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Autor Thema: Das Meer von Rhûn  (Gelesen 1724 mal)

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Das Meer von Rhûn
« am: 5. Jan 2021, 16:40 »
Milva und Cyneric vom Hafen von Gortharia


Die ersten Stunden der Reise verliefen ereignislos. Unter einem sanften, günstigen Wind machte das Schiff gute Fahrt in Richtung Nordwesten, bis die Küste kaum mehr als ein dunkler Streifen am fernen Horizont war. Cyneric und Milva vertrieben sich die Zeit damit, sich von einigen der Seeleuten die grundlegenden Funktionen des Flaggschiffs erklären zu lassen. Obwohl das ehemalige Kriegsschiff weitgehenden Umbauten ausgesetzt worden war, verfügte es noch immer über eine gewisse Bewaffnung, und konnte sich im Notfall durchaus zu Wehr setzen. Drei große Masten voller Segel ließen es geschmeidig über das klare Wasser des Binnenmeeres gleiten und sorgten dafür, dass das Schiff einen beeindruckenden Anblick bot - genau wie es sein Besitzer vermutlich auch beabsichtigt hatte.

Als es Abend geworden war, frischte der Wind spürbar auf. Es wurde ungemütlich an Deck, denn die kalten Böen die nun über die Planken fegten, schienen aus den kühlen Regionen nördlich des Meeres von Rhûn zu stammen. Cyneric glaubte sogar, einige verwirbelte Schneeflocken zu sehen, ehe er Milva unter Deck folgte. Dort saßen sie eine Weile in einem der luxuriös eingerichteten kleinen Empfangsräume, während von draußen immer wieder Wellen gegen die runden Fenster schwappten. Der Seegang wurde heftiger und für ungewohnte Beine war es nun schwerer geworden, sich aufrecht zu halten. Das Schiff begann zu schlingern und Cyneric spürte, wie Milva seine Hand ergriff. Sie war weiß um die Nase, als er sie ansah.
"Ich bin mir sicher, die Besatzung hat das Schiff unter Kontrolle,"  versuchte er sie zu beruhigen.
"Dieser Wind scheint immer stärker zu werden!" hielt Milva dagegen, und auch wenn sie nicht wirklich ängstlich dabei klang, spürte Cyneric doch, dass ihr die ganze Sache nicht geheuer war. Ihm selbst ging es genauso, denn mit Schiffen hatte er so gut wie keine Erfahrung. Aber konnte er Milva gegenüber jetzt Unsicherheit und Schwäche zeigen? Nein, das geht nicht, dachte er. "Lass uns doch mit dem Steuermann reden," schlug er schließlich vor. "Er wird schon wissen was dieses Wetter zu bedeuten hat."
"Also gut,"  meinte Milva nach kurzem Zögern und stand auf. Sie verließen den Raum und kehrten an Deck zurück, wo sie feststellen mussten, dass sich der Wind zu einem richtigen Sturm gesteigert hatte. Die Segel und Takelagen ächzten und knarzten, und die Besatzung schien alle Hände voll zu tun zu haben. Niemand achtete auf Milva und Cyneric, die sich mühsam ihren Weg zum Steuer am obersten Deck des Schiffs suchten, immer darauf bedacht, sich an irgend etwas (und aneinander) festzuhalten.
"Seid ihr beide wahnsinnig geworden? Zurück unter Deck mit euch!" brüllte sie der Steuermann an, ehe sie ihn noch ganz erreicht hatten. "Das ist ein ausgewachsener Sturm! Fort mit euch, na los!" Wie um seine Worte zu unterstreichen zuckte ein Blitz vom Himmel herab, gefolgt von lautem Donnern, denn der Sturm hatte ein Gewitter mit sich gebracht.
Milvas Finger schlossen sich enger um Cynerics Hand, als sie sich auf den Rückweg machten. Auf dem Hauptdeck angekommen mussten sie mit Schrecken ansehen, wie das Vordersegel mit einem lauten Reißen entzwei gerissen wurde und in Fetzen vom Mast herabfiel. Von Backbord her schwoll ein unheilvolles Rauschen an und Cynerics Augen weiteren sich vor Schreck, als er die riesige Welle sah, die - erhellt von einem weiteren Blitz - direkt auf das Schiff zurollte. Milva zerrte an seiner Hand, doch ehe sie sich in Sicherheit bringen konnten, krachte die Welle tosend auf das Hauptdeck herab und überspülte es. Cyneric wurde von einer gewaltigen Kraft mitgerissen. Wie durch ein Wunder gelang es ihm, Milvas Hand nicht loszulassen. Das schäumende Wasser nahm ihm die Sicht und er bekam keine Luft mehr. Er spürte noch, wie etwas seinen Nacken packte, dann sah er nur noch Schwärze.

