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Autor Thema: Die Rückkehr der Nazgul  (Gelesen 3752 mal)

Only True Witchking

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Die Rückkehr der Nazgul
« am: 13. Nov 2018, 19:45 »
Hallo Edain-Community und andere MU-Besucher!

In einer merkwürdigen Koinzidenz hatte ich mich endlich dazu entschlossen, diese lang geplante FanFiction zur Welt von Arda zu schreiben, da postet >Darkness< eine Geschichte!  ":-|" :D
Aber, auch wenn beide Geschichten zumindest mit Melkor zu tun haben, denke ich doch, dass sie sehr unterschiedlich sind, also folgt meine FF sozusagen "auf dem Fuße".

Wie aus dem Titel deutlich ersichtlich, geht es in dieser Geschichte um die Rückkehr der Nazgûl nach Mittelerde. Die Geschichte ist der Anfang eines "3-Teilers" zur Dagor Dagorath und spielt im Vierten Zeitalter.

Ich werde versuchen möglichst nahe an der Lore zu bleiben, aber auch einige Additionen machen. Außerdem werde ich die "Later writings" weitestgehend ignorieren. Da sich die Geschichte um die Nazgûl dreht, werft mal einen Blick auf mein Profilbild, und erst dann darf sich jemand beschweren, dass die Nazgûl zu mächtig und deshalb nicht mit der Lore vereinbar sind.

Die Geschichte wird unregelmäßig fortgesetzt werden, und auch wenn ich sehr viel Spaß beim Schreiben habe, wird es sicherlich eine Weile dauern, bis die Geschichte zum Ende kommt.


Außerdem plane ich, zu jedem der Neun eine Art Biografie zu schreiben, aber das liegt noch etwas in der Zukunft. Vielleicht erstelle ich auch eine Zeittafel des frühen Vierten Zeitalters, aber nur vielleicht.

Bevor jemand fragt, "Angamarth" bedeutet "Eisernes Schicksal", und ist eine Hommage an Dûrmarth, meinen Lieblingshelden aus Edain 3.8.1.
Wo wir schon bei Namen sind: Ich werde den meisten (aber nicht allen) Charakteren Namen geben, die es schon einmal gab, vermutlich auch bei den Elben (Tolkien hat mit Galdor und Gelmir die Regel sowieso gebrochen :o, egal wie sehr er versucht hat, Glorfindel zurecht zu biegen 8-|). Die Sindarin-Bezeichnungen sind alle mithilfe von PONS gemacht, also kann da durchaus was falsch sein, und die Haradrim-Wörter denke ich mir selber aus.

Ansonsten hoffe ich, ihr habt Spaß beim Lesen, und ich freue mich natürlich über Feedback! Einfach in diesen Thread schreiben, und ich werde es mir zu Herzen nehmen (solange es konstruktiv bleibt, natürlich). Außerdem könnt ihr ja mal schauen, ob ihr alle Referenzen zu Mittelerde (und vielleicht auch zu anderen Sachen) findet ;).


WARNUNG:

So, hier der Prolog:

« Letzte Änderung: 27. Feb 2019, 00:19 von TheOnlyTrueWitchking »
“In rode the Lord of the Nazgûl. A great black shape against the fires beyond he loomed up, grown to a vast menace of despair. In rode the Lord of the Nazgûl, under the archway that no enemy ever yet had passed, and all fled before his face."

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Re: Die Rückkehr der Nazgul
« Antwort #1 am: 13. Nov 2018, 19:47 »
Kapitel 1: In der Falle
11. Mai; 1396 V.Z.

Aranwe war unruhig. Es war ein schöner Morgen, die Sonne leuchtete und Vögel sangen. Doch er spürte dass etwas Schlechtes passieren würde, nur er wusste nicht was. Und genau das war das Problem, denn Telemnar, ältester Sohn von Adrahil IV. von Dol Amroth und Führer ihres 31-köpfigen Trupps, würde sicherlich nicht wegen eines bloßen Gefühls haltmachen. „Es ist schwer, der Leibwächter von jemandem zu sein, der so furchtlos ist, dass es schon an Torheit grenzt“, dachte Aranwe bei sich. Dann wandte er seinen Blick wieder dem Pfad zu. Vor ihnen lag nur noch ein kurzer, gerader Weg bis zum Sirisil, dem kleinen Fluss im schönen Land von Ithilien.
Wie immer stimmte ihn der Gedanke an das Schicksal Ithiliens traurig. Die Hauptstadt des Fürstentums war Caras Mithren, die Graue Feste in den Emyn Arnen, dabei sollten ihre Fürsten eigentlich von Minas Ithil aus regieren. Doch selbst vierzehnhundert Jahre nach dem Krieg um den großen Ring wurde die Stadt immer noch Minas Morgul genannt, und nur ein einziger Mensch hatte sie je betreten: Elendur, Kronprinz von Gondor, um seinen Mut, der schon längst überall bekannt war, erneut zu beweisen. Niemand hatte ihn jemals wieder gesehen. Zumindest berichteten das die Chroniken, denn auch dieses Ereignis war fast 600 Jahre her. Und immer noch war das Morgultal ein Ort des Grauens. Aranwe hatte es einmal in seinem Leben gesehen, von den Emyn Arnen aus, und seitdem übergab er den Befehl über die Leibwache Telemnars immer an Bergil, den Unterhauptmann, wenn der Prinz von Dol Amroth den Fürsten Ithiliens, Mablung, besuchte. Aranwe selber wollte der Stadt nie wieder nahekommen. Deswegen war er auch froh, dass sie über Cair Andros geritten waren, um nach Calenost* zu gelangen. Selbst Osgiliath lag ihm zu nahe an der toten Stadt.
Sie erreichten den Sirisil. Während sie ihn überquerten, schauderte Aranwe noch immer bei dem Gedanken an Minas Morgul.

Plötzlich lag ein Sirren in der Luft, gefolgt von einem lauten Prasseln. Ein Schlag traf Aranwes Plattenrüstung, und er riss das Schwert heraus und das Visier nach unten. Es hagelte Pfeile! Zwei Pferde stürzten, und ein Reiter fiel aus dem Sattel, drei Pfeile im Gesicht. Chaos brach aus, und Aranwe versuchte, zu Telemnar durchzudringen. „Nach vorne“, rief der Prinz, „raus hier!“ Nach der ersten Unruhe hatte sich die Einheit beruhigt, keiner sagte auch nur ein Wort, als sie lospreschten. Ein gespenstischer Augenblick völliger Stille ging vorüber, als mehr Pfeile von ihren Rüstungen abprallten. Dann stürzten ihre Pferde, die ersten rannten in verborgene Pfähle, manche fielen über Seile, und die hinteren liefen in die vorderen. Aranwes Pferd stürzte über das tote Reittier Telemnars, der bereits wieder stand, und hart traf der Hauptmann auf dem Boden auf.
Eine Salve Wurfspeere tötete das letzte Pferd, das noch nicht gefallen war, und gleichzeitig brachen Angreifer unter Gebrüll aus dem Gebüsch zu beiden Seiten des Weges, sowohl vor ihnen als auch hinter ihnen, wie Aranwe bemerkte, während er auf die Beine kam.
Jetzt war das Chaos auf dem Weg perfekt, denn die Pferde traten um sich, schrien und schnaubten, während Krieger aufstanden, ihre Waffen aufnahmen oder sich vor den Pferden zu retten versuchten. Zudem war der Feind mitten unter ihnen, deutlich erkennbar als Männer aus Harad, mit roten Gewändern, leichten Rüstungen und Masken vor dem Gesicht. Sie trugen das Symbol eines schwarzen Dolches, und waren bewaffnet mit Krummschwertern und Äxten. Manche trugen auch Rundschilde. Zwei stürzten sich auf Aranwe, doch er vertraute auf seine Plattenrüstung, ließ einige Treffer abprallen und Schwang sein Schwert mit beiden Händen. Ein Gegner stürzte blutend zu Boden, der zweite zog sich nach einem Armtreffer zurück. „Bildet einen Kreis!“ befahl Aranwe, als er sah wie Telemnar gegen einige Haradrim kämpfte und ihm zur Hilfe eilte, „Schnell!“
Aber das Getümmel war zu dicht, wie der Hauptmann bald bemerkte. „Mein Prinz!“ sagte er, „bleibt dicht bei mir!“ „Was habt ihr vor?“ fragte der junge Erbe von Dol Amroth. „Wir kämpfen uns nach vorne durch, es ist zu unübersichtlich!“ antwortete der Leibwächter. Eine Gruppe von zehn Kriegern hatte sich bei den Pferden verschanzt, sie bildeten einen Keil, während die wildgewordenen Tiere ihnen den Rücken freihielten. Ohne zu zögern stürzten sich der Prinz und sein Leibwächter ins Getümmel. Nach wenigen Augenblicken waren sie durchgebrochen, drei Haradrim lagen sterbend am Boden. Sie stießen zu den anderen Kriegern, und Schritt für Schritt wurden die Angreifer zurückgedrängt, während die Amrothianer sich sammelten. Da ertönte ein raues Horn. Aus der Richtung, aus der die Reiter gekommen waren, rückte jetzt ein gut geordneter Trupp Speerträger vor, mit großen, ovalen Schilden, Kettenhemden, Stahlhelmen und gut gefertigten Waffen. Zum ersten Mal im Kampf verspürte Aranwe Furcht. Zuvor war er zu fokussiert auf den Kampf gewesen, außerdem begriff er nun, dass sie nicht in einen gewöhnlichen Überfall geraten waren. Irgendeine Macht, vermutlich aus Harad, wollte den Prinzen tot sehen. Die Krieger, die gerade gegen sie vorrückten, gehörten zu den „Ajíra´an“, den Garden der Fürsten Harads! Und es war eine halbe Hundertschaft! Zum Glück lagen mittlerweile die tobenden Pferde zwischen ihnen und den Angreifern.

Aranwe blickte sich um, vielleicht konnten sie jetzt in die andere Richtung ausbrechen? Aber von dort griff ein weiterer Trupp Krieger an, zwar gering an Zahl, nur ein Dutzend, doch furchteinflößend: Sie überragten die Männer des Prinzen bei weitem, waren Muskelbepackt, hatten nachtschwarze Haut, ihre Augen leuchteten weiß und ihre Zungen rot. Sie trugen nur einen Lendenschurz, aber hatten zweihändige Äxte als Waffen, welche, gepaart mit der Kraft dieser Männer, die eher wie halbe Trolle erschienen, sicherlich jeden Plattenpanzer überwinden konnten.
Aranwe steckte in der Klemme. Er wusste, Telemnar vertraute darauf, dass er die richtige Entscheidung traf. Doch wohin sollten sie sich wenden... Nach Westen, gegen die Speerträger, oder nach Osten, in die Arme der Halbtrolle? Wenn sie nicht schnell genug eine Seite besiegten, würden sie zermalmt zwischen zwei Fronten.
Das gab den Ausschlag in seiner Entscheidung. „Weg vom Fluss!“ befahl er, „Wir brechen nach Osten durch!“ Die riesigen Krieger waren deutlich weniger, und trugen keine Rüstung. Sie würden leichter fallen. Zudem wäre es Wahnsinn, geradewegs in eine Formation von Speerträgern zu laufen, mit nichts als Langschwertern bewaffnet.
In einem geordneten Block rückten die Krieger Dol Amroths vor, Aranwe an der Spitze, Telemnar in ihrer Mitte. Die Feinde warfen sich gegen sie, doch der erste bezahlte mit dem Leben, als ein Leibwächter vorsprang und ihm das Schwert in die entblößte Kehle stieß. So groß die Angreifer auch sein mochten, sie bluteten und starben wie jeder andere Mann. Ein Hüne attackierte den Hauptman, der durch antrainierte Reflexe die Axt beiseite schlug. Wie ein silberner Blitz zuckte sein Schwert nach vorne, und traf den Gegner in die Schulter. Der jedoch schien nichts zu spüren, und rammte seinen Axtstiel gegen Aranwes Brustpanzer. Der Aufprall ließ den Amrothianer taumeln, und bevor er sich gefangen hatte, raste der Axtkopf auf seinen Helm zu. Mit dem linken Arm lenkte er den Hieb leicht ab, dennoch wurde er hart auf die rechte Schulter getroffen. Nur sein Gambeson*, das er unter der Rüstung trug, rettete ihn vor einem Knochenbruch, aber der Schmerz betäubte seinen Arm und eine schwere Delle erschien in der glänzenden Plattenrüstung.
Erneut holte der Troll-Mann aus, nur um im nächsten Moment zu erstarren. Telemnars Schwert hatte von hinten seine Brust durchbohrt, Blut rann aus der Wunde. Dann riss der Prinz sein Schwert zurück, und mit einem Blutschwall brach der Krieger in die Knie. Doch noch im Fallen schwang er seine Axt gegen die Beine des Prinzen, und traf ihn am Oberschenkel. Aber Telemnar wankte nicht einmal, der Hieb hatte keine Kraft mehr gehabt. „Der Weg ist frei!“ rief Bergils Stimme neben Aranwe, und dann begannen sie alle zu rennen.


Fortsetzung folgt.


*Calenost: Ehemals Henneth Annûn. Der Sirisil bildet bei Calenost ein kleines Becken, während des Ringkrieges „Der Verbotene Weiher“ genannt.
*Gambeson: Ein Gambeson ist eine leichte Rüstung für Oberkörper und Oberschenkel, die entweder aus mehreren Lagen Leinentuchs bestand, oder mit verschiedenen Materialien wie Rohbaumwolle oder Stoffresten ausgestopft war.
Wie Experimente zeigen, konnte das Gambeson sogar vor Schwerthieben guten Schutz bieten, eher schlechten vor Stichen. Ein gutes Gambeson kann allerdings mit etwas Glück selbst Langbogenschüsse abwehren. Es war sehr weit verbreitet, Leder wurde so gut wie nie für Rüstungen genutzt.

