In der Taverne des südlichen Turms war es laut und Rauch hing in dicken Schwaden an der Decke. Viele der Gäste hatten ihre Pfeifen angesteckt und bließen grau-bläuliche Ringe in die Luft. Als Aglarân mit Iva und dem Kerl eintraten, verstummten einige Gespräche, doch die Anwesenheits des ehemaligen Söldners schien die meisten Leute zu beruhigen. Anscheinend ist doch etwas an seiner Geschichte wahr, dachte sich Aglarân und nahm gemeinsam mit seinen zwei Begleitern an einem der runden Tische Platz. Eine verschwitzte, aber doch freundlich drein blickende Bediedung trat zu ihnen und begrüßte sie auf verschiedenen Sprachen, darunter auch die Allgemeinsprache des Westens. Sie kümmerte sich nicht um das ungewöhnliche Aussehens Aglarâns, auch wenn einige der Gäste unsicher zu ihm blickten. Der Kerl mit dem Schnäuzer bestellte auf einer unbekannten Sprache.
Iva unterhielt sich mit ihm eine ganze Weile mit ihrem alten Weggefährten, während Aglarân gelangweilt umherblickte. Die Schänke war aus einem dunklen Holz gefertigt, selbst die Einrichtung und lies alles ein wenig düster erscheinen. Der kratzende Rauch in der Luft tat sein übriges um die Spelunke schäbig wirken zu lassen. Durch Aglarâns Rüstung traute sich aber niemand ein Wort an ihn zu richten. Als es um Ivas Heimat bei dem Gespräch der beiden Söldner ging, horchte er auf.
"Weißt du, was mit den anderen aus unserer Gruppe geschehen ist?", fragte der Mann mit dem Schnäuzer mit plötzlichen ernst. Die heitere Stimmung war rasch verflogen.
Iva zupfte ihr Halstuch gerade und schien nicht darüber reden zu wollen, rang sich aber dann doch durch und antwortete: "Bis auf vielleicht zehn Mitglieder sind alle umgekommen."
"Es war eine dämliche Idee sich mit den Elben anzulegen", gab der Mann zu, "Wie verblendet wir damals waren..."
"Kimyan, du hast nur versucht zu überleben", wandte Iva sanft ein. Sie schien sehr nachdenklich und versank in Schweigen. Irgendwo in der Taverne grölte eine Gruppe Männer und rief nach mehr Bier. Obwohl die Lärmkulisse ihn anstrengte, fiel ihm eine Besprechung ein. Damals war er noch in Mordor regelmäßig bei den Treffen der Heerführer dabei gewesen. Varakhôr hatte nie auf seine Wachen verzichtet, was ihm das erste Mal hilfreich erschien.
Aglarân musste sich Gewissheit verschaffen und klingte sich in das Gespräch ein: "Waren es Söldner gewesen, die damals kürzlich der Expedition beigetreten waren und dann rebellierten?" Seine Frage stellte er leise und eindringlich, doch Iva blickte sofort auf. Ihre Augen sprühten vor Zorn und bedeutete ihm mit warnenden Blicken nicht weiterzusprechen. Kimyan dagegen fixierte ihn, seine mandelförmigen Augen verengten sich. Misstrauisch fragte der Kerl, woher er das wüsste, seine braunen Augen schienen Blitze zu schießen.
Aglarân blieb ganz gelassen, obwohl im klar war, dass er sich gerade sehr verdächtig benahm. "Sagen wir, ich bin eine Zeit lang einen falschen Weg gegangen", begann er mit gewohnt kühler Stimme, "Dort gab es Pläne über sogenannte
Szaga, eine Truppe von fremdländischen Unruhestiftern, denen eine Menge Wertgegenstände geboten wurde. Diese sollte dann Unfrieden in einem Land bringen und es gegen die herrschende Klasse aufhetzen. Allerdings waren diese Leute zu unzuverlässig und die Pläne wurden fallen gelassen."
Als er mit seiner Erklärung endete waren die Gesichter seiner Zuhörer schwer zu deuten, denn Iva schien nachdenklich, Kimyan dagegen noch immer zornig, doch wie sich sogleich herausstellte nicht gegen ihn.
"Also haben deine ehemaligen Herren ihren Plan doch noch durchgezogen", stellte der ehemalige Söldner nüchtern fest und nahm danken einen Krug Bier entgegen, "Ich schätze, du hattest keine Möglichkeit dadran etwas zu ändern."
Aglarân schüttelte den Kopf und beobachtete die braunhaarige Bedienung, die ihnen jeweils einen dampfenden Teller mit Suppe auf den Tisch stellte. Zu seiner Überraschung war das Besteck aus hochwertigen Metall und die Schalen aus schlichter, doch gut gefertigter Keramik. In dem Teller befand sich eine reichhaltige Mahlzeit aus allerlei Grünzeug, viel Fleischstückchen und Gewürzen.
