Das Schicksal Mittelerdes (RPG) > Palisor
Cuindar-Moor
Fine:
Córiel blieb etwas verdutzt stehen, als sich der Anführer der Elben Nurthaenars bereits zu entfernen begann. Caelîf warf ihr einen entschuldigenden Blick zu, ehe sich der Jüngling umdrehte, um seinem Meister zu folgen. Ehe sie sich dazu durchringen konnte, den beiden etwas hinterher zu rufen, griff Jarbeorn ein.
"Entschuldigt, Freunde," sagte der Beorninger und schloss mit zwei großen Schritten zu Caelîf und dessen Herrn auf. "Wenn ihr nichts dagegen hättet, würden Stikke und ich euch gerne begleiten. Auch wir haben noch ein Wörtchen mit der Fürstin dieser Siedlung zu wechseln."
Der Anführer der Nurthaenarer - Rástor war sein Name, wie Córiel später erfuhr - blieb stehen und wandte Jarbeorn den Kopf zu. "Ich hörte schon, dass ihr Boten der Hwenti seid und bei Herrin Nénsilmë vorgesprochen habt. Ich hätte sowieso ein paar Fragen an euch, besonders an dich, meine Dame." Er warf Córiel einen wissenden Blick zu, der sie sich fragen ließ, was genau Rástor damit gemeint hatte. "Nun gut, ihr dürft Caelîf und mich gerne begleiten - unter einer Bedingung."
"Die wäre?" fragte Jarbeorn.
"Es bleibt bei euch beiden. Eure... Gefährtin muss dem Gespräch fernbleiben."
Jarbeorn lächelte etwas gequält und wollte etwas sagen, doch Córiel kam ihm zuvor. "Wir wissen ohnehin nicht, wo sie gerade ist," erklärte sie entschuldigend.
"Ich verstehe," sagte Rástor geheimnisvoll. "Dann folgt mir bitte."
"Als ich nach Euch schicken ließ, hatte ich nicht damit gerechnet, dass Ihr ungeladene Gäste mitbringen würdet, Veríaran," sagte Nénsilmë in ihrem, Córiel inzwischen allzu vertrautem kühlen Ton. "Man sollte meinen, dass eine einfache Aufforderung einer Gastgeberin an ihre Gäste es wert sei, ihr Folge zu leisten, aber..." Ihre Worte verhallten in der kleinen Halle, die von mehreren Elbenlampen erhellt wurde.
"Eure Unhöflichkeit ist höchst unangebracht, Herrin Nénsilmë," sagte Rástor mit fester Stimme.
"Unhöflichkeit?" wiederholte Nénsilmë. Entgegen Córiels Erwartung geriet sie jedoch nicht in Rage sondern blieb ruhig und distanziert. "Wenn euch der Ton in meinen Hallen nicht gefällt, steht es euch jederzeit frei, Néndallin zu verlassen."
"Ich nehme an, Ihr habt uns nicht rufen lassen, um uns dies zu sagen," erwiderte Rástor und umging somit weitere Eskalationen.
"Nein, in der Tat nicht." Nénsilmës Blick streifte Jarbeorn und Córiel. "Ich schätze, es ist eigentlich kein Fehler, wenn diese beiden ebenfalls hier sind, denn was ich zu sagen habe, betrifft auch sie. Ich will, dass ihr versteht, weshalb ich nicht vorhabe, zu diesem Treffen, dass Herion einberufen hat, zu kommen. Mein Volk, die Cuind, haben schon immer an den Rändern des Wilden Waldes gelebt, wo Wasser fließt und wo die Sterne gut zu sehen sind. Doch dies offeneren Grenzlande boten niemals denselben Schutz wie es die tieferen Wälder im Zentrum Palisors tun. Schon lange Jahre haben wir es mit Orks zu tun, die uns übel zusetzen und wir haben uns dieser Bedrohung alleine gestellt. Keine Hilfe von den anderen Stämmen haben wir jemals eingefordert oder erhalten, denn wir gingen davon aus, dass jeder Stamm für sich selbst sorgen würde. So war es schon seit jeher seitdem Sonne und Mond den Himmel befahren. Sicherlich versteht Ihr dies, Veríaran Rástor."
