.
Ein silberner Dolch. Blutspritzer auf ihrer Kleidung. Ziads Leiche. Der Geschmack von Blut in ihrem Mund. Finger, die sie berührten, obwohl sie es nicht wollte. Hilfeschreie, die von niemandem gehört wurden. Ein gieriger Blick. Ein ekelerregendes Geräusch auf dem Höhlenboden. Tekins abgetrennter Kopf in ihrem Gesicht. Der Hieb einer Peitsche. Eine Hand, die langsam ihr Kleid hochzog. Ein zahnloses Grinsen. Verrat, Missbrauch und Tod. All das Leid, das sie erfahren hatte, glitt innerhalb von wenigen Sekunden an ihrem geistigen Auge vorbei. All das Leid, für das Fürst Radomir letztlich verantwortlich war. Radomir, der sie als Sklavin gekauft und sie damit jeglicher Freiheit beraubt hatte. Radomir, der seinen Vertreter frei gewähren ließ, wenn es um die Bestrafung von Sklaven ging. Radomir, der ihre große Liebe ermorden ließ. Radomir, der jetzt hier vor ihr stand und grinste. All der Hass, der sich in den letzten Wochen in Zarifa angestaut hatte, schwoll nun wieder an, während Radomir das Wort ergriff:
„Ah, Zarifa! Ich hatte mich schon gefragt, wann du wieder auftauchst. Ich wusste, früher oder später würdest du mich aufsuchen. Dass es ausgerechnet jetzt der Fall ist, muss Schicksal sein.“
Zarifa bebte innerlich. Sie wollte laut losschreien, doch irgendetwas hielt sie zurück. Erst jetzt fiel ihr auf, wie laut es in dem Anwesen war. Sie konnte nicht bestimmen, was genau hier vor sich ging, doch irgendetwas war ganz gewiss nicht normal. Hatte es einen Grund, wieso niemand die Rückseite des Anwesens bewacht hatte?
„Ich bin mir sicher, dass du zornig bist. Ich sehe es dir an. Du bist hier, um mich zu töten. Allerdings solltest du dir das noch einmal gründlich durch den Kopf gehen lassen. Was bringt es dir denn im Endeffekt? Was geschehen ist, ist geschehen. Mein Tod wird daran nichts ändern“, erklärte Radomir mit einer schleimigen Stimme.
„Es geht hier nicht darum, die Vergangenheit zu ändern. Es geht hier um Gerechtigkeit.“ Zarifa sprach ganz leise, doch ihre Stimme zitterte. Sie konnte nur mit aller Kraft einen Wutausbruch verhindern. Trotz der allgemeinen Lautstärke in dem Anwesen, wollte Zarifa nicht riskieren, dass sie jemand hörte.
„Gerechtigkeit? Das ist ein starkes Wort, doch seine Definition ist sehr undeutlich. Was ist denn Gerechtigkeit? War es nicht gerecht, dass Tekin für seinen Vertrauensbruch bestraft wurde? War es nicht gerecht, dass Yasin für seine Dienste belohnt wurde? War es nicht gerecht, dass Ziad für seinen Ungehorsam seinem rechtmäßigen Meister gegenüber bestraft wurde?“
Das war zu viel für Zarifa. Die Art und Weise, wie Radomir den Begriff der Gerechtigkeit missbrauchte, um unmenschliches Verhalten zu legitimieren, brachte das mit Hass gefüllte Fass in Zarifas Innerem zu überlaufen. Sie sprang wild und mit dem Dolch fuchtelnd auf Radomir zu. Dabei schrie sie ihre Gedanken frei heraus, um ihren Gefühlen in irgendeiner Form Luft machen zu können: „GERECHTIGKEIT IST, WENN ALLE MENSCHEN GLEICHBEHANDELT WERDEN!“ Sie versuchte Radomir mit dem Dolch zu verletzen, doch der verteidigte sich, sodass Zarifa nur leicht seine Arme traf. Sie war keine Kämpferin. Und obwohl Radomir unbewaffnet war, fiel es ihr schwer, einen tödlichen Schlag zu landen. „GERECHTIGKEIT IST, WENN NIEMAND SICH ÜBER SEINE MITMENSCHEN STELLT!“
Radomir packte nun Zarifas rechten Arm und verhinderte damit, dass die junge Frau weiterhin mit dem Dolch zuschlagen konnte. Er war wesentlich stärker als sie und dennoch versuchte Zarifa weiterzukämpfen. Mit der linken Hand und mit ihren Beinen versuchte sie dem Fürsten irgendwie Schmerzen zuzufügen. „GERECHTIGKEIT IST, WENN MENSCHEN FÜR IHRE TATEN ZUR RECHENSCHAFT GEZOGEN WERDEN!“, schrie sie, doch nun hatte Radomir auch ihren zweiten Arm gepackt. Zarifa versuchte sich zu befreien, doch Radomir war viel größer und stärker als sie.
