Das Schicksal Mittelerdes (RPG) > Eregion

Tan Hollinór / Nördliches Eregion

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Eandril:
Oronêl und Orophin aus Dunland...

Nach ihrem Aufbruch aus Dunland wanderten die Elben entlang der langgezogenen Kette des Nebelgebirges nach Norden. Orophin war noch nie hier gewesen, und Oronêl nur ein einziges Mal, als er und Amdír Mitte des zweiten Zeitalters eine Reise nach Imladris unternommen hatten. Dennoch, über viertausend Jahren hatte sich das Land verändert. Damals hatte das Reich von Eregion noch existiert, und sie waren auf einer gepflasterten Straße, von der inzwischen keine Spur mehr zu sehen war, nach Norden gereist.
So kam es, dass sie am dritten Tag nach dem Aufbruch ihren Weg schnurgerade nach Norden fortsetzten, obwohl sich die Hügel im Westen immer höher erhoben. Schließlich wurde ihnen klar, dass sie sich in einem engen Tal zwischen der Hauptkette der Nebelberge und einer Seitenkette befanden, und hier trafen sie auch das erste Mal auf Orks.
Die erste Gruppe mit dem Zeichen der Weißen Hand konnten sie noch problemlos umgehen, doch nur eine Meile nach Norden stießen sie auf ein größeres Lager, dass sich in einem dunklen Tannenwald, der die Orks vor der Sonne verbarg, über den gesamten Talgrund erstreckte und ihnen so den Weg nach Norden versperrte.

"Was machen wir jetzt?", fragte Orophin flüsternd. Die Elben lagen verborgen in einem Gebüsch, neben einem munter plätschernden Gebirgsbach, der vermutlich zum Lautwasser hinunterfloss, und beobachteten das Orklager.
"Zurückgehen kostet uns zu viel Zeit", gab Oronêl ebenso leise zurück. "Und außerdem könnten wir unten auf weitere Orks stoßen." Im Lager war währenddessen ein Kampf ausgebrochen, was nicht unüblich unter den Orks war. Oronêl betrachtete die Kreaturen mit einer Miene des Abscheus, während der Kampf von einigen größeren Orks mit dem Zeichen der Weißen Hand auf ihre Weise geschlichtet wurde - indem sie einige Köpfe abschlugen.
"Umschleichen können wir sie auch nicht, und ich fürchte, dass das Tal eine Sackgasse ist. Ich kann mich nicht an diese Gegend erinnern, aber ich vermute dass die alte Straße westlich dieser Bergkette verlief."
"Also steigen wir hinüber", schlug Orophin vor, auch wenn Oronêl an der Miene seines Gefährten erkennen konnte, dass ihm der Gedanke wenig behagte. Orophin war noch mehr als er selbst an die sanften Wälder Lothlóriens gewöhnt, und mochte die Berge nicht. Dennoch stimmte Oronêl zu. "Das ist vermutlich der schnellste Weg." Er robbte, von Orophin gefolgt, langsam wieder zurück auf die andere Seite des Gehölzes und richtete sich dort außerhalb des Sichtfeldes der Orks wieder auf.
"Wir sollten uns beeilen", sagte er, und nahm den Bogen den er dort liegen gelassen hatte, wieder auf den Rücken. "Auch wenn wir Sommer haben kann es in den Bergen sehr kalt werden und sogar schneien. Und ich weiß nicht, wie hoch die Berge im Westen sind." Er ärgerte sich, dass er sich in dieser Gegend so wenig auskannte.

Bald stießen sie auf einen schmalen Pfad, der sich in steilen Kehren entlang des Berghangs durch die Kiefern und Lärchen nach oben wandte. Trotz der Steigung kamen die Elben schnell voran, und bald wurden die Bäume weniger und hörten schließlich ganz auf. Weiter oben waren die Hänge nur noch von Gräsern und Heidekräutern bewachsen, und die Felsen waren weiß- und braungefleckt von Flechten. Die plötzliche Weite und Freiheit gefiel Oronêl, obwohl ihm die Bäume fehlten. Er genoss den Wind, der kühl aus dem Norden kam und die Gräser rascheln ließ, beobachtete einige Bergziegen, die nördlich von ihnen in einer steilen Felswand herumkletterten und die schneebedeckten Gipfel der Hauptkette im Osten, die in der Sonne glänzten. Orophin zeigte sich deutlich weniger begeistert von seiner neuen Umgebung, und er sah sich immer wieder nervös nach unten um, wo die Wipfel der letzten Bäume im Wind schwankten.