Rástor nickte. "Auch Nurthaenar war von Anfang an auf sich allein gestellt. Nur sehr selten gab es Kontakt zu anderen Avari. Ich weiß, worauf Ihr hinaus wollt, Nénsilmë. Eure vorderste Sorge gilt Eurem Volk und Ihr habt das Gefühl, dass nun, da sich auch die anderen Stämme einer Gefahr ausgesetzt sehen, die Cuind weiter benachteiligt werden würden, wenn sie ihre eigene Sicherheit opfern um den anderen Avari beizustehen."
Nénsilmë blinzelte und wirkte überrascht. "Also versteht Ihr es tatsächlich," sagte sie langsam.
Der Anführer der Gilthandi von Nurthaenar packte die Gelegenheit beim Schopfe. "Und ich verstehe darüber hinaus, dass Ihr den Boten Herions gegenüber skeptisch seid, wenn sie in Begleitung einer so berüchtigten Person wie Vaicenya Féavendë zu Euch kommen."
Die Herrin der Cuind lehnte sich in ihrem Sitz zurück und verschränkte die Arme vor der Brust. "Ah. Dann hat man also selbst in Nurthaenar von den Untaten dieser... Person gehört." Sie suchte Córiels Blick - herausfordernd und unnachgiebig.
Doch ehe Córiel etwas antworten konnte, hatte Rástor bereits erneut das Wort ergriffen. "Ihr seht, Nénsilmë, wir sind gar nicht so verschieden, ob wir nun Gilthandi oder Cuind sind. Es geht uns um die Sicherheit unserer Völker. Und genau deshalb haben wir uns auch entschlossen, Euer Dorf zu besuchen. Um Euch zu warnen."
"Vor dem Drachen," schlussfolgerte Nénsilmë.
"So ist es," bestätigte Rástor. "Die Herrin der Quelle hat uns einen Blick in ihre unvergänglichen Gewässer gewährt. Dieser Drache ist nicht nur eine Bedrohung für Nurthaenar oder für die Elben, die an den Hängen des Orocarni-Gebirges leben. Es kann kein Zufall sein, dass sowohl Tarásanë von Taur-en-Elenath und Herion von den Hwenti uns gleichzeitig drängen, eine Versammlung der Stammesführer der Avari einzuberufen. Ihr wisst, welche Verwüstung eine solch mächtige Bestie anrichten kann. Doch was wir nicht wissen ist, wo der Drache zuschlagen wird. Deshalb müssen die Elben jederorts auf ihn vorbereitet sein."
"Und deshalb wollt Ihr, dass ich an dieser Zusammenkunft in Áyanvinvë teilnehme," schlussfolgerte Nénsilmë.
"Zur Sicherheit Eures und meines Volkes," ergänzte Rástor. "Niemand fordert von Euch, Eure Heimat schutzlos zurückzulassen. Nehmt an dem Treffen teil und wir werden besprechen, wie wir alle Elben Palisors vor der Gefahr durch den Drachen bewahren können."
Córiel erkannte, wie geschickt der Nurthaenarer gehandelt hatte. Er hat sich ihre Sympathie erworben indem er die Gemeinsamkeiten der Gilthandi und Cuind hervorgehoben hat, dachte sie bei sich. Und er hat ihr klar gemacht, dass sie auch dann etwas für ihre Leute tun kann, wenn sie ihr Reich verlässt.
Nénsilmë legte die Hände aneinander. "Ich gebe zu, dass Eure Argumente schlüssig sind. Also gut, Veríaran Rástor. Ich werde darüber nachdenken."
Die Fürstin der Cuind erhob sich und die Audienz war beendet. In Caelîfs Blick sah Córiel dieselbe Erleichterung, die sie bei sich selbst wahrnahm. Der Jüngling musterte sie für einen Augenblick, dann kam er herüber.
"Das lief deutlich besser als beim letzten Mal," sagte Caelîf, als Nénsilmë gegangen war.
"Dein Herr hat die Dame ganz schön um den Finger gewickelt," lobte Jarbeorn geradezu vergnügt. "Ein Meister der Redekunst, wie es mir scheint."
