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Autor Thema: Taur-en-Elenath  (Gelesen 8167 mal)

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Taur-en-Elenath
« am: 19. Apr 2018, 11:54 »
Córiel, Jarbeorn und Pallando aus Ost-Rhovanion


Trotz Pallandos Aussage, dass es nicht mehr sonderlich weit bis zu ihrem Ziel sei, brauchte die Reisegruppe noch drei Tage, bis sie an den Rand des Waldes kamen, der sich am Ostufer des Carnen erhob. Sie hatten den Celduin, der vom Langen See und Esgaroth quer durch Rhovanions und Rhûn bis zum Binnenmeer floss, am späten Abend des dritten Tages ein kleines Stück unterhalb der Stelle überquert, an der er mit dem Carnen zusammenfloss, der aus den fernen Eisenbergen stammte. Die Furt über das Eilende Wasser war bewacht gewesen und sie hatten einen nicht gerade billigen Wegzoll zahlen müssen, um sie zu passieren. Die Soldaten Rhûns, die dort Wache standen, hatten im Dämmerlicht keinen genaueren Blick auf Córiel oder Jarbeorn geworfen, die beide kein Wort gesagt hatten und Pallando reden gelassen hatten. Der Zauberer kannte die wichtigsten Sprachen Rhûns gut genug, um mühelos als Einheimischer durchzugehen. So verließen sie Rhovanion endgültig und kamen ins Kernland Rhûns.
Die Länder beidseitig des Carnens hatten einst unter der losen Kontrolle des Königreiches von Dorwinion gestanden. Heute gehörten sie zum Reich von Gortharia, dessen Herrscher Dorwinion erobert und seine Bevölkerung eingegliedert hatten. Pallando erzählte ihnen, als sie ihr Nachtlager unweit des Waldrandes aufschlugen, dass diese Gegend von den meisten Menschen gemieden wurde, da der Wald einen üblen Ruf hatte.

Am Tag darauf standen sie bei Sonnenaufgang auf und kamen zum Waldrand. Die Bäume waren weniger dicht als die des Düsterwaldes, doch dafür umso höher und älter. Dennoch wuchs kaum Unterholz und Dickicht zwischen ihnen. Alles machte einen recht ordentlichen Eindruck auf Córiel, als sie zwischen den ersten Stämmen hindurch trat. Und es erinnerte sie an den Wald, in dem Melvendë einst gelebt hatte. Doch der Wald längst vergangener Zeitalter war meist vom Klang lieblicher Elbenstimmen erfüllt gewesen, denn Melvendës Volk war zahlreich und lebensfroh gewesen, ehe die Schatten zum ersten Mal ihr Land bedeckt hatten. Der Wald, zu dem Pallando sie nun geführt hatte, war still und wirkte gepflegt, aber leer.
„Was gibt es hier für uns, Eldsten?“ fragte Jarbeorn. Er hatte seine Axt gezogen und hielt den langen Schaft der Waffe locker in der linken Hand.
„Einen Weg, Vaicenya aufzuhalten... hoffe ich,“ antwortete der Zauberer, der neben Córiel ging und tiefer und tiefer in den Wald vordrang.
„Dieser Ort... er gleicht dem aus meinen Erinnerungen,“ murmelte Córiel, und Pallando nickte.
„Dafür gibt es einen einfachen Grund. Die ersten Elben, die hier her kamen, waren von deinem Volk.“
„Aber es heißt, dass alle Noldor geschlossen nach Valinor gingen,“ erwiderte Córiel. So hatten es ihr zumindest ihre Eltern einst beigebracht, als sie die Geschichte ihres Volkes während ihrer Zeit in Lindon studiert hatte.
„So ist es. Jene, die Finwë folgten, folgten ihm als eine, ungeteilte Menge. Doch ich sprach nicht von den Noldor. Ich sprach von den Tatyar.“
Córiel blieb stehen. „Ich dachte, sie wären im Osten geblieben, als Oromë kam, um die Quendi in Richtung Valinor zu führen.“
Pallando nickte. „Als mein Herr nach Cuivienen kam, spalteten sich die drei Völker der Quendi auf. Von den Tatyar, dem zweiten Volk, ging die Hälfte mit Finwë nach Valinor, und wurde dort als Noldor bekannt. Doch jene, die blieben, verweilten nicht ewiglich an den Wassern des Erwachens. Als das Meer zu schrumpfen begann, zog eine kleine Gruppe an seinem Nordufer westwärts, bis sie an den Carnen kamen - jener Fluss, der unweit von hier in das Eilende Wasser mündet. Dort nun fanden sie den Wald, den wir gerade betreten, und einige von ihnen blieben dort. So hat es mir jene erzählt, die als die Herrin dieser kleinen Zuflucht bekannt wurde.“
Córiel schwieg. Sie war nachdenklich geworden, da sie noch immer nicht recht wusste, weshalb Pallando sie an diesen Ort gebracht hatte, und wie sein Plan bezüglich Vaicenya aussah. Sie blickte sich um, während sie dem Zauberer folgte, tiefer und tiefer in den Wald hinein. Die Bäume standen nun etwas näher beieinander. Eine wachsame Stille hing zwischen den schlanken, hohen Stämmen, die Córiel den Atem anhalten ließ. Ihr Blick huschte hin und her, doch nichts wies auf die Anwesenheit von Elben hin. Sie atmete tief durch und schloss für einen kurzen Moment die Augen. Als sich Jarbeorns Hand sanft auf ihre Schulter legte, öffneten sich Coriels Lider und sie sah, dass die Gegenwart der Reisegruppe bemerkt worden war.
Zwischen den Bäumen zu ihrer Linken waren zwei gerüstete Elben aufgetaucht, die sich rasch näherten. Beide waren sie mit Bögen und Schwertern bewaffnet, doch ihre Waffen waren nicht gezogen worden. Geradewegs auf Pallando kamen sie zu, und der Zauberer schenkte ihnen ein gewinnendes Lächeln.
„Rómestamo,“ grüßten sie ihn. Es waren zwei, ein Mann und eine Frau, die Lederrüstung und Umhänge aus grauem Stoff trugen, die zu der Bekleidung passten, an die Melvendë sich erinnerte. Es war, als wäre sie um viele Jahrtausende in die Vergangenheit gereist und stünde nun erneut unter den jungen Bäumen des wilden Waldes, der die erste Heimat der Tatyar gewesen war.
„Erneut dringt Ihr ungefragt und unerlaubt in unseren Wald ein,“ sagte die Elbenfrau  vorwurfsvoll, doch ihr Lächeln strafte ihre Worte Lügen.
„Und länger als beim letzten Mal habt Ihr Euch der Entdeckung entzogen,“ ergänzte ihr Gefährte, der ebenfalls nicht sonderlich verärgert darüber zu sein schien.
„Ich tue euch damit einen Gefallen, wie ihr beiden nur allzu gut wisst,“ gab Pallando zurück. „Ihr seid jung, nach dem Maßstäben eures Volkes, und könnt noch die eine oder andere Lektion darüber vertragen, verborgene Eindringlinge aufzuspüren. Denn es wird ein Tag kommen, an dem die Könige Rhûns mehr als nur einfache Soldaten hierher entsenden werden. Dank mir werdet ihr bereit sein.“
„Wir wissen die Hilfe zu schätzen, alter Freund,“ sagte der Elbenwächter spöttisch.
„Die Betonung liegt hierbei eindeutig auf alt,“ fügte seine Begleiterin neckisch hinzu. Dann wandte sie sich Córiel und Jarbeorn zu. „Doch sagt, wen habt Ihr uns da mitgebracht? Sind dies Eurer Schüler?“
Der Beorninger trat vor. „Ich bin Jarbeorn, Grimbeorns Sohn - zu Euren Diensten.“
Alle Augen richteten sich auf Córiel, die für einen Moment zögerte. Wie sollte sie sich vorstellen? Die beiden Elben waren vermutlich zu jung, um sich an Melvendë zu erinnern. Córiel vermutete, dass sie hier geboren waren und die alte Heimat der Tatyar nie selbst gesehen hatten. Sie gab sich einen Ruck und sagte: „Mein Name ist Córiel.“ Dabei beließ sie es.
Die beiden Elben stellten sich als Faryon und Tórdris vor. „Seid Ihr gekommen, um mit der Herrin der Quelle zu sprechen?“ fragte Faryon, an Pallando gewandt.
„Du hast es erfasst, junger Freund,“ antwortete der Zauberer. „Würdet ihr beiden so freundlich sein, uns zu ihr zu geleiten?“
„Sofern Ihr für Eure beiden Gefährten bürgt,“ sagte Tórdris und warf einen prüfenden Blick zu Córiel und Jarbeorn hinüber. Córiel nahm es der Elbin nicht übel. Sie tat nur das, was ihre Herrin ihr aufgetragen hatte: dafür zu sorgen, dass niemand Unbefugtes den Wald betrat. Zumindest erschien es Córiel so.
„Ihr solltet wirklich lernen, mir zu vertrauen, meine lieben Elben,“ meinte Pallando kopfschüttelnd. „Dass Taur-en-Elenath noch immer frei vom Schatten Gortharias ist, habt ihr immerhin mir zu verdanken.“
„Diese alte Leier schon wieder?“ sagte Faryon lachend. „Das ist viele hunderte von Jahren her, und das wisst Ihr ganz genau, Zauberer.“
„Das macht es nicht weniger gewichtig,“ hielt Pallando dagegen, während sich die Gruppe langsam in Bewegung setzte. „Die Menschen von Rhûn hätten diesen Wald ganz gewiss abgeholzt, und wir stünden nun in einer brachen Einöde.“
„Das hätte die Herrin niemals zugelassen,“ mischte Tórdris ein, deren hellbraunes Haar bei jedem Schritt auf- und ab wippte, da sie einen besonders federnden Gang hatte. „Ihr müsst wissen, dass Ihr nicht der einzige Freund des Sternenwaldes seid. Es gibt andere, die unsere Grenzen ebenso schützen wie Ihr und wie wir es tun.“
Pallando nickte zufrieden. „Das macht mir das Herz etwas leichter. Es wäre ein trauriger Tag, an dem dieser Ort von der Landkarte getilgt würde.“

Sie kamen nach einiger Zeit an einen ungefähr vier Meter breiten Fluss, der sich seinen Weg durch den Wald bahnte, und bogen nach Norden ab, am diesseitigen Ufer des Gewässers entlang. Córiel sah nun eindeutige Anzeichen dafür, dass tatsächlich Elben in diesem Wald lebten. Hier und da waren hölzerne Behausungen zwischen den Bäumen zu sehen, und die Gruppe begegnete immer wieder einzelnen Waldbewohnern, von denen die meisten Pallando einen Gruß zuriefen oder ihn anderweitig begrüßten. Aus den Baumwipfeln hingen kunstvolle Ziersterne herab, die aus dünnen, miteinander verflochtenen Zweigen bestanden und die jeweils sieben Zacken besaßen. Und als es zu dämmern begann, erstrahlte vielerorts unter den Baumkronen das bläuliche Licht vieler Elbenlampen, die dafür sorgten, dass sich Córiel mehr und mehr fühlte, als wandelte sie durch eine Erinnerung Melvendës, die durch den Wald ihrer ersten Heimat streifte.
Sie kamen auf eine große Lichtung, an deren Rand mehrere gewaltige Eichen standen. Der Fluss war zu einem kleinen Bach geworden und verschwand auf der anderen Seite der Lichtung zwischen einigen großen Felsen. Elben streiften auf der freien Fläche umher und schienen nicht im Geringsten davon überrascht zu sein, dass Fremde das Herz ihres Waldes betreten hatten. Die Nachricht ihrer Ankunft musste ihnen bereits vorausgeeilt sein.
Pallando, flankiert von Tórdris und Faryon, schritt zügig über die Lichtung, auf die höchsten der Eichen zu. Dort wartete jemand auf ihn. Als Córiel und Jarbeorn nahe genug herangekommen waren, sahen sie, dass es sich dabei eindeutig um die Herrin der Quelle handeln musste. Sie war eine Elbin mit silbrigem, langem Haar, gehüllt in weite, tiefblaue Gewänder. In ihrem Haar lag ein silberner Reif und um ihren Hals eine schmale Zierkette.
Als die Gefährten vor ihr standen, erkannte Córiel sie. Und obwohl die Herrin ihnen keinen Namen nannte, wusste sie - wusste Melvendë, wie er lautete.
„Tarásanë?“
Silbern schimmernde Augen weiteten sich und spiegelten zu gleichen Teilen Schock, Überraschung und Ergriffenheit wider. Die Reaktion der Herrin der Quelle schien vollkommen untypisch für sie zu sein, denn sowohl Faryon als auch Tórdris starrten sie sprachlos an.
„Diesen Name habe ich... seit den Ältesten Tagen nicht mehr gehört,“ sagte die Herrin der Quelle, nach Fassung ringend.
Córiel wusste nicht recht, was sie sagen sollte. Ehe sie weiter reagieren konnte, kam eine Erinnerung ohne Vorwarnung über sie.

Vaicenya saß auf einem flachen Felsen und reinigte ihr Schwert, methodisch und mit grimmigem Gesichtsausdruck. Schwarz tropfte das Blut ihrer Feinde von der Klinge, als sie es mit den weichen Blättern der nahen Bäume abwischte. Rings um sie herum: eine Schneise der Verwüstung, geschlagen von den Schrecken aus dem Norden. Eine schwarze Wunde im Wilden Wald, deren Vertiefung gerade verhindert worden war.
Melvendës Klinge war in diesem Kampf sauber geblieben. Sie hatte sich auf ihren Bogen verlassen. Geschickt sprang sie von der erhöhten Position herab, von der sie Tod und Verderben auf die Eindringlinge hatte herab regnen lassen. Traurig stellte sie fest, dass es sich dabei um die Überreste einer zerstörten Elbenbehausung handelte. Sie standen in den Ruinen einer kleinen Elbensiedlung am Nordrand des Waldes. Nicht mehr als zwanzig Tatyar hatten hier gewohnt, um dem Licht der Sterne näher zu sein, die unter freiem Himmel außerhalb des Waldes besser zu sehen waren. Sie waren noch immer Elben, weshalb sie es vorzogen, unter dem schützenden Dach der Baumkronen zu leben, doch ebenso gerne verließen sie den Wald und richteten den Blick nach oben, auf das Geschenk der Sternenentzünderin, das von dort auf sie herab strahlte. Zumindest war das bis vor Kurzem noch so gewesen.
Jetzt war das Dorf ausgelöscht worden; seine Bewohner erschlagen oder verschleppt. Schweren Herzens streifte Melvendë durch die rauchenden Überreste des Dorfes, auf der Suche nach Hinweisen. Diese Tragödie war schon lange kein Einzelfall mehr. Und obwohl die Nordgrenze des Waldes inzwischen scharf bewacht wurde, gab es einfach zu viele Feinde, die aus den eisigen Gebieten jenseits des Waldes drangen.
Schon wurden unter den Tatyar Stimmen laut, die forderten, dieses Übel an der Wurzel zu packen und endgültig auszurotten. Sie wollten jeden verfügbaren Elben bewaffnen, nach Norden ziehen und den Ort zu finden, von dem die Angreifer stammten, und ihn zerstören oder versiegeln. Doch Melvendë wusste, dass die Gefahr zu groß war. Niemand kannte sich in den Landen im Norden aus, und niemand wusste, welche Schrecken dort lauerten. Melvendë war sich sicher, dass jeder, der nach Norden ginge, nicht mehr zurückkehren würde. Doch sie fürchtete, dass es nicht mehr lange dauern würde, bis auch Vaicenya zu jenen gehören würde, die den Kampf zur Quelle des Bösen tragen wollten.
Ein Geräusch riss sie aus ihren düsteren Gedanken. Sie stand vor den Überresten eines hölzernen Gebäudes, in dem sich die Elben des Dorfes einst versammelt hatten. Nun war es ebenfalls eine rauchende Ruine. Doch einer der beiden Türflügel war beinahe unversehrt erhalten geblieben und lag auf dem verkohlten Waldboden - und bewegte sich. Rasch packte Melvendë das mit Schnitzereien verzierte Holzstück und zog es unter einiger Anstrengung beiseite. Eine schlanke Gestalt kam zum Vorschein. Dort, versteckt oder unfreiwillig begraben unter dem gestürzten Türflügel, hatte eine junge Elbin als einzige Überlebende den Untergang ihres Dorfes überstanden. Vorsichtig ging Melvendë neben ihr in die Knie und half der verschreckten jungen Frau auf. Sie hatte noch nicht vollständig das Alter erreicht, in dem die Tatyar als ausgewachsen galten, doch ihre Haare besaßen einen ungewöhnlichen, silbrigen Schimmer. In ihren weit aufgerissenen Augen stand noch immer der Schock, doch auch eine Spur von Erleichterung glaubte Melvendë zu entdecken.
„Du bist in Sicherheit,“ sagte sie vorsichtig. „Ich bin Melvendë von den Tatyar. Wie lautet dein Name?“
„T-Tarásanë,“ stieß sie kaum hörbar hervor. Und das war alles, was sie für eine lange Zeit sagte.
Vaicenya und Melvendë nahmen die junge Überlebende mit sich und sie lebte einige Jahre in dem Haus, das die beiden Elben sich teilten. Doch als die Tage dunkler wurden und Vaicenya immer verbitterter und kriegerischer wurde, zog sich Tarásanë mehr und mehr zurück. An dem Abend, an dem Melvendë zu dem Feldzug auszog, in dem sie ihr Ende finden würde, hatte Tarásanë ihr im Geheimen anvertraut, dass sie sich vor Vaicenya zu fürchten begonnen hatte. Melvendë hatte ihr versprochen, dass nach ihrer Rückkehr alles anders werden würde. Doch dazu war es nie gekommen... denn Melvendë kehrte niemals nach Cúivienen zurück.


Mehrere Minuten des Schweigens waren vergangen, als Córiels Erinnerung endlich verblasste. Und dennoch war es Pallando, der die Stille beendete.
„Solch ein Anblick bot sich mir bislang nur selten. Meine gute Freundin, dich sprachlos zu sehen ist etwas, das ich wohl nie vergessen werde.“
Die Herrin der Quelle hatte sich inzwischen gefasst, doch ihr Blick war hart geworden. „Was hat das zu bedeuten, Rómestamo? Soll das ein Scherz sein?“
„Mitnichten, meine Liebe,“ beschwichtigte der Zauberer. „Urteile nicht vorschnell! Das ist doch sonst auch nicht deine Art. Du siehst viel, und noch mehr kannst du deuten, dank der Gabe dieses Waldes. Und doch gibt es Dinge in dieser Welt, die dich überraschen können. Daran ist nichts Falsches.“
Tarásanës Miene wurde undeutbar. Sie hatte nichts mit der jungen Elbin gemeinsam, an die Melvendë sich erinnerte. Stattdessen strahlte sie Weisheit aus - und Vorsicht.
„Ich weiß, dass es schwer zu glauben ist,“ begann Córiel. „Aber ich erinnere mich an dich, Tarásanë. Ich...“ Es fiel ihr noch immer schwer, von den Dingen, die Melvendë getan und gesehen hatte, Besitz zu ergreifen, und sie als ihre eigenen Taten anzusehen. Daher stockte sie. Ein langer Moment verging, ehe Córiel weitersprach. „Du scheinst... jetzt einen anderen Namen zu verwenden.“ Das war alles, was ihr im Augenblick einfiel. Betreten schwieg sie.
„Man kennt mich als die Herrin der Quelle. Das hat genügt - für Jahrtausende.“
„Und es ist ein passender Titel,“ mischte sich Pallando wieder ein. „Kommt, es gibt vieles, worüber wir sprechen sollten. Jedoch nicht hier.“
„Nicht, ehe nicht die Sterne über der Quelle stehen,“ sagte Tarásanë fest. „Ja. Wir werden sprechen. Und alle Unstimmigkeiten beseitigen. Ihr werdet mir erklären, weshalb ihr hierher gekommen seid, und weshalb eine von euch Gesicht und Gestalt einer Heldin aus den Ersten Tagen trägt. Und ich werde wissen, welche Wahrheit hinter all dem, und hinter all den Zeichen, die ich in letzter Zeit gesehen habe steckt. So kommt! Es ist nicht weit von hier.“
Sie setzte sich in Bewegung, gefolgt von Faryon und Tórdris. Jarbeorn und Pallando eilten ihr nach, und schließlich lief auch Córiel los. Sie spürte, dass ein wichtiger Augenblick bevorstand und versuchte, mit aller Kraft, sich auf die Gegenwart zu konzentrieren, denn am Rande ihrer Wahrnehmung lauerten Erinnerungen Melvendës, die nur darauf warteten, sich in den Vordergrund zu drängen. Tarásanë wiederzusehen hatte vieles in ihrem Inneren losgetreten, und nur mit Mühe gelang es Córiel, im Hier und Jetzt zu bleiben, während sie am Ende der kleinen Gruppe ans andere Ende der Lichtung inmitten des Sternenwaldes hastete...
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Tod einer Heldin
« Antwort #1 am: 30. Apr 2018, 15:10 »
Ihr Weg führte sie zurück an die Ufer des kleinen Baches, der am Ende der Lichtung zwischen zwei großen Felsen hindurchfloss. Er war kaum einen Zentimeter tief. Die Herrin der Quelle, die barfuß war, ging anmutig durch das Wasser, und der Rest der Gruppe folgte ihr durch den steinernen Durchgang. Sie kamen in eine Art Halle, die durch dicht beieinander stehende Bäume und deren überlappende Kronen gebildet wurde. Nur in der Mitte war eine beinahe kreisrunde Öffnung zu sehen, durch die noch ganz schwach einige ferne Sonnenstrahlen drangen. Direkt unter der Öffnung endete der Bach, der hier nur noch ein winziges Rinnsal war, in einer ungefähr zwei Meter breiten Quelle. Córiel konnte nicht sagen, woher das Wasser kam, das sich am unteren Ende der Quelle sammelte und in den Bach hinunter tropfte. Die Oberfläche des Quellbeckens, das ein perfektes Oval bildete, war komplett regungslos.
Die Gruppe versammelte sich um das Becken herum. Die Herrin des Waldes - Tarásanë - gebot ihnen mit einem Fingerzeig an ihren Lippen zu schweigen. Die beiden jungen Elben, Faryon und Tórdris, hielten bei dem Felsentor stumm Wache.
Eine Viertelstunde verging, in der das Sonnenlicht schwand und einer nach dem anderen die Sterne über der Quelle erschienen. Schließlich breitete Tarásanë die Hände aus und sagte: „Es ist Zeit.“
Jarbeorn war der Erste, der sein Schweigen brach. „Was ist das für ein Ort, Herrin?“ fragte der Beorninger andächtig.
„Ein Ort der Wahrheit,“ erklärte die Herrin der Quelle. „Er wurde vor Anbeginn von den Dienern der Sternenentzünderin geschaffen.“
„Varda,“ wisperte Córiel.
„So ist es. Es scheint insgesamt sieben solcher Quellen zu geben, verstreut über ganz Mittelerde. Ich selbst habe nur diese eine jemals gesehen, und kenne den ungefähren Ort von vier weiteren. Die Quelle gewährt mir Einblick in Dinge, die in der Ferne liegen.“
„Wie Galadriels Spiegel?“ fragte Córiel interessiert nach.
„Der Spiegel selbst ist nur ein Werkzeug, das die Macht der Quelle, die unter den Wurzeln des Goldenen Waldes schlummert, bündelt und einfacher zu lenken macht“, erklärte Tarásanë. „Ich sehe, dass ihr bereits Erfahrungen mit solcherlei Dingen gemacht habt.“
Córiel und Jarbeorn tauschten einen raschen Blick aus, ohne jedoch eine Antwort auf die Feststellung der Herrin der Quelle zu geben.
Sie fuhr fort, zu sprechen. „Galadriels Spiegel, die Sternenquelle, das Becken der Weitsicht, das Heiligtum der Sieben Schwestern und der Feurige Wasserfall. Sie alle bedienen sich ein und derselben Kraft, die letzten Endes nicht von dem Wasser, sondern von den Sternen stammt. Zwei weitere solcher Orte gibt es, doch ich habe sie in all den Jahrtausenden nicht aufspüren können. Darüber hinaus gibt es eine Abstraktion im Gefüge der Sieben, eine Verderbtheit der ursprünglichen Macht der Quellen, geschaffen von jener, die sich von ihren Schwestern abwandte. Doch dies ist weder der Ort noch die Zeit, um davon zu sprechen. Zu viel Dunkelheit liegt in jener Geschichte. Ich habe euch hierher gebracht, um die Wahrheit in euren Worten zu prüfen, denn ich zweifle an dem, was mir meine Augen sagen. Romestamó, erkläre dich. Weshalb bringst du das Abbild jener in mein Heim, die mir einst unter großen Schmerzen genommen wurde?“
Pallando hatte eine ernste Miene aufgesetzt und stützte sich schwer auf seinen Stab. „Es war nicht meine Absicht, dir Kummer zu bereiten. Und doch nahm ich diese Bürde auf mich, denn ich brauche deine Hilfe, alte Freundin. Dies ist Córiel von den Noldor, wie du gewiß bereits von deinem Volk gehört hast. Doch das ist noch nicht alles.“
„Du nennst einen Namen, der mir unbekannt ist,“ erwiderte Tarásanë und ihre silbrigen Augen fixierten Córiel. „Was also ist die Lösung dieses Rätsels? Ist die Macht deiner Illusionen nun so überzeugend geworden, dass du selbst nicht mehr unterscheiden kannst, was real ist, und was nicht, Zauberer?“
„Mitnichten. Córiel ist real - genau so real, wie die Bedrohung, wegen derer wir hier sind. Das wird dir das Sternenlicht auf der Quelle bestätigen. Du fragst dich, weshalb sie dich an eine Erscheinung aus den Altvorderen Tagen erinnert? Die Antwort darauf ist einfacher, als man annehmen würde. Am besten sagt sie es dir selbst.“
Córiel wählte ihre Worte sorgfältig. Es war mehr als nur eine Erklärung, bestimmt für mehr als nur Tarásanës Ohren. Es war, in jenem Augenblick unter dem wachsamen Auge der Lichter Vardas, eine Annahme ihres Schicksals und eine Akzeptanz dessen, was ihr widerfahren war. Sie sprach einfache Worte mit tiefer, schwerwiegender Bedeutung. Córiel und Melvendë wurden in jener Stunde wieder eins.
„Ich bin Melvendë von den Tatyar, gefallen im Kampf gegen die Kreaturen von Melkor, die ausharrte in den Hallen des Mandos, bis es dem Schicksal gefiel, mich zurück auf diese Mittelerde zu senden, und ich somit als Córiel von den Noldor eine zweite Chance bekam.“
Tarásanës Blicke gingen voller Anspannung zwischen Córiel und der noch immer regungslosen Oberfläche der Quelle hin und her, als würde sie dort nach weiteren Antworten oder Reaktionen suchen. Doch als sich nichts tat, atmete die Herrin der Quelle einmal tief aus, und wieder ein. Dann sagte sie: „Du sprichst die Wahrheit, Melvendë... doch was ist dir in den Schatten widerfahren?“

~~~

Je weiter die Streitmacht der Quendi nach Norden vordrang, desto weniger Bäume sahen sie. Das Land jenseits des Wilden Waldes war karg und felsig. Ein  unangenehmer, kalter Wind brauste über die Einöde und trug unheilvolle Klänge an ihre Ohren. Jeglicher Friede, den sie in ihrer Heimat verspürt hatten, war nun durch eine angespannte Wachsamkeit ersetzt worden.
Melvendë ging dicht hinter Vaicenya an der Spitze des Trupps. Ungefähr fünftausend kampfbereite Eldar von den unterschiedlichsten Stämmen hatten sich dem großen Wagnis angeschlossen, dessen Urheber endlich Gehör bei den Ersten gefunden hatten. Es war an der Zeit, den Ursprung der stetig schlimmer werdenden Angriffe aus dem Norden zu finden, und ihn zu beseitigen. Dieser Meinung war jedenfalls Vaicenya, die in den letzten Jahren immer verbitterter und blutrünstiger geworden war. Es gab Tage, an denen Melvendë ihre langjährige Freundin kaum noch wiedererkannte.
Kurz vor dem Aufbruch nach Norden hatte Tarásanë ihr anvertraut, dass sie sich vor Vaicenya zu fürchten begonnen hatte. Melvendë hatte der jungen Elbin versprochen, dass nach ihrer Rückkehr alles anders werden würde. Wenn die Quelle des Bösen versiegt wäre, gäbe es keinen Grund mehr für Vaicenyas Zorn und Melvendë hoffte, dass die Kriegerin dann wieder zu der lebensfrohen Tatya werden würde, die sie zu Beginn ihrer Tage gewesen war.
Sie waren bereits viele Meilen nach Norden vorgedrungen, ohne auf die Schatten zu treffen. Eine wachsame Stille schien über der Einöde zu hängen. Melvendë war sich inzwischen sicher, dass ihr Feind den Vorstoß der Elben von Anfang an beobachtet hatte und sie mit voller Absicht so weit hatte kommen lassen. Ihr war bei dem Gedanken mulmig zumute. Rasch prüfte sie ihren Köcher, der voll gefüllt war. An ihrer Seite hing ein langes Schwert und in der linken Hand hielt sie einen hölzernen, mit Stahl beschlagenen Schild. Die Waffen gaben ihr ein gewisses Gefühl der Sicherheit, doch gänzlich beruhigen konnten sie sie nicht.
Zwei Tage später passierten sie die Schneegrenze. Ein breites, langsam aufsteigendes Tal öffnete sich vor ihnen, gekrönt von eisigen, scharfen Berggipfeln, die im Norden über der Einöde thronten. Und hier endlich ließ der Feind die Falle zuschnappen. Ein misstönender Ruf hallte unnatürlich laut durch das Tal, und der Boden unter den Füßen der Elben erzitterte. Sofort zogen die Quendi ihre Waffen, denn sie alle wussten, was das zu bedeuten hatte.
Es war eine der ersten großen Schlachten unter dem Himmel der jungen Welt. Noch brannte das Licht der Sterne hell und kraftvoll in den Augen der Erstgeborenen, und obwohl ihre Feinde von drei Seiten auf sie eindrangen, warfen sie den Angriff zurück. Vaicenya kämpfte wie eine Wahnsinnige, wie ein Wirbelwind aus Klingen, der kleinere Schattenkreaturen einfach zerstückelte und selbst größere Feinde schier mühelos zurückdrängte. Melvendë hielt ihr mit ihren Pfeilen den Rücken frei, bis ihr Köcher leer geschossen war. Dann nahm sie ihren Mut zusammen, und stürzte sich ins Getümmel. Der rechtschaffene Zorn, der alle Elben in diesen Tagen erfüllte, hatte auch Melvendë erfasst, und sie schrie ihren Hass gegen den Schatten heraus, während sie mit blitzender Klinge um sich hieb. Schwarzes Blut spritzte tausendfach in den frischen Schnee. Und Schritt für Schritt drängte die Macht der Elben den Schatten zurück.
Da brach in ihrem Rücken die Erde auf, und zu tausenden sprangen neue Feinde aus verborgenen Tunneln hervor. Die Quendi waren eingeschlossen. Mit neuer Entschlossenheit und mit frischen Kämpfern stürzten sich die Diener des Schattens auf die Elben, die sich in ihrem Hochmut bis an die Türschwelle des Herrn der Finsternis gewagt hatten. Jetzt entfesselte der Schatten seine ganze Schlagkraft. Riesenhafte Kreaturen donnerten das Tal hinab, deren Leiber in Flammen zu stehen schienen. Und von allen Seiten drangen die zahllos wirkenden Feinde auf die Elben ein.
Vaicenya und Melvendë, die an der östlichen Flanke standen, sahen mit Schrecken an, wie mehr und mehr Elben fielen. „Wir müssen durchbrechen!“ rief Vaicenya, die aus einem tiefen Schnitt an der Stirn blutete. Und ehe Melvendë sie aufhalten konnte, sprang Vaicenya vorwärts und begann, eine blutige Schneise nach Südosten hin zu schlagen. Ermutigt von diesem Anblick drängten weitere Elben in die Lücke und verbreiterten sie. Jedem war inzwischen klar, dass ihr Angriff auf den Schatten gescheitert war, und dass ein geordneter Rückzug jetzt ihre beste Gelegenheit darstellte. Schulter an Schulter bildeten sie einen Halbkreis, in dessen Schutz der Großteil des Heeres durch die Schneise entkommen konnte.
Melvendë und Vaicenya kämpften ohne Unterlass am Rand der Lücke, damit diese nicht wieder geschlossen werden konnte. Das von schwarzem Blut verschmierte Schwert schlug einem gedrungenen Feind die Waffe aus der Hand und durchtrennte den Arm der Kreatur, die vor Melvendë zu Boden ging. Ein Schmerzensschrei entfuhr Melvendës Gegner, der sie innehalten ließ, als sie zum tödlichen Schlag ausholte. Der Laut hatte beinahe... elbisch geklungen. Mit weit aufgerissenen Augen nahm sie die Kreatur zu ihren Füßen genauer ins Auge - und stellte entsetzt fest, dass es sich um das groteske Zerrbild eines Elben handelte, mit scharfen Zähnen und verunstaltetem Gesicht, doch die spitzen Ohren waren unverkennbar.
Ist dies... ist dies etwa das Schicksal jener, die von den Schatten verschleppt worden sind? dachte Melvendë fassungslos.
Heißer, glühender Schmerz schoss ihr ohne Vorwarnung durch den Rücken. Die Klinge fiel ihr aus der Hand, als eine blutige Speerspitze aus ihrer Brust hervorbrach. Wie in Trance versuchte Melvendë noch, danach zu greifen, dann ging sie in die Knie.
Vaicenyas verzweifelter Schrei drang wie von Ferne an ihr Ohr. Schwarzes Blut spritzte über ihr Gesicht, als ihre langjährige Gefährtin den Feind in Stücke riss, der Melvendë erwischt hatte. Dann fand sie sich mit dem Kopf auf Vaicenyas Schoß gebettet wieder. Alles kam ihr mehr und mehr wie ein Traum vor.
„Bleib bei mir,“ stieß Vaicenya zwischen den Tränen hervor, die ihr über das von Wut und Verzweiflung gezeichnete Gesicht liefen. „Geh nicht fort! Bleib bei mir, hörst du?“
Melvendë versuchte zu sprechen, doch stattdessen hustete sie. Blut lief aus ihrem Mundwinkel. Über sich sah sie die Sterne, die sich langsam rot verfärbten, während der Wahnsinn der Schlacht ringsumher in den Hintergrund zu treten schien. Es gab nur noch Vaicenya und sie.
„Geh nicht,“ weinte Vaicenya. „Ich weiß nicht, wie ich ohne dich weitermachen soll...“
Sie nahm alle Kraft zusammen, die noch in ihr war. „Tarásanë...“ wisperte sie. „Kümmere dich... um sie...“
In Vaicenyas Augen las sie weder Verstehen noch Akzeptanz. Dort brannte ein Feuer, das Melvendë Angst eingejagt hätte, wenn sie noch dazu imstande gewesen wäre, klare Gedanken zu fassen. Ihre Finger tasteten schwach nach Vaicenyas Hand und fanden die Handfläche, die sich sofort zu einer Faust ballte und um Melvendës Hand schlossen.
„Dafür werden sie bezahlen,“ presste Vaicenya zwischen den Zähnen hervor. Ihre Tränen versiegten. „Meine Rache wird die Zeitalter überdauern und niemals zur Ruhe kommen, das schwöre ich bei den blutigen Sternen an diesem verfluchten Tag.“
Melvendë wollte Einwände erheben, wollte Vaicenya von diesem unheilvollen Eid abhalten, wollte irgendetwas sagen, doch ihre Zunge rührte sich nicht. Ihre Augen fanden ein letztes Mal Vaicenyas Blick, dann glitten sie daran ab und richteten sich auf die Sterne. Heller und heller erstrahlte deren Licht, bis es Melvendë vollkommen umgab. Und dann war sie fort und erinnerte sich an nichts mehr.


~~~

„Es ist also tatsächlich wahr,“ sagte Tarásanë mit einigermaßen gefasster Stimme, doch Córiel konnte ihr anhören, dass sie die Erzählung erschüttert hatte.
„Ich hatte alle Erinnerungen an die Altvorderen Tage verloren,“ sagte Córiel. „Erst vor Kurzem habe ich mich wieder daran erinnert. Doch was geschah nach meinem.... nach meinem Tod in jener verhängnisvollen Schlacht?“
Tarásanë blickte einen Augenblick zur Quelle hinüber, ehe sie sprach. „Kurz nach dem Aufbruch des Heeres kehrte Romestamós Meister nach Cuívienen zurück und die Drei Völker traten ihre Wanderung nach Westen an. Derweil entfesselten die Herren des Westens ihren Zorn gegen den Schatten, und stürmten seine Machtsitz. Sie taten es um der Elben Willen, doch sie taten es zu spät. So viele von unserem Volk waren bereits dem Schatten anheim gefallen und waren unwiederbringlich verloren. So sah es Vaicenya, die an der Spitze der Überlebenden aus dem Norden zurückkehrte. Sie trug... nun, deinen Leichnam mit sich und bahrte ihn in ihrem Haus auf, um ihn wie einen Schatz zu hüten. Der Hass auf den Schatten brannte noch immer wie ein zerstörerisches Feuer in ihrem Herzen. Und nun, da der Schatten vergangen war, suchte sie sich ein neues Ziel für ihre Wut. Immer neue Schuldige für deinen Tod fand sie, und Streit und Missgunst erwuchsen aus ihren Taten. Ich hielt es nur wenige Monate aus. Schweren Herzens verliess ich meine Heimat, mit einer kleinen Gruppe von Gefährten, und folgte den Spuren der Noldor nach Westen. Und so kam ich schließlich hierher, wo ich eine der Dienerinnen Vardas an den Wassern dieser Quelle traf, an der wir nun stehen. Sie gab mir eine Aufgabe und einen Sinn. So wurde ich zur Herrin der Quelle, die ich all die Zeitalter die seither vergingen, treu gehütet habe.“
„Ich... verstehe,“ sagte Córiel langsam.
„Ein weiteres Rätsel, das sich auflöst,“ sagte Pallando zufrieden. „Nun, da das ja geklärt ist, sollten wir uns dem Grund unseres Kommen widmen.“
„In der Tat,“ stimmte Tarásanë zu. Zweifel und Überraschung fielen von ihr ab, und sie wirkte wieder wie die weise und weitsichtige Elbin, die sie seit Jahrtausenden gewesen war. „Also sagt mir: Weshalb seid ihr hier?“
Córiel sah keinen Sinn darin, lange drum herum zu reden. Sie kam direkt zum Punkt und sagte: „Vaicenya ist zurück. Wir brauchen deine Hilfe, um sie aufzuhalten.“
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Die Tage des Wartens
« Antwort #2 am: 17. Mai 2018, 15:39 »
„Komm schon! Ist das alles, was du kannst?“
Córiel knurrte und presste die Lippen aufeinander. Sie umkreiste ihren Gegner langsam und lauernd, einen sorgfältig platzierten Schritt nach dem anderen machend. Ihre Muskeln waren angespannt und bereit für den Angriff. Sie wartete auf die richtige Gelegenheit und hielt ihre eigene Deckung aufrecht, indem sie die Arme leicht angewinkelt erhoben und die Hände zu Fäusten geballt hatte. Jeden Vorstoß gegen Kopf und Oberkörper würde sie so leicht abwehren können, sobald sie ihrem Gegner zugewendet war.
Das trockene Laub unter ihren nackten Füßen knisterte und ein kühler Wind zerzauste die blonden Haare der Hochelbin. Der Spätherbst war bereits im Schwinden begriffen, und der Winter würde nicht mehr viele Wochen auf sich warten lassen. Córiel studierte die Bewegungen ihres Gegners genau. Er war breit gebaut, mit muskulöser Brust und Oberarmen, und beinahe zwei Köpfe größer als sie. Und er blickte sie aus seinen tiefbraunen Augen an, ohne beiseite zu schauen.
Doch dann erregte etwas Anderes für einen Bruchteil einer Sekunde seine Aufmerksamkeit. Ein abgestorbener Ast fiel aus den Baumkronen über ihnen zu Boden und wirbelte das Laub auf, als er landete. Der Blick ihres Gegners huschte zur Quelle der unerwarteten Bewegung hinüber, nur für einen kurzen Augenblick. Das war alles, was Córiel benötigt hatte. Blitzschnell setzte sie sich in Bewegung und ihre Sprunggelenke katapultierten sie vorwärts. Drei schnelle, federnde Schritte brachten sie auf Nahkampfdistanz an ihren Gegner heran und mit einem beherzten Sprung stieg sie vor ihm in die Höhe, mit der rechten Hand zum Schlag ausholend.
Die Faust sauste vorwärts, direkt auf sein Gesicht zu. Als sie es beinahe erreicht hatte, stellte sich ihr allerdings ein Unterarm in den Weg, der hart wie Stahl zu sein schien. Córiels Schlag glitt daran ab und ihr Sprung trug sie an ihrem Gegner vorbei. Mit einer geschickten Rolle landete sie auf dem Waldboden hinter ihm und kam sofort wieder auf die Beine.
„Du bist schnell, aber es fehlt dir an Kraft,“ spottete er. „So wird das nicht funktionieren.“
Das war bereits der dritte Angriff, der fehlgeschlagen war. Córiel unterdrückte ihren Frust und nahm wieder ihre abwartende Haltung ein. Doch sie spürte mehr und mehr, wie sie die Geduld verlor. Sie wollte diesen Kampf jetzt beenden. Also stürmte sie erneut los. Mit einer Körpertäuschung nach links überwand sie die Deckung ihres Gegners und ging von rechts auf ihn los. Wieder schoss ihre Faust auf sein Gesicht zu, und wieder prallte sie an seinem erhobenen Unterarm ab. Diesmal jedoch war Córiels Faust nur zur Ablenkung da gewesen. Sie wirbelte um die eigene Achse und trat ihm mit aller Kraft gegen die Brust. Sie hatte ihre ganze Wut und ihren Frust in den Angriff gelegt und war sich sicher, diesmal endlich erfolgreich gewesen zu sein.
Stattdessen fühlte es sich an, als hätte sie gegen eine massive Felswand getreten. Der Rückstoß schleuderte die Hochelbin von ihrem Gegner weg. Benommen landete sie im weichen Laub. Ehe sie sich aufrappeln konnte, ragte er bereits über ihr auf.
Da stolperte er über eine Wurzel und stürzte vorwärts, direkt auf Córiel drauf, und begrub sie mit seinem breiten Körper unter sich.
Erschrocken stützte er sich mit den Armen wieder hoch und blickte verlegen zur Seite. „Tut mir Leid, Stikke,“ stieß er hervor.
„Runter von mir, du riesiges Trampeltier,“ verlangte sie von Jarbeorn, mit dem sie sich einen Übungskampf ohne Waffen geliefert hatte.
„Erst, wenn du deine Niederlage zugibst,“ erwiderte er, nun mit einem breiten Grinsen.
Sie blickte ihn verärgert an, doch dann musste sie ebenfalls lachen - für einen kurzen Augenblick. Seine Augen verweilten auf ihrem Gesicht, und obwohl er sein typisches breites Lächeln zeigte, erschien es ihr, als wäre da noch etwas anderes in seinem Blick aufgetaucht. Etwas, das zuvor nicht da gewesen war.
„Also gut, ich gebe mich geschlagen,“ sagte sie und drückte mit ihren Händen gegen seine Brust. Er war zu schwer, um ihn aus eigener Kraft wegzuschieben, doch der Beorninger nickte zufrieden und stand auf. Er bot der Hochelbin die Hand an und zog sie auf die Beine, als sie danach griff.
„Deine Angriffe waren zwar schnell und präzise, aber es lag kaum Kraft dahinter,“ sagte er, während sie sich auf den Rückweg zum Dorf der Elben des Sternenwaldes machten. „Du bist noch immer nicht wieder in Form, Stikke.“
„Wärst du nicht so ein gewaltiges Schwergewicht, hätte ich deutlich mehr ausrichten können,“ hielt sie dagegen.
Jarbeorn schüttelte den Kopf. „Ich habe ungerüstet gegen dich gekämpft. Ein Feind in voller Rüstung hätte ungefähr dasselbe Gewicht gehabt wie ich.“
„Wenn ich meine Waffen gehabt hätte, dann...“
Der Beorninger ließ sie nicht ausreden. „Darauf wirst du dich nicht verlassen können. Du musst auch ohne Waffen jederzeit in der Lage sein, dich zu verteidigen.“
„Erteile du mir keine Lektion, der du nur einen Bruchteil der Zeit in dieser Welt verbracht hast im Vergleich zu den Jahrtausenden, die ich gesehen habe.“ Córiel hatte die Arme vor der Brust verschränkt und blickte Jarbeorn herausfordernd an.
„Stikke... ich mache mir nun einmal Sorgen um dich. Seit dieser Sache in Lothlórien bist du nicht mehr die Selbe gewesen. Und gerade jetzt, wo wir auf Vaicenya warten, ist es so wichtig, dass du körperlich und geistig in Höchstform bist.“
Sie ließ die Arme sinken. Er hatte recht, doch ein Teil von ihr wollte ihm das nicht eingestehen. Córiel seufzte und beschloss, nichts zu sagen.
„Wir wissen nicht, wann und ob dieses Miststück uns hier aufspüren wird,“ sprach Jarbeorn weiter. „Aber wenn der Augenblick gekommen ist, müssen wir die Falle zuschnappen lassen, damit sie uns nicht wieder entkommt, und wir sie endgültig aufhalten können. Und du bist nun einmal das Herzstück des Plans, den Eldsten und die Herrin der Quelle ausgeheckt haben.“
„Ich bin es leid, wie eine Fliege im Netz darauf zu warten, bis die Spinne kommt, um mich zu fangen,“ redete sich Córiel sich ihren Frust von der Seele. Seit drei Tagen waren sie nun schon im Sternenwald. Drei Tagen des Abwartens und der Übungen mit Jarbeorn, die Córiels Laune nicht sonderlich zuträglich gewesen waren. Nach ihrem klärenden Gespräch mit Tarásanë hatte diese mit Pallando einen Plan geschmiedet, um Vaicenya gefangen zu nehmen. Dieser bestand darin, die Dunkelelbin zum Sternenwald zu locken, indem sie Córiel als Köder verwendeten. Doch bislang hatte es keine Anzeichen dafür gegeben, dass Vaicenya Wind von Córiels Aufenthaltshort bekommen hatte.

Tarásanë und Pallando waren in den Tagen seit ihrer Ankunft im Sternenwald kaum zu sehen gewesen. Sie verbrachten ihre Zeit mit langen Gesprächen und Spaziergängen, zu denen Córiel und Jarbeorn nicht eingeladen worden waren. So blieb ihnen nur wenig übrig, als sich selbst zu beschäftigten. Die Elben von Taur-en-Elenath waren höflich und freundlich ihnen gegenüber, aber gleichzeitig zurückhaltend und reserviert. Meistens sprachen sie nur wenige Sätze mit ihren Besuchern. Untereinander verwendeten die Waldbewohner einen Quenya-Dialekt, den selbst Córiel kaum verstand, auch wenn er der Sprache der Tatyar, die Melvendë einst gesprochen hatte, noch immer so sehr ähnelte, dass eine nahe Verwandtschaft zwischen den beiden Sprachen bestehen musste. Córiel schätze die Anzahl der Elben im Sternenwald auf wenige hunderte, von denen die meisten im Dorf in den Baumkronen nahe der Quelle ihrer Herrin lebten. Ein Teil der Waldbewohner durchkämmte den Wald an seinen Grenzen und hielt ständig ein wachsames Auge nach Eindringlingen offen, während sich der Rest um den Lebensunterhalt kümmerte. Es gab mehrere kleinere Lichtungen im Sternenwald, auf denen Feldfrüchte und Getreide angebaut wurde, und sowohl in dem kleinen Fluss, der den Wald durchströmte, sowie im nahen Carnen gab es reichlich Fisch. Außerdem lebten mehrere Herden von Wildtieren im Wald, die ebenfalls Nahrung lieferten. Dabei verhielten sich die Elben selbst beinahe wie ein Teil des Waldes, der nur so viel nahm, wie er zum Überleben benötigte, und den Wald mit Pflege und Schutz für seine Gaben bezahlte.

Am vierten Tag stieß Córiel in einer der Elbenhütten auf einen Menschen, was ihr sehr ungewöhnlich vorkam. Es war ein junger Mann, dessen Alter sie ungefähr auf Jarbeorns Alter schätzte. Er ging aufrecht, stützte sich dabei jedoch auf einen hölzernen Stab, der im Gegenzug zu Pallandos Gehhilfe kein Instrument der Zauberkunst war. Sie war nicht etwa auf ein weiteres Mitglied des Ordens der Istari gestoßen, sondern auf jemanden, der eine lebensbedrohliche Verletzung erlitten hatte und sich nur langsam davon erholte.
„Wir fanden ihn dem Tode nahe am gegenüberliegenden Ufer des Carnen,“ erklärte die Elbin Tórdris auf Córiels Nachfrage. „Neben ihm am Wasserrand lagen die Überreste eines kleinen Bootes, mit dem er wohl an jenen Ort gelangt war. Normalerweise hätten wir ihn niemals in unsere Heimat gebracht, doch... nun, jene, die ihn fand, hatte Mitleid mit ihm und trug ihn zu unserer Herrin. Einige sagen, dass sie mit dieser Tat einen Fehler beging, doch dies ist müßiges Reden. Sie weilt nicht mehr hier.“
„Sie ist gestorben?“ fragte Córiel?
„Gestorben? Nein, sie ging im Auftrag der Herrin fort, und ist noch nicht wieder zurückgekehrt.“
„Und er?“ Córiel deutete auf den Mensch, der im Hintergrund über die Lichtung stapfte.
Tórdris schüttelte den Kopf. „Ich weiß nichts über ihn. Er spricht nur sehr wenig.“
Córiel beschloss, der Sache auf den Grund zu gehen. Seit ihrer Ankunft im Sternenwald war nichts Aufregendes mehr geschehen und die Eintönigkeit der täglichen Übungen mit Jarbeorn machten ihr zu schaffen. Also lief sie dem Mann nach, bis sie ihn an den Ufern des Baches eingeholt hatte, der die Lichtung im Zentrum des Waldes durchfloss. An der großen Eiche gab es zwischen den riesigen Wurzeln des Baumes einen Eingang, der in eine Höhle führte. Und dorthin zog sich der Mensch nun zurück, und Córiel folgte ihm.
Es dauerte einen Augenblick, bis er sie bemerkt hatte. Dann richteten sich seine trüben Augen auf die Hochelbin, doch es kam ihr vor, als würden sie direkt durch sie hindurch blicken.
„Was wollt Ihr?“ murmelte er.
„Entschuldigt meine Aufdringlichkeit,“ sagte sie und kam sich in ihrer Neugierde sehr unhöflich vor. „Ich bin keine der Elben des Sternenwaldes, sondern stamme aus dem Westen. Mich bringt die Frage hierher, was einen Menschen an einen Ort wie diesen verschlagen hat.“
„Ich... erinnere mich nicht,“ erwiderte er leise. „Ist sie hier?“
„Wen meint Ihr?“
„Die, die mich aus dem Wasser zog. Daran erinnere ich mich noch gut. Blonde Haare, so wie Eure. Braune Augen, wie die eines jungen Rehs. Meine... meine Retterin.“
Córiel setzte sich vorsichtig neben ihn auf den weichen Erdboden, der überraschend warm war. „Man sagte mir, dass sie fortging, um einen Auftrag der Herrin auszuführen.“
„Die Herrin... Ich glaube, ich bat sie... ich bat sie, sich nach meiner Familie zu erkundigen. Entschuldigt... es ist alles ein wenig verschwommen. Manchmal habe ich alles klar und deutlich im Kopf, und manchmal... nichts.“
„Woran erinnert Ihr Euch?“
„Meine Heimat wurde angegriffen,“ erzählte er leise. „Da war ein... schwarzer Reiter auf schwarzem Ross, der dem Feindesheer voran ritt. Als die Stadt fiel... nein, als ihre Verteidiger einen närrischen Ausfall wagten, da sagte ich zu meinem Bruder... ich sagte zu ihm... er soll sich verstecken, bis ich ihn holen komme. Doch dann trieb uns die Schlacht auseinander und ich fand mich am Hafen wieder, wo... wo ein Boot lag. Und dort fand mich der Schwarze Reiter. Ich erinnere mich, ihm Widerstand geleistet zu haben, doch er überwältigte mich. Die Elben nennen es den Schwarzen Anhauch, wenn sie von meiner Krankheit sprechen. Jemand warf mich in das Boot und schnitt die Taue los, doch ich war schwer verwundet und verlor viel Blut. Der Strom nahm mich mit sich... zu ihr. Maranyá nennt die Herrin sie. Wird sie hierher zurückkehren?“
„Ich weiß es nicht,“ erwiderte Córiel, die der wirren Geschichte des Mannes nur schwer hatte folgen können. Sie fragte sich, ob er ihr nicht gerade einen Fiebertraum erzählt hatte. „Wie ist Euer Name?“ fragte sie.
„Ich bin Baldr,“ sagte er nach einem langen Moment des Schweigens. Und mehr wollte er nicht sagen, egal was sie auch versuchte. Also gab sie es schließlich auf und ließ Baldr in seiner Höhle ruhen.