„Es ist bedauerlich, dass du nicht erkennst, wieso die Dinge so sind, wie sie sind. Merkst du es vielleicht jetzt? Du bist schwach! Du bist mir unterlegen. Ein kleines bisschen Talent und Glück haben in dir den Gedanken geweckt, du seist etwas wert. Doch das bist du nicht. Das warst du nie. Alle Angebote, die ich dir je gemacht habe, waren aus reiner Herzensgüte. Ich bin dir überlegen. Jede Frau in dieser Stadt und jeder Mann auf der Welt ist dir überlegen. Ich würde mich am liebsten sofort mit dir befassen, doch wie du vielleicht bemerkt hast, habe ich gerade leider keine Zeit. Ich muss mich um wichtigere Dinge kümmern, als um Ungeziefer, das seinen Platz nicht kennt. Du kannst in der Folterkammer warten, während ich mich mit dem anderen Abschaum befasse.“Zarifa spürte, Radomir sie in Richtung der Geheimtür schleifte. Der Dolch war immer noch in ihrer Hand, doch sie konnte ihren Arm nicht bewegen. Radomirs Griff war zu fest. Sie war so nah dran. So nah!
In ihrer Verzweiflung hörte Zarifa wie von ganz weit her ein einzelnes Wort: „Aufbrechen!“ Es schien aus einer anderen Welt zu kommen, doch sie hatte es gehört. Was hatte das zu bedeuten?
Plötzlich ging ein lauter Knall von der Tür aus. Erschrocken wandte Radomir seinen Kopf in Richtung Tür. Ein Moment der Unachtsamkeit. Ein Moment der Ablenkung. Zarifa spürte, wie sein Griff sich lockerte. Die junge Frau nahm all die noch in ihr vorhandene Kraft zusammen und riss ihre Hand, in der sie immer noch den Dolch trug, los. Das hier ist Gerechtigkeit!, dachte sie.
« Letzte Änderung: 27. Nov 2018, 01:13 von Rohirrim »
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Das Ende einer Herrschaft
« Antwort #12 am: 5. Dez 2017, 13:18 »
Radomir musste die Tür zu seinem Arbeitszimmer verstärkt haben, denn sie leistete erstaunlichen Widerstand gegen die Versuche, sie einzutreten. Cyneric warf sich mehrmals mit seiner unverletzten Schulter dagegen, doch erst als er und Alvar gleichzeitig gegen das Holz krachten, gab die Tür endlich nach. Alvar fiel der Länge nach in den Raum dahinter, während es Cyneric gerade so gelang, auf den Füßen zu bleiben. Er stolperte vorwärts, ins Innere von Radomirs Arbeitszimmer, gefolgt von Ryltha und Salia. Rasch hob er seinen Schild auf und blickte sich kampfbereit um. Seine Verletzung schmerzte, doch er biss die Zähne zusammen. Radomir war zum Greifen nah, und er musste sterben. Dies war wahrscheinlich die einzige Gelegenheit, die sie bekommen würden. Hastig erfasste Cyneric die Lage im Zimmer.
Ein großer hölzerner Tisch dominierte den Raum, auf dem allerlei Bücher und Schriftrollen lagen. Cyneric verzog das Gesicht, als er zwei Daumenschrauben auf dem Tisch entdeckte und er wurde erneut daran erinnert, wie grausam Radomir war. Hinter dem Tisch war ein großes Fenster, das einen guten Blick über das Anwesen bot. Beide Flügel des Fensters standen weit offen und das Glas war zersplittert. Scherben lagen auf dem Boden direkt unterhalb des Fenstersimses. Der Rest des Raumes war luxuriös eingerichtet, mit Regalen aus edlem Holz voller Bücher und einem großen Sessel in einer der Ecken. Es war das Arbeitszimmer eines Tyrannen.
Und dort, zwischen Schreibtisch und Fenster stand er: Radomir, Fürst von Gorak und Herr über unzählige Sklaven. Er hatte den Schattenläufern den Rücken zugewendet, was Cyneric an den Augenblick erinnerte, als er und Salia in Gortharia in Radomirs Gemach eingebrochen waren. Auch damals hatten sie sich im Vorteil gewähnt, doch Radomir hatte sie kommen sehen und hatte sich ihrem Attentatsversuch mit Leichtigkeit entzogen. Auch diesmal zeigte er zunächst keine Regung, während die Eindringlinge vorsichtig im Raum Stellung bezogen.
Eine unheimliche Stille trat ein. Alvar grunzte angestrengt und versuchte, sich aufzurappeln. Cynerics Faust schloss sich noch fester um den Griff seines Schwertes - so fest, dass seine Knöchel weiß hervortraten. Die Anspannung stieg beinahe bis ins Unerträgliche an. Dann drehte sich Radomir langsam, sehr langsam zu ihnen um.
Sein Blick ging ins Leere, ein Ausdruck der Fassungslosigkeit lag auf dem Gesicht des Fürsten. Die Hände tasteten über seine Brust und berührten den Dolch, der tief in seinem Herzen steckte. Dann stürzte Radomir um, wie ein gefällter Baum. Damit hatte niemand gerechnet.
Hinter ihm kam eine schlanke Gestalt zum Vorschein. Es war ein Mädchen mit braunen Haaren und einem hellen Kleid, das mit großen Blutspuren befleckt war. Cyneric vermutete, dass es sich dabei um Radomirs Blut handelte. Er war sprachlos. Als Radomir sich bewegt hatte, hatte Cyneric erwartet, dass der Fürst sie unaufgeregt begrüßen würde und ihnen sagen würde, dass er sie erwartet hatte. Doch nun war es vollkommen anders gekommen. Um den gefallenen Körper des Fürsten breitete sich eine Blutlache aus, die den reich verzierten Teppich mit einem schmutzigen Rotton verfärbte.