Rástor trat hinzu und hob amüsiert die Augenbrauen. "Ich habe ihr nur die Wahrheit so dargelegt, wie sie für mich nun einmal existiert," wehrte er ab.
"Nicht so bescheiden," schloss sich Córiel dem Lob an. "Ihr seid Nénsilmës Gift mit tugendhafter Geduld entgegengetreten und habt Erfolg gehabt. Ich kenne viele, die schon viel früher aufgegeben hätten."
Der Veríaran - offensichtlich einer von Rástors Titeln - erwiderte Córiels Blick, ohne jedoch sofort zu antworten. Nach einer kurzen Pause sagte er: "Ich denke, wir sollten uns unterhalten, meine Dame. Im Lager meiner Leute gibt es ein Feuer und gewiß etwas zu Essen. Bitte, seid meine Gäste."
"Ich sage zu einem guten Abendessen nie nein," antwortete Jarbeorn fröhlich.
Córiel nickte ebenfalls. "Auch ich habe einige Fragen an Euch, Meister Rástor." Allen voran die Frage danach, weshalb Tarásanë Caelîf meinen Namen verraten hat und weshalb die Herrin der Quelle die Elben aus Nurthaenar nach Gan Lurin geschickt hat, um Vaicenya und mich zu finden.
Caelîf schenkte Córiel ein schüchternes Lächeln. Auch er schien sich über die Einladung Rástors zu freuen. Gemeinsam machten sie sich auf den Weg zum Lager der Gilthani, das etwas außerhalb der Ansiedlung der Cuind gelegen war. Dort angekommen dauerte es gar nicht lange, bis alle vier eine einfache Abendmahlzeit erhalten hatten und es sich an einem der Feuer gemütlich gemacht hatten, um die Kälte der Winternacht fern zu halten.
"Bis jetzt war keine Zeit, uns einander ordentlich vorzustellen," sagte Rástor freundlich. "Ich werde Rástor genannt, und dies ist Caelîf. Wir stammen vom Volk der Gilthandi, aus der Stadt Nurthaenar, im Süden der Orocarni." Er deutete eine leichte Verbeugung an.
Córiel erwiderte die Geste. "Jarbeorn, Sohn des Grimbeorn," stellte sie ihren Gefährten vor, welcher gutmütig und mit vollem Mund nickte. "Ich bin Melvendë von den Tatyar."
"Das bringt mich zu meiner ersten Frage," sagte Rástor und suchte Córiels Blick. "Nur sehr wenige sind von den Tatyar in diesen Landen übrig geblieben. Stammst du also aus Taur-en-Elenath, jenem kleinen westlichen Außenposten?"
Córiel schüttelte den Kopf und fühlte sich etwas unbehaglich. "Ich... nein, Rástor. Zwar kenne ich den Sternenwald und dessen Herrin, Tarásanë, doch ursprünglich lebte ich hier, im Wilden Wald von Palisor."
"Ursprünglich?" hakte der Veríaran nach. "Also hast du deine Heimat verlassen?"
So kann man es auch nennen, dachte Córiel. Ehe sie weitersprechen konnte, fingen ihre feinen Ohren auf, wie Caelîf seinem Meister zuraunte: "Ich glaube, diese Fragen sind ihr etwas unangenehm."
Jarbeorn lachte. "Bei Stikke ist es nicht ganz so einfach," sagte der Beorninger gut gelaunt. "Aber ihr seid Elben, also werdet ihr es gewiß verstehen. Sie hat Palisor nicht freiwillig verlassen, sondern ist, nun ja, hier gestorben."
Caelîf warf Córiel einen entgeisterten Blick zu. Rástor hingegen blieb gelassen und strich sich eine widerspenstige Strähne seines Haares von der Stirn. "Ich hatte es vermutet. Also bist du tatsächlich jene Melvendë, von der mir Tarásanë einst erzählt hat. Die in den Kriegen vor dem Aufgang des Mondes kämpfte und dort den Tod fand. Und die nun zurückgekehrt ist."
Córiel blieb nichts anderes übrig, als zu nicken. "So ist es," bestätigte sie.
"Unglaublich..." murmelte Caelîf.