Unten im Tal sahen sie weitere Orklager, die sich nach Norden erstreckten, und in denen es von schwarzen Gestalten wimmelte.
"Ich wusste nicht, wie viele Orks es in diesen Bergen gibt", meinte Oronêl, als sie vor einem Geröllfeld, dass sich quer über ihren Weg erstreckte, auf einem sonnenbeschienenen Felsen rasteten. Es war inzwischen Nachmittag geworden, und obwohl die Sonne inzwischen tiefer stand und der Talgrund bereits im Schatten lag, brannte sie in der dünnen Luft heiß auf sie hinunter. Die Macht Sarumans erschien ihm von hier oben gleichzeitig größer als er gedacht hatte und weit entfernt, als ob ihn nichts erreichen könnte. "Aber nicht alle scheinen Saruman zu dienen", gab Orophin zu bedenken, und zeigte auf das Nordende des Tales. Dort strömten schwarze Punkte von den Berghängen auf eines der Orklager hinab, und offenbar entbrannte ein erbitterte Kampf, der von weitaus größerem Ausmaß als die üblichen Streitereien unter den Orks zu sein schien.
"Wer auch gewinnt, es ist in keinem Fall gut für uns", erwiderte Oronêl düster, straffte sich dann aber und stand auf. "Wir sollten nicht zu lange verweilen, ich würde gerne auf der anderen Seite sein bevor die Nacht herein bricht."
Orophin sprang erleichtert auf. "Ich würde ebenfalls gerne so schnell wie möglich aus diesen Bergen verschwinden... und zurück in die Wälder." Oronêl warf ihm einen mitleidigen Blick zu, auch wenn er selbst sich der Faszination der Berggipfel nicht entziehen konnte.

Ihr Pfad führte sie nur noch wenig höher, auch wenn das letzte Stück über steile Felsen führte und sie teilweise klettern mussten. Schließlich erreichten sie den Berggrat zwischen zwei hoch aufragenden Gipfeln, und konnten nach Westen auf die Ebenen von Eriador hinabblicken.
"Sieh nur", sagte Oronêl, und deutete ein Stück nach Westen ins Land hinein. "Der Fluss, der sich dort nach Süden zieht, müsste die Bruinen sein, die von Imladris hinabkommt und sich schließlich mit dem Mitheithel vereinigt." Dieser zweite Fluss war noch weiter im Westen als schmales silbernes Band zu sehen, und als Oronêl seinen Blick weiter nach Nordwesten richtete glaubte er, in weiter Ferne ein weißes Aufleuchten im Abendlich zu sehen, das nach einem kurzen Augenblick wieder verschwunden war.
"Komm", drängte Orophin, der schon ein paar vorsichtige Schritte den Steilhang hinuntergeklettert war. Es war deutlich, dass er die Berge so schnell wie möglich verlassen wollte. "Ich möchte hier oben nicht verweilen, in dieser... Leere."
Oronêl wusste was er meinte, denn rings um sie war nur Himmel zu sehen, doch im Gegensatz zu Orophin genoss er die Weite und den Wind, der hier aus dem Westen herankam. Trotzdem folgte er seinem Gefährten, denn auch er wollte ungern so hoch oben wo er sich nicht auskannte von der Dunkelheit überrascht werden, und die Sonne stand bereits tief. Das Tal im Osten lag bereits in tiefem Schatten, und nur die höchsten Hänge der östlichen Bergkette waren noch beleuchtet.

Sie erreichten den Fuß der Berge noch vor dem Einbruch der Dunkelheit, denn bergab kamen sie schneller voran als bergauf, und die steilen Hänge der Gipfelregion gingen unterhalb der Baumgrenze in sanftere Abhänge über. Am nächsten Tag stießen sie erneut auf den Pfad, der sich westlich der Berge nach Norden zog und alles war, was von der alten Straße noch übrig war, und folgten ihm von da an ohne weiter Zwischenfälle.
Nur drei Tage später sahen sie die Lichter von Bruchtal leuchten, eine Woche nach ihrem Aufbruch in Dunland.

Oronêl und Oropin nach Imladris...

Eandril:
Oronêl, Kerry, Elea, Finjas, Arwen und Pippin von Norden...