Hustend und spuckend kam Cyneric wieder zu sich. Milva kniete über ihm, die Hände auf seinen nackten Oberkörper gepresst. Ihre Augen waren geweitet vor Schreck, doch nun wurde ihr Blick weich und erleichtert. "Du lebst," hauchte sie undeutlich und wischte sich über das feuchte Gesicht.
"Wo..." brachte er mühsam und noch immer von Husten geplagt hervor. "...sind wir?"
"Ich weiß es nicht," sagte Milva leise.
Cyneric stützte sich ächzend in eine sitzende Position hoch. Die Reste seiner Kleidung hingen in Fetzen an seinem Körper, nur die Hose aus gehärtetem Leder war bis auf das linke Bein (das vollkommen fehlte) mehr oder weniger heil geblieben. Um ihn herum herrschte eine trübe Finsternis, die von einem fahlen, grünlichen Licht nur schwach erhellt wurde. Er ruhte auf einem steinigen, unebenen Boden, und auch die Wände ringsum schienen aus demselben Material zu bestehen.
"Es scheint... eine Art Höhle zu sein," murmelte er erstaunt. "Aber... wie... ?"
"Ich weiß es nicht, Cyneric," wiederholte Milva. "Ich muss... ohnmächtig geworden sein, als die Welle uns traf. Als ich wieder zu mir kam, war ich hier... nass bis auf die Haut und ohne Orientierung. Und du lagst neben mir, aber... du hast nicht geatmet." Ihre Stimme zitterte, als sie sprach.
Cyneric schwieg. Er konnte sich keinen Reim darauf machen. Seine Haut juckte und ihm taten alle Knochen weh. Milva setzte sich neben ihn, und instinktiv legte er den Arm um sie. "Wenigstens sind wir am Leben, und... nicht voneinander getrennt," sagte er, als ihm nichts Besseres einfiel.
Milva nickte und legte den Kopf auf seine Schulter. "Ich frage mich, ob wir die Einzigen sind, die diesen furchtbaren Sturm überstanden haben," überlegte sie leise.
"Lass uns hoffen, dass außer uns niemand sonst über Bord gespült wurde, und dass das Schiff dem Unwetter entgangen ist," entgegnete Cyneric. Er sah sich um. Seine Augen gewöhnten sich nur langsam an das trübe Licht. Schließlich glaubte er, zur Linken etwas zu sehen... als würde der grüne Schimmer dort etwas stärker leuchten. Er sah genauer hin. Ja, es konnte keinen Zweifel geben: Das Licht kam von dort. Und noch etwas bemerkte Cyneric: Obwohl er es nur mit großer Konzentration sehen konnte, glaubte er, eine undeutliche Silhouette auszumachen, die sich vor dem fahlen Ursprung des grünen Lichts abzeichnete...
"Wir sind nicht allein," wisperte er Milva zu. Sofort fuhr sie auf und folgte seinem Blick. Milvas Augen waren schärfer, und sie erkannte sofort, was Cyneric gemeint hatte. Doch anstatt Angst zu zeigen, stand sie auf.
"Komm," sagte sie und half Cyneric ebenfalls auf die Beine. "Sehen wir uns an, was es dort zu sehen gibt."

