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Autor Thema: Taurannor  (Gelesen 2654 mal)

Thorondor the Eagle

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Taurannor
« am: 12. Apr 2020, 20:12 »
Taurannor ist das Gebiet, dass südlich an das Tal von Dalvarinan grenzt. Es steht zum größten Teil unter dem Einfluss der Kinn-Lai. Die Wälder dort sind mäßig dicht, und immer wieder von größeren Lichtungen unterbrochen, die wie Inseln inmitten eines Meeres aus Bäumen wirken.
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Thorondor the Eagle

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Voreingenommenheit
« Antwort #1 am: 12. Apr 2020, 20:14 »
Caelîf, Náriel, Melvendë und Alcôr aus dem Tal von Dalvarinan

Gibt es jemanden der dir wichtig ist? Die Frage die Melvendë ihm gestellt hatte geisterte durch seinen Kopf. Er wusste natürlich worauf sie hinaus wollte, aber zum ersten Mal hatte er sich mehr oder weniger absichtlich in die Naivität geflüchtet die ihm alle immer unterstellten und er hoffte, dass sie die Wahrheit nicht erkannt hatte.
Tatsächlich gab es in den vergangenen Jahrzehnten genug Elbinnen die Caelîf schöne Augen machten, aber für keine von ihnen hatte er mehr empfunden. Oder vielleicht war es einfach nur die Neugier, da es außerhalb seines gewohnten Lebens und dem Leben, das seine Eltern für ihn vorgesehen hatten, mehr gab. Die meiste Zeit dachte er nicht daran, aber wenn er Bücher las in denen die Liebe eine große Rolle spielte, da hatte er Sehnsucht nach solch einem Gefühl und solch einer Vertrautheit.

Im Gedanken vertieft, starrte er vom Eingang seines Zeltes wo er saß zu der Feuerstelle, an der sich die anderen vergnügt unterhielten. Sie waren bis weit nach der Dämmerung marschiert und solange sie unter freiem Himmel waren, war dies auch kein Problem, denn das Sternenlicht reichte als Beleuchtung für den Weg. Doch nun standen sie vor einer weiteren Passage durch den Wald und diese würden sie wohl erst am nächsten Morgen passieren können.
„Caelîf, komm doch herüber“, rief ihm Alcôr zu, der sich bereits unmittelbar neben die junge Nariel gesetzt hatte. Caelîf verstand nicht, was er an ihr fand. Sie wirkte sehr besserwisserisch und unruhig. Vielleicht gefiel ihm diese leicht herrische Art die sie heute den ganzen Tag über hatte.
„Dein Freund sollte wirklich lieber…“, als ihre Stimme erklang, schweifte Caelîf im Gedanken ab. Er schaute zum Waldrand der Lichtung, wo hunderte kleiner Lichtpunkte wirr umherschwirrten. Zunächst dachte der Elb, dass es sich um Glühwürmchen handeln musste, doch in dieser Jahreszeit gab es keine Insekten.
Er erhob sich und ging ein paar Schritte in das Dunkel der Nacht. Der Schein des Feuers warf lange Schatten auf das durch die Kälte zusammengefallene Gras auf der Lichtung. Es knirschte ein wenig unter seinen Sohlen. Herrin der Quelle, was habt ihr nur mit mir gemacht. Bis jetzt waren es für mich eher Tagträume oder gar Einbildungen, aber sind sie das? Sind diese zahlreichen Erscheinungen echt? Sind es die Helfer der Valar? Hüter des Waldes die zurückgeblieben sind? Meister Rástor hatte davon erzählt. Der Elb verengte seine Augen um so ein deutlicheres Bild zu bekommen, aber es half nicht.

„Jetzt komm schon Caelîf“, hörte er wieder die Stimme seines Begleiters und diesmal folgte er ihr.
Der Erstgeborene fragte höflich, ob er sich neben Melvendë setzen durfte und diese bejahte unverzüglich. Sie reichten ihm einen Becher mit einem süßen Getränk, dass dem Nisyold aus Nurthenar sehr ähnlich war.
„Nariel erzählt gerade eine interessante Geschichte“, klärte ihn seine liebgewonnene Begleiterin auf „von einem Geist der hier in den Wäldern lebt. Er schützt den Wald vor jeglicher Bedrohung und bestraft jeden der ihn gegen seinen Willen betritt.“
„Bestrafen? Wie denn?“, fragte Caelîf mit unwohlem Gefühl.
Nariel ergriff das Wort: „Diese Frage ist wohl nicht so einfach zu beantworten. Man erzählt von einem Geist der seit jeher in diesem uralten Wald lebt. Er hegt und pflegt alles was lebt, denn seine Herrin hat es ihm aufgetragen. Die ersten Elben die hierherkamen – nichts wissend von seinem Auftrag – begannen damit ihre Häuser zu bauen und den Wald zu verändern. Aber dies ließ sich der Geist dieser Wälder nicht gefallen. In einer dunkeln, wolkenverhangenen Nacht suchte der Geist das Dorf der Elben auf. Er schlich sich zu ihnen während sie in der Stille ruhten. Nur der Hauch eines Schreies war zu vernehmen.“ Ihre Stimme wurde leiser bei diesem Teil der Geschichte „Und am nächsten Tag, als die ängstlichen Elben erwachten, war die Hälfte der Bewohner spurlos verschwunden. Sie fanden nicht einmal einen einzigen Fußabdruck in der Erde.“
„Und was ist dann Geschehen?“, fragte Caelîf.
„Dann zogen sich unsere Vorfahren in westliche Richtung zurück und errichteten dort die heiligen Stätten.“
„Und von den anderen habt ihr nie wieder etwas gehört?“
„Der Mythos sagt, dass aus den anderen die Kindi entstanden sind. Ein Volk, dass im Einklang mit dem Wald lebte“, antwortete sie in herabwürdigendem Tonfall „Feiglinge.“
Eine bedrückend Stille legte sich über die Runde.
„Was heißt Feiglinge?“, fragte nun Caelîf leicht empört und dachte an seine Freunde aus Awld-aronemer, „Was hat das damit zu tun?“
„Sie waren nicht bereit ihr Leben dem zu widmen, was unsere Vorfahren hinterlassen haben. Keiner von euch war das“, die Augen Nariel’s funkelten Caelîf an.
„Darum sind wir doch hier?“, entgegnet der Elb in fester Überzeugung seines Auftrages „Wir werden uns euch annehmen und eine Lösung finden.“
„Uns annehmen?“, zog die junge Elbe es ins lächerliche „Die letzten tausenden Jahres sind wir wohl sehr gut allein zurechtgekommen. Nur weil eure ach so geliebte Heimat nun von einem Drachen bedroht wird, seid ihr gewillt euch uns ‚anzunehmen‘?“
Caelîf sah hilflos in die Runde, doch keiner wollte Wort für ihn ergreifen.
Nariel setzte fort: „Dass euch die Kinn-lai helfen, solltet ihr besser anerkennen. Ansonsten ist es wohl das Beste, wenn du nachhause zurückkehrst in dein Nest und du, kleines Küken, dich dort bemuttern lässt.“
„Das ist doch…“
„Hört auf!“, beendete Melvendë mit lautem und bestimmtem Ton diesen Streit. Caelîf sah zu ihr hinüber. Ihr Brustkorb hob und senkte sich schnell. Sie presste die Augenlider zusammen. „Es ist genug.“
„Dem stimme ich zu“, hakte nun Alcôr mit einem verzweifelten Lächeln ein „Es hat keinen Sinn über diese alten Geschichten zu reden. Nicht wahr.“ Bei den letzten Worten wandte er sich wieder unverschämt lächelnd Nariel zu. Diese erwiderte den Blick nur kurz und tat ihn dann genervt ab.
Caelîf erhob sich, drehte sich zu Melvendë und ging in die Knie: „Ist alles in Ordnung mit dir?“, fragte er fürsorglich.
„Ja“, entgegnete sie „dieser Streit, unter Elben. Es war schon früher so. Aber es sollte nicht sein.“
„Wir sollten uns jetzt alle beruhigen und die hitzigen Gemüter etwas abkühlen lassen. Soll ich dich zu deinem Zelt bringen?“
„Danke“, antwortete sie und hängte sich bei ihm ein, als er wieder aufstand.
„Es wird keine einfache Reise werden, Caelîf.“
„Wie sich eben gezeigt hat“, bestätigte er „Wir sind wohl alle noch voreingenommen gegenüber dem anderen, wir müssen uns einander erst kennen und schätzen lernen.“
„Ich hoffe du hast recht.“
„Ruhe dich gut aus Melvendë, morgen geht es wieder weiter.“
Sie nickte nur und zog sich in ihr Zelt zurück.

