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Autor Thema: Dorwinion  (Gelesen 4792 mal)

Fine

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Dorwinion
« am: 8. Jun 2018, 21:23 »
Cyneric, Zarifa und Salia aus Gortharia


Die Überfahrt über das Meer von Rhûn war ohne Zwischenfälle verlaufen und hatte etwas weniger als einen Tag gedauert. Zarifa und Cyneric war es zwischendurch etwas übel geworden, was Salia ungemein belustigt hatte, jedoch ohne weitere Folgen geblieben war. Von etwaigen Verfolgern war nichts zu sehen gewesen, doch Cyneric war dennoch unruhig. Er hatte die Macht der Schattenläufer mit eigenen Augen gesehen und befürchtete das Schlimmste, nun da sich Salia zumindest teilweise von ihren finsteren Gefährtinnen abgewandt hatte.
Zarifa war schweigsam gewesen und hatte den Bauch des Schiffes während der Überfahrt kaum verlassen. Etwas schien sie zu beschäftigen, doch sie schien noch nicht bereit zu sein, mit Cyneric oder Salia darüber zu sprechen. Cyneric wusste nicht recht, wie er damit umgehen sollte. Seine eigene Tochter war deutlich mitteilsamer gewesen und hatte sich oft und lautstark ihre Probleme von der Seele geredet. Zarifa hingegen war sehr verschlossen und schien ihm noch immer nicht vollständig zu vertrauen.

Am Mittag des Tages nach ihrer Abreise aus Gortharia lief das Ostling-Schiff in den Hafen von Holmgard ein. Zur Linken der Mündung des Celduins in das Binnenmeer gelegen war die Stadt nur die Hälfte des einstigen Machtsitzes der Könige von Dorwinion, denn ihr gegenüber, auf dem Ostufer des Flusses lag Könugard, die zweite der als Zwillingsstädte bezeichneten Orte, die nun das Herz des rhûnischen Fürstentums Dorwinion bildeten. In Könugard stand der einstige Palast Bladorthins, des letzten freien Herrschers von Dorwinion, der nun Sitz des von König Goran eingesetzten Fürsten Yalcin war. Holmgard hingegen war mit seinem großen Hafen auch in diesen Tagen ein wichtiges Handelszentrum. Menschen aus den unterschiedlichsten Ländern kamen hier zusammen, sowohl aus dem Norden, dem Osten und dem Westen. Cyneric, Salia und Zarifa würden hier kaum auffallen, wie sie hofften.

Sie gingen von Bord und kamen auf die sehr belebten Straßen Holmgards. Cyneric hatte vor, mit seinem angesparten Sold zwei Pferde zu kaufen oder zu leihen. Sein eigenes Ross, Rynescéad, hatte er glücklicherweise an Bord des Handelsschiffs mitbringen können. Nun trottete der Hengst schweigsam hinter der Reisegruppe her und schien keine Einwände zu seiner Situation zu haben.
„Salia, wo kann man hier Pferde kaufen?“ fragte Cyneric die Schattenläuferin, die mit federnden Schritten neben ihm her ging.
„Vermutlich am Nordtor,“ antwortete sie kurz angebunden. Die gute Laune, die Salia während der Überfahrt an den Tag gelegt hatte, schien seit ihrer Ankunft in Holmgard einen Dämpfer erhalten zu haben. Sie blickte Cyneric einen langen Moment an, dann sagte sie: „Das hier könnte Thal sein.“
„Wie meinst du das?“
„Die Menschen von Thal und die Bewohner Dorwinions sind verwandt. Aber hier in Dorwinion herrschen die Ostlinge schon seit einigen Jahrhunderten. Wenn ich mich hier umsehe, sehe ich keine Menschen, die nach Freiheit streben. Sie haben die Hoffnung, das Joch Rhûns zu zerbrechen aufgegeben und sich an die Ketten gewöhnt. Wer sich gegen das Gesetz stellt, wird versklavt und sieht seine Familie nie wieder. Ich fürchte, in Thal wird es bald genauso laufen.“
Cyneric erinnerte sich daran, dass Salia aus Thal stammte und er nickte verständnisvoll. „Wir wissen nicht, wie die momentane Lage in Thal ist. Der Brunnen hat mir gezeigt, dass Saruman am Erebor angekommen ist, und soweit ich weiß, hat der König von Thal ein Bündnis mit dem Zauberer geschlossen. Vielleicht ist Thal ja schon wieder von den Ostlingen befreit worden.“
„Nach allem was ich über diesen Saruman gehört habe, bin ich mir nicht sicher, ob mein Volk unter seiner Herrschaft besser dran wäre,“ murmelte Salia, doch immerhin hellte sich ihre Miene ein klein wenig auf. Cyneric beschloss, dies als Erfolg zu verbuchen.

„Müssen wir wirklich reiten?“ fragte Zarifa, die sich mit dem Rücken gegen die Innenseite der steinernen Mauer gelehnt hatte, die Holmgard umschloss. Sie hatten die Stallungen am Nordtor erreicht und Cyneric war es gelungen, ein ausdauerndes Pferd für einen vernünftigen Preis zu erstehen. Für zwei hatte sein Geld jedoch nicht gereicht; Zarifa und Salia würden sich also einen Sattel teilen müssen. Zum Glück waren beide Mädchen nicht sonderlich schwer und würden das kräftige nordische Pferd nicht verlangsamen.
„Es fahren keine Schiffe den Fluss hinauf, wenn der Hafenmeister uns keine Lügen erzählt hat,“ hielt Salia dagegen. „Zu Pferde zu reisen ist also die schnellste Variante, die uns offen steht.“
„Und je schneller wir nach Thal kommen, desto sicherer werden wir sein,“ ergänzte Cyneric.
Zarifa schnaubte. Sie hatte ihren ersten Ritt von Gorak nach Gortharia offensichtlich noch nicht vergessen. „Ich mag diese Tiere einfach nicht. Sie sind zu groß und ungestüm.“
„Halt dich einfach an Salia fest und überlass ihr den Rest,“ meinte Cyneric lächelnd. „Solange du nicht herunterfällst, wirst du keinerlei Probleme haben.“
„Sehr witzig, Cyneric,“ ärgerte sich Zarifa, doch sie gab ihre Einwände auf - jedoch nicht, ohne dem neu gekauften Pferd einen sehr misstrauischen Blick zuzuwerfen. Sie ging auf das Tier zu und blieb direkt vor seinem Kopf stehen. „Hör mir mal zu, Gaul. Du magst mich nicht, und ich mag dich nicht. Aber wir werden jetzt für ein Weilchen aufeinander angewiesen sein. Also sei brav und lass mich auf dir reiten. Dann werde ich ebenfalls brav sein und dir in Thal einen Apfel oder so stehlen.“
Das Pferd - eine schwarzbraun gescheckte Stute - schlug mit dem Schweif und sagte nichts. Zarifa schien das als Zustimmung aufzufassen und nickte zufrieden.
„Nun, da diese Angelegenheit geklärt ist, sollten wir wohl aufbrechen,“ sagte Cyneric. „Seid ihr bereit, Mädchen?“
„Ich bin startklar,“ antwortete Salia und schwang sich in den Sattel. „Was ist mit dir, Zarifa?“
Doch Zarifa antwortete nicht. Sie stand noch immer an Ort und Stelle und starrte wie vom Blitz getroffen die Straße hinab, wo der Weg zurück zum Hafen führte. Dort war eine Gestalt aufgetaucht, die sich ihnen langsam näherte.
Cyneric biss die Zähne zusammen, um nicht zu fluchen. Er hatte die Gestalt ebenfalls erkannt. Langsam tasteten seine Finger nach dem Griff seines Schwertes.
„Was ist los?“ rief Salia. „Was habt ihr denn... oh, das ist doch wohl nicht...“
Die Gestalt war nun beinahe herangekommen. Sie hob den Blick und blieb stehen, nur wenige Meter von ihnen entfernt.
„Z-Zarifa?“
Zarifas Stimme war nicht mehr als ein hasserfülltes Wispern. Sie zog einen Dolch hervor. „Alvar...“
Ehe Cyneric reagieren konnte, war sie schon losgestürzt.
« Letzte Änderung: 19. Jun 2018, 16:28 von Fine »
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Rohirrim

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Re: Dorwinion
« Antwort #1 am: 17. Jul 2018, 01:56 »
Zarifa fühlte sich, als hätte ihr jemand mit einem Backstein ins Gesicht geschlagen. Sie konnte nicht mehr klar denken. Ihre Gefühle wechselten so schnell zwischen Trauer und Wut hin und her, dass ihr beinahe schlecht davon wurde. Wie konnte das sein? Sie war zusammen mit Cyneric aus Gorak und Gortharia geflohen um aus der Umgebung herauszukommen, die sie so sehr an ihr Leid und ihren Schmerz erinnerte. Sie hatte all das vergessen wollen. Die Finger, die sie berührten, obwohl sie es nicht wollte. Die Hände, die langsam ihr Kleid hochzogen. Die gierigen Blicke. Die körperlichen und seelischen Schmerzen. Und jetzt stand er vor ihr. Der Mann, der all das verkörperte, was in den letzten Monaten schief gelaufen war. Der Mann, den sie kennengelernt hatte als eine einfache Wache des tyrannischen Fürsten, die Befehle ausführte und nebenbei versuchte seine kranken Gelüste zu befriedigen. Der Mann, der ihr dann überraschenderweise eine helfende Hand gereicht hatte, um sie aus den Fängen eben jenes Fürsten zu befreien. Und der Mann, der sie schließlich als „Bezahlung“ für seine Dienste missbraucht und fast in den Freitod getrieben hätte. Wie war er hier hergekommen? Verfolgte er sie etwa? Beobachtete er sie heimlich? Plante er bereits seine nächste „Bezahlung“ und wartete nur auf eine Gelegenheit, in der Zarifa sich von Cyneric und Salia entfernte? Und warum tauchte er ausgerechnet jetzt auf? Ausgerechnet jetzt, wo sie sich doch in den letzten Tagen in der Gesellschaft von Cyneric und Salia einigermaßen wohlgefühlt hatte?
Vollkommen unbewusst hatte Zarifa bereits ihr Messer gezogen und war nun selber ein wenig überrascht, es in der Hand zu halten. Sie hatte dieses Messer vom Haus der Stahlblüten bekommen, um den Einbruch im Hause Kontio durchführen zu können. Und jetzt stand sie mit eben diesem Messer Alvar gegenüber. So hatte ihr Aufenthalt in diesem schrecklichen Haus also doch noch sein Gutes gehabt.
Noch immer viel es Zarifa schwer, einen klaren Gedanken zu fassen. Doch während die Sekunden verstrichen, drehten sich ihre Gedanken immer mehr um ein festes Zentrum: Sie würde Alvar töten. Hier und jetzt. So wie sie bereits Kasimir und Radomir getötet hatte. Sie würde das lose Ende beseitigen und damit hoffentlich dem Schmerz ein Ende bereiten können. Zarifa erinnerte sich, wie glücklich sie gemeinsam mit Tekin nach dem Tod von Kasimir gewesen war. Es erschien ihr wie in einem anderen Leben. Jetzt lief ihr beim Gedanken an Tekin ein eiskalter Schauer über den Rücken, während das Bild von ihrem letzten „Kuss“ an ihrem geistigen Auge vorbeizog. „Schluss damit!“, sagte Zarifa zu sich selbst. Sie ging einen Schritt auf Alvar zu und als ihr der Geruch seiner Fahne in die Nase stieg, musste sie sich fast übergeben. Sie konnte sich jedoch beherrschen. Auf einmal fiel der jungen Frau auf, wie heftig sie schwitzte. Instinktiv griff sie den Dolch in ihrer rechten Hand noch fester, um zu verhindern, dass er ihr aus der Hand glitt.
Alvar war unbewaffnet und schien wie vom Blitz getroffen. Er rührte sich nicht von der Stelle. Die perfekte Gelegenheit...