SINDARIN-NAMEN:
Telemnar – Silberflamme
Sirisil – Bach des Mondes; Mondbach
Caras Mithren – Die Graue Festung
Calenost – Die grüne Stadt

HARADRIM-NAMEN
Ajíra´an – Schlangengarde
« Letzte Änderung: 10. Dez 2019, 23:23 von Only True Witchking »
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Re: Die Rückkehr der Nazgul
« Antwort #2 am: 13. Nov 2018, 19:51 »
Kapitel 2: Calenost
11. Mai; 1396 V.Z.
Ohne die Bogenschützen wären sie erledigt gewesen. Die Krieger aus Harad hatten sie beinahe eingeholt, da sie leichter gerüstet waren, und weil einige der Leibwächter verletzt waren. Sie wären freiwillig zurückgeblieben, und im Notfall hätte Aranwe es ihnen erlaubt, hätte sie geopfert um den Prinzen zu retten, ob der es wollte oder nicht. Ohne Verwundete lief es sich schneller. Aber dazu war es nicht gekommen, denn ein plötzlicher, anhaltender Hagel von Pfeilen hatte drei der Haradrim niedergestreckt, und die anderen zurückgetrieben. Jetzt standen Aranwe, Telemnar, Bergil und die restlichen 19 Überlebenden der Leibwache vor etwa fünfzig grün gewandeten Männern. Sie trugen eng anliegende Kleidung, perfekt um sich im Wald zu bewegen, und hatten Kapuzen aufgezogen. Grüne Masken verbargen ihr Gesicht gänzlich, nur Augenlöcher waren freigelassen. An allen Gürteln sah der Leibwächter Schwerter hängen, lange, schwere Kriegsbögen bildeten die Hauptbewaffnung der Schar. Mit geöffnetem Visier trat der Hauptmann vor die schweigende Reihe der Krieger.
Einer der Retter trat vor, zog die Kapuze vom Kopf und nahm die Maske ab.
Rabenschwarzes, schulterlanges Haar umrahmte ein wettergegerbtes Gesicht eines grauäugigen Mannes, der sicherlich schon fünfzig Jahre erlebt hatte, wahrscheinlich mehr. Es dauerte einen Augenblick, dann erkannte Aranwe ihn: „Duilin! Ihr habt uns gerettet!“
„Sieht so aus“, meinte der Angesprochene, der Kommandant der Truppen von Calenost und ein Freund Aranwes. „Was führt dich und deine Männer nach Ithilien? Und wie kommt es, dass ihr in diese Lage geraten seid?“
Telemnar ergriff das Wort: „Hauptmann Aranwe ist hier in meiner Begleitung.“ Er öffnete das Visier. „Ich bin Telemnar, Erbe von Dol Amroth, und Ihr erkennt mich gewiss noch, auch wenn meine Rüstung nicht an einem Fürstenhof vorzeigbar wäre.“

Sofort kniete Duilin nieder, und die anderen Bogenschützen wollten es ihm gleichtun, aber Telemnar befahl ihm, sich zu erheben. „Wir haben jetzt keine Zeit für solchen Unsinn. Ihr habt mir das Leben gerettet, und eigentlich sollte ich deshalb vor Euch niederknien, wenn meine Rüstung nur nicht so verbogen wäre, dass ich danach nicht mehr aufstehen könnte. Wir wurden bei der Überquerung des Sirisil von den Haradrim überfallen, und wir wandten uns schließlich zur Flucht. Könnt Ihr mich nach Calenost begleiten? Ich würde Euch gerne einige Fragen stellen.“ „Wie Ihr es wünscht“, entgegnete Duilin, „Eldacar, du übernimmst solange den Befehl über die Waldläufer. Schicke den Haradrim zwei Männer nach, und behalte ansonsten den Pfad im Osten im Auge, falls dieser Wanderer doch mehr ist, als er vorgibt zu sein.“ „Verstanden, Hauptmann!“ ertönte es unter einer Maske, und auf ein Zeichen ihres neuen Anführers verschwanden die Waldläufer wie Schatten im Wald, nur ein halbes Dutzend blieb zurück, um sich um die Leichen zu kümmern.

Aranwe dachte sich, dass er niemals gegen diese Männer kämpfen wollte, ihre Disziplin war gewaltig und sie waren geräuschlos wie schleichende Wölfe. 
„Ihr habt sicherlich vor, dem gebahnten Weg zu folgen“, meinte Duilin, „mit solch schwerer Rüstung. Aber es gibt eine Abkürzung, nicht weit von hier, die einfach zu begehen ist. Wenn Ihr bereit seid, folgt mir bitte.“ „Geht voran“, entgegnete Telemnar, und der Trupp setzte sich in Bewegung.
Während sie liefen, sprach der Prinz mit dem Waldläufer, und Aranwe fügte einige Bemerkungen an.
Die Amrothianer erfuhren, dass es seit fast drei Wochen beinahe täglich kleinere Gefechte in Ithilien gab, zwischen den Waldläufern Duilins und den Haradrim. „Als wir sie das erste Mal getroffen haben, konnten sie uns überraschen, und wir hatten viele Verluste zu beklagen, bevor wir sie besiegen konnten“, berichtete der Krieger.
„Danach schickten wir sofort einen Boten zu Castamir in Mordor und einen Reitertrupp nach Harad, aber während Castamir uns bereits eine Antwort gab, in der er uns Hilfe im Notfall zusicherte, wird es gewiss noch lange dauern bis Nachrichten aus Harad bei uns eintreffen.“
Nach einer kurzen Pause fuhr er fort: „Vor fünf Tagen gab es eine regelrechte Schlacht, direkt bei Calenost. Mein Trupp aus sechzig Kriegern konnte den Feind nicht aufhalten, die in mehreren Hundertschaften über uns herfielen. Aus Calenost habe ich die ganze Stadtgarde hinzugeholt, fünfzig weitere Krieger, aber erst als in der Stadt noch einhundert Soldaten ausgerüstet wurden, und einen Ausfall machten, konnten wir den Sieg davontragen. Nach der Schlacht fanden wir zwei verschiedene Banner bei den Feinden, eines rot mit dem schwarzen Krummdolch, das andere mit einem roten Pferdekopf auf Schwarz. Das erste Banner ist sicherlich eine Abwandlung der schwarzen Schlange, aber das zweite haben wir noch nie gesehen. Es ist auch nicht in den Verzeichnissen, es scheint also eine neue Erfindung zu sein.
Wir wissen nicht, wo sich die Feinde aufhalten. Sie müssen eine Art Lager in der Nähe haben, aber auch wenn Ithilien nicht sehr groß ist, gibt es hunderte von Orten an denen sie sich verstecken könnten. Vielleicht finden unsere Späher diesmal etwas heraus.“

Eine Weile liefen sie stumm nebeneinander, während die Vögel Ithiliens um sie herum sangen. Die Luft war süß und frisch, und das Land um sie herum war grün, Wald und Sträucher soweit das Auge reichte. Aber die Panzer der Krieger Dol Amroths waren blutbespritzt, und ihr Trupp war um neun Kämpfer verringert.
Irgendwann fragte Aranwe: „Und was ist mit dem Wanderer, den ihr erwähnt habt?“ Duilin antwortete: „Nun, das ist eine sehr merkwürdige Begebenheit. Auf einem Waldpfad im Osten geht seit heute Morgen ein Mann auf und ab, immer nur wenige hundert Schritt in eine Richtung, ehe er sich wieder zur anderen wendet. Wir haben ihn zur Rede gestellt, und er sagte, er sei ein Mann aus Thal, und hätte einen Freund in den Emyn Arnen besucht. Jetzt wolle er etwas die Natur Ithiliens genießen. Aber er ist nicht ausgerüstet für so eine Wanderung, und er trägt eine Kleidung die eher von den Menschen am Ostmeer* getragen wird. Außerdem ist er mit einem Schwert bewaffnet, und er trägt einen - nicht sehr gut - verborgenen Dolch. Auch ist sein Wanderstab mit Eisen beschlagen. Aber bisher ist er nur umhergelaufen, und hat uns nicht gestört. Trotzdem will ich ein Auge auf ihn haben.“

Sie marschierten noch etwa eine Stunde weiter, doch schließlich sahen sie vor sich Calenost. Die Stadt lag mitten im Wald, und einige der Häuser befanden sich hoch in den Bäumen. Dort lebten die letzten der Halb-Elben, unter deren Vorfahren sich Elben befunden hatten, alte und Weise Geschöpfe, die nur noch aus Sagen und alten Chroniken bekannt waren. Aber die Existenz der Halb-Elben zeigte, dass es sie tatsächlich einst gegeben hatte. Manche Leute behaupteten, die Fürsten Dol Amroths besäßen auch elbisches Blut, aber Aranwe glaubte es nicht. Es war ein Kindermärchen, oder vielleicht hatte irgendein Fürst Dol Amroths angeben wollen.
Umgeben war die Ansiedlung von einer Palisade, und der Sirisil floss direkt daneben. Im Westen der Stadt erhob sich ein einzelner, hoher Hügel. Das Eingangstor zur Stadt wurde von drei Männern bewacht, über deren Kettenhemden sie stolz Wappenröcke mit dem Zeichen des silbernen Halbmondes im schwarzen Feld trugen. Ihre Hellebarden funkelten im Sonnenlicht. Sie sahen Duilin, und ließen ihn und seine Begleiter ohne Fragen passieren, doch einer verschwand in der Stadt, sicherlich um über ihr Kommen zu berichten.
Duilin führte sie bis zum Herzen der Stadt, auf einen runden, freien Platz, den Marktplatz von Calenost. Einige Schaulustige versammelten sich ringsum. Duilin wandte sich an Telemnar: „Was wünscht Ihr als nächstes zu tun? Möchtet Ihr euch zuerst ausruhen, oder soll ich Euch sofort zum Stadthalter bringen?“ „Ich habe keine Zeit zum Ausruhen“, entgegnete der Prinz, „aber meine Wachen sollen in eine passende Unterkunft gebracht werden. Aranwe und Bergil sollen mich zu Hirluin begleiten.“
 
Zügig schritten Aranwe, Telemnar, Bergil und Duilin durch die Stadt, auf eine große, flache Halle zu.
Diese war das einzige Steingebäude in der ganzen Stadt, die Mauern waren weiß, und das Dach bestand aus schwarzen Ziegeln. Ein Trupp von sechs Wachen, mit glänzenden Kettenhemden und gefährlich aussehenden Zweihandäxten hielt am Eingang Wache. Telemnar begrüßte ihren Anführer, und gab sich zu erkennen, woraufhin die Tür geöffnet wurde, und die vier Männer eintraten. Ihre Schritte klirrten laut auf dem steinernen Boden.
Aranwe  war bewusst, dass die Amrothianer alle noch in ihren blutigen Rüstungen steckten, aber als Leibwächter war er dafür sicher nicht verantwortlich zu machen. Außerdem waren Hirluin und Telemnar befreundet.
Sie traten vor einen Sitz aus braunem Holz, auf dem der Herr von Calenost saß, umgeben von zwei Wachen. Gerade las er einen Brief, doch er legte ihn weg als Telemnar näher trat. Hirluin erhob sich. Langes, angegrautes Haar fiel auf seinen Rücken, sein voller Bart war immer noch schwarz. Ein Schwert war an seiner Seite, und er trug eine schwarze Robe sowie einen silbernen Umhang. Seine Brust zierte das Wappen Ithiliens, der zunehmende Halbmond in Silber mit einem schwachen Ring, der den Umriss des vollen Mondes andeutete.

*************

Der Statthalter und der Prinz begrüßten sich erfreut, wurden dann jedoch ernst, als Telemnar  die Geschehnisse des Tages schilderte. Beide begannen zu diskutieren, und der Fürst berief sogar seinen Rat ein. Sie setzten sich an einen runden Tisch in einem Nebenraum, und besprachen alles, was sie über die Haradrim in Erfahrung hatten bringen können. Dass Tásayran, der König von Harad, etwas damit zu tun haben könnte, wurde allgemein bezweifelt. Aber einige seiner Fürsten gerieten in Verdacht. Namen wurden genannt, die Aranwe, der mit Bergil stumm daneben stand, noch nie gehört hatte, und es wurden Spekulationen über das Lager der Marodeure angestellt.
Schließlich befahl Telemnar, dass Bergil und Aranwe sich ausruhen gehen sollten und sich waschen, aber während Aranwe Bergil wegschickte, blieb er selber im Saal. Irgendjemand musste ja den Prinzen schützen.
Wieder einmal bewunderte er Telemnar, der an einem Tisch mit Ratsherren saß, die meisten graubärtig und in vornehmen Gewändern, während der Prinz eine blutige Plattenrüstung trug, mit schweißverklebten Haaren, und dennoch überlegen wirkte.
Gegen Mittag machte der Rat eine kurze Pause, während Essen gebracht wurde. Danach ging die Besprechung, weiter, und schließlich betraten zwei Männer den Raum. Es waren die beiden Waldläufer, die den Haradrim nachgeschickt worden waren. Sie erstatteten Bericht und erzählten, dass die Gegner ein Zeltlager in den Wäldern aufgeschlagen hatten, wo sich etwa zweihundert von ihnen aufhielten. Einer der beiden Männer verstand die Sprache der Haradrim, und somit hatte er ein Gespräch belauschen können, in dem von einer Hundertschaft die Rede war, die noch zur Unterstützung kommen würde. Das Lager wurde von einem Hauptmann befehligt, aber wer der eigentliche Anführer war hatten die Späher nicht herausfinden können.
Der Rat diskutierte immer weiter, während Aranwes Rüstung langsam schwer wurde, und seine Aufmerksamkeit sank. Also rief er nach einem der Diener, und schickte ihn aus, um zwei andere Leibwachen zu holen.
Bald darauf betraten zwei Amrothianer den Raum, nur mit Gambeson gerüstet, aber mit ihren Schwertern an der Seite. Aranwe verließ den Rat, und machte sich auf in die Unterkünfte, die ihm ein Diener ausgewiesen hatte, wo er etwas essen wollte, was er seit dem Morgen nicht mehr getan hatte, und dann würde er den Befehl des Prinzen befolgen und sich waschen und schlafen.
Andere würden Telemnar beschützen.


Fortsetzung folgt.

*Ostmeer = Meer von Rhûn
« Letzte Änderung: 10. Dez 2019, 23:28 von Only True Witchking »
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Re: Die Rückkehr der Nazgul
« Antwort #3 am: 21. Nov 2018, 22:01 »
Kapitel 3: Die Krone des Nordens
12. Mai, 1396 V.Z.
Die Kälte machte Inziladûn nichts aus. Schon lange nicht mehr. Er hatte sich daran gewöhnt, in ewigem Frost zu leben, umgeben von nichts als Schnee, Eis, und kaltem Gestein. Die Wälle der zerfallenen Festung, in der er wohnte, schützten auch nicht vor dem Wind, und ein Dach hatte er noch nie über dem Kopf gehabt. Umso mehr fühlte er sich unbehaglich in dem Turm von Gûlbarad, dem einzigen Gebäude in den Ruinen. Dort wohnte Inziladûns Meister, den sie Gûltaur nannten. Selten ließ er jemanden dort hinein, aber heute sollten Inziladûn und Gorthol Wache stehen. Warum wussten sie nicht, aber der Meister brauchte keine Begründung. Sie verdankten ihm alles was sie besaßen, und deshalb dienten sie ihm bis in den Tod.
Vierzig Jahre schon stand Inziladûn in Gûltaurs Diensten, seit er zum Mann geworden war.
Schon seine Familie hatte dem Hexer gedient, und sollte er Nachkommen haben, würden auch diese der gleichen Tradition folgen. Im Gegenzug, dass sie ihn schützten, ließ der Hexer etwa zwanzig Männer und ihre Familien in den gewaltigen Ruinen der alten Festung leben, sorgte dafür, dass die Hügelmenschen des Umlandes ihnen Nahrung und manche andere Dinge als Tribut brachten, und rüstete sie mit Waffen aus: Geschwärzte Stahlharnische, schwarze Helme mit silbernen Masken, warme schwarze Umhänge, eisenverstärkte Schilde und einhändige Schwerter bildeten die Ausrüstung der Krieger. Die Hügelmenschen oder die Orks der Berge hatten keine Chance gegen sie, selbst wenn sie die zehnfache Anzahl Kämpfer ins Feld führten.