Caelîf ging zu seiner Unterkunft und setzte sich wieder davor. Er wollte noch ein wenig frische Luft schnappen. Er beobachtete die Kinn-Lai wie sie das Feuer löschten und sich ebenfalls zurückzogen. Der junge Elb hörte bereits Alcôr im Zelt hinter sich. Lange noch starrte er in die Dunkelheit des Waldes, seine Gedanken verharrten bei den Vorwürfen Nariels.

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Eine ruhige Nacht
« Antwort #2 am: 12. Mai 2020, 20:10 »
Es war stockfinster, als Melvendë unsaft geweckt wurde. Sie öffnete die Augen und tastete reflexartig nach ihrer Klinge, die irgendwo neben ihrer einfachen Schlafstätte liegen musste. Doch da erkannte sie Nariel, die sich über sie beugte.
"Du bist dran," meinte die Kinn-lai und gähnte. Es war Schichtwechsel in der Nachtwache, und Melvendë hatte die vorletzte Schicht vor der Dämmerung erhalten. Rasch warf sie sich ihren grauen Umhang über und hob ihr Schwert auf.
"Also gut," sagt sie zu Nariel, welche sich wortlos zurückzog. Melvendë seufzte innerlich. Sie hoffte inständig, dass sowohl die kleine Reisegruppe als auch die Elben Palisors in ihrer Gesamtheit ihre Streitigkeiten und Differenzen bald überwinden würden. Zu viel stand auf dem Spiel, nun da der Sternendrache sie alle bedrohte.
Die letzte Glut des kleinen Lagerfeuers war längst erloschen. Nur noch ein sanfter Geruch von Rauch und Asche ging von den verkohlten Überresten des Feuers aus. Er weckte unangenehme Erinnerungen in Melvendë. Bilder von zerstörten Elbensiedlungen und rauchenden Trümmern huschten vor ihrem inneren Auge vorbei, doch sie unterdrückte sie mit einiger Mühe. Sie wollte jetzt nicht an die Vergangenheit erinnert werden.

Nachdenklich stocherte sie einige Zeit in der Asche herum, bis sie sich entschloss, einen Rundgang durch die Umgebung des kleinen Nachtlagers zu machen. Der Wald war hier längst nicht mehr so dicht wie im Tal von Dalvarinan, und zwischen den Bäumen konnten die Elbenaugen selbst bei Nacht so einiges erkennen. Tiere huschten immer wieder knackend durch das Unterholz in der Nähe und auch die Bäume trugen zur nächtlichen Geräuschkulisse bei. Äste und Zweige rauschten im sanften Nachtwind und hin und wieder war ein Knarren oder ein Knarzen zu hören.
Einem spontanen Einfall folgend beschloss Melvendë, auf einen Baum zu klettern. Als junge Elbin hatte sie einen Großteil ihrer Zeit in den Baumkronen verbracht, doch seit ihrer Rückkehr an die Gestade Mittelerdes hatte sie hauptsächlich in den steinernen Städten der Noldor gelebt. Es fühlte sich wie eine Rückkehr zu ihren Wurzeln an. Sie schob sich mit geübten Griffen an der groben Rinde einer breiten Buche hinauf, bis sie schließlich rittlings auf einem der obersten Äste sitzen blieb und wachsam in die Nacht hinaus spähte. Über Melvendë türmte sich der gewaltige Nachthimmel mit Mond und Sternen in seiner einzigartigen Schönheit auf und weckte eine weitere Erinnerung, die sie im Gegensatz zu den Bilder von Feuer und Asche nur zu gerne zuließ.

~~~

Melvendë schob die letzten Blätter der großen Baumkrone beiseite und reckte den Kopf hindurch. Endlich war sie ganz oben angekommen. "Ich kann die Sterne sehen, Vaicenya!" rief sie nach unten.
"Warte auf mich, meine Liebe," drang Vaicenyas Stimme von unten herauf. Es dauerte nicht lange, bis auch sie die Spitze des Baumes erreicht hatte. Gemeinsam bewunderten sie das Glitzern weit über ihnen.
"Ich hätte nicht gedacht, dass sie hier so anders aussehen," sagte Melvendë staunend.
"Wir haben viele Meilen von den Wassern des Erwachens zurückgelegt," meinte Vaicenya. "Die Sternenentzünderin hat hier, so weit östlich, ebenso viele Lichter an den Himmel gesetzt wie über unserem heimischen Firmament - nur eben nicht genau dieselben."
"Sie muss wirklich eine gewaltige Persönlichkeit sein," meinte Melvendë und konnte den Blick wie so oft nicht von den fernen Lichtern abwenden. "Ich wünschte, ich könnte sie eines Tages kennenlernen."
"Man sagt, dass sieben ihrer Dienerinnen von Zeit und Zeit durch diese Lande streifen," sagte Vaicenya. "Vielleicht gelingt es uns ja, einer dieser Sieben zu treffen."
"Das wäre wundervoll," erwiderte Melvendë.
Vaicenya drehte den Kopf, um in die entgegensetzte Richtung zu schauen. "Man sagt, dass... irgendwo dort, jenseits des Gebirges, ein so großes Gewässer liegt, das alle Seen und Flüsse um ein Vielfaches übertrifft. Die Elben, die dort leben, nennen es das Trennende Meer. Sie bauen Schiffe, um es zu befahren und den riesigen Wellen zu trotzen."
Melvendë blickte ihre Gefährtin neugierig an. "Warum erzählst du mir das?"
"Ich weiß es selbst nicht recht," erwiderte Vaicenya. "Ich staune gerade einfach nur darüber, wieviele Wunder uns diese Welt bietet."
"Wir werden sie uns eines nach dem anderen gemeinsam ansehen," versprach Melvendë gut gelaunt.
"Gemeinsam," wiederholte Vaicenya und nickte.