„HALT!“
Zarifa erschrak. Sie hatte vollkommen vergessen, dass Cyneric und Salia auch noch hier waren. Letztere hatte soeben laut geschrien und sie am Arm gepackt, während Cyneric unentschlossen an sein Pferd gelehnt dastand.
„WAS IST?“, schrie Zarifa Salia etwas lauter an, als sie eigentlich vorgehabt hatte. Doch im Moment konnte sie einfach nicht anders. Salia senkte ihre Stimme und versuchte offensichtlich Zarifa zu beruhigen. Dabei hielt sie ihren rechten Arm jedoch weiterhin kräftig fest.
„Du kannst diesen Mann doch nicht einfach am helllichten Tag und auf offener Straße ermorden. Wir haben es eilig und können es nicht gebrauchen, dass man uns wegen Mordes nachstellt.“
Vielleicht erkannte ein kleiner Teil von Zarifa die Vernunft in diesen Worten. Wenn ja, dann versteckte dieser Teil sich jedoch äußerst gut. Zarifa war außer sich vor Zorn. Verstand Salia denn nicht? Sie hatte in den letzten Tagen ein recht gutes Verhältnis zu der jungen Frau aus Thal aufgebaut. Doch jetzt stand sie hier und wollte verhindern, dass Alvar seine gerechte Strafe bekam und Zarifas seelisches Leid ein wenig gelindert wurde. Was wusste sie schon? Sie hatte nicht durchgemacht, was Zarifa durchgemacht hatte. Sie interessierte sich nur dafür, möglichst schnell nach Thal zu gelangen. Wie Zarifa sich dabei fühlte, war ihr völlig egal. Wen interessierte es denn, ob ein paar Wachen ihnen nachstellten? Das einzige was hier zählte war die Gerechtigkeit.
Zarifa versuchte verzweifelt sich aus Salias Griff zu befreien, doch die ehemalige Schattenläuferin war wesentlich stärker und geschickter im Kampf als sie. Völlig verzweifelt und mit einem von Tränen überströmten Gesicht blickte Zarifa zu Cyneric, der nach wie vor unentschlossen an sein Pferd gelehnt dastand. Zarifa erinnerte sich, wie er ihr in Gorak erklärt hatte, er würde Alvar töten, sobald er ihn sah. Er hatte es versprochen. Und er schien es in dem Moment auch so zu meinen. Doch jetzt stand er hier und konnte sich nicht dazu durchringen einzugreifen. Er schien sich ebenfalls an sein Versprechen zu erinnern. Doch andererseits, wollte er vermutlich die Spur seiner Tochter nicht verlieren. Zarifa konnte förmlich sehen, wie Cyneric diesen Kampf mit sich selber austrug.

Zarifa fing jetzt richtig an zu weinen. „Cyneric... bitte...“, schluchzte sie und blickte ihn flehend an. Und gerade schien es, als würde er endlich einschreiten, da packte plötzlich eine andere Hand Zarifas Arm und befreite diesen von Salias Griff. Zarifa blickte sich um, was jedoch eigentlich unnötig war, da sie anhand der Alkoholfahne schon genau wusste, wer es war.
„Ich denke, ich habe eine Lösung für euer Dilemma.“ Mit diesen Worten entriss Alvar Zarifa den Dolch. Salia und Cyneric waren nun augenblicklich in Alarmbereitschaft und versuchten Zarifa zu schützen. Sie selbst brauchte jedoch einige Sekunden, um überhaupt zu realisieren, was gerade passiert war. Ihr Kopf war zu voll mit Gedanken und ihr Herz zu voll von Schmerz, um schnell reagieren zu können. Wie in Trance hörte sie nur noch die Worte. „Es tut mir Leid.“ Und noch ehe Zarifa einen weiteren klaren Gedanken fassen konnte, lag Alvar in einer Lache seines eigenen Blutes vor ihr. Mit ihrem Dolch im Hals.
« Letzte Änderung: 12. Feb 2019, 17:19 von Rohirrim »
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Char Zarifa in Rhûn

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Die Frage nach der Menschlichkeit
« Antwort #2 am: 23. Jul 2018, 23:34 »
Es war Salia, die als Erste reagierte. "Scheiße," stieß sie hervor, dann packte sie die wie versteinert herumstehende Zarifa und zerrte sie eilig von der Leiche Alvars fort. Fort, in Richtung der Pferde. Wo Cyneric stand und kaum fassen konnte, was geschehen war. Doch dann schalteten sich seine Instinkte ein und er hievte Zarifa hastig auf Rynescéads Rücken, den Kopf dabei gesenkt haltend. Alvars Selbstmord war so rasch und beinahe lautlos geschehen, dass selbst auf den belebten Straßen Holmgards nur wenige Menschen mitbekommen hatten, was geschehen war. Nur langsam begann sich eine Menschentraube aus Neugierigen und Schaulustigen um die Leiche zu bilden. Ein rascher Blick zeigte Cyneric, dass noch keine Wachen auf den Vorfall aufmerksam geworden waren. Salia war inzwischen ebenfalls beritten und ließ ihr Pferd im raschen Schritt gehen - immer die Straße zum Nordtor der Stadt entlang. Cyneric schwang sich hinter Zarifa in den Sattel. Kaum war er oben, setzte sich der gut trainierte Kriegshengst schon in Bewegung. Er schien genau zu wissen, wohin er gehen musste. Sie schlugen ein Tempo an, das zwar flott war, aber nicht allzu auffällig wirkte. Gerade als sie um die letzte Straßenecke vor dem Tor bogen, wurden hinter ihnen Schreie laut.

Cyneric sah zwei Möglichkeiten. Entweder setzten sie zum Galopp an und gaben sich damit als Verdächtige zu erkennen, oder sie gingen das Risiko ein, eingeholt und verhört zu werden, indem sie ihr unauffälliges Tempo beibehielten. Ein rascher Blick zu Salia hinüber, die nun an Cynerics linker Flanke ritt ließ ihn Zweiteres wählen, denn Salia machte mit der linken Hand eine beschwichtigende Geste. Also versuchte Cyneric ruhig zu bleiben und behielt das Tempo bei.
"Warum nur hat er das getan," wisperte Zarifa , deren Kopf gegen seinen ledernen Brustpanzer lehnte. Das Mädchen schien kaum wahrzunehmen, was um sie herum geschah. Immer wieder wiederholte sie Alvars Namen und redete davon, dass sie diejenige hätte sein sollen, die ihm das Leben nahm.
Cyneric legte ihr behutsam die linke Hand auf den Mund und begann, beruhigend auf Zarifa einzureden. "Wir können nicht mehr ändern, was geschehen ist. Aber was wir tun können, ist uns zu entscheiden wie wir damit umgehen. Und diese Entscheidung werden wir sorgfälig fällen, Zarifa. Aber jetzt ist nicht die Zeit dafür. Jetzt müssen wir zusehen, unbeschadet aus dieser Stadt herauszukommen."
Sie kamen ans Tor und verlangsamten ihren Ritt, als die Torwachen sie einzeln hindurchwinkten. Cyneric atmete auf, als niemand sie zum Absitzen zwang. Zu dritt durchqueren sie das Nordtor Holmgards. Vor ihnen lag eine ausgetretene Straße, die nach Nordwesten führte.

Sie ritten im raschen Tempo weiter, bis die Sonne unterging. Dann schlugen sie etwas abseits der Straße ein Nachtlager auf. Mehrere Patrouillien der Soldaten Rhûns waren ihnen unterwegs begegnet, doch nur eine davon hatte ihnen auch nur ihre Aufmerksamkeit geschenkt. Salia hatte dem Anführer der Soldaten etwas gezeigt, das Cyneric nicht richtig hatte sehen können. Nur für den Bruchteil einer Sekunde war sein Blick auf etwas Rundes, und wie Gold schimmerndes in Salias halb geschlossener Hand gefallen. Doch dann hatte Salia den Arm wieder zurückgezogen und man hatte sie ohne weitere Fragen passieren lassen.
Zarifa saß mit dem Rücken an einen großen Felsen gelehnt im weichen Gras, das nahezu überall auf den weiten Steppen Dorwinions wuchs. Die Südländerin starrte teilnahmslos ins Leere und ihre Finger schienen nach etwas Unsichtbarem greifen zu wollen. Nachdem Cyneric die Pferde versorgt hatte, setzte er sich neben das Mädchen und begann, ihr vorsichtig über den Kopf zu streichen. Bei der ersten Berührung zuckte Zarifa merklich zusammen, doch dann ließ sie es geschehen und wehrte sich nicht länger dagegen.
Eine lange Weile blieben sie so nebeneinander sitzen und schwiegen, während Salia in der Nähe nach etwas Essbarem suchte. Sie hatten in Holmgard ihre Vorräte aufgestockt, dennoch konnte es nicht schaden, diese um etwas Frisches aus der Natur zu ergänzen. Cyneric war das ganz recht. Er war der Ansicht, dass Salias Anwesenheit im Augenblick nur stören würde.
"Alvar hat dir schlimme Dinge angetan, Zarifa," sagte er behutsam. "Aber ich glaube, es war gut, dass nicht du es gewesen bist, die ihn getötet hat."
Zarifas Blick ging zum Boden, als sie leise antwortete. "Er hatte den Tod verdient. Und er wäre nicht der Erste gewesen, den ich getötet habe. Davor war es Radomir. Und davor sein Sklaventreiber, Kazimir."
Cyneric seufzte leise. Fern am Horizont ging langsam die Sonne unter. "Hast du schon einmal einen Ork gesehen, Zarifa?" fragte er.
Das Mädchen schüttelte langsam den Kopf. "Ich glaube, als man mich nach Rhûn brachte, habe ich unterwegs mal einen gehört. Aber gesehen habe ich noch keinen. Und ich glaube, das möchte ich auch nicht."
"Orks sind Kreaturen, die keine Gnade kennen. Ich habe schon so einige von ihnen getötet. Wenn ich das nicht getan hätte, hätten sie im Gegenzug nicht eine einzige Sekunde gezögert, mich umzubringen."
"Worauf willst du hinaus?" fragte Zarifa misstrauisch.
"Ich will damit sagen, dass es niemals leicht ist, ein Leben zu nehmen. Radomir, Alvar, Kazimir... sie mochten den Tod verdient haben. Aber sie waren immer noch Menschen. Sie sind nicht wie Orks, die nur für den Krieg und den Hass leben. Du solltest nicht so leichtfertig darüber urteilen, wer den Tod verdient hat, und wer nicht."
Zarifa wandte ihm den Blick zu, mit vor unterdrückter Wut funkelden Augen. Ihre dunklen Pupillen glühten wie zwei Kohlen in ihrem gebräunten Gesicht. "Du weißt, was er mir angetan hat. Ich kann diese Dinge niemals vergessen. Und sie niemals verzeihen."
"Das verstehe ich, Zarifa. Es ist schrecklich, was dir passiert ist. Und ich verspreche dir, dass du jetzt in Sicherheit bist. Ich bitte dich nur, dieses zu bedenken: Was uns von Orks und anderen Geschöpfen des Bösen unterscheidet, ist unsere Menschlichkeit. Wir Menschen haben die Wahl. Wir können sowohl gute Dinge tun, als auch böse. Orks haben diese Wahl nicht - sie dienen nur ihrer zerstörerischen Natur, oder dem Dunklen Herrscher, der sie in seinen Dienst zwingt."
"Aber wenn sich ein Mensch aus freien Stücken entscheidet, etwas Böses zu tun, ist es dann nicht schlimmer als bei einem Ork, der keine Wahl hat?"
"Das ist richtig, und dennoch ist es viel schwerer, einem Menschen das Leben zu nehmen, denn damit nimmst du ihm auch die Gelegenheit, seine Taten zu bereuen und sie mit Gutem auszugleichen."
"Als ob Radomir oder Kazimir jemals zu guten Menschen geworden wären." Zarifa spuckte aus.
"Das weißt du nicht, Zarifa. Es gibt viele Dinge, die einen Menschen verändern können. Ich weiß nicht, ob du in deinem kurzen Leben schon viele glückliche Momente hattest - aber ich hoffe es. Bitte lass nicht zu, dass Rachsucht und Verbitterung dich zu jemandem machen, der allzu schnell mit dem Todesurteil bei der Hand ist."
"Du verstehst das nicht," wehrte Zarifa ab. "Dir sind... diese Dinge nicht widerfahren."
"Ich habe meine Familie verloren, Zarifa. Und alle meine Freunde, bis auf einen. Ich fand die Liebe meines Lebens - die Frau, mit der ich den Rest meines Lebens verbringen wollte - in einer Lache ihres eigenen Blutes und einem orkischen Speer in der Brust auf der Schwelle des Hauses, in dem ich mit ihr meine Kinder großziehen wollte. Und dafür hasse ich die Orks und töte sie, wann immer ich kann."
"Und was, wenn ein Mensch deine Frau getötet hätte?" fragte Zarifa und brachte Cyneric damit aus dem Konzept. "Würdest du ihn nicht dafür töten wollen?"
"Ich... weiß es nicht. Ich würde... ich würde ihn aufspüren, und zur Rede stellen. Und herausfinden, warum er... es getan hat."
"Und dann würdest du ihn umbringen."
"Ich weiß es nicht."
Zarifa gab ein abschätziges Geräusch von sich. "Dann halte mir keine Predigt, Cyneric. Ich hätte Alvar getötet, wenn er mir nicht zuvorgekommen wäre. Für das, was er getan hat."
"Und das bedaure ich, Zarifa. Du bist noch jung, und hast noch dein ganzes Leben vor dir. Ich wünschte, du würdest es nicht mit Zorn und Hass füllen."
"Vielleicht ist es dafür zu spät."
"Vielleicht aber auch nicht."
"Jetzt hör schon damit auf. Für heute habe ich genug davon. Lass uns einfach deine Tochter finden..."