Die Aufmerksamkeit war Córiel unangenehm. Und wie so oft war es Jarbeorn, der sie rettete. "Wir haben von den Zwergen der Orocarni von Nurthaenar gehört," sagte der Beorninger. "Wie ist es dort denn so?"
Rástor beantwortete die Frage angemessen, ohne allzu ausführlich zu werden. So erfuhr Córiel von der verborgenen Stadt der Gilthandi, die einst zum Volk der Windan gehört hatten und sich im südlichen Teil der Orocarni eine neue Heimat erbaut hatten, wo sie relativ abgeschieden vom Rest Palisors gelebt hatten. Doch es dauerte gar nicht lange, da hatte der Veríaran eine weitere Frage an die Hochelbin.
"Tarásanë bat mich, in Gan Lurin die Augen nach einer Frau namens Córiel Ausschau zu halten. Sie soll in Verbindung zu Vaicenya stehen, der ich zu meinem Pech hier in Néndallin bereits begegnet bin."
"Stikke hat viele Namen," mischte sich Jarbeorn erneut ein. "Wenn ihr nach Córiel sucht, dann habt ihr sie gefunden." Er grinste stolz, ehe er einen großen Schluck Wasser aus seinem Krug nahm.
Rástor nickte. "Ich verstehe. Doch der Einfachheit halber werde ich bei Melvendë bleiben. Und ich möchte dich bitten, mir dabei zu helfen, Fürstin Nénsilmë dazu zu bringen, mit uns nach Gan Lurin zu reiten."
Córiel war etwas überrascht von dieser Bitte. "Ich hatte den Eindruck, es wäre Euch bereits gelungen, die Fürstin davon zu überzeugen."
Der Veríaran wog leicht den Kopf hin und her. "Die Nacht verändert allzu oft die Gedanken jener, die sich ihrer Umarmung anvertrauen. Morgen ist ein neuer Tag. Wer weiß, ob meine Worte bis dahin noch ihre Wirkung behalten werden? Es ist wichtig, dass das Treffen der Stammesführer so bald wie möglich stattfindet, nicht zuletzt um Nurthaenars Willen. Dieser Drache muss aufgehalten werden, ehe es zu spät ist."
"Ich verstehe. Und Ihr habt meine Unterstützung, Meister Rástor."
"Rástor genügt, meine Liebe," erwiderte dieser freundlich. "Es ist selten, mit jemandem zu sprechen, der sich an die Altvorderen Tage und die Zeit des Erwachens erinnert. Und noch seltener ist es, solch eine Person auf seiner Seite zu wissen."
Thorondor the Eagle:
„...aus den altvorderen Tagen“, wieder holte Caelîf leise, dann wandte er sich an Rástor und die anderen „Mein Herr, wisst ihr noch, Tarásane erzählte uns von der Prophezeiung: Die Gestalt aus längst vergangener Zeit, die im Kampf fiel und wieder zurückkehrte“, er zeigte unbewusst mit dem Finger auf Coriel „Sie ist es.“
„Ganz recht“, bestätigte der Veríaran die Vermutung.
„Hast du gehört Stikke, jetzt bist du schon Teil einer Prophezeiung“, warf Jarbeorn amüsiert dazwischen, Coriel schien aber verwirrt.
„Tarásane erzählte uns davon, dass zwei Freundinnen auseinandergerissen wurden und sich verloren haben. Dass eine deswegen vom Weg abgekommen ist und kaum haben sie sich nach tausenden Jahren im Sternenwald wieder getroffen, haben sie - in Freundschaft vereint - gestärkt ihren Weg fortgesetzt. Und ihr Rückschluss war, dass es keine größere Macht auf dieser Welt gibt als Freundschaft und Zusammenhalt.“
„Eins zu eins“, staunte Jarbeorn.
„Und das ist unser Auftrag“, wiederholte Caelîf „Die Elben des wilden Waldes zu Zusammenhalt und Freundschaft aufrufen, so wie wir in Nurthaenar immer gelebt haben.“
„Das ist aber eine große Aufgabe die unsere liebe Freundin euch gegeben hat“, hörten sie plötzlich eine Stimme außerhalb ihres Feuerkreises und sie erkannten die matten Konturen jener Elbe die aus dem Palast der Fürstin gestürmt war.