Sie schlugen ihr nächstes Nachtlager am Rand der nördlichen Rand der Ebene von Eregion auf, am Grund einer tiefen, mit Heidekraut bewachsenen Mulde. Der kleine Bach, dem sie seit einiger Zeit nach Süden gefolgt waren, bildete hier einen flachen Tümpel, dessen Ufer mit Schilfrohr bestanden waren. Da der Lagerplatz gut geschützt war, hatte Oronêl nichts gegen ein Feuer einzuwenden, das Finjas mit einigem Geschick bald in Gang gebracht hatte.
Als sie eine karge, aber immerhin warme Mahlzeit eingenommen hatten war die Nacht bereits weit fortgeschritten.
"Schlaft", kam Oronêl den Menschen zuvor, die gerade bedeutsame Blicke gewechselt hatten. "Ich übernehme die Wache - ihr werdet eure Kräfte für die Weiterreise brauchen." Kerry öffnete den Mund, vermutlich um wie üblich zu widersprechen, doch statt Worten wurde ein herzhaftes Gähnen daraus. Oronêl hob bedeutungsvoll eine Augenbraue, und spürte seinen Mundwinkel amüsiert zucken.
"Na schön", erwiderte Kerry, musste aber selbst lächeln. "Das heißt wohl, du bekommst deinen Willen."
Elea jedoch schüttelte den Kopf. "Selbst das ältere Volk benötigt Ruhe, wenn schon keinen Schlaf. Ich werde dich in ein paar Stunden ablösen." Ihr Tonfall war ruhig, aber unmissverständlich bestimmt, und Oronêl kam nicht umhin sich vorzustellen, wie Elea einen jungen Helluin in eben jenem Tonfall zurecht wies. Er verdrängte den Gedanken rasch wieder, denn er wollte eigentlich nicht an Helluin denken.
Oronêl tauschte einen Blick mit Arwen, die leicht belustigt wirkte, und zuckte dann mit den Achseln. "Meinetwegen."

Die Nacht war noch nicht besonders weit fortgeschritten, als er leise, raschelnde Schritte hinter sich hörte - zu leise für die Menschen oder den Hobbit Peregrin. So war er auch wenig überrascht, als Arwen sich anmutig neben ihm auf dem breiten, flachen Felsen, den er als Sitzplatz ausgewählt hatte, niederließ. Sie schwiegen einen Augenblick, bevor Arwen, den Blick nach Süden gerichtet, fragte: "Was glaubst du wird in Eregion geschehen?"
"Ich weiß es nicht", erwiderte Oronêl. "Es ist eine seltene Gabe, in die Zukunft blicken zu können, und mir ist sie nicht gegeben." Als Arwen schwieg, fügte er hinzu: "Vielleicht ist die Schlacht um Eregion längst geschlagen. Vielleicht finden wir nur noch Asche und Ruinen vor. Oder die siegreichen Manarîn. Vielleicht geschieht eines der beiden erst, wenn wir dort sind. Vielleicht wird Eregion gar nicht angegriffen, und wir haben uns geirrt. Ist das denn wichtig?"
Arwen schwieg noch eine weitere Weile, bevor sie antwortete: "Nein, ich denke... nicht." Sie klang verwundert. "Lange Zeit war ich mir sicher in meinem Wissen über die Zukunft. Nur wenig hat mich überrascht, bis... die Nachricht aus dem Süden kam. Über die Schlacht am Schwarzen Tor, und Saurons Triumph." Die ohnehin schon kalte Luft schien noch ein wenig abzukühlen, als Arwen den Namen aussprach. "Und nun breche ich das erste Mal in meinem Leben ins vollkommen Unbekannte auf."
"Manchmal muss man den Sprung ins Unbekannte wagen, um ans Ziel zu kommen", meinte Oronêl. "Wichtig ist nur, dass wir die Hoffnung bewahren, dass, egal was passiert, am Ende jede Dunkelheit besiegt werden kann." Er senkte den Blick, und ergänzte leise: "Es hat einige Zeit gedauert, bis ich das begriffen habe. Und manchmal fällt es mir noch immer schwer, es zu glauben."
Als er wieder auf sah, war Arwen bereits wieder fort, doch sie hatte etwas zurückgelassen. Auf dem Stein lag eine Brosche in Form eines einzelnen goldenen Mallornblattes.