Am nächsten Morgen erwachte Córiel in dem Baumhaus, das sie sich mit Jarbeorn hätte teilen sollen, doch der Beorninger hatte von Anfang an darauf bestanden, draußen zu schlafen. Córiel hatte nicht verstanden weshalb.
Sie stand auf und fand das Elbendorf in ungewöhnlichem Aufruhr. Mehr Elben als sonst liefen auf der großen Lichtung durcheinander, und schon bald fand Córiel den Grund für die Aufregung heraus. Neben der Sternenquelle war ein mächtiger Adler gelandet. Es handelte sich um einen alten Bekannten.
„Róvallír,“ sagte Córiel grüßend, als sie herangekommen war.
„Ich sehe, du befindest dich wieder in besserer Gesellschaft,“ erwiderte der Adler freundlich. „Ich fürchte jedoch, dass es nicht mehr lange so bleiben wird.“
Vom anderen Ende der Lichtung näherten sich Pallando und Tarásanë, die Herrin der Quelle. Sie wirkten nicht überrascht bei Róvallírs Anblick.
„Sei gegrüßt, gefiederter Gefährte und treuer Vasall des Windfürsten,“ sagte Pallando gut gelaunt. „Bringst du die erwarteten Nachrichten?“
„So ist es,“ antwortete der Adler. „Jene, in deren Schuld ich einst stand, ist auf dem Weg hierher und wird in wenigen Tagen eintreffen.“
„Ist sie alleine?“ fragte Tarásanë.
„Meine Augen haben keine Begleiter erspähen können.“
„Das sind gute Neuigkeiten,“ meinte Pallando. „Kommt, wir müssen alles für den Empfang vorbereiten.“
„Den Empfang?“ wiederholte Córiel verwundert.
„Sie kehrt nach Jahrtausenden endlich nach Hause zurück,“ sagte Tarásanë. „Und wir werden sie gebührend willkommen heißen.“
Córiel hatte das Gefühl, dass sie gar nichts mehr verstand. Sie fragte sich, was für einen seltsamen Plan Pallando mit der Herrin der Quelle da ausgeheckt hatte. Als sich alle Augen auf sie richteten, wurde ihr langsam klar, dass sie mehr als nur den Köder für Vaicenya spielen müssen würde...
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Eine Heimkehr
« Antwort #3 am: 19. Jun 2018, 14:14 »
Am Rande des Elbenwaldes brandete ein Meer aus kniehohem Grasland gegen die uralten Baumstämme, das sich über den Großteil der umliegenden Gebiete erstreckte und sowohl Ebenen als auch Hügelland bedeckte. Ein sanfter Wind, der von Westen zu kommen schien, bewegte die Grashalme und erzeugte Wellen, die über das grüne Meer tanzten, das von der Mittagssonne in besonders lebhafte und kräftige Farben getaucht wurde. Es war ungewöhnlich warm für einen Novembertag, und die Trägheit des Mittags schien sich über die Natur gelegt zu haben. Es waren kaum Vögel zu hören und nur selten war eine Bewegung jenseits der begrasten Ebene zu sehen. Es war beinahe so, als würde der Wald selbst ein Mittagsschläfchen halten.
Melvendë stand am Ufer des Grasmeeres, unter den Schatten spendenden Baumkronen und genoss die angenehme Brise, die ihr über das Gesicht strich. Sie war barfuß und trug ein einfaches Gewand aus hellbraunem Stoff, das bei ihrem Volk keine Seltenheit war. Schultern, Unterarme und Unterschenkel ließ das Kleid frei. An Ort und Stelle gehalten wurde es von mehreren Ledergürteln, die um Melvendës Hüften gewickelt waren. Sie betrachtete die Wellen, die an ihr vorbeigeweht wurden und war froh über den Augenblick der Stille. So viel war in den letzten Wochen geschehen. Es tat gut, zumindest für einen Moment Ruhe und Frieden zu verspüren. Sie atmete bewusst langsam ein, und wieder aus. Schloss für mehrere Sekunden die Augen und lauschte auf das sanfte Rauschen der Brise, die die Grashalme bewegte. Atmete den würzigen Duft des Waldes ein, der hinter ihr aufragte. Und ihre Füße, die auf dem weichen Erboden ruhten, nahmen die leichten Erschütterungen wahr, die von fernen Fußstapfen verursacht wurden.
Sie kommt, dachte sie und öffnete langsam die Augen. Im Westen, inmitten der grünen Weite, die nur vom blauen Band des Flusses geteilt wurde, war eine Gestalt aufgetaucht, die sich ihren Weg durch das Grasmeer bahnte. Zielstrebig schritt sie voran, näher und näher kommend. Als sie Melvendë erkannte, verlangsamte sich ihr Schritt. Der silberne Stirnreif und die Halskette aus demselben Material blitzten im Sonnenlicht auf, als Vaicenya die letzten Meter zurücklegte; einen Ausdruck des Staunens im alterlosen Gesicht. Sie trug Reisekleidung aus schwarzem Stoff und darunter ein leichtes Kettenhemd, das an den Armen hervorlugte. Ihre Zwillingsschwerter hingen an beiden Seiten ihrer Taille und ihre Stiefel gingen bis zu den Knien. Sie hatte viele Meilen hinter sich und das sah man ihr auch an. Und doch erstrahlte sie trotz des Schmutzes der Straßen, als sie einen Schritt vor Melvendë stehen blieb.
Ehe Vaicenya etwas sagen konnte, trat Melvendë vor und umarmte die Heimkehrerin innig. „Willkommen zuhause,“ wisperte sie freudig. „Ich habe deine Ankunft erwartet.“ Sie verwendete das Tatyarin, wie sie es von Anbeginn der Zeit an getan hatte, und das ihr noch immer wunderbar leicht von der Zunge ging.
Vaicenya löste sich von ihr und musterte Melvendë mit einem Blick, in dem sich Freude mit Ungläubigkeit mischten. „Zuhause?“ wiederholte sie. „Dies ist nicht...“
„Unser Volk lebt hier, Vaicenya,“ erwiderte Melvendë freundlich. „Und jetzt, wo du hier bist, ist es wieder vollzählig.“
„Ich verstehe nicht,“ sagte Vaicenya verwirrt. „Was ist mit dir geschehen? Erinnerst du dich wieder an das, was einst war?“
Nun war es an Melvendë, Verwunderung zu zeigen. „Wovon sprichst du? Selbstverständlich erinnere ich mich. Ich weiß noch genau, wie du mich einst an den Wassern des Erwachen fandest, und wie unser gemeinsames Leben seinen Anfang nahm. Wie wir unser Volk fanden, und wie wir unser Leben in unserer Heimat begannen. Was ist dir zugestoßen auf deiner Fahrt gen Westen? Hast du herausgefunden, wohin die Drei Völker unter Leitung des Jägers des Westens gezogen sind?“
„Wie? Ich - die Drei Völker?“
„Vanyar, Noldor und Teleri nannte man sie, ehe sie aufbrachen. Du warst dabei, erinnerst du dich?“
„Natürlich erinnere ich mich, aber das war - das war vor vielen Zeitaltern!“
Verständnisvoll legte Melvendë ihre Hand an Vaicenyas Wange. „Die Reise muss dich mehr mitgenommen haben, als dir klar ist. Ich glaube, du brauchst jetzt Ruhe und Rast. Komm mit mir, ich werde gut für dich sorgen.“
Sie nahm Vaicenyas Hand und zog daran, doch die Heimgekehrte bewegte sich nicht. „Ich kenne diesen Ort nicht. Zwar erscheint mir alles vertraut, aber... etwas stimmt nicht. Du hast dich offensichtlich an alles erinnert, und doch tust du so, als wären wir nie getrennt worden. Als wärst du mir nie genommen worden.“
„Genommen worden?“ wiederholte Melvendë. „Ich war stets an deiner Seite, Vaicenya.“ Sie ließ Vaicenyas Hand los und dreht sich zu ihr um. „Hattest du erneut den Traum, in dem du meinen Tod mitansehen musstest? Der dich zu dieser Irrfahrt nach Westen bewegt hat?“
„Ein... Traum?“ fragte Vaicenya langsam.
„Hast du etwa jene Nacht vergessen, in der du schreiend erwachtest und so verstört warst, dass du für viele Stunden kein verständliches Wort von dir geben konntest? Als es dir schließlich gelang, zu sprechen, sagtest du, du hättest von meinem Ende geträumt. Und dass du alles tun würdest, um zu verhindern, dass dein Traum in Erfüllung gehen würde? Und dass du deswegen nach Westen gehen müsstest? Es ist nicht mehr als fünf Monate her, Vaicenya.“
„Fünf... Monate...“ wiederholte die Heimkehrerin.
Behutsam legte Melvendë einen Arm um Vaicenyas Hüfte und führte sie sanft in den Wald hinein. „Ich weiß wirklich nicht, was dir auf deiner Fahrt widerfahren ist, aber es scheint, als wüsstest du nicht mehr, was Wahrheit und was Traum ist,“ sagte sie. „Sieh dich um, Vaicenya. Und sieh mich an. Dieser Ort - unsere Heimat - ist real. Ich bin real. Du träumst nicht länger. Ich bin am Leben und alles ist gut.“
„Dieser Ort... vertraut, und wieder nicht vertraut... Und doch hatte ich gar nicht die Absicht, heimzukehren,“ murmelte Vaicenya. „Ich war auf der Suche nach dir, nachdem ich dich erneut verloren glaubte... geraubt von Verrätern und Schurken in der Stunde meines Triumphes, als ich gerade deine Erinnerungen wiederhergestellt hatte...“
„Ich habe meine Erinnerungen nie verloren,“ stellte Melvendë klar. „Ich war immer hier, und habe auf deine Rückkehr gewartet. Höre nicht länger auf die Lügen des Traumes. Konzentriere dich auf das, was wahr ist.“
„Ich will dir ja glauben, meine Liebe,“ erwiderte Vaicenya. „Und doch sind Jahrtausende vergangen seitdem ich mich so daheim gefühlt habe wie jetzt.“
„Für mich waren es nur wenige Monate.“
„Kann es wirklich wahr sein? Waren all die Zeitalter des Schmerzes nur ein Traum?“
„So scheint es zumindest... es sei denn, du hast vor, erneut aufzuwachen und eine ganz andere Realität vorzufinden. Glaubst du mir immer noch nicht? Ich bin hier, und ich bin bei dir.“
Vaicenya drückte Melvendës Arm, während sie tiefer in den Elbenwald vordrangen. Sie gelangten in die bewohnten Bereiche, und trafen auf andere Tatyar, die ganz ähnliche Bekleidung wie Melvendë trugen. Die Elben grüßten sie freundlich, gaben ihnen jedoch den Freiraum, ungestört miteinander zu sprechen. Niemand mischte sich in ihre Unterhaltung ein.
„Es wirkt alles genau wie damals,“ staunte Vaicenya. „Unser Volk... unsere Heimat...“
„Wie ich bereits sagte - du bist zuhause.“
Vaicenya schien einen Gedanken zu haben und blieb stehen. „Aber... mein Sohn... wo ist Níthrar?“
„Du hast keinen Sohn, das ist vollkommen unmöglich. Du warst nie schwanger, Vaicenya. Dieser... Níthrar... ist ein Produkt deiner Einbildung, so schmerzhaft das auch für dich sein muss.“
„Ich... weiß nicht mehr, was ich glauben soll,“ wisperte Vaicenya. „Ich erinnere mich an seinen Vater, an seine Geburt... an seine Flucht nach Süden. Ich habe ihn verloren, so wie ich dich einst verlor.“ Eine tiefe Traurigkeit huschte über ihr Gesicht und sie blickte zu Boden.
„Aber du hast mich nicht verloren. Ich bin hier, und du bist zuhause. Sieh nur - Tarásanë ist hier, um dich zu begrüßen.“
Als Melvendë diesen Namen nannte, blickte Vaicenya auf. Nur wenige Schritte entfernt wartete Tarásanë auf sie, einen schüchternen Blick im Gesicht.
„Kann es wirklich wahr sein?“
„Geh schon zu ihr. Sie hat dich ebenso sehr vermisst, wie ich.“
Vorsichtig stolperte Vaicenya auf Tarásanë zu und blieb einen Schritt von ihr entfernt stehen. Das schüchterne Lächeln auf dem Gesicht der jüngeren Elbin strahlte vor Wärme und Wiedersehensfreude. „Du bist zurückgekehrt,“ sagte Tarásanë leise.
„Ich... dachte nicht, dich jemals wiederzusehen, Kleine,“ brachte Vaicenya hervor. Melvendë strahlte als sie den Spitznamen hörte, den Vaicenya der Elbin, die sie damals bei sich aufgenommen hatte, gegeben hatte. Es war ein sehr gutes Zeichen, dass sie sich daran erinnerte.
„Willkommen zuhause,“ sagte Tarásanë fröhlich und machte einen Schritt auf Vaicenya zu. Sie umarmten einander und Melvendë hörte Vaicenya sagen: „Ich glaube... du hast recht. Ihr beide habt recht. Ich bin... zuhause.“
Die Zeit schien für einen Augenblick still zu stehen. Dann verschwand Tarásanës Lächeln und ihre Miene wurde hart. „Du bist genau dort, wo wir dich haben wollten,“ sagte sie noch, während ihre Hand bereits empor schoss. Einen präzisen Schlag gegen Vaicenyas Schläfe führte sie, und die Dunkelelbin brach bewusstlos auf dem weichen Boden der Waldlichtung zusammen.

Pallando trat zwischen zwei Baumstämmen hervor und ließ seinen Stab sinken. Der Zauber, den er über den gesamten Wald gelegt hatte, verblasste. Córiel fühlte sich, als wäre der Nebel, der an den Rändern ihres Sichtfelds gedräut hatte, von einem starken Wind davongeweht worden und sie konnte endlich wieder klar sehen. Sie war wieder ganz sie selbst.
Hinter dem Zauberer betrat Jarbeorn die Lichtung und klatschte langsam in die Hände. „Eine meisterhafte Vorstellung, meine Damen,“ lobte er frech. „Ihr habt sie wirklich glauben lassen, dass sie in die Wälder ihrer urzeitlichen Heimat zu ihrem Volk zurückgekehrt ist.“
„Bis zu einem gewissen Grad entspricht dies ja auch der Wahrheit,“ sagte die Herrin der Quelle, die gerade Vaicenyas Puls prüfte. „Dies ist die Heimat der Tatyar, die jenseits des Meeres verblieben sind, und Vaicenya war einst eine von uns.“
„Ich bin froh, dass euer Plan aufgegangen ist,“ atmete Córiel auf. Während der gesamten Scharade hatte sie keine Unsicherheit verspürt - dank der Zauber, die Pallando gewirkt hatte - doch in den Stunden davor war sie beinahe wahnsinnig vor Anspannung geworden. Sie wusste genau, wie gefährlich Vaicenya war. Und sie wusste, welches Risiko sie eingegangen war. Die Dunkelelbin einzulullen war zwar brilliant, doch wenn auch nur ein winziger Teil des Plans fehlgeschlagen wäre, hätte Vaicenya vermutlich ein Blutbad unter den Elben des Sternenwaldes angerichtet.
„Was wird nun mit ihr geschehen?“ fragte Jarbeorn.
„Sie wird schlafen - viele Stunden lang. Und wenn wir Glück haben, wird sie dabei ihren Hass vergessen. Solange Melvendë am Leben ist, hat sie keinen Grund mehr dafür,“ erklärte Tarásanë. „Wir werden sie dazu bringen, sich uns anzuschließen, wenn dies möglich ist.“
„Und wenn nicht?“ fragte Pallando.
Die Herrin der Quelle musterte den Zauberer mit einem strengen Blick. „Du weißt, dass ich alles für den Schutz und die Sicherheit meines Volkes tun würde. Wenn sie sich entschließt, weiterhin eine Bedrohung für uns zu sein, werde ich nicht zögern, dafür zu sorgen, dass sie niemals mehr jemanden verletzen kann.“
Córiel hatte eine ziemlich genaue Vorstellung davon, was Tarásanë tun würde. Und trotz allem, was Vaicenya getan hatte, stellte sie fest, dass sie der Dunkelelbin nicht den Tod wünschte. Daher hoffte sie, dass alles gut werden würde, wenn Vaicenya erwachte.
„Ich werde heute Nacht über unseren Gast wachen,“ erklärte Tarásanë. „Morgen werden wir sehen, wie ihre Entscheidung aussieht. Sorgt euch nicht darum. Jetzt, wo Vaicenya in meiner Obhut ist, ist die Gefahr vorüber. Geht, und seid unbeschwert an diesem Tag und Abend.“
Sie gab ihren Leuten ein Zeichen, und zwei junge Elben hoben die bewusstlose Vaicenya auf und trugen sie in Richtung der Quelle, an der Tarásanë ihre Unterkunft hatte. Sie ließen Córiel und Jarbeorn auf der Lichtung stehen.
„Tja, was sagt man dazu,“ meinte der Beorninger. „Ich will ehrlich mit dir sein, Stikke - ich hätte nicht gedacht, dass es so glatt laufen würde. Ich hatte die gesamte Zeit über meine Axt griffbereit neben mir liegen, während ich euch aus dem Gebüsch beobachtet habe.“
„Nicht sehr schicklich für einen Mann in deinem Alter,“ erwiderte Córiel mit einem leichten Grinsen.
„Ach bitte, Stikke. Du weißt genau, wie ich es gemeint habe.“
„Ist das so? Ich bin mir meiner äußerlichen Anziehungskraft durchaus bewusst, Freund Jarbeorn.“
Jarbeorn lachte schallend. „Mach dir bloß keine Hoffnungen, Blondchen. Ich werde mich schon nicht in dich verlieben, dazu bist du viel zu dürr, und gibst zu viele Widerworte.“
Und das erste Mal seit langer Zeit konnte Córiel unbeschwert mit ihm lachen.
« Letzte Änderung: 12. Jun 2019, 13:28 von Fine »
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Ein neues Ziel
« Antwort #4 am: 9. Jul 2018, 17:17 »
Der Nachmittag verging ohne weitere besondere Vorkommnisse. Vaicenya schlief friedlich in der Obhut der Herrin der Quelle, während Pallando mit den Elben des Sternenwaldes sprach und Geschichten von seinen Fahrten in Ost und West zum Besten gab. Eine Zeit lang hörte Córiel ihm aufmerksam zu, doch als die Sonne zu sinken begann, merkte sie, dass sie hungrig wurde. Also machte sie sich auf die Suche nach Jarbeorn, der einige Stunden zuvor verkündet hatte, er wolle an den Ufern des Carnen nach Fischen jagen gehen.

Die Spur des Beorningers war leicht zu finden gewesen. Einem großen Trampeltier gleich bahnte er sich seinen Weg durch Wald und Unterholz, ohne große Rücksicht auf die Pflanzen zu geben, die sich ihm in den Weg stellten. Das hohe Gras jenseits des Sternenwaldes war geprägt von einer breiten Spur aus plattgetretenem Grün, der Córiel in einer geraden Linie bis zum Carnen-Fluss folgen konnte. Und dort fand sie Jarbeorn vor, der breitbeinig auf einem großen Felsen stand, einen langen, angespitzten Stock in der Hand. Der Beorninger spähte aufmerksam in das klare, rötlich schimmernde Wasser des Flusses, geduldig auf Bewegungen auf dem Grund des Gewässers wartend. Offensichtlich hatte er bereits einigen Jagderfolg gehabt, denn hinter ihm lagen ein Dutzend Fische in der schwindenden Abendsonne auf dem aufgewärmten Stein des Felsens.
Noch ehe Córiel ganz herangekommen war, schoss der Arm des Beorningers vor und die Spitze seines provisorischen Jagdspeeres durchdrang das Wasser mit Wucht, dass es nur so spritzte. Triumphierend riss Jarbeorn die Waffe wieder in die Höhe, einen zappelnden Fisch daran baumelnd.
Córiel pfiff anerkennend und stellte sich neben den Felsen, von dem Jarbeorn nun heruntersprang.
„Eine recht ansehnliche Ausbeute,“ lobte die Hochelbin.
„Ach, das war kein Kunstwerk, Stikke. Sieh nur - der Fluss wimmelt nur so von diesen trägen Gesellen. Diese Fische haben rein gar nichts mit den flinken Burschen gemein, die in den Gewässern meiner Heimat rings um den Carrock leben. Um Fische aus dem Anduin zu fangen, muss man schnell und geschickt sein. Diese hier hingegen... die machen es einem geradezu leicht.“
Córiel sah hin und erkannte, dass Jarbeorn Recht hatte. Unter der Wasseroberfläche des Carnen tummelten sich eine große Zahl silbrig geschuppter Fische, die es nicht sonderlich eilig zu haben schienen. Selbst ein hektisches Winken mit der Hand konnte die Flussbewohner nicht in Aufruhr versetzen. Sie schwammen in aller Ruhe weiter dahin, ließen sich teilweise sogar einfach von der gemächlichen Strömung des Flusses dahin tragen.
„Was glaubst du, woran das liegt?“ fragte Córiel interessiert.
„Hm,“ brummte Jarbeorn, während er sich daran machte, seine Beute in einen einfachen Leinensack zu verstauen. „Vermutlich kommt es daher, dass in dieser Gegend keine oder nur sehr wenige Leute leben. Die Fische sind es wohl einfach nicht gewöhnt, dass jemand Jagd auf sie macht.“
Córiel kletterte auf den großen Felsen, auf dem Jarbeorn gestanden hatte und ließ die Beine in Richtung des Carnen herab baumeln. Einige Momente später gesellte sich der Beorninger zu ihr, den Sack mit dem frisch gefangenen Fischen lässig über die breite Schulter geworfen. Gemeinsam sahen sie dabei zu, wie die Sonne über den Ebenen westlich des Flusses tiefer und tiefer sank, die Wolken und den Himmel in faszinierende Gelb- und Rottöne einfärbend.
Eine ganze Weile schwiegen sie, dann ergriff Jarbeorn erneut das Wort.
„Weißt du, Stikke, ein wenig erinnerst du mich an meine Schwester,“ sagte er mit einem seltsamen Unterton.
„Wie meinst du das?“ fragte die Hochelbin.
„Du und Jekka seid euch ähnlich darin, dass ihr immer wieder behauptet, ihr kämet ohne meine Hilfe zurecht, nur um dann stets festzustellen, dass ich euch schon wieder den Tag gerettet habe.“
Ehe sie darauf antworten konnte, war der Beorninger bereits in schallendes Gelächter ausgebrochen, wie es seine unverwechselbare Art war.
„Ich glaube, ich würde Jekka sehr gerne einmal kennenlernen,“ hielt Córiel dagegen, nachdem Jarbeorn sich wieder etwas beruhigt hatte. „Mir scheint, sie ist ein sehr aufgewecktes Mädchen, wenn sie schon ihr ganzes Leben lang mit jemandem wie dir fertig geworden ist.“
„Ha! Aufgeweckt, na das kannst du laut sagen!“ prustete Jarbeorn. „Sie würde dir gefallen, das weiß ich genau. Wenn wir nach Rohan zurückkehren, stelle ich sie dir vor... wenn mein Vater seine Erlaubnis gibt.“
Córiel legte den Kopf leicht schief und fragte: „Dein Vater muss seine Erlaubnis dafür geben?“
„Er ist der Häuptling meines Volkes, und seine einzige Tochter ist für ihn natürlich etwas ganz Besonderes,“ meinte Jarbeorn, der mit diesem Fakt nicht sonderlich zufrieden zu sein schien. „Nur den wenigsten Fremden ist es gestattet, mit Jekka zu sprechen. Seitdem wir unsere Heimat verlassen haben, lässt er sie kaum noch aus den Augen.“
„Nun, dann hoffe ich, einen guten ersten Eindruck bei ihm zu hinterlassen, wenn es soweit ist,“ sagte Córiel.
Jarbeorn blieb für mehrere Minuten still, ehe er erneut zu sprechen begann.
„Von meiner Familie zu sprechen hat mich nachdenklich gemacht, Stikke. Denkst du, wir könnten tatsächlich bald nach Rohan zurückkehren?“
„Ich weiß es nicht, Jarbeorn. Vaicenya mag für den Moment außer Gefecht sein, aber solange wir nicht wissen, was sie tun wird, wenn sie erwacht, denke ich nicht, dass es klug wäre, einfach zu gehen. Sie würde uns nur nach Rohan folgen und dort ihr Unheil anrichten. Nein, solange wir nicht sicher wissen, was mit ihr geschehen ist, müssen wir uns in Geduld üben.“
„Geduld! Erneut sucht sie mich heim, mein ältester und grausamster Feind!“ rief Jarbeorn und reckte theatralisch eine Faust gen Himmel.
Córiel kicherte bei dem Anblick. „Komm schon, du übergroßer Bettvorleger. Lass uns die Fische braten, ehe sie noch schlecht werden.“

Nach einem ausgedehnten Abendessen, während dessen Verlauf die Sonne untergegangen und Mond und Sterne aufgegangen waren, machten sich Elbin und Beorninger auf den Rückweg zum Sternenwald. Auf der Lichtung der Quelle trafen sie auf Pallando und Tarásanë, die sich leise unterhielten. Als die beiden Córiel und Jarbeorn erblickten, kamen sie rasch herüber.
„Vaicenya schläft noch immer, doch ihr Zustand hat sich seit dem Untergang der Sonne verändert,“ erklärte die Herrin der Quelle. „Sie wirft sich im Schlafe unruhig hin und her und gibt immer wieder einzelne Worte in einer mir unverständlichen Sprache von sich. Eines davon wiederholte sie öfter als alle anderen...“
Níthrar,“ ergänzte Pallando. „Es klingt für mich wie ein Name. Könnt ihr damit vielleicht etwas anfangen?“
Córiel und Jarbeorn tauschten einen Blick aus. „Níthrar ist Vaicenyas Sohn,“ erklärte die Hochelbin rasch. „Wir befreiten ihn einst aus der Gefangenschaft jener Orks, die unter dem Befehl seiner Mutter standen und die inzwischen nach Eregion marschiert sind. Er ging mit uns bis nach Imladris, wo er sich meines Wissens noch immer aufhält.“
„Also hatte sie tatsächlich ein Kind bekommen,“ murmelte Tarásanë mehr zu sich selbst als zu ihren Gesprächspartnern. „Interessant. Ich frage mich, ob unser guter Freund Pallando vielleicht etwas damit zu tun hat, dass sich ihr Schlafverhalten so rapide geändert hat.“
Pallando legte betroffen die linke Hand auf sein Herz und sagte: „Deine Anschuldigungen verletzen mich, Tarásanë. Ich würde mich niemals in deine Angelegenheiten einmischen oder gar jemanden, der sich in deiner Obhut befindet, mit einem Zauberbann belegen.“
Anstatt einer Antwort zog die Herrin der Quelle nur eine Augenbraue in die Höhe, einen zweifelnden Ausdruck im Gesicht. Es war offensichtlich, dass in der Vergangenheit bereits Dinge geschehen waren, die Pallandos Aussagen Lügen straften.
„Wie dem auch sein,“ sagte Tarásanë, nachdem der Moment verstrichen war. „Ihr sagtet, dieser Níthrar hält sich in Imladris auf?“
Jarbeorn nickte. „Er hatte vor, Meister Elronds Bibliothek für Nachforschungen zu nutzen.“
„Gut. Dann werden wir mit ihm sprechen. Kommt mit mir.“ Sie ging in Richtung der Quelle davon, gefolgt von Pallando, Córiel und Jarbeorn.
An den von Sternen beschienenen Wassern der geheimnisvollen Quelle warteten bereits zwei bekannte Gesichter auf die Gruppe. Faryon und Tórdris, die beiden jungen Elben, die sie bei ihrer Ankunft im Sternenwald in Empfang genommen hatten, standen regungslos zu beiden Seiten der Quelle und trugen lange graue Umhänge, die jeweils von einer Spange in der Form eines Sterns zusammengehalten wurden.
„Ich benötige hierfür deine Hilfe, alter Freund,“ sagte Tarásanë zu Pallando, der gemeinsam mit ihr ans Ufer des Wassers trat. „Wie auch Córiel und Jarbeorn warst du kürzlich in Imladris und kennst den Herrn jener Zuflucht. Hilf mir dabei, die Sicht der Quelle auf ihn auszurichten. Beschreibe ihn mir.“
„Du suchst Meister Elrond, der auch der Halbelb genannt wird. Schwarz wie die Flügel eines Raben ist sein Haar, und alterlos ist sein Antlitz. Seine Augen blicken zurück zu den Sternen des Ersten Zeitalters und sein Körper ist sowohl der eines Kriegers als auch der eines Gelehrten. Als ich ihn zuletzt sah, trug er eine edle Robe aus hellbraunem Elbenstoff sowie einen silbernen Reif, der sein Haupt zierte. Und an seinem Finger ruht stets einer der großen Drei: Vilya, der Ring der Luft.“
Tarásanë blickte auf das Wasser der Quelle herab. „Dieser Ring von dem du sprichst. Wie ist er beschaffen?“ bat sie den Zauberer.
„Vilya ist gefertigt aus reinem Gold, in den ein prachtvoller Saphir eingefasst ist. Seine Form ist filigran und anmutig, besitzt dabei jedoch große Kraft. Vor den Augen der meisten bleibt der Ring verborgen. Nur jene, die vom Schicksal behaftet sind, können den Luftigen erspähen.“
„Nicht leichtfertig vertraute ich dir diese Geheimnisse an, o Jäger Oromës,“ erklang eine körperlose, ferne Stimme. Erst nach und nach erkannte Córiel, dass es tatsächlich Meister Elrond selbst war, den sie hörte. Die Quelle zeigte noch immer nur die Sterne des Himmels über ihr, und das Wasser blieb dunkel. Und doch bestand kein Zweifel - der Herr von Imladris hatte Pallandos Worte gehört und dem Zauberer geantwortet.
Pallandos Erwiderung bestand aus einem amüsierten Lächeln. „Nun, Herr des letzten heimeligen Hauses - sei dir gewiss, dass dies der erste Anlass ist, zu dem ich das Kleinod an deinem Finger beschrieben und seine wahre Natur enthüllt habe. Und dies aus gutem Grund.“
„Dies sind ungewöhnliche Zeiten, und es sind bereits ungewöhnlichere Dinge geschehen. Ich bin mir sicher, du würdest mich nicht auf diese Art und Weise kontaktieren, wenn es nicht wichtig wäre.“
„Wie wichtig es ist, wird sich noch zeigen,“ antwortete Pallando. „Ich habe nur eine einzige Frage. Befindet sich der Avarin-Elb Níthrar noch unter deinen Gästen, der einst mit Córiel und Jarbeorn in dein Haus kam?“
Elrond schwieg für einen langen Augenblick. „Ich verstehe zwar weder die Umstände dieser Frage noch die Art und Weise, auf die wir uns hier unterhalten, doch ich vertraue darauf, dass du mir bei unserer nächsten Begegnung alles erklären wirst. Zu deiner Frage sei nur dieses gesagt: Níthrar brach nur wenige Tage nach Córiels Abreise gen Osten auf, nachdem er in meiner Bibliothek einen verborgenen Hinweis auf den Verbleib des Volkes seiner Mutter gefunden hatte. Sein Abschied von Imladris war kühl und er wirkte auf mich wie von einem innerem Konflikt zerfressen. Ich konnte nicht sehen, wohin ihn sein Weg jenseits der Hithaeglir führte.“
„Das war alles, was ich wissen wollte, mein Freund,“ bedankte Pallando sich. „Ich kehre zu dir zurück, sobald ich kann. Es steht noch ein Bericht über Angmar, den eisigen Norden, das Tal des Anduin und den Goldenen Wald aus. Erwarte mein Eintreffen in wenigen Wochen.“
„Sichere Wege, Freund Zauberer.“

Tarásanë und Pallando traten einige Schritte von der Quelle weg. Beide blickten nachdenklich drein.
„Ich hatte erwartet, dass Níthrar noch immer in Bruchtal sei,“ sagte Jarbeorn und sprach damit Córiels Gedanken aus.
„Irgendetwas scheinen wir noch zu übersehen,“ überlegte Pallando. „Ich habe das starke Gefühl, dass seine hastige Abreise aus Imladris in Verbindung zu den Ereignissen steht, die Vaicenya hierher gebracht haben.“
„Herrin,“ sagte ein Elb, der ungesehen hinzugetreten war. „Euer Gast ist erwacht.“
Raschen Schrittes ging Tarásanë über die Lichtung, gefolgt von Jarbeorn, Córiel und Pallando. Vaicenya war in einer der wenigen hölzernen Hütten untergebracht worden, die nicht in den Baumkronen erbaut worden waren. Als die Gruppe eilig herein trat, blickte die Dunkelelbin auf, die sich auf ihrem Schlaflager gerade halb aufgerichtet hatte.
„Melvendë!“ rief sie und Córiel trat vor, vorsichtig und mit fragendem Blick im Gesicht.
„Was ist geschehen, Vaicenya? Wie...“
„Ich habe Níthrar gesehen,“ stieß die Dunkelelbin hervor, und in ihrem Antlitz blitzte zum ersten Mail, seit Córiel sie kannte, echte Angst auf. „Er ist in Gefahr!“
„Wie meinst du das? Was hast du gesehen?“
Vaicenya blickte betroffen beiseite. „Spar dir dein falsches Mitleid, Córiel. Ich habe deine Täuschung durchschaut. Es kümmert dich nicht, ob mein Sohn zu Schaden kommt.“
„Das ist nicht wahr. Ich habe ihn vor den Orks gerettet, die unter deinem Kommando standen.“
Vaicenya schien - so untypisch für sie das auch sein mochte - den Tränen nahe zu sein. „Ich habe ihn im Stich gelassen,“ brachte sie beinahe unhörbar hervor. „Und jetzt ist er an einen gefahrvollen Ort gegangen, weil er nach all den Jahren beschlossen hat, sich der Vergangenheit zu stellen.“
Córiel kniete sich neben die Dunkelelbin, während sich ihre Begleiter im Hintergrund hielten. „Ich habe dich nicht angelogen als ich sagte, dass ich mich an alles erinnere,“ sagte sie. „Ich erinnere mich an dich, Vaicenya. Ich weiß, wer du einst warst. Die Frau, die ich damals kannte, würde ihren Sohn nicht im Stich lassen. Hilf mir, ihn zu finden, und wir retten ihn gemeinsam.“
Vaicenya blickte auf, einen feinen Glanz in den Augen. „Nach allem, was geschehen ist... siehst du mich noch immer so?“
Vorsichtig, zaghaft, und doch entschlossen nickte Córiel. „Komm. Was geschehen ist, kann nicht ungeschehen gemacht werden. Doch Níthrar ist dein Sohn, und er braucht dich jetzt. Sag mir, was du gesehen hast.“
Die Dunkelelbin seufzte tief, dann setzte sie sich vollständig auf. „Ich sah in den finsteren Träumen, die ich seit meiner Ankunft hier hatte, wie er nach Osten ging. Er kehrt an den Ort zurück, an dem er sich einst von mir lossagte. Meine alte Heimat... unsere alte Heimat. Böses geht dort nun vor sich, und ein namenloser Schrecken liegt über dem Land. Er geriet in den Schatten und ich konnte ihn nicht mehr sehen.“
„Dann weißt du, was du zu tun hast,“ sagte Córiel.
„Ich... muss ihn finden.“
„Und ich komme mit dir.“
Jarbeorn mischte sich ein und sagte: „Und ich ebenfalls, um euch beiden im Auge zu behalten.“
„So einfach werde ich dich wohl nicht los, hm?“ hielt Córiel dagegen.
„Entweder wir kehren gemeinsam nach Rohan zurück, oder gar nicht,“ erwiderte der Beorninger mit einem schiefen Lächeln.
„Ich wünsche euch viel Freude und natürlich nichts als Erfolg auf dieser Fahrt,“ sagte Pallando geradezu fröhlich. „Das wird sehr gut für euch sein. Vaicenya wird vielleicht etwas Manieren lernen, und ihr werdet einem der großen Geheimnisse der vergangenen Zeitalter auf die Spur kommen.“
„Und welches wäre das?“ fragte Jarbeorn.
„Es gab einst einen Ort namens Cuívienen,“ erklärte der Zauberer. „Dort erwachten die ersten Elben. Doch nach dem Aufbruch der drei Völker verschwand er von sämtlichen Karten. Ich bin mir sicher, dass Níthrar dorthin unterwegs ist. Also geht, und seht zu, dass ihr ihn rechtzeitig einholt!“
Sie verließen die Hütte. Tarásanë, die bislang noch kein Wort gesagt hatte, bedachte Vaicenya nur mit einem unheilvollen Blick, ehe sie schweigend davon ging. Rasch suchten sie also ihr Gepäck zusammen und machten sich abreisefertig... ohne dabei die Dunkelelbin aus den Augen zu lassen. Noch immer war nicht ganz klar, wie Vaicenya sich nun verhalten würde. Die Täuschung der Tatyar hatte sie eindeutig durchschaut, doch hatte sie bislang keine feindlichen Absichten gezeigt. Ihr Fokus lag nun auf ihrem Sohn, so wie es Córiel erschien.
Zu dritt verließen sie den Sternenwald, nachdem sie sich von Pallando verabschiedet hatten. Vaicenya ging voraus, den direkten Weg nach Osten einschlagend.


Córiel, Jarbeorn und Vaicenya nach Osten
« Letzte Änderung: 25. Jul 2018, 14:28 von Fine »
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Fine

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Eine erwachte Bedrohung
« Antwort #5 am: 29. Jan 2019, 14:29 »
Aus der Sicht Pallandos:

Etwas hat sich verändert.

Pallando schlug die Augen auf. Er saß auf einem Baumstumpf, nahe der nachtschwarzen Wasser des Celduin. Der Zauberer hatte seine Sinne durch Luft, Wasser und Erde ausgestreckt, um das umliegende Land nach Gefahren abzutasten. Doch das, was er wahrgenommen hatte, war nicht aus der nahen Umgebung des Sternenwaldes gekommen.
Rasch erhob er sich und nahm seinen Stab zur Hand. Der azublaue Kristall, der in die Spitze eingearbeitet war, leuchtete auf, so hell wie eh und je...
Nein, stellte er fest. Nicht wie eh und je. Er hat sich verdunkelt, daran besteht kein Zweifel.

Eiligen Schrittes durchquerte er den Wald in Richtung des Dorfes der Tatyar. Auf der Lichtung im Zentrum der Siedlung angekommen lief der Zauberer der Herrin der Quelle über den Weg.
"Tarásanë!"
"Rómestámo?"
"Hast du es auch gespürt?" fragte er atemlos.
"Ich bin mir nicht sicher," entgegnete sie. "Etwas hat mich geweckt. Für dich muss es deutlicher gewesen sein."
"In der Tat," sagte der Zauberer. "Irgendetwas geht im Süden vor sich, so viel ist klar."
"Komm, Rómestámo. Die Quelle wird es wissen."
Sie verließen die Lichtung und kamen an die Sternenquelle. Voller Anspannung wartete Pallando ab, bis Tarásanë das Wasser dazu gebracht hatte, ihnen Bilder aus der Ferne zu zeigen.
"Da ist eine Stadt, mit roten Mauern..." wisperte die Herrin der Quelle.
"Gortharia," sagte Pallando und nickte. "Die Heimstatt der Ostlinge. Und doch ist es nicht der Ursprung dessen, was mich aufgeschreckt hat. Blicke weiter, nach Süden hin!"
Eine Steppenlandschaft tauchte vor ihnen im Wasser auf. Sie schauten aus großer Höhe darauf hinab. Getreidefelder bedeckten einen Teil der Ebene, während der Rest nur von niedrigen Gräsern bewachsen oder ganz ohne Vegetation war. Am Horizont erhob sich ein schwarzes Band. Ohne dass Pallando es verhindern konnte, wurde sein Blick davon angezogen. Und als er seine Gedanken auf diese Dunkelheit richtete, folgte ihnen das Bild und rasend schnell flog die Vision der Quelle darauf zu. Zerklüftete, baumlose Berge und düstere Wolken tauchten auf.
"Mordor..." flüsterte Tarásanë.
Die Bilder in der Quelle passierten die Berge und rauschten über die schwarzen Felsebenen des Schattenlandes hinweg, bis sie urplötzlich stehen blieben. Im Hintergrund ragte ein feuerspeiender Berg auf, während sich im Vordergrund eine gewaltige, finstere Festung mit einem beinahe unmöglich hohem Turm erhob. Und obwohl Pallando Saurons Domäne selbst nie betreten hatte, wusste er, dass er auf Barad-Dûr, den Dunklen Turm und Sitz des Dunklen Herrschers blickte.
Am Rand des Bildes tauchte die Spitze des Turmes auf, gekrönt von zwei stählernen Dornen, die in den düsteren Himmel ragten. Und zwischen ihnen...
"Das kann nicht sein," stieß die Herrin der Quelle auf. "Sieh nur! Das Große Auge, es..."
"Es ist verschwunden," sagte Pallando leise.
"Was hat das zu bedeuten?" fragte Tarásanë.
"Ich weiß es nicht," erwiderte Pallando mit tiefer Sorge. "Doch ich befürchte das Schlimmste." Er riss seinen Blick von der Quelle los, deren Wasser leicht zu dampfen begonnen hatte. "Das kann nichts gutes bedeuten." Rasch packte er seinen Stab und stand auf.
"Wohin willst du?" wollte die Elbin wissen.
"Es gibt Dinge, um die ich mich nun kümmern muss," antwortete er, während er zur Lichtung zurück marschierte.
"Was für Dinge?"
"Fragen... Fragen, die nach einer Antwort verlangen," sagte der Zauberer und packte seinen Stab. "Ich muss sofort aufbrechen. Eile ist geboten."
"Sei vorsichtig, Rómestámo," warnte Tarásanë. "Der Ort, an den du dich begibst, ist gefährlich."
"Gortharia? Nun, das mag stimmen. Doch ich muss mit Morinehtar sprechen, so bald wie möglich. Ich bedarf seines Rates."
"Ich werde über dich wachen, alter Freund, mit jener Macht, die mir verliehen ist. Möge deine Reise von Erfolg gekrönt sein."

Die Elben liehen Pallando eines ihrer wenigen Pferde, ein dunkelbraunes Tier mit langer, blonder Mähne. Es war zwar ein Weilchen her seit Pallandos letztem Ritt, doch er redete dem Tier gut zu, wie Radagast es ihm einst beigebracht hatte, und es bäumte sich unter ihm auf, ehe es in einen sehenswerten Gallopp verfiel, der den Zauberer aus dem Wald hinaus auf die Ebenen Rhûns trug.

Pallando nach Gortharia
« Letzte Änderung: 22. Mai 2019, 16:08 von Fine »
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Thorondor the Eagle

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Das Ziel einer Reise
« Antwort #6 am: 15. Aug 2019, 10:31 »
...Caelîf, Rástor und die Gruppe aus Nurthaenar von Riavod

Bevor sie den Wald betraten stiegen sie von ihren Pferden ab und führten sie hinter sich her. Die Bäume waren dicht gewachsen in diesem Wald, aber er war aufgrund des wenigen Unterholzes leicht zu passieren. Die Elben hatten damit gerechnet bald von Hütern des Waldes empfangen zu werden, aber es dauerte wesentlich kürzer als vermutet ehe sie vor den gespannten Bogen der hiesigen Soldaten standen. Ihre Rüstungen waren aufwendig verziehrt und doch einfach in ihrer Anfertigung. Die Sehnen der Bögen glänzten in silbrigen Schein.

„Wer seid ihr und was führt euch hierher?“, fragte einer der Grenzwächter.
„Hell scheint der silberne Mond über Nurthaenar, die Stadt aus der wir kommen. Aber es waren die Sterne die uns hierher führten in den Taur-en-Elenath. Ich bin Rástor und dies ist mein Gefolge, eure Herrin hat nach uns verlangt.“
„Túvir?“, fragte eine der Grenzwächterinnen. Caelîf sah ein kaum merkbares Lächeln über Rástors Lippen huschen. Er nickte zustimmend.
„Folgt uns“, befahl nun die Elbe. Die anderen ließen ihre Waffen zu Boden sinken, verstauten die Pfeile in den Köchern und hingen sich die Bögen über ihre Schultern.

Nach einem längeren Fußmarsch zwischen den zahllosen Bäumen erreichten sie schließlich eine am Bächlein gelegene Siedlung der Elben. Die Häuser waren verstreut zwischen und auf den Bäumen gebaut und bestanden überwiegend aus Holz. Die Elben die sie auf der Lichtung erspähten, nahmen sie zur Kenntnis, beachteten sie aber nicht weiter. Jeder ging seinem Tagegeschehen nach. Caelîf hatte den Eindruck, dass sie fremden Besuch gewohnt waren. Sie vertrauten wohl auf das Urteilsvermögen ihrer Herrin.

Sie näherten sich schließlich dem nördlichen Teil der Lichtung wo eine Gruppe Elben auf dem Boden saß. Sie hatten die Augen geschlossen und sprachen kein Wort. Am auffälligsten unter ihnen war eine Elbin mit silbernem Haar.

„Das ist sie“, flüsterte Rástor zu Caelîf „Sie hat sich kaum verändert. Siehst du den Schein der sie umgibt?“
Der junge Elb nickte.
„Sie hat solch eine starke Fea, sie strahlt von innen heraus. Jeder von uns hat dies, aber nur bei den reinsten und mächtigsten wird sie sichtbar.“
Caelîf war beeindruckt von ihrer Erscheinung.

„Wilkommen im Sternenwald“, sprach sie und öffnete dabei ihre Augen. Sie fixierte Rástor und setzte ein zurückhaltendes Lächeln auf.
„Einige von euch werden schon bemerkt haben, dass wir euere baldige Ankunft erwartet haben“, dabei schwenkte ihr Blick, ihre silbrig glänzenden Augen, zu Caelîf. „War es doch ein weiter Weg den ihr hinter euch gebracht habt, so bin ich überaus froh euch endlich hier zu wissen.“
Rástor ging auf die Herrin des Sternenwaldes zu und reichte ihr die Hand um aufzustehen. Als sie in ihrer vollen Größe vor ihnen stand, verneigte er sich ehrfürchtig.
„An Schönheit habt ihr nichts verloren seit unserem letzten Treffen“, begrüßte er sie. Sie legte ihre Hand auf seine Schulter, lächelte und streichelte dann über seine Wange.
„Faryon“, sprach sie nun den Grenzwächter an der die Gruppe begleitet hatte „bring die Männer zu den Quartieren, sie sollen sich ausruhen nach dieser langen Reise. Túvir und ich haben einiges zu besprechen.“
„Du junger Freund“, sagte sie weiter und sah überraschend zu Caelîf.
„Caelîf, Herrin“, stellte er sich kurz und bündig vor.
„Wenn du möchtest kannst du uns begleiten.“
Er verneigte sich und schloss sich den beiden älteren Elben an.

„So lange Zeit haben wir einander nicht gesehen. Ihr könnt euch vorstellen, wie überrascht ich war von euch zu hören“, begann Rástor das Gespräch. Sie gingen dabei quer über die grüne Wiese auf dieser Lichtung.
„Es ist wahrlich lange her, seit ich dich in deinen Kinderschuhen im Wilden Wald zurückgelassen habe, dich und deinen Bruder. Aber ich wusste, dass ihr dort gut aufgehoben wart“, antwortete sie und wie ich sehe habe ich recht behalten.
„Da muss ich dir zustimmen. Wobei ich auch sagen muss, dass ich von meinem Bruder seid vielen Jahren nichts mehr gehört habe.“
Die Herrin blieb einen Augenblick stehen und schaute Rástor eindringlich in die Augen. Ohne ihm eine Antwort zu geben ging sie weiter.
„Er war immer der geschicktere von uns beiden“, sprach Rástor weiter „Er besaß außerordentliche Fähigkeiten und war ein guter Anführer. Er führte die Elben unseres Stammes zurück nach Dalvarinan und unter ihm lebten wir viele Jahre.“
„Dass er fähig war, war immer offensichtlich. Aber offensichtliche Fähigkeiten sind gefährlich, sie führen zu Bewunderung und irgendwann zu Selbstüberschätzung und vielleicht sogar Wahnsinn. Die Kräfte, die im Verborgenen wirken und nicht gesehen werden, sind weit wichtiger. Sie sind stetig und wer sie besitzt wird nie wissen wie groß deren Einfluss wirklich ist und wird auch nie verlernen was es bedeutet demütig zu sein.“

Sie erreichten einen kleinen Fluss. Die Elbe stieg mit ihren bloßen Füßen in das klare Wasser und ging flussaufwärts im Bachbett voran. Rástor schnürte seine Stiefel auf, Caelîf tat es ihm umgehend gleich. Das Wasser war sehr kalt, aber merkwürdigerweise schreckte es die beiden Elben nicht ab.

„Tarásane, habt ihr auch versucht meinen Bruder zu erreichen?“, fragte Rástor nun direkt.
Sie drehte sich nicht um: „Weder du, noch ich, haben die Macht ihn da zu erreichen, wo er gerade ist.“
Rástor’s Kopf senkte sich für einen Moment nach unten.
„Aber das heißt nicht, dass dies immer so bleiben muss. Ich selbst wurde Zeuge davon und dies ist mit ein Grund warum ihr hier seid.“

Sie näherten sich einem natürlichen Tor aus Steinen aus dem der Bach floss. Die drei Elben gingen hindurch und fanden sich in einer Art Halle wieder. Sie bestand aus größen Bäumen die eine Kuppel über ihnen bildete. Sie war erhellt vom kühlen, bläulichen Licht der Elbenlampen. Caelîf bewunderte ein ovales Becken inmitten des Raumes, aus dessen tiefe das Wasser sprudelte.

„Wir sind hier am Ursprung des Sternenfluss. Das Herz dieses Waldes und Quelle allen Lebens hier. Diese Quelle birgt eine uralte Macht, die zu nutzen wir im stande sind, aber niemals können wir sie beherrschen. Du spürst es Túvir, nicht wahr?“
„Ja, es ist einfach wunderbar“, seine Augen wurden feucht.
Sie nahmen auf steinernen Stühlen am Rande des Raumes platz.
« Letzte Änderung: 17. Aug 2019, 16:31 von Thorondor the Eagle »
1. Char Elea ist in Bree  -  2. Char Caelîf ist in Palisor

Thorondor the Eagle

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Re: Taur-en-Elenath
« Antwort #7 am: 16. Aug 2019, 12:43 »
„Schon vor langer Zeit offenbarte mir die Quelle eine Legende. Sie sprach von einer großen Macht, unbesiegbar in ihrer größten und reinsten Form. Das Dunkel wusste das und so machte es sich daran diese Macht aufzusprengen. So wurden jene, die einst einig waren zu Widersachern. Ich grübelte lange über diese Prophezeihung nach und zerbrach mir den Kopf was es denn war und wie wir sie finden konnten. Vor allem da das Dunkel im Süden wieder erstarkte und Gestalt annahm. Aber ich vermochte nicht dahinter zu kommen. Bis zu jenem Tag, als eine Gestalt aus längst vergangener Zeit auf meiner Türschwelle auftauchte. Ich erkannte es nicht sofort, aber einfacher hätte es mir nicht vor Augen geführt werden können. Eine Elbe, die ich vor langer Zeit kannte und die im Kampfe mit dem Feind den Tod fand, kam vor wenigen Wochen hierher in den Wald.“
„Sie ist zurückgekehrt?!“, flüsterte Rástor die Frage und sie verhallte sofort in der großen Halle.

Caelîf blickte in das Wasser vor sich. Die Oberfläche begann sich unruhig zu bewegen. Plötzlich tauchte ein kleines Licht aus der Tiefe auf. Es wirbelte durch die Strömungen, es kam ein zweites dazu und ein drittes. Es wurden immer mehr und aus der Vielzahl von Lichtern formte sich ein Bild. Es war ein trostloser Ort an einem See. Kein Lebewesen war zu sehen, bis schließlich eine einzelne Elbe auftauchte. Sie setzte sich einsam an das Ufer des Sees. Die Trauer und die Wut dominierten ihren Gesichtsausdruck.

„Ihr Tod war das Verhängnis ihrer Gefährtin, die in all den Jahrentausenden vom Weg abkam. Es war fraglich auf welcher Seite sie kämpfte und welche Methoden sie anwandte, aber kaum kamen sie hier an, gelang es uns ihre Bande zu erneuern. Kann es denn eine größere Macht geben als ein Volk das zusammen hält? Menschen und Elben die für einander da sind? Elb und Elb, Mensch und Mensch die verbunden sind in…“

Während sie sprach wandelte sich das Bild in der Quelle. Eine Vielzahl von Elben war nun im Schatten einer Ruine zu sehen. Sie trugen Kleidung in verschiedenen Farben, manche hatten stechend blaue Augen, machen waren blond und andere dunkelhaarig. Alle halfen zusammen, es schien so, als würden sie etwas bauen.

„Freundschaft“, sagte Caelîf und beide schauten ihn erstaunt an.
„Ja, in Liebe und Freundschaft“, wiederholte Tarásane „Über all die Jahre haben wir uns verloren, unser Volk hat sich aufgeteilt. Nun ist es an der Zeit wieder zueinander zu finden und Freundschaften zu knüpfen die bereits vor vielen Jahren bestanden. Deshalb seid ihr hier.“
Rástor blickte in das Bild im Wasser: „Ich stimme euch zu, Herrin. Es gestaltet sich aber sicherlich schwieriger als ihr denkt. Unser Volk lebt seid vielen Jahren abgeschieden in den Bergen. Viele Kontakte nach Außen haben wir nicht geknüpft.“
„Darum war es umso wichtiger euch herauszulocken. Túvir, du hattest schon immer eine große Gabe. Dir alleine ist es zu verdanken, dass ein Volk von Einzelgängern in einer kleinen Stadt zusammenlebt wie eine große Familie.“
„Ein Volk von Einzelgängern?“, fragte Caelîf kleinlaut.
„Ja, du hast richtig gehört“, antwortete die Elbe „Nachdem sich die Elbenvölker des Wilden Waldes trennten, gab es einige die vorzogen alleine zu leben. Sie fürchtete in einer großen Ansammlung ein leichteres Ziel und eine größere Bedrohung für den Feind zu sein. Sie wurden zum Volk der Windan. Überall verstreut im Wilden Wald lebt dieses Volk. Sie trauen niemandem und leben nur unter sich. Dein Herr war es, der euch zusammenhielt, wenn ihr auch einige eurer nicht so guten Eigenschaften behalten habt.“
Sie lächelte bei den letzten Worten.

„Es ehrt mich sehr, dass ihr in solch lobenden Worten von mir sprecht und ich werde tun was ich kann um euren Auftrag zu erfüllen. Aber ich vergesse auch nicht, dass mein Volk mich braucht“, antwortete Rástor weise.
„Darum bin ich froh, dass auch du hier bist, Caelîf“, entgegnete sie.
„I..“, mehr brachte er vor Verwunderung nicht heraus.
„Er ist hier, weil er ein junger Elb ist und neugierig war, wie die Welt da draußen ist“, antwortete Rástor.
„Und weil er in vielerlei Hinsicht dir sehr ähnlich ist Túvir“, sagte sie abschließend „Komm mit, lass uns in den Archiven eine geeignete Karte suchen. Ihr braucht sie um euer nächstes Ziel zu finden.“
Die beiden ältern Elben verließen die Halle. Caelíf blieb alleine zurück.

Ich? Ich soll so sein wie der Veríaran? Ich bin jung und unerfahren und habe keinerlei Fähigkeiten. Ja, ich bin für meine Familie da und für meine Freunde. Ich helfe mit wo ich kann… aber was ist das schon? Rástor hat sicher schon Heldentaten vollbracht. Er hat ein ganzes Volk unter sich versammelt und über Jahrtausende verborgen gehalten. Stets ging er mit gutem Beispiel voran. Und ein Volk von Einzelgängern? Ja wir verbergen uns und haben wenig Kontakt zu anderen Elben, aber wir sind doch keine Einzelgänger. Auch nicht in unseren Herzen.

Dass er alleine war, tat dem jungen Elben gut. Er dachte über die Gespräche nach. Er legte sich auf den Rücken und starrte auf die Decke, die durch die Lichter dem Sternenhimmel oder der Eliancor ähnelte. Seine Gedanken trübten sich, denn es erinnerte ihn an seine Stunden in der Eliancor, wo er um seine Großmutter trauerte.
Nach nur wenigen Minuten oder vielleicht war es auch eine Stunde stieg Nebel auf und ließ das Bild vor ihm verschwimmen. Verwundert neigte er seinen Kopf zur Seite. Die Lichter in der Quelle waren wieder zurückgekehrt. Die bunten Pünktchen tanzten wild umher, einige wanderten sogar in die aufsteigenden Nebel und plötzlich formte sich das unverkennbare Gesicht seiner Großmutter vor sich.
„Harumi“, sagte er leise. Er sah wie sie lachte und wie sie mit einem kleinen Jungen spielte, sie hob ihn hoch und drehte sich im Kreis mit ihm. Das Bild wandelte sich und Aralûtha saß unter dem sternenbedeckten Himmel, den kleinen Caelîf als Säugling auf dem Arm. Sie deutete mit dem Finger in die Luft und erklärte ihm scheinbar das Gemälde, das in den ersten Tagen der Welt gemalt wurde. Einzelne Tränen liefen über sein Gesicht.
Er bemerkte wie jemand den Raum betrat, die Herrin der Quelle. Wortlos verfolgte sie die Szenen im Wasser.

„Meine Großmutter Aralûtha“, begann Caelîf zu sprechen. Tarásane hörte nur zu.
„Vor nur wenigen Monaten verließ sie uns. Ihre Fea suchte den Weg zu unseren Ahnen. Sie war mir sehr...“ Er fand kein passendes Wort.
„Ohne diese Bilder zu sehen, hätte ich es gespürt. Vor vielen Jahren kannte ich ihre Mutter. Wir haben dieselben Wurzeln. Wenn sie dieselbe Güte und Freude hatte wie ihre Mutter, war Aralûtha ein großer Gewinn für eure Stadt und deine Familie.“
Caelîf war überrascht über diese Tatsache und bejahte ihre Vermutung über seine Großmutter. Die Herrin begann leise zu flüstern, als würde sie ein Gebet aufsprechen.