"Das Hausgericht, das Beste was wir zu bieten haben", sagte die braunhaarige Frau mit schweren Akzent und stellte Aglarân einen Krug Bier hin. Sie lächelte noch einmal und veschwand in der Küche.
Iva sagte nach einer langen Pause schließlich, dass sie den plötzlichen Umbruch in ihren Heimatland schon immer merkwürdig fand. Kimyan pflichtete ihr bei, während sie begannen die Suppe zu verspeisen. Aglarân zögerte, nahm jedoch seinen Helm ab und stellte ihn neben den Teller auf den Tisch. Dabei achtete er, dass der Rosshaarschmuck nicht in das Essen geriet. Einige Blicke richteten sich auf ihn, doch seine düstere Erscheinung und die vielen Narben im Gesicht ließ die allgemeine Neugierde verfliegen. Trotzdem etwas unwohl widmete er sich seiner Mahlzeit, die erstaunlich gut schmeckte. Vielleicht ein wenig zu würzig für seinen Geschmack, doch war es eine riesige Portion und sehr nahrhaft. Mit großen Appettit aß er weiter, ließ jedoch nie seine Aufmerksamkeit fallen.
Umgeben von Fremden war es nicht ganz einfach, doch Aglarân konnte sich ein wenig entspannen. Die Lautstärke war unverändert und als sie das Mahl beendeten, blieben sie noch eine Weile sitzen. Er hörte zu, wie Iva und Kimyan über belanglosere Dinge sprachen als ihre verlorene Heimat. Ganz verstand Aglarân auch nicht, warum sie über so unzusammenhängende Dinge sprachen wie das Wetter und dass ein paar Wilde in Kushan ziemliche Unruhe verbreiteten. Auf eine Frage Ivas hin, ob er was darüber wüsste, schüttelte er nur den Kopf, ansonsten hielt er sich aus der Unterhaltung heraus.
Die Zeit verging und es war Abend geworden, die Taverne war ein wenig leerer, doch blieben. Schließlich fragte Iva, ob sie mit Aglarân einen Moment alleine sprechen konnte. Kimyan war bereits leicht angetrunken und wedelte verstehend mit der Hand, sodass er zustimmend nickte. Seine schwarze Rüstung hatte leichte Dellen auf dem Holz hinterlassen, wie Aglarân feststellte, als er sich erhob. Gemeinsam mit Iva ging er durch die Tür der Taverne in dem Turm und trat hinaus in die Nacht. Die Luft war kühl und feucht, Fackeln erleuchteten die Brücke von Kushan. Bevor Iva den Mund aufmachen konnte, kam Aglarân ihr zuvor und eröffnete das Gespräch: "Du möchtest gerne hierbleiben und später in deine alte Heimat aufbrechen."
Iva, die sich vorher das Halstuch herabgezogen hatte, lächelte zurückhaltend und senkte den Blick. "Eigentlich wollte ich dich noch eine Weile begleiten aber...", sie verstummte und blickte zurück auf die Tür der Taverne, "Ich muss mit Kimyan herausfinden was damals in unserer Heimat geschah. Damals waren wir nur auf den Schiffen und wir hörten nur aus den Erzählungen was in den Städten geschehen war."
Aglarân nickte verstehend und rang sich sogar dazu durch, ihr eine Hand auf die Schulter zu legen. Sichtlich überrascht von der Geste starrte Iva ihn an. Es dauerte einen Moment, bis sie ihre Sprache wiederfand.
"Eigentlich halte ich das, was ich sage auch ein aber - "
"Es ist in Ordnung", unterbrach Aglarân sie und drückte noch einmal ihre Schulter, "Es geht um deine Heimat, ich werde schon zurecht kommen."
Er zog seinen Arm zurück und öffnete die Türe zur Taverne. Ihm stand nicht der Sinn danach die Verabschiedung lange hinauszuzögern. Iva folgten ihm ein Stück versetzt, als sie zum Tisch gingen. Kimyan kam ihnen entgegen.
"Ich werde eine Boot für Euch besorgen", sagte er leicht lallend und nickte zu Iva, "Weil sie es ist und zur Feier, dass meine alte Weggefährting noch am Leben ist."
Aglarân bedankte sich und schnappte sich seinen Helm vom Tisch, sogleich erklärte Iva, dass sie die Rechnung übernahm. Er wusste sofort, dass eigentlich Kimyan bezahlen würde, sagte aber nichts. Er hatte so oder kein Geld dabei, geschweige denn die passende Währung. Iva stützte Kimyan, während Aglarân die Tür öffnete und hinaus trat. Der leicht angetrunkene Mann zog einen Zettel aus seiner Tasche und drückte das Papier Iva in die Hand. "Der Mann den Fluss hinab schuldet mir noch einen Gefallen, du kennst dich ja bisschen aus. Ich werd' mich in der Wachstube hinlegen."