„Vaicenya“, sagte Coriel überrascht „Wo hast du die ganze Zeit gesteckt?“
„Nach diesem hitzigen Gespräch mit Nénsilmë musste ich mich erst einmal abkühlen. Ich bin es nicht mehr gewohnt mit solch sturen Elben zu diskutieren, aber das werden wir wohl noch öfter tun müssen.“
„Nun, mit Nénsilmë wohl nicht mehr, unser Freund hier hat sie schon erfolgreich becirct“, warf Jarbeorn ein.
„Bitte, setz dich zu uns Vaicenya“, bat Rástor. Caelîf’s Blick folgte ihrem geschmeidigen Gang. Eine faszinierende Aura umgab diese Elbe.
„Es ist lange her, dass wir uns das letzte Mal sahen“, sagte Rástor „Es war noch in Cuivienen.“
„Dort wollte ich hin“, antwortete sie forsch „Aber du hast mir den Zugang verwehrt.“
„Da irrst du dich. Es war mein Bruder, Túvo.“
„Nein, nein, ich weiß genau wovon ich spreche. Dein Bruder hat es mir ins Gesicht gesagt, das mag stimmen, aber die Botschaft kam von dir.“
Caelîf spürte die Spannung zwischen den beiden Ältesten.
„Wieso?“, durchbrach Coriel nun die bedrückende Stille und bemerkte gar nicht, dass die Frage an beide gerichtet war.
Mit einer zügigen Bewegung wandte sich Vaicenya an ihre Freundin, sie setzte ein trauriges Lächeln auf: „Ich hatte dich verloren, dich meine Gefährtin und mir blieb nichts. Gar nichts. Ich machte mich auf die Suche nach jener Elbe die uns über viele Jahre verbunden hatte um Trost, Freundschaft oder einfach nur Gesellschaft zu finden. Aber er, dieser fromme Elb, wie er dort sitzt hielt mich von Tarásane fern. Zu groß war seine Angst sie zu verlieren.“
Sie drehte sich zu Rástor: „Und doch, da ich diesen Schmerz kannte, konnte ich seine Entscheidung auch nachempfinden.“
„Letztlich haben wir beide verloren“, entgegnete Rástor „und nach all den Jahrtausenden durften wir jene wiedersehen die wir lieben. Auf die eine oder andere Weise.“
„Dann ist ja alles vergeben und vergessen“, versuchte Jarbeorn die Situation zu glätten. Rástor’s Blick war durchgehend auf Vaicenya gerichtet, seine Augen blitzten.
Die Elbe hielt seinem Blick stand, dabei suchte sie die Hand von Coriel und ergriff sie schließlich: „So scheint es“, antwortete sie lächelnd.
Der Moment war entschärft.
„Ihr wollt nach Gan Lurin?“, fragte Vaicenya nun nach.
„Ob das noch notwendig ist? Wir haben euch ja nun gefunden und nur deshalb sollten wir nach Gan Lurin“, antwortete Caelîf.
„Nun, da bin ich mir nun nicht mehr so sicher junger Freund. Es erscheint mir wichtig dorthin zu reisen um mit Herrn Herion über das Treffen der Avari zu sprechen. Außerdem liegt Gan Lurin in meiner alten Heimat. Zu gerne würde ich sie wiedersehen, ehe ich zügig in meine neue Heimat aufbreche.“
„Wir werden euch natürlich begleiten. Vermutlich war unsere Reise in Cuindar-Moor nicht unser einziger Auftrag, nicht war Jarbeorn.“
„Das will ich hoffen Stikke, ansonsten können wir mit ihnen in das Bergdorf gehen um den Ruhestand zu genießen.“
Coriel, Vaicenya und sogar Rástor mussten daraufhin lachen. Caelîf ärgerte sich über den Kommentar über Nurthaenar.
Rástor bemerkte dies: „Noch lacht ihr darüber, aber wenn ihr unsere Heimat einmal kennen gelernt hab und deren Schönheit und Ruhe genossen habt, werdet ihr uns darum beneiden, stimmts Caelîf?“
Der Junge nickte.