Das Bild vor ihnen wandelte sich ein weiteres Mal: Zwei kleine Elbenkinder spielten am Ufer eines großen Sees. Sterne leuchteten hell am Firmament. Es waren zwei Mädchen mit einer auffälligen silbernen Strähne am vorderen Scheitel. Eine silberhaarige Elbe näherte sich ihnen und schloss sich dem Spiel an. Es mussten Aralûtha, ihre Schwester und ihre Mutter sein. Nicht unweit von der Stelle war ein hoher, tosender Wasserfall. Er beobachtete wie die drei zu dem Wasserfall gingen und eine Höhle unweit des Uferstrandes betraten.
„Dies ist Cuiviennen, wie es ursprünglich war“, sagte Tarásane wehmütig.
Die Lichter verschwanden wieder und der Nebel löste sich langsam auf.
„Túvir hat dir nicht gesagt warum er dich ausgewählt hat“, begann nun Tarásane an vorhin anzuknüpfen. Caelîf schüttelte den Kopf: „Ich dachte es war Zufall und Mitleid.“
„Du hast ein ähnliches Geschick wie Túvir. Menschen fühlen sich in deiner Gegenwart wohl, du kannst sie führen, aber nicht von oben herab, sondern als Freund und Helfer.“
Der junge Elb freute sich über diese Worte.
„Traue dich und nutze die Fähigkeit, denn sie wird dringender gebraucht denn je.“
„Ich danke euch, Herrin“, sagte Caelîf abschließend.
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Re: Taur-en-Elenath
« Antwort #8 am: 17. Aug 2019, 16:29 »
In jener Nacht wollte Caelîf alleine sein.

Dieser Ort ist mir merkwürdig vertraut, so als wäre ich zuhause. Ich fühle mich sehr geborgen. Es hilft mir, damit ich nicht so traurig bin obwohl ich Harumi gesehen habe. Es war schön sie wieder zu sehen, ihr Lachen. Und ihre Schwester? Ist sie noch am Leben? Wer war sie und wie war sie? 

In jener Nacht saß Caelîf lange am Rande der Lichtung und starrte in den Himmel. Er stellte sich vor wie seine Großmutter am See von Cuiviennen groß geworden war und wie ihre Eltern wohl gewesen waren. In den frühen Morgenstunden bemerkte er einen umherstreifenden Menschen. Sein Kopf war zum Boden gebeugt, seine Arme ließ er lustlos herabhängen, sein Gang wirkte geplagt. Sein Blick folgte ihm als der Mensch direkt auf den Elben zuging. Offensichtlich hatte er Caelîf nicht gesehen. Er erschrak und zuckte leicht zusammen als er den Elben bemerkte.
„Verzeiht, ich wollte euch nicht stören“, sagte er.
„Das habt ihr nicht. Geht es euch gut? Wieso seid ihr zu solch später oder eher früher Stunde wach?“
„In der Nacht finde ich keinen Schlaf.“
„Habt ihr Schmerzen?“
„Jede Minute am Tag, aber schlimmer sind sie in der Nacht… in der Dunkelheit. Ich spüre weder Freude, Hoffnung, nichts… nur Schmerz.“
„Habt ihr diese Verletzungen aus dem Krieg?“
„Es war eher ein Gemetzel als ein Krieg. Alle sind gefallen. Ich habe nichts mehr.“
Caelîf hatte tiefes Mitgefühl für den jungen Mann. Er konnt es sich gar nicht vorstellen alles zu verlieren.

„Können dir die Elben hier helfen?“, fragte der Elb.
„Es geht sehr langsam und manche meiner Wunden werden wohl niemals heilen.“
„Aber du bist hier. Du kannst deine Familie fortführen, du kannst ihnen erzählen wer deine Eltern und wer die Menschen deines Volkes waren und was sie alles vollbracht haben. Wenn ich etwas gelernt habe, dann das jeder seine Geschichte hat und diese weitergeben sollte. Manchmal ist nur ein winziger Federstreich der Auslöser für etwas ganz Großes.“
„Das mag sein“, antwortete der Mensch matt.
„Wie ist denn dein Name?“, fragte Caelîf.
„Baldr.“
„Ich bin Caelîf“, antwortete der Elb, dann trat betretenes Schweigen ein „Möchest du mir etwas über deine Familie erzählen?“
Es folgte wieder ein langes Schweigen. Baldr versuchte ein paar Worte zu formen, aber seine Stimme versagte. Tränen standen ihm in den Augen. Caelîf legte ihm seine Hand auf die Schulter.

„In nächtlicher Stund gestaltet, ein kleiner Stern.
Sein Licht entfaltet, strahlt nah und fern.

Wolken verhangen, das Himmelszelt
Der Stern war gefangen, in dunkler Welt.

Dies ist der Anfang eines Gedichtes aus meiner Kindheit. Wenn wir oft nach oben schauen um die Sterne zu sehen, sind sie von Wolken verdeckt und alles scheint trostlos und hoffnungslos. Aber wir können stets darauf vertrauen, dass das Kunstwerk der Sternenanzünderin dort oben ist und auf ewig strahlen wird.“

Als die Morgendämmerung vorbei war, begann auf der Lichtung das Leben wieder zu erblühen. Die Elben die hier wohnten gingen geschäftig ihrem Alltag nach. Caelîf entdeckte Tarásane im getümmel. Sie schien aufgeregt zu sein. In knappen Worten bat sie den jungen Elben Rástor zu suchen und zu ihr zu schicken.

Er hatte keine Ahnung wo der Veríaran war und so suchte er zuerst die Quartiere der Soldaten auf.
„Der Herr wollte sich ein wenig zurückziehen um nachzudenken. Du weißt, wo ihr gestern überall wart“, teilte ihm Inglos mit.
Da hatte Caelîf eine Idee. Er folgte demselben Weg wie am Tag davor. Bevor er in das flache Flussbett stieg, entblößte er wie gewohnt seine Füße. In der großen Halle, in der die Quelle entsprang, angekommen, sah er den Ältesten am Rande des Wassers stehen. Er beobachtete die Lichtpünktchen vor sich. Seine Augen waren glasig, auf seinen Lippen lag ein Schmunzeln.

Im Wasser erkannte er zwei schwarzhaarige junge Elben. Sie saßen auf einem Baum und kicherten. Sie waren vielleicht dreißig Jahre alt. „Wo seid ihr“, schrie eine weibliche Stimme „Kommt her.“
Die Elben beobachteten was unten auf dem Boden passierte, plötzlich sahen sie sich an. Sie mussten sich die Hand vor den Mund halten um das Kichern zu unterdrücken.
„Bitte, bitte. Kommt heraus.“
Plötzlich machte einer der jungen eine streichende Bewegung mit der Hand in der Luft. Ein Knacken war zu hören und der Ast mit dem anderen Elben brach ab. Mit einem lauten Krachen landete er auf dem Waldboden. Das silberhaarige Mädchen das sie suchte erschrak: „Túvir!“ schrie sie und plötzlich hörte man das Lachen des anderen im Hintergrund.

Das Bild wandelte sich. Der Wald wirkte plötzlich viel düsterer und verlassener. Die beiden Elben waren einige Jahre älter. Sie trugen einfache Rüstungen. Sie standen in einer Höhle, man höhrte das tosende Rauschen eines Wasserfalles.
„Es ist besser wenn wir uns weiter in den Süden zurückziehen. Du weißt, welche Bedrohung im Norden lauert. So viele sind nicht zurückgekehrt.“
„Ja ich weiß Bruder, aber warum sollen wir freiwillig unsere Heimat verlassen. Wir wurden hier geboren, alle von uns.“
„Aber es ist kaum noch jemand da. Alle sind sie gegangen. Und Jahr für Jahr verlassen uns weitere unserer Freunde.“
„So wie Tarásane?“
Als ihr Name gefallen war, wurde Túvir’s Blick wehmütig und melancholisch.
„Ich möchte hierbleiben, ich möchte meine Heimat verteidigen. Eines Tages werden die Elben hierher zurückkehren und wir werden hier auf sie warten.“
Túvir schaute ihn vorwurfsvoll an, doch dann löste sich sein krampfhafter Gesichtsausdruck: „Nun gut, dann bleiben wir vorerst hier.“

Das Bild verschwamm und es wurde dunkel.
„Mein Herr“, flüsterte Caelîf nun.
„Ja, mein junger Freund?“
„Die Herrin möchte euch sehen, es scheint dringend zu sein.“
„Natürlich“, antwortete er kurz und ging an Caelîf vorbei, dieser folgte ihm.

Hat Herr Rástor bemerkt, dass ich alles gesehen habe? Ich er ist nicht böse auf mich. Ich hätte gleich etwas sagen sollen. Wieso denkst du nicht mit Caelîf…
« Letzte Änderung: 26. Aug 2019, 22:26 von Thorondor the Eagle »
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Re: Taur-en-Elenath
« Antwort #9 am: 26. Aug 2019, 22:26 »
Caelîf und Rástor betraten einen kleineren Versammlungraum in dem Tarásane und Inglos bereits warteten. Inglos stand und stützte sich mit beide Händen auf einen Tisch, die Elbe saß in einem Stuhl. Auf dem Tisch, vor ihnen lagen einige dolchartige Messer.

„Was ist denn passiert?“, fragte Rástor ein wenig außer Atem.
„Schweren Herzens muss ich euch nahe legen zurück in die Wilden Wälder zu reiten“, antwortete die Herrin.
„Wieso?“
„Ich kann nur mutmaßen, aber die Bilder die mir die Quelle gestern zeigte, lassen nichts Gutes vermuten. Geht wie besprochen zum Stamm der Hwenti, nach Gan Lurin. Dort solltet ihr auf Coriel und Vaicenya von den Tatyar treffen.“
Rástor sah sie erstaunt an: „Tatyar?“
„Ja ganz recht. Einige wenige gibt es noch.“
„Dann werden wir gleich morgen abreisen.“
Tarásane schüttelte den Kopf und sah Rástor mit einem tiefen, traurigen Blick an: „Es wäre besser ihr geht sofort.“
„Kurz war unser Besuch im Taur-en-Elenath, bei der Herrin der Quelle“, antwortete er und sein Blick haftete an ihrem. Sie lächelte schwach.

„Inglos, sag den Männern sie sollen sich für die sofortige Abreise vorbereiten. Wenn die Sonne im Zenit steht, reiten wir los“, befahl er dem Hauptmann. Er nickte und verließ den Raum.
„Was ist es, Tarásane?“, fragte er nun nochmal.
„Ich kann dir nichts Genaues sagen, da ich es nicht weiß. Aber ich biete euch diese Waffen, sie sind aus den ältesten Tagen unseres Volkes und sind stark genug um Drachenhaut zu durchdringen. Fragt die Zwerge, sie werden euch lange stabile Lanzen daraus machen.“
„Drachenhaut?“, Rástor war ein weiteres Mal erstaunt.
„Denkt ihr es ist ein Drache?“, fragte Caelîf nun ungläubig und erinnerte sich an die schaurigen Geschichten die er in der Vergangenheit las.
„Ich hoffe es nicht, aber ich befürchte es. Es gibt uralte Legenden über einen Drachen der in den Orocarni lebt. Aber noch nie hat ihn jemand zu Gesicht bekommen.“
„Wenn sich deine Vermutung bewahrheitet, dann müssen wir so schnell wie möglich zurück nach Nurthaenar. Auf den Hängen der Orocarni liegt unsere Stadt wie am Präsentierteller“, stellte Rástor besorgt fest.
„Geht und packt eure Sachen, wir bringen euch Proviant. Ich erwarte euch bevor ihr losreitet“, schloss Tarásane das Gespräch ab.

Es musste ein kühler Tag sein, doch dieser zauberhafte Wald beherbergte eine spürbare Wärme. Die Sonne ragte obwohl sie im Zenit stand nicht weit über die Baumkronen hinweg, vermutlich würde es nicht mehr lange dauern bis der erste Schnee fiel.
Rástor, Caelîf und ihre Gefährten standen aufgereiht auf der Lichtung, die Pferde hatten das Gepäck geschultert. Ihnen gegenüber verharrte die Herrin der Quelle, anmutig wie sie immer war.
„Wir danken euch, Bewohner des Sternenwaldes und euch, der Herrin der Quelle. Ihr gabt uns ein Heim, wenn auch nur für kurze Zeit“, waren die höflichen Worte der Verabschiedung.
„Es war uns eine große Freude, habt Dank für euer kommen. Zahlreiche Aufgaben liegen vor euch, mögen sie unter dem Schutze der Valar gelingen.“

Die Soldaten aus Nurthaenar wandten sich unter dem Befehl von Inglos ab und machten sich zum gehen bereit. Etwas abseits kamen sie zum stehen. Die Elben des Waldes verschwanden ebenfalls. Tarásane ging nun einige Schritte auf Rástor zu. Als Caelîf sich entfernen wollte, deutete sie ihm stehen zu bleiben.
„Ihr beide“, sie lächelte „Du hast eine gute Wahl getroffen Túvir, zweifle nicht daran. Aus der Angst heraus einen Fehler zu machen und gar nichts zu tun ist bereits eine Niederlage. Gehst du das Risiko ein, besteht zwar die Chance einer Niederlage, aber ebenso die Chance eines großen Sieges.“
Er wirkte irgendwie erleichtert nach diesen Worten.
„Mein lieber Caelîf, du bist aufmerksam, sensibel und triffst deine Wortwahl mit Bedacht. Es steht außer Frage, dass dir in der nahen Zukunft wichtige Aufgaben auferlegt werden und wie ich dich einschätze wirst du sie ohne zu zögern annehmen. Glaube stets an dich und deine Fähigkeiten und du wirst alles, einfach alles was auf dich zu kommt, gut meistern.“
Aus einer kleinen Phiole träufelte sie etwas Wasser auf ihre rechte Handfläche. Sie benetzte den linken Zeigefinger mit der klaren Flüssigkeit und näherte sich seinem Gesicht. Der junge Elb schloss instinktiv die Augen. Er spürte wie der Zeigefinger leicht über sein linkes, sein rechtes Augenlid und schließlich über die Mitte seiner Stirn strich. Anschließend spürte er die sanften Lippen der Elbe auf denselben Stellen des Gesichtes.
„Möge das klare Wasser der Quelle deine Augen öffnen für vieles, was dir bisher verborgen blieb.“

Langsam öffnete Caelîf wieder die Augen und sah in ihre silbrigen. Sie strahlten einen mysteriösen Schein aus.

Im nächsten Augenblick drehte sie sich zu Rástor. Sie sah ihm tief in die Augen, seine wurden leicht wässrig. Tarásane sprach in einer Sprache die Caelîf nicht verstand, sie wusste das. Zur Verabschiedung legte sie ihre flache Hand auf seine Brust.

Nachdem sie den Wald über die geheimen Pfade verlassen hatten, nahm die Elbenschar denselben Weg vom Sternenwald zurück, wie sie ihn gekommen waren. Im Eiltempo überquerten sie die Ebenen und verweilten die Nacht im verlassenen Gehöft von Hrostar. Dort konnten sie sich im Notfall verbarrikatieren, sollte es einen Überfall geben beziehungsweise waren sie innerhalb der Mauern vor spähenden Augen sicher.
Caelîf streifte gedankenverloren durch die oberen Räume des Hauses. Es waren die Schlafzimmer der ehemaligen Bewohner, das helle Licht des Mondes strahlte durch die Fenster. Er stellte sich vor wie der kleine Junge, Diméa’s Sohn, im Bett lag und ruhig schlief.

Ob er wohl oft Albträume hatte? Von Orks oder von anderen Monstern? Wieviel Angst musste der kleine Junge haben in dieser Nacht? Ich hätte auch Angst, ich habe Angst. Was wenn wirklich ein Drache unsere Stadt angreift? Was wenn es bereits geschehen ist? Hoffentlich geht es allen gut…

„Woran denskt du?“, riss ihn Rástor aus seinen Gedanken.
„An Nurthaenar“, antwortete Caelîf und setzte sich dabei auf die Bettkante. Er sah nach draußen auf die weite Ebene.
„Ich auch. Aber habe keine Sorge, es ist alles in bester Ordnung.“
„Das hoffe ich. Ich habe Angst um meine Familie und um meine Freunde.“
„Was sagte uns Tarásane? Angst sollte uns niemals leiten. Eher das Vertrauen und die Verbundenheit. Gute Absichten bringen Gutes hervor, schlechte Absichten Schlechtes.“
Caelîf nickte.
„Die Verbundenheit zu deiner Familie, dass hast du von Aralûtha.“
Caelîf nickte wissend.
„Habe ich dir je erzählt, wie ich sie kennen gelernt habe?“, fragte Rástor den jungen Elben und überraschte ihn damit.
„Nein“, antwortete er nur kurz.

Caelîf, Rástor und die Soldaten aus Nurthaenar in die Umgebung von Riavod
« Letzte Änderung: 14. Sep 2019, 10:57 von Thorondor the Eagle »
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« Antwort #10 am: 15. Sep 2022, 13:31 »
Milva, Cyneric, Salia und Firvi aus Dorwinion

Je weiter sie dem Carnen flussaufwärts folgten, desto unwegsamer wurde die Landschaft. Hatten sie entlang des Celduinflusses weite Felder und grasbedeckte Ebenen durchquert, so kamen sie nun durch feuchtere Landstriche, durchsetzt mit Mooren, Tümpeln und bewachsen von kleineren, weidenähnlichen Bäumen, deren Äste bis auf den Boden herabhingen. Die Pferde mussten sich mühsam ihren Weg zwischen tückischem Morast und feuchtem Riedgras suchen, und die Gruppe hatte Schwierigkeiten, dem Fluss in gerader Linie zu folgen. Besonders das Ostufer des Carnen war mit nahezu riesenhaftem Schilf bewachsen, und vielerorts zweigten seichte Nebenarme des Flusses für einige Entfernung vom Hauptstrang ab und erschwerten ebenfalls das Vorankommen. Ohne Milvas Ortskenntnis hätten sie vermutlich noch einen ganzen Tag länger gebraucht, wie Cyneric vermutete.

Trotz aller Schwierigkeiten sollte Milva am Ende Recht behalten. Am späten Nachmittag wurde der Boden unter den Hufen ihrer Pferde allmählich wieder fester. Sie ließen das Marschland hinter sich und erblickten in der Ferne die ersten Ausläufer des geheimnisvollen Waldes, der das Ziel ihrer Reise war.
Salia ritt neben Cyneric. "Ich frage mich, was uns hier erwarten wird," sagte sie nachdenklich.
"Es gibt nur einen Weg, das herauszufinden," erwiderte er mit leichter Heiterkeit. "Wenn wir nicht zu lange hier trödeln, sind wir noch vor Sonnenuntergang im Wald."
"Es ist wichtig, dass wir den Elben keinen Grund geben, uns zu misstrauen," sagte Milva im ernsten Tonfall. "Für gewöhnlich gewähren sie Fremden keinen Zugang in ihre Heimat. Ich denke allerdings, dass sie für mich eine Ausnahme machen werden."
"Du denkst?" wiederholte Salia. "Was, wenn du dich irrst, und wir anstatt deine Freund kennenzulernen Bekanntschaft mit scharfen Pfeilspitzen machen?" Es war offensichtlich nur teilweise als Scherz gemeint.
"Solange wir ihnen keinen Grund für Feindseligkeiten geben, wird uns nichts zustoßen," meinte Milva. "Lasst einfach mich das Reden übernehmen und... Finger weg von euren Waffen."
"Wie du willst," sagte Salia, doch für Cynerics Ohren klang sie nur wenig überzeugt.