Etwas mühsam näherten sie sich dem Lichtschein, wobei sie durch einen breiten Höhlengang kamen. Je weiter sie gingen, desto heller wurde das Licht, doch sie konnten nicht erkennen, woher es stammte. Die schemenhafte Gestalt, die sich vor dem grünlichen Leuchten abzeichnete, wurde deutlicher. Es handelte sich um einen breitschultrigen Mann, der eine Rüstung aus goldenen Schuppen trug. Als sie sich ihm näherten, drehte er sich zu ihnen um.
"Also seid ihr noch am Leben," sagte er mit tiefer, volltönender Stimme. "Gut."
"Habt Ihr uns aus dem Wasser gezogen?" wollte Cyneric wissen, dem nun wieder einfiel, dass er einen starken Griff im Nacken gespürt hatte, kurz nachdem die Wellen ihn verschlungen hatten. "Uns gerettet?"
"Wenn man so will," antwortete der Fremde ausweichend. "Und doch wart ihr beiden nie in Gefahr."
"Wie meint Ihr das?" fragte Milva heiser. "Cyneric ist beinahe ertrunken!"
"Und doch lebt er noch, oder etwa nicht?" Der Mann begegnete Milvas Blick mit ausdrucksloser Miene. "Es besteht kein Grund zum Zorn, Kind."
Cyneric legte Milva eine Hand auf den Arm und fragte: "Wo sind wir hier? Und... wer seid Ihr, Herr?"
"Ihr seid in meiner Wohnstätte," sagte der Fremde gelassen. "Es wird euch kein Leid geschehen, während ihr hier verweilt. Bleibt, solange ihr möchtet." Er machte eine Pause und sah Cyneric und Milva nacheinander an. "Was mich betrifft... mein Name lautet Rúnaeluin.
"Ich bin Cyneric... und dies ist Milva. Wir... danken Euch für die Rettung," antwortete Cyneric. "Aber wir können nicht bleiben... wir müssen nach Dorwinion gelangen."
"Was ist mit dem Schiff geschehen, auf dem wir unterwegs waren?" warf Milva ein. "Wisst Ihr etwas darüber?"
Rúnaeluin schloss für einen kurzen Moment die Augen, dann nickte er kaum merklich. "Es hielt den Wassern stand," sagte er.
"Das sind.. gute Neuigkeiten," meinte Cyneric.
Der Fremde wandte sich wieder dem Licht zu. "Ihr seid noch schwach. Geht und erholt euch. Ich weiß, dass ihr weitere Fragen habt, aber das wird warten müssen. Ihr habt mich beim Nachsinnen unterbrochen. Ich werde zu euch kommen, nachdem ich... mich geglättet habe."
"Was soll das heißen?" wollte Milva wissen.
"Geht," sagte Rúnaeluin mit Nachdruck. Rasch kamen sie der Aufforderung nach.

In der Höhle, in der Cyneric erwacht war, fanden sie einen breiten, flachen Stein vor, der zuvor nicht dagewesen war. Darauf ruhte eine hölzerne Truhe, wie sie auf Schiffen zum Transport von Handelsware oft verwendet wurde. Milva hob den Deckel an, als sie das Behältnis unverschlossen vorfand. Im Inneren fanden sie frische Vorräte: Trockenfrüchte, Dörrfleisch, Reiserationen und mehrere gefüllte Trinkschläuche.
"Muss wohl von unserem Schiff gespült worden sein, genau wie wir," mutmaßte Cyneric.
"Unser Glück," antwortete Milva. "Komm, zerbrich der nicht lange den Kopf darüber woher es stammen mag. Ich hab' einen Riesenhunger."
Cyneric nickte und sie aßen sich satt. Was danach geschah, konnte er hinterher nicht mehr genau sagen, er wusste nur noch, dass Milva und er kurz nach dem Essen sehr, sehr müde geworden waren, und an Ort und Stelle eingeschlafen waren.

Als Cyneric wieder erwachte, fühlte er sich, als hätte er einhundert Jahre lang geschlafen. Er blickte sich verwirrt um. Er war allein.

Milva war fort.
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Die Halle der Ströme
« Antwort #1 am: 19. Jan 2021, 14:12 »
Cyneric kam sich vor, als träume er noch. Das trübe, grünliche Licht, das die Höhle zumindest soweit erleuchtete, dass er ein wenig sehen konnte, sorgte dafür, dass er sich etwas schwummrig fühlte. Es war ein unnatürliches, kränkliches Licht, das von den Felswänden rings umher reflektiert wurde.