Rástor bot den zwei Elben und dem Beorninger an, in ihrem Lager zu übernachten. Immerhin hatten sie genug Platz und so zogen sich in der späteren Nacht alle in ihre Zelte zurück. Als es im Lager ruhig wurde, hörte der junge Elb die Musik dieses Ortes wieder lauter werden.
Er verließ seinen Schlafplatz und ging ein paar Schritte in dieser frühwinterlichen Nacht. Er folgte einem Pfad durch ein kleines Wäldchen und erreichte schließlich die Stelle wo er am Nachmittag eingeschlafen und erstmals auf Coriel getroffen war.
Um der Musik besser lauschen zu können, schloss er die Augen. Es klang wie ein Rauschen des Windes im Blätterdach, gleichzeitig wie der sanfte Klang einer Harfe und lieblicher Gesang. Es umspielte seine Ohren und beruhigte sein Gemüt.
Und da, unangekündigt hörte er ein Räuspern.
„Herrin Nénsilmë“, stellte er erschrocken fest.
„Hierher komme Ich immer um nun ja“, sie sprach nicht weiter.
„Ruhe zu finden und nachzudenken?“
Sie antwortete nicht.
„Was ihr vorhin gesagt habt, ich verstehe euch, Fürstin“
Sie sah ihn an: „Was verstehst du?“
„Nun ja, dieser Ort er ist irgendwie…“, sein Blick schweifte über die dunkle Oberfläche des Wassers.
„Du hörst sie auch, diese Musik, nicht wahr? Es ist das Wasser. Die Wesen des Wassers sind es die diese wunderbare Musik machen.“
„Wesen des Wassers?“, fragte Caelîf.
„Es sind Geister die im Wasser leben, nicht sichtbar aber schon seit jeher da. Sie dienen Ulmo, unserem Beschützer. Der eine unter den Herren Arda’s der schon immer bei uns war.“
„Darum verstehe ich, warum euch dieser Ort so wichtig ist. Wenn einem die Heimat so am Herzen liegt wie euch Nendallin oder mir Nurthaenar, will man sie um keinen Preis verlassen. Sie sind sehr betrüblich, diese Bilder…“
„Bilder? Bilder der Zerstörung meinst du. Ich habe davon geträumt und ich kann mein Volk hier nicht alleine lassen.“
„Ihr habt Recht, nur in der Gruppe ist man stark. Stark genug für diesen…“
„Diesen Drachen“, beendete sie seinen Satz, dann seufzte sie und schwieg. Sie wirkte irritiert, aber dann änderte sich ihre Miene und sie setzte ein freches Grinsen auf: „Du bist gut junger Elb, du machst dir meine Taktik zu nutzen um dein Gegenüber aus der Reserve zu locken. Dem gebührt eine gewisse Anerkennung und gleichzeitig sage ich dir, lass es bleiben.“
Caelîf wusste nicht was sie meinte.
„Ich wage jetzt eine Vermutung die auf deiner Intelligenz, deiner Zurückhaltung und deiner auffälligen, silbernen Haarsträhne beruht: Deine Vorfahren gehörten zu den Nelyar, nicht wahr?“
Er nickte.
„Nun, dann haben wir dieselben Vorfahren“, offenbarte sie ihm und er war überrascht „Aber jetzt, lass mich alleine. Ich habe noch eine Entscheidung zu treffen ehe die Sonne aufgeht.“
Der junge Elb zog sich in sein Zelt zurück. Für einen kurzen Moment fand er noch Schlaf und er träumte davon, wie die Geister des Wassers in der Weite dieses Moores wild umhertollten, wie sie Spaß und Freude hatten, sangen, tanzten und den ein oder anderen Streich spielten.
Fine:
Die Herrin der Cuind überraschte sie alle damit, dass sie noch früh am folgenden Morgen im Lager der Nurthaenarer auftauchte und Rástor und Córiel bat, mit ihr zu kommen. Caelîf, Vaicenya und Jarbeorn waren nicht eingeladen worden. Sie blieben etwas missmutig zurück, während Nénsilmë, die barfuß ging, Córiel und Rástor hinaus aus dem Dorf und in die dichten Schilfwälder am Seeufer hinein führte. Einem schmalen Pfad folgend kamen sie nach einer Viertelstunde schließlich an das hintere Ende des Sees, das aus einem ungefähr zwei Meter hohem Wasserfall bestand. Hier entwässerte sich die Sumpflandschaft nach Süden hin, um sich nach vielen Meilen irgendwann ihren Weg ins Binnenmeer von Rhûn zu suchen.
Nénsilmë blieb vor einem kleinen, geschnitzten Schrein stehen, der auf langen Stelzen im flachen Uferwasser erbaut worden war. Die ätherische Musik, die Córiel hin und wieder im Hintergrund während ihres Aufenthaltes im Dorf der Cuind vernommen hatte, war hier um einiges deutlicher zu hören. Eine melancholische Stimmung lag in der Luft.
"Dieser Ort ist dem Herrn aller Wasser geweiht," erklärte Nénsilmë mit Bedacht.
"Ulmo," fügte Rástor hinzu.
"So ist es. Selbst die kleinsten Bäche und Teiche sind ihm teuer, und im Gegensatz zu den übrigen Herren des Westens verschließt er sich nicht vor den Sorgen der Welt."
Sie schwieg für einen Augenblick. Córiel blickte staunend über das funkelnde Wasser hinaus, in dem sich die langsam aufgehende Sonne spiegelte. Ein dünner Nebel kroch an den Rändern des Sees entlang und hin und wieder glaubte die Hochelbin, schemenhafte Gestalten darin zu erkennen.
"Weshalb habt Ihr uns hierher gebracht?" fragte Rástor.
"Um euch zu zeigen, wieviel mir meine Heimat bedeutet," erwiderte Nénsilmë. "Ich würde alles tun, um sie zu schützen."
"Seid Ihr also zu einer Entscheidung gekommen?" wagte Córiel die dringende Frage zu stellen.
Nénsilmë drehte sich langsam zu ihr um und bedachte sie mit einem prüfenden Blick. "Das bin ich. Doch bevor ich euch meine Wahl offenbare, muss ich noch zwei Dinge wissen."
"Welche Dinge wären das?" ging Rástor rasch auf das Angebot ein.
"Ihr erzähltet von Eurer Heimat, Nurthaenar," sagte die Herrin der Cuind. "Hoch in den Bergen soll sie liegen, abgeschieden von der Außenwelt. Dort habt Ihr all die Jahrtausende überdauert. Wieso verlasst Ihr diese Stadt gerade jetzt?"
"Weil wir jetzt von einer Gefahr bedroht werden, die zu groß für uns ist. Die Gilthandi könnten sich dem Sternendrachen niemals alleine stellen. Es wäre unser Untergang. Nur vereint können die Elben von Palisor diesen tödlichen Feind bezwingen," erwiderte Rástor.
Nénsilmë dachte einige Augenblicke über die Worte des Veríaran nach, dann nickte sie. "Dann also zu dir, Melvendë. Ich bin mir nicht sicher, was deine Rolle in all dem ist. Weshalb bist du nach Palisor zurückgekehrt, und was schert es dich, welches Schicksal die Elben dieses Landes ereilt?"
Córiel brauchte einen Augenblick, ehe sie eine passende Antwort gefunden hatte. "Ich weiß, dass vieles in meiner Vergangenheit noch unklar ist - für mich selbst und für Andere. Und ich bin entschlossen, diese Rätsel eines nach dem anderen zu lüften. Aber solange Palisor sich einer Gefahr ausgesetzt sieht, an deren Entfesselung ich mindestens eine Teilschuld trage, kann ich nicht gehen, ohne mein Möglichstes zur Bekämpfung des Drachen getan zu haben. Herion bat mich, die Anführer der Avaristämme zu versammeln. Deshalb bin ich hier - alles andere ist im Augenblick nicht wichtig."
"Oh, wenn du dich da mal nicht täuschst," meinte Nénsilmë mit einem schwachen Lächeln. "Die Vergangenheit ist immens wichtig, egal in welcher Situation wir uns befinden. Sie kann uns jederzeit einholen und für böse Überraschungen sorgen. Ich ahne, dass dir von jener Sorte wohl noch so einige bevorstehen, Melvendë..."