Es war Ryltha, die als Erste reagierte. Sie zog die Augenbrauen hoch und nickte dann. “Nun, da war wohl jemand schneller als wir.” Die Schattenläuferin machte ein amüsiertes Geräusch und schien sich nicht im Geringsten an der blutigen Szene zu stören. “Was soll’s - der Auftrag ist erfüllt. Los, stell’ seinen Tod fest, Téressa.”
Salia ging neben Radomir in die Knie und legte zwei Finger an den Hals des Fürsten. Sie zögerte einen kurzen Augenblick, dann hob sie die Hand. Ihre Fingerspitzen waren rot vom Blut. Das Mädchen, das Radomir getötet hatte, beobachtete sie dabei mit einem Gesichtsausdruck, der zu gleichen Teilen aus Vorsicht und Misstrauen bestand.
“Wir sind hier fertig,” befand Ryltha. Sie drehte sich um und war mit zwei schnellen Schritten bei der Tür.
Alvar kam auf die Beine. Als er das Mädchen sah, das bislang regungslos zugesehen hatte, zogen sich seine Brauen zusammen und er lallte: “Du?” Dabei machte er einen stolpernden Schritt vorwärts.
Jetzt kam Bewegung in das Mädchen. Ein Ausdruck von Abscheu, gemischt mit Furcht zog über ihr Gesicht. Ohne ein Wort zu sagen wandte sie sich ab und verschwand durch das offene Fenster. Ihr hellbrauner Haarschopf war das Letzte, was man von ihr sah, ehe sie außer Sicht geriet.
“W-warte,” brachte Alvar hervor, ehe er wieder hinstürzte. Salia packte ihn am Arm und zog ihn mit sich, in Richtung des Ausgangs.
“Gehen wir. Wir haben unser Ziel erreicht. Komm, Cyneric,” sagte Ryltha.

Doch Cyneric blieb stehen. Irgendetwas war da gerade geschehen, das ihn nachdenklich machte. Wenn mich nicht alles täuscht, kennt dieser Alvar das Mädchen. Und sie ist vor ihm geflohen. Das kann nichts Gutes bedeuten. Irgendetwas ist zwischen ihnen vorgefallen, und ich wenn Alvar der Mistkerl ist, für den ich ihn halte, dann... Ich hab’ ein mieses Gefühl bei der Sache. Ich sollte... ich sollte sicherstellen, dass sie den Palast unbeschadet verlassen kann. Dass sie in Sicherheit ist.
Ryltha rief ihm etwas zu, doch aufgrund einer Explosion von draußen verstand er ihre Worte nicht. Es war ihm egal. Cyneric trat ans Fenster und stellte fest, dass ein Seil daran befestigt worden war, das bis zum Innenhof des Anwesens hinab hing. Sie hat Radomir getötet, dachte er. Doch er spürte, dass das nicht der Grund dafür war, dass etwas in seinem Inneren ihn dazu drängte, dem Mädchen zu folgen. Sondern etwas, das Ryltha ihm in Gortharia vor Augen geführt hatte. Eines Tages wird es dich das Leben kosten, alle Mädchen, die in Not geraten, retten zu wollen. Du alter verdammter Narr, sagte er zu sich selbst, während er sich zum Ryltha umwendete. Doch er hatte seine Entscheidung getroffen und blendete die Warnungen in seinem Kopf aus.
“Ich komme nach,” rief er. Ehe die Schattenläuferin Einwände erheben konnte, war Cyneric bereits aus dem Fenster geklettert und seilte sich vorsichtig ab. Unten im Innenhof angekommen blickte er sich um und sah gerade noch, wie eine Türe in der Nähe zuschlug. Dort hindurch muss sie geflohen sein, dachte er, während er dem geheimnisvollen Mädchen, das Radomir getötet hatte, durch das brennende Anwesen folgte.

Die Flammen breiteten sich langsam, aber stetig aus und Cyneric hustete, als er den Innenhof durch die Türe verließ, durch die er das Mädchen hatte gehen sehen. Er kam in einen Gang, der ihn zu den unteren Ebenen des Palastes führte. Zum seinem Glück gab es hier keinerlei Abzweigungen. Der Weg war abschüssig, und nach nur wenigen Biegungen war Cyneric im Keller angekommen. Hier brannte noch kein Feuer. Durch einen niedrigen Durchgang kam Cyneric in einen großen Raum, der wohl einst eine Sklavenunterkunft gewesen war. Nun war er voller Leichen - die meisten ehemalige Wachen, doch auch viele tote Sklaven waren darunter. Offenbar waren hier die heftigsten Kämpfe entbrannt. Am anderen Ende des Raumes stand ein Mann, der aus vielen Wunden blutete. Die lädierte Rüstung, die er trug, wies ihn als einen der letzten Gardisten Radomirs aus. Und die Spitze seines Schwertes zeigte genau auf das Mädchen, das er in eine der Ecken des Raums gedrängt hatte. Sie war ihm in die Falle gelaufen und saß nun fest.
