Das Schicksal Mittelerdes (RPG) > Gortharia
Konzil der Zauberer
Eandril:
Milva und Cyneric vom Königspalast
Den Weg vom Königspalast zu Alatars Behausung legten Milva und Cyneric schweigend zurück. Cyneric schien keinen dringenden Redebedarf zu verspüren, eine Tatsache, die Milva nur recht war. Ihre Kopfschmerzen hatten sich durch die letzten Ereignisse noch verschlimmert, und sie fühlte sich mit jeder Minute die verging, unbehaglicher - seit ihrer Befreiung aus Silans Kerker hatte sie weder ihre Kleidung gewechselt noch sich waschen können, und sie fürchtete, den muffigen Kerkergeruch nie wieder aus der Nase zu bekommen.
Erst als sie vor der Tür des dreistöckigen Hauses angelangt waren, wandte Cyneric sich um, öffnete den Mund wie um etwas zu sagen, schloss ihn allerdings sogleich wieder. Er blinzelte überrascht, und fragte dann: "Wo ist Salia?" Milva schüttelte ein wenig verwirrt den Kopf, bevor sie ebenfalls hinter sich blickte. Von der dunkelhaarigen Schattenläuferin war allerdings keine Spur zu entdecken.
"Ich weiß nicht...", sagte Milva langsam. "Ich dachte, sie wäre hinter mir, aber..."
"Wahrscheinlich hat sie sich heimlich abgesetzt, um herauszufinden, was mit Ryltha und Morrandir geschehen ist. Ich hatte noch keine Gelegenheit ihr zu erzählen..." Cyneric unterbrach sich, und machte einen ein wenig unentschlossen Schritt von der Tür des Hauses weg, doch Milva packte seine Hand und hier ihn zurück.
"Du wirst sie ganz sicher nicht finden, indem du einfach durch die Straßen läufst", sagte sie und suchte ein wenig mühsam nach Worten. "Vielleicht will sie auch gar nicht gefunden werden. Oder sie kommt von selbst zurück. Oder... Was ist denn überhaupt passiert?"
Cyneric fuhr sich mit einer Hand durch die verschwitzen dunklen Haare, die daraufhin noch unordentlicher als zuvor wurden und wie in Stacheln von seinem Kopf abzustehen begannen. "Es... wir..."
Milva unterbrach ihn, indem sie auf die Knie fiel und das wenige, was sich in ihrem Magen befunden hatte, erbrach. Vor ihren Augen flimmerte es, in ihrem Kopf drehte sich alles, und dann wurde es schwarz.
Als Milva zu sich kam, lag sie in einem Bett mit einer weichen Matratze und einer Decke aus einem ihr unbekannten Stoff - Seide vielleicht? Sie rieb sich die verklebten Augenlieder, und richtete sich im Bett auf. Der Kopfschmerz, der sie zuletzt geplagt hatte, war beinahe vollständig verschwunden. Nur ein hartnäckiges Pochen hinter ihrer rechten Schläfe war geblieben, und am Hinterkopf fühlte sie eine Beule, bei deren Berührung sie unwillkürlich zusammenzuckte.
Nach und nach nahm sie mehr von ihrer Umgebung war. Das Bett, in dem sie nun aufrecht saß, stand direkt unter einem Fenster, durch das gerade die letzten goldenen Strahlen der Abendsonne herein fielen. Mit einer zaghaften Bewegung - Milva konnte noch nicht vollständig glauben, dass die Kopfschmerzen vollkommen verschwunden waren - strich sie sich die vom Schlaf unordentlichen Haare aus dem Gesicht. Tatsächlich fühlten sich ihre Haare, obwohl durcheinander und verworren, überraschend sauber an. Das gleiche galt für ihr Gesicht und... den Rest ihres Körpers. Erst jetzt viel Milva auf, dass sie unter der Bettdecke vollkommen nackt war.
Im gleichen Augenblick vernahm sie leise Schritte, Stiefel auf hölzernem Fußboden, von außerhalb des Raumes, und gleich darauf klopfte es sacht an der Tür.
Milva räusperte sich. "Wer... ist da?" In Gedanken fügte sie hinzu: Und wo bin ich überhaupt?
Durch die hölzerne Tür hörte sie ein wenig gedämpft Cynerics Stimme: "Ich bin es, Cyneric. Du bist wach, gut. Also..." Milva glaubte ein etwas unbehagliches Räuspern zu hören. "Darf ich hereinkommen?"
"Nein!", gab Milva sofort zurück, sich ihres Zustandes jetzt vollkommen bewusst. Dann setzte sie sich mit überkreuzten Beinen auf die Matratze, wickelte sich die Decke auf Höhe der Achseln fest um den Oberkörper und ließ sie dann bis zum Bett herunterfallen, sodass nur noch ihre Schultern und Arme entblößt waren. Unsicher, ob Cyneric nicht vielleicht bereits wieder gegangen war, sagte sie laut: "Cyneric? Du kannst hereinkommen."
Die Tür öffnete sich ohne einen Laut, und Cyneric trat ins Zimmer, ein hölzernes Tablett mit mehreren Tonschalen und einem großen Becher unter den Arm geklemmt. Als er Milva sah, glaubte sie ihn unmerklich erröten zu sehen. Sein Gesicht zeigte jedenfalls überdeutlich wie peinlich berührt er war, und er sagte: "Soll ich wieder gehen? Ist... ist das ein schlechter Zeitpunkt?" Milva hätte gerne lässig abgewunken, doch der köstliche Geruch der Speisen, die sich in den Tonschalen befanden, verursachte ihr ein plötzliches Schwindelgefühl. Vor ihren Augen begann es sich zu drehen, also lehnte sie sich stattdessen nur zurück, mit dem Hinterkopf gegen die hölzerne Wandverkleidung, und schloss kurz die Augen.
