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Autor Thema: Glebs Haus  (Gelesen 2504 mal)

Eandril

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Glebs Haus
« am: 2. Okt 2017, 23:27 »
Milva von  den Straßen Gortharias

Das Haus des ehrenwerten Händlers Gleb Vseslavich erinnerte Milva stark an Ántonins Haus - wie jenes war es eines der wenigen Häuser in Gortharia abgesehen von den Anwesen der Adligen, die nicht direkt an ein anderes Haus grenzten, besaß zwei Stockwerke, Glasfenster und war von einem eisernen Zaun mit scharfen spitzen umgeben. Es lag sogar im gleichen Viertel wie Ántonins Haus, glaubte Milva jedenfalls. Allerdings hatte sie noch immer Schwierigkeiten, sich in Gortharia zuverlässig zurechtzufinden, wenn sie von ihren gewohnten Wegen abwich, also mochte sie sich genauso gut täuschen. Vom Zauntor aus folgten sie einem gepflasterten Weg, der den mit kurz geschnittenem Gras bewachsenen Vorplatz in zwei Hälften teilte, zu der zweiflügligen Haupttür des Hauses. In einem einsamen kleinen Baum, der auf der linken Seite des Rasens wuchs, sag ein Vogel sein abendliches Lied. Hier, wo vor allem die Reichen und Mächtigen Gortharias wohnten schien der Lärm der Straßen gedämpft, und der Vogel war gut zu hören - eine Nachtigall. Bevor Milva sich wundern konnte, wie sich ein solcher Vogel in diese Stadt verirrte, öffnete ihr Führer einen der Türflügel, und sie folgte ihm ins Innere des Hauses.
Drinnen herrschte beinahe vollkommene Stille sobald die Tür hinter Milva ins Schloss gefallen war, nur aus einer Tür am rechten Ende des Flures drangen leise Stimmen. Die Wände des Flures waren mit dunklem Holz getäfelt, und nur zwei Kerzen in prunkvollen Halterungen sorgten für ein wenig Licht. Milva folgte dem Diener schweigend den Flur entlang auf die Tür zu, hinter der sie die Stimmen hörte, und ein allmählich kroch ihr ein leises Unbehagen den Rücken hinauf. Vorhin, auf der Straße im Sonnenlicht, hatte sie die Aussicht auf ein solches Abenteuer merkwürdig gefreut, doch jetzt, in diesem dämmrigen Flur, war sie sich nicht mehr so sicher. Sie war kurz davor sich umzudrehen und davonzulaufen, als der Diener sacht an die schwere Holztür klopfte, und sie auf ein leises "Herein" hin öffnete. Er machte eine einladende Geste in Milvas Richtung, und sie trat vorsichtig über die Schwelle.
Das Zimmer war groß, mit hoher Decke und mehreren kleinen Glasfenstern, die das Abendlicht hereinließen. Am anderen Ende des Raumes befand sich ein Kamin, in dem jedoch kein Feuer brannte, denn der Abend war warm. Vor dem Kamin saßen einander vier Männer in bequemen Sesseln gegenüber. Drei der Männer, die einander sehr ähnlich sahen, waren noch relativ jung, etwa in Milvas Alter oder nur wenige Jahre älter. Der vierte Mann, der den drei anderen schräg gegenüber saß, sah ihnen ebenfalls ähnlich, war jedoch einige Jahre älter. Einige graue Strähnen durchzogen sein volles braunes Haar, und sein Gewand spannte sich ein wenig über dem Bauch.
Am Kamin, einen Arm auf dem locker auf dem Sims abgelegt und in der anderen Hand einen Weinbecher den er langsam schwenkte, stand ein weiterer Mann, der den Kopf gehoben hatte und aufmerksam in Richtung der Tür blickte, als Milva eintrat. Ein ein wenig triumphierendes Lächeln überzog sein edel geschnittenes Gesicht. "Ah, hier kommt unser Gast. Seid mir willkommen, Milva aus Dorwinion. Ich hoffe, ihr erinnert euch an mich?"
Das tat Milva tatsächlich nicht, zumindest nicht sofort. Sie trat zögerlich einen Schritt näher, betrachtete das scharfgeschnittene Gesicht mit den dunklen Augen, die von kleinen Fältchen umgeben waren, genau. Graumelierte blonde Locken, die bis auf Kinnhöhe herabfielen umgaben das Gesicht. Mit einem Mal wurde Milva klar, wo sie dieses Gesicht bereits gesehen hatte: In der Dunkelheit der Tunnel unter Gortharia, bei ihrer ersten Begegnung mit der Schwarzen Rose. "Ihr seid Gudhleif, Sohn von, ähm... Vissileif?", erwiderte sie mit fragendem Unterton, und öffnete ihre linke Hand, sodass die Rosenblüte sichtbar wurde.
"So ist es", meinte Gudhleif, offenbar nicht vollständig zufrieden - als hätte sie etwas wichtiges vergessen. "In Gortharia kennt man mich unter Gleb Vseslavich, was in der Sprache unser beider Heimat Gudhleif Vissileifsson heißt. Ich bin, falls ihr euch nicht erinnert, der Erbe Bladorthins von Dorwinion und damit rechtmäßiger Herrscher der Königreichs von Dorwinion." Jetzt erinnerte Milva sich vollständig, denn davon hatte Gudhleif bereits bei ihrer vorigen Begegnung gesprochen - und davon, dass er ihr damit ihr rechtmäßiger König war. Milva beobachtete die anderen vier Männer misstrauisch, ohne dabei Gudhleif aus den Augen zu lassen. Sie konnte jetzt nicht auch noch den Befehlen eines angeblichen Königs folgen, nicht, dass sie das gewollt hätte, und ein solches Verhalten machte Könige, Fürsten, und jeden anderen Adligen ihrer Erfahrung nach zornig. "Dies sind meine Söhne Iziaslav, Rostislav und Volodar, und mein Bruder Rogvolod", stellte Gudhleif nacheinander die drei jüngeren und den älteren Mann vor, als Milva keine Anstalten machte, zu antworten. "Ich bin sicher, ihr habt einige Fragen."
"Allerdings", antwortete Milva vorsichtig, und stellte die unverfänglichste, die ihr in den Sinn kam: "Ich habe noch nie von diesem Königreich Dorwinion gehört - solange ich mit erinnern kann, wurden wir immer von Gortharia aus beherrscht."
"Das ist nicht verwunderlich, denn das Königreich Dorwinion ging vor beinahe zweihundertfünfzig Jahren unter und wurde von Gortharia erobert", erklärte Gudhleif, während ein Feuer in seinen dunklen Augen aufloderte. "Bladorthin, der letzte der Könige aus unserem uralten Geschlecht starb beim Fall der Hauptstadt, doch sein Sohn Hjórik überlebte und wurde als Sklave nach Gortharia verschleppt. Hjórik entkam schließlich, doch anstatt nach Dorwinion zurückzukehren, blieb er in Gortharia. Seine Nachfahren überdauerten hier, und mein Vater erarbeitete uns als Weinhändler schließlich ein bescheidenes Vermögen. Mein Bruder und ich setzten sein Werk fort, und sind inzwischen Teil der Händlergilde."
"Und warum schließt ihr euch dann der Schwarzen Rose an?", wagte Milva zu fragen, und erkannte sofort, dass dies die falsche Frage gewesen war. Gudhleif trat einen Schritt vom Kamin fort in ihre Richtung, die Hände zu Fäusten geballt. "Wir mögen ein gutes Leben haben", stieß er zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. "Das will ich nicht leugnen. Doch es ist nichts - nichts - im Vergleich zu dem was unsere Familie hatte. Was wir haben sollte. Was uns zusteht."
"Was mein Bruder sagen will, ist dies", warf Rogvolod, der die Fingerkuppen zusammengelegt hatte, ruhig ein. "Durch die Arbeit unseres Vaters und die unsere befinden wir uns in einer finanziell stabilen Position. Wir sind dadurch in der Lage, mit unserer - ohne angeben zu wollen - beträchtlichen Finanzkraft sowie politischem Einfluss, innerhalb der Händlergilde und darüber hinaus, die Schwarze Rose in ihrem Wirken zu unterstützen. Allerdings sollte dass wir, wiewohl der Sturz des Tyrannen Goran durchaus in unserem Interesse liegt, dafür eine gewisse Gegenleistung erwarten - gemeint ist selbsterklärlich die gegenseitige Unterstützung der Schwarzen Rose dabei, in dem zu erwartenden Chaos nach Gorans Sturz und Tod oder aber, sollte der Umsturz problemlos verlaufen, der erneuten Herrschaft Ulfangs, unser angestammtes Recht der Herrschaft über das unabhängige Königreich Dorwinion zurückzuerlangen. Da ihr wie mein Bruder berichtet hat, ebenfalls aus Dorwinion stammt, und außerdem laut Informationen der Schwarzen Rose - genauer, der werten Fiora - im Bund mit einer weiteren Organisation, die als..."
Der älteste von Gudhleifs Söhnen, Iziaslav, hob die Hand. "Bitte, Onkel. Vielleicht ist es einfacher, wenn ich es erkläre." Der Ansicht war Milva auch, denn inzwischen hatte sie es aufgegeben, dem Redeschwall Rogvolods und seinen verschlungenen Sätzen folgen zu wollen. Auf der Miene Gudhleifs zeichneten sich Ungeduld und Verärgerung ab.
"Mein Vater möchte mit Hilfe der Schwarzen Rose den Königsthron von Dorwinion erlangen - zurückerlangen", verbesserte sich Iziaslav auf einen finsteren Blick seines Vaters hin. "Unter anderem deswegen unterstützen wir sie. Wir wissen von Fiora, dass ihr in Verbindung zu den Schattenläufern steht." Die euch alle ohne Zögern umbringen würden, wenn sie anfangen in euch eine Gefahr zu sehen, dachte Milva bei sich, nickte aber nur schweigend. "Die Unterstützung der Schwarzen Rose ist wertvoll für uns, doch sie könnte bei unserem Vorhaben nicht ausreichen - deswegen bieten wir den Schattenläufern folgendes an: Wir werden sie mit all unserer Macht und unserem Reichtum unterstützen, in vernünftigen Maßen selbstverständlich. Und im Gegenzug werden sie uns ebenfalls dabei helfen, nach Gorans Tod unsere Ziele zu erreichen."
"Sagt ihnen das", unterbrach Gudhleif sichtlich ungeduldig. "Sagt ihnen, wenn sie uns unterstützen, tun wir das ebenfalls."
"Und welche Unterstützung könnt ihr den Schattenläufern bieten?", fragte Milva, ohne recht zu wissen, was sie tat. Sie sollte die Botschaft an Ryltha überbringen, und dann hoffen nichts mehr mit dieser Sache zu tun haben zu müssen. Stattdessen...
Gudhleifs Augenbrauen zogen sich drohend zusammen. "Ihr seid unverschämt. Ihr sollte nicht vergessen, mit wem ihr sprecht. Dennoch... Ihr wisst ohne Zweifel, dass der Gildenmeister der Händlergilde alt und schwach ist - und ein wichtiger Unterstützer König Gorans. Das Problem ist, wenn er stirbt wird höchstwahrscheinlich so ein Emporkömmling zum Gildenmeister gewählt, Ántonin Dvakar, wenn euch der Name etwas sagt." Bei der Erwähnung von Ántonins Namen hatte Milvas Herz schneller zu schlagen begonnen, denn sie ahnte, was als nächstes kommen würde. Und Ántonin, obwohl er das Königreich unterstützte, war sehr freundlich zu ihr gewesen und hatte ihr ohne Eigennutz geholfen - etwas, das seit ihrer Ankunft in Gortharia eigentlich nur eine weitere Person getan hatte. "Wir werden dafür sorgen, dass es nicht dazu kommt." Auf die eine oder andere Weise, sagte Gudhleifs Unterton aus. "An seiner Statt wird Rogvolod zum Gildenmeister gewählt werden - nicht ich, auf mich warten andere Aufgaben. Er könnte die ganze Macht der Händlergilde für die Ziele der Schattenläufer einsetzen - wenn sie uns unterstützen. Sag ihnen das."
Wahrscheinlich wissen sie das alles längst. "Ich werde es ihnen sagen", erwiderte Milva, bemüht, ihrer Stimme einen gleichgültigen Klang zu geben. "Ihr werdet ihre Antwort bald erhalten."
"Das hoffe ich", brummte Gudhleif. "Es schickt sich nicht, einen König warten zu lassen."

Als Milva aus der Haustür trat, atmete sie tief die einigermaßen frische Luft ein, bevor sie sich langsam auf den Heimweg machte. Es überraschte sie wenig, als nach einiger Zeit mit einem Mal eine Frau mit einer Kapuze neben ihr ging, und leise sagte: "Du hast dich überraschend gut geschlagen, Milva." Es war Ryltha, die sich unter der Kapuze verbarg. "Der Möchtegern-König spielt ein gefährliches Spiel, wenn er glaubt uns mit seinem Angebot zu überraschen."
Milva lächelte, als sie leise erwiderte: "Ich dachte mir, dass ihr Bescheid wisst, durch den..." Sie verstummte bevor sie den Brunnen erwähnen konnte. Dann fragte sie: "Werdet ihr auf seinen Vorschlag eingehen?"
"Fürs erste", antwortete Ryltha. "Es wäre tatsächlich in unserem Interesse, Rogvolod Vseslavich als Gildenmeister der Händlergilde einzusetzen. Und sofern er in unserem Sinne handelt, sind wir auch einem König Gudhleif von Dorwinion nicht vollständig abgeneigt."
Für einen Augenblick wandte Ryltha Milva das Gesicht zu, und Milva erkannte das Lächeln, dass um ihre Lippen spielte. "Gudhleif hat die übrigens nicht alles erzählt, was er vorhat. Du hast bei der Schwarzen Rose von Fürst Radomir von Gorak und seiner schönen Schwester gehört... Nun, Gudhleif plant, seinen ältesten Sohn mit dieser Schwester zu verheiraten, sobald Radomir tot ist. Du siehst also, dass seine Vorstellungen ein wenig über die Krone Dorwinions hinausgehen."
"Das dürfte Ulfang nicht gefallen", meinte Milva, der dieses Detail von ihrem Besuch bei der Schwarzen Rose gerade wieder einfiel. "Immerhin will er sie selbst heiraten."
"Die arme Rhiannon wird sich vor Freiern kaum retten können", sagte Ryltha amüsiert, bevor sie wieder ernst wurde. "Doch letztlich wird sie den Mann heiraten, den wir für am besten erachten. Vergiss eines nie: In Rhûn wird bald nur geschehen, was wir wollen."
Mit diesen Worten verschwand Ryltha lautlos wie sie gekommen war in der Menge, und ließ Milva nachdenklich zurück.

Milva zurück auf die Straßen Gortharias
« Letzte Änderung: 8. Jan 2019, 15:01 von Fine »

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