Cyneric eilte vorwärts. Den Schild hatte er in Radomirs Arbeitszimmer gelassen,  weshalb er sich nun auf sein Schwert verlassen musste, das er einhändig führte. Die Wunde an seiner Schulter pochte und hinderte ihn daran, die Klinge beidhändig zu führen. Er war angeschlagen, doch er konnte jetzt nicht aufgeben. Der Andere war ebenfalls verwundet.
“Lass sie in Ruhe und verschwinde,” knurrte Cyneric als er näher kam. “Vielleicht kommst du im Chaos draußen mit deinem Leben davon.”
“Keine Chance,” gab sein Feind zurück. “Ich töte jeden einzelnen Sklaven, den ich in die Finger bekomme. Sie haben meinem Bruder die Kehle durchgeschnitten. Jetzt erwidere ich den Gefallen.” Er führte einen Hieb in Richtung des Mädchens, die sich zu Boden fallen ließ und dem Tod knapp entging. Das verschaffte Cyneric genügend Zeit, heranzukommen. Sein Schwert sprang vorwärts, doch in seiner Eile ging der Schlag fehl. Rasch hob Cyneric die Klinge und parierte einen heftigen Gegenangriff. Es ging ihm nicht darum, den Mann zu töten, sondern er wollte ihn in die Flucht schlagen. Doch ehe er die erneute Gelegenheit zum Angriff bekam, schlug das Mädchen seinen Gegner mit einem schweren Stein nieder, den sie vom Boden aufgehoben hatte.
Cyneric atmete schwer aus und ließ das Schwert sinken. Eine angespannte Stille trat ein, in der ihn das Mädchen misstrauisch beäugte. Den Stein hielt sie noch immer fest umklammert und in ihren Augen blitzten Zorn und Mordlust auf.
“Ich werde dir nicht wehtun,” sagte Cyneric behutsam, und warf sein Schwert beiseite um seine Worte zu unterstreichen. “Lass mich dir helfen, sicher von diesem Ort zu fliehen. Ich kann dich nach draußen bringen.”
Er erhielt keine Antwort. Das Mädchen warf einen kurzen Blick auf Cynerics Schwert, das in der Mitte des Raumes gelandet war. Doch noch immer ließ sie den Stein in ihrer Hand nicht sinken.
“Du brauchst keine Angst zu haben,” versuchte er es erneut. “Ich will dir nichts tun. Wenn du gehen willst, dann geh - ich werde dich nicht aufhalten. Doch gemeinsam haben wir eine bessere Chance, es hier heil raus zu schaffen.”
Er machte eine Pause und suchte ihren Blick. Noch immer sah er die Wut in ihren Augen, doch für einen kurzen Moment glaubte er noch etwas anderes zu erkennen: Hoffnung.
“Ich heiße Cyneric. Komm mit mir, wenn du überleben willst.”
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Re: Anwesen des Fürsten von Gorak
« Antwort #13 am: 10. Dez 2017, 00:48 »
Zarifa blickte auf. Vor ihr stand ein kräftig gebauter Mann, mit kurzen dunklen Haaren. Zarifa glaubte, ihn schonmal gesehen zu haben, konnte jedoch zunächst nicht einordnen, wo das gewesen sein sollte. Sie blickte erneut auf den Stein in ihrer Hand, mit dem sie gerade eine Wache Radomirs niedergeschlagen hatte. Und sie war bereit, das gleiche auch mit diesem Mann zu tun, wenn sie die Chance dazu bekäme. Er war zwar bewaffnet, doch offensichtlich auch an der Schulter verletzt. Möglicherweise hatte sie eine Chance. Ihr war heute schon so viel gelungen, was eigentlich unmöglich erschien. Sie wollte nur noch weg hier. Raus aus dem Anwesen. Irgendwohin, wo sie ihre Gedanken ordnen konnte. Und dieser Mann war der einzige, der ihr jetzt noch im Weg stand. Wieso war sie überhaupt nochmal ins Haus gerannt? Wieso hatte sie versucht, noch etwas über die Kämpfe im Anwesen herauszufinden? Radomir war tot. Gefallen durch ihre Hand. Tekins Tod war gerächt. Das war alles, was wichtig war. Nur aufgrund ihrer törichten Neugier und Unvorsichtigkeit war sie jetzt in dieser Situation. Doch jammern half jetzt auch nicht. Sie musste an diesem Mann vorbei.
Misstrauisch musterte sie den Unbekannten. Er hatte sein Schwert sinken lassen. Wieso griff er sie nicht an?

„Ich werde dir nicht wehtun!“, ergriff der Unbekannte nun das Wort und warf sein Schwert weg. „Lass mich dir helfen, sicher von diesem Ort zu fliehen. Ich kann dich nach draußen bringen.”