Währenddessen sagte sie: "Nein, ist schon in Ordnung. Hauptsache... bring dieses Essen hierher, was immer es sein mag." Erst jetzt wurde Milva allmählich bewusst, wie hungrig sie tatsächlich war. Während ihrer Gefangenschaft hatten sie nur eine dürftige Mahlzeit am Tag bekommen, und die letzte musste inzwischen mehr als einen ganzen Tag zurück liegen.
Cyneric kam langsam näher und blieb vor dem Bett stehen, bevor er sich zögerlich auf die Bettkante setzte, wobei er einen Abstand zu Milva hielt, den wichtige Leute vermutlich als "schicklich" bezeichnet hätten. Da der Schwindel inzwischen vergangen war und Milva die Augen wieder geöffnet hatte, konnte sie das Tablett entgegennehmen und zwischen den Knien festhalten. Als Cyneric sich für einen Moment zu ihr hinüber beugte, nahm sie zwischen dem Duft des Essens seinen Geruch war. Er roch angenehm, sauber und nach trockenem Leder, vielleicht ein wenig nach Metall.
Ohne ein weiteres Wort fiel Milva zuerst über eine tiefe Schüssel mit Suppe her. Sie ignorierte den hölzernen Löffel, hob stattdessen die Schüssel an die Lippen und nahm einen tiefen Schluck, ungeachtet der Tatsache, dass die heiße Flüssigkeit ihr Lippe und Gaumen verbrannte. Nur zwei Schlucke später hatte sie die Schale komplett geleert, und Milva riss ein Stück von dem weichen, hellen Brot ab, und wischte die Schüssel damit bis auf den letzten Rest sauber. Nachdem sie auch suppengetränkte Stück Brot verspeist hatte, breitete sich eine wohlige Wärme in ihrem Bauch aus, und sie hatte das Gefühl, dass die widerwärtige Schwäche in ihren Gliedmaßen ein wenig nachgelassen hatte. Anstatt sich ohne weiteres auf das Stück Braten - es mochte Hirsch oder Reh sein - dass sich auf einem Holzbrett befand, zu stürzen, griff Milva nach dem großen Becher. Mit Hunger kannte sie sich gut genug aus um zu wissen, dass sie, wenn sie zu viel und zu schnell auf einmal aß, nur erreichen würde, alles wieder zu erbrechen. Sie warf einen Blick in den Becher, in dem sich eine dunkelgelbe, trübe Flüssigkeit befand, und wandte sich dann mit hochgezogener Augenbraue nach links, in Cynerics Richtung.
"Was soll das sein?" Cyneric, dessen Miene nicht verriet, was er dachte, antwortete: "Saft, von einer Frucht aus dem fernen Süden, die ich nicht kenne - jedenfalls sagte der Koch mir das." Auf Milvas misstrauischen Gesichtsausdruck hin lächelte er leicht, und ergänzte: "Ich habe auch etwas davon getrunken. Es ist gut."
Die Antwort genügte Milva, und sie nahm einen kräftigen Schluck. Das Getränk war süß und ein wenig sauer, und prickelte auf der Zunge. Mit einem bedauernden Blick auf den Rest des Essens stellte sie dann das Tablett für den Augenblick beiseite, und wandte sich stattdessen wieder Cyneric zu.
"Ich... habe mir Sorgen gemacht", ergriff dieser die Gelegenheit. "Ich hatte befürchtet, du wärst verwundet worden, aber offenbar waren es nur die Nachwirkungen der Gefangenschaft."
"Nur", gab Milva zurück, doch nicht ärgerlich. In der Regel gefiel es ihr nicht sonderlich, wenn andere versuchten, sich um sie zu kümmern, oder sich Sorgen um sie machten, doch seltsamerweise störte Cynerics Besorgnis sie nicht weiter. "Ich habe... keine Ahnung wie lange in einem dunklen Kerker verbracht, nur um heute - es ist noch heute, oder?" Cyneric nickte, und Milva fuhr fort: "Nur um heute befreit und dann von diesem Zauberer oder was auch immer mit irgendwelchen Geschichten erschlagen zu werden. Und dann diese Geschichte mit dem König, und dem Dunklen Herrscher der kommt um uns alle zu töten und..." Sie presste die Handflächen gegen die Schläfen, und versuchte ihren Atem zur beruhigen.
Nach kurzem Zögern beugte Cyneric sich zu ihr hinüber und ergriff sanft ihre Hände.
"Es ist... schwierig, dass alles zu verstehen. Alles was hier passiert ist so..." Er lächelte schwach. "Es ist viel. Und eigentlich... eigentlich möchte ich mit alldem nichts zu tun haben, aber..." "... man hat das Gefühl, dass alles viel schlimmer werden könnte, wenn man wegläuft", beendete Milva den Satz für ihn.
Cyneric nickte, ohne den Blick von ihrem Gesicht abzuwenden. "Ich wäre viel lieber in Rohan geblieben, bei meiner Tochter. Aber ich..."