Am folgenden Tag kamen sie rasch voran. Dorwinion war von vielen sanften Hügel geprägt, auf denen Weinbau betrieben wurde, doch die Straße, der sie folgten, schlängelte sich dennoch mehr oder weniger ebenerdig dazwischen hindurch. Erneut begegneten ihnen vereinzelte rhûnische Soldaten, die sie jedoch allesamt passieren ließen. Zarifa war für gewöhnlich schweigsam, machte allerdings hin und wieder eine einsilbige Bemerkung, wenn sie etwas Interessantes entdeckte. Viel gab es nicht zu sehen in der relativ verlassen wirkenden Landschaft, in der nur hin und wieder eine Ansiedlung auftauchte. Zweimal kamen sie durch Dörfer, die direkt an der Straße lagen und konnten so sogar eine Nacht in einem Gasthaus verbringen. Dort hörten sie einige Gerüchter über den Krieg, der im Norden offenbar erneut ausgebrochen war. Eine große Schlacht war am Fuße des Erebor geschlagen worden, wie ihnen einige Soldaten berichteten. Noch hielten die Ostlinge den Berg und die beiden Städte der Seemenschen besetzt, doch niemand konnte sagen, wie lange das noch so bleiben würde.
Und so kamen sie nach drei Tagen an die Grenzen des Fürstentums Dorwinions. Dahinter lagen die von Rhûn besetzten ehemaligen Gebiete des Königreiches Thal, die zum Großteil unbewohnt waren. Sie beschleunigten ihren Ritt und erreichten drei weitere Tage später den Langen See, und die Stadt Esgaroth.


Cyneric, Salia und Zarifa nach Esgaroth
« Letzte Änderung: 2. Aug 2018, 10:39 von Fine »
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Auf der Suche nach Salia
« Antwort #3 am: 1. Feb 2021, 13:13 »
Cyneric und Milva vom Meer von Rhûn


Als sie tropfnass ans südliche Tor von Holmgard gestolpert kamen, staunten die Wachen dort nicht schlecht. "Ihr seht als als hätte euch dieser Sturm von gestern Nacht geradewegs an unsere Ufer gespült," scherzten sie und waren sich dabei nicht bewusst, wie nahe sie der Wahrheit damit kamen. Man ließ sie schließlich ein und sie betraten die belebten Straßen der Stadt. Obwohl es bereits Abend war, waren noch immer sehr viele Menschen unterwegs - und vor allem viele Soldaten. Man sah die charakteristischen bronzefarbenen Schuppenrüstungen der Krieger der Ostlingsarmee, aber auch hier und da ehemalige Stadtwächter von Gortharia, die die unterschiedlichsten Adeligen aus der Hauptstadt Rhûns hierher eskortiert hatten, und auch die dorwinische Garde mit ihrem schlichteren Rüstungen aus Leder und Eisen, die Cyneric an seine Heimat Rohan erinnerten.
"Ganz schön was los," murmelte Milva. "Irgendwie befürchte ich, dass alle Gasthäuser restlos ausgebucht sein werden."
"Oh, du vergisst unseren Auftraggeber," antwortete Cyneric. "Meister Branimir hat doch erwähnt, dass er hier in den Zwillingsstädten ein Anwesen besitzt."
"Dann sind wir aber in der falschen der beiden Städte," hielt Milva dagegen. "Die Reichen haben ihre Häuser alle drüben in Könugard..."
"Wirklich? Und wie weit ist es bis dahin?"
"Wir müssen einmal quer durch die Stadt, entlang des Hafens," sagte Milva, die sich hier offenbar ein wenig auskannte. "In Holmgard leben die Arbeiter, Händler und das einfache Volk, und hier wird vor allem Handel betrieben und Lieferungen über das Binnenmeer, entlang der Straßen und den Celduin hinauf verschifft," erklärte sie und lief voraus. "In Könugard steht die protzige Fürstenresidenz, und dort lebt der Adel. Auch die Garnison ist dort stationiert. Vermutlich ist es dort deshalb mindestens genauso voll wie hier. Was meinst du, wo die ganzen Leute alle herkommen?"
"Na, aus Gortharia," antwortete Cyneric. "Du weißt doch, dass die Stadt evakuiert werden sollte. Und alle die es sich leisten konnten per Schiff zu fliehen, sind wohl bereits hier..."
Wie um seine Worte zu bestätigen kam in diesem Moment die gewaltige Silhouette eines großen rhûnischen Kriegsschiffs in ihr Blickfeld, von dessen Deck eine ganze Kompanie Ostlingssoldaten zur Anlegestelle herübermarschiert kam. Dahinter kam ein einzelnes Paar von Adeligen, deren Gesichter Cyneric flüchtig vertraut vorkamen, wahrscheinlich hatte er sie ein- oder zweimal im Königspalast zuvor gesehen.

Es vergingen noch drei lange Stunden, doch dann saßen sie schließlich trocken und in frischer Kleidung im dorwinischen Anwesen der Familie Castav. Man hatte Milva und Cyneric ein kleines Zimmer im Erdgeschoss gegeben, das wohl üblicherweise für Botschafter oder andere rangniedrige Würdenträger vorgesehen war. Eine junge Frau namens Viara brachte ihnen etwas Verpflegung zum Abendessen, doch ansonsten ließ man die beiden alleine. Endlich hatten sie Zeit, sich über ihre Erlebnisse während der Überfahrt von Gortharia auszutauschen.
"Ich habe mehr und mehr das Gefühl, dass das alles... nur eine Art Traum war," sagte Cyneric kopfschüttelnd.
"War es nicht," erwiderte Milva. "Die Leute vom Carnen erzählen sich Geschichten vom Geist der Wasser, der in den Tiefen des Rhûnenmeeres ruht und dessen Augen und Ohren die Flüsse und Bäche sind, die ins Binnenmeer münden."
"Und du denkst wirklich..."
"Ich weiß nicht, was ich denken soll, Cyneric," antwortete Milva. "Seitdem ich die Herrin der Quelle getroffen habe, sind viele Dinge geschehen, die ich zuvor nicht für möglich gehalten hatte. Denk nur an die Sache mit dem Brunnen der Schattenläufer und die geheimnisvollen Rituale, die sie an ihm durchführen. Oder die Magie, die der Zauberer Alatar gewirkt hat."
"Trotzdem ist es schwer zu glauben, dass... Rúnaeluin eine Art Wassergeist sein soll, und wir in seinen Hallen unter dem Meer gewesen sind. Es wirkt so... unwirklich," sagte er nachdenklich. "Und dann war da diese Kugel..."
"Auch über sie gibt es bei meinem Volk eine Geschichte," sagte Milva. "Menschen aus dem Westen haben sie einst nach Dorwinion gebracht... noch bevor die Vorväter der heutigen Dorwinier dem Untergang des Reiches von Rhovanion entflohen und ihr neues Königreich hier an den Celduinmündungen schufen. Man sagt, der grüne Stern - so heißt die Kugel im Volksmund - hätte nur wenige Jahrzehnte an seinem Platz an der Spitze einer Säule geruht, bis die Diener des Dunklen Herrschers kamen und das Bauwerk umstürzten. Der Stern sei damals in den Tiefen des Binnenmeeres versunken, doch hier und da könnte man ihn noch von dort unten leuchten sehen."
"Gesehen haben wir das Ding zweifellos," murmelte Cyneric. "Wie hat Rúnaeluin es genannt? Sagte er nicht, es gäbe noch mehr von ihnen?"
"Ich weiß es nicht," antwortete Milva. "Ich bin keine Gelehrte. Und eigentlich haben wir gerade ganz andere Sorgen. Schon vergessen weshalb wir hier sind?"
Cyneric winkte ab. "Ich weiß nicht was Meister Branimir nun mit uns vorhat... streng genommen haben wir den Auftrag den er uns gab ausgeführt, denn seine Enkelin und der Rest der Familie sind wohlbehalten hier angekommen. Ist es zu fassen, dass wir die Einzigen waren, die über Bord gespült worden?"
"Kommt mir fast wie Absicht vor," brummte Milva verdrossen.
"Was ich damit sagen will: Branimir hat versprochen, uns bei der Suche nach Salia zu helfen. Aber ehe er nicht hier in Könugard eingetroffen ist, kann er uns keine Hilfe leisten. Er reist mit dem König auf dem Landweg hierher..."
"Dann müssen wir eben selbst aktiv werden," sagte Milva kurzentschlossen und stand auf. "Komm schon. Klappern wir ein paar Tavernen und Schänken ab und hören uns um. Irgendwer muss sie ja gesehen haben..."

Spät nach Mitternacht kehrten sie zum Anwesen der Castavs zurück, ohne einen Schritt weitergekommen zu sein.
"Natürlich hat sie niemand gesehen," meinte Cyneric niedergeschlagen. "Immerhin ist sie ein Schatten..."
"Schlechter Zeitpunkt für schlechte Witze," erwiderte Milva. "Aber ich kann heute nicht noch weiter suchen. Ich bin hundemüde..."
"Geht mir genauso," antwortete Cyneric. "Vielleicht... bringt der morgige Tag neue Antworten.