Als schließlich Elea kam um Oronêl abzulösen, hatte es leicht zu schneien begonnen, und weiße Flocken wirbelten durch die Nacht. Oronêl hatte die Hand um die Brosche, die Arwen ihm dagelassen hatte, geschlossen und war in Gedanken versunken, doch als Elea sich ihm mit leise im Schnee knirschenden Schritten näherte, stand er auf.
"Jetzt wünsche ich mir beinahe, ich hätte nicht auf der zweiten Wache bestanden", sagte Elea halb scherzhaft, und zog die Decke, die sie vom Lager mitgenommen hatte, ein wenig enger um sich. Tatsächlich war es im Laufe der Nacht empfindlich kalt geworden, und ihnen beiden stand der Atem in kleinen Wölkchen vor dem Mund.
"Du musst es nicht tun, nur um dich nützlich zu fühlen", erwiderte Oronêl, aber ohne großen Nachdruck. Elea zuckte mit den Schultern und ließ sich auf dem schneefreien Fleck, auf dem Oronêl zuvor gesessen hatte, nieder, die Decke fest um den Oberkörper gewickelt. "Ich weiß." Offensichtlich hatte sie nicht den Wunsch, weiter darüber zu sprechen. Oronêl legte ihr nur kurz die Hand auf die Schulter und sagte: "Ich habe mir dich und die anderen als meine Gefährten für diese Reise freiwillig ausgewählt - ich wusste, worauf ich mich einlasse."
Er nahm die Hand von Eleas Schulter, und ging ohne eine Antwort abzuwarten in Richtung des kleinen Lagers davon, blieb allerdings auf halber Strecke stehen, als er ein Geräusch aus nördlicher Richtung hörte. Die Augen zusammengekniffen starrte er angestrengt in die Dunkelheit und den immer dichter fallenden Schnee.  In der Dunkelheit bewegte sich etwas.
Oronêl blickte kurz über die Schulter zurück, wo Elea mit den Rücken zu ihm saß und Wache hielt, bevor er mit vorsichtigen Schritten in die Richtung der Bewegung zu gehen begann, die Hand auf Hatholdôrs Griff gelegt. Als er die Stelle erreicht hatte, an der seiner Schätzung nach die Bewegung gewesen sein musste, blieb er stehen, und lauschte. Einen Augenblick lang war nur das beinahe unhörbare Geräusch des fallenden Schnees zu vernehmen, und Oronêl begann zu glauben, seine Wahrnehmung habe ihm einen Streich gespielt.
Und doch... sein Blick blieb an etwas vor ihm im Schnee hängen. Ein einzelner Fußabdruck, groß, mit gekrümmten Zehen und offenbar langen, krallenartigen Nägeln. Oronêl ging in die Hocke, um den Abdruck genauer zu betrachten. Im selben Augenblick hörte er etwas hinter sich klirren, ein heftiger Schlag traf ihn am Hinterkopf und alles wurde dunkel.