Milva unterbrach ihn erneut. "Du hast sie gefunden!" Der Gedanke erfüllte sie mit mehr Freude als sie erwartet hätte. Vielleicht... vielleicht war es doch möglich, dass manche Dinge ein gutes Ende hatten.
"Und viel zu schnell wieder verlassen", erwiderte Cyneric. "Es gab keinen Streit oder ähnliches", erklärte er schnell auf Milvas besorgten Gesichtsausdruck hin. "Déorwyn und ich, wir müssen beide für den Moment unsere eigenen Wege gehen, aber dieses Mal weiß ich, dass wir uns wiedersehen werden."
"Hm", machte Milva. Sie bemerkte, dass Cyneric noch immer ihre Hände hielt, doch sie machte keine Anstalten, die Berührung zu unterbrechen. "Ich nehme an wir sind in... Alatars Haus?"
"Das Konzil der Zauberer, so nennt er es", antwortete Cyneric. "Ja, als du... vor der Tür ohnmächtig geworden warst, habe ich dich hereingetragen."
"Und hast du..." Sie löste eine Hand aus seinem Griff, und deutete mit einer vagen Geste auf Raum und Bett, bevor sie eine saubere Haarsträhne in die Höhe hielt. Die Bewegung machte Cyneric darauf aufmerksam, dass er immer noch ihre linke Hand hielt, und zu ihrem leichten Bedauern ließ er sie los. Als er begriff, worauf sie anspielte, wirkte er ein wenig verlegen und erklärte: "Nein nein, Alatars Diener haben sich um dich gekümmert und in dieses Zimmer gebracht, und..." Er räusperte sich unbehaglich. "Gewaschen, nehme ich an. Ja."
Milva zog eine Augenbraue hoch, biss sich auf die Lippe und beugte sich ein wenig vor, wobei die Decke ein Stück verrutschte. Sie tat als bemerkte sie es nicht. "Und wenn keine Diener dagewesen wären? Hättest du dann..." Cyneric rutschte ein Stück in Richtung Fußende des Bettes, von Milva weg, räusperte sich erneut und heftete den Blick an einen Punkt irgendwo über ihrem Kopf.
"Ähm, die... die Decke ist..." Milva blickte nach unten, doch die Decke war keineswegs weit nach unten gerutscht und hatte nichts entscheidendes freigelegt. Sie verdrehte die Augen, rückte die Decke allerdings nicht wieder zurecht.
"Warum bist du überhaupt nach Gortharia zurückgekommen? Wir hatten noch keine Gelegenheit, darüber zu sprechen." Cyneric fuhr sich unruhig mit einer Hand über den Bart. "Nun, Ryltha, sie..." Er brach ab, als Milva ein unmerkliches Stück näher in seine Richtung gerutscht war.
"Was soll das werden?" Milva ächzte vernehmlich. Sie betrachtete Cynerics Gesicht einen Augenblick lang schweigend, bevor sie eine Entscheidung traf. Sie lehnte sich weiter nach vorne, und sagte leise: "Wie auch immer, ich sollte mich für die Befreiung bedanken." Sie beugte sich noch weiter vor, ganz nah an sein Gesicht heran, und küsste ihn sanft auf die Lippen - nur einen Moment lang, bevor sie sich wieder zurück zog. Zu ihrer Erleichterung hatte Cyneric sich nicht von der Stelle gerührt und sie auch nicht von sich gestoßen. In seinen grauen Augen, die sie intensiv betrachteten, spiegelte sich Unruhe und Nervosität. Schließlich sagte er leise: "Milva, hör zu. Wir können nicht... ich... ich bin..."
Milva unterbrach ihn zum dritten Mal. "Oh nein nein nein. Zu alt? Die Tochter-Masche kannst du bei mir vergessen. Ich hatte einen Vater, ich brauche keinen zweiten. Und überhaupt, auch wenn ich keine Ahnung habe, wie alt genau du überhaupt bist, du hast dich auf jeden Fall ziemlich gut gehalten." Sie rieb sich die Schläfen. "Oh, bei allen... Ich habe auch keine Ahnung, ob das eine gute Idee ist. Aber, verdammt noch mal, du siehst nun einmal ziemlich gut aus, du hast bewiesen, dass du ein guter Mann bist und obendrein hast du mich gerade aus einem finsteren Kerker befreit. Wie ein tapferer Ritter eine Prinzessin in all den Märchen. Habt ihr diese Märchen in Rohan auch."
Cyneric lächelte. "Die haben wir allerdings."
"Schön. Also sei mein Ritter, Cyneric. Allerdings..." Milva musste unwillkürlich grinsen, auch wenn ihre Hände vor Anspannung zitterten. "Ich gebe vermutlich keine besonders gute Prinzessin ab."
"Ich habe mich ohnehin nie nach einer Prinzessin gesehnt", erwiderte Cyneric sanft. Er griff nach einer Haarsträhne, die sich in ihr Gesicht verirrt hatte, doch anstatt sie ihr einfach aus der Stirn zu streichen, drehte er sie zunächst sanft zwischen den Fingern. "Und zu behaupten du wärst keine, hm... attraktive, junge Frau, wäre sicherlich eine Lüge, und dass ich... mich auf seltsame Weise zu dir hingezogen fühle, doch..." Er verstummte, und schüttelte leicht den Kopf.