"Milva!"

Sein Ruf hallte in der Höhle wieder, doch es kam Cyneric so vor, als würde der Klang seiner Stimme schon nach wenigen Metern von der dicken, schweren Luft erstickt. Er stemmte sich hoch und sah sich aufgebracht um.
"Wo bist du?" Es kam keine Antwort. Cyneric spürte, wie sich sein Kiefer verkrampfte. Er sollte nicht hier sein. Wenn alles nach Plan gelaufen wäre, säße er jetzt mit Milva in Dorwinion, in relativer Sicherheit, und würde bereits Pläne schmieden, um Salia zu finden. Salia hatte in ihrem Brief, den sie Cyneric in Gortharia hinterlassen hatte, nur gesagt, sie wolle ihre einstige Meisterin Mêril nach Dorwinion verfolgen. Cyneric hatte jedoch nicht vor, Salia bei diesem gefährlichen Unterfangen im Stich zu lassen.
Doch nun war er hier gestrandet, an einem zeitlos wirkenden Ort, von dem er keinerlei Ahnung hatte, wo er sich überhaupt befand. Ob die Wellen des Sturms uns bis an eines der Ufer des Binnenmeeres gespült hat? Ich frage mich, ob diese Höhlen hier unterhalb der Klippen liegen, die am Südufer des Meeres zu finden sind...
"Dir darüber den Kopf zu zerbrechen, bringt dich jetzt nicht weiter," sagte er leise zu sich selbst. "Ich muss Milva finden."
Mühsam stapfte er los, nachdem er sich entschieden hatte, in die Richtung zu gehen, von der er glaubte, das grünliche Licht kommen zu sehen.

Wie lange er durch nie enden wollende Gänge geirrt war wusste Cyneric nicht. Doch als er an einer Weggabelung stehen blieb, glaubte er mit einem Mal, dumpfe Stimmen zu hören. Er stolperte darauf zu, den linken Gang entlang. Das Licht begann nun wieder zuzunehmen, und schon bald erhellte der grünliche Schein den gesamten Gang und Cyneric musste sich eine Hand vor die Augen halten, um nicht geblendet zu werden.
Die Stimmen wurden deutlicher, und Cyneric fühlte, wie eine gewaltige Last von seinen Schultern fiel, als er Milvas Stimme zu erkennen glaubte. Was gesprochen wurde konnte er nicht verstehen, denn einerseits war er noch zu weit entfernt und andererseits wurden Worte gesprochen, die einer Sprache entstammten, die Cyneric nicht kannte.
Endlich konnte er etwas sehen. Durch einen Höhleneingang gelangte er in eine riesige Kaverne. Das Licht fiel von oben auf ihn herab. Es schien Cyneric, als sein einer der Sterne unter die Erde herabgestiegen, denn über ihm hing in großer Höhe eine gewaltige, leuchtende Kugel, die der Ursprung des grünlichen Lichts war. Soweit Cyneric es abschätzen konnte, war der kreisrunde Stein ungefähr zweimal mannshoch, seine Oberfläche war ebenso grün wie das düstere Licht, das er von sich gab. Die Kugel glich nichts, was Cyneric je zuvor gesehen hatte. Über ihr lag nichts als eine dunkle Höhlendecke. Sechs eiserne, gebogene Stangen hielten die Kugel an ihrem Sitz und umschlossen sie wie eine eigens angefertigte Halterung.