Oronêl erwachte in beinahe vollständiger Dunkelheit. Er wollte sich instinktiv den schmerzenden Hinterkopf reiben, musste jedoch feststellen, dass seine Hände mit einem groben Seil auf dem Rücken aneinander gefesselt waren. Schlagartig wurde sein Kopf klar, und er begann seine Umgebung wahrzunehmen. Seine Augen gewöhnten sich schnell an die Dunkelheit. Keine Sterne schimmerten über ihm, also nahm Oronêl an, dass er sich in einer Höhle befand - dafür sprachen auch die abgestandene Luft und der felsige, feuchte Untergrund.
Trotz seiner gefesselten Hände kam Oronêl ohne größere Mühe auf die Füße, musste allerdings leicht geduckt stehen, um mit dem Kopf nicht gegen die Decke zu stoßen. Die Höhle öffnete sich nur in einer Richtung, wo er nur wenige Schritte entfernt ein hölzernes, aber stabil wirkendes Gitter entdeckte, dass den weiteren Weg versperrte.  Er blieb am Gitter stehen, und lauschte. Von vorne vernahm hallten grobe, unangenehme Stimmen in der Höhle wieder, und Oronêl verzog das Gesicht, gleichzeitig angewidert und zornig auf sich selbst. Er hatte sich von Orks beschleichen lassen - ausgerechnet.
Sein Ärger wurde allerdings beinahe sofort von der Sorge um seine Gefährten verdrängt. Waren sie auch irgendwo in diesen Höhlen eingesperrt, oder waren sie den Orks auf irgendeine Weise entkommen? An die letzte Möglichkeit wollte Oronêl gar nicht erst denken.
Er hörte ein leises Rascheln hinter sich, und bemerkte erst jetzt die Gestalt, die in einer Ecke auf dem Boden lag - schlafend oder bewusstlos. Vorsichtig trat Oronêl näher und ging auf die Knie hinunter. Sofort schnellte der vorgeblich Bewusstlose wie eine Sprungfeder hoch, und Oronêl konnte nur mit Mühe dem Stein ausweichen, der nach seinem Kopf geschwungen wurde. Er rollte sich rückwärts ab, kam auf die Füße und stockte, als er das Gesicht seines Angreifers unter den langen, dunkelbraunen Haaren erkannte.
"Haleth?"
Sie erstarrte mitten in der Bewegung, und blickte aus ihrer halb sitzenden, halb liegenden Position zu ihm auf, die Augen weit aufgerissen. Dann schüttelte sie den Kopf.
"Oronêl." Sie stieß einen halb belustigten, halb verzweifelten Laut aus. "Ich fürchte du bist nicht hier, um mich zu befreien?"
Oronêl drehte ihr wortlos die gefesselten Hände zu, und schüttelte den Kopf. Haleth kam auf die Füße, und fuhr sich mit der Hand über das Gesicht. Selbst in der Dunkelheit sah sie blass aus, und hatte mehrere Schnitt- und Schürfwunden im Gesicht.
"Was ist passiert?", fragte sie, während sie sich mit dem offenbar scharfkantigen Stein an Oronêls Fesseln zuschaffen machte, und dabei immer wieder nervöse Blicke den Tunnel entlang zum Gitter warf. "Wie kommst du hierher?"
Oronêl biss die Zähne aufeinander, bevor er antwortete: "Jemand - ich nehme an, ein Ork - schlug mich in der Nacht nieder. Ich... nun, man könnte sagen, ich habe mich beschleichen lassen wie ein Anfänger."
Die Fesseln rissen mit einem Knirschen, und Oronêl rieb sich dankbar die wunden Handgelenke. Er lehnte sich mit dem Rücken gegen die Höhlenwand, und betrachtete Haleth einen Augenblick lang. Bislang hatte er sie eher aus der Ferne wahrgenommen und kannte sie nicht gut. Doch auf der Reise von Isengart nach Dunland hatte er Rilmir zu schätzen gelernt, und die Unbeugsamkeit, die er trotz der Erschöpfung und Verzweiflung in Haleths Blick erkannte verriet ihm, dass sie aus dem gleichen Holz geschnitzt war.
Als sie sich ihm gegenüber gesetzt hatte, erzählte Oronêl weiter: "Wir waren auf dem Weg nach Süden - Finjas, Elea, Arwen und... Kerry." Mit jedem Namen wurden Haleths Augen größer vor Schrecken. "Ich weiß nicht, was mit ihnen geschehen ist, ob es ihnen gut geht oder..." Er verstummte, und schüttelte den Kopf.
"Die Orks haben keine weiteren Gefangenen hergebracht, also..." Haleth unterbrach sich abrupt. "Ich denke, es geht ihnen gut. Vielleicht... hatten die Orks nur Interesse an dir. Seit meiner Gefangennahme habe ich das ein oder andere gehört. Blut der Ersten und Blut der Zweiten."
"Das verheißt nicht wirklich gutes", meinte Oronêl, und massierte sich die schmerzende Stirn. "Wie bist du überhaupt gefangen genommen worden? Wir glaubten, du wärst mit Rilmir in Fornost."
Bei seinen Worten hob Haleth ruckartig den Kopf. "Rilmir ist im Süden, bei Tharbad. Nicht in Fornost."
"Das war er", erwiderte Oronêl, und berichtete in knappen Worten, wie er und Kerry Rilmir in Isengard begegnet waren, und dass er schließlich über Bruchtal nach Arnor zurückgekehrt war. Während seiner Erzählung wurde Haleth immer blasser, und vergrub schließlich das Gesicht in den Händen.
"Ich habe geahnt, dass er in irgendwelche Schwierigkeiten geraten sein muss", sagte sie dumpf zwischen ihren Händen hervor. "Das Leben in Fornost hat mich rastlos gemacht, und ich konnte Belens Wichtigtuerei nicht länger ertragen, also habe ich Fornost in der Nacht verlassen und bin nach Süden aufgebrochen. Vermutlich habe ich Rilmir nur knapp verpasst." Sie nahm die Hände vom Gesicht, und fuhr sich mit einer Hand nach hinten durch die Haare, eine hilflose Geste. "Ich habe die Straße gemieden, doch in den südlichen Höhen haben mich vor ein paar Tagen diese Orks erwischt und mit sich geschleppt."
Haleth hatte gerade ausgesprochen, als schwere Schritte und metallisches Klirren aus dem Höhlengang zu vernehmen waren.
"Drück die Fesseln zusammen, sodass es aussieht, als wären deine Hände noch gefesselt", zischte sie Oronêl zu, und nur einen Augenblick später trat ein großer Ork an das Holzgitter heran. Er hatte ein langes Gesicht mit nur einem Ohr und zwei eisernen Ringen in der Nase, und auf seinem Kopf sprossen einzelne lange schwarze Haare. Seine schwarzen Augen funkelten boshaft, als sein Blick auf Oronêl fiel.
"Sieh an, unser neuer Gast ist wach." Der Ork kicherte heiser. "Dann hat Gûldrak seinen Teil des Auftrags erledigt. Auf die Füße, hohe Gäste. Wir haben einen weiten Weg vor uns..."