"Doch was? Wovor hast du Angst, Cyneric? Dass du das Andenken deiner Frau beleidigst? Ich habe einen Jungen geliebt, vor ein paar Jahren, doch er ist tot, genau wie sie. Wir leben noch. Und ich glaube nicht, dass sie es missbilligen würden, wenn wir ein wenig Freude und... Liebe... mit jemand anderem finden. Und deine Tochter? Hast du Angst, dass sie es missbilligen würde? Wenn es soweit kommt, könntest du dich immer noch entscheiden, wer dir wichtiger es."
"Nur wäre es dann sicherlich schwieriger", meinte Cyneric ruhig, weiterhin ohne den Blick abzuwenden. Milva rang sich zu einem grimmigen Lächeln durch. "Mit Sicherheit."
Cyneric schwieg einen Augenblick, nachdenklich. "Das Risiko gehe ich ein. Wir könnten ohnehin morgen beide tot sein, also..." Er zuckte mit den Schultern, bevor er sich soweit nach vorne lehnte, dass Milva seinen Atem auf ihrem Gesicht spürte, und seine Stirn fast ihre berührte. "Ich gebe mich geschlagen... Prinzessin." Sie lachte beide, gemeinsam, wie über einen Witz, den nur sie beide verstanden, bevor Cyneric ergänzte: "Also. Lass es uns versuchen, und wir werden sehen, was passiert."
Damit küsste er sie, und dieses Mal lange und ausdauernd, viel länger als eben, als sie ihn geküsst hatte. Milva schlang die Arme um ihn, zog ihn näher an sich heran, bevor sie mit beiden Händen durch die Haare an seinem Hinterkopf fuhr.
Als sie sich schließlich lösten, waren sie beide ein wenig außer Atem, und Milva spürte, dass ihre Wangen gerötet waren. Cyneric stand auf, und nahm das Tablett vom Bett. Das übrig gebliebene Essen war inzwischen kalt geworden, doch im Augenblick verspürte Milva ohnehin keinen Hunger mehr, sondern nur eine behagliche, sehr zufriedene Müdigkeit.
Cyneric entfernte sich langsam, rückwärts, das Tablett in den Händen, bis er mit dem Rücken gegen die Tür stieß. "Ich denke, für heute solltest du noch ein wenig mehr Schlaf finden."
"Alleine?", versuchte Milva verführerisch zu fragen, doch ein herzhaftes Gähnen unterbrach sie und verdarb jegliche Wirkung. Cyneric lachte leise in seinen Bart hinein. "Alleine."
"Na schön", gab Milva zurück, und als Cyneric die Tür hinter sich geschlossen hatte, fügte sie leise für sich hinzu: "Für heute jedenfalls..."
Fine:
Nachdem er Milvas Zimmer verlassen hatte, brachte Cyneric das Tablett mit dem übrigen Essen zurück in die Küchen des Zaubereranwesens, die im Keller gelegen waren. Inzwischen war es Abend geworden. Von draußen drangen immer noch hin und wieder die Stimmen derjenigen gedämpft herein, die den Aufstieg des neuen Königs verkündeten. Alatar hatte nicht einmal einen halben Tag gebraucht, um das, was vom Rat der Zehn noch übrig war, hinter sich zu vereinen und Silan Bozhidar auf den Thron zu hieven. Der Zauberer hatte sich seither in seinem Anwesen nicht sehen lassen sondern war direkt im Palast geblieben.
Cyneric nahm auf einer hölzernen Bank im Essraum der Bediensteten des Anwesen Platz. Immer wieder schwirrten geschäftige Menschen um ihn herum, ohne ihn zu beachten, während er ein karges Abendessen zu sich nahm. Es gelang ihm recht gut, das Treiben in den Küchen auszublenden und in Gedanken zu versinken.
Ich frage mich, wie es jetzt weitergehen wird, dachte er. Das Reich der Ostlinge befand sich im Umbruch. Der neue König hatte seine Macht zwar auf den ersten Blick hin gefestigt, da er Rat ihn unterstützte und die Stadtwachen und die Armee hinter ihm standen, doch wie das Volk reagieren würde, war noch unklar. Auch die Schwarze Rose und andere Untergrundgesellschaften würden noch ein Wörtchen mitzureden haben. Und dann war da die dunkle Bedrohung aus dem Süden. Ob es wirklich stimmte, was Alatar gesagt hatte, dass der Dunkle Herrscher persönlich an der Spitze einer gewaltigen Streitmacht auf Gortharia vorrückte? In diesem Fall hätte Cyneric keine Zeit mehr zu verlieren. Er war nach Rhûn gekommen um Milvas Willen, und Milva war gerettet worden. Darüber hinaus hatte sie... ihn geküsst. Und er sie. Bei dem Gedanken spürte er, wie sich seine Mundwinkel anhoben und er unterdrückte verlegen die Miene. Ich sollte mit Milva so bald es geht von hier verschwinden. Sie zurück nach Rohan bringen, wo sie sicher sein wird, und...
Er unterbrach sich. Ertappt stellte er fest, dass er erneut über Milva als eine Frau, die es zu retten galt, gedacht hatte. Aber Milva war Rohan fremd, wer konnte wissen, ob sie überhaupt dorthin mitkommen wollen würde, oder ob sie nicht viel lieber in ihre Heimat Dorwinion ziehen würde. Cyneric nahm sich vor, so bald wie möglich mit Milva darüber zu reden.