Die Stimmen rissen Cyneric wieder aus seinen Gedanken und er sah, dass in der Mitte der großen Grotte Milva und Rúnaeluin standen und sich unterhielten. Ehe er sich bemerkbar machen konnten, kamen die beiden bereits auf ihn zu.
"Endlich bist du wach," sagte Milva und nahm Cynerics Hand. "Ich dachte schon, du wachst gar nicht mehr auf."
"Wo bist du gewesen?" wollte er wissen und es gelang ihm nicht, jeglichen Vorwurf aus seiner Stimme fernzuhalten.
"Ich habe tagelang an deiner Seite gesessen und auf dich Acht gegeben," antwortete Milva. "Doch ich kann nicht ewig stillsitzen. Ich war nur für eine Stunde fort..."
"Tage..lang?" wiederholte Cyneric langsam.
"Dein Gebein hat nach Ruhe verlangt," ergriff Rúnaeluin das Wort. "Du bist nun vollkommen erholt von den Verletzungen, die dir im Sturm zugefügt worden sind."
Cyneric wusste nicht, wie er darauf reagieren sollte. Daher stellte er die erste Frage, die ihm in den Sinn kam. "Was.. ist das für ein Ort? Und... diese Kugel? Woraus besteht sie?"
"Dies ist die Halle der Strömungen," sagte Rúnaeluin bedeutungsvoll. "Das Herz meines Reiches. Hier hüte ich jenes, was mir einst zur Verwahrung anvertraut wurde: einen der sieben Vandassarì."
"Er hat mir vieles erzählt und erklärt, wo wir sind," sagte Milva. "Cyneric, wir... befinden uns unter dem Meeresgrund des Binnenmeeres!"
Cyneric sah sich sprachlos um. "Aber..."
"Und er kann uns nach Dorwinion bringen," redet Milva ungerührt weiter.
"Wenn ihr beide dies wünscht, werde ich es gerne in die Wege leiten," bestätigte Rúnaeluin ruhig.
"Nun, wir wären dankbar..." brachte Cyneric undeutlich hervor. Erneut ging sein Blick zu der Kugel über ihren Köpfen. "Und was ist ein... Vanda...?"
"Ein Eid-Stein," erklärte Rúnaeluin schlicht. "Einer von sieben. Sie alle hatten jeder eine ihm eigene Farbe inne: grün, wie dieser hier, aber auch rot, gold, silber, blau und schwarz. An den Grenzen des alten Reiches wurden sie aufgestellt, nachdem man sie über das Trennende Meer gebracht hatte. Und dort schworen die Menschen den Herren der Vandassarì einen Bündniseid - einen Eid, den nur die Schändlichsten unter ihnen jemals zu brechen wagten. Denn er verfolgte sie selbst über ihren Tod hinaus."
"Unheimlich," sagte Milva. "Wer hätte gedacht, dass das Licht von dieser Kugel stammt? Kaum zu glauben, dass sie von Menschenhand geschaffen sein soll!"
"Ihr... habt gesagt, Ihr könntet uns nach Dorwinion bringen," sagte Cyneric. "Hat Milva Euch erzählt, weshalb wir dorthin gelangen müssen?"
"Ich weiß, was euch verfolgt und welche Schatten in jenem Land auf euch warten. Aber ich weiß auch, wer von Ferne über diese, die auch Maranya genannt wird, wacht. Ich kenne die Kunde, die meine Zuflüsse mir bringen."
Cyneric starrte den Fremden an. "Wer seid Ihr, Herr?"
"Ich höre die Worte der Wasserläufe, die hier über uns zusammenströmen. Einst sah ich dich, in Kalevin, wie du für jene eingetreten bist, die nicht selbst für sich eintreten konnten," sagte Rúnaeluin und sah Cyneric durchdringend an. "Und dir hörte ich dabei zu, wie du deine frühen Jahre an den Ufern des Eilenden verbrachtest," sagte er zu Milva. "Bis hoch zu den Zwergenstätten im Nordwesten und den vergessen geglaubten Mooren der Avari im Nordosten und zu den Quellen ein jeden Bächleins und Rinnsaals ringsum jenen kleinen Überrest, der heute von meinem einst so gewaltigen Reich noch geblieben ist. Als einst der gewaltige Helcar umgestürzt wurde, schuf er das Gewässer, das ich noch immer meine Heimat nenne, und von Almaren kam ich hierher, als alle anderen westwärts flüchteten. Hier habe ich über meine Ströme gewacht und gewartet, bis die Welt wieder zu ihrer natürlichen Ordnung gefunden hat."
Darauf wussten weder Cyneric noch Milva eine Antwort, aber offenbar war auch gar keine von ihnen erwartet worden. "Folgt mir, dann bringe ich euch an den Strand nahe der Zwillingsstädte..." sagte Rúnaeluin, und ohne auf sie zu warten, marschierte er im eiligen Tempo los, auf einen der auf der entfernten Seite der Höhle gelegenen Tunneleingänge zu. Sie sahen einander an und dann hasteten sie ihm hinterher.