Wie bitte? Zarifa beobachtete, wie das Schwert durch die Luft flog und auf dem Boden landete. Der Mann hatte freiwillig seine Waffe niedergelegt. Und doch ließ irgendetwas in Zarifas Unterbewusstsein sie zögern. Diese Situation erinnerte sie an etwas, das vor gar nicht so langer Zeit passiert war. Sie hatte einsam und allein in einer Zelle gehockt, als sich plötzlich ein Schlüssel im Schloss gedreht hatte. Alvar war hereingekommen und hatte angekündigt, sie von diesem Ort zu befreien, genau wie dieser Unbekannte es jetzt tat. Doch wie sich dann herausgestellt hatte, war Alvar nicht aus reiner Nächstenliebe in ihre Zelle gekommen. Nein! Ihm war es um das gegangen, um das es Männern anscheinend immer ging. Und als Zarifa nicht mitspielen wollte, hatte er sich gewaltsam das genommen, von dem er dachte, dass es ihm zustand. Und sofort schossen der jungen Frau wieder grausame Bilder durch den Kopf. Bilder von Fingern, die sie berührten, obwohl sie es nicht wollte. Hilfeschreie, die von niemandem gehört wurden. Alvars Hand, die langsam ihr Kleid hochzog.
Beim Gedanken an Alvar stieg erneut ein brennender Hass in ihr auf. Radomir war tot, doch Alvar war noch am Leben. Endete es eigentlich nie? Nur wenige Sekunden nach ihrem großen Triumph über Radomir, war Alvar vor ihren Augen aufgetaucht, um sie grausam daran zu erinnern, wie wenig diese Tat eigentlich bedeutet hatte. Und jetzt fiel es Zarifa wieder ein. Sie wusste, wo sie den unbekannten Mann vor ihr schonmal gesehen hatte. Er war eine der Personen gewesen, die gemeinsam mit Alvar Radomirs Büro betreten hatte. Er hatte direkt hinter ihm gestanden, als Zarifa ihm in die Augen gesehen hatte. Der Unbekannte war also ein Freund von Alvar. Und genau wie sein Freund damals, gab auch der Unbekannte sich jetzt als Zarifas Freund aus. Vermutlich verfolgte er letztlich genau die gleichen Interessen wie Alvar. Folgten nicht letztlich alle Männer diesen Interessen?
Erneut ergriff der Unbekannte das Wort:
„Du brauchst keine Angst zu haben. Ich will dir nichts tun. Wenn du gehen willst, dann geh – ich werde dich nicht aufhalten. Doch gemeinsam haben wir eine bessere Chance, es hier heil raus zu schaffen.“

Er wird mich also nicht aufhalten? Warum ist er dann überhaupt hier? Warum ist er mir nachgelaufen? Er ist wohl kaum zufällig in den Raum gestolpert, in dem ich in eine Falle gelaufen bin. Nein, er ist mir gezielt aus Radomirs Arbeitszimmer hierher gefolgt. Er ist genauso ein opportunistischer Bastard wie Alvar. Er interessiert sich nicht für mich. Er will nur seinen Spaß mit mir haben.
Aber Moment mal... Er hat sein Schwert weggeschmissen. Und ich habe immer noch diesen Stein in der Hand. Außerdem ist er offensichtlich verletzt. Wenn ich also gehen wollte, könnte er mich tatsächlich nicht aufhalten, oder? Und außerdem ist er offensichtlich keine Wache Radomirs. Er hat meinen Gegner abgelenkt, sodass ich ihn niederschlagen konnte. Ist er vielleicht tatsächlich auf meiner Seite? Immerhin ist er, wenn auch unwissentlich, mit dafür verantwortlich, dass Radomir jetzt tot war. Andererseits ist Alvar das auch...

Zarifa war unentschlossen. Es hatte in ihrem Leben bisher nur zwei Personen gegeben, denen sie wirklich hatte vertrauen können. Und beide waren jetzt tot, weil die Anzahl der Personen, denen man nicht trauen konnte, wesentlich höher war. Verrat, Missbrauch und Tod. Die Geschichte ihres Lebens. Wie konnte sie da einem Unbekannten trauen, der mit Alvar zusammenarbeite? Andererseits war er unbewaffnet und offensichtlich ein Feind Radomirs. Immerhin hatte eine der Frauen aus der Gruppe nichts weiter getan, als Radomirs Tod festzustellen. In dem Moment hatte Zarifa gar nicht so wirklich darauf geachtet, doch nun wurde ihr langsam klar, was das bedeudete. Die vier Personen, hatten die Tür zu Radomirs Arbeitszimmer aufgebrochen, um ihn zu töten. Dann hatten sie festgestellt, dass ihnen jemand zuvorgekommen war. Die anderen drei waren weggegangen. Nur dieser Unbekannte war ihr gefolgt. Weshalb? Um ihr zu helfen, wie er behauptete? Oder um sie zu missbrauchen, genau wie sein Freund damals? Der Unbekannte ergriff nun abermals das Wort:
„Ich heiße Cyneric. Komm mit mir, wenn du überleben willst.“

Seine Stimme klang freundlich. Doch was bedeutete das schon? Yasin war auch freundlich gewesen, bevor er sein wahres Gesicht gezeigt hatte. Sie konnte diesem Mann... Cienerik oder wie er sich genannt hatte, nicht einfach so trauen. Zarifa ergriff nun das Wort:
„Warum bist du wirklich hier? Wo ist dein Freund?“
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Re: Anwesen des Fürsten von Gorak
« Antwort #14 am: 14. Dez 2017, 12:23 »
Cyneric entspannte sich ein wenig, als das Mädchen ihm antwortete und eine Gegenfrage stellte. Er dachte einen kurzen Augenblick darüber nach, was sie gesagt hatte, doch ein lautes Krachen aus einem der oberen Stockwerke lenkte seine Aufmerksamkeit wieder nach vorne. „Freund?“ wiederholte er nachdenklich. Das erklärte natürlich, wieso das Mädchen so misstrauisch war. „Falls du damit Alvar meinst – er ist nicht mein Freund. Ich kenne ihn nicht einmal wirklich. Und ich hoffe, ihn auch nicht mehr allzu oft treffen zu müssen. Weshalb ich hier bin: Um dir hier raus zu helfen. Wir sind keine Feinde. Du hast Radomir getötet, was uns zu Verbündeten macht. Auch ich war hinter ihm her.“ Er machte eine kurze Pause und sah der jungen Frau direkt ins Auge. „Hör zu, wir sollten wirklich von hier verschwinden, ehe sich das Feuer ausbreitet“, stellte er beunruhigt fest.