Als er an seine Heimat dachte, tauchte das Gesicht seiner Tochter vor seinem inneren Auge auf. Déorwyn grinste frech und schien zu sagen: "Wie? Du hast eine Frau kennengelernt? Und was ist mit Mutter? Hattest du nicht vor, ihr Ansehen zu wahren?" In Cynerics Vorstellung gab seine Tochter die gespielte Strenge dann auf und kicherte. "Ich hab' es ja geahnt! So wie du von dieser Milva gesprochen hast, als du mir von deinen Abenteuern in Rhûn erzählt hast. Ich will sie unbedingt kennenlernen! Bestimmt wird sie hocherfreut sein, eine so wundervolle Tochter wie mich zu bekommen, denkst du nicht auch?"
Cyneric ertappte sich dabei, wie er bei diesem Gedanken grinste und begann, seinen Teller zu leeren. Sein Entschluss stand mittlerweile fest. Er würde Milva gleich morgen fragen, ob sie ihn nach Rohan begleiten würde... nach Hause.
Man teilte ihm eine kleine Unterkunft im selben Stockwerk zu, in dem auch Milvas Zimmer gelegen war. In dem Raum, in dem Cyneric einquartiert wurde, stand bis auf ein Bett kein anderes Möbelstück - für mehr war auch gar kein Platz. Doch das störte ihn nicht. Er hatte ohnehin nicht vor, mehr als eine Nacht hier zu bleiben. Als er seine Rüstung ablegte, fiel ihm das Schwert auf, das er seit Milvas Befreiung am Gürtel getragen hatte. Es steckte in einer unscheinbaren Hülle aus dunklem Leder, doch als Cyneric die Klinge vorsichtig hervor zog, und sie zum ersten Mal so richtig in Augenschein nahm, fiel ihm auf, was für ein Meisterstück das Schwert sein musste. Die Klinge war mit elbischen Runen beschriftet und wies eine einseitige Krümmung auf, die Cyneric seltsamerweise an einen der Säbel der Haradrim erinnerte, die er in der Schlacht auf dem Pelennor gesehen hatte. Der Griff besaß eine Parierstange, die ebenfalls gebogen war und nur auf der gebogenen Seite der Klinge ausgefertigt worden war. Das Schwert war leicht genug, um es in einer Hand zu führen, konnte aber auch mit beiden Händen gegriffen werden.
Cyneric fragte sich, wie Alatar, von dem das Schwert ja stammte, die Klinge nur vergessen haben konnte. Die Stadt versank zwar im Chaos, aber einem Zauberer war zuzutrauen, dass er ein solches Detail nicht aus den Augen verlieren würde, selbst während eines so großen Umsturzes wie dieser einer war. Cyneric fragt sich, ob Alatar wohl absichtlich zugelassen hatte, dass das Schwert in seinen Besitz gelangte - und aus welchem Grund der Zauberer das wohl getan haben mochte.
Diese Fragen, sowie alle weiteren Rätsel, über die er sich an jenem Abend vielleicht den Kopf zerbrochen hätte, blieben unbeabsichtigt, als sich die Tür des kleinen Zimmers plötzlich öffnete und eine Gestalt in einem schwarzen Kapuzenumhang herein kam, ein blankes Messer in der Hand. Ehe Cyneric reagieren konnte, versetzte der Angreifer ihm einen brutalen Stoß, der ihn mit dem Rücken gegen die Wand unterhalb des kleinen Fensters schleuderte. Er hob reflexartig die Hände und bekam dabei den Saum des schwarzen Umhangs zu fassen. Die Kapuze rutschte herab, als sich die Klinge des Messers an Cynerics Hals legte. Zum Vorschein kam das Gesicht Morrandirs.
Die Schattenläuferin war noch blasser als gewöhnlich und ihr Gesicht war von Wunden und Schnitten übersät. Blut lief ihr aus dem Mundwinkel, nur die Augen waren so kalt und gefühllos wie eh und je. Das schwarze Haar fiel ihn unordentlichen Strähnen zu beiden Seiten des Gesichts herab, die Lippen waren aufgeplatzt, die Nase ganz offensichtlich gebrochen.
"Verräter," sagte Morrandir mit einer grauenvollen Düsternis in der Stimme. "Hast du gedacht, du kannst den Schatten entfliehen?"
Cyneric schloss die Augen. Er wusste, dass es vorbei war. Die Klinge an seinem Hals ritzte ihn und etwas Blut rann daran herab.
"Na los. Tu was du tun musst," stieß er ruhig hervor.
"Sieh mir in die Augen, Verräter," forderte Morrandir und erhöhte den Druck um eine Winzigkeit. "Weigerst du dich, wird das Mädchen unter Qualen sterben."
Milva! dachte Cyneric entsetzt, auch wenn es unklar war, wen Morrandir wirklich gemeint hatte. Er öffnete die Augen und starrte die Schattenläuferin an, wollte etwas sagen... als ohne Vorwarnung das Fenster über seinem Kopf zu explodieren schien und etwas hindurch gerauscht kam, und Morrandir von den Beinen fegte.
Cyneric rappelte sich vollkommen durcheinander auf. Im Halbdunkel des Zimmers konnte er erst nicht sehen, wohin die Schattenläuferin geschleudert worden war. Die Türe, die Morrandir hinter sich geschlossen hatte, hatte den Aufprall aufgehalten und dort lag Morrandirs Umhang, einem großen schwarzen Bündel gleich. Als Cyneric einen vorsichtigen Schritt darauf zu machte, bewegte sich vor ihm etwas, und endlich konnte er erkennen, was er vor sich hatte.