Schon seit dem Morgen standen beide Wächter im untersten Stockwerk des großen Turmes, ohne ein Wort zu Wechseln. Durch Schlitze in den Wänden fiel nur spärliches Licht, Kerzen gab es keine. Somit war auch die Tageszeit schlecht abzuschätzen, aber Inziladûn nahm an, dass es bald Mittag war. Er fühlte sich eingeengt in den Wänden des Turmes, und von weiter oben war seit einer Stunde ein bedrückendes Scharren zu hören. Was der Hexer dort oben machte, war nicht ganz klar, allerdings suchte er seit einigen Tagen nach etwas, was er nur „Die Krone“ nannte, und vermutlich hatte auch die heutige Tätigkeit etwas mit der Suche danach zu tun.
Die Zeit verstrich langsam. Irgendwann ging Gorthol zum Fenster und blickte hinaus. Er besah sich einige Minuten lang die Vorgänge dort, dann wandte er sich rasch zu Inziladûn um. Seine Stimme klang dumpf unter dem Helm, als er verkündete: „Wir kriegen Besuch!“
„Wer?“ fragte Inziladûn knapp. „Unbekannte. Drei Reiter, und dahinter ein paar große Orks, etwa zwanzig oder dreißig. Sie kommen von Norden. Die Reiter sind gut gerüstet und bewaffnet, die Orks nicht. Außer mir hat keiner sie gesehen. Ich gehe zum Meister, du gibst draußen Alarm.“ „Wenn du meinst“, erwiderte Inziladûn, der sicher nicht freiwillig seinen Herrn bei etwas wichtigem gestört hätte.

Er entriegelte die alte, schwere Eichenholztür, und stieß sie auf, begleitet von lautem Knarren. Draußen befanden sich ein paar kleine Lagerfeuer, auf denen von Frauen und Mädchen Essen zubereitet wurde. Die Männer saßen alle in einer Ecke, bei einer höheren Mauer, und hörten sich eine Erzählung des alten Ingemrûth an.
Insgesamt befanden sich etwa fünfzig Personen auf dem Platz, dreiundzwanzig davon kampfbereite Männer. „Ingemrûth!“ rief Inziladûn laut, „Eine Schar Personen nähert sich von Norden!“ Der alte Mann unterbrach seine Erzählung und setzte sich den Helm auf. Alle anderen taten es ihm gleich, dann standen sie auf. Manche zogen ihre Schwerter, einige trugen Schilde.

Die Ruine lag zwischen einem Berg im Osten, und hohen, felsigen Hügeln im Westen. Sie erfüllte das ganze Tal, und von Süden und auch Norden gab es je nur einen vernünftigen Eingang. Zu beiden Seiten führten Trampelpfade auf die Eingänge zu, doch der im Norden war nur mit etwas Holz verbarrikadiert, während im Süden eine stabile Tür angebracht war. Die Krieger stellten sich rund um einen ummauerten Platz auf, direkt hinter dem „Nordtor“, und warteten stumm. Der sich nähernde Tross war nun klar erkennbar. An der Spitze ritten drei Personen auf schwarzen Pferden, die mit ebenfalls schwarzen Decken behangen waren.
Tatsächlich war alles an den drei Gestalten schwarz. Derjenige, der von Inziladûn aus rechts ritt, trug einen schwarzen Umhang, einen schwarzen Mantel, eine schwarze Kapuze und schwarze, hohe Stiefel. An seinem Pferd hing ein Schwert auf jeder Seite, in seinem Gürtel steckte ein drittes. Er trug eine schwarze Flagge ohne Wappen in der linken Hand, mit der rechten lenkte er sein Pferd.
Der mittlere überragte die beiden anderen um Haupteslänge. Auch er war in einen schwarzen Kapuzenumhang gekleidet, doch er war am ganzen Körper durch schwarze Plattenrüstung geschützt. An seinem Sattel war ein Streitkolben befestigt, an der Seite trug er ein Schwert. Vor sich auf das Pferd hatte er quer ein langes Objekt gelegt, eingewickelt in schwarzen Stoff, und umklammerte es mit der Rechten. Die Zügel packte er mit links.
Der linke war wieder mit einem schwarzen Kapuzenumhang und einem Mantel gekleidet.
Ein Schild hing an seinem Sattel, der genau so aussah wie die Schilde der Männer in der Festung: Dunkelbraun, rechteckig, ohne Wappen, mit Eisen beschlagen. Auch er trug ein Schwert im Gürtel, und in der linken Hand hielt er eine Fahne, die einen blauen Drachenkopf auf schwarz zeigte. Er hielt mit der rechten Hand die Zügel.
Eine stumme Bedrohung schien von den drei Reitern auszugehen. Die Art wie sie sich im Sattel hielten, ihre Kleidung, die das Licht zu verschlingen schien, und die Tatsache, dass der Abführer größer war als jeder Mensch, dem Inziladûn je begegnet war, all das ließ ihn unbehaglich fühlen.
Ihnen folgten dreißig ungeordnete Orks, groß und stark, aber schlecht gerüstet und nur mit Krummschwertern und einigen unförmigen Schilden bewaffnet.

Nun trat Gorthol zu den restlichen Gardisten, und ihm folgte Gûltaur. Er trug einen langen, roten Umhang über einer schwarzen Robe. Seine schwarzen Haare fielen ihm bis auf die Schultern, und auf dem Kopf trug er eine Krone aus schwarzem Eisen, die Inziladûn noch nie gesehen hatte. Anscheinend hatte der Hexer gefunden, was er suchte. Die Krone war schmal und niedrig, sie zeigte keine Verzierungen außer fünf gleichmäßig angeordneten, kurzen Zacken. In jedem Zacken saß ein milchig-trüber Edelstein. Bewaffnet war Gûltaur mit einem Einhandschwert aus grauem Stahl.
Der Zauberer stellte sich auf den Platz hinter dem Tor, gerade als die drei Reiter es erreichten. Der Anführer schien die Holzbalken, die seinen Weg versperrten, zu begutachten, dann hob er die Hand. Die Orks kamen heran und räumten die Balken aus dem Weg, einige Axthiebe halfen nach. Die Bewohner der Festung beobachteten sie nur stumm. Inziladûn fragte sich, warum der Meister noch nicht das Wort an die Eindringlinge gerichtet hatte, oder einen Angriffsbefehl erteilt hatte. So undenkbar es war, er erschien eingeschüchtert durch die schwarzen Reiter.
Gerade wurde der letzte Balken entfernt, da stiegen die Reiter ab und traten mit langsamen, gemessenen Schritten auf den runden Platz. Ihre Bewegungen waren synchron, abgesehen davon dass der Anführer keine Flagge trug. Jetzt erst richtete Gûltaur das Wort an sie, und seine Stimme klang hart und befehlend: „Ihr werdet nicht weitergehen. Ihr werdet diese Festung nicht betreten! Kehrt um! Stürzt zurück in den Abgrund der Vernichtung! Ihr hättet tot bleiben sollen!“
Dann antwortete der Anführer der Eindringlinge. Seine Stimme war ein kaltes Zischen, erfüllt von solcher Bosheit, dass die Krieger in der Ruine sich dicht an die Mauer drängten. „Gûltaur…“ zischte er nur. Mehr nicht. Aber schon machte sich kalte Furcht in Inziladûn breit, eine Bewegungslosigkeit befiel ihn. Warum nur hatte er solche Angst vor diesem Fremden? Er hatte gegen die Schneetrolle der Hügel gekämpft und gewonnen, und nie hatte er auch nur die geringste Furcht verspürt. Aber die Stimme der hoch aufragenden Gestalt war das schrecklichste, was er je erlebt hatte.
Jetzt sprach sie weiter, und die Wörter schnitten wie Eis in Inziladûns Kopf: „Du nennst dich den König der Hexer… doch ICH bin der einzig wahre Hexenkönig!“ Mit diesen Worten zog er sein Schwert, und streckte es hoch in die Luft. Es war wie eine bleiche Flamme im grauen Tageslicht. Dann stieß er ein lautes, schrilles Kreischen aus, ein langgezogener Klagelaut, bei dem sich Inziladûn zu Boden warf, ebenso die anderen Gardisten, und er hätte sich am liebsten die Ohren zugehalten. Auch Gûltaur wich zurück, doch dann stürmten die Orks auf den Platz, die Waffen erhoben und raue Kriegsschreie ausstoßend. Die Krieger der Ruine kamen wieder auf die Beine, immer noch etwas benommen. Inziladûn sah, wie Ingemrûth, der alte Geschichtenerzähler, nach vorne sprang. Drei Orks rannten auf ihn zu. Einen streckte er sofort nieder, dann drängte er die anderen zurück. Ein weiterer Ork fiel, doch ein anderer kam hinzu. Die restlichen Krieger sprangen nun auch vor, um ihren Meister zu beschützen. Während Inziladûn einem Ork sein Schwert in die Kehle rammte, sah er aus dem Augenwinkel Ingemrûth, der sich zum feindlichen Anführer durchgekämpft hatte. Da wandte die schwarze Gestalt den Kopf, und blickte den alten Mann an. Er blieb stehen, bewegungslos, die Arme hingen kraftlos herab. „Ingemrûth!“ rief Inziladûn, doch da schlug der feindliche Anführer zu, und sein Schwert durchschnitt die silberne Maske Ingemrûths mühelos. Der Krieger stürzte tot zu Boden. Gorthol hatte sich ebenfalls einen Weg gebahnt, aber zwei Orks traten ihm in den Weg. Der erste schlug zu, Gorthol parierte mit dem Schild, und gleichzeitig bohrte er seinem Gegner das Schwert in den Bauch. Der Schlag des zweiten prallte am Helm des Gardisten ab. Inziladûn wurde abgelenkt, als ein Ork vor ihm ausholte. Er hob sein Schwert, aber im nächsten Augenblick wurde er von einer unsichtbaren Macht ergriffen, und es riss ihn von den Füßen. Er wurde hart gegen die Wand geschleudert, wo er hilflos zusammensackte. Allen anderen auf dem Platz erging es nicht besser, Orks und Menschen gleichermaßen. Nur die drei schwarzen Angreifer standen noch, ebenso wie Gûltaur. Der Anführer der Feinde hatte sein Schwert hoch erhoben, weiße Flammen brannten an der Klinge. Ohne Zweifel hatte er für den Zauber gesorgt.
Inziladûn versuchte aufzustehen, aber er konnte sich nicht rühren. Jetzt trat der schwarze Anführer auf Gûltaur zu. Der Hexer erhob seine Stimme: „Du glaubst, du bist mir überlegen? Sieh, was ich auf dem Kopf trage! Die Krone von Angmar und Carn Dûm! Selbst ohne das Bündnis aller Völker, verleiht sie mir Macht!“ Mit diesen Worten stieß er die linke Hand vor. Grüne Blitze schossen heraus, und hüllten seinen Gegner gänzlich ein. „UNBEGRENZTE MACHT!“ brüllte Gûltaur. Schließlich erloschen die Blitze.

Der Hexenkönig, wie er sich genannt hatte, stand immer noch unversehrt da. Gemächlich setzte er sich in Bewegung. Der Hexer sprang vor, sein Schwert erhoben.
Er stieß es zwischen Kapuze und Rüstung, dorthin, wo das Gesicht des Angreifers sein musste. Das Schwert zerbarst. Gûltaur stolperte rückwärts, sein Gegner setzte nach. Dann packte er den Zauberer an der Kehle. Mit der linken Hand hob er ihn langsam vom Boden, während er mit der rechten sein Schwert einsteckte. Dann nahm er die Krone von Gûltaurs Kopf, und setzte sie sich selber auf. Achtlos schleuderte er den besiegten Gegner von sich, der gegen die Mauer prallte und liegenblieb.

Inziladûn konnte es nicht fassen. Sein Meister war besiegt! Das war unmöglich. Aber dennoch war es geschehen… Er merkte, dass er sich wieder bewegen konnte, und stand auf. Die anderen Krieger taten es ihm gleich. Schnell erstachen sie die verbliebenen Orks, die sich anscheinend nicht vom Zauber erholt hatten. Der siegreiche Feind blickte sie an. Alle erstarrten. Erneut sprach er, und wieder war die Stimme entsetzlich, jedoch nicht so mächtig wie vorher. „Ich nehme euch das Leben… oder den Willen! Entscheidet euch…!“
Gorthol trat vor. Für einige Momente herrschte Stille, während die anderen Gardisten sich hinter ihm aufstellten.
Dann entschied Gorthol: „Unsere Schwerter und Leben gehören euch!“ Es war ungeheuerlich, den Meister zu verraten. Aber was blieb ihnen für eine Wahl? Sie hatten jetzt einen neuen Herrn. Und am Ende war es wohl immer besser, dem mächtigsten zu dienen.
Der neue Herrscher der Festung trat vor seine neuen Krieger, und sagte: „Ihr seid gebrochen, doch ich werde euch zu einer Klinge schmieden, die der Eisenkrone würdig ist!“
Der Kristall in dem vorderen Zacken seiner schwarzen Krone begann Eisblau zu leuchten.

Fortsetzung folgt.


Adûnaïsch
Inziladûn = Westen der Blume (Blume des Westens); Adûnaïscher Name von Tar-Palantir

SINDARIN
Gûlbarad = Turm der Hexerei
Gûltaur = König der Hexerei
Gorthol = Schreckenshelm
Ingemrûth = Alter Zorn

« Letzte Änderung: 10. Dez 2019, 23:32 von Only True Witchking »
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Re: Die Rückkehr der Nazgul
« Antwort #4 am: 4. Dez 2018, 14:30 »
Kapitel 4: Tödliche Pläne
13. Mai, 1396 V. Z.
Es war nicht in der Nacht, wo geheime Pläne geschmiedet wurden.  Am Tage war es viel unauffälliger, wenn drei Männer in einer Ecke saßen und sprachen. Und wie Inziladûn in der Nacht zuvor  feststellen musste, wurde es in den Ruinen niemals ruhig, seid der „Hexenkönig“  am Vortag seine Herrschaft über Angmar ausgerufen hatte.

Ständig waren Orks der Berge und auch einige Menschen aus den Hügeln herbeigekommen, der neue Herrscher Angmars lief wie ein drohender Schatten herum, die Krone mit dem leuchtenden Edelstein auf dem Kopf, und überall tauchten seine Begleiter lautlos aus den Schatten auf. Gûltaur war spurlos verschwunden, tot, geflohen oder gefangen, und es schien, als würden an jeder Ecke Ohren sitzen. Nachts zuvor hatte er mit Gorthol geredet, als ein Ork aufgetaucht war, mit gezogenem Schwert und einem Grinsen im Gesicht. Natürlich hatten sie ihn sofort erledigt, aber auch wenn sich die niederen Geschöpfe oft genug gegenseitig meuchelten, hatten sie beide nur hoffen können, dass niemand davon erfuhr, was sie getan hatten.

Denn die Pläne, die Inziladûn, Gorthol und Morind schmiedeten, waren tödlich.