Kimyan nickte zum Abschied und ging über die Brücke davon, Iva winkte ihm noch. Sogleich machten sie sich auf den Weg, verließen die Brücke am Südufer und folgten dem Flusslauf nach Westen. Auf dem Weg sprachen sie nicht, sondern lauschten dem Rauschen des Wassers.
"Vielleicht sehen wir uns nochmal", sagte Iva nach einer langen Stille, während sie an einem kleinen Strand entlangliefen.
"Besimmt", bestätigte Aglarân und stellte fest, dass er sich an ihre Anwesenheit gewöhnt hatte, "Nun wird es wieder etwas stiller."
Iva machte einen zustimmenden Ton und wirkte etwas betrübt, sagte jedoch nichts weiter. Aglarâns Blick fiel auf die Katze in dem Beutel. Das Tier hatte er fast vergessen, denn die letzten Wochen war er mit den Gedanken immer woanders gewesen. Iva hatte sich hauptsächlich darum gekümmert. Als er sagte, dass sie die Katze behalten könnte, dachte sie eine Weile nach, nickte aber dann langsam. "Sie ist eigentlich zu dir gekommen nicht wahr?", auf sein Nicken hin lächelte sie, "Vielleicht will sie bei dir bleiben?"
Aglarân verneinte und erklärte, dass der Süden wohl zu heiß für sie sein würde und er nicht ständig auf das Tier aufpassen konnte.
"Du sorgst sich um sie...", Ivas Lächeln wurde eine Spur herzlicher, "Gut, ich werde gut auf sie Acht geben."
Er brummte zustimmend und deutete auf ein Fischerhaus mit einem langen Steg, an dem drei Boote lagen. Eine Gestalt mit einer Fackel lungerte auf einem de Boote herum. "Ich denke, das ist der Kerl, den wir suchen."
Iva beschleunigte ihre Schritte und er überließ ihr das Sprechen. Aglarân hielt sich außerhalb der Reichweite der Fackel auf und trat erst dazu, als seine Begleiterin ihn zu sich winkte. Der Fischer, ein Mann mit sehniger Statur erschrack bei seinem Anblick, doch deutete eingeschüchtert auf ein Boot. Es war nicht sonderlich groß, sollte ihn aber zu seinem Ziel tragen.
Aglarân holte nach grobe Informationen aus den zitterenden Mann heraus, wie man das Bott bediente. Als das erledigt war, verschwand der Fischer rasch und ließ die beiden am Steg alleine.
"Ich denke, dass es nun Zeit ist um Lebewohl zu sagen... ", begann Iva und lächelte, "Ich hoffe, dass du dein Ziel finden und erreichen wirst, was auch immer es ist."
Algarân nickte und schlug in die Hand ein, die sie ihm darbot. "Danke, das Gleiche auch für dich. Viel Glück auf deinen Weg, den du mir nie erläutert hast."
Iva lachte leise und selbst ihm schlich sich ein Schmunzeln auf die Lippen, das sofort aber wieder verschwand. "Nun, die Eiswächter - so hießen die eisigen Gestalten - haben mir ein paar Dinge klar werden lassen. Genauer kann ich es nicht erklären", sagte die Söldnerin nachdenklich und schien kurz nachzudenken.
"Es ist in Ordnung. Hauptsache ist, dass du deinen Weg kennst und ihn mutig begehst", ermunterte Aglarân sie und brachte die protestierende Stimme in seinem Kopf zum Schweigen. Er wollte nicht ständig Andere von sich stoßen und Iva hatte eine bessere Behandlung verdient.
Schließlich betrat er das schwankende Boot und versuchte sich zurecht zu finden. Nach ein paar Momenten und einigen Tests hatte er den Dreh raus und Iva half ihm abzulegen. Sie winkte ihm, als er mit dem Boot hinaus in die Nacht glitt. Nach und nach verschwamm ihre Gestalt, die vom Fackelschein beleuchtet wurde. Er zögerte, zog sich jedoch einen Panzerhandschuh aus und stieß einen gellenden Pfiff aus. Nach einem kurzen Moment der Stille ertönte das gleiche Geräusch von dem Steg. Nun, da er alleine war lächelte er und fühlte sich das erste Mal in seinem Leben wirklich frei. Sein Blick ging über seine Schulter nach Süden, während er weiter ruderte. Was ihn dort erwartete, stand in den Sternen geschrieben, doch er war bereit dafür.
Aglarân nach Eryan