Das tat er. Kurz vor Sonnenaufgang schreckte Cyneric aus einem wirren Traum hoch. Er hatte sich erneut unter Wasser befunden und war tiefer und tiefer gesunken, ohne jedoch zu ertrinken. Eine auf seltsame Weise tröstliche Musik war ihm dabei in den Ohren geklungen, die jedoch wieder und wieder von einem fern verhallenden Schrei unterbrochen wurde... eine Stimme, die von der Cyneric sich sicher war, dass er sie kannte, aber er kam einfach nicht darauf, um wen es sich handelte, egal wie sehr er sich auch in dem Traum anstrengte.
Etwas polterte heftig gegen die Tür des Gästezimmers, das er sich mit Milva teilte. Als er jedoch aufsprang um nachzusehen, fand er den dunklen Flur auf der anderen Seite der Türe verlassen vor. Mit Vorsicht warf er sich etwas über und packte sein Schwert, das nun wieder an seinem Gürtel hin. Von den Bewohnern oder Wachen des Anwesens war nichts zu sehen.
Hinter Cyneric knarrte eine Diele und er fuhr herum. "Milva!" flüsterte er erschrocken. Auch sie war mehr oder weniger angezogen und hielt ihren Bogen griffbereit. Gemeinsam pirschten sie weiter durch den Gang, der sie auf einen kleinen Innenhof hinaus führte. Und dort erhaschten sie einen flüchtigen Blick auf zwei Schatten: Eine Gestalt lag auf dem gepflasterten Steinboden, die andere beugte sich über sie.
"Wer ist da?" rief Cyneric. Sofort sprang der zweite Schatten auf und lief los, zur gegenüberliegenden Ecke des Innenhofes. Cyneric und Milva rannten ebenfalls los, doch als sie an der liegenden Gestalt vorbeikamen klärte sich über ihnen der verhangene Nachthimmel, und Mondlicht erhellte das blasse Gesicht der Gestalt.
Es war Salia. In ihrer Brust steckte ein langes Messer.
"Verdammt!" fluchte Cyneric. "Sieh nach ihr," bat er Milva hastig, dann stürmte er los. "Ich verfolge den anderen!"
Der Schatten hatte die Rückseite des Hofes erreicht und kletterte eine Leiter hinauf aufs Dach des Anwesens. So eilig er konnte folgte Cyneric dem Fliehenden. Als er oben auf dem Dach angekommen war, blickte er sich gehetzt um. Dort! Nach Süden hin, wo das Meer auf der jenseitigen Flanke des Anwesens in vielen Metern Tiefe angrenzte, zeichnete sich ein Schatten gegen das Mondlicht ab. Doch als Cyneric einen Schritt auf die Gestalt zu machte, ließ sie sich über den Rand hinweg fallen und war verschwunden.
Cyneric fluchte und wagte sich vorsichtig an den Rand des Abgrundes. Es ging mindestens dreißig Meter steil nach unten, denn dieser Teil von Könugard lag direkt oberhalb des militärischen Hafens der Zwillingsstädte und war durch eine hohe Mauer davon abgegrenzt. Unter Cyneric blinkten die Lichter der Kriegsschiffe zu ihm hinauf. Er sah noch, wie etwas mit einem Knall unten ins dunkle Wasser eintauchte, dann war alles still.
« Letzte Änderung: 17. Feb 2021, 14:07 von Fine »
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Merîls Spur
« Antwort #4 am: 18. Feb 2021, 14:21 »
Als Cyneric in den Innenhof zurückgekehrt war, fand er Salia lebendig vor, was ihm eine Welle der Erleichterung durch alle Glieder sandte. Milva hatte das Messer aus Salias Oberkörper entfernt und die Wunde verbunden. Der Einstich war zwar tief gewesen, doch die Klinge war an einer Rippe abgeglitten und hatte die inneren Organe verfehlt.
"Das war Merîl," keuchte Salia angestrengt auf. "Sie wollte mir ihr Mal in den Leib schneiden, eine Hand mit sieben Fingern, dann wäre ich nicht nur gestorben, sondern... sie hätte auch meine Seele versklavt, wenn man den alten Texten glauben kann. Ich habe vielerlei Nachforschungen über die lange Geschichte der Schattenläufer angestellt, und-"
"Langsam, langsam," sagte Cyneric. "Du bist gerade so dem Tod entkommen und dieses Miststück ist noch immer dort draußen. Wir bringen dich erstmal ins Haus, und alarmieren die Wachen. Danach, wenn es sicher ist, kannst du uns erzählen, was du herausgefunden hast."

Milva lief los, um die Wachen von Haus Castav über den Einbruch zu informieren, während Cyneric Salia hochhob und in ihre Unterkunft trug. Wieder einmal war er erstaunt darüber, wie leicht die ehemalige Schattenläuferin war. Im Zimmer angekommen legte Cyneric Salia auf dem Bett ab und füllte ihr einen Krug voll Wasser auf, denn hier im dorwinischen Anwesen der Familie Castav gab es in jedem Gästezimmer einen eigenen, kleinen Brunnen, was Cyneric sehr praktisch fand. Salia trank das Gefäß gierig leer, dann seufzte sie und verzog das Gesicht. "Tut verdammt weh," presste sie hervor, doch sie wirkte nicht, als schwebte sie noch in Lebensgefahr.
Milva kam herein und nickte ihnen ernst zu. "Sie sind in absoluter Alarmbereitschaft," erklärte sie. "Ich glaube, heute wird niemand mehr das Anwesen ungesehen betreten können."
"Sehr gut," befand Cyneric und wandte sich dann Salia zu. "Also los, erzähl uns was geschehen ist."
Salia setzte sich im Bett auf und seufzte lautstark. "Ich war so nahe dran... ich verfolgte Merîls Spur bis zu einem großen höfischen Anwesen, gleich hier in der Nähe. Der Adelige, dem es gehört, ist wohl einer ihrer vielen Diener. Jetzt, wo Morrandir und Ryltha fort sind, verlässt sie sich auf ihr Netzwerk aus Untergebenen - die Drecksarbeit muss sie aber selbst erledigen. Ihre Zielgenauigkeit mit der Klinge scheint mit den Jahren allerdings etwas eingerostet zu sein..."
"Dein Glück," sagte Milva. "Sonst wärest du jetzt nicht hier."
Salia nickte. "Ich hoffe, sie hält mich für tot. In diesem Fall wird sie nämlich ihr Quartier nicht gleich wieder verlassen, und wir können gegen sie vorgehen."
"Erzähl uns erst einmal, wovon du da vorhin gesprochen hast. Was meintest du damit, dass deine Seele versklavt werden würde?" hakte Cyneric nach.
"Ich fand bei meiner Suche in Rylthas Haus, in Gortharia, ein uraltes Buch - ich habe bereits in meiner Zeit bei den Schatten einmal darin gelesen. Es ist eine Art... Chronik, die sich "Manifest der vereinigten Schatten" nennt."
"Was für ein Titel," murmelte Milva.
"Darin fand ich einiges an Informationen, als ich es mir genauer ansah," fuhr Salia fort. "Erinnert ihr euch an das, was uns der Zauberer Alatar in Gortharia erzählte, über Merîls Ursprung? Dass sie einst die Maia Merendë gewesen und vom Dunklen Herrscher ihrer Lebenskraft beraubt worden war? Dieses Buch bestätigt es, und ich weiß nun auch, wie wir sie töten können. Ich habe es gestern Nacht selbst versucht, aber ich bin gescheitert. Wir müssen sie von allen ihren Dienern isolieren, und es darf kein Wasser in der Nähe sein, dann wird ein Dolchstoß ins Herz ihr endlich ein Ende setzen."
"Aber wie sollen wir das anstellen?" wollte Milva wissen.
"Wir müssen ihr eine Falle stellen. Und ich werde der Köder sein, dem sie nicht widerstehen kann. Ich bin der letzte verbliebene ihrer Schatten."
"Könnte sie nicht auch von einer anderen Frau Besitz ergreifen?" fragte Cyneric.
"Ja, aber das würde sehr viel von ihrer Kraft verbrauchen," erklärte Salia. "Ich habe schon viele Male von dem verfluchten Trank getrunken, den Morrandir mir andauernd verabreichte. Dadurch bin ich viel anfälliger dafür, und außerdem sind meine Fähigkeiten genau das, was Merîl braucht."
"Vorhin sagtest du noch, es wäre gut, wenn sie nicht weiß dass du am Leben bist..." wunderte sich Milva.
"Noch ist es gut. Bis ich mich erholt habe, soll sie das ruhig denken. Aber dann werden wir dieses Anwesen in dem sie sich versteckt stürmen und ich werde sie versuchen zu isolieren. Diesmal bin ich nicht alleine, ich bin mir sicher dass es funktionieren wird."

Salia schlief bald darauf ein. Cyneric und Milva hingegen waren beide noch viel zu aufgekratzt um sich gleich wieder aufs Ohr zu hauen. Sie sprachen noch eine lange Zeit über die Geschehnisse des Abends, ehe sich ihr Gespräch anderen Themen zuwandte.
"Wenn das alles vorbei ist..." begann Milva.
"Hoffen wir, dass es das diesmal auch wirklich ist, sobald Salia sich ihrer einstigen Meisterin entledigt hat," sagte Cyneric.
"Ja, hoffen wir es. Aber wie geht es danach weiter?"
"Rohan ist einigermaßen sicher. Ich könnte dir meine Heimat zeigen... dich meiner Tochter vorstellen... aber wenn es dich weiter nach Westen zieht, dann werde ich dir auch dorthin folgen, Milva. Ich möchte nicht, dass wir noch einmal getrennt werden."
Milva warf ihm einen etwas seltsamen Blick zu, dann wurde sie rot und senkte die Augen. "So ist das also..." murmelte sie vor sich hin. "Ich... würde gerne mit dir nach Rohan kommen, Cyneric. Aber zuerst... muss ich noch etwas erledigen. Weißt du eigentlich, wer mich überhaupt in dieses ganze, furchtbar lange Abenteuer erst hineingezogen hat?"
Cyneric dachte nach. "War es diese geheimnisvolle Herrin der Quelle, die der Zauberer Alatar erwähnt hatte? Ich glaube, du hast einmal von ihr gesprochen."
"Eben diese," bestätigte Milva. "Ich glaube, ich kann Rhûn nicht verlassen, ohne nicht noch einmal mit ihr gesprochen zu haben. Du würdest sie bestimmt mögen, sie ist sehr... hmm... wie könnte man sie beschreiben... eigenartig trifft es nicht ganz. Sie hat eine gewisse Aura an sich... ach, am besten machst du dir selbst ein Bild. Der Wald in dem sie mit ihrem Volk lebt, liegt nördlich von hier, am Ostufer des Carnenflusses, und... ich glaube, ich sollte dort bald hin gehen."
"Dann gehe ich mit dir, Milva," sagte Cyneric und ergriff ihre Hände. Sie waren warm - wärmer als er sie in Erinnerung hatte.
Milva nickte sachte. "So wird mir der Weg einfacher fallen, wenn wir ihn gemeinsam gehen."
"Gemeinsam," wiederholte Cyneric. "So soll es sein."
Er küsste sie sanft auf die Lippen, und lächelte, als er spürte, wie sie die liebevolle Geste erwiderte.