Entweder für den neuen Herrscher Angmars, oder sie selbst. Gorthol hatte beide davon überzeugt, dass Ingemrûth gerächt werden musste. Sie waren nur noch nicht sicher, wie.
Deswegen saßen sie jetzt in einer abgelegenen Ecke, aßen etwas Trockenfleisch, rollten Würfel zwecklos auf einem vom Schnee befreiten Fleck Boden, und warfen verborgene Blicke auf das morgendliche Tun einiger Orks, die dabei waren, einen großen, kahlen Baum zu fällen.
„Dieser eine Schatten“, meinte Gorthol jetzt, und benutzte den Namen den sie den drei schwarzen Fremden gaben, „die Hügelmenschen nennen ihn Angamarth; er ist derjenige mit dem blauen Drachenkopf als Wappen. Der jedenfalls hat heute, ganz früh, einen Orkhäuptling erschlagen, der für Aufruhr gesorgt hat. Dabei hat sein Schwert fahl geleuchtet, ich konnte es blau aufblitzen sehen. Plötzlich ist die Leiche des Orks einfach eingefroren! Die Zauberei dieser... Wesen, scheint noch stärker als die Gûltaurs zu sein.“
„Dennoch“, entgegnete Morind aufgebracht, „Wir können uns nicht einschüchtern lassen!“ Der blasshäutige Mann, dessen schwarze Haare in Fülle auf seinen Rücken fielen, gehörte zu den jüngsten unter den Anhängern Gûltaurs. Er war ein guter Fechter, aber manchmal etwas übereifrig. „Natürlich nicht“, meinte Inziladûn ruhig, „aber der hastige Streich geht oftmals fehl! Wenn wir diesen „Hexenkönig“, wie er sich nennt, erwischen wollen, müssen wir umsichtig vorgehen, und auf eine perfekte Gelegenheit warten.“
 „Ein direkter Angriff ist keine Möglichkeit“, überlegte Gorthol. „Normalerweise würde ich sagen, wir warten bis er schläft, aber ich befürchte schon, dass er nicht einmal schlafen muss. Gift klingt zwar wie eine gute Option, aber ich weiß auch nicht, woher er an sein Essen kommt... Nein, ich denke, ein Messer im Dunkeln ist der sicherste Plan.  Aber zuerst müssen wir ihm nachspionieren, herausfinden, wann er vielleicht alleine ist, und wann er seine Vorsicht vernachlässigt. Auch wenn das einen Monat dauern mag, so bleibt uns doch nichts anderes übrig, zumal ich fürchte, dass wir nicht viel mehr Mitstreiter gewinnen werden. Immerhin können wir nicht einfach so jemanden fragen ob er uns hilft, ohne zu wissen, ob er uns vielleicht verrät.“ Morind flüsterte plötzlich: „Achtung!“

Inziladûn blickte auf, und entdeckte einen der drei Schatten, denjenigen ohne Wappen, der wie immer einen schwarzen Kapuzenumhang über einem ebenfalls schwarzen Mantel trug, der sich ihnen näherte. Ihm folgten vier hochgewachsene Orks, mit Zweihandäxten bewaffnet. In der rechten Hand des Schattens lag ein gänzlich schwarzes Schwert, mit der Linken hielt er ein zweites, kürzeres Schwert. Die Klinge war aus mattem Metall, der Griff, die Parierstange und der Knauf schwarz, aber beidseitig auf dem Parierstangenkreuz war ein leuchtend weißer Kreis zu sehen.
Der Trupp der fünf Personen eilte an den drei Verschwörern vorbei, auf dem Weg ins Orklager.
Vermutlich würden irgendwelche Köpfe rollen, Inziladûn interessierte sich nicht sonderlich dafür.

Er wandte sich wieder zu Gorthol und Morind, und sie begannen weiter zu planen. Doch nach kurzer Zeit unterbrach Gorthol die Diskussion, und sprach ein anderes Thema an: Die Orks.
Innerhalb eines Tages und einer Nacht waren mehrere hundert von ihnen eingetroffen, alle aus verschiedenen Stämmen. Jeder hatte einen anderen Anführer, und ständig gab es Streit zwischen den Gruppen, und es brachen Tumulte aus. Zwar versuchten die Schatten, diese schnell zu beenden, aber dennoch gab es haufenweise Tote. „Wenn sich nicht bald etwas tut“, erklärte Gorthol, „Wird es zu einem Aufstand kommen. Das könnte uns ziemlich gefährlich werden, außer uns und den Schatten hat es hier ja nur ein paar dutzend Hügelmenschen.“ „Es könnte aber auch unsere Chance sein“, entgegnete Morind, „wenn es zu einem Durcheinander kommt, wäre vielleicht eine gute Zeit, zuzuschlagen!“ „Vorausgesetzt, der Hexenkönig versteckt sich nicht in seinem Turm und lässt uns draußen sterben“, meinte Inziladûn düster. Für einen Augenblick trat stille ein.
Plötzlich war eine zischende Stimme zu hören: „Dúnedain...“
 Hinter einer Mauerecke kam der Hexenkönig zum Vorschein, seine Plattenrüstung und seinen Umhang tragend. Auf seinem Kopf, über der Kapuze, saß die Krone Angmars. Der blaue Edelstein im vordersten Zacken leuchtete hell. Dunkle Furcht befiel Inziladûn. Waren sie entdeckt? Würde er sie töten? Warum sprach der neue Herrscher persönlich zu ihnen? Erst als Morind und Gorthol niederknieten, tat er es ihnen schnell gleich, sein Atem immer noch kurz und abgehackt.
„Mein Herr?“, fragte Gorthol. „Unter euch war einer, der Agandaûr heißt...“ sagte die kalte Stimme, „wo befindet er sich jetzt?“ „Er hat uns verlassen“, beeilte Gorthol sich zu sagen, „und wanderte in die Hügel. Seitdem haben wir nichts mehr von ihm gehört. Vielleicht weiß Gûltaur mehr.“
Abrupt neigte der Hexenkönig den Kopf. Er stieß ein scharfes Zischen aus: „Du wagst es!?“ Die Worte trafen Inziladûn wie ein Schlag, und er kauerte sich zusammen. Kälte umfing seine Füße, sie schlängelte sich langsam seine Beine hinauf und kroch ihm unter das Gewand.
„Wenn du diesen Namen noch einmal aussprichst, werde ich dich töten, und deine Seele soll ewige Qualen in der Eisenhölle erleiden! ICH bin der einzig wahre Hexenkönig!“ drohte der Herr von Angmar mit entsetzlicher Stimme. „I-Ich... verstehe, mein Herr...“, wimmerte Gorthol, „das Wort wird nie wieder über meine Lippen kommen! Ich schwöre es euch!“
Offenbar zufrieden mit der Antwort, drehte sich der Hexenkönig um, und rauschte wie ein schwarzer Schatten davon. Inziladûn atmete auf. Neben ihm kippte Gorthol um, und blieb keuchend auf dem Boden liegen.

Fortsetzung folgt.

SINDARIN
Morind = Schwarzherz

« Letzte Änderung: 10. Dez 2019, 23:39 von Only True Witchking »
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Re: Die Rückkehr der Nazgul
« Antwort #5 am: 16. Dez 2018, 15:13 »
Kapitel 5: Orkjagd
13. Mai, 1396 V.Z.

Wie Schatten schlichen sie durch das Unterholz. Lautlos, wachsam. Die Augen der Orks würden sie niemals entdecken, bevor es zu spät war. Die acht Elben würden Pfeil um Pfeil fliegen lassen, und jeden verbliebenen Ork niedermachen. Das war zumindest der Plan. Aber in seinem dreieinhalbtausend Jahre langen Leben hatte Haldir festgestellt, dass Pläne oft genug scheiterten.
Deswegen hatte er wie so oft einen zweiten Plan. Wenn sie von den Orks überrumpelt werden sollten, würden er und seine Brüder sie ablenken, während die fünf anderen Grenzwächter im Unterholz verschwinden würden. Dann sollten auch Rumil, Orophin und er selber sich zurückziehen. Schließlich könnten sie die Orks langsam aber sicher niederschießen.
Wie jedes Mal, wenn er gegen die Orks kämpfte, blendete er aus was deren Vorfahren einmal gewesen waren. Sie waren Feinde des Waldreiches von Eryn Lasgalen, und Thranduil hatte seinen Grenzwächtern befohlen, sie zu vernichten. Der König der Waldelben hatte entschieden, dass sie die Orks der Hithaeglir direkt an der nordwestlichen Grenze aufhalten sollten. Keine der abscheulichen Kreaturen würde den Wald betreten.

Plötzlich stieg dem Elben ein scharfer Geruch in die Nase. „Yrch!“ zischte Orophin neben ihm leise. Haldir blickte sich zwischen den Bäumen und auf der nahegelegenen Ebene um. Wo waren sie? Er konnte den Feind nicht sehen. Also schlichen sie näher heran. Da. Eine Bewegung im Unterholz, fünfhundert Schritt entfernt. Aus den Büschen traten sieben große Orks, mit Bögen bewaffnet. Haldir war kurz verwundert. Die etwa dreißig Orks, deren Spur sie folgten, gehörten zu einer kleineren Rasse, und waren nur mit krummen Schwertern und kruden Speeren bewaffnet.
Also gab es noch eine zweite Orktruppe. Auch die anderen Elben hatten es gesehen. Rumil schlug vor, zu warten, bis sich die beiden Gruppen der Feinde trafen, aber Haldir war dagegen. Möglich, dass die Orks sich bekämpfen würden, aber vielleicht würden sie sich auch verbünden. Jetzt einen schnellen Schlag zu führen, war einfacher.

Geschickt zogen die Elben Pfeile aus den Köchern, legten sie auf die Sehne und spannten die Bögen. Einen Augenblick wartete Haldir, dann ließ er den schlanken, graugefiederten Pfeil fliegen. In der Luft leuchtete er blau auf.
Ein Ork stürzte zu Boden, tödlich im Nacken getroffen. Die anderen hatten kaum Zeit zu schreien, da fand der Tod sie ebenfalls. Eine zweite Pfeilsalve folgte, und die letzten drei Orks gingen nieder.

Ohne lange zu verweilen, liefen die Elben weiter. Sicherlich waren die anderen Orks zu weit entfernt, um etwas mitbekommen zu haben, aber es war dennoch besser, wenn sie sich beeilten. Sie verließe den Wald, und betraten die hügeligen Wiesen. In der Ferne ragten drohend die Nebelberge auf, und Haldir glaubte sogar, weit im Norden Gundabad als eine scharfe Spitze erkennen zu können. Dort lebten Zwerge unter ihrem König Gror Feueraxt.

Die Fährte der Orks war klar zu erkennen, niedergetrampeltes Gras und geknickte Büsche wiesen den Weg. Wenn den Spuren zu glauben war, waren die Orks vor drei Stunden entlang gekommen. Rasch eilten sie weiter, immer der Spur der Verwüstung folgend. Voller Zorn über die Vernichtung der Natur rannten die Elben so schnell sie konnten, und Haldir achtete kaum auf die Umgebung. Nach zwei Stunden, kurz vor dem Mittag, rief Orophin ihm leise etwas zu: „Horch!“
Haldir blieb stehen und lauschte. Der Nordwind trug ihm jetzt deutlich raue Schreie zu, aber auch Kampfgeräusche waren zu hören. War ein Streit unter den Orks ausgebrochen? Die Geräusche kamen hinter einem Hügel hervor. Vorsichtig, aber gleichzeitig schnell, liefen die Elben auf den Hügel zu. Er würde ihnen einen Höhenvorteil erschaffen. Die Geräusche wurden lauter. Stahl prallte auf Stahl, ein Todesschrei ertönte. Ein Ork brüllte Befehle in der Sprache der Menschen: „Tötet den Drecksack, nutzloser Abschaum! Sonst zieh ich euch die Haut ab und freß‘ sie auf!“
Dann, als die Grenzwächter nur noch einhundert Schritte vom Hügel entfernt waren, geschah etwas so unglaubliches, dass Haldir beinahe stehengeblieben wäre. Über die Geräusche des Mordens erhob sich eine einzelne, wunderschöne und klare Stimme. Und sie sang.

„A Elbereth Gilthoniel
 silivren penna míriel
 o menel aglar elenath!
 Na-chared palan-díriel
 o galadhremmin ennorath
 Fanuilos, le linnathon
 nef aear, si nef aeron!“

Haldir kam als erster auf der Hügelspitze an. Ihm bot sich ein merkwürdiges Bild: Unter ihm hatten die Orks offenbar ihr Lager aufgeschlagen. Ihre Bündel lagen auf dem Boden, ein Holzkreis für ein Lagerfeuer war vorbereitet. Daneben lagen Fleischstücke eines undefinierbaren Lebewesens, und Orks rannten umher, die Waffen in der Hand. In der Mitte von ihnen stand ein großer, schwarzer Ork, in ein dunkles Kettenhemd gekleidet, einen schlecht gefertigten Helm auf dem Kopf. Er hielt eine Axt in den Händen, und schrie weiter Kommandos und Beleidigungen.
Am Rande des Lagers befand sich das Objekt seiner Aufmerksamkeit. Ein einzelner Elf stand dort, gekleidet in ein kurzärmeliges, vermutlich zuvor blaues Oberteil, mit einer schwarzen Hose. Er war barfuß! An seinem Gürtel hing eine schwarze Schwertscheide, und  in den Händen hielt er ein silbernes, schmuckloses Langschwert, welches nicht von Elbenhand gefertigt war – es leuchtete nicht. Seine langen Haare waren schwarz, und fielen ihm ungeordnet auf den Rücken, sein hoheitliches Gesicht leuchtete vor Zorn. Er überragte die Orks um mehrere Haupteslängen und auch unter den Quendi war er sicherlich groß. Die Klinge in seinen Händen führte er mit meisterhafter Kunst. Er war umringt von sieben Orks, doch keiner wagte es, ihn anzugreifen, während er vorsprang und einen niederstreckte. Fünf andere lagen bereits auf dem Boden. Sein Gewand und seine nackten Unterarme waren schwarz von Orkblut, und schwarze Flecken verunreinigten sein Gesicht. Und, zum Wunder Haldirs, war dieser gewaltige Krieger auch der Sänger gewesen, denn er begann ein weiteres Lied zu singen. Haldir konnte die Worte kaum verstehen, aber manche kamen ihm bekannt vor. War das... Quenya? Es klang wie ein Schlachtlied, doch unendliche Traurigkeit sprach aus der Stimme des Elben, und das Lied trieb Tränen in Haldirs Augen. Erst als Rumil in am Arm packte, nahm er seine Kräfte zusammen, und befahl: „Zum Angriff! Lasst es Pfeile regnen!“
Sofort erhoben sich die ersten Pfeile in die Luft, blaue Flammen schienen niederzugehen. Orks stürzten und starben. Haldir nahm den Anführer der Orks ins Visier, doch der Pfeil prallte vom Kettenhemd ab. Das war keine gewöhnliche Orkrüstung! Sofort nahm der Ork ein Horn vom Gürtel, und blies schmetternd herein. Der dunkle Ton wurde von einem zweiten Horn beantwortet.

Hinter den Elben stürzten plötzlich Orks den Hügel herauf, schwarz gewandet, mit Äxten in den Händen. Es waren zwanzig, und acht von ihnen trugen Bögen. Ein Grenzwächter neben Haldir brach in die Knie, drei Pfeile durchbohrten seinen Hals. Die Elben wandten sich um, eine Pfeilsalve antwortete auf den Angriff. Schon starben die ersten der Orkschützen, aber fünf standen noch. Ihre Schüsse brachten einen weiteren Elben zu Fall, auch Orophin traf ein Pfeil in die Schulter. Haldir schickte noch ein Geschoss los, ein feindlicher Bogenschütze wurde ins Auge getroffen. „Schwerter ziehen!“ befahl er dann, als die Feinde heran waren.