Thorondor the Eagle:
Ich habe mir dich und die anderen als meine Gefährten freiwillig ausgewählt hallte es durch Eleas Kopf als sie dort in der Kälte saß und in die Dunkelheit starrte. Die Schneeflocken vollführten noch ihren winterlichen Tanz vor ihren Augen. Warum sollte er mich auswählen? War dies seine Art wieder gut zu machen, da Helluin ihm das Leben rettete? Will er uns als Ausgleich wieder zusammenführen?
Trotz dieser Gedanken, hatte sie den Waldelben bereits in ihr Herz geschlossen. Sie freute sich über die innige Beziehung die Kerry und er hatten und wie sie sie immer wieder zum Ausdruck brachten. Kerry hatte ein ganz besonderes Verhältnis zu ihm.
Die Dúnadan gähnte leise Wie dumm von mir mich für die nächtliche Wache zu melden Ärgerte sie sich kurz über sich selbst und obwohl der Schlafplatz kaum als bequem zu bezeichnen war, sehnte sie sich danach. Reiß dich zusammen, Elea! befahl sie sich selbst halte durch, sei Tapfer sprach sie sich dann selbst im Gedanken zu.

Es war ihr Großvater, der ihr immer einbläute tapfer zu sein. Du entstammst dem Hause Isildur hörte sie seine tiefe aber gütige Stimme in ihrem Kopf Tapferkeit liegt dir im Blut, kleine Elea Dirhael war ein stolzer Mann, unbeugsam, still und nicht leicht zu beeindrucken. Und seine Familie war im das höchste Gut, auch wenn er es nicht immer zum Ausdruck bringen konnte. Elea erkannte einige dieser Eigenschaften auch in Finjas.

Vielleicht hat Oronêl mich deshalb mitgenommen. Er hat mit den Dunedain gekämpft, er weiß um ihre Tapferkeit. Plötzlich wurde Elea aus den Gedanken gerissen. Ihr war, als hätte sie etwas gehört. Ängstlich und angespannt kniff sie die Augen zusammen und versuchte etwas zu erspähen. Ihre Hand lag auf dem Schwertheft. Etwas abseits glomm das Lagerfeuer kaum sichtbar vor sich hin. Weder Schatten noch sonstige Bewegungen waren dort zu erkennen. Erfüllt von Angst sehnte sie sich die Morgendämmerung herbei. Es würde nicht mehr lange dauern, aber jede Minute kam ihr vor wie eine Ewigkeit in der ihr Herz unentwegt raste. Als ihre Umgebung in ein graublaues Dämmerlicht getaucht war und sie die meisten Konturen der Umgebung erahnen konnte, erkannte sie, dass keine unmittelbare Gefahr drohte. Sie wurde ruhiger und löste den Griff von der Waffe.
Verunsichert von der letzten Stunde schlich sie zum Lagerplatz zurück. Sie wollte den Elben bitten die Abreise vorzuverlegen und diesen Ort so schnell wie möglich zu verlassen. Am Lagerplatz angekommen fand sie aber nur Finjas, Pippin, Arwen und Kerry vor. Von Oronêl war keine Spur.

Leise schlich sie zu Finjas hinüber. „Finjas“, weckte sie ihn auf „Wo ist Oronêl?“ Der Dunadan öffnete seine Augen. Nachdem er sich orientiert hatte, setzte er sich auf und gab nur ein brummiges „Ich weiß nicht“, von sich. Arwen, die gleichzeitig aus ihrer Ruhe erwacht war, sah sich ebenfalls um und antwortete mit einem feinen Achselzucken. „Kerry, Pippin“, weckte die Elbe die beiden noch schlafenden Gefährten. Sie wartete einen Augenblick bis sie bei Sinnen waren und stellte dann dieselbe Frage, aber auch ihnen hatte Oronêl nichts über seinen Verbleib gesagt.