~~~

Es war eine vollkommen andere Zeit gewesen, als die Elben noch unbeschwert durch die wilden Wälder gestreift waren. Längst waren die Sterne nicht mehr das einzige Licht am Nachthimmel. Zwar war der Mond über Melvendës Kopf von dichten Wolken verhangen, doch selbst sein trübes Licht reichte aus, um die Sterne in den Hintergrund treten zu lassen. Und längst waren die Elbenvölker in alle Himmelsrichtungen verstreut und untereinander verstritten und uneins.
Es wird Zeit, dass sie verstehen, dass es bei unserer Mission um das Wohl aller geht, dachte die Hochelbin. Ich fürchte zwar, dass insbesondere die Kinn-Lai wenig Verständnis dafür aufbringen werden, so wie die junge Nariel sich verhält. Aber vielleicht werden sie uns wenigstens empfangen und zuhören. Sicherlich wird mich niemand der Lüge bezichtigen. Ich habe den Drachen gesehen und mit ihm gesprochen, daran besteht kein Zweifel.
Sie erschauerte als sie an ihre Begegnungen mit dem Sternendrachen Rúdhrokar dachte. Er war ein urtümliches Wesen aus der Alten Welt, ein von Morgoth geschaffenes Monstrum aus Tod und Feuer. Und doch besaß eine solche Kreatur einen scharfsinnigen Verstand und Hinterlist, sowie - am verwunderlichsten - einen Sinn für Schönheit, zumindest im Hinblick auf das Sternenlicht, das den Drachen so sehr faszinierte.
Ich frage mich, was der Sternendrache wirklich will, grübelte Melvendë vor sich hin, während sie den nächtlichen Wald um sich herum so aufmerksam es ihr möglich war betrachtete. Ob sein Plan, Palisor zu unterwerfen, nur ein Mittel zum Zweck ist? Wenn ihn die Sterne so sehr in ihren Bann gezogen haben, wieso ist er dann nicht damit zufrieden, sie noch ein weiteres Zeitalter lang vom Gipfel der Frostspitze aus zu betrachten, wie er es seit dem Fall von Thangorodrim bis jetzt auch getan hat? Was steckt wirklich dahinter?

Der stille Wald gab ihr keine Antwort auf ihre Fragen. So verging die Wachschicht ereignislos, bis Melvendë schließlich vom Baum herabkletterte und sich nach Caelîf umsah, denn der junge Nurthaenarer war der letzten Wachschicht vor dem Morgengrauen zugeteilt worden. Caelîf lag auf einem Bett aus weichem Moos am Rande des kleinen Nachtlagers. Behutsam ließ sich Melvendë neben ihm auf ein Knie nieder, doch ehe sie den Jungen wecken konnte, öffnete er bereits die Augen und sah sie direkt an.
"Oh, guten... guten Morgen, schätze ich," murmelte er etwas undeutlich. "Ist es Zeit?"
"Du bist wirklich scharfsinnig," zog Melvendë ihn auf. "Gut erkannt. Du bist an der Reihe, Caelîf." Sie musste zugeben, dass sie den Jungen liebgewonnen hatte. Er war idealistisch und verträumt, aber er hatte ein gutes Herz, das stand für Melvendë fest.
"Na schön," brummte Caelîf und setzte sich auf. "Immerhin habe ich bis jetzt durchschlafen können. Ich habe einige wirre Dinge geträumt, vielleicht sollte ich davon etwas aufschreiben."
"Tu das," meinte Melvendë lächelnd. "Vielleich ergibt das dann eine ganz amüsante Lektüre für mich."
Bald schon hatte sie sich wieder an ihrem eigenen Zelt eingefunden und hingelegt. Die Hochelbin warf noch einen letzten Blick in Caelîfs Richtung, der gerade einen ersten Rundgang durch das Nachtlager begann, dann schloss sie die Augen.
RPG:

Thorondor the Eagle

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Re: Taurannor
« Antwort #3 am: 16. Mai 2020, 09:45 »
Die vergangene Nacht kam Caelîf rückwirkend sehr eigenartig vor. Er sah diese Waldgeister, die Geschichte, der Streit, Melvendë’s Reaktion und jetzt dieser unruhige Schlaf. Immer wieder hatte er davon geträumt, wie eine Gruppe von Elben durch den Wald streifte und ohne ersichtlichen Grund immer kleiner wurde. Zunächst glaube er, dass es ihre Reisegruppe war, doch je öfter der Traum wiederkehrte umso deutlicher wurde es, dass es andere Elben waren. Fremde die ihm aber vertraut vorkamen.

Erst ein leises Knacken befreite ihn aus dieser ungemütlichen Nacht und der besänftigende Blick seiner Weggefährtin. In der Morgendämmerung hatte er sich neben der Feuerstelle niedergelassen und seine Feder geschnappt um ein paar seiner Gedanken festzuhalten. Er hatte festgestellt, dass diese Art nachzudenken ihm ein klareres Ergebnis lieferte als im Kopf alles immer wieder durchzuspielen. Aber trotz dieser Erkenntnis kam er heute morgen nicht darüber hinweg, mit dem Griffel mehrmals anzusetzen um ihn dann doch wieder vom Pergament wegzuführen. Was ist nur los mit dir Caelîf? er schweifte ab Wieso ist die Elbengruppe immer kleiner geworden? Wo sind sie hin? Und wieso? Ist das unser Schicksal?

„Melvendë“, flüsterte er leise vor sich hin und ihm wurde wieder bewusst, dass es wohl kein Zufall war eine Elbe in ihrer Mitte zu haben, die den Zerfall des ursprünglichen Elbenvolkes miterlebt hatte. Aber was bedeutet dies für uns im hier und jetzt? Soll sie die Elbenvölker des Wilden Waldes einen? Kann sie es und will sie es? Am Lagerfeuer konnte sie mit der Situation nicht gut umgehen… Coriel, eine große Kämpferin nannte sie Jarbeorn.
Die widersprüchliche Elbe faszinierte den jungen Elben, so wie die mythischen Figuren aus den zahlreichen Büchern die er las.
Langsam begann das Lager zu erwachen. Es waren zunächst die Kinn-Lai die begonnen haben ihre Zelte abzubrechen. Sie standen etwas abseits in Reih und Glied. Nariel stand den Soldaten gegenüber und musterte diese streng. Einem klapste sie mit ihrer Hand gegen Rüstung und dieser zog augenblicklich einen losen Lederriemen seiner Rüstung straff. Das Bild amüsierte Caelîf und als er auch noch an die feurige Stimme der jungen Furie dachte musste er schmunzeln.
„Nicht so auffällig, Caelîf“, tadelte ihn plötzlich die Stimme Melvendë’s und augenblicklich neutralisierte sich seine Miene. Erst mit ihrem Lächeln und einen schnellen Augenzwinkern erkannte er, dass es ein Scherz war. Es war ihm peinlich.

„Wie es scheint erreichen wir bald Amon Yúla oder?“, fragte sie nun ernst.
„Ihrem Drill zufolge vermute ich es auch“, antwortete Caelîf „Hast du dich noch ein wenig ausruhen können?“
Sie wippte mit dem Kopf: „Ähnlich wie du.“

Beide beobachteten noch Nariel. Als die Soldaten wegtraten um das verbleibende Gepäck zu verstauen näherte sich Alcôr der jungen Kinn-Lai von hinten. Er blieb gut einen Meter hinter ihr stehen und sie drehte sich um. Caelîf bemerkte wie nachlässig er seine Rüstung angelegt hatte.
„Ist Alcôr nicht einer eurer ordentlichsten Grenzwächter?“, erkundigte sich seine Weggefährtin und er antwortete nur mit einem Nicken. Neugierig verfolgten sie die Szenerie:
Nariel war offensichtlich über sein Auftreten überrascht, sie musterte ihn von oben bis unten, starrte ihm für einen kurzen Moment ins Gesicht und stapfte dann tatenlos davon.
Melvendë und Caelîf schauten sich an und lachten hinter vorgehaltener Hand.
„Sie versteht aber auch gar keinen Spaß“, hörten sie Alcôr leicht beleidigt sagen als er zu ihnen herüberkam. Er zog dabei einige Riemen und Fixierungen fest.
„Beim nächsten Mal vielleicht“, entgegnete der junge Chronist.
„Ich hoffe in Amon Yúla sind nicht alle so abweisend und unnahbar.“
„Da versuchst du dein Glück vielleicht lieber bei einem anderen Volk“, enttäuschte ihn nun die Elbe.
„Wir sollten nun lieber auch zusammenpacken“, beschloss Caelîf folgsam.
„Du hast wohl Angst auch so einen Klaps zu bekommen.“

Während Alcôr und Caelîf die Zelte abbrachen, befüllte ihre Weggefährtin noch die Wasserschläuche am nahegelegenen Fluss. Es verging nur wenig Zeit bis sie wieder auf den Pferden saßen um ihre Reise fortzusetzen. Sie folgten nun dem Weg in westliche Richtung unter dichten Baumkronen.
„Melvendë“, sprach Caelîf sie zaghaft an.
„Ja.“
„Gestern Abend…“ Er war unsicher ob er dies ansprechen sollte.
„Ja?“
„Du hast gesagt, dass sich die Elben früher schon gestritten haben und das dies nicht sein sollte. Kannst du dich daran erinnern?“
Er bemerkte, dass sie die Frage fürchtete.
„Vieles davon weckt Erinnerungen in mir, manches weckt aber nur unangenehme Gefühle. Ich habe kein klares Bild dazu, aber ich merke wie sich mir die Kehle zuschnürt. Gestern war es eher das.“
„Ich verstehe“, antwortete er „und hast du auch Bilder von manch anderen Streitigkeiten?“
„Ja, ich erinnere mich auch an Streit und sogar Kriege unter den Elben.“
„Möchtest du mir davon erzählen?“
Sie dachte nach und grübelte. Mehrmals öffnete sie den Mund, so als würde sie mit einer Geschichte beginnen, dann aber schloss sie ihn plötzlich wieder.
„Ich kann nicht“, sagte sie schließlich „Noch nicht.“
Caelîf nickte verständnisvoll: „Eines ist wohl klar, Streit und Krieg unter Elben darf nicht sein und derzeit können wir ihn keinesfalls gebrauchen.“
Seine Begleiterin nickte.
„Irgendwie müssen wir es schaffen, dass die Kinn-Lai uns respektieren. Nur so können wir ihrem Stolz und ihrem – vielleicht berechtigten – Groll begegnen und ihn überwinden.“
„Wie du bereits gesagt hast, wird es keine leichte Aufgabe.“
„Die Kinn-Lai sind ein kriegerisches Volk und wie wir nun wissen, sehen sie uns als Feiglinge. Wir müssen sie vom Gegenteil überzeugen um von ihnen bemerkt und als ebenbürtig angesehen zu werden.“
„Das ist wohl der Schlüssel. Rástor wäre sicherlich stolz auf dich“ entgegnete sie. Er fühlte sich geschmeichelt.
„Vielleicht helfen ein paar gute Geschichten aus Coriel’s Leben?“
„Das glaube ich nicht. Damals lebte ich in einer ganz anderen Welt, ich bezweifle, dass die Kinn-Lai dieser Zeit diese begreifen.“
„Hmm“, Caelîf dachte nach „Damit hast du wahrscheinlich Recht... Das Ziel ist klar, aber der Weg noch nicht.“

Am liebsten hätte er sich das sofort notiert, aber auf dem Rücken eines Pferdes war nicht daran zu denken etwas aufzuschreiben. Er schaute in den sie umgebenden Wald und genoss diese ursprüngliche Natur. Immer wieder versuchte er einen Plan zu entwickeln wie sie sich den Respekt der Kinn-Lai verdienen könnten.
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Caelîfs Einfall
« Antwort #4 am: 19. Jun 2020, 09:09 »
Auf einer der vielen größeren Lichtungen, die sie auf ihrem Weg ins Reich der Kinn-lai entlang des Waldweges passiert, hielt Náriel, die vorausging, schließlich an.
"Es ist nun nicht mehr weit bis nach Amon Yúla," erklärte sie. "Ich bin mir sicher, dass eure Anwesenheit bereits bemerkt wurde. Es gibt hier aufmerksame Augen, die aus dem Verborgenen heraus Wache halten."
"Ganz schön ominös," meinte Melvendë leise und scherzhaft zu Caelîf, der neben ihr ging. Doch der Junge ging nicht auf den Spruch ein sondern starrte nachdenklich geradeaus. So war er schon seit längerer Zeit gewesen; bis auf einzelne kurze Worte hatte er auch kaum etwas gesagt. Melvendë seufzte sachte. Sie stellte fest, dass sie Jarbeorn vermisste und fragte sich, wie es ihm bei den schwindlerischen Zwergen der Orocarni wohl gerade ergehen mochte.
"Wir werden von nun an eine langsamere Gangart einschlagen," entschied Náriel, was zu einigen Murren führte, aber schließlich von allen Mitreisenden azkeptiert wurde. Melvendë reihte sich neben Caelîf ein, der noch immer recht abwesend wirkte. Der Pfad, dem sie nun folgten, schien leicht bergauf zu führen und war so breit, dass drei Elben problemlos nebeneinander gehen konnten. Die Bäume zu beiden Seiten standen dicht zusammen und ihre Äste bildeteten ein undurchlässiges Blätterdach, das den Waldweg überspannte und für ein schummriges, grünliches Tageslicht sorgte.
Plötzlich blieb Caelîf ohne Vorwarnung stehen. "Ich hab's!" entfuhr es dem Nurthaenarer und er ballte mit einem Lächeln die Fäuste.
"Was hast du?" fragte Melvendë verwundert. "Nicht stehen bleiben, hinter dir will der Rest der Gruppe weiterziehen..."
Caelîf blinzelte, als wäre ihm dieser Umstand erst jetzt aufgefallen, dann setzte er sich hastig wieder in Bewegung. "Ich habe eine Idee, wie wir die Kinn-lai davon überzeugen können, unser Anliegen anzuhören und ernstzunehmen."
"Und was für eine Idee wäre das?"
"Mit einem Schaukampf. Mir scheint, dass Náriels Volk vor allem Waffenstärke und Kampfgeschick respektiert und die anderen Avari-Stämme als Feiglinge ansieht. Wenn wir ihnen zeigen, dass es auch bei den anderen Stämmen geschickte Krieger gibt..."
"Hmm," machte Melvendë. "Nicht übel, Kleiner... das könnte wirklich funktionieren."
"Kleiner?" fragte er und legte den Kopf schief, wusste wohl nicht was er davon halten sollte.
Sie musste lachen. "Ach entschuldige bitte, Caelîf," erklärte sie lächelnd. "Ich habe nur vorhin an meinen Gefährten Jarbeorn gedacht. Er hätte dich so angesprochen. Nimm es mir nicht übel."
"Vermisst du ihn sehr?" fragte Caelîf prompt.
Melvendë antwortete nicht sofort. Sie fühlte sich seltsam, wollte nicht, dass Caelîf irgendwelche falschen Schlüsse zog. "Naja...." druckste sie herum
Caelîf hingegen schaute ihr nur verwundert ins Gesicht. "Hm?"
"Ja, ich vermisse ihn," gab Melvendë schließlich zu. "Er gibt mir immer ein Gefühl von Sicherheit, wenn er an meiner Seite ist. Und er macht sich nicht so viele Sorgen wie ich. Das wirkt ziemlich beruhigend auf mich," erklärte sie dem Jungen.
"Das verstehe ich gut," antwortete Caelîf. "Ich habe ihn ja auch schon kennengelernt. Er hat wirklich ein unaufgeregetes Gemüt."
"In der Tat. Aber... nun zu deinem Vorschlag. Da Jarbeorn nicht hier ist... wirst du mir helfen müssen, die Kinn-lai zu überzeugen."
Caelîf riss die Augen auf. "Aber Melvendë, ich bin kein Kämpfer!"
"Keine Sorge. Ich mache einen aus dir," versprach sie ihm mit einem frechen Zwinkern.

Wann immer die Gruppe rastete, nutzten Melvendë und Caelîf nun die Zeit für einfache Übungen. Sie stellte rasch fest, dass der junge Nurthaenarer bereits wusste, wie man ein Schwert zu halten hatte, aber dass es ihm hauptsächlich an Kraft und Selbstbewusstsein fehlte. Sie zeigte ihm ihren eigenen Kampfstil, der weniger auf direkte Angriffskraft sondern mehr auf Beweglichkeit setzte, was Caelîf schon eher zu liegen schien.
"Gut so!" rieft sie als Caelîfs Klinge knapp an Melvendës Parade scheiterte, "Gleich noch einmal, mit etwas mehr Schwung, aus der Drehung heraus, wie ich es dir gezeigt habe!"
Caelîf, der inzwischen bereits vor sich hin keuchte, versuchte es. Auch diesmal traf sein Schwert auf Melvendës Klinge, die sie zur Parade erhoben hatte. Aber sie konnte sehen, wie sehr der Junge sich bemühte. Er war überzeugt davon, für die richtige Sache alles zu geben, hatte verstanden, dass viele Leben davon abhingen ob es ihnen gelingen würde, die Kinn-lai zu überzeugen.
"Ich muss... mal durchschnaufen," bat Caelîf um eine Pause, die Melvendë ihm gerne gewährte.
"Du hast dich gut geschlagen, Kleiner," zog sie ihn etwas auf.
"Nenn' mich nicht so," forderte er.
"Ich höre damit auf, wenn du es dir verdient hast... wenn du mich im Kampf besiegst," versprach sie zwinkernd, woraufhin Caelîf den Kopf hängen ließ.
Schritte ertönten hinter Melvendë und sie drehte sich um, nur um Náriel zu entdecken. Die Kinn-lai-Elbin hielt ein blankes Großschwert in der Hand und starrte Melvendë abschätzend an.
"Wenn du einen richtigen Gegner suchst... hier bin ich," sagte die Kriegerin herausfordernd.
"Es geht nicht darum, einen richtigen Gegner zu finden," erwiderte Melvendë und konnte nicht verhindern, dass sich ihre Augen um eine Winzigkeit verengten als sie Náriels Blick begegnete. "Das hier sind nur Übungen."
"Du hältst dich zurück," stellte Náriel klar. "So wird er es nicht lernen. Zeig ihm was ein wahrer Kampf ist... oder hast du etwa Angst?"
Melvendë öffnete den Mund um etwas zu antworten, doch dann hielt sie inne. Diese Göre, dachte sie und stellte fest, dass sich ein Lächeln auf ihr Gesicht geschlichen hatte. Vielleicht ist sie diejenige, die eine Lektion verdient hat. "Also gut, Náriel. Dann zeig' doch mal, was du kannst." Melvendë nahm ihr Schwert - eine schmale Klinge nach Elbenart mit leichter Krümmung - in die rechte Hand und ließ es dort locker kreisen. Die linke Hand war leer und sie hielt sie ein Stück seitlich vor ihrem Körper, auch die Beine und Füße nahmen eine seitliche Haltung an.
Náriel ließ sich die Aufforderung nicht zweimal sagen. Mit einem Kampfschrei stürmte die Rothaarige los, direkt auf Melvendë zu. Diese wich dem Frontalangriff aus - oder hatte es zumindest vorgehabt. Doch Náriel musste die Drehung vorhergesehen haben und lenkte ihre Klinge blitzschnell um, sodass Melvendë das eigene Schwert hastig hochreißen musste, um den Treffer zu parieren. Sie sprang zwei Schritte rückwärts und nahm wieder eine Kampfhaltung an.
"Nicht übel," lobte die Hochelbin, doch Náriel schien ihr keine Zeit zum Verschnaufen lassen zu wollen. Schon schnellte sie wieder vor, diesmal mit einem tief angesetzten Hieb. Und erneut schien sie ganz genau zu wissen, wohin Melvendë sich drehen würde. Diesmal kam die Parade zu spät und das Großschwert krachte gegen die Rüstungsplatte an Melvendës linker Schulter. Mit schmerzendem Arm taumelte Melvendë rückwärts - und musste sich abrupt fallen lassen, als Náriel ihre Klinge auf Brusthöhe horizontal führte. Ein kleines Büschel Haare segelte zu Boden als Melvendë wieder auf die Füße kam.
Dieses Miststück ist schnell, dachte sie und erhöhte ihre eigene Geschwindigkeit entsprechend. Náriels größere Reichweite und erhöhte Kraft, die sie durch die zweihändige Großwaffe hatte, drängten Melvendë in die Defensive. Sie parierte zwei weite Angriffe, musste aber auch drei Treffer hinnehmen, die ihre Rüstung stark belasteten. Nach einer guten Viertelstunde hatte sie endgültig genug. Rote Punkte tanzten vor ihren Augen. Als Coriel wäre sie wohl schon lange in einen unkontrollierten Kampfrausch verfallen, doch nun, da Melvendë wieder ganz sie selbst war und ihre Erinnerungen zurückgekehrt waren, hatte sie sich weit genug unter Kontrolle, um solche schädlichen Impulse zu unterdrücken. Sie ließ ihren wachsenden Zorn gezielt in ihre Muskeln leiten und ging trotz ihrer Nachteile zum Angriff über.
Damit schien Náriel nicht gerechnet zu haben. Die Hochelbin wich einem weiteren schweren Angriff aus und tauchte plötzlich so nahe vor Náriel auf, dass deren Vorteil der Reichweite zunichte gemacht wurde. Melvendës Klinge durchbrach die offene Deckung der Rothaarigen und schlug mit der flachen Seite auf den rechten Unterarm Náriels. Diese schrie auf und musste das schwere Heft des Großschwerts loslassen, sodass nur noch die rechte Hand die Klinge hielt. Das war das Ende des Duells, denn selbst Náriel schien nun einzusehen, dass sie mit nur einer Hand zu sehr im Nachteil sein würde, um effektiv weiterzukämpfen.
"Ich danke dir für diesen Kampf," sagte Melvendë freundlich, doch Náriel drehte trotzig den Kopf zur Seite.
"Du hast Glück gehabt," knurrte sie zornig, ehe sie davonstapfte.
Caelîf näherte sich und nahm Melvendës lädierte Rüstung mit besorgten Blicken in Augenschein. "Ist alles in Ordnung?" fragte er.
"Es geht schon. Ich hoffe, ich habe einen guten Eindruck bei unserem kleinen Hitzkopf hinterlassen," meinte Melvendë mit einem angestrengten Lächeln.
Der junge Nurthaenarer schaute zweifelnd in die Richtung, in der Náriel verschwunden war. "Das wird sich zeigen..." sagte er nachdenklich.
« Letzte Änderung: 10. Dez 2021, 10:40 von Fine »
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Curanthor

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Náriels Start
« Antwort #5 am: 2. Feb 2021, 21:37 »
Náriels Start

Nach dem kurzen Schlagabtausch hatte Náriel erst einmal genug von Gesellschaft. Sie zog es wieder in den Wald. Die gedämpften Stimmen ihrer Begleiter begleiteten sie noch ein wenig, bis genügend Bäume zwischen ihnen waren und sie nur die Geräusche des Waldes vernahm. Dutzende Vögel zwitscherten in den Baumkronen, irgendwo jaulte ein Wolf und das Röhren eines Hirsches antwortete. Lebhaft wie immer, dachte sie sich und atmete tief ein. Sie genoss es, dass der Wald um Amon Yúla herum immer gleich zu sein schien. Es war ihr vertraut, fast wie Heimat. Sie schüttelte den zornig den Kopf. Es war nur der Ort, an dem sie geboren wurde, ohne Liebe und Zuneigung. Die Stadt hatte sie nicht vermisst. Und auch nicht deren zahlreichen Bewohner. Oder die Erinnerungen, die daran hingen, irgendwo in ihrem Gedächtnis tief vergraben waren.

Mit einem leichten Kribbeln kehrte wieder das Gefühl in ihre rechte Hand zurück. Nachdenklich und mit gedämpftem Ärger betastete sie ihre Unterarmschiene, die zum Glück unbeschädigt waren. Sie hatte Melvendë unterschätzt, allerdings war es auch kein ernsthafter Kampf gewesen. Es kribbelte in ihren Fingern zurückzugehen und es wirklich darauf ankommen zu lassen. Ihr Herz raste bei dem Gedanken. Die Vorfreude auf einen echten Kampf, denn Melvendës überhebliche Art ging ihr mächtig gegen den Strich. Ständig sich darauf etwas einbildend, dass sie was Besseres sei, weil sie die Ältere ist. Genau wie alle anderen. Niemand hatte sie gefragt die Aufgabe einer "erwachsenen Aufpasserin" einzunehmen, die sie wohl seit dem Streit mit Caelîf ungefragt für sich beanspruchte. Wahrscheinlich erachtete sie sie noch nicht einmal als würdige Gegnerin. Zornig ballte sie die Hände zu Fäusten, dass die Lederhandschuhe leise knirschten. Schnaubend riss Náriel ihr Schwert aus der Scheide, das sie in der linken Hand getragen hatte. Nun, dass ließe sich ändern. Ihr Blick fixierte die Stelle im Wald, wo sie Lager aufgeschlagen hatten. Ein kaum vernehmbares Knacken hinter ihr ließ sie ihre Ohren spitzen. Náriel fuhr sofort herum, das Schwert beschrieb dabei einen horizontalen Bogen. Das Geräusch von klirrendem Stahl folgte. Ihr stand eine hochgewachsene Gestalt gegenüber, bewaffnet mit einem Speer, dessen Klinge zitternd gegen die Schneide des Großschwert drückte. Sie trug die Rüstung der Stadtwache von Amon Yúla. Einfache Lederrüstungen, die mit roten Leinen versehen waren.
"Sieh einmal an, wen es zurück in die Heimat treibt", ertönte eine weibliche Stimme spöttisch, die Náriel nur allzu bekannt vorkam.
Wütend trat sie der Wächterin seitlich gegen das Knie, sodass sie sofort einknickte. Náriels Elenmakil sirrte und die Spitze des Schwerts bedrohte die Kehle der Wächterin. Ein Moment der gebannten Stille folgte. Schließlich stützte ihre Gegnerin sich auf ihren Speer und hob die andere Hand, um ihre Niederlage einzugestehen.
Náriel schlich sich ein triumphierendes Grinsen aufs Gesicht.
"Du genießt das, nicht wahr?", zischte ihre alte Bekanntschaft aus Kindertagen.
"Klar und am liebsten würde ich dich mit der Breitseite grün und blau prügeln, dafür ist mir aber meine Klinge zu schade." Náriel packte das Schwert mit einer Hand am Griff und bedrohte weiterhin die ungeschützte Kehle.
"Du warst schon immer ein Miststück."
Náriel schlug ihrer Widersacherin mit der freien Faust prompt auf die Nase, die sofort zu bluten begann. "Gleichfalls. War schön, alte Erinnerungen aufzufrischen", mit den Worten wandte sie sich ab, "Wenn auch in umgekehrten Rollen."
"Verca", zischte ihre Bekannte aus Kindheitstage, was eher wie ein Fluch klang, als wie ein unrühmlicher Spitzname.
Náriel legte sich ihr Schwert über die Schulter und blickte flüchtig zurück. "Spiele nicht mit dem Feuer, es kann dich verbrennen. Will heißen: Geh' mir nicht auf die Nerven, sonst blutet nicht nur die Nase."
Ihr Blick fiel auf ihren Handschuh, an dem etwas Blut haftete. Angewidert wischte sie es an einigen Büschen ab. Náriel bahnte sich einen Weg durch das Unterholz zurück zum Lager, einen zufriedenen Gesichtsausdruck unter dem Helm tragend.

Dort angekommen erblickte sie ihre übrigen Weggefährten, die wohl den Rest der Stadtwache kennengelernt hatten. Der Hauptmann der Wache, dessen Gesicht von einem schwarzen Tuch verdeckt wurde, sprach gerade mit Melvendë. Náriel straffte sich und bemühte sich erst gar nicht, das Schwert wieder zu verstauen. Caelîf warf ihr einen Blick zu, der fragte, was geschehen war. Sie ignorierte ihn.
"Náriel, Ihr seid zurück", begrüßte Alcôr sie, woraufhin sie nur genervt ausatmete.
Er jetzt bemerkte sie der Rest ihrer Gefährten. Die Soldaten der Kinn-Lai, die kurz vor den Hwenti-Landen zu ihr dazu gestoßen waren, nickten ihr knapp zu. Sie packte ihre wenigen Sachen und gingen voraus. Ihre Aufgabe war erfüllt: Náriel zu begleiten, bis sie wieder sicher in Amon Yúla angekommen war. Viel hatte sie mit ihnen sowieso nicht zu tun gehabt. Auch Melvendë warf ihr einen Blick zu, den Náriel mit Verachtung erwiderte.
"Worum geht's?", fragte sie stattdessen an den Hauptmann gewandt, "Seid Ihr nicht ein wenig weit draußen?"
"Ich habe der Herrin Melvendë bereits erklärte, dass-"
"Herrin?" ", unterbrach Náriel, die glaubte sich verhört zu haben, "Sie ist keine Königin, keine Stammesfürstin und niemand, der sich diese Bezeichnung verdient hat. Erzählen kann sie viel, Respekt verdient man sich aber mit Taten und nicht mit Erzählungen darüber. Sie und ihre Gefährten müssen sich erst den Kinn-Lai beweisen, so wie es der Brauch verlangt. Außerdem, sind sie meine Gäste und ich entscheide, wie weit sie sich der Stadt nähern dürfen."
Der Hauptmann schien zu zögern, fing sich aber rasch und antwortete steif: "Nun, die Axan sagten, dass wir die Besucher respektvoll behandeln sollen. Und mit Verlaubt, Ihr habt nicht das Recht..."
Náriels Augen verengten sich zu Schlitzen und sie musste an sich halten, um ihn für diese Respektlosigkeit nicht am Kragen zu packen. Sie machte stattdessen einen bedrohlichen Schritt auf den Hauptmann zu, trotzdem sie dadurch zu dem Elb hinaufblicken musste.
"Ich habe jedes Recht, in meinem Rin-Tael einem einfachen Hauptmann der Wache in seine Schranken zu weisen, habt Ihr mich verstanden, Soldat?", zischte sie bedrohlich.
Erst jetzt fiel der Blick ihres Gegenübers auf den stilisierten Stern mit Rubin im Zentrum auf ihrem Brustpanzer. Ein unübersehbares und unter den Kinn-Lai bekanntes Zeichen des Ordens der Tempelwachen von Àyaninvë. Damit war ihr Stand unter den Kinn-Lai höher als der eines einfachen Hauptmannes der Stadtwache, da allein die brutale Ausbildung des Ordens Respekt einbrachte, erst Recht, wenn man kurz davor war diese abzuschließen.
Der Hauptmann nickte knapp seinen Soldaten zu, die ihre Hände an die Griffe ihrer Schwerter gelegt hatten. "Verzeiht meine Respektlosigkeit", entschuldigte sich der Elb, auch wenn es deutlich war, dass er es nur tat, um nicht mit dem Orden aneinander zu geraten. Sie schnaubte leise, wohl wissen, dass der Hauptmann sie von früher erkannt hatte. Es gab nicht viele kleine Elben und noch weniger bei den Kinn-Lai.
"Dann hättet Ihr nicht Maice zu mir schicken sollen", antwortete sie stattdessen, als diese just in dem Moment aus dem Unterholz auftauchte, noch immer die blutende Nase haltend. Náriel verkniff sich ein Grinsen, auch wenn trotzdem ein Mundwinkel zuckte. Nebenbei Rache nehmen für vergangene Erniedrigung hatte erstaunlich gut getan. Der Hauptmann hob eine Braue, sagte jedoch nichts. Náriel erinnert ihn an ihre vorherige Frage, was sie soweit hier draußen machten.
"Die Axan entsandten uns, nachdem die Späher von eurer Ankunft berichteten."

"Sie wollen nicht, dass wir uns der Stadt nähern", schaltete sich Melvendë ein, hörbar unzufrieden. Es war schwer zu sagen, was ihr diesmal nicht in den Kram passte.
Náriel warf ihr einen unergründlichen Blick zu, hakte dann aber dann nach dem Warum nach. Der Hauptmann antwortete nur ausweichend. Sie hatte das Gefühl, dass er etwas verschwieg. Maice schien im Hintergrund schadenfroh zu grinsen, auch wenn ihr Gesicht ebenfalls von einem Tuch bedeckt wurde. Jedoch um die blutende Nase zu beruhigen, wie Náriel hämisch bemerkte.
"Dann werde ich sie selbst fragen", beschloss sie nach einer unfruchtbaren Diskussion mit dem Hauptmann, "Und meine Gäste kommen selbstverständlich mit."
"Aber...", setzte der Elb an, doch Náriel packte ihr Großschwert, das bisher locker über der Schulter gelegen hatte. Ein Moment der Spannung lag in der Luft, doch Náriel hatte keinesfalls die Absicht Blut zu vergießen, sondern den Hauptmann in seine Schranken zu weisen. Der Augenblick verging, als sie betont langsam das Schwert in die Scheide schob.
"Der Großmeister hat mich befugt eine Krise abzuwenden; wie ich das mache, liegt bei mir", stellte sie unmissverständlich klar, "Und wir beide wissen, dass die Großmeister gleichgestellt sind mit den Axan... mindestens das."
Im Hintergrund hörte sie, wie Alcôr oder Caelîf murmelte: "Das gefällt mir nicht."
Die Stadtwachen blickten sich kurz an, bis der Hauptmann nachgab und geschlagen nickte. Er gab Befehl zum Abziehen. Eher er sich ins Unterholz begab, drehte er sich noch einmal um und warnte: "Glaubt nicht, dass ihr herzlich empfangen werdet."
"Davon ging ich auch nicht aus", entgegnete Náriel, wohl wissend um die Spannung zwischen den Orden und den Axan.
« Letzte Änderung: 3. Feb 2021, 00:18 von Curanthor »

Fine

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Vor dem Axan-Rat
« Antwort #6 am: 10. Dez 2021, 16:45 »
Melvendë hatte den Austausch zwischen Náriel und den Stadtwachen Amon Yúlas schweigend beobachtet. Dass Náriel nach ihrer vorherigen Auseinandersetzung nun plötzlich Partei für die Gesandtschaft der Hwenti ergriff, war zwar eine willkommene Überraschung, dennoch war sich Melvendë über die Gründe dafür nicht im Klaren. Náriel kam ihr mehr und mehr wie ein schwelender Brand vor, der jeden Moment in einer flammenden Explosion aufgehen konnte. Sie hoffte, dass die Anführer der Kinn-lai mehr Geduld vorweisen würden.
Caelîf rührte sich neben ihr, sagte allerdings nichts. Die Wachen gaben den Weg frei und Náriel marschierte mit entschlossener Miene voraus, ohne darauf zu warten, ob der Rest der Reisegesellschaft ihr folgte. Sie ließen das dicht bewaldete Gebiet hinter sich und kamen nach kurzer Zeit in die Außenbezirke der Stadt von Amon Yúla, dem Machtsitz der Kinn-lai, welcher auf einem flachen Plateau inmitten der Wälder gelegen war. Im Gegensatz zu den hölzernen Bauten der Hwenti und den beinahe baumartigen Konstrukten der Cuind in den Mooren waren die Gebäude hier aus Stein. Melvendë fiel dabei auf, dass es keine gedeckten Dächer zu geben schien - alle Behausungen besaßen flache Dächer ohne Ziegel. Stattdessen waren die meisten Oberflächen begrünt und bepflanzt worden. Sogar einige Bäume wuchsen hier und da auf so manchem Gebäude.
Ein Wald aus Häusern, dachte Melvendë. Sie fragte sich, was Jarbeorn wohl davon gehalten hätte, wenn er diesen Ort gesehen hätte.

Als sie Náriel entlang einer der Hauptstraßen durch die Stadt folgten, bemerkte Melvendë, dass so gut wie jeder Elb, der ihren Weg kreuzte, bewaffnet war. Überall waren Schwerter, Schilde und Speere zu sehen. Der Großteil trug teilweise oder sogar vollständige Rüstungen. Bögen und Köcher sah man nur selten, stattdessen schienen die Kinn-lai Wurfspeere zu bevorzugen. Über der ganzen Stadt lag die übliche Geräuschkulisse einer belebten Siedlung, doch ein Geräusch mischte sich konstant hinein, was in den meisten Städten eher eine Seltenheit war: Das scharfe Klirren von Metall. Die Kinn-lai trugen ihre Waffen nicht nur ständig bei sich - sie setzten sie auch ein. Zweikämpfe waren beinahe an jeder Straßenecke zu beobachten, und überall gab es Schmieden und Rüstkammern, wo Waffen hergestellt und geschärft wurden. Es wirkte, als befände sich das gesamte Volk Náriels in einem permanenten Kriegszustand.
Caelîf, der neben Melvendë herging, beobachtete das Treiben mit staunendem Blick. Mehr als die vielen waffentragenden Elben schienen ihn aber die bewachsenen Gebäude zu faszinieren. Immer wieder fixierte sein Blick die Bäume, die den Dächern entsprangen, und schließlich sagte er: "Wenn wir wüssten, wie sie dies bewerkstelligt haben, könnten wir etwas Ähnliches mit den Bauten in Nurthaenar anstellen."
"Gefällt dir der Baustil?" fragte Melvendë.
"Das tut er," bestätigte Caelîf. "Wir haben in meiner Heimat nicht viele Bäume, denn der Platz ist begrenzt. Das Tal in dem die Stadt steht, ist klein..."
Melvendë sah ihn an, ließ ihn jedoch aussprechen. Derweil bog Náriel weiter vorne um eine scharfe Kurve, und als sie ihr folgten, tauchte vor ihnen ein großer Gebäudekomplex auf, zu dem aus drei Richtungen breite Stufen hinaufführten. Auch hier wuchsen Bäume rings um die Mauern und standen auf den flachen Dächern. Prunkvolle Banner hingen zu beiden Seiten der Eingänge herab, sie waren so lang, dass sie beinahe den Boden berührten. Wächter in schwarzen Mänteln, verhüllten Gesichtern und langen Piken standen schweigend entlang der Treppen aufgereiht. Offenbar war ihre Ankunft erwartet worden.