Der Nahkampf begann. Haldir sprang vor, mit einem zweihändigen Hieb spaltete er einem Ork das Gesicht. Ein zweiter holte mit der Axt aus, aber Rumil rammte ihm die Klinge in die Brust. Vor Haldirs Augen wurde Celfîn, ein meisterhafter Bogenschütze, von drei Orks überwältigt, und ein Axtstiel schickte ihn zu Boden. Gemeinsam mit Rumil fuhr der Anführer der Grenzwächter unter die Feinde, und im Klingenwirbel  gingen zwei zu Boden. Der letzte wandte sich zur Flucht, aber Haldir war schneller, sein Schwert hieb ihm den Fuß ab. Wie ein blauer Blitz war Rumils Klinge heran, und der Kopf des Orks rollte über den Boden. Jetzt hatten auch die Orkschützen ihre Äxte ergriffen, aber Orophin und ein weiterer Elb machten sie nieder. Ein verbleibender Ork schaffte es, sich von hinten auf die beiden zu stürzen, und ehe Orophins Schwert ihm die Kehle zerfetzte, brachte er seine Axt mit Wucht auf den Kopf des anderen Grenzwächters nieder. Blut färbte das graue Gewand des Elfen rot, als er fiel.
Dann war es vorbei, schneller als es begonnen hatte. Die Orks waren tot, kein einziger entkommen. Haldir fiel der unbekannte Elb wieder ein. Er hatte es mit dem ganzen Orklager aufnehmen müssen! Der Grenzwächter hastete wieder auf den Hügel, den Bogen schussbereit. Unter ihm herrschte Verwüstung. Alle Orks waren tot, nur der Anführer duellierte sich noch mit dem Elben. Dieser war nicht einmal außer Atem! Er sang immer noch. Aus einer Wunde an seinem linken Unterarm rann rotes Blut, und vermischte sich mit dem schwarzen Orkblut an seiner Hand.
Er duckte sich unter einem schlechtgezielten Axthieb, und im gleichen Augenblick rollte der Kopf des Orks über den Boden. Der Elb setzte ungerührt seinen Gesang fort, wischte sein Schwert am Boden ab und steckte es ein. Schließlich blickte er zu Haldir auf, und begann den Hügel hinaufzusteigen. Im Näherkommen endete sein Lied.

Fortsetzung folgt.


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Eryn Lasgalen = Wald der Grünblätter
Celfîn = Silberlocke, Silberhaar
« Letzte Änderung: 11. Dez 2019, 00:51 von Only True Witchking »
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Re: Die Rückkehr der Nazgul
« Antwort #6 am: 9. Jan 2019, 21:42 »
Kapitel 6: Makalaurë
13. Mai, 1396 V.Z.

Der Elb blieb vor Haldir stehen, und sah ihn einen Moment lang aus seinen grauen Augen an. Dann begann er etwas zu sagen, „Elen...“, doch er brach ab und korrigierte sich: „Le suilon!“
Haldir erwiderte die Begrüßung, und der andere Elb fragte sofort: „Wer bist du, und in wessen Diensten stehst du mit deinen Kriegern?“
„Ich bin Haldir, oberster Grenzwächter von König Thranduil von Eryn Lasgalen“, antwortete er, „und wir befinden uns auf seinem Gebiet, also solltest du zuerst erklären, wer du bist.“
„Ich bin... Makalaurë, und ich möchte mich für mein Verhalten entschuldigen, denn ich wusste nicht, dass über dieses Gebiet ein König herrscht. Ich habe für  lange Zeit nichts mehr mit den Geschehnissen in Mittelerde zu tun gehabt, auch wenn nicht weiß, wie viel Zeit es genau war, ein Jahrhundert oder auch ein Jahrtausend.“
 Haldir war erstaunt. Makalaurë war kein Name in Sindarin, sondern Quenya, die Hochsprache der Noldor, die nicht mehr gesprochen wurde, seit die Herrin Galadriel Mittelerde verlassen hatte, doch er kannte die Bedeutung nicht.

Während sie noch sprachen, trat Orophin neben Haldir. „Henthoron, Lagorhathel und Faenellon sind tot“, berichtete er, „und Celfîn ist verletzt. Rúmil kümmert sich um ihn.“
Haldir schloss für einen Moment die Augen. Er hatte die drei Gefallenen nicht sehr lange gekannt, aber sie waren seine Gefährten in den letzten Tagen gewesen, und jedes Leben, das verloren wurde, war eines zu viel. Der Tod war etwas, worauf sich wohl jeder der Grenzwächter eingestellt hatte, aber dennoch geschah es viel zu plötzlich, wenn ein Begleiter aus dem Leben gerissen wurde.
Haldir wandte sich nach der kurzen Pause wieder Makalaurë zu. „Was gedenkst du jetzt zu tun? Wenn du willst, kannst du mit uns kommen. Wir werden bald in unsere Heimat zurückkehren, und auch wenn unser Volk wenig mit Fremden zu tun hat, werden wir dich doch bei uns aufnehmen können. Ein Elb wird stets bei uns Aufnahme finden, und wir können jeder Kämpfer dringend gebrauchen.“
Doch Makalaurë schüttelte den Kopf. „Ich in kein Krieger“, sagte er, „sondern ein Sänger.“
„Dennoch kannst du dein Schwert besser führen, als jeder aus unserem Volk“, merkte Orophin verwundert an. „Aber ein Schwert führen zu können, heißt nicht dass ich es auch will“, entgegnete Makalaurë, wobei sich sein Gesicht verhärtete. Seine Stimme wurde bitter. „Ich habe in meinem Leben zu viel Blut vergossen, zu viel Tod gesehen. Wenn ich könnte, würde ich nie wieder ein Schwert tragen, doch das wird nie geschehen, solange Mittelerde besteht, fürchte ich.“

Er schwieg eine Weile, und seine Augen schienen gerade durch Haldir hindurch zu blicken, auf etwas in weiter Ferne, etwas das nur er sehen konnte. „Dennoch“, sagte er schließlich, „werde ich euer Angebot zumindest zunächst annehmen, Elben des Grünen Waldes. Bis ihr die Hallen eures Königs erreicht, möchte ich mit euch gehen, um mit ihm zu sprechen. Was danach geschieht, weiß nur Mandos selbst.“
Zum wiederholten Mal war Haldir von Makalaurë überrascht. Noch nie hatte er gehört, dass jemand den Namen eines Vala, noch dazu den Namen des Herrn des Todes, so leichtfertig ausgesprochen hatte.
Jetzt kamen auch Rúmil, Celfîn und Galathil zu ihnen, und stellten sich schweigend hinter Haldir.
„Wenn wir unsere Toten begraben haben, werden wir gehen“, entschied dieser, „und du kannst uns begleiten, Makalaurë.“
„Ich werde euch helfen, sie zu begraben“, antwortete der Sänger, „doch erst nachdem ich meine Arme vom Blut gereinigt habe.“

Vier Stunden später befanden sie sich auf dem Rückweg. Die Toten waren begraben, und sie hatten etwas Lembas gegessen, außer Makalaurë, der nur etwas Wasser trank. „Ich habe lange kein Wasser mehr gekostet, welches so rein war“, hatte er gesagt, und das hatte ihm als Mahlzeit genügt.
Jetzt hingen sie alle in ihren eigenen Gedanken, und Haldir und seine Gefährten trauerten stumm um die Toten. Wo Makalaurës Geist sich befand, konnte Haldir nicht erahnen. Der Wald um sie herum wirkte friedlich, auch wenn keine Sonne am Himmel zu sehen war. Aber Haldir wusste, dass der Schein trügerisch war. Die Orks waren nicht sonderlich überrascht von ihrem Angriff gewesen, es schien fast, als hätten sie ihnen eine Falle gestellt.  Aber es konnte doch niemand von ihrem Auftrag wissen? Oder hatte ein Ork sie bei dem ersten Angriff auf die sieben Uruks beobachtet?
Die Uruks... noch etwas, worüber er sich Gedanken machen musste. Seit langem waren kaum Uruks mehr in der Nähe der Wälder gesehen worden, schon gar nicht so viele. Außerdem war zumindest der Hauptmann der Nebelberge-Orks besser ausgerüstet gewesen als gewöhnlich; sein Kettenhemd hatte sogar Elbenpfeile abgehalten. Bedrückend schlich sich der Gedanke in Haldirs Kopf, dass sich vielleicht etwas Dunkles in den Hithaeglir regte, eine neue Bedrohung. Schon vor drei Jahren hatte er ähnliches gefürchtet, als ein plündernder Orktrupp das Land der Beorninger verwüstet hatte, aber dann waren die Orks ruhig geblieben. Vielleicht dachte er auch einfach nur zu negativ.

Rúmil würde ihm sagen, dass seit der Säuberung des Amon Lanc und dem Fall des Dunklen Turmes der Feind für immer aus Mittelerde verschwunden war. Doch war dem tatsächlich so? Die Menschen wurden den Elben immer fremder, sie verloren den Sinn für die Schönheit der Natur. Viele hatten nur noch Maschinen und Waffen im Sinn, und immer häufiger gab es auch im großen Reich von Gondor und Arnor Kriege. Nur die Beorninger waren anders, und manchmal hatte er einige von ihnen getroffen, doch sie waren wortkarg und wenig mitteilsam. Einige redeten zwar über zunehmende Ork-Plünderer, und einer hatte von besonders wilden Wargen berichtet, aber die Nebelberge waren schon immer ein düsterer Ort gewesen. Dort lebten Wesen, die so alt waren wie die Welt selbst, und die sogar für Orks ein Schrecken waren.
Möglich war es also, dass sich einfach ein Trupp Uruks aus dem vergangenen Zeitalter irgendwo in den Bergen versteckt hatte, und nun hervorgekommen war. Möglicherweise war die Gefahr mit ihrem Tod gebannt. Aber dennoch, er war der oberste Grenzwächter. Und somit war es seine Pflicht, stets wachsam zu sein, selbst wenn alle anderen von keiner Gefahr ahnten. Drei Grenzwächter hatten heute ihren Tod gefunden. Der König würde freundliche Worte für ihre Familie haben, und das Schrumpfen seines Volkes betrauern. Aber bald würde er wieder Feste im Wald feiern, lachen und edlen Wein trinken.
Und damit jemand vorbereitet war, falls doch etwas geschehen sollte, musste er, Haldir, wachsam sein. Selbst wenn alle anderen es nicht waren.

Vielleicht war auch dieser Elb ein Zeichen. Haldir nahm sich vor, ihn bei der ersten Gelegenheit zu befragen. Er wusste nicht, wo der Elb herkam, was er getan hatte bevor er hierherkam. Und wenn er so lange nichts mit anderen Elben zu tun gehabt hatte, warum war er dann ausgerechnet jetzt zurückgekehrt? „Ich werde es erfahren“, murmelte der Grenzwächter leise vor sich hin.
Orophin, der vor ihm ging, schien es gehört zu haben, denn er warf ihm einen raschen Blick über die Schulter zu. Doch er sagte nichts.

Schließlich gelangten sie gegen Abend zu einer kleinen Lichtung. Dort legten alle außer Haldir und Makalaurë ihre Waffen ab, und setzten sich zum Ausruhen auf den Boden. Rumil sah nach Celfîn, der im Getümmel einen Schlag an der Schulter abbekommen hatte, Galathil und Orophin unterhielten sich leise – vermutlich über Makalaurë. Haldir selbst setzte sich dem geheimnisvollen Elb gegenüber.
„Du willst wissen, woher ich komme“, erriet dieser sofort. „Allerdings“, sagte Haldir, „denn vieles an dir erscheint mir Rätselhaft. So weiß ich zum Beispiel nicht, aus welchem Lande du stammst, und wo du gelebt hast, bevor du auf uns gestoßen bist.“
„Über meine Vergangenheit will ich dir erzählen, doch nicht, bevor du mir eine Frage beantwortest. Welches Jahr in welchem Zeitalter der Welt ist dies? Denn nach dem Fall Beleriands habe ich jedes Zeitgefühl verloren.“
Haldir erbleichte. „Der Fall von Beleriand!“ rief er unwillkürlich aus. Die Erkenntnis traf ihn augenblicklich: Ihm Gegenüber saß einer der Noldor des Ersten Zeitalters!

Fortsetzung folgt.



QUENYA
„Elen...“  =  Anfang einer Begrüßung
Makalaurë = Goldschmied

SINDARIN
„Le suilon!“ = Ich grüße dich, formelle Variante
Henthoron = Adlerauge
Lagorhathel = Schnelle Klinge
Amon Lanc = Nackter Berg; Der Ort, wo Dol Guldur stand
Faenellon = Weißer Elb
Galathil: „Galadh“ = Baum
« Letzte Änderung: 11. Dez 2019, 00:33 von Only True Witchking »
“In rode the Lord of the Nazgûl. A great black shape against the fires beyond he loomed up, grown to a vast menace of despair. In rode the Lord of the Nazgûl, under the archway that no enemy ever yet had passed, and all fled before his face."

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Re: Die Rückkehr der Nazgul
« Antwort #7 am: 19. Jan 2019, 12:46 »
Kapitel 7: Makalaures Erzählung
13. Mai, 1396 V.Z.

Fassungslos starrte Haldir auf den Noldo, der ihm gegenübersaß, während sich die anderen Grenzwächter zu ihnen umdrehten. Nur Makalaurë blieb ruhig. „Ja, der Fall von Beleriand“, sagte er, „Selbst wenn ihr nicht aus dem versunkenen Lande stammt, so habt ihr alle doch sicherlich davon gehört? Von den Untaten des schwarzen Feindes, und von... von dem Krieg des Zorns?“
„Wir haben davon gehört“, entgegnete Haldir, der seine Stimme wiedergefunden hatte, „doch nur aus entfernten Erzählungen. Dies ist das vierzehnte Jahrhundert des vierten Zeitalters. Der Fall von Beleriand... er liegt über siebeneinhalbtausend Jahre zurück.“
Makalaurë blickte ihn an, zum ersten Mal schien er verunsichert. „Dann habe ich wahrlich jedes Gefühl der Zeit verloren, doch ich war zu erfasst von meinem Schmerz, um an etwas anderes zu denken. Denn ich trage einen Schmerz mit mir, einen der zu gewaltig ist, als dass jemals eines der Kinder Ilúvatars ihn ermessen kann...“ er brach ab.
Orophin trat nun neben Haldir. „Wir bitten dich, erzähle uns deine Geschichte – oder so viel du davon zu erzählen vermagst. Denn wenn wir dich zum König bringen, müssen auch wir wissen, wer du bist, denn er wird uns fragen, warum wir dich hergebracht haben.“
Kurz schloss Makalaurë die Augen. „Ich werde erzählen. Aber zuerst, nennt mir eure Namen, denn ich will nicht nur mit dir, Haldir, reden, sondern mit euch allen.“
Rúmil, Galathil, Celfîn und Orophin stellten sich vor. Und dann begann der Sänger zu erzählen.
„Ich werde nicht über das sprechen, was in Beleriand geschah, denn es ist nur für die Ohren des letzten Richters bestimmt. Nach dem Krieg der Mächte des Westens, und... nach dem Abzug der siegreichen Armee, gelangte ich in den eisigsten Norden der Welt. Dort leben Geschöpfe, die eins mit dem Eis sind, Drachen und Tiere. Schreckliche Wölfe gibt es dort, und riesige Bären, mit Fell, so weiß wie der Schnee. Auch andere, schlimmere Kreaturen, doch es hat dort auch unendlich scheinende, leere Flächen, erfüllt von nichts als Eis. Ich war allein mit meinem Schmerz, meiner – Reue; allein mit meiner endlosen Trauer. Ich ging entlang der vereisten Küste, und sang Lieder, die keiner der Quendi je hören wird, denn ich habe sie bereits vergessen. Dort lebte ich, dort überlebte ich, auch wenn ich keinen Willen mehr hatte zu leben, kein Ziel mehr. Aber es ist meine Strafe, für lang zurückliegende Taten, für die keine Strafe genug ist. Nicht Morgoth selbst könnte eine Folter erfinden...“ Hier unterbrach sich der Erzähler.
Haldir, der den Kopf gesenkt gehalten hatte, blickte ihn kurz an. Tränen standen in Makalaures Augen, sein Blick ging gerade durch den Grenzwächter hindurch. Seine zuvor tonlose Stimme veränderte sich, zu Furcht, und zu Hass, als er fortfuhr: „Doch. Er ist der einzige, der mir noch größeren Schmerz bereiten könnte, denn er ist der schwarze Feind. Nichts kann er nicht noch verschlimmern. Aber er ist vergangen.“ Nach einer weiteren Pause fand er zu seiner Erzählung zurück.
„Nach tausenden Jahren, wie ich nun weiß, die ich in der ewigen Kälte verbrachte, sah ich ein Bild in meinen Träumen. Ein Fluss, der nach Süden fließt. Ich weiß nicht, warum, doch ich wandte meine Wanderung daraufhin nach Süden. Drei kurze Jahrzehnte vergingen, bevor ich zum großen Berg des Nordens kam. Er ist der oberste Berg der Hithaeglir, der Herrscher des Gebirges, doch er verblasst im Vergleich gegen die Eisernen Berge von einst.“ „Gundabad“, murmelte Celfîn leise. Der Name klang wie ein Fluch.
"Dort traf ich zum ersten Mal wieder auf Orks. Sie sind die schrecklichsten aller Kreaturen, denn sie sind nicht etwa verdorbene Elben... Nein. Sie sind Elben, denen jedes Gute fehlt, und bei denen das pure Böse zurückbleibt.“ „Wie kannst du das sagen?“ unterbrach  Galathil den Sänger. „Wir haben nichts gemein mit diesen Kreaturen, die das abscheulichste Werk des dunklen Feindes sind. Sie mögen einst Elben gewesen sein, doch nichts ist mehr von ihnen übrig. Sie sind Hüllen, nur beseelt vom Gedanken an Zerstörung.“
Makalaures scharfes Lachen war wie Eis, das bricht. Haldir jagte ein Schauer aus Kälte über den Rücken. „Ich habe Elben gesehen, die ihr eigenes Volk ohne zu zögern abgeschlachtet haben. Ich habe Feuer und Blut gesehen, Zorn und Verderben. Unschuldige, die von Elben gemordet wurden, Kinder, die kaum erst geboren waren.“ Er schüttelte den Kopf. „Erzähl mir nicht von der Reinheit der Elben, denn sie sind ebenso schreckliche Geschöpfe wie Orks, wenn sie von dunklen Gefühlen getrieben werden. Aber das ist nicht, was ich erzählen will. Ich habe bereits zu viel gesagt, mehr als ich wollte...