Am folgenden Tag glich das Anwesen der Castavs einem aufgestochenen Ameisenhaufen. Die Nachrichten über den nächtlichen Angriff hatten sich schnell herumgesprochen, und die Familie des Meister Branimir war in hellem Aufruhr darüber, dass es jemand gewagt hatte, Gewalt in ihren eigenen Mauern zu verüben. Cyneric und Milva wurden eigehend befragt, während man Salia gnädigerweise schlafen ließ. Am Ende beschlossen die Castavs, für teueres Geld eine ganze Kompanie hartgesottener Söldner anzuwerben, die ihr Aufgebot an Wachen dauerhaft verstärken sollten. Es dauerte keine drei Stunden, da glich das Anwesen schon einer kriegsbereiten Festung. Der Großteil der Fenster war verbarrikadiert worden und verlassen durfte man das Anwesen nur durch die scharf bewachte Vordertür. Milva und Cyneric machten sich nichts daraus, denn solange Salia nicht wieder auf den Beinen war, konnten sie ohnehin nichts tun. Sie vertrieben sich daher die Zeit damit, einander Geschichten aus ihrer Vergangenheit zu erzählen und genossen beide die gewisse Ruhe, die sie dabei hatten. Endlich hatten sie die Zeit - wenn auch notgedrungen - sich besser kennenzulernen.
So verging der Tag, ohne dass noch etwas geschah, doch mit dem Sonnenuntergang kam ein reitender Bote von Süden her nach Könugard. Er kündigte die morgige Ankunft es Hausherren Branimir an, der die Armee des Königs auf dem Marsch von Gortharia nach Dorwinion begleitet hatte und die beim Anbruch des nächsten Tages vor den Zwillingsstädten eintreffen würde.
"Der Zauberer Alatar ging doch ebenfalls mit dem König," sagte Cyneric beim Frühstück zu Milva. "Er weiß mehr über Merîl als alle anderen. Vielleicht kann er uns bei Salias Vorhaben behilflich sein."
Milva wirkte etwas skeptisch - sie war vorsichtig was den Zauberer betraf, aus gutem Grunde - doch dann nickte sie. "Kann nicht schaden mit ihm zu reden. Und du könntest ihm ja sein Schwert zurückgeben, bei der Gelegenheit."
Cyneric erinnerte sich daran, dass er - tief vergraben unter seinen Habseligkeiten - noch immer das seltsame Schwert bei sich trug, das ursprünglich ein Geschenk von Alatar an Silan gewesen war. Irgendetwas hielt ihn davon ab, es hervorzuholen. Er hatte das Gefühl, dass das Schwert nach Rohan gehörte, auch wenn er sich nicht erklären konnte, weshalb...
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An der Türschwelle
« Antwort #5 am: 28. Apr 2021, 17:34 »
Zu Cynerics Unglück ergab sich keine Gelegenheit mit dem Zauberer zu sprechen, denn Alatar war offenbar sogleich mit dem König Rhûns in den ehemaligen Fürstenpalast gegangen, wo die beiden die Überlebenden des Rates um sich versammelten und Kriegspläne schmiedeten. Was an Gerüchten aus dem Palast hervordrang, klang vielversprechend, auch wenn Cyneric ahnte, dass der König den Großteil dieser Gerüchte selbst streute, um die Moral seiner Soldaten hoch zu halten. Die Evakuierung Gortharias war zum Großteil gut verlaufen und der Abzug der Streitkräfte war geglückt, ehe die Heere Mordors die nun unbemannten Mauern überrannt hatten. König Silan plante, den Engpass zwischen dem Hochgebirge von Gorak und dem Binnenmeer gegen den Feind zu sperren, und der Großteil der Armee Rhûns war bereits zum Bau von Befestigungsanlagen entlang des südlichen Grenzflusses Dorwinions, der aus Gorak herabfloss, abkommandiert worden. Dieser Fluss konnte nur an einer einzigen Stelle von großen Gruppen überquert werden, und genau dort plante Silan, die Orks Mordors aufzuhalten, denn dort würden sie ihre zahlenmäßige Überlegenheit nicht ausspielen können.

Salias Wunden verheilten gut, und nach einer knappen Woche war sie wieder auf den Beinen. Sie rief Milva und Cyneric zu sich in das kleine Zimmer, in dem sie sich auskuriert hatte.
"Wir können nicht länger warten," sagte die ehemalige Schattenläuferin. "Heute Nacht müssen wir Merîl stellen und ein für alle Mal vernichten."
Cyneric nickte. "Wie lautet der Plan?"
"Ich habe mit Meister Castav gesprochen. Er hat uns Kleidung der Diener des Adeligen beschafft, bei dem Merîl sich einquartiert hat. Wir gehen rein und stöbern sie auf, und dann töte ich sie. Wenn ich schon nicht den Köder spielen muss, würde ich dieses Ass gerne unausgespielt lassen...
"Gut," sagte Milva. "Wann schlagen wir los?"
"Bei Sonnenuntergang. Wir werden Lebensmittel ins Anwesen bringen, die wir vorher auf dem Markt etwas weiter unten am Hafen gekauft haben..."

Gesagt, getan. Zu dritt begaben sie sich auf den Markt und gaben Cynerics verbliebenes Gold aus. Dann, als die Sonne schon beinahe hinter den Hausdächern im Westen verschwunden war, schlugen sie den Weg zum Anwesen des Adeligen ein, bei dem Merîl Unterschlupf gesucht hatte. Am Nebeneingang des großen Gebäudekomplexes gingen vielerlei Diener ein und aus, und es war Milva, Cyneric und Salia ein Leichtes, sich unter sie zu mischen, denn sie trugen genau dieselben grauen Roben wie der Rest der Bediensteten. Auf Branimir Castav war Verlass gewesen.
Sie gelangten in einen Innenhof und wollten gerade die Nahrungsmittel, die sie hergeschleppt hatten, vorsichtig abstellen und sich umsehen, als auf einmal ein großes Getöse vom Haupthaus aufstieg. Türen flogen auf, und sowohl Diener als auch Wachen des Anwesens stürzten heraus, allesamt mit Waffen in den Händen. Zu Cynerics großem Erstaunen griffen die Bediensteten ihre eigenen Wachen an, die sich mit aller Kraft wehrten. Und obwohl die Diener oft nur improvisierte Waffen trugen und anstelle einer Rüstung in die bekannten grauen Roben gehüllt war, sah es so aus, als könnten beide Parteien einander das Wasser reichen, denn die Bediensteten kämpften mit einer Wildheit, die Cyneric selten zuvor gesehen hatte. Der Innenhof versank in einem heillosen Chaos, und nun gerieten Salia und ihre Gefährten zwischen die Fronten, denn die Wachen sahen sie als Diener an, die es zu erschlagen galt, und die Diener schienen zu spüren, dass die drei nicht hierher gehörten.
"Kämpft!" schrie Salia. "Jetzt ist nicht die Zeit für Heimlichkeit, vergesst den Plan! Wir schlagen uns zu Merîl durch, nutzen wir das Chaos!" Sie entriss einer der Wachen kurzerhand dessen Speer, rammte ihm dem Mann durch den ungeschützten Hals zwischen Helm und Brustpanzer, und warf die Waffe dann Cyneric zu, der sie auffing und mit beiden Händen packte. Er sah, wie Salia der toten Wache ein Kurzschwert und einen Bogen abnahm, und beides an Milva reichte, um ihr dann auch einen prall gefüllten Köcher zu geben. Salia selbst hatte aus ihrer Robe einen langen Dolch hervorgezaubert und ließ ihn abwartend in der Hand kreisen, während sie das Chaos zu analysieren versuchte.
"Hier entlang!" rief sie und stürmte in Richtung einer der vielen Türen zu, die auf den Innenhof hinaus führten.
Sie mussten sich ihren Weg im wahrsten Sinne des Wortes freikämpfen. Die Roben warfen sie rasch ab, denn die langen Gewänder behinderten sie in der Bewegung. Außerdem sahen sie nun nicht mehr wie Bedienstete aus, und wurden nicht mehr von sämtlichen Wachen angegriffen. Die übrigen Diener stellten sich ihnen jedoch weiterhin wütend entgegen. Cyneric sah einen unnatürlichen Hass in ihren Augen brennen, und bekam mehr und mehr das Gefühl, dass sie Menschen, die aus dem Inneren des Gebäudes hervorströmten, die eigentlichen Angreifer waren, und die Wachen sich nur gegen sie wehrten. Dennoch war es ein harter Kampf. Cyneric gelang es, den Rundschild einer gefallenen Wache aufzuheben und den Speer dann einhändig zu führen, ein Kampfstil mit dem er besser vertraut war. Während Salia flink und blitzschnell zustach und ihnen so einen Weg bahnte, folgte Milva ihr auf dem Fuße und hielt die Feide mit ihrem Bogen auf Distanz. Mehr als einmal war Cyneric beeindruckt von den Schießkünsten der Frau, die zielsicher ihre Pfeile fliegen ließ. Er selbst hielt seinen beiden Gefährtinnen den Rücken frei, denn er ging an dritter Stelle und setze Speer und Schild eher defensiv ein.
Sie kamen vom Hof durch den Durchang, den Salia anvisiert hatte, in ein großes Treppenhaus, das zu den oberen Stockwerken führte. Hier herrschte genau das gleiche Chaos wie draußen, doch die Wachen waren hier weit in der Unterzahl. Mehr als einmal gelang es den Dreien, einen in die Enge gedrängten Wachmann vor dem Tod zu bewahren und sich somit einen zusätzlichen Verbündeten zu verschaffen, doch meistens währte diese Allianz nicht lange und die Wege trennten sich wieder. Alle Wächter waren bestrebt, sich in Richtung Innenhof zu retten, während Salia tiefer und tiefer in das Anwesen vordrang. Das Treppenhaus befand sich in einer Art Turm, der sehr breit gebaut, aber dennoch sechs Stockwerke hoch war. Die Treppenstufen waren übersät mit Leichen und Blutlachen. Je weiter nach oben sie kamen, desto mehr legte sich allerdings der Kampflärm, und sie stießen nicht mehr auf viele Feinde.
Kurz vor dem sechsten Stockwerk kam ihnen von oben noch einmal eine ganze Horde wild brüllender Robenträger entgegengestürmt. Zwei fielen durch Milvas gezielte Pfeile, dann musste sie den Bogen fallen lassen und ihr Schwert ziehen. Cyneric überquerte die letzten drei Treppenstufen vor sich mit einem Sprung, der ihn vor Milva landen ließ, und stieß seinen Speer auf Bauchhöhe vorwärts. Da die Bediensteten keine Rüstung trugen, war beinahe jeder Treffer tödlich. Dennoch hatten die drei jeder eine Menge an kleineren Schnitten und Aufschürfungen hinnehen müssen, und Cyneric blutete aus einem länglichen Schnitt an der Schulter. Er sah, wie Salia zwei Gegner in kurzer Zeit nacheinander zu Boden schickte und hieb seinen Schild mit der Kante gegen einen dritten Feind, der sich auf ihn stürzen wollte. Kurz darauf war alles vorbei, und eine unheimliche Stille trat ein.