Morrandir lag leblos auf dem steinernen Boden des kleinen Raumes, ihr Kopf ruhte am unteren Ende der Zimmertür. Ihre Gesichtszüge zeugten von der für sie so typischen Ruhe... doch die Augen waren im Schock weit aufgerissen und starrten regungslos, ohne zu blinzeln, ins Leere. Auf der gefallenen Schattenläuferin hockte rittlings eine schmale Gestalt, deren schwarzes Haar im schwachen Licht silbrig glänzte. Als sie den Kopf zu Cyneric drehte, blickte er in zwei entschlossene, grüne Augen.
"Salia..." flüsterte er fassunglos.
Die junge Frau blieb keuchend an Ort und Stelle sitzen. In ihrer Hand blitzte ein blutverschmierter Dolch auf. Ringsherum lagen hunderte Scherben, die Überreste des Fensters, durch das Salia gekracht war. Sie wies mehrere kleinere Schnitte an Armen und Gesicht auf, schien aber abgesehen davon unverletzt zu sein.
"Wo bist du gewesen?" fragte Cyneric atemlos.
"Ich habe die Schatten gejagt," erklärte Salia ausdrucklos und starrte auf die Leiche Morrandirs herab. "Ich wusste, dass sie dich nicht in Frieden lassen würden. Mich auch nicht. Eine habe ich erwischt," sagte sie und spuckte aus. "Rylthas Spur führt zurück zu..."
"Ryltha ist tot," unterbrach Cyneric sie. "Ich habe sie mit eigenen Augen sterben sehen. Und ich dachte, dass auch Morrandir tot wäre."
"Einen Schatten kann man nicht töten, es sei denn man wandelt selbst im Finsteren," sagte Salia, die inzwischen etwas fahrig wirkte. "Ich werde erst glauben dass Ryltha tot ist, wenn ihr Blut von meiner Klinge tropft. Und..."
"Und?"
"Mêril ist auch noch dort draußen."
Cyneric wurde bleich. "Verdammt," entfuhr es ihm. "Und ich dachte, im Haus eines Zauberers sicher zu sein..."
"Kein Ort ist sicher," antwortete Salia düster. "Nicht solange Mêril am Leben ist. Wir müssen es zu Ende bringen... koste es was es wolle."
Cyneric sprang auf. "Wenn Morrandir mich hier gefunden hat, dann müssen sie auch wissen, wo Milva ist." Er stieß die Tür auf und eilte den Gang entlang zu Milvas Zimmer, gefolgt von Salia.
Vor Milvas Zimmer hielt ein in Blau gekleideter Soldat Wache. Cyneric machte ihm noch im Laufen klar, dass er Platz machen sollte. Ihm pochte das Herz bis zum Hals vor Sorge. Glücklicherweise verstand der Wächter und machte ihnen die Tür auf. Drinnen war es hell - offenbar hatte Milva, oder jemand anderes, für viel Licht gesorgt.
Cyneric platzte ohne Vorwarnung hinein - und prallte erschrocken zurück, als er Milva entdeckte, die ihn entgeistert aus einem großen Badezuber heraus anstarrte, der im hinteren Teil des recht großen Raumes nahe des Fensters stand. Das Wasser reichte der Dorwinierin zwar bis über den Bauchnabel, aber der Rest des Oberkörpers war unbedeckt.
"Cyneric..." stammelte Milva und wurde schlagartig rot, die Hände hastig um die Brüste legend.
"Äh..." Cyneric wusste nicht, was er sagen sollte. "Es... geht dir gut," sagte er etwas lahm. "Da bin ich froh..."
Milvas Stirn legte sich in Falten. "Was tust du hier?"
"Ich war in Sorge..."
"In Sorge? Weswegen?"
Salia trat hinter Cyneric hervor. "Wegen der Schatten," sagte sie ernst, versetzte Cyneric dann einen festen Stoß in die Seite. "Dreh dich endlich um, du riesiger Idiot." Als Cyneric entgeistert gehorchte, hörte er ein Geräusch, von dem er nicht gewusst hatte, dass es überhaupt exisistierte: Salias Lachen.
"Was ist so komisch?" verlangte Milva zu wissen.
"Ihr zwei..." sagte Salia und schüttelte den Kopf. "Da lässt man euch einen Tag alleine, und ihr verliebt euch Hals über Kopf ineinander?"
"Naja, ich kann das erklären," meinte Cyneric verlegen.
"Hast du ein Problem damit?" fragte Milva patzig in Salias Richtung und versank dann bis zum Hals im Badezuber, die Füße auf der anderen Seite herausstreckend. "Und kann mir vielleicht endlich jemand erklären, warum ihr hier so reingeplatzt kommt als würde die Welt gleich untergehen?"
Salia wurde schlagartig wieder ernst. "Morrandir hat versucht, Cyneric zu töten. Ich kam gerade noch rechtzeitig. Die anderen Schatten sind noch dort draußen irgendwo. Wir müssen sie erwischen und wir haben nur noch wenig Zeit. Diese Stadt ist dem Untergang geweiht, fürchte ich."
"Langsam, langsam," sagte Milva. "Könnt ihr mir nicht eine einzige verdammte Nacht in Ruhe gönnen, ehe wir wieder gejagt werden und fliehen müssen?"
"Also..." begann Cyneric, doch Salia unterbrach ihn.
"Ich mache mich wieder auf die Suche. Wenn ich bis morgen Mittag nicht zurückgekehrt bin, dann müsst ihr die Stadt verlassen." Ohne ein weiteres Wort eilte sie aus dem Zimmer.