Náriel blieb stehen, ehe sie die unterste Treppenstufe erreicht hatten. Sie drehte sich um und sah Melvendë an, der Blick war herausfordernd. Ein Feuer schien in ihren Augen zu glimmen, doch noch während Melvendë hinsah, erstarben die Flammen und die Schultern Náriels senkten sich um eine Winzigkeit. "Wir sind da," sagte sie, dann presste sie die Lippen aufeinander. "Jetzt werden wir sehen, was die Pläne der Hwenti wert sind."
Sie trat beiseite, um Melvendë und Caelîf den Vortritt zu lassen. Ihr Blick schien Melvendë schier durchbohren zu wollen; die Flammen loderten wieder etwas auf. Doch kein Wort kam mehr über Náriels Lippen.
"Das werden wir," sagte Melvendë. Sie beschlich mehr und mehr das Gefühl, dass sie sich mit Náriel einen Feind gemacht hatte, ohne es zu beabsichtigen. Dennoch verbarg sie ihre Zweifel und begann die Stufen zu erklimmen. Als sie gerade den Fuß auf die oberste Stufe setzte, packte ein plötzliches Grauen ihr Herz und sie erstarrte für einen Augenblick. Dann spürte sie Caelîfs Präsenz hinter sich und der Moment verging, so schnell wie er gekommen war. Dennoch nahm Melvendë wahr, dass noch immer eine seltsame Angst unter der Oberfläche ihres Bewusstseins schlummerte.
Hier stimmt etwas nicht, dachte sie. Ihre linke Hand ballte sich zur Faust, dann entspannte sie die Muskulatur wieder, atmetete tief durch und nahm die letzte Stufe. Sie hatte einen Auftrag erhalten und würde ihn erfüllen, ganz egal ob dieser Ort ihr Furcht einjagte oder nicht.
Vor ihnen öffnete sich eine mit Eisen beschlagene Tür mit großen Flügeln, die nach innen aufschwangen. Eine helle, große Halle lag dahinter, ebenfalls mit langen Bannern behangen. Licht fiel von beiden Seiten durch große Aussparungen in den beiden Seitenwänden hinein. Melvendë konnte durch diese Aussparungen hindurch beinahe die gesamte Stadt von Amon Yúla überblicken, so breit und offen waren sie. Dabei fielen ihr zwei große Gebäude auf, die aus den bewaldeten Dächern hervorstachen: Ein schlanker Turm, der auf einem nur wenig bebauten Hügel stand, sowie ein breites Gebäude, von dem eine dünne Rauchfahne aufstieg und dessen Bauweise in Melvendë an eine Kaserne erinnerte. Sie betrachtete das Bauwerk einen Moment lang, während sie die Halle durchschritt, dann richtete sie den Blick wieder nach vorne. Besonders erleuchtet war der hintere Teil der Halle, der wie auf einem erhöhten Podest stand. Dort war ein Halbkreis aus verzierten Sitzen aufgereiht worden, in denen die Elben des Axan saßen, des Rates der Kinn-lai. Das Licht, das auf den Halbkreis fiel, kam von oben und war grünlich, als würde es durch das dichte Laub der Bäume auf dem Dach fallen und von ihnen reflektiert werden.

Melvendë, Alcor und Caelîf traten vor die fünf breiten Stufen, die zum Ratsitz hinauf führten. Die Mitglieder des Axan blickten ihre Gäste streng an, sprachen aber kein Wort. Erneut spürte Melvendë das Grauen, das sie überwinden suchte, doch sie hielt stand. Sie versteifte sich, dann nahm sie Haltung an und machte eine knappe Verbeugung vor dem Axan.
"Herion von den Hwenti schickt uns," sagte sie mit klarer Stimme. Ein Echo begleitete ihre Stimme, die Worte verhallten zwischen den vier großen Säulen, die das Dach der Halle trugen. "Palisor wird bedroht. Die Herren der Avari sind aufgerufen worden, sich in Ayanínve zu versammeln und Rat zu halten. Meister Herion bittet um die Teilnahme der Kinn-lai, und-"
Das Ratsmitglied in der Mitte des Halbkreises hob die linke Hand und brachte Melvendë zum Schweigen. Sie nahm an, dass es sich dabei um den Fürsten der Kinn-lai handelte. "Bereits bekannt ist uns eure Nachricht," sagte er mit kühler Stimme. "Jene Worte sind leer. Wir sind es gewesen, die als Einzige der Pflicht nicht müde wurden, den heiligen Ort der Zusammenkunft zu bewachen."
Nicht Worte sind es, die die Kinn-lai überzeugen werden, sondern Taten, dachte Melvendë. "Würdet Ihr tatenlos zusehen, wie die anderen Stämme dem Verderben anheim fallen?" fragte sie herausfordernd.
Die Augen des Fürsten blitzten auf, und die Miene verhärtete sich. "Eine gerechte Strafe wäre es," antwortete er. "Doch so herzlos sind wir nicht. Den fehlgeleiteten Avari wird die Gelegenheit zur Umkehr gegeben werden." Er machte eine bedeutungsvolle Pause und sah Melvendë an, dann blieb sein Blick an Caelîf hängen. "Wir werden nach Ayanínve kommen... aber nicht um dem Aufruf der Hwenti zu folgen. Sondern um die Stämme zu vereinen - unter der Vorherrschaft der Kinn-lai."
Melvendë fühlte, wie sich ihre unguten Gefühle bestätigten. Sie hoffte, dass der Axan nicht wirklich plante, die anderen Stämme zu unterwerfen. Dennoch wusste sie nicht, was sie sagen sollte. Der Fürst schien allerdings gar keine Antwort erwartet zu haben. "Ihr mögt für eine Nacht unsere Gastfreundschaft in Anspruch nehmen, doch mit dem ersten Sonnenlicht müsst ihr Amon Yúla verlassen haben."
Dein Widerstand ist zwecklos, kleine Melvendë.
Der Schatten, der sich auf ihr Herz gelegt hatte, nahm endlich Gestalt an. Melvendë erkannte die Stimme, die, während der Fürst noch sprach und erneut hervorhob, wie sehr die Kinn-lai Stärke schätzten, unversehends in ihren Gedanken aufgetaucht war. Der Drache klang... belustigt.
Diese Elben respektieren Macht und Kampfkraft. Über beides verfüge ich in unermesslichem Maße.
Ein Schatten huschte über die Halle und das Licht über den Sitzen des Rates erlosch. Ein gewaltiges Rauschen fegte durch die Fenster herein, was dafür sorgte, dass Caelîf und Alcor erschraken und Náriel, die ihnen in die Halle mit etwas Abstand gefolgt war, ihr Schwert zog.
Die Kinn-lai werden erkennen, wer der wahre Herrscher Palisors ist. Ihre Anführer sind weitsichtiger als der Rest dieser Narren...
Der Hügel zur Linken, auf dem der schlanke Turm stand, erbebte, und mit einem Mal kam es Melvendë vor, als verfärbte sich der helle Stein schwarz, als wäre er verkohlt worden. Sie fühlte sich, als würde es ihr schwarz vor Augen werden. Der Drache war hier - er musste ganz in der Nähe sein. Er war vor ihnen in Amon Yûla angekommen, und begann bereits, seinen Schatten auf die Stadt zu werfen...

Eine Hand packte Melvendë an der Schulter und zerrte sie weg. Es war Náriel. "Das ist nicht richtig," zischte sie. "Hier geht etwas vor sich, das mir ganz und gar nicht gefällt, wir... der Orden! Wir müssen uns zu ihnen begeben, jetzt, sofort!"
Náriel war ohne Vorwarnung in die große Halle geplatzt und löste damit einen Aufruhr aus. Wachen regten sich und verließen ihre Posten, um sich ihnen zu nähern - erst langsam, dann immer schneller. Erbostes Geschrei erhob sich. So wie es schien war Náriels Eindringen ein schwerer Tabubruch. Die Kriegerin schien das nicht zu stören. Sie schlug kurzerhand den ersten Gardisten der ihr nahe kam mit der blanken Faust nieder, sodass er ein Hindernis für den Rest der Wächter bildete, zumindest für einen Moment. Diese kurze Ablenkung nutze sie, um die Halle im Laufschritt zu verlassen. Melvendë, Caelîf und Alcor blieb nichts anderes übrig, als ihr zu folgen, denn die Wachen waren ihnen sogleich dicht auf den Fersen. Man jagte sie durch die gesamte Stadt, aber dank Náriels guter Ortskenntnis hatten sie die meisten Wächter schließlich abgehängt, als sie den Stadtrand erreichten und im dichten Gehölz des Waldes am Fuße des Plateaus verschwanden...
« Letzte Änderung: 29. Sep 2022, 15:20 von Fine »
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