"Wir sind ganz nahe," sagte Salia keuchend. "Ich kann ihre Präsenz spüren. Hier, in diesem Stockwerk..." Sie verließen das Treppenhaus und kamen in einen langen Gang, der auf beiden Seiten viele Türen hatte, doch Salia beachtete diese nicht. Sie ging langsamen Schrittes auf das Ende des Ganges zu, der direkt unter dem Dachgiebel zu liegen schien, denn die Decke lief über ihren Köpfen in der Mitte spitz zu. Dort lag eine Türe, die halb offen stand und durch die ein bläuliches Licht fiel. Als sie die Hälfte des Weges zurückgelegt hatten, blieb Salia ohne Vorwarnung stehen, und Cyneric hörte hinter sich ein Geräusch wie von einer Klinge, die durch Stoff und Körper dringt. Erschrocken fuhr er herum und sah im Zwielicht nur eine schattenhafte Gestalt, keine zwei Meter entfernt stehen, gehüllt in die ihnen nun allzu verhassten grauen Roben. In der Hand hielt der Bedienstete, der sich ihnen lautlos genähert hatte, ein langes Schwert. Doch die Waffe war frei von Blut. Und in diesem Moment kippte der Robenträger leblos zur Seite weg und enthüllte das, was das Geräusch verursacht hatte: eine Frau, mit dunkelblondem Haar, die einen Dolch führte.
"Hallo, Cyneric," sagte sie. "Wolltest du diese Aufgabe etwa ohne mich angehen...?"
Cyneric konnte seinen Ohren kaum trauen. "Ryltha...?" fragte er ungläubig. "Wie kann das sein? Ich sah dich sterben..."
"Ich bin zäher als ich aussehe," sagte sie lächelnd, doch Cyneric konnte ihr ansehen, dass sie Schmerzen litt. Auf der Stirn standen kleine Schweißperlen, und unter den grünen Augen lagen dunkle Ringe. Die linke Hand war an ihre Seite gepresst, die Rechte hielt den Dolch fest umklammert.
"Du hättest nicht herkommen sollen," sagte Salia kühl. "Ich habe Morrandir getötet. Und dich werde ich ebenfalls nicht verschonen."
"Ich muss es zu Ende bringen. Ihr wärt gut damit beraten, mir zu helfen oder mir wenigstens nicht im Wege zu stehen," sagte Ryltha mit zusammengebissenen Zähnen. "Merîl... wird heute ihr Ende finden."
Milva starrte Ryltha an. "Also kontrolliert sie dich nicht?"
"Sie hat mich zum Sterben zurückgelassen," knurrte Ryltha. "Ich bin für sie nichts als eine weitere Hülle, die auf sie wartet. Das... sehe ich jetzt."
Salia war die Einzige, die das alles kalt zu lassen schien. "Dann komm. Sie ist dort vorne, vermutlich spürst du sie stärker als ich. Sie wird versuchen, dich zu kontrollieren. Ich werde das nicht zulassen... du verstehst, was ich damit sagen will?"
"Natürlich," sagte Ryltha leise. "Ich lebe ohnehin nur, weil mich die Rache zusammenhält. Wenn es getan ist..."
"Sag so etwas nicht," sagte Cyneric.
Sie lachte leise und schmerzerfüllt. "Du bist ein Narr, Cyneric. Ich habe es dir schon einmal gesagt. Mich kannst du nicht retten."
"Du kannst mich nicht davon abhalten, es nicht zumindest zu versuchen," hielt er mit sanfter Stimme dagegen.
Rylthas Augen verengten sich, doch sie erwiderte nichts darauf.
"Genug getrödelt," sagte Salia. "Wir beenden es, hier und jetzt. Kommt." Sie packte ihren Dolch so fest, dass die Knöchel weiß hervortraten, dann lief sie los, in Richtung der halb offen stehenden Tür.
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Ránts Ende
« Antwort #6 am: 9. Jun 2021, 13:30 »
Salia trat an die Tür und stieß sie weit auf. Bläuliches Licht strömte heraus. Cyneric ging direkt hinter Salia, Klinge und Schild kampfbereit in der Hand. Doch was er im Inneren sah, ließ ihn entgeistert stehen bleiben. Ihnen gegenüber standen in einem Halbkreis ein Dutzend Menschen, die ähnlich gekleidet waren wie die Bediensteten, die sich ihnen im Innenhof und auf der Treppe entgegengestellt hatten. Doch gerade als Salia den Raum betrat, öffnete sich eine Lücke in dem Halbkreis und das Licht wurde stärker. Eine Frau kniete dort auf dem Boden, der mit seltsamen Zeichen in weißer Farbe bemalt war. Leuchtendes Wasser schien von der Decke herab zu stürzen, wie als flösse dort ein Wasserfall, der im Nichts kurz unterhalb der tragenden Dachbalken begann, und sich nach dem Aufprall auf dem Holzboden wieder in Luft auflöste. Es war ein so widernatürlicher Anblick, dass Cyneric beinahe die Fassung vollkommen verloren hätte.
Die kniende Frau stand auf. Ihre Augen leuchteten in demselben unnatürlichen Blau, das den ganzen Raum flutete. "Meine treuen Mädchen. Endlich seid ihr zu mir gekommen," sagt sie und als sie sprach, schienen mehrere Stimmen gleichzeitig aus ihrem Mund zu kommen. "Dieser Körper verfällt zusehends... welche von euch soll es sein? Du, Dáe?" richtete sie sich an Salia. "Wirst du mir die Treue halten?"
Salia schien etwas sagen zu wollen, doch da schob sich Ryltha vor sie. "Lass die Finger von ihr, du verdammte Hexe."
Die Augen der Frau - es konnte sich nur um Merîl handeln - richteten sich auf Ryltha. "Meine liebe, tapfere Ránt... Ich habe nicht erwartet, dass du überlebt hast."
"Du hast mich zum Sterben zurückgelassen," knurrte Ryltha. "Ich werde das Gleiche mit dir tun. Aber ich werde nicht den Fehler machen, mich nicht zu vergewissern, ob du vielleicht doch noch am Leben bist."
Sie sprang vorwärts, den Dolch gezückt, auf den Halbkreis und die Frau in dessen Mitte zu. Absolutes Chaos brach aus.

Auch Milva, Cyneric und Salia stürmten bei diesem Anblick los, während sich die Bediensteten mit gezogenen Waffen ihnen in den Weg stellten. Wie schon zuvor erwiesen sie sich trotz mangelnder Bewaffnung und Rüstung als zähe Gegner, die sich sich wie wildgeworden ohne Rücksicht auf Verluste auf Cynerics Gruppe stürzten. Die wilden Schreie und verzerrten Mienen erinnerten kaum noch an menschliche Wesen. Dennoch gelang es Salia und Milva, einen nach dem anderen zu Boden zu schicken, während Cyneric dafür sorgte, dass niemand verletzt wurde, indem er die Feinde mit Schwert und Schild so gut es ging auf Abstand hielt. Milvas Pfeile fanden ihre Ziele, während Salia flink unter Angriffen hinwegtauchte und herumwirbelte, während ihre Dolche den Tod brachten.
Ryltha war es, wie Cyneric aus den Augenwinkel erkennen konnte, gelungen zu Merîl durchzubrechen. Im Hintergrund des Raumes, nahe der Quelle des bläulichen Lichtes, sah er zwei schemenhafte Gestalten miteinander kämpfen, die sich schneller bewegten, als er mit dem Auge so richtig folgen konnte. Er selbst musste sich weiterer Angriffe erwehren und erlitt einen Schnitt am Kinn, der zu bluten begann.
"Cyneric! Runter!" hörte er Milvas Stimme und ließ sich prompt flach auf den Boden fallen. Ein Pfeil schoß knapp über seinen Kopf hinweg und warf den letzten Bediensteten zu Boden.

Das nächste was sie sahen, war ein blauer Blitz, der von dem Wasserfall im Zentrum des Raumes ausging, und Ryltha, die schwer getroffen daraus hervorstolperte. Zu Cynerics Füßen brach sie zusammen, Blut lief aus ihrem Mundwinkel. Besorgt kniete Cyneric sich neben sie. Rylthas Atem ging nur schwach, doch sie lebte. Als er wieder aufschaute, sah er, wie sich vor ihm Merîls Gestalt aufbaute, die Hände mit Blut verschmiert und die Augen im selben Blau leuchtend wie das Zwielicht im Raum.
"Ihr kommt hier her, und versucht das zu zerstören, von dem ihr nichts versteht!" brüllte sie mit verzerrter Stimme
"Ich verstehe genug," sagte Salia grimmig. "Ich habe das Buch gelesen, das in Rylthas Haus war und ich kenne die Schauergeschichten, die dich umgeben. Dein Leben währt schon viel zu lange und du hast mehr als genug Unheil über die Menschen Rhûns gebracht. Heute wird es enden."
"Ránt konnte mich nicht bezwingen, und du kannst es ebensowenig, Daé," sagte Merîl, nun wieder sehr sanft. Als Salia sich vor Cyneric stellte, der noch immer an Rylthas Seite kniete, sah er, wie Merîl sich Salia näherte, die linke Hand ausgestreckt. "Du hast hart gekämpft, aber nun ist es vorbei, Kind. Es wird Zeit, dass du dich deinem Schicksal stellst. Schließe deine Augen, es wird nicht weh tun..." Sie legte ihre Hand an Salias Wange, die wie erstarrt war. Salias Dolch fiel ihr aus der Hand und ihre Augen schlossen sich tatsächlich. Mit der rechten Hand zog Merîl sie Schritt für Schritt auf den leuchtenden Wasserfall zu.
"Nein!" brüllte Cyneric und packte Salia an den Schultern, er versuchte verzweifelt, sie von Merîl wegzuzerren. Doch deren Griff erwies sich als unnachgiebig und deutlich stärker als es ein Mensch sein konnte.
"Du kannst nicht aufhalten was zu sein bestimmt ist," drohte Merîl unheilvoll. Sie war nur noch einen Schritt von ihrem Ziel entfernt.
Da schoß etwas sehr knapp an Cynerics Gesicht vorbei, verfehlte Salias Hinterkopf und bohrte sich tief in den Hals der Kreatur, die Merîl gewesen war. Ein grausiges Kreischen entfuhr ihr und ihr Griff um Salia lockerte sich, sodass Cyneric das Mädchen endlich aus ihren Klauen ziehen konnte. Salia schlug die Augen auf, gab einen Angstschrei von sich und stieß sich ab, sodass Cyneric und sie nach vorne stolperten, von dem blauen Wasser weg. Erst jetzt sah Cyneric, woher der Pfeil gekommen war, der Merîl getroffen hatte. Milva stand nahe des Eingangs, den Bogen noch wie zum Schuss erhoben. Ihr Köcher war leer.
Mühsam kamen Cyneric und Salia auf die Beine. Wie eine gewaltige blaue Welle schwoll das Licht zu einem blendenden Leuchten an und nur ein wütender Schrei warnte sie vor dem Angriff, der jetzt folgte. Merîl riss sich den Pfeil aus dem Hals, schwarzes Blut strömte heraus. Das schien sie jedoch nicht sonderlich zu behindern, denn sie stürmte nun genau auf Milva zu, die Hände einem Paar Klauen gleich in ihre Richtung ausgestreckt. Cyneric trat ihr in den Weg, doch die Wucht des Aufpralls fegte ihn beiseite. Salia erging es ähnlich, sie wurde gegen eine Wand geschleudert und blieb reglos liegen. Cyneric sah, wie Merîl Milva Bogen und Schwert entriss und der entsetzten Dorwinierin die blutigen Hände um den Hals legte, um sie zu erwürgen. Er stemmte sich mühsam hoch, doch das immer heller pulsierende Licht blendete ihn und nahm ihm die Sicht. Er hörte Milva würgen und taumelte auf das Geräusch zu, als ein Schatten an ihm vorbeihuschte, gefolgt von einem gurgelnden Aufschrei, und dann.... Stille.

Das Licht erstarb. Von draußen fiel nun das Licht der aufgehenden Sonne durch die Fenster auf der Ostseite des Raumes. Als sich Cynerics Augen an die veränderten Lichtverhältnisse gewöhnt hatten, sah er Milva im Türrahmen stehen, die ihren lädierten Hals betastete, aber abgesehen davon unverletzt zu sein schien. Vor ihr stand Merîl, Augen und Mund weit aufgerissen, und aus ihrer Brust ragte Milvas Schwert, das ihr jemand durch den Rücken hindurch in den Oberkörper gerammt hatte.
"R-Ránt..." kam ein geisterhaftes Wispern über Merîls Lippen, dann zog Ryltha das Schwert heraus und ihr verhasster Feind brach zusammen.
"Ist sie... tot?" wollte Cyneric wissen und kam mühsam näher. Er sah, dass Ryltha selbst sich kaum auf den Beinen halten konnte, aber der Stolz in ihrem Blick war ungebrochen. Sie spuckte auf den Körper zu ihren Füßen.
"Es ist vorbei," sagte sie und holte mit der Klinge aus... um in einem sauberen Schnitt Merîls Kopf von den Schultern zu trennen.
Cyneric nickte. Davon konnte sie niemand erholen. Hoffte er jedenfalls. Er ging zu Milva hinüber und nahm sie in den Arm, denn sie zitterte. "Bist du in Ordnung?" fragte Cyneric leise.
Milva starrte auf die kopflose Leiche. "Ich muss hier weg, und eine ganze Weile nichts mehr dergleichen sehen," antwortete sie leise. "Für heute habe ich wirklich genug... Frag mich später noch einmal. Aber ich denke... ich werde bald in Ordnung sein. Wenn wir weit weg von hier sind."
Stöhnend rappelte sich auch Salia wieder auf und stieß zur Gruppe. Sie sagte kein Wort als sie den Leichnam sah, stattdessen tat sie es Ryltha gleich und spuckte wortlos darauf.
"Verschwinden wir hier," sagte Cyneric. Er nahm Rylthas Arm und legte ihn sich um die Schulter, um sie zu stützen. Sie war sehr bleich, aber schien nicht in unmittelbarer Lebensgefahr zu sein. So machten sie sich auf den Rückweg zum Anwesen der Castavs.

Ihr Weg nach draußen war von Leichen gepflastert. Eine trügerische Ruhe hatte sich über den gesamten Gebäudekomplex gelegt. Im Innenhof angekommen begegneten ihnen einige wenige überlebende Wachen, die sie jedoch nicht aufhielten.
"Was jetzt, Cyneric?" wollte Ryltha schwach wissen.
"Wir bringen dich in Sicherheit," sagte er entschlossen.
Sie lachte schmerzhaft. "Du versuchst also wirklich, mich zu retten," stellte sie fest.
"Ich habe es dir gesagt, Ryltha," erwiderte er sanft.
Ryltha schloss die Augen. "Dieser Name... gehört nicht mehr zu mir. Ich fühle mich... ich weiß nicht recht. Ránt war mein Name als Schatten, Ryltha war ich... seitdem ich unter den Einfluss dieses Monsters geriet. Wer ich jetzt bin... weiß ich nicht."
"Firvi," schlug Salia leise vor. "Das war dein Name, nicht wahr?"
Rylthas Augen öffneten sich. "Firvi..." wiederholte sie und dann nickte sie zaghaft. "Das... würde mir gefallen..."
Cyneric nickte. "Firvi also. Sehr schön..." Er spürte, wie sich Milvas Hand in seine legte und er lächelte. "Kommt. Wir brauchen Verarztung und Schlaf. Je eher wir beides bekommen, desto eher können wir fort von hier..."
« Letzte Änderung: 10. Dez 2021, 09:03 von Fine »
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Eine Atempause
« Antwort #7 am: 2. Sep 2021, 20:07 »
Es dauerte nicht lange, da standen sie alle vier wieder vor dem Anwesen der Castavs. Zu ihrem Erstaunen bat man sie ohne Nachfrage hinein und brachte sie in einen der Nebenräume des großen Saales, wo sie von zwei Heilern untersucht und verarztet wurden. Am schwersten waren Salia und Firvi verletzt worden, Salia war mittlerweile sogar vor Erschöpfung eingeschlafen oder bewusstlos geworden. Einer der Heiler versicherte ihnen allerdings nach einer kurzen Untersuchung, dass sie nicht in Lebensgefahr schwebte. So ließen sie die Verarztung über sich ergehen und waren froh, dass die anstrengende Nacht erst einmal vorbei war.
Noch während der Behandlung kam der Herr des Hauses selbst herein und nickte wissend.
"Ihr hattet also Erfolg," sagte er ohne Begrüßung. "Nun, das freut mich. Ich hoffe, damit haben sich nun alle Machenschaften der Schattenläufer ein für alle Mal erledigt?" Sein Blick traf dabei Firvi, die ihm ungewohnt scheu auswich. Ryltha hätte sich nie so verhalten, wie Cyneric feststellte. Er erhob sich von der Liege, auf der er gesessen war und trat einige Schritte auf Branimir Castav zu.
"Wir sollten nicht hier davon sprechen," erklärte er ruhig. "Es war eine turbulente Nacht für uns alle."
"Ihr untertreibt, mein Lieber," sagte Meister Castav ebenso ruhig, kaum eine Gefühlsregung war ihm anzusehen.
"Vermutlich habt Ihr Recht. Doch Ihr habt uns entscheidend geholfen und besitzt ein Recht darauf, zu erfahren, was geschehen ist. Nur..."
"Ich verstehe schon. Kommt doch mit in mein Arbeitszimmer, dann besprechen wir alles Weitere."

Cyneric hatte vorgehabt, alleine zu gehen, doch Milva bestand darauf, ihn zu begleiten, obwohl sie noch immer blass um die Nase war und ziemlich müde wirkte. Bis zu Meister Castavs Arbeitszimmer waren es zum Glück nur wenige Schritte, und es gab dort einen kleinen, runden Tisch mit drei Stühlen darum. Der Hausherr bat die beiden, dort mit ihm Platz zu nehmen.
"Wieviel wisst Ihr bereits?" fragte Cyneric ohne Umschweife.
"Das Meiste, schätze ich," beantwortete Castav die Frage. "Ihr habt dort oben im oberen Adelsdistrikt eine Menge Lärm verursacht."
"Das waren wir nicht," sagte Milva prompt. "Als wir dort ankamen, war das Gefecht bereits im Gange."
"Ich weiß, ich weiß. Eine der überlebenden Wachen hat mir davon erzählt. Es hat bereits am späten Abend begonnen. Die Dienerschaft des Hauses begann sich merkwürdig zu verhalten, schon seit Tagen trugen sie auf einmal alle dunkle Kutten mit Kapuzen. Der Überlebende beschrieb es, als wären sie alle besessen gewesen. Niemand hatte sich mehr in die oberern Stockwerke getraut, und am vergangenen Abend, kurz vor Mitternacht, begannen die Bediensteten, die Wachen des Anwesens anzugreifen. Was ich wissen möchte, ist ob ihr den Grund dafür kennt."
"Viel verstehen wir von den Geheimnissen der Schattenläufer nicht," sagte Cyneric, "Vermutlich wisst Ihr sogar mehr darüber. Die Anführerin, Merîl... soll wohl einst eine aus dem Volk der Zauberer gewesen sein, wenn ich es richtig verstanden habe... doch nach einem Kampf mit dem Dunklen Herrscher so sehr geschwächt worden sein, dass sie von dort an... die Lebensessenz von Menschen zu überleben benötigte."
"Hmm," machte Branimir und strich sich durch den sorgsam gepflegten Bart, "Das passt zu einer These, die ich schon vor einiger Zeit gehört habe... aber sprecht bitte weiter."
"Salia war der Meinung, dass Merîl die Lebensenergie ausging und sie deshalb..." begann Cyneric, aber noch immer kam ihm all dies so befremdlich vor, dass er den Satz unvollendet ließ.
"...den Körper wechseln wollte," fuhr Milva hilfreich fort. "Wie sie es wohl schon seit Jahrhunderten tut. Doch Salia tötete die aussichtsreichste Kandidatin. Vermutlich brauchte sie die Bediensteten nur um... einen gewissen Zeitraum zu überbrücken, und trieb sie damit in den Wahn... um genug Zeit zu gewinnen, einen geeigneten Körper anzulocken."
Meister Castav nahm ihre Aussagen mit einem ruhigen Nicken hin, ihn schien nichts aus der Fassung bringen zu können. Einzig der kleine Finger seiner linken Hand gab ein kurzes Rucken von sich, ehe er wieder still blieb. "Das ergibt auf gewisse Weise durchaus Sinn. Gehe ich richtig in der Annahme, dass eure Begleiterin Ryltha diejenige ist, die angelockt werden sollte?"
"Entweder sie oder Salia. Es gibt immer nur drei Schattenläufer," sagte Cyneric. "Zumindest drei, von denen wir wissen..."
"Sie hat... irgendeine uralte Magie angewandt, dort in diesem Raum im obersten Stockwerk," erzählte Milva etwas stockend, "Aber irgendwie... ist es uns gelungen, sie aufzuhalten. Sie ist tot. So tot wie man nur sein kann."
"Man sagt, dass es bei magischen Wesen dieser Art wichtig sei, den Kopf vom Körper zu trennen," sagte Branimir ungerührt. "Habt ihr das zufällig gemacht?"
Cyneric nickte langsam. "Ich hoffe, sie kehrt nicht doch noch einmal zurück. Jedenfalls danken wir Euch für Eure Unterstützung, wir stehen tief in Eurer Schuld, Meister Castav."
"Nun, ihr habt mir ebenfalls geholfen, denn nun kann ich ungehindert die Handelsanteile jenes närrischen Adeligen übernehmen, der dieser Merîl Obhut gewährt ist. Ich weiß aus erster Hand, dass der arme Wicht den Tumult in seinem Anwesen nicht überlebt hat." Er machte eine Pause, die Cyneric ahnen ließ, dass Meister Castav eventuell seine Finger im Spiel gehabt hatte und die Ablenkung für seine eigenen Zwecke genutzt hatte, doch er versuchte, sich diesen Verdacht nicht anmerken zu lassen. "Dennoch denke ich, dass ihr mir zustimmen werdet, dass ich jedes Recht habe, euch noch um eine weitere Kleinigkeit zu bitten...?"
Cyneric wusste, dass dies ein Angebot war, dass er nicht ablehnen konnte, auch wenn Branimir ihm streng genommen eine Frage gestellt und somit die Wahl gelassen hatte. "Worum geht es denn?" fragte er vorsichtig.
"Oh, nun, ich hatte gehofft, dass Ihr mit Eurer Königin sprechen könntet, wenn Ihr wieder in Rohan seid," sagte Branimir ruhig. "Wie Ihr wisst, befinden wir uns nun im Krieg mit dem Dunklen Herrscher und wären den Rohirrim sehr verbunden, wenn sie etwas Druck auf die mordorischen Gebiete ausüben könnten. Wie sagt man so schön? Der Feind meines Feindes ist mein Freund, nicht wahr?"
"Natürlich," sagte Cyneric rasch und war ziemlich erleichtert. "Ihr habt mein Wort, Meister Castav. Ich werde versuchen, einen Angriff zu erwirken."
"Vergesst nicht, dass es auch im Interesse der Menschen Rohans liegt, jeglichen Vorteil, der sich bietet, zu nutzen, wenn der Feind aus Mordor kommt. Er hat viel von seiner Stärke aufgeboten, um gegen Gortharia zu ziehen. Eine Weile werden wir die Meerengen und Pässe zwischen Gorak und Dorwinion halten können... aber nicht ewig. Für Rohan und auch Gondor ist die Zeit zum Angriff gekommen."

Milva war nachdenklich geworden und sagte vorerst nichts. Cyneric beendete das Gespräch kurz darauf, nachdem er noch einige kleinere Fragen Branimirs zu den Geschehnnissen der vergangenen Nacht beantwortet hatte, und sie kehrten auf ihr Zimmer zurück. Unterwegs erfuhren sie, dass Salia und Firvi nebenan in zwei Betten lagen und bereits tief und fest schliefen, ihre Verletzungen waren behandelt und verbunden worden.
"Du willst also so schnell es geht nach Rohan zurück?" fragte Milva leise, sie gähnte und setzte sich auf ihre Bettkante.
"Du etwa nicht?" stellte Cyneric eine verwunderte Gegenfrage. "Dort ist es sicherer als hier... und es gibt nichts mehr, was mich in diesem Land hält. Dich etwa?"
"Eine Sache gäbe es da schon..." sagte Milva. "Als Meister Castav davon sprach, dass die Heere Mordors nun drohen, ganz Rhûn zu überrennen, musste ich an die Herrin der Quelle denken, die mit ihrem Volk auf der jenseitigen Seite des Carnenflusses lebt. Es sind vielleicht drei oder vier Tagesreisen zu Fuß dorthin. Ich habe das Gefühl, dass... ich sie warnen muss. Dass es meine Pflicht ist..."
Cyneric überlegte einen langen Moment, dann erinnerte er sich. Viel hatte Milva ihm noch nicht von ihrer Zeit unter den Elben des Sternenwaldes erzählt, doch er wusste, dass diese sie einst vor dem Tod gerettet und gesund gepflegt hatten, und dass sie es gewesen waren, die Milva erst überhaupt nach Gortharia geschickt hatten. "Drei oder vier Tagesmärsche sagst du? Nun... ich denke, wenn wir uns Pferde leihen oder kaufen, schaffen wir es in der Hälfte der Zeit," sagte er mit einem Lächeln.
"Oh," gab Milva erfreut aber müde von sich. "Dann... wirst du mich also begleiten, ja?"
"Natürlich," sagte er und beugte sich vor, um sie zu küssen.

Ob Salia und Firvi sich ihnen beiden anschließen würden, beschloss Cyneric später zu besprechen. Er deckte Milva zu, die bereits die Augen geschlossen hatte, und legte sich dann selbst hin. Der Schlaf überrollte ihn beinahe augenblicklich, wie eine dunkle Woge die sich über ihn herabsenkte...
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Entlang des Celduins
« Antwort #8 am: 1. Sep 2022, 14:33 »
Cyneric und Milva waren nicht die Einzigen, die beschlossen hatten, Dorwinion zu verlassen. Nachrichten über die heranrückenden Horden Mordors waren längst zum einfachen Volk durchgedrungen, das zu einem nicht geringen Teil vor Kurzem erst aus Gortharia geflohen war und auf Schutz in Dorwinion gehofft hatte. Viele zogen nun weiter nach Norden, Süden und Osten, um sich nach Dervesalend, Riavod oder gar bis nach Esgaroth durchzuschlagen. So erwies es sich als recht schwierig, vier Pferde aufzutreiben. Erst nachdem Cyneric sein Versprechen Meister Castav gegenüber, die Herrscher Rohans um Unterstützung zu bitten erneuert hatte, setzte jener seinen Einfluß ein, um der Reisegruppe ihre Reittiere zu beschaffen. Branimir stattete sie mit Vorräten aus und wies sie an, den Umweg über den geheimnisvollen Sternenwald nicht allzu lange dauern zu lassen.
"Die Streitmacht des Königs hat am Nordufer des Grenzflusses zwischen Dorwinion und den Landen rings um Gortharia Verteidigungsstellungen bezogen und mit dem Bau von Befestigungen begonnen," erklärte Meister Castav, als er Cyneric am Tor seines dorwinischen Anwesens verabschiedete. "Es gibt nur eine brauchbare Brücke dort, und die Alternative besteht aus einem Labyrinth aus verwinkelten, kaum begehbaren Bergpfaden durch das Hochland von Gorak - sollten die dunklen Horden sich dort hinauf wagen, werden wir sie in eine endlose Reihe von Hinterhalten locken können."
"Dann gratuliere ich Euch zu dem geschickten Schachzug, Meister Castav," sagte Cyneric. "Der Rückzug aus Gortharia hat Euch und dem König einen strategischen Vorteil verschafft."
"Einstweilen, mein Freund," antwortete Branimir. "Einstweilen mögen wir diese Orks wohl aufhalten können. Jedenfalls hoffen wir es. Aber die Lage kann - und wird - sich ändern, darauf kannst du dich verlassen. Je eher die Menschen des Westens die Gelegenheit ausnutzen, desto besser für uns. Und je eher sie von dieser Möglichkeit erfahren..." Er ließ den Satz unvollendet.
"Ich verstehe, und ich gab Euch ja bereits mein Wort, dass ich mit meiner Königin sprechen würde," sagte Cyneric und nickte. "Dennoch solltet Ihr vielleicht erwägen, einen Botenvogel nach Rohan zu senden. Flügel sind schneller als jedes Pferd."
"Oh, das habe ich längst getan," erwiderte Branimir Castav. "Doch werden die Rohirrim auf das Wort eines... Ostlings vertrauen?"
Cyneric dachte einen Augenblick darüber nach. "Nun, ich denke, es wäre natürlich besser, wenn sie es von einem der Ihren hören würden..."
"So ist es," stimmte Castav ihm zu. "Du verstehst also, weshalb ich wünschte, dein Weg führte dich direkt nach Westen, und nicht erst in den Norden."

Branimir Castavs Worte hingen Cyneric noch eine ganze Weile nach, während er sein Pferd durch die Straßen der Zwillingsstädte trotten ließ. Der Alte hatte ihm damit eine gewisse Veranwortung für das Überleben der Menschen in Dorwinion anvertraut, die wie eine Last auf Cynerics Schultern lag. Dennoch war er bei seinem Entschluss geblieben: er würde Milva zu den Elben des Sternenwaldes begleiten. Sie braucht keinen Beschützer, dachte er und schüttelte sachte den Kopf. Ich bin einfach gerne in ihrer Nähe. Als er sich das eingestanden hatte, warf er Milva, die schräg vor ihm ritt, einen Blick zu. Die Sonne schien auf ihr Haar und für einen Moment verschwand Branimirs Last von Cynerics Schultern und die Verantwortung löste sich in Luft auf. Er atmete tief durch und ließ den Augenblick einfach geschehen. Cyneric hatte in den vergangenen Jahren wenig Zeit gehabt, um Unbeschwertheit zuzulassen. Und trotz der Situation in der er sich befand, gelang es ihm nun, Gedanken und Sorgen - wenn auch nur für diesen kurzen, wertvollen Moment - abzustreifen.

Sie passierten das nördliche Tor Holmgards und die Reisegruppe hielt an. Sie waren zu viert; Salia und Firvi hatten sich Cyneric und Milva ohne viel Diskussion angeschlossen, als diese den beiden ehemaligen Schattenläufern von ihren Plänen erzählt hatten.
"Ich habe keinen Ort, an den ich gehen könnte," hatte Firvi gesagt. Sie war nachdenklicher und weniger lautstark geworden, seitdem sie geholfen hatte, Merîl zu vernichten, und Cyneric bemerkte immer wieder, dass Firvi es sich nun ab und zu gestattete, ihre verletzlicheren Seiten zu zeigen, doch ob sie sich in ihrer neuen Rolle wohlfühlte, konnte er nicht sagen. Ryltha hatte viel gelacht und geprahlt, aber auch zwischen Düsternis und Zorn geschwankt. Firvi tat keines von beidem. Oft wirkte sie, als hinge sie längst vergessenen Erlebnissen nach oder versuchte, sich an ihr einstiges Leben, das sie vor den Schattenläufern gelebt hatte, zu erinnern. Nur hin und wieder huschte ein schmales Lächeln über ihre Lippen, was noch an Rylthas derbe Art erinnerte. Cyneric hoffte, dass es Firvi auf der nun vor ihnen liegenden Reise gelingen würde, eine neue Identität für sich zu finden. "Vielleicht... wird mir der Norden oder der Westen besser tun, als... es Osten und Süden getan hatten," hatte Firvi hinzugefügt.
"Und ich finde, dass ich euch drei im Auge behalten sollte," stellte Salia klar, als Milva und Cyneric sie angesehen hatten. Beinahe etwas frech hatte Salia die Hände in die Hüften gestemmt. "Zumindest um sicherzustellen, dass ihr wohlbehalten in Rohan ankommt, werde ich euch begleiten."
Milva schien froh über Salias Begleitung zu sein, doch Cyneric konnte sehen, dass sie Vorbehalte gegenüber Firvi hegte. Er teilte diese Meinung nicht. Firvis Verhalten unterschied sich zu stark von der Ryltha, die er einst gekannt hatte, um nur vorgespielt zu sein. Zumindest war das Cynerics Eindruck, und er hatte sich entschieden, seinem Bauchgefühl zu vertrauen. "Salia wird sie schon im Auge behalten, falls wirklich noch etwas von der alten Ryltha in ihr steckt," hatte er zu Milva gesagt, als die beiden am Morgen ihres Aufbruchs aus Dorwinion unter vier Augen über die kommende Reise nach Norden gesprochen hatten. Zwar hatte das nicht ausgereicht, um Milvas Zweifel entgültig verschwinden zu lassen, aber es hatte dafür gesorgt, dass sie Firvi als Teil der Reisegruppe akzeptiert hatte - vorerst jedenfalls.

Den Celduin hatten sie bereits innerhalb der Mauern der Zwillingsstädte überquert und Milva hatte vorgeschlagen, dem Lauf des Flusses an dessen Ostufer nach Norden zu folgen, bis sie die Einmündung des Carnens erreichen würden. Milva kannte die Gegend, durch die sie nun ritten, gut. Sie war hier aufgewachsen, weshalb sie die Führung der kleinen Reisegruppe übernahm. Die Pferde waren ausgeruht und kamen auf dem flachen Grasland gut voran. Allerdings schlug ihnen nach ungefähr einer Wegstunde ein scharfer Nordwestwind entgegen, der schließlich so heftig wurde, dass sie eine Rast einlegen mussten und in einer langgezogenen Mulde etwas abseits der Böschungen des Celduins Schutz suchten. Der Wind trieb dicke, dunkle Regenwolken heran, und schon bald fielen die ersten Tropfen auf sie herab. Die Sonne, die noch in der Stadt auf Milvas Haar geschienen hatte, war längst verschwunden.
Als der Niederschlag endlich nachließ, waren sie alle bis auf die Knochen durchnässt und verfroren. Der Nachmittag brach gerade erst an, weshalb sie beschlossen, trotz ihres Zustandes noch einige Stunden weiterzureiten, ehe sie ein Lager für die Nacht aufschlugen. Ihre Hoffnungen, von der zurückkehrenden Sonne getrocknet zu werden, erfüllten sich nur teilweise, denn zwar hatte der Regen aufgehört, doch der Wind war geblieben und pfiff ihnen noch immer um die Ohren. Dennoch machten sie nun einiges an Weg gut, ehe die Sonne zu sinken begann und sie es sich gestatteten, sich an einem Feuer zu trocken und für die Nacht zu rasten.
Schon kurz nach Sonnenuntergang teilten sie die Wachschichten unter sich auf, und legten sich schlafen. Cyneric, der die letzte Wache zugewiesen bekommen hatte, schlief mit dem Gedanken ein, dass sie Meister Castav besser um ein Boot gebeten hätten, um den Fluss hinaufzusegeln - dann wären sie dem Regen vielleicht trockener entgangen.

Der folgenden Tag verlief ohne besondere Vorkommnisse. Der Wind war ihr ständiger Begleiter, doch anstelle des Regens schloss sich ihm an diesem Tag die Sonne an, die ihnen die verfrorenen Glieder etwas aufwärmte. Die Landschaft veränderte sich kaum; zu ihrer Linken floss der kräftige Celduin dahin, zur Rechten lagen flache Graslandschaften und hin und wieder sahen sie vereinzelte bestellte Felder oder Grüppchen von Bäumen. Zweimal überholten sie kleinere Ansammlungen von Menschen, die wie Cynerics Gruppe von den Zwillingstädten aufgebrochen waren. Am Abend schließlich gelangten sie an eine große Biegung des Flusses und konnten im Licht der roten Abendsonne in der Ferne die Einmündung des Carnenflusses sehen.

"Morgen um diese Zeit werden wir den Sternenwald erreicht haben," sagte Milva.

Milva, Cyneric, Salia und Firvi nach Taur-en-Elenath
« Letzte Änderung: 15. Sep 2022, 13:32 von Fine »
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