„Ist in der Nacht etwas vorgefallen?“, fragte Finjas nun Elea. Ihr Puls raste bei dem Gedanken an das Geräusch: „Etwa eine Stunde vor der Dämmerung hörte ich ein kurzes Rascheln im Gebüsch, mehr nicht.“
„Und hast du etwas gesehen?“
„Nein, nichts. Ich habe euch im Blick behalten und versucht in der Dunkelheit etwas zu erkennen, aber da war nichts. “
„Ein kurzes Rascheln sagst du? Das kann auch ein Tier gewesen sein, ein Fuchs oder ähnliches“, antwortete Finjas.
„Oder eine einzelne, unvorsichtige Bewegung eines Elben der durch die Wildnis streift“, legte Arwen nach.
Elea klopfte nervös mit ihren Fingern gegen den äußeren Oberschenkel, bemerkte es aber nicht. Sie machte sich Sorgen und auch Vorwürfe. Was wenn ich etwas übersehen habe? Ich hätte gleich Alarm schlagen sollen.
„Und was sollen wir nun tun? Was wenn ihm etwas passiert ist?“, nahm Kerry nun die Worte in den Mund die Elea auf der Zunge brannten. Falten legten sich auf die Stirn der blonden Rohirrim.
„Das glaube ich nicht“, antwortete Finjas nun „Oronêl ist ein Krieger. Wäre er auf Feinde getroffen hätte er gekämpft und das hätten wir in jedem Fall gehört oder er hätte Hilfe geholt.“
„Dem stimme ich zu“, unterstützte ihn Arwen „wir sollten uns in der Umgebung ein wenig umsehen. Vielleicht ist er einer Spur nachgegangen oder späht den weiteren Weg aus.“
„Ja, gute Idee“, stimmte Elea zu. Es beruhigte sie ein wenig einen Plan und Hoffnung zu haben.

Sie beschlossen sich in drei Gruppen zu teilen. Pippin ging mit Arwen, Elea mit Kerry und Finjas ging alleine. Finjas, als erfahrener Krieger untersuchte die östliche Richtung. Arwen und Pippin gingen Richtung Nordwesten und Elea und Kerry nach Südwesten.
Sorgsam suchten sie auf dem Boden und im niedrigen Gebüsch nach Spuren. Im besten Fall würden sie einen Fußabdruck oder ein kleines Stück seiner Ausrüstung finden oder vielleicht auch nur einen abgebrochenen Ast. Jeder Hinweis war wichtig, aber es war nichts Ungewöhnliches zu sehen.
„Elea?“, begann schließlich Kerry „Was, wenn Oronêl etwas geschehen ist?“
Die Dúnadan rechnete mit dieser Frage, aber bisher war ihr noch keine entsprechend einfühlsame Antwort eingefallen.
„Es ist ihm sicherlich nichts geschehen“, sagte sie platt. Und dabei wurde ihr bewusst, dass sie diese leeren Worte oft genug gehört hatte nachdem Haldar in den Krieg gezogen war. Sie streckte ihre Hand aus und legte sie dem Mädchen auf die Schulter, woraufhin es unverzüglich stehen blieb.
„Wir haben bisher nichts gefunden Kerry. Falls Oronêl in einem Kampf verwickelt worden wäre, hätten wir irgendwelche Spuren gefunden.“
Die blonde Rohirrim drehte sich zu Elea. Sie biss sich auf die Lippen so als wolle sie etwas sagen, wusste aber bereits, dass sie es anschließend bereuen würde. Die Dúnadan strich ihr mit der Hand über den Kopf, ihr Haar und ließ sie schließlich auf der Schulter ruhen.
Beklommen sagte Kerry: „Er ist schon einmal einfach so über Nacht abgehauen.“

Elea fühlte sich weiter unbehaglich, denn es erinnerte sie noch immer stark an die Zeit als ihr Mann in den Krieg zog und so tat sie das Einzige was auch ihr damals geholfen hatte. Sie nahm Kerry in den Arm: „Es ist nur eine Frage der Zeit bis wir ihn wiedersehen. Ganz bestimmt“, flüsterte Elea ihr ins Ohr.

Keiner von ihnen hatte Hinweise über den Verbleib ihres Anführers gefunden. Es war eine schwierige Entscheidung, doch letztlich war es Finjas der die Gruppe davon überzeugte weiterzuziehen. Oronêl wusste schließlich wo das Ziel ihrer Reise lag und würde sie dort auch finden, aber um einen starken Krieger weniger in der Gruppe, waren sie Orks oder anderen Feinden hilflos ausgeliefert. Sie mussten schleunigst Schutz bei den Elben Eregions finden.