Es kam Cyneric so vor, als wäre nicht mehr als eine halbe Stunde vergangen, in der sie Rúnaeluin durch den Tunnel hindurch gefolgt waren. Dabei glaubte er zu spüren, dass irgend etwas seine Schritte beschleunigte; teilweise kam es ihm sogar so vor, als würde er... geschoben, obwohl in dem Höhlengang nichts zu sehen war bis auf nackten Fels und das immer schwächer werdende, grünliche Licht des fernen Steins. Schließlich blieb Rúnaeluin ohne Vorwarnung stehen, und als Milva einen Schritt an ihm vorbei machte, trat ihr Fuß ins Leere; sie hätte das Gleichgewicht verloren wenn Cyneric sie nicht an der Schulter gepackt und zurückgezerrt hätte. Milvas Stiefel war durchnässt, denn vor ihnen endete der Gang in einem kleinen, kreisrunden Becken schwarzen Wassers.
"Dies ist das Tor nach Dorwinion," sagte Rúnaeluin. "Durchquert es, und ihr werdet unfern des Hafens von Holmgard auftauchen."
"Aber..." begann Milva.
"Entweder ihr durchquert das Wasser, oder ihr kehrt zur Halle der Ströme zurück." Rúnaeluin drehte sich bereits um, um davonzumarschieren. Doch dann hielt er noch einmal inne. "Eine letzte Warnung gebe ich euch mit auf den Weg. Hütet euch vor der verlorenen Schwester und ihren Dienern... selbst wenn sie vorgeben, eure Freunde zu sein." Damit ließ er sie stehen und verschwand.
Cyneric und Milva blieben mit mulmigem Gefühl am Ufer des Beckens stehen. "Ich weiß nicht recht," sagte Cyneric. "Ich habe kein gutes Gefühl dabei, aber... es scheint keinen anderen Weg zu geben."
"Dann müssen wir hindurch," stellte Milva klar.
"Ich werde zuerst gehen," beschloss Cyneric. "Wenn es sicher ist, folgst du mir."
"Nein," hielt Milva dagegen. "Entweder gehen wir gemeinsam, oder gar nicht."

Und so tauchten sie gemeinsam in das Becken ein, Hand in Hand, ehe das Wasser sie zu Schwimmbewegungen zwang und sie einander loslassen mussten. Einen Boden schien das Becken nicht zu haben, und ehe sie es sich versahen, wurden sie von einer starken Strömung gepackt und nach unten gezogen. Cyneric verlor Milva aus den Augen, als er kopfüber gewirbelt wurde und wenige Herzschläge später mit einer großen Welle krachend auf überraschend harten Sandboden geschleudert wurde. Die Welle zog sich zurück und Cyneric stellte hustend fest, dass er an einem dunklen Strand angespült worden war. Zu seiner Rechten blinkten in der Ferne die vielen Lichter einer großen Hafenstadt auf. Er drehte sich zum Meer um und sah mit an, wie Milva von der nächsten Welle ebenfalls auf den Strand befördert wurde. Er half ihr auf und mehrere Minuten starrten sie schweigend und frierend auf das Meer hinaus, das weder von Mond noch Sternen erhellt wurde. Es schien sich wieder beruhigt zu haben, und nur noch ganz kleine Wellen schwappten hier und da den Strand hinauf.
"Komm," sagte Cyneric. "Gehen wir in die Stadt und suchen uns einen trockenen Ort, ehe wir uns noch den Tod hier draußen holen."
Milva nickte und gemeinsam stapften sie los, vollkommen durchnässt wie sie waren.


Cyneric und Milva nach Dorwinion
« Letzte Änderung: 1. Feb 2021, 13:14 von Fine »
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