Cyneric drehte sich vorsichtig zu Milva um, die ihn mit einem noch immer recht bösen Blick bedachte und kleine Luftbläschen im Wasser mit ihren Lippen aufsteigen ließ, nachdem sie ihr Kinn und Mund unter Wasser gesenkt hatte.
"Es tut mir Leid," begann er. "Morrandir ist wie aus dem Nichts aufgetaucht. Wäre Salia nicht gewesen... ich bin sofort gekommen, um nach dir zu sehen."
Milvas Blick blieb immer noch auf ihn gerichtet, die Falten auf ihrer Stirn verschwanden hingegen.
"Ich weiß nicht, ob wir hier sicher sein werden, aber... ich vertraue Salia. Sie wird die anderen Schattenläufer finden. Ich ... weiß nicht, was ich tun soll, Milva. Und wohin wir gehen sollen. Ich habe so viele Fragen... Ob du mit mir nach Rohan kommen würdest. Ob wir hier diese Nacht noch vor unseren vielen Feinden sicher sein werden. Was uns wohl noch alles bevorstehen wird. Wie es weitergehen wird...."
Milvas Blick blieb unverändert, aber sie tauchte weit genug auf um etwas zu sagen. "Warum hältst du nicht einfach den Mund und kommst zu mir ins Wasser?"
Cyneric starrte sie einen Augenblick lang an. Dann schwankte er kurz... und machte dann einen Schritt auf Milva zu, seine Bedenken und seine letzten Vorbehalte hinter sich lassend.
Fine:
Sie hatten gerade genug Platz in der hölzernen Wanne, um nebeneinander im Wasser sitzen zu können. Der Wasserspiegel stieg bedrohlich an, als Cyneric (nur mit einem dünnen Tuch bekleidet) sich niederließ, aber bis auf ein paar Tropfen hier und da schwappte nichts über. Cyneric schloss für einen Moment die Augen und genoss das Gefühl - das angenehm warme Wasser, aber vor allem Milvas weiche Haut, die er an seiner Seite spürte, denn sie hatte sich an ihn geschmiegt.
"Was für ein sonderbarer Abend," murmelte er leise. "Erst werde ich beinahe gemeuchelt, und nun..."
"Und nun?" wiederholte Milva erwartungsvoll und schaute zu ihm auf.
Cyneric lächelte verlegen. "Jetzt sitze ich hier mit der Frau, die es geschafft hat, dass ich seit meiner Heimkehr nicht mehr ständig an meine Tochter denke - sondern an dich - und frage mich... ob das alles vielleicht nur ein Traum ist. Draußen geht die Welt unter... die Schatten jagen uns, der Dunkle Herrscher steht vor der Tür, das Chaos regiert in den Straßen... und doch fühle ich mich so ruhig und entspannt wie schon lange nicht mehr."
Milva machte ein leises, zustimmendes Geräusch, unterbrach ihn jedoch nicht.
"Erinnerst du dich noch an die Nacht, in der du etwas zuviel getrunken hattest, und..."
"Mhmmm," machte Milva.
"Ein Teil von mir wollte dir damals schon nachgeben. Und ein anderer Teil... hatte schon von Anfang an, seit unserer ersten Begegnung gespürt, dass... du etwas Besonderes bist. Ich habe nur... viel zu lange gebraucht, um zu verstehen, was ich wirklich fühle. Ich musste erst von dir getrennt werden, um... zu bemerken, was du mir bedeutest, Milva."
Milva wurde sichtlich rot. "W-was redest du denn da," murmelte sie undeutlich. "Hat dir das heiße Wasser endgültig den Verstand geraubt?"
"Nein, ich... sehe jetzt sogar vieles klarer," antwortete er und drehte sich zur Seite, sodass ihre Gesichter einander gegenüberlagen. "Ich liebe dich, Milva."
Milvas Miene wurde sanfter, und sie nickte sachte. "Und ich... liebe dich. Ich bin froh, dass du bei mir bist... und dass du wegen mir zurückgekommen bist."
Cyneric beugte sich vor, um sie zu küssen. Zuerst zaghaft, dann mit mehr Nachdruck erwiderte sie den Kuss. Sie ließen sich Zeit - Zeit, die sie wahrscheinlich nicht hatten, denn mit jeder verstrichenen Minute rückte die Streitmacht Mordors näher, doch in diesem Moment war beiden alles, was jenseits des Badezimmers geschah, egal. Cyneric hatte eine Hand an Milvas Wange gelegt, während sie den linken Arm um seine Schulter geschlungen hatte. Der Kuss intensivierte sich, und langsam näherten sich ihre Körper weiter an, bis Cyneric Milvas Hand auf seinem Rücken spürte. Sie zog ihn eng an sich, während sie sich auf den Rücken sinken ließ, sodass ihr das Wasser bis zum Schlüsselbein stieg. Sie löste den Kuss und blickte ihm in die Augen, eine unausgesprochene Einladung darin widerspiegelnd. Er hielt eine Sekunde lang inne, ehe er sachte Milvas Beine auseinander schob, und sie erneut küsste... um sich dann mit ihr zu vereinen.
Als Cyneric erwachte, lag er auf Milvas Bett. Die Dorwinierin war eng an ihn gekuschelt und schlief, ihr nackter Körper mehr oder weniger von einer leichten Decke eingehüllt. Stunden waren vergangen und der Morgen nahte schon. Das Liebesspiel hatte sie aus der Badewanne schließlich ins Bett geführt, als das Wasser endgültig überzuschwappen drohte. Cynric gestatte sich einen langen, genüsslichen Augenblick, in dem er die vergangene Nacht noch einmal Revue passieren ließ, ehe er sich den Sorgen des Tages stellen musste. Dann setzte er sich vorsichtig auf, um Milva nicht zu wecken.
Salia ist noch nicht zurückgekehrt, dachte er und mit diesem Gedanken kehrten die Sorgen zurück. Sie hat sich selbst Zeit bis heute Mittag gegeben, aber... Er war sich nicht sicher, ob er Salias Einschätzung in dieser Hinsicht wirklich vertrauen konnte. Die Schattenläufer waren tödlich, was ganz besonders auf ihre geheimnisvolle Anführerin Merîl zutraf. Vor Cynerics innerem Auge sah er Salia bereits verblutend in irgend einer Gasse liegen.
Wild entschlossen sie zu suchen stieg er aus dem Bett und zog sich an. Dann sah er aus dem Fenster. Die Stadtgarde marschierte die Straßen in großer Stärke auf und ab und schien das Chaos in der Stadt mittlerweile einigermaßen in den Griff bekommen zu haben. Milva war noch immer nicht erwacht, weshalb Cyneric den Raum verließ, um seine Waffen und Rüstungen aus dem kleinen Zimmer zu holen, in dem Morrandir ihn am Tag zuvor überfallen hatte. Erstaunt stellte er fest, dass das zerbrochene Fenster bereits wieder instand gesetzt worden war. Der Raum wirkte, als wäre Morrandirs Angriff nie passiert. Cyneric schob es auf die Eigenheiten Alatars und sammelte rasch seine Habseligkeiten ein. Als er zu Milvas Tür zurückkehrte, hielt ihn der in blau gekleidete Wächter auf.
"Dies wurde für Euch abgegeben," sagte der Mann und reichte Cyneric eine Schriftrolle. Rasch öffnete er sie und las:
Cyneric,
Ich habe Merîls Spur aufgenommen. Sie führt nach Dorwinion. Ich muss ihr hinterher - bitte sieh zu, dass du mit Milva so bald es geht aus Gortharia verschwindest. Am besten bringst du sie nach Rohan, dort werdet ihr in Sicherheit sein. Vielleicht werden wir uns dort wiedersehen, wenn mir Erfolg beschieden ist. Falls nicht, dann lebe wohl - ich danke dir für alles, was du für mich getan hast. Dank dir bin ich den Klauen der Schatten endlich entkommen und kann meine Vergeltung üben.
Salia
Nachdenklich ließ Cyneric das Schriftstück sinken. Also ist sie wieder fort, dachte er schweren Herzens. Er hatte es bereits befürchtet gehabt, dass Salia nicht auf ihn warten würde. Seufzend kehrte er in Milvas Zimmer zurück und weckte die Dorwinierin mit einem Kuss auf die Wange. Sie regte sich und schlug die Augen auf.
"Guten Morgen," sagte Milva leise, und der Blick in ihrem Gesicht ließ Cynerics Sorgen verblassen.
"Guten Morgen; gut geschlafen?" wollte er wissen.
"So gut wie lange nicht mehr," erwiderte sie mit einem wissenden Lächeln. "Das ... sollten wir öfter tun."
Cyneric schmunzelte, wandte jedoch den Blick nicht ab. "Das würde mir gefallen."
"Na, das hoffe ich doch," sagte Milva und setzte sich auf, sodass ihr die Decke vom Oberkörper herunterrutschte. Sie errötete zart, ehe sie Cyneric einen Kuss auf die Lippen gab und dann aufstand und sich anzog.
Kaum fünf Minuten später ging die Zimmertür auf und ein Mann kam herein. Er trug einen ähnlichen Umhang wie die Stadtgarde, jedoch deutlich prächtiger, sowie keinerlei Rüstung sondern stattdessen feine Gewänder. Als er den mit einem roten Sporn besetzten Helm absetzte, erkannte Cyneric Branimir Castav.
"Ich grüße euch beide," sagte Branimir, der von zwei Stadtwächtern begleitet wurde. "Ich muss euch bitten, sogleich mit mir zu kommen."
"Sind wir verhaftet?" platzte Milva heraus.
Branimir lächelte ungerührt. "Das würde ich so nicht formulieren, meine Liebe. Vielmehr... hängt es von eurem Betragen ab, wie ich mit euch verfahre."
"Wie ich sehe führt Ihr nun das Kommando über die Stadtwache?" fragte Cyneric beschwichtigend, und der Adelige nickte.
"So ist es. Ich komme im Auftrag König Silans, dem es gefiel, mich mit diesem Posten zu ehren. Er lässt nach euch schicken."
"Nach uns?" fragte Milva entgeistert. "Was kann er bloß wollen?"
"Seid unbesorgt," sagte Branimir. "Der König ist weise und gerecht. Gewiss wünscht er nichts als einen Beweis eurer Loyalität dem Thron gegenüber. Gebt ihm was er will und er wird euch in Frieden lassen."
Cyneric gefiel die Situation nicht, aber ihm war klar, dass ihnen keine Wahl blieb. "Also gut, Meister Castav," sagte er notgedrungen. "Dann gehen wir mit Euch zum König."
"Sehr gut," sagte Branimir zufrieden. "Ich bin mir sicher, es wird nicht lange dauern..."
Milva, Branimir und Cyneric zum Palast des Königs[
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