Es entstand eine längere Pause, in der Cyneric das Mädchen erneut musterte. Sie schien sich nicht sicher zu sein, ob sie ihm wirklich trauen konnte. Doch immerhin stellte Cyneric beruhigt fest, dass sie den Stein in ihrer Hand etwas sinken ließ. Mit der anderen Hand fuhr sie sich nun durch die Haare. Dabei fiel Cyneric eine Narbe ins Auge, die sich über den halben Unterarm des Mädchens erstreckte. Trotz ihres jugendlichen Alters, hatte sie offensichtlich schon einiges durchgemacht. Gespannt wartete Cyneric ab, was als nächstes geschehen würde. Er konnte förmlich hören, wie die junge Frau mit sich haderte. Dann, ganz allmählich, begann sich ihre Körperhaltung zu entspannen. Sie ließ ihre beiden Arme sinken, hielt den Stein jedoch weiterhin in ihrer Hand.
„Also schön, ähm... Cienerik?“, ergriff die junge Frau nun das Wort. „Cyneric!“, erwiderte der Gardist, belustigt über die seltsame Aussprache seines Namens, doch gleichzeitig auch ungeduldig. Das Feuer breitete sich immer weiter aus und allmählich wurde die Luft unangenehm.
„Äh ja, genau. Also schön, ich werde mit dir kommen. Wir sollten tatsächlich schleunigst hier weg. Und immerhin hast du mich gerade vor diesem Kerl hier gerettet.“ Sie deutete auf die am Boden liegende Wache, die eine große Platzwunde am Kopf hatte.
Cyneric nickte. „Hier entlang“, sagte er und deutete auf den Ausgang des großen Raumes, in dem sie sich befanden. Er hob sein Schwert im Gehen auf und hielt es vor sich, dann eilte er durch den Durchgang, gefolgt von der jungen Frau. Dabei fiel ihm auf, dass er noch nicht einmal ihren Namen kannte.
„Wie heißt du eigentlich, Kleine?“, rief er ihr zu. Sie hatte zu ihm aufgeschlossen und eilte mit schnellen Schritten neben ihm her.
Verärgerung blitzte in ihren dunklen Augen auf, doch dann sagte sie: „Zarifa.“
Ehe Cyneric antworten konnte, brach über ihnen die hölzerne Decke des Ganges ein, in dem sie sich befanden, und brennende Holzbalken stürzten überall um sie herum zu Boden. Zarifa rollte sich geschickt ab, während Cyneric über einen brennenden Holzscheit stolperte und beinahe stürzte. Doch glücklicherweise bekam er einen Fackelhalter zu fassen, der an der Wand des Ganges angebracht war. Rasch zog er sich hoch und rief Zarifa hustend zu: „Weiter! Wir haben es gleich geschafft!“
Am Ende des Ganges lag die Eingangshalle zu Radomirs Anwesen, die voller Rauchwolken war. Cyneric zog sich den Saum seines Umhangs vors Gesicht und packte Zarifa an den Schultern. Er war überrascht, wie leicht das Mädchen war. Rasch stieß er sie in Richtung des Ausgangs, wo sich der Rauch nach draußen verzog. Seine Augen brannten von den dichten Rauschwaden und er stolperte mühsam vorwärts, als ihn eine Hand an der Schulter packte und nach draußen zerrte. Als er wieder klar sehen konnte, stellte er fest, dass es Zarifa gewesen war, die nun mit schwerem Atem neben ihm auf dem Hof außerhalb von Radomirs Anwesen lag. Cyneric hustete und kämpfte sich auf die Beine, dann blickte er sich vorsichtig um. Das Tor in der Mauer, die das Anwesen umgab, war eingestürzt. Noch immer drängte sich eine wütende Menschenmenge darum. Er warf einen Blick auf Zarifa, die sitzen geblieben war und auf das brennende Anwesen starrte, als könnte sie noch immer nicht ganz begreifen, was dort drinnen eigentlich geschehen war.