Eine Weile blieb ich bei Gundabad, ein einzelnes Jahrzehnt nur, doch die Orks lernten mich fürchten, denn ich zeigte ihnen, was Todesangst  ist. Sie sind große Scharen, wie ich sie lange nicht sah, doch sie sind angstvoll, denn der Tod bedeutet Verdammung für sie. Aber wieder erschien mir das Bild des Flusses, und ich ging weiter nach Süden. Nichts ist seitdem geschehen, was Wert ist zu erzählen, bevor ich euch traf, Grenzwächter des Grünen Waldes. Doch ich bin des Erzählens müde. Ich werde singen, wenn es euch nicht stört.“ „Es wäre uns eine Freude, deine Stimme zu hören“, meinte Rúmil.
Aber Makalaurë antwortete nur eines: „Von Freude singe ich nicht, und Freude werdet ihr nicht erleben.“
Er schwieg zunächst. Haldir versuchte, sich alle Details der Erzählung zu merken. Zwar hatte der Noldo die tatsächliche Geschichte nur sehr knapp ausgeführt, und viel über seine Vergangenheit erfahren hatten sie nicht, doch er hatte vieles andere gesagt, über den Feind, über die Elben und sich selbst. Vieles war erschreckend, manches unverständlich, aber doch half alles, das Bild im Kopf des obersten Grenzwächters zu formen, das Bild welches er sich zu Makalaurë machte.

Plötzlich erhob sich ein einzelner Ton in die dunkle Nacht. Haldir hatte nicht gemerkt, wie der Himmel sich verfinstert hatte, aber jetzt wurde der Wald nur noch von Sternlicht erleuchtet, und Earendil schien hell wie der Mond. Und Makalaurë begann ein Lied in Sindarin zu singen.
Er sang von Wasser, von langsamen Strömungen. Eine Traurigkeit stieg in Haldir auf, die aus dem tiefsten Winkel seiner Seele stammte. Das Lied wurde schneller, bald schon rasend, und Makalaurë sang von Feuer und Rauch. Dann änderte sich seine Stimme schlagartig, sie wurde voll und tief. Und jetzt erst begriff Haldir, wie überwältigend die Stimme des Noldo war. Das, was er zuvor während dem Kampf mit den Orks gehört hatte, war nur ein Schatten, nur ein schwaches Echo. Tränen liefen dem Grenzwächter über die Wangen, nur wegen der reinen Schönheit des Liedes, selbst wenn er den Text nur wenig verstand. Bald begannen Bilder, Wachträume, vor seinen Augen zu erscheinen, und wieder zu verschwinden, und hindurch sah er Makalaurë, von Dunkelheit umrahmt, doch leuchtend wie Feuer.
Die Bilder wechselten in schneller Folge. Haldir sah grünes Land, Elben in weißen Gewändern, mächtige Herrscher, die gemeinsam Rat hielten. Eine weiße Stadt, drei leuchtende Sterne, einen zornigen Elben, der bald darauf vor Trauer in eine dunkle Nacht stürmte. Heiß brennende Fackeln und heiß brennender Zorn, weiße Schiffe, blutiges Wasser. Es folgten Reden von verschiedenen Personen, doch kein Laut war zu hören, danach ein gewaltiges Feuer.
Ein Lager, eine Schlacht, feuriges Getümmel, ein Sterbender Elb und eine gleißende Flamme.
Eine weitere Schlacht, und viele mehr, dann ein grausames Gemetzel, inmitten von einem grünen Wald. Bald darauf ein friedliches Dorf, doch dann noch mehr Feuer und Entsetzen und Verzweiflung und Zorn, und ein blutiges Schlachten. Auf die Gesichter von zwei Kindern folgten ein heimtückischer Mord, ein Kampf, ein Gefühl von Triumph, und dann ein alles versengender Schmerz, der nur eine Fläche aus Eis zurücklies.
Dann endete das Lied, und Haldir lag auf dem Boden, und er weinte, und er sah, dass es den anderen genau so erging. Makalaurë aber stand dort, wie ein Mahnmal der Valar, und Haldir wusste, dass der Sänger die Welt erschüttern würde, ob zum Guten oder Schlechten. Dann fielen ihm plötzlich die Augen zu, denn auch wenn er selten schlafen musste, so hatte der Tag ihn dennoch ermüdet, und bald schlief er ein, glitzernde Spuren auf seinen Wangen.


Fortsetzung folgt.
« Letzte Änderung: 31. Dez 2019, 04:24 von Only True Witchking »
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Re: Die Rückkehr der Nazgul
« Antwort #8 am: 27. Jan 2019, 16:48 »
Kapitel 8: Der Herr der schwarzen Grube
15. Mai, 1396 V.Z.

Es war still im großen Thronsaal von Moria. Lunthák genoss die Stille. Endlich waren keine der Maden, die den ganzen Tag um ihn herumrannten, mehr zu sehen. Jedem von ihnen hatte er einen Befehl erteilt, und alle waren sie gegangen. Nur seine sechs treuesten Leibwächter standen noch hinter seinem goldgeschmückten Thron aus verkohlten Zwergengebeinen; Orks von denen er wusste, dass sie ihm niemals ein Messer in den Rücken stoßen würden, oder ihm im Schlaf die Kehle durchschneiden. Im Gegenteil waren sie diejenigen, die dafür gesorgt hatten, dass die unzähligen Orks, die keine solchen Hemmungen hatten, ihm nicht einmal auch nur nahe gekommen waren.
Stumm standen sie hinter ihm. Vielleicht warteten sie auf einen Befehl, doch fürs Erste würde er sitzenbleiben, und die Halle betrachten, über die er uneingeschränkter Herr war.
Am anderen Ende befand sich das große Tor, aus silbernem Stahl geschmiedet. Zwergenwerk. Darüber führte ein Balkon, an dem einige zerfetzte Banner hingen. Der Balkon führte einmal um die gesamte Halle herum, und wie gewöhnlich stand an jeder der vier Türen, die auf den Rundweg führten, ein weiterer Leibwächter, den Bogen in der Hand.
Die Decke der Halle war aus solidem grauen Stein gefertigt, und würde noch Jahrhunderte halten, wohl eher sogar Jahrtausende.
Die Wände waren verziert mit Trophäen: Bleiche Zwergenschädel, erbeutete Waffen, Zerrissene und beschmierte Banner. Der Rest der Halle war mit Resten von Lagerfeuern übersäht, wo Orks sich ihr Mahl zubereitet hatten. Was genau sie gebraten hatten, wusste Lunthák nicht. Im Zweifelsfall andere Orks. Am Kopfende führte eine große, steinerne Treppe hinauf zum Thron, auf dem er saß.

Er brauchte den Kopf nicht zu drehen, um zu wissen, dass die Wand hinter ihm mit roter und schwarzer Farbe bekritzelt war, eine große, hässliche Zeichnung, die den Schrecken aus alter Zeit darstellte. Den Valaraukar. Den Balrog.

„Was für eine Ironie“, dachte er, wie er es oft bereits getan hatte. Erneut warf er einen Blick durch die Hallen. Ihm fiel auf, wie leer sie waren... und dass er sich dennoch beobachtet fühlte. Irgendwo in der Dunkelheit war ein Augenpaar... Eines welches ihn beobachtete, und dabei selbst unsichtbar blieb.
Langsam erhob er sich von seinem Thron. Jemand war dort... jemand war in seine Hallen eingedrungen. Es war keiner der dreckigen Elben, da war Lunthák sich sicher. Nein, es war etwas Dunkleres. Er öffnete den Mund, um seinen Leibwächtern einen Befehl zu geben.
Im gleichen Moment ertönte ein entfernter Schrei, hoch und schrill. Seine Leibwachen zuckten zusammen. „Feiglinge!“ brüllte Lunthák wütend, „wenn das Madengezücht schreit, müsst ihr nicht in der Ecke kauern wie verschreckte Elbenweiber! Seid ihr Uruks oder Snaga?“
„Das war kein Ork!“ wagte einer der Orks einzuwenden, „die Maden quieken viel verschreckter, wenn man ihnen den Kopf abreißt!“
„Ausreden! Los, ihr Rattensöhne, geht und schaut, was da draußen los ist!“
„Wir...“ „Macht was ich euch sage, stinkendes Pack, oder ich schneid euch die Zungen raus!“
Lunthák richtete sich zu seiner vollen Größe auf, sodass er selbst die großen Uruks seiner Leibwache um einen Kopf überragte, und stieß den Ork, der gesprochen hatte, in Richtung Tür. Die Leibwächter rannten los, mehr ängstlich vor dem Zorn ihres Gebieters als vor einem entfernten Schrei. Sie öffneten das Tor des Thronsaals, schlossen es hinter sich und waren verschwunden.
Luntháks Zorn kochte. Er war leicht zu wecken, und sie hatten es gewagt, ihm zu widersprechen. Als der  große Ork bemerkte, dass die vier Bogenschützen immer noch auf dem Balkon standen, brüllte er nur ein einziges Wort: „RAUS!“
So schnell sie konnten, verschwanden auch diese Leibwächter durch die Türen hinter ihnen, wohin war Lunthák egal.

Ihm selbst war bewusst, dass der Schrei nicht von einem Ork gekommen war. Irgendetwas näherte sich, er konnte es spüren. Etwas, dass ihm nicht freundlich gesinnt war.
Von der Seite seines Thrones zog Lunthák seine Waffe hervor, ein großes, Zweihändiges Schwert, mit breiter, gerader Klinge, ohne Parierstange oder Spitze. Außerdem setzte er sich einen Helm aus geschwärztem Silberstahl auf. Ehemals war es ein Zwergenhelm gewesen, doch jetzt waren Symbole in einer dunklen Sprache eingraviert, und leuchteten in blutigem Rot. Der Helm komplettierte die nachtschwarze Rüstung aus Zwergenstahl, die Lunthák trug.
Zuletzt zog er einen schwarzen, kurzen Holzstab aus dem Thron, den niemand jemals von den Knochen unterscheiden können würde, ohne davon zu wissen. Das, was immer weiter in Richtung des Thronsaals Schritt, war alt. Alt und mächtig. Es war sicherlich älter als der Ork Lunthák, aber er selber war auch alt. Älter als die meisten Orks, und einiges mächtiger. Er spürte, dass ein Zauber den Eindringling umgab. Aber auch die Orks beherrschten Zauber.

Mit einem bedrohlichen Lächeln auf den Lippen zog Lunthák eine schwarze Linie hinter das große Tor, wobei sein Stab ihm als Werkzeug diente. Daneben zog er eine weitere Linie, etwas weniger gerade. Er musste sich beeilen. Dann hob er seinen Stab, hielt ihn eine Zeitlang über den Kopf, und warf ihn dann auf den Boden zwischen die Linien. „Ghâsh!“ zischte er, und der Stab brach in grelle Flammen aus, die sich rasch über den Markierten Bereich verteilten. Lunthák nahm sein ungeschlachtes Langschwert wieder zur Hand, und stellte sich hinter das Feuer. Er war bereit.

****************

Schließlich, nach einiger Zeit angespannten Wartens, spürte er etwas auf der anderen Seite des Tores. Eine gewaltige Macht schien daran zu rütteln, aber das Tor war fest verschlossen.
Erst geschah nichts mehr. Dann begann ein grünes Licht, unter dem Tor hindurchzufließen. Es schlängelte sich die silbernen Torflügel empor, und legte sich um den Riegel.
Plötzlich traf ein schwerer Schlag das Tor. Es verformte sich langsam, beulte sich aus, und brach schließlich in der Mitte. Der Riegel wurde aufgesprengt, und die Flügel schwangen weit auf.
Herein schritt eine Gestalt, gänzlich in schwarzen Stoff gehüllt. Sie strahlte Kälte aus, und in der Rechten funkelte ein scharfes Schwert. Mit der linken Hand hielt das Wesen einen Stab, aus dunkelbraunem Holz, etwa einen und einen halben Schritt lang, und mit einer schwarzen Stahlkugel am oberen Ende. Bei jedem Schritt der Kreatur klopfte die Spitze auf den Boden. Das Feuer, welches hoch und heiß brannte, schien der Gestalt auszuweichen. Die Flammen wichen zurück und erloschen teilweise, und bildeten so einen Durchgang. Ein kalter, schriller Schrei ertönte, als die Kreatur hindurch sprang.
Lunthák wartete nicht länger. Voller Kampfeslust stürzte er sich auf seinen Gegner, die Zähne gefletscht und das Schwert hoch erhoben. Die Klinge ging in einem todbringenden Bogen nieder, aber die schwarze Gestalt lenkte den Schlag mit einer leichten Bewegung ihrer einhändigen Klinge ab, und ging fließend zum Gegenschlag über.
Der Ork verließ sich auf seine Rüstung, und während das Schwert abprallte, rammte er dem Gegner die rechte Faust in den Magen.
Es war, als hätte er gegen eine Steinwand geschlagen. Erschrocken zuckte Lunthák zurück, als eine kalte Schockwelle durch seine Hand lief. Der schattenhafte Gegner machte einen Schritt vor, das Schwert in einer defensiven Haltung. Er wartete ab.
Lunthák versuchte, seine Wut zurückzuhalten, und begann, seinen Gegner zu umkreisen. Der jedoch blieb auf der Stelle stehen, und folgte dem Herrn von Moria nur mit den  funkelnden Augen unter seiner finsteren Kapuze, während er sich langsam drehte. Den Holzstab hielt er immer noch mit langen, in schwarzen Stoff gehüllten Fingern umklammert, das Schwert war starr auf Luntháks Gesicht gerichtet.
Schließlich hatte der Ork genug. Er stieß einen zornigen Schrei aus und griff an. Er zielte erst auf die Beine des Schattens, dann änderte den Hieb, um den Kopf abzuschlagen. Aber der Gegner wich erstaunlich schnell zurück, dann sprang er rasch vor und schlug nach den Füßen des Orks. Der sprang über die Klinge drüber, täuschte einen Hieb an, stach nach seinem Gegner – und stolperte ins Leere.
Dann traf ihn ein wuchtiger Schlag an der Schulter, und gleich darauf ein zweiter am Helm. Aber die Rüstung hielt stand. Wutentbrannt wirbelte er herum und versuchte seinen Gegner an der Schulter zu packen. Er war etwas größer als der schwarze Schatten, und sicherlich stärker.
Aber bevor er zugreifen konnte, rammte ihm die finstere Gestalt den Stab gegen den Kopf, mit der Kugel zuerst. Der Ork taumelte zurück, sein Schädel dröhnte. Er riss sein Schwert hoch, um den folgenden Schlag zu parieren, wurde jedoch von einem harten Treffer am Knie von den Beinen geholt. Während er niederstürzte, überkam ihn ein gewaltiges Gefühl von Niederlage.

Während seiner Zeit als der Herr von Moria hatte Lunthák jeden Gegner besiegt, jeden Ork, der ihn herausgefordert hatte, in seinen Platz verwiesen. Seine letzte Niederlage lag über ein Jahrtausend zurück! Und jetzt kam ein fremdes Wesen in seine Hallen, das nicht nur keine Rüstung trug, sondern auch sonst erbärmlich und zerbrechlich wirkte, und schickte ihn auf den Boden? Sollte er jetzt vernichtet werden, durch die Klinge eines solchen Abschaums?
Nein! Dies war der Tod einer unwürdigen Made!  Während sich die dunkle Kapuze seines Feindes in das Sichtfeld des Orkes schob, dunkel und bedrohlich, packte er sein Schwert fester. Er atmete tief die rauchige Luft ein. Das hier war seine Halle, das Herz seines Reiches! Weder Ork noch Mensch, Elb oder Zwerg, auch kein anderer Abschaum würde ihm seinen Thron nehmen!
Eine blitzende Klinge senkte sich langsam zu seinem Gesicht herab. Mit einem Gewaltigen Ausruf des Hasses auf den Lippen sprang der Herr von Moria vom Boden auf. Sein Langschwert fuhr durch die Luft, traf den Angreifer an der Seite, und fegte ihn beiseite.
Zwar schien er eine harte Rüstung zu tragen, denn das Schwert prallte zurück, aber es ertönte kein einziges Geräusch. Dann stieß sein Gegner einen schrillen Schrei aus, der in den Ohren schmerzte.
Aber nichts weiter geschah, bevor Luntháks Schwert erneut niederfuhr. Der Gegner parierte mit Stab und Schwert zugleich, aber er wurde zu Boden gerissen. Lunthák ließ seiner Wut freien Lauf, als er auf den Gegner einprügelte, ohne Rücksicht auf seine Deckung. Fünfmal schlug er zu, und fünfmal war es, als läge ein Stück Stahl vor ihm. Seine Schläge zeigten keine Wirkung! Dann, beim sechsten Treffer, gegen den Hinterkopf des Besiegten, gab es ein lautes, brechendes Geräusch. Das krude Schwert zerbarst in der Hand des Orks wie ein trockenes Stück Holz.
Der nutzlose Griff fiel ihm aus der Hand. Erschrocken und verblüfft stolperte Lunthák rückwärts. Wie konnte das sein? Das Schwert war mit mächtigen Zaubern der Orks belegt gewesen, um niemals zu zerbrechen!
Noch während er bewegungslos dastand, kam sein Gegner mühelos auf die Beine, Schwert und Stab immer noch fest in den Händen. Lunthák versuchte sich auf ihn zu stürzen und zog einen breiten Krummdolch, aber eine Bewegung am zerstörten Tor der Halle ließ ihn innehalten. Herein strömten Orks, in schwarzer Kleidung, mit großen Äxten und Bögen in den Händen. Sie waren alle hochgewachsen, und nicht aus Moria – das erkannte Lunthák sofort. Vermutlich waren es dreckige Maden aus dem Gefolge des Dinges, das vor ihm stand.
Immer mehr hatte der Herr von Moria das Gefühl, das ein Wesen vor ihm stand, das nicht von der Kraft eines Orks, selbst nicht von einem der wenigen Hexer unter ihnen, besiegt werden konnte.
Aber er war kein gewöhnlicher Ork! Er würde es noch einmal versuchen, bei Melkor dem großen!

Lunthák griff an. Der Dolch zielte auf die funkelnden Augen wie eine zustoßende Schlange. Aber plötzlich erstarrte sein ganzer Körper in der Bewegung! Aus dem Stab des Feindes flossen grüne Schlieren, wanden sich um seinen Körper, versuchten ihn zu ersticken, ihn zu zerdrücken.
Verfluchte Hexerei! Aber schon begann der Bann sich zu lockern, während Lunthák vor Anstrengung bebte. Bald würde er sich befreit haben. Und sein Gegner schien auch nur darauf zu warten – er steckte selbst sein Schwert weg! Wollte er ihn beleidigen?

Dann ließ die Kreatur auch den Stab los. Lunthák traute seinen Augen nicht, denn der Stab blieb einfach stehen, als würden unsichtbare Hände ihn halten. „Verdammt und Verflucht!“ zischte er in der Gemeinsprache zwischen zusammengebissenen Zähnen, „ich zermalme dich mit meinen bloßen Händen!“
Vom Gegner kam keine Reaktion, außer dass er in die Falten seines Umhangs griff. Als er seine Hand, es war die rechte, wieder hervorzog, hielt er einen goldenen Ring in den Fingern, besetzt mit einem einzelnen, grünen Edelstein. Kurz zögerte das dunkle Wesen, dann ließ es den Ring ruckartig über den Ringfinger seiner linken Hand gleiten.

Der triumphale Schrei, den es ausstieß, war betäubend, und zum vielleicht ersten Mal in seinem langen Leben empfand der Ork Lunthák Angst. Im gleichen Augenblick verschwand der Bannzauber, und der Herr von Moria stürzte auf den harten Steinboden. Er sprang sofort wieder auf, den Dolch immer noch fest gepackt, bereit, um sein Leben zu kämpfen – aber den magischen Schlag, der ihn dann traf und gegen den Wall seiner eigenen Halle schmetterte, hätten die wenigsten sterblichen Wesen überleben können.



SPRACHE DER ORKS
Ghâsh = Feuer



« Letzte Änderung: 31. Dez 2019, 04:28 von Only True Witchking »
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Re: Die Rückkehr der Nazgul
« Antwort #9 am: 3. Sep 2019, 13:44 »
Kapitel 9: Die Dunkelheit
16. Mai, 1396 V.Z.

Ein eiskalter Wind fegte durch den verschneiten Wald. Die Zweige der immergrünen Nadelbäume rauschten und knackten, während der Wind die Last des Schnees von ihnen abschüttelte.
Wie glitzernde Kristalle hingen Eiszapfen an den Stämmen und Ästen von grauen, blattlosen Baumskeletten. Der Ruf eines einsamen Vogels erklang.
Am Waldrand erschien ein dunkler Schatten. Mit leisen Flügelschlägen entfernten sich die wenigen Eulen aus dem Wald. Finsternis kroch um die Bäume, grüne und graue gleichermaßen, und sie knarrten bedrohlich.
Herein in den Wald ritt ein hochgewachsener Reiter auf einem schwarzen Pferd. Er selber trug eine schwarze Kutte dicht um sich gewickelt, ein Schwert war an seinem Gürtel befestigt. Die Kälte schien weder Tier noch Reiter etwas auszumachen, als sie den Weg entlangtrabten. Überall wo sie liefen, schien der Wind abzuflauen, die Bäume zu schweigen und der Schnee zu gefrieren. Das Pferd sank nicht einen Fingerbreit in die lockere Schneedecke ein.
Aus der Dunkelheit unter der Kapuze des Reiters beobachteten zwei kalt glitzernde Augen die Umgebung. Unter den Bäumen schien nichts als Schnee und Eis zu sein, doch mit einem Sinn, der weit über die Kräfte des Hörens und Sehens hinausging, spürte der Reiter die Anwesenheit vieler Kreaturen. Sie entzogen sich jedem Auge, doch die kriechende Dunkelheit hielt auf sie zu, versuchte sie zu fassen und zu enthüllen. Aber sie waren zu schnell, verschwanden in Bäumen und verschmolzen mit dem Boden, so dass selbst der schwarze Reiter nicht mehr erkennen konnte, wo sie sich befanden. Aber er war nicht hierhergekommen, um die Wächter des Waldes herauszufordern.

Das Pferd hielt an. Der Reiter stieg ab, während das kalte Licht des beginnenden Morgens unter die Bäume zurückkehrte. Seine linke Hand ruhte auf dem Knauf seines Schwertes, die andere war unter dem schwarzen Mantel verborgen. Obwohl er Stiefel trug, schwarz und schwer, blieb der Schnee unter den Sohlen wie unberührt. Die dunkle Gestalt schritt zwischen zwei Baumriesen hindurch, die nun kalt und leblos waren, auch wenn sie früher vielleicht ausladende Blätterkronen getragen hatten.
Dahinter lag eine kleine, fast Kreisrunde Lichtung und darauf ein großer Stein, beinahe vollständig zugeschneit. Nur seine schwarze Spitze ragte aus der Schneedecke wie ein abgebrochener Zahn.

Der schwarze Krieger trat lautlos bis an den Monolithen heran, wo er niederkniete. Mit der rechten Hand schob er etwas Schnee von der Spitze herab, und enthüllte so eine verschlungene Rune, die in einem fahlen, weißen Licht leuchtete. Dann zog er sein Schwert und stieß es neben dem Stein in den Schnee, bevor er beide Hände auf die Rune legte. Zischend stieß er ein Wort aus einer uralten Sprache aus. Nachdem er seine Hände wieder hob, war das Leuchten der Rune ein kränkliches Grün.
Langsam begann der Schnee auf der Lichtung zu schmelzen, ausgehend von dem Stein in der Mitte. 

Die dunkle Gestalt zog einen schmalen goldenen Ring aus seiner Kleidung und legte ihn auf die Rune; der schwarze Stein, welcher den Ring verzierte, glitzerte gefährlich.
Das Licht der Rune schien das Schmuckstück zu umhüllen, und kurz blitzte der Stein grünlich auf.

Dann zog sich der Hexenkönig den Ring über den Finger.

Der Wind heulte auf. Schneemassen wurden durch die Luft gewirbelt und tanzten über die Lichtung, bis eine Welle aus weißem Feuer vom Herrn der Nazgûl ausging und den Schnee im Umkreis verdampfen ließ. Die Bäume am Rande der Lichtung wurden schwarz verkohlt.

Sofort  spürte er die Anwesenheit der Geister des Waldes. Er konnte ihre Gedanken sehen, Erinnerungen an ihre Zeit als Menschen, und dann die Dunkelheit, die sie zu dem machte, was sie waren. Wie ein endloses Echo hallte ein Name in seinem unsterblichen Geist: Morrûth...
Aber sie interessierten ihn wenig. Er ließ ihre Gedanken im Hintergrund verschwinden, und einer nach dem anderen konnte er SIE spüren, deren Gedanken sich mit seinen vereinten.

Der erste war Akhôrahil, der seinen Ring bereits trug. Der Blinde Hexer von Númenor, der sein Augenlicht schon im Leben verloren hatte, und der freiwillig zu Annatar gekommen war, obwohl er als einziger der Acht ahnte, was geschehen würde. Er hatte als Khamûls Statthalter in Dol Guldur geherrscht, vor langen Jahren. Nun würde er Herr von Moria sein.

Ji Indûr, die schwarze Schlange, war der Zweite. Der alte König von Harad, den die Unsterblichkeit und neue Kraft mit der Klinge gelockt hatten. Er hatte den Ring als Letzter getragen, doch er war schneller dessen Macht gefolgt als alle anderen außer Khamûl, und so war er der dritte Nazgûl geworden.

Als nächster setzte Angamarth den Ring auf, der größte Krieger der Menschen von Angmar. Warum er den Ring genommen hatte, wusste Sauron allein. Als einziger der acht war er mit ihm nach Angmar gegangen, und in der Schlacht von Fornost hätte er den Elbenfürsten Glorfindel beinahe getötet. Doch der Abschaum hatte gesiegt, und für lange Zeit war Angamarth nur ein Schatten gewesen, bis er neue Gestalt annehmen konnte.

Es folgten Adûnaphel, der stumme Schatten, einst Heerführer von Tar-Ciryatan; und Hoarmûrath, Wächter von Nurn. Lange hatte er sich der Macht von Barad-dûr widersetzt, doch schließlich war der Herr von Mordor ihm in Verkleidung erschienen, und wie alle anderen hatte er der Verlockung nicht standhalten können.

Ein großer Schmerz legte sich über das gemeinsame Bewusstsein der sechs Nazgûl, als Ren den Ring überstreifte, der mächtigste Fürst von Khand, den der dunkle Herrscher verflucht hatte, ewig zu leiden für seinen Verrat, nachdem er den Ring genommen hatte.
Ûvatha, sein Bruder, der schnellste Reiter des Ostens, hatte ihn aufgehalten, und sein Lohn war der sechste Ring gewesen.

Khamûl setzte seinen Ring zuletzt auf, einst goldener König von Rhûn, später der schwarze Schatten aus Dol Guldur, der gewaltigste Herrscher unter den Menschen außer Ar-Pharazôn selbst.

Für einen Moment verschmolzen alle Neun zu einem einzigen Bewusstsein, als sie zum ersten Mal nach ihrem Aufstieg zur Unsterblichkeit ihre Ringe trugen. Dann erteilte der Hexenkönig seine Befehle. Lange hatte er den Plan geschmiedet, und nun war der Hammer bereit, alle Feinde des Höchsten Herrn zu zermalmen. Kaum waren alle Anweisungen erfolgt, beendete der Herr der Nazgûl seinen Zauber.

Auf der Lichtung, wo unter geschmolzenem Schnee das Fundament einer Turmruine schwach zu erkennen war, stand allein der König von Angmar, einen goldenen Ring am Finger, und als er seine Kapuze zurückschlug, strahlte der blaue Edelstein seiner Krone so kalt wie die Augen in seinem unsichtbaren Antlitz.
« Letzte Änderung: 10. Dez 2019, 18:28 von Only True Witchking »
“In rode the Lord of the Nazgûl. A great black shape against the fires beyond he loomed up, grown to a vast menace of despair. In rode the Lord of the Nazgûl, under the archway that no enemy ever yet had passed, and all fled before his face."

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Re: Die Rückkehr der Nazgul
« Antwort #10 am: 31. Dez 2019, 04:18 »
Kapitel 10: Castamir
16. Mai 1396, V.Z.

Vier Tage lang waren sie in Calenost geblieben. Dann war ein Bote von Castamir eingetroffen. Er hatte Neuigkeiten erfahren über die Haradrim, doch er wollte diese mit Hirluin selbst besprechen.
Telemnar hatte allerdings entschieden, dass er anstatt dem Fürsten Ithiliens gehen würde, denn dieser war vollauf damit beschäftigt, eine schlagkräftige Streitmacht aufzustellen.

Noch gab es keine Anzeichen, dass die Banditen aus Harad einen größeren Angriff planten, aber einmal hatten sie ein entlegenes Gehöft überfallen, und es gab Berichte von Wegelagerei und Plünderungen auf den Straßen. Um auf alles vorbereitet zu sein, ließ Hirluin die Palisade Calenosts ausbessern, und die Stadtwache war auf doppelte Stärke angewachsen.

Die Koordination dieser Vorgänge benötigte die gesamte Aufmerksamkeit des Fürsten, deshalb war er durchaus erfreut gewesen zu erfahren, dass Telemnar seinen Platz einzunehmen wünschte.
Er hatte allerdings darauf bestanden, dass Eldacar und zwei Dutzend Waldläufer den Erben Dol Amroths begleiteten, zusätzlich zu dessen Leibwachen.

Deshalb ritt jetzt ein fast fünfzig Mann starker Trupp Soldaten auf die Festung Annon-en-lum zu, wo sie von Fürst Castamir von Mordor empfangen werden sollten.
Das Schattentor war ein beeindruckendes Bauwerk, selbst verglichen mit den Vesten Dol Amroths oder Minas Tiriths.
Schon die Position auf dem östlichen Felsvorsprung im Rachen von Udûn war ehrfurchtgebietend, denn dort wuchs die Festung aus dem glatten Fels eines großen Hügels empor. Nur ein einziger schmaler Grat bot Zugang zum wehrhaften Torhaus, und die Silhouetten der Ered Lithui im Morgenlicht bildeten einen majestätischen Hintergrund.

Nun fielen die Blicke aller Betrachter unweigerlich auf die Festungsanlage selbst: Der Wall aus Aschgrauen Steinen ragte fast zwanzig Schritt in die Höhe und an allen sechs Ecken der hexagonalen Ringmauer stand je ein runder Turm, dessen Dachspitze sich fünfzig Schritt über dem Boden erhob. Doch der eindrucksvollste Teil der Anlage war zweifellos das Herzstück: Die graue Garnison, ein sternförmiges, vierzig Schritt hohes Bollwerk, in dessen Mitte sich der Lange Zahn befand, ein quadratischer Turm von doppelter Höhe. Auf der Spitze seines Daches wehte die Fahne von Mordor, ein silbernes Auge im schwarzen Feld vor einem weißen Hintergrund.
Langsam näherte sich die Gruppe dem Zugang zum Tor, als dessen schwarz-silberne Flügel aus Eichenholz, Stahl und Wahrsilber begannen, sich langsam und knarrend zu öffnen. Zeitgleich erschallte ein helles Horn, laut durchbrach es die Stille des Morgens.  Telemnar hob die Hand, woraufhin die Reiter ihre Pferde zügelten. Eldacar, Bergil und Aranwe ritten neben den Fürsten, gemeinsam warteten sie.
Bald war das Tor gänzlich geöffnet, und heraus preschte eine Gesandtschaft von einem Dutzend Reiter. Sie waren in Kettenhemden und graue Wappenröcke gekleidet, auf ihren Häuptern blitzten runde Helme. Einer von ihnen trug die Flagge von Mordor, ein weiterer eine graue Standarte mit dem Auge in Weiß, diese stand für Udûn.
Allen woraus war ein Mann auf einem schwarzen Streitross. Er selber war kleiner als die meisten Männer, doch er hielt sich Kerzengerade im Sattel, um seine Schultern flatterte ein schwarzer Umhang, und sein langes Haar in der gleichen Farbe wehte hinter ihm im Wind. An seiner Seite hing ein Schwert, doch er trug keine Rüstung und keinen Schild. Seine Brust wurde nur von einem einfachen weißen Überwurf bedeckt.

Dieser Mann war Castamir von Mordor, einer der mächtigsten Fürsten des Reiches, und bei weitem der berühmteste. Er galt als gefährlicher Kämpfer, gerechter Herrscher und erfolgreicher Heerführer, denn er hatte es endlich geschafft, die letzten Orks aus dem Morgai zu vertreiben.

Erst wenige Schritte vor Telemnar verlangsamte Castamir seinen Ritt, dann zügelte er hart sein Pferd. „Seid gegrüßt, Telemnar, Prinz von Dol Amroth!“ rief er der Gruppe entgegen, während sein Gefolge zu ihm aufschloss. „Seid ebenfalls gegrüßt, Castamir, Fürst von Mordor!“ gab Telemnar belustigt die förmliche Anrede zurück. „Ich nehme an, ihr seid hier an Stelle von Hirluin?“ fragte der Herr des schwarzen Landes. „So ist es“, antwortete Telemnar, „doch weshalb kommt ihr uns entgegengeritten? Wollt ihr uns nicht in eure Festung einlassen?“
Schlagartig wurde Castamir ernst. „Ich muss euch etwas zeigen, das keinen Aufschub duldet. Ich weiß, ihr seid sicherlich müde, aber das spielt keine Rolle. Vor einer Stunde haben einige meiner Männer etwas entdeckt, und ich will wissen, was ihr darüber denkt. Euer Gefolge kann sich bereits in die Veste begeben.“
Telemnar befahl Aranwe, ihm zu folgen, auch Eldacar schloss sich an. Der Rest brach auf zur Festung, begleitet von der Hälfte der Reiter aus Mordor. Die anderen folgten ihrem Herrn, darunter der Bannerträger Udûns.

Castamir führte den kleinen Trupp nach Nordosten, zur Spitze des östlichen Ausläufers der Ered Lithui. Aranwe nutzte unterdessen den Ritt, um sich den Fürsten genauer zu betrachten. Er hatte ihn schon manchmal gesehen, allerdings nur von weitem, als einfacher Leibwächter. Castamir hatte ein hartes Gesicht, aus dem helle, blaue Augen blitzten. Er trug einen akkurat gestutzten, schwarzen Bart, der allerdings die lange Narbe auf seiner rechten Wange nicht völlig verbarg.
Es hieß, als Castamir noch ein Junge von sechzehn Jahren gewesen war, sei er zusammen mit seinem Vater Denethor in einen Hinterhalt von Wegelagerern geraten. Gemeinsam hatten sich Vater und Sohn herausgekämpft, und während Denethor bald darauf an seinen Wunden gestorben war, hatte Castamir nur einen Schnitt an der Wange hinnehmen müssen.

Diese Erzählung war die Grundlage für die meisten Gerüchte, die sich um den Fürsten Mordors rankten: Er habe einmal einen Warg mit bloßen Händen getötet, er könne sieben Männer alleine überwältigen, sein Schwert sei eine Elbenklinge. Aranwe glaubte nichts davon, doch es war nicht abzustreiten, dass Castamir ein stolzer und mächtiger Fürst war, der es gewohnt war, zu befehlen und zu herrschen.

Als die Reiter am Fuß der Berge angekommen war, steigen sie ab. Der Bannerträger führte sie zu einer Felsformation, hinter der sich eine flache Senke befand. Ein Blick hinein hätte Aranwe fast den Magen umgedreht,  auch wenn er schon so viele Kämpfe erlebt hatte.
Dort in der Senke lag ein Krieger in der grauen Rüstung von Mordor, die sich tiefrot verfärbt hatte. Sein Schädel war zur Hälfte abgerissen, und in seiner Brust klaffte mittig ein blutiges Loch. Er umklammerte noch seinen Speer, doch die Spitze war abgebrochen und lag neben ihm. Sein rechter Arm war über dem Ellbogen abgetrennt worden.

Telemnar trat näher heran, aber Castamir hielt ihn zurück. „Das ist wahrlich kein Anblick, den ihr sehen wollt. Wir haben ihn bereits untersucht, und – wie war das noch genau?“ wandte er sich an seinen Bannerträger.
„Das ist Ingmar, ein Grenzwächter“, führte dieser aus. „ Heute Nacht war er auf Patrouille, allerdings am westlichen Ausläufer. Er ist in den frühen Morgenstunden gestorben. Es lassen sich auf dem Fels keine Spuren finden. Sein Kopf und seine Brust sehen aus, als hätte ihn ein Eber angefallen. Aber der Arm wurde eindeutig mit einem Schwert abgetrennt. Bisher kann sich keiner erklären, was geschehen ist – von einem Manneber hat ja wohl noch niemand gehört.“

Castamir ergriff wieder das Wort. „Allerdings berichtete Voron, der eigentlich hier Wache stand, dass er drei Stunden nach Mitternacht das Heulen eines Wolfes hörte, ganz hier in der Nähe. Das hilft uns aber auch nicht weiter... Ein Eber der ein Schwert führt, und mit der Stimme eines Wolfs heult? Was ein Unsinn. Ich denke, hier steckt ein Mensch dahinter, der versucht, uns einen Schrecken einzujagen. Mein Verdacht sind die Haradrim – aber wie sie so etwas zustande bringen würden, und warum, das kann ich nicht sagen.“

Für eine Weile blieben alle stumm. Dann sprach Telemnar: „Auch ich kann euch nicht weiterhelfen. Doch es gibt keinen Grund mehr, diesen Mann unbegraben in der Wildnis liegen zu lassen, jetzt da ich ihn gesehen habe.“ „Allerdings“, nickte Castamir, und zwei seiner Soldaten hoben vorsichtig die mutilierte Leiche auf und trugen sie zu den Pferden.
Auf einmal stutzte Eldacar. Er trat an die blutbespritzten Felsen, dorthin wo der Wächter gelegen hatte. „Das bringt uns der Lösung vielleicht näher!“ rief er schließlich aus. Vom Boden hob er einen kleinen, grauen Fetzen. „Nur ein Stück Wappenrock“, meinte Aranwe enttäuscht. „Nein!“ entgegnete der Waldläufer, „das ist ein Stück Fell! Und zwar eindeutig Wolfsfell!“

„Kein Wolf hat Zähne, die solche Wunden reißen können“, widersprach Castamir. „Nur die Hauer eines großen Keilers könnten dafür ausreichen.“ „Dennoch ist das hier Wolfsfell, so wahr ich seit fünfzehn Jahren Waldläufer bin“, beharrte Eldacar. „Überhaupt denke auch ich nicht, das hier nur ein wildes Tier am Werk gewesen sein kann – wie erklärt ihr euch ansonsten den Schwerthieb?“
Das erschien Aranwe einleuchtend, und auch Castamir nickte langsam. „Ihr habt Recht. Anstatt über Tiere zu streiten, sollten wir lieber über den Mensch nachdenken, der hinter dieser Tat steckt.“

Dabei warf er einen scharfen Blick nach Westen, Richtung Ithilien, was Aranwe nicht entging. Offenbar verdächtigte Castamir immer noch die Plünderer aus Harad, und auch Aranwe hätte das gedacht. Aber zum einen hatten diese keinen Grund, einen einzelnen Grenzwächter zu erschlagen, dann aber nichts weiter zu tun, zum anderen hatte er in Dol Amroth schon häufiger Geschichten von den Wargen gehört – schrecklichen Wölfen aus alter Zeit, groß wie Ponys, mit Augen wie glühenden Kohlen, und mit Zähnen lang wie Wildschweinhauer.

                         
   *************************************************

Lunthák kochte vor Wut und Schmerz. Sein gesamter Körper schien zerbrochen, es war nur dem geschwärzten Silber der Zwerge geschuldet, dass er nicht einfach vernichtet worden war. Als er aufgewacht war, war niemand anderes in der Halle gewesen, er selber hatte auf dem Boden gelegen, und sein Thron war fort. Ihm war sofort klar gewesen, dass er verloren hatte – der Abschaum würde dem Stärksten folgen, und dieser stand zweifellos fest. Für den Moment.

Zu entkommen war leichter als gedacht, er hatte nur einmal drei Snaga-Maden umbringen müssen, dann war er durch einen geheimen Ausgang ins Gebirge geklettert. Einem von ihnen hatte er ein Schwert abgenommen, das er eher als Dolch benutzen musste.
Jetzt stand er auf dem Gebirgsweg nach Norden, wo der große Berg ihn erwartete. Dort kämpften die Orks immer noch mit den Zwergen, wenn er Verstärkung irgendwo finden sollte, dann in Gundabad.
Doch etwas hielt ihn davon ab. Da war ein Ruf in ihm, der ihn nach Osten zog, ein schwarzer Arm, der an ihm zerrte. Er hatte kaum eine Wahl, als ihm zu folgen, doch was würde er finden?
Es schien, als riefe etwas aus alter Zeit nach ihm, etwas, dass er Herr nennen müsste. Doch er wollte niemandem dienen. Er wollte selber Herrschen, selber der Mächtigste sein.

Während er noch unschlüssig dastand, hörte er hinter sich einen Stein zu Boden fallen. Blitzschnell wandte er sich um. Dort kletterte ein gewaltiger Wolf langsam einen Felsen herab, während zwei weitere Warge noch oben warteten. Mit einem schnellen Rundumblick erkannte Lunthák die Situation. Sieben Warge hatten ihn umzingelt, bereit ihn zu attackieren, doch sie warteten darauf, dass ihr Anführer angriff, der jetzt langsam näher trat.

„Verschwinde, Korgaîsth!“ zischte Lunthák ihm in der schwarzen Sprache zu. „Ich bin keine Beute. Zwergenstahl kannst du nicht fressen. Verschwinde!“ Der Warg verharrte. Dann fauchte er in seiner eigenen Sprache, die zu verstehen nur den ältesten Orks und manchen anderen mächtigen gegeben war: „Made. Gefällt, gestürzt, kein Herrscher mehr. Beute!“ Schon setzte er sich wieder in Bewegung.

Lunthák packte sein Kurzschwert mit aller Kraft. Er verspürte keine Furcht, seine Rüstung würde ihn auch diesmal schützen. Er verspürte nur den Wunsch, zu töten und warmes Blut zu trinken.
Hätte der Wolf das dunkle Funkeln in den Raubtierähnlichen Augen des Ork-Hünen sehen und verstehen können, hätte er vielleicht gezögert. Stattdessen machte er sich bereit – und sprang.
Wenig später rannte ein Warg aus dem Nebelgebirge nach Osten. Auf seinem Rücken saß, beide Hände in das Nackenfell der Kreatur gekrallt, eine riesige Gestalt in schwarzer Rüstung.

Sindarin:
Annon-en-lum = Tor des Schattens

Sprache der Orks:
Korgaîsth = Warg (ursprünglich Werwolf)
« Letzte Änderung: 31. Dez 2019, 04:29 von Only True Witchking »
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Re: Die Rückkehr der Nazgul
« Antwort #11 am: 25. Aug 2020, 18:16 »
Wird voraussichtlich nicht fortgesetzt.
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