Elea, Finjas, Pippin, Arwen und Kerry nach Ost-in-Edhil

Eandril:
Zum Glück hatten Oronêl und Haleth ihre Fesseln rechtzeitig wieder in Form gebracht, keinem der Orks aus Gûldraks Truppe schien etwas aufgefallen zu sein. Gelegenheit zur Flucht ergab sich jedoch nicht, denn sie waren permanent von den Orks umgeben, die sie im Laufen von den Seiten misstrauisch beäugten und von hinten anstießen, wenn sie zu langsam wurden.
Die Orks trieben sie mitleidlos durch die Nacht, über die nördlichen Hügel von Eregion, hinab in Täler und durch kleine Wasserläufe. Dies waren die nördlichen Grenzlande von Eregion, wusste Oronêl, und die Wahrscheinlichkeit, hier auf Elben oder Menschen zu stoßen, war äußerst gering. Am Ende der ersten Nacht erreichten sie eine Höhle, die ganz ähnlich der ersten war. Gûldrak, der einohrige Anführer der kleinen Orkschar, warf Oronêl einen Blick zu und kicherte leise und hämisch in sich hinein. "Oh ja, Elbenherr. Gibt viele dieser Höhlen in diesen Landen. Einst herrschten Orks hier, lange her. Doch der Meister wird uns dieses Land und alle Lande zurückgeben."
Oronêl überwand seinen Abscheu vor der Kreatur, und fragte: "Der Meister? Saruman?" Er vermutete, dass diese Orks aus Moria stammten - ihre Aufmachung und ihre offensichtliche Furcht vor der Sonne sprachen deutlich dafür. Und sofern er wusste, hatte Saruman Moria zuletzt beherrscht, doch viel mochte sich inzwischen geändert haben.
Zur Antwort kicherte Gûldrak nur heiser, und stieß Oronêl unsanft in den kleinen, vergitterten Raum am Ende der Höhle. "Der große Elbenherr sollte sich nicht mit Fragen aufhalten. Er wird seine Kraft brauchen, hä hä..."
Sobald sie einigermaßen alleine waren, ließ Haleth sich auf den Boden sinken und lehnte sich mit dem Rücken gegen die Wand. Diese Höhle war feuchter als die letzte. Auf dem Boden hatte sich Wasser in kleinen Pfützen gesammelt, und an den Wänden sprossen schleimige Flechten und Pilze.
"Sie haben es eiliger als vorher", stellte Haleth leise fest. Ihrer Stimme war die Erschöpfung anzuhören, denn die Orks hatten sie unbarmerzig angetrieben und während der Nacht keine Pause eingelegt. "Bevor sie dich erwischt haben, sind sie langsamer vorangekommen, und es gab sogar Nächte, in denen sie am selben Ort geblieben sind. Nur einige von ihnen waren jede Nacht unterwegs."
Oronêl setzte sich vorsichtig auf einen der wenigen halbwegs trockenen Flecken. "Sie haben etwas gesucht", vermutete er, und rieb gedankenverloren die Narben an seiner linken Hand. Die Schlussfolgerungen, zu denen er kam, gefielen ihm gar nicht. "Einen Elben, denke ich."
Haleths dunkelbraune Augen waren weit geöffnet, als sie ergänzte: "Blut der Ersten. Das... klingt nicht gut."
"Nun, davon kann man bei Orks grundsätzlich ausgehen." Oronêl seufzte. "Aber ich fürchte, diese haben mehr als die üblichen Ork-Teufeleien im Sinn. Orks nehmen nur Gefangene, wenn sie mit ihnen Übles im Sinn haben."
Haleths Kiefer zuckte, als ob sie die Zähne aufeinander biss, und sie richtete sich ein wenig auf. "Geben wir ihnen keine Möglichkeit dazu. Unsere Hände sind nicht gebunden - wann fliehen wir?"
Oronêl erwiderte ihren erwartungsvollen Blick einige Zeit, bevor er langsam antwortete: "Ich denke, das sollten wir nicht - noch nicht."
"Was? Wieso?" Haleth schüttelte ungläubig den Kopf.
"Selbst wenn uns die Flucht gelingt, was ich nicht glaube, werden sie sich jemand anderen suchen. Wir müssen herausfinden, was diese Orks im Schilde führen, bevor wir handeln."
"Und gehen das Risiko ein, dass sie ungehindert ihr Ziel erreichen, bevor wir etwas unternehmen können", erwiderte Haleth mit zusammengezogenen Augenbrauen. "Aber wahrscheinlