Caelîf, Náriel, Melvendë und Alcôr aus dem Tal von DalvarinanGibt es jemanden der dir wichtig ist? Die Frage die Melvendë ihm gestellt hatte geisterte durch seinen Kopf. Er wusste natürlich worauf sie hinaus wollte, aber zum ersten Mal hatte er sich mehr oder weniger absichtlich in die Naivität geflüchtet die ihm alle immer unterstellten und er hoffte, dass sie die Wahrheit nicht erkannt hatte.
Tatsächlich gab es in den vergangenen Jahrzehnten genug Elbinnen die Caelîf schöne Augen machten, aber für keine von ihnen hatte er mehr empfunden. Oder vielleicht war es einfach nur die Neugier, da es außerhalb seines gewohnten Lebens und dem Leben, das seine Eltern für ihn vorgesehen hatten, mehr gab. Die meiste Zeit dachte er nicht daran, aber wenn er Bücher las in denen die Liebe eine große Rolle spielte, da hatte er Sehnsucht nach solch einem Gefühl und solch einer Vertrautheit.
Im Gedanken vertieft, starrte er vom Eingang seines Zeltes wo er saß zu der Feuerstelle, an der sich die anderen vergnügt unterhielten. Sie waren bis weit nach der Dämmerung marschiert und solange sie unter freiem Himmel waren, war dies auch kein Problem, denn das Sternenlicht reichte als Beleuchtung für den Weg. Doch nun standen sie vor einer weiteren Passage durch den Wald und diese würden sie wohl erst am nächsten Morgen passieren können.
„Caelîf, komm doch herüber“, rief ihm Alcôr zu, der sich bereits unmittelbar neben die junge Nariel gesetzt hatte. Caelîf verstand nicht, was er an ihr fand. Sie wirkte sehr besserwisserisch und unruhig.
Vielleicht gefiel ihm diese leicht herrische Art die sie heute den ganzen Tag über hatte. „Dein Freund sollte wirklich lieber…“, als ihre Stimme erklang, schweifte Caelîf im Gedanken ab. Er schaute zum Waldrand der Lichtung, wo hunderte kleiner Lichtpunkte wirr umherschwirrten. Zunächst dachte der Elb, dass es sich um Glühwürmchen handeln musste, doch in dieser Jahreszeit gab es keine Insekten.
Er erhob sich und ging ein paar Schritte in das Dunkel der Nacht. Der Schein des Feuers warf lange Schatten auf das durch die Kälte zusammengefallene Gras auf der Lichtung. Es knirschte ein wenig unter seinen Sohlen.
Herrin der Quelle, was habt ihr nur mit mir gemacht. Bis jetzt waren es für mich eher Tagträume oder gar Einbildungen, aber sind sie das? Sind diese zahlreichen Erscheinungen echt? Sind es die Helfer der Valar? Hüter des Waldes die zurückgeblieben sind? Meister Rástor hatte davon erzählt. Der Elb verengte seine Augen um so ein deutlicheres Bild zu bekommen, aber es half nicht.
„Jetzt komm schon Caelîf“, hörte er wieder die Stimme seines Begleiters und diesmal folgte er ihr.
Der Erstgeborene fragte höflich, ob er sich neben Melvendë setzen durfte und diese bejahte unverzüglich. Sie reichten ihm einen Becher mit einem süßen Getränk, dass dem Nisyold aus Nurthenar sehr ähnlich war.
„Nariel erzählt gerade eine interessante Geschichte“, klärte ihn seine liebgewonnene Begleiterin auf „von einem Geist der hier in den Wäldern lebt. Er schützt den Wald vor jeglicher Bedrohung und bestraft jeden der ihn gegen seinen Willen betritt.“
„Bestrafen? Wie denn?“, fragte Caelîf mit unwohlem Gefühl.
Nariel ergriff das Wort: „Diese Frage ist wohl nicht so einfach zu beantworten. Man erzählt von einem Geist der seit jeher in diesem uralten Wald lebt. Er hegt und pflegt alles was lebt, denn seine Herrin hat es ihm aufgetragen. Die ersten Elben die hierherkamen – nichts wissend von seinem Auftrag – begannen damit ihre Häuser zu bauen und den Wald zu verändern. Aber dies ließ sich der Geist dieser Wälder nicht gefallen. In einer dunkeln, wolkenverhangenen Nacht suchte der Geist das Dorf der Elben auf. Er schlich sich zu ihnen während sie in der Stille ruhten. Nur der Hauch eines Schreies war zu vernehmen.“ Ihre Stimme wurde leiser bei diesem Teil der Geschichte „Und am nächsten Tag, als die ängstlichen Elben erwachten, war die Hälfte der Bewohner spurlos verschwunden. Sie fanden nicht einmal einen einzigen Fußabdruck in der Erde.“
„Und was ist dann Geschehen?“, fragte Caelîf.
„Dann zogen sich unsere Vorfahren in westliche Richtung zurück und errichteten dort die heiligen Stätten.“
„Und von den anderen habt ihr nie wieder etwas gehört?“
„Der Mythos sagt, dass aus den anderen die Kindi entstanden sind. Ein Volk, dass im Einklang mit dem Wald lebte“, antwortete sie in herabwürdigendem Tonfall „Feiglinge.“
Eine bedrückend Stille legte sich über die Runde.
„Was heißt Feiglinge?“, fragte nun Caelîf leicht empört und dachte an seine Freunde aus Awld-aronemer, „Was hat das damit zu tun?“
„Sie waren nicht bereit ihr Leben dem zu widmen, was unsere Vorfahren hinterlassen haben. Keiner von euch war das“, die Augen Nariel’s funkelten Caelîf an.
„Darum sind wir doch hier?“, entgegnet der Elb in fester Überzeugung seines Auftrages „Wir werden uns euch annehmen und eine Lösung finden.“
„Uns annehmen?“, zog die junge Elbe es ins lächerliche „Die letzten tausenden Jahres sind wir wohl sehr gut allein zurechtgekommen. Nur weil eure ach so geliebte Heimat nun von einem Drachen bedroht wird, seid ihr gewillt euch uns ‚anzunehmen‘?“
Caelîf sah hilflos in die Runde, doch keiner wollte Wort für ihn ergreifen.
Nariel setzte fort: „Dass euch die Kinn-lai helfen, solltet ihr besser anerkennen. Ansonsten ist es wohl das Beste, wenn du nachhause zurückkehrst in dein Nest und du, kleines Küken, dich dort bemuttern lässt.“
„Das ist doch…“
„Hört auf!“, beendete Melvendë mit lautem und bestimmtem Ton diesen Streit. Caelîf sah zu ihr hinüber. Ihr Brustkorb hob und senkte sich schnell. Sie presste die Augenlider zusammen. „Es ist genug.“
„Dem stimme ich zu“, hakte nun Alcôr mit einem verzweifelten Lächeln ein „Es hat keinen Sinn über diese alten Geschichten zu reden. Nicht wahr.“ Bei den letzten Worten wandte er sich wieder unverschämt lächelnd Nariel zu. Diese erwiderte den Blick nur kurz und tat ihn dann genervt ab.
Caelîf erhob sich, drehte sich zu Melvendë und ging in die Knie: „Ist alles in Ordnung mit dir?“, fragte er fürsorglich.
„Ja“, entgegnete sie „dieser Streit, unter Elben. Es war schon früher so. Aber es sollte nicht sein.“
„Wir sollten uns jetzt alle beruhigen und die hitzigen Gemüter etwas abkühlen lassen. Soll ich dich zu deinem Zelt bringen?“
„Danke“, antwortete sie und hängte sich bei ihm ein, als er wieder aufstand.
„Es wird keine einfache Reise werden, Caelîf.“
„Wie sich eben gezeigt hat“, bestätigte er „Wir sind wohl alle noch voreingenommen gegenüber dem anderen, wir müssen uns einander erst kennen und schätzen lernen.“
„Ich hoffe du hast recht.“
„Ruhe dich gut aus Melvendë, morgen geht es wieder weiter.“
Sie nickte nur und zog sich in ihr Zelt zurück.
Caelîf ging zu seiner Unterkunft und setzte sich wieder davor. Er wollte noch ein wenig frische Luft schnappen. Er beobachtete die Kinn-Lai wie sie das Feuer löschten und sich ebenfalls zurückzogen. Der junge Elb hörte bereits Alcôr im Zelt hinter sich. Lange noch starrte er in die Dunkelheit des Waldes, seine Gedanken verharrten bei den Vorwürfen Nariels.