Sie ließen das letzte Stück des Weges rasch hinter sich und brachten ihre Reittiere am Rand des Waldes zum Stehen. Cyneric stieg aus dem Sattel und band die Pferde kurzerhand an einige der nahen Baumstämme. Wie Milva es ihnen geraten hatten, ließen sie ihre Waffen zurück, ehe sie in den Schatten des dichten Blätterdachs des Sternenwalds traten.

Milva ging voraus, einem kaum sichtbarem Pfad, der sich vor ihnen über den Waldboden schlängelte folgend. Es gab hier nur wenig Unterholz, wie ihnen auffiel. Weit mussten sie nicht gehen, ehe sie auf die Bewohner des Waldes stießen. Eine Gruppe von sieben, in lange Umhänge gekleideten Wächtern tauchte hinter einer der vielen Biegungen des Pfades auf und versperrte ihnen den Weg. Zu Cynerics Verwunderung war ein Mensch unter ihnen - ein junger Mann mit dunklem Haar und Bart, der einen Bogen in der Hand hielt.
Die Elben wirkten, als hätten sie Milvas Gruppe bereits erwartet, dennoch gaben sie den Weg zunächst nicht frei. Der Anführer der Gruppe gebot ihnen mit einer Geste der linken Hand Halt, dann sagte er etwas zu seinen Leuten. Diese nickten stumm, der menschliche Bogenschütze ausgenommen. "Sie ist es wirklich," hörte Cyneric den Mann raunen.
"Deine Rückkehr ward uns angekündigt, doch hatten wir früher mit dir gerechnet, Maranya," wandte sich der Anführer der Elben an Milva.
Milva schien einen Augenblick lang nachzudenken. "Faryon, nicht wahr?" sagte sie und ihr Gegenüber nickte. "Hat die Herrin mich kommen sehen?"
Der Elb dessen Namen Faryon zu sein schien, schüttelte sachte den Kopf. "Uns erreichten Nachrichten aus dem Süden. Du wärest auf dem Weg und brächtest wichtige Kunde, deinen Auftrag betreffend."
Bei diesen Worten sah Salia Cyneric an und formte mit den Lippen lautlos eine Frage. "Auftrag? Was für ein Auftrag?"
Ehe Cyneric antworten konnte, nahm Milva das Wort. "Ich werde mit der Herrin der Quelle darüber sprechen. Lasst ihr uns durch, Faryon?"
Der Angesprochene musterte sie alle nacheinander mit eindringlichem, prüfendem Blick. Er sah Firvi lange an, doch noch länger verweilten seine Augen auf Salia, und Cyneric sah, wie die Brauen des Elben begannen, sich um eine Winzigkeit zusammenzuschieben. Doch dann nickte Faryon schließlich. "Ihr seid weit geritten und habt vor Kurzem große Mühen auf euch genommen. Möget ihr heute Nacht Ruhe finden, unter den Sternen Elbereths, in unserer Mitte."
"Die Herrin..." setzte Milva an, doch Faryon hob die Hand.
"Sie wird euch empfangen, sobald ihr euch mit einer Mahlzeit gestärkt habt."

Die besagte Mahlzeit bestand aus hellem Brot und klarem Wasser. Geschmacklich erinnerte es Cyneric an die Rationen, die er während der Belagerung von Dol Guldur hin und wieder mit einigen der elbischen Soldaten dort geteilt hatte. Faryon und seine Begleiter hatten Milva und die anderen zu einer Siedlung geführt, die auf einer Lichtung lag, die von einem Bach in zwei Hälften geteilt wurde. Lampen erhellten die Sitzgelegenheiten im Zentrum der Lichtung. Der Himmel über ihnen war offen und wies einen fahlen roten Schein am Rand auf, denn die Sonne war mittlerweile dabei, unterzugehen. Cyneric fiel auf, dass die Lampen ihnen gerade genügend Licht spendeten, um die Gesichter rings um sich zu sehen, ohne dabei jedoch mit ihrem Licht die einen nach dem anderen aufblinkenden Sterne am Firmament zu überstrahlen.
Cyneric, der bereits eine Elbenstadt betreten hatte, ließ sich das Brot in Ruhe schmecken und verglich es nachdenklich mit dem Festmahl, das Zarifa und er in Königin Faerwens Reich erhalten hatten. Doch für Salia und Firvi schien es das erste Mal zu sein, dass sie ein Reich der Elben von innen sehen konnten. Beide Frauen zeigten ihr Staunen auf eigene Art; Salia strahlte noch immer eine Spur Misstrauen und Vorsicht aus, konnte aber ihre Verblüfftheit nicht vollständig verbergen. Firvi hingegen wirkte beinahe, als sei sie ein gutes Jahrzent jünger und konnte sich kaum auf das Essen konzentrieren; die Blicke bald hierhin, bald dorthin schweifend. Immer wieder betrachtete sie vor allem die Gesichter und das Gebahren der Elben, die hier allgegenwärtig waren.
"Vorsicht, dass dir nicht der Mund offen stehen bleibt," scherzte Cyneric und gab Firvi einen sanften Schubs gegen die Schulter.
Firvi sah ihn an, beinahe erschrocken. Dann hob sich ihre linke Augenbraue und für einen Moment kehrte die für Ryltha so typische freche, schlagfertige Art in ihre Miene und Stimme zurück. "Das würde dir gefallen, nicht wahr, Cyneric?"
"Vielleicht würde es das," erwiderte er und lachte leise.

Als sich ihre Mahlzeit dem Ende entgegen neigte, verstummten mit einem Mal die Stimmen ringsumher. Cyneric blickte auf und war mit einem Mal alarmiert, ohne dass er wusste, weshalb. Die Elben hatten innegehalten und blickten zum jenseitigen Rand der Lichtung. Alle senkten den Kopf und blieben stehen, während sich entlang des Baches eine Gasse bildete. Dort entlang, sich Milvas Gruppe nähernd schritt nun eine Frau, bei der es sich wohl um die Herrin des Sternenwaldes handeln musste, von der Faryon und Milva zuvor gesprochen hatten. Ihr langes, silbern glänzendes Haar war von dunklen Blättern geziert, die darin eingeflochten waren. Ihr Gewand war lang und fließend, von so dunklem Blau wie die klaren Wasser des Baches, der die Lichtung durchquerte. Als sie näher kam, stellte Cyneric fest, dass ihre Augen dieselbe Farbe wie ihr Haar hatten.
Falls Cyneric ein feierliches Willkommen erwartet hatte, so wurde er enttäuscht. Die Silberhaarige traf sich mit Milva, die ihr einige Schritte entgegegengekommen war und blieb stehen. Cyneric sah, dass der Mensch, der ihm am Waldrand aufgefallen war, ganz in der Nähe stand und Milva eindringlich betrachtete. Das brachte Cyneric dazu, sich rasch an Milvas Seite zu stellen und sich so zu positionieren, dass er zwischen dem Unbekannten und der Dorwinierin stand.
"Es ist gut, dich bei guter Gesundheit wiederzusehen, Maranya," sagte die Herrin der Quelle. "Wer nun sind deine Begleiter? Sprich rasch, denn es gibt Dringliches zwischen uns zu besprechen."
Milva zögerte einen Moment, und sah Cyneric an. Er wusste nicht, was sie von ihm hören wollte, doch schließlich sagte er: "Du hast die Dame gehört, Milva. Stell' uns vor."
"Gut, also... dies ist Cyneric aus Rohan, und, dies..." begann Milva, zuerst auf Cyneric und anschließend auf den Rest ihrer Gruppe deutend. "Hier ist Salia aus Thalland und ...und Firvi aus...?"
"Khand," sagte Firvi im gedämpften Tonfall.
"Vertraust du ihnen?" verlangte die Herrin des Waldes von Milva zu wissen.
Milva sah erneut in Cynerics Augen. "Das tue ich," bestätigte sie.
"Dann werde auch ich ihnen vertrauen." Die silberhaarige Elbin nickte und sah Cyneric, Firvi und Salia nacheinander um. Doch ihre Miene blieb ernst. "Ihr kommt zu schicksalhafter Zeit nach Taur-en-Elenath, Reisende. Unwissentlich habt ihr einer Bedrohung den Weg zu unserer Heimat geebnet."
Für einen Augenblick fiel eine bedeutungsschwangere Stille über die Lichtung, bis Milva schließlich das Wort nahm. "Wovon sprecht Ihr?" Schatten senkten sich über den Wald herab, als die letzten rötlichen Sonnenstrahlen von der Nacht verschluckt wurden. Selbst die Sterne schienen zu verblassen.

"Ihr seid verfolgt worden, Kind," antwortete die Herrin der Quelle.
« Letzte Änderung: 15. Sep 2022, 13:52 von Fine »
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Der Überfall am Waldrand
« Antwort #11 am: 2. Feb 2023, 10:02 »
Cyneric und Milva wechselten einen erschrockenen Blick. Wer hatte ihnen folgen können? Seit sie die Zwillingsstädte verlassen hatten, war ihnen kaum eine Menschenseele begegnet, und hatte nicht Meister Castav ihnen versichert, dass die königlichen Streitkräfte die Horden Mordors an den Flussübergängen zwischen Dorwinion und Balanjar aufhalten würden?

Es herrschte eine andächtige Stille, als ob alle sich bewusst wären, dass sie in einer Art heiligen Umgebung waren. Die Herrin der Quelle betrachtete sie mit ruhiger, aber ernster Miene. Schließlich war es Salia, die das Schweigen brach und als Erste Worte fand.
"Sind es die Schatten?" fragte sie, ihre Stimme von unterdrückter Furcht überlagert. "Wir waren sicher, sie endgültig vernichtet zu haben, als Merîl starb. Aber... dieser Ort... ich habe das Gefühl, dass er... jenem verfluchten Brunnen aus den Tiefen Gortharias ähnelt..."
Die Herrin der Quelle hob die linke Hand. "Ihr habt die Schatten zerschlagen. Jenes Übel wurde getilgt," sprach die Herrin. "Was euch verfolgt sind keine Orks oder andere Kreaturen aus dem Land der Schatten. Es sind Menschen, eben jene wie sie einst Maranya nach dem Leben trachteten, die von Gier getrieben sind. Schon lange erzählen sie sich davon, dass unser Wald große und wertvolle Geheimnisse verbirgt, doch bislang waren wir stets in der Lage, sämtliche Vorstöße abzuwehren und in die Irre zu führen. Doch nun haben sie Spuren, denen sie folgen können. Es wird nicht lange dauern, bis die Plünderer die Grenzen Taur-en-Elenaths erreichen werden."
Cyneric und Milva schauten einander erneut entsetzt an. Die Vorstellung, dass Plünderer ihnen auf den Fersen waren, war beängstigend genug, aber die Tatsache, dass diese Menschen bereit waren, einen bewohnten Wald wie Taur-en-Elenath zu verletzen - die Heimat vieler Elben - war unerträglich. Salia schien genauso betroffen zu sein, ihre Augen weiteten sich bei der Nachricht und ihre Hände ballten sich zu Fäusten. Firvi hingegen blieb still, doch ihr Blick verfinsterte sich.
"Was können wir tun, um Euch zu helfen?" fragte Cyneric entschlossen. "Wir sind bereit, jede Herausforderung anzunehmen, um diesen Ort und seine Bewohner zu schützen." Aus ihm sprach das Schuldgefühl, verantwortlich für die Bedrohung zu sein, indem sie die Plünderer an die Grenzen des Waldes geführt hatten, wenn auch unabsichtlich. Milva stimmte ihm sofort zu.
Die Herrin der Quelle nickte anerkennend. "Ich danke euch, Reisende. Eure Hilfe wird gebraucht. Wir müssen uns beeilen, um Vorbereitungen zu treffen, bevor die Plünderer hier eintreffen."
"Was können wir tun?" fragte Firvi und trat einen Schritt vor. "Wir haben uns auf den Weg hierher gemacht, weil Milva Euch von ihren Reisen berichten wollte. Aber wenn wir Eure Heimat in Gefahr bringen, müssen wir gehen." Mit dieser Aussage überraschte sie Cyneric. Es waren Worte, die Ryltha niemals in den Mund genommen hätte. Er fragte sich, wie tiefgreifend die Veränderung, die Firvi durchlebt hatte, noch gehen würde. Sie war in vielerlei Hinsicht ein vollkommen anderer Mensch geworden, seitdem sie den Einfluss der Schattenläufer und das Übel von Merîl abgeschüttelt hatte.
Die Herrin der Quelle schüttelte ihren Kopf. "Es ist zu spät. Ihr seid bereits hier und die Bedrohung ist eingetreten. Würden wir euch nun fortschicken, fehlten uns vier achtbare Krieger, ohne deren Hilfe uns die Verteidigung schwerer fallen wird. Bleibt, und kämpft an unserer Seite."

Diesem Vorschlag stimmten sie zu. Cyneric war es allzu recht; seinem Gewissen würde es besser gehen, wenn er aktiv dazu beitragen könnte, die Gefahr, die teilweise durch seine Schuld für Taur-en-Elenath entstanden war, zu bekämpfen. Salia unterbreitete den Verteidigern des Waldes einen Vorschlag, der gut bei den Elben ankam.
"Sicherlich werden sie nicht damit rechnen, schon außerhalb des Waldes auf Widerstand zu stoßen," sagte sie, nachdem sie der Herrin der Quelle zu einer Art Kriegsrat gefolgt waren. Faryon, der Elb der ihnen den Zugang zum Sternenwald erlaubt hatte, nahm dort ebenfalls teil, genau wie der geheimnisvolle Mensch mit dem Bogen, der Cyneric bereits zuvor aufgefallen war.
"Die Bäume bieten uns Deckung, doch damit werden sie rechnen," stimmte Faryon Salias Idee zu.
"So ist es. Ich vermute, dass es sich hier um eine Horde von Deserteuren von den Armeen am Erebor handelt," fuhr Salia fort. "Die Soldaten Rhûns sind für gewöhnlich sehr diszipliniert, aber bei Deserteuren wird das nicht mehr vollständig der Fall sein. Wenn wir sie hart treffen - dorthin, wo es wehtut - dann werden sie bald die Beine in die Hand nehmen." Sie zeigte in die ungefähre Richtung, in der sie den Waldrand erwartete. "Wenn sie uns gefolgt sind, dann wissen wir, woher sie kommen werden. Dort gibt es außerhalb des Waldes vielerorts hohes Schilf, und auch das Gras auf den Ebenen steht so hoch, dass man sich darin verbergen kann. Wir können ihnen dort auflauern und sie von zwei Seiten in die Zange nehmen."

Eine knappe Stunde später kniete Cyneric im hohen Gras, Schwert und Schild griffbereit auf dem Boden neben ihm. Milva hatte seine Hand ergriffen; ihr Bogen hing noch auf ihrem Rücken. In der Ferne waren vereinzelte Lichtpunkte aufgetaucht. Die Plünderer, die den Sternenwald überfallen wollten, waren nun nicht mehr fern. Bald würde sich zeigen, ob der Überfall, den die Elben des Sternenwaldes vorbereitet hatten, Erfolg darin haben würde, ihre Feinde zurückzuschlagen.
Firvi und Salia waren in dem dichten, hohen Gras nicht zu sehen, doch Cyneric wusste, dass die beiden Frauen ganz in der Nähe waren, die Waffen ebenfalls in Bereitschaft haltend. Die Herrin der Quelle hatte ringsherum beinahe alle kampffähigen Elben von Taur-en-Elenath positioniert, die nun in zwei großen Gruppen zu beiden Seiten des dünnen Pfades lauerten, auf dem sich die Spur befand, der die Plünderer in den Wald folgen würden.
Cyneric versuchte, regelmäßig zu atmen und seinen Herzschlag zu beruhigen. Er hatte schon viele Kämpfe ausgefochten, aber die Aufregung kurz vor einem Gefecht war noch immer dieselbe. Diesmal jedoch kämpfte er nicht nur für sich selbst, sondern auch für die Menschen, die ihm wichtig waren, und für den Wald, der durch Cynerics Gruppe in Gefahr geraten war. Seine Gedanken wanderten zu Milva und er dankte innerlich dafür, dass sie an seiner Seite war.

Als die Plünderer näher kamen, hörte Cyneric das Geräusch von Schritten und Stimmen, die immer lauter wurden. Es klang nach einer größeren Gruppe von Menschen, mindestens vier Dutzend, vielleicht mehr. Er spannte sich an und hob sein Schwert auf. Milva tat es ihm gleich und legte einen Pfeil auf die Sehne ihres Bogens.
Dann geschah alles sehr schnell. Die Plünderer traten auf den Pfad und gerieten direkt in die Falle, die die Elben ihnen gestellt hatten. Es ertönte ein Schrei und das Klirren von Waffen, als die beiden Gruppen der Elben aus dem Versteck stürzten und den Überfall begannen.
Cyneric sprang in die vorderste Reihe und schlug mit seinem Schwert auf die Angreifer ein. Milva hielt sich hinter ihm, ihr Bogen sang und Pfeile surrten durch die Luft. Salia und Firvi befanden sich an seiner rechten Seite und gemeinsam kämpften sie gegen die Plünderer, eine blutige Ernte unter ihnen einfordernd.
Die Ostlinge leisteten heftigen Widerstand, aber die Elben waren in der Überzahl und hatten den Vorteil des Überraschungsmoments. Die Plünderer waren nicht auf den Hinterhalt vorbereitet und wurden bald überwältigt - ohne sich jedoch zu ergeben. Es schien, als würden sie lieber bis zum letzen Mann kämpfen als in die Gefangenschaft der Elben des Sternenwaldes zu geraten. Als der letzte Gegner gefallen war, herrschte einen Moment lang Stille.

Cyneric und die anderen drehten sich um und blickten zur Herrin der Quelle, die zu ihnen kam und ihre Hand hob. "Wir haben gesiegt", sagte sie. "Aber wir müssen vorsichtig sein, denn es kann sein, dass es noch mehr Plünderer gibt, die den Wald bedrohen. Lasst uns zurückkehren und uns um die Verwundeten kümmern."
Cyneric nickte und blickte zu Milva. Sie lächelte und legte ihre Hand auf seine Schulter. Sie wirkte erschöpft, aber erleichtert. Milva war unverletzt geblieben, Cyneric ebenfalls, während Salia und Firvi ein paar kleinere Kratzer davongetragen hatten.
"Sendet Kundschafter aus," wies die Herrin der Quelle ihre Leute an. "Wenn sich dort draußen noch mehr von ihnen herumtreiben, müssen wir sie in die Irre führen, so wie wir es seit vielen Jahrhunderten getan haben. Verwischt die Spuren."
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