Zarifa hustete. Erst jetzt bemerkte sie so richtig, wie unangenehm heiß und stickig es in dem Anwesen gewesen war. Sie atmete tief ein. Die frische Luft und die angenehme Kälte halfen ihr dabei, wieder klar zu denken. Sie blickte auf. Radomirs Anwesen stand in Flammen und Radomir selbst war tot. Dieses Symbol der Ungerechtigkeit und des Leides brach vor Zarifas Augen auseinander. Sie hatte es geschafft. Nachdem sie Radomir getötet hatte, hatte sie gar keine richtige Zeit gehabt, ihren Erfolg zu begreifen, bevor Alvar aufgetaucht war. Alles war so schnell gegangen. Es war unbegreiflich, wie ein Ziel, auf das man wochenlang hinarbeitet und dessen Erfüllung so gut wie unmöglich erscheint, innerhalb eines einzigen Augenblicks erfüllt werden konnte. Radomir hatte sie überwältigt. Es hatte so ausgesehen, als würde Zarifa ihr Ziel nicht erreichen. Und dann war es nur ein kurzer Moment der Ablenkung, in dem Zarifa sich befreien und ihren Dolch mitten in Radomirs Herz rammen konnte. Ein Wimpernschlag und man hätte diese Wendung verpasst. Ein Wimpernschlag und alles war anders. Ein Wimpernschlag und Radomir war tot.
Zarifa warf einen Seitenblick auf den Mann namens Cyneric, der sich gerade den Schweiß von der Stirn wischte. Sein silbernes Schwert fiel Zarifa ins Auge und sie wurde unruhig. Es behagte ihr nicht, dass er eine echte Waffe besaß, während sie nur einen Stein in der hielt. Was, wenn sie erneut in eine Falle tappte? Was wenn sie erneut das Opfer von Verrat werden würde? Sie war es inzwischen schon so gewohnt, dass der Gedanke sie nicht einmal mehr wirklich schockte. Das für sich war schon eine traurige Feststellung. Zarifa dachte noch einmal ausführlich über alles nach, was sie über diesen Mann wusste.
Er war es gewesen, der gemeinsam mit zwei Frauen und Alvar in das Arbeitszimmer gekommen war und damit für die entscheidende Ablenkung gesorgt hatte. Und anschließend war er ihr als einziger aus der Gruppe nachgelaufen. Angeblich, um sie zu retten. Er behauptete, Alvar kaum zu kennen und ein Feind Radomirs zu sein. War es wirklich so, wie es den Anschein hatte? Waren Cyneric und seine Verbündeten für all das Chaos hier verantwortlich und hatten damit Zarifa letztlich den Weg bereitet? Oder war Cyneric auch nur ein opportunistischer Halunke, genau wie Alvar?
Immerhin hat er mir gerade geholfen, aus dem Haus zu entkommen, dachte Zarifa, doch im gleichen Atemzug fiel ihr ein, dass Alvar vor gerade mal zwei Tagen genau das gleiche getan hatte. Doch irgendetwas an Cyneric war anders. Sie konnte nicht genau sagen, was es war, doch er hatte etwas an sich, dass in Zarifa Vertrauen erweckte.
Sie wischte sich den Schweiß und die Tränen aus dem Gesicht. Cyneric drehte sich jetzt zu ihr um und blickte ihr direkt in die Augen. Da war es. Zarifa wusste, was es war. Dieser leicht grimmige Gesichtsausdruck durchzogen von Mitgefühl und Freundlichkeit. Es gab nur eine Person, bei der sie diesen Gesichtsausdruck schon einmal gesehen hatte. Ziad, dachte sie, während stumme Tränen ihr in die Augen schossen.
Sie lenkte ihre Gedanken in eine andere Richtung. Sie wollte wissen, ob ihre Theorie stimmte.
„Also, bist du für das hier verantwortlich?“, fragte Zarifa und deutete auf das in Flammen stehende Anwesen.
Cyneric schien einen Augenblick über ihre Frage nachzudenken. Er steckte sein Schwert weg und verschränkte die Arme hinter seinem Rücken. Dann sagte er bedächtig: „Nun, auf eine gewisse Art und Weise bin ich das wohl, Zarifa. Ich meine, ich habe das Feuer nicht gelegt – das war... jemand Anderes. Aber ich habe gegen Radomirs Wachen gekämpft und dabei geholfen, den Weg zu seinem Arbeitszimmer freizuräumen, damit er getötet werden kann. Und jetzt ist es tatsächlich geschehen. Durch deine Hand.“ Er machte eine Pause und deutete auf Zarifas Hand. Der Stein fühlte sich mit einem Mal seltsam darin an. „Weißt du, das war nicht das erste Mal, dass ich dabei war, als ein Attentat auf Radomir verübt wurde. Der letzte Versuch fand in Gortharia statt, vor nicht einmal zwei Wochen. Damals ist Radomir gerade noch entkommen. Doch jetzt... jetzt verbrennt sein Leichnam gemeinsam mit seinem gesamten Anwesen. Ich bin froh, dass er fort ist.“
Er schien es tatsächlich so zu meinen, denn Cyneric ließ die Schultern sinken und entspannte sich. Offenbar glaubte er nicht, dass von Zarifa im Augenblick eine Gefahr für ihn ausging, obwohl sie noch immer den Stein hielt. Sie könnte ihn ganz leicht niederschlagen und sich davonmachen. Gerade jetzt sah er nicht hin: er war auf die Menschenmenge am Tor konzentriert, die noch immer Lärm machte. Als würde er jemanden suchen. Doch wohin sollte Zarifa gehen, wenn sie Cyneric losgeworden war? Sie hatte in Gorak niemanden mehr, bis auf Alvar. Und von Alvar hatte sie bis an ihr Lebensende genug gesehen.