Die Musik schien zu ersterben und eine unheilvolle Stille legte sich über den See. Ferne Geräusche aus dem langsam erwachenden Dorf der Cuind drangen aus der Entfernung über das Wasser. Dann sagte Nénsilmë: "Ich denke, ich habe meine Antworten bekommen. Und ich denke... ich werde Herions Aufruf folgen. Unter einer Bedingung."
"Und die wäre?" fragte Rástor.
"Ich werde Vaicenyas Anwesenheit keinen Tag länger unter meinem Volk dulden. Sie muss das Cuindar-Moor verlassen und schwören, es nie mehr zu betreten."
Córiel schluckte. Das wird ihr gar nicht gefallen, dachte sie bei sich. Doch dann nickte die Hochelbin. "Wenn dies Euer Preis ist," sagte sie mit fester Stimme.
Wenige Zeit später kehrten sie zu den wartenden Nurthaenarern zurück. Rástor bat seine Leute, sich für den baldigen Aufbruch bereit zu machen, während die Fürstin der Cuind in Richtung ihres Hauses verschwand. Sie würden sich am Nachmittag des selben Tages mit ihr am Ausgang des Dorfes treffen, um gemeinsam nach Gan Lurin aufzubrechen.
"Wie ist es gelaufen?" wollte Jarbeorn neugierig wissen. Auch Caelîf, der neben dem Beorninger saß, schien die Ohren zu spitzen.
"Nun, ich schätze, wir haben das erreicht, was wir wollten," meinte Córiel.
"Klingt nicht gerade, als würdest du dich darüber freuen, Stikke."
"Ich weiß auch nicht," murmelte die Hochelbin. "Irgendwie... hatte ich mir Herions Mission etwas anders vorgestellt."
Caelîf hob etwas zögerlich die Hand. "Ich bin froh, dass wir alle gemeinsam weiterreiten werden," sagte der junge Elb. "Wie weit ist es bis zu den Wäldern der Hwenti?"
"Drei Tagesritte," beantwortete Córiel die Frage. "Wir müssen aus diesem Morastgebiet heraus nach Osten, bis wir die Wasser des Erwachens erreichen. Jenseits davon liegen die Wälder, in denen Herions Volk lebt. Es sind sehr dichte Wälder und der Weg dort ist schwer zu finden. Deshalb hoffe ich, dass wir am Waldrand vielleicht schon auf einige Hwenti treffen werden, die uns zu ihrem Dorf führen können."
"Falls nicht, wird der Veríaran, mein Meister, sicherlich einen Weg finden," meinte Caelîf zuversichtlich. Dann schien ihm etwas einzufallen, und er fragte: "Sagtest du Wasser des Erwachens?"
Córiel nickte und Caelîfs Miene erhellte sich. "Wir werden wirklich dort vorbei kommen?"
Jarbeorn lachte. "Dieser Ort kam mir gar nicht so besonders vor," meinte er. "Es ist einfach ein See mit einem langen Strand."
"Natürlich ist es für jemanden wie dich nichts Besonderes," sagte Córiel, um den Beorninger etwas aufzuziehen. "Du könntest gar nicht verstehen, was es für einen Elben bedeutet, dort unter den ersten Sternen gestanden zu haben."
"Sterne sind doch Sterne, ganz egal wann oder wo sie scheinen," brummte Jarbeorn ein klein wenig verstimmt.
Córiel grinste. "Red' dir das ruhig ein, Schwarzpelz."
"Ich frage mich, ob diese unbequeme Sumpfherrin vielleicht ein bisschen zu sehr auf dich abgefärbt hat, Stikke."
Daraufhin mussten sie beide lachen. Auch Caelîf konnte sich ein Schmunzeln nicht mehr verkneifen.
Rástor kehrte zu ihnen zurück und bat sie, ihre Habseligkeiten zusammenzusuchen. Bald schon würden sie sich alle gemeinsam mit der Fürstin der Cuind und ihrer Eskorte auf den Weg ins Gebiet der Hwenti machen.
Coriel, Vaicenya, Jarbeorn, Nénsilmë, Caelîf, Rástor und Soldaten von Nurthaenar und Nendalin in das Tal von Dalvarinan
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