Der Augenblick verstrich und Cyneric sah sie an. Er holte tief Luft, als wollte er etwas Wichtiges sagen, doch dann ließ er die Luft wieder unausgesprochen entweichen. Zarifa wunderte sich über sein Verhalten. Sie wurde einfach nicht ganz schlau daraus. Es verwirrte sie, immer wieder das Gesicht von Ziad vor ihrem inneren Auge zu sehen.
„Schätze, wir sollten hier verschwinden", sagte Cyneric schließlich. „Auch wenn die Gefahr im Moment gebannt zu sein scheint... ich für meinen Teil habe für heute genug Feuer und Tod gesehen. Ich werde mich mit einer Freundin treffen, hier ganz in der Nähe. Sie kann nicht weit sein. Wenn ich sie gefunden habe, werden wir uns in einer der Gasthäuser ein Zimmer nehmen und etwas Erholung nach diesem erfolgreichen Tag gönnen. Kommst du mit?“
„Ja, gerne!“ Die Worte verließen Zarifas Mund, noch bevor sie richtig darüber nachgedacht hatte. Wenn sie es getan hätte, wäre ihre Antwort vermutlich anders ausgefallen. Immerhin ging es darum, einem fremden Mann nur auf der Basis seiner Worte zu vertrauen. Doch irgendetwas an seinem Blick und seiner Haltung hatte Zarifa zu dieser spontanen Reaktion geführt. Und außerdem sah sie im Moment nicht wirklich eine Alternative. Doch was, wenn es doch ein Fehler war?
„Wunderbar“, entgegnete Cyneric erleichtert. „Also dann, suchen wir meine Freundin.“
Cyneric drehte sich um und ging auf Zehenspitzen los, um seine Freundin in der Menge erblicken zu können. Zarifa folgte ihm etwas zögerlich. Ganz sicher war sie sich ihrer Sache immer noch nicht. Immer wieder schossen unangenehme Bilder durch ihren Kopf. Bilder, in denen sich Cynerics freundliches Lächeln in das gierige Lächeln Alvars verwandelte. Bilder, in denen Cynerics helfend ausgestreckte Hand plötzlich anfing, sie gegen ihren Willen zu berühren. Obwohl sein Verhalten bisher in keiner Weise darauf schließen ließ, wurde Zarifa den Gedanken einfach nicht los, dass sie in eine Falle lief, genauso wie sie schon bei Yasin und Alvar in eine Falle gelaufen war. Sie spürte den Schweiß auf ihrer Haut, der nichts mit der Hitze des Feuers zu tun hatte. Sie hatte Angst. Und sie fühlte sich hier mitten in der Menschenmenge unwohl. Sie spürte den Stein in ihrer Hand. Sie würde ihn behalten. Nur für den Fall.
„Ah, da vorne ist sie!“ Sie hatten gerade das Tor zum Anwesen passiert und Cyneric deutete auf eines der gegenüberliegenden Gebäude. Zarifa blickte auf. Sie sah eine junge Frau. Eventuell sogar genauso jung wie sie selbst? Sie hatte mittellange, dunkle Haare, die offen im Wind flatterten und trug ein helles Kleid. Abgesehen von der hellen Haut und den fehlenden Narben, sah sie Zarifa sehr ähnlich. Cyneric lief nun schnellen Schrittes auf sie zu. Zarifa folgte ihm. „Ah, da bist du ja endlich“, begrüßte die unbekannte Frau Cyneric. „Ryltha hatte keine Lust mehr zu warten. Sie ist sofort aufgebrochen, um in Gortharia Bericht zu erstatten. Und wen hast du da mitgebracht?“, fragte sie, als sie Zarifa erblickte. Ihr Ton war ein wenig ungeduldig, aber nicht unfreundlich. „Das hier ist Zarifa. Sie ist diejenige, die Radomir umgebracht hat“, entgegnete Cyneric. „Ah, ich erinnere mich. Deswegen hast du also so lange getrödelt?“ Zarifa gefiel es überhaupt nicht, dass hier so über sie gesprochen wurde, als sei sie nicht da. Doch sie wagte es auch nicht, etwas zu sagen. Sie konnte die unbekannte Frau bisher überhaupt nicht einschätzen.
„Wir haben ihr Radomirs Tod zu verdanken. Und außerdem brauchte sie offensichtlich Hilfe. Und wie könnte ich einer jungen Frau nicht helfen, wenn sie ihr Herz offensichtlich am rechten Fleck hat?“ Cyneric sagte diese Worte in einem sehr seltsamen Tonfall. Zarifa konnte das im Augenblick überhaupt nicht einordnen. Die unbekannte Frau blickte Cyneric nun tief in die Augen. Irgendetwas schien zwischen den beiden gerade zu passieren und Zarifa gefiel es gar nicht, dass sie nichts davon verstand. Worum ging es hier?
„Du kannst es einfach nicht lassen, oder? Also schön, mein Name ist Salia. Freut mich dich kennenzulernen“, sagte die Frau nun zu Zarifa gewandt und streckte ihre Hand aus. Vollkommen verwirrt erwiderte Zarifa den Händedruck.

Cyneric, Salia und Zarifa in die Stadt
« Letzte Änderung: 27. Nov 2018, 01:28 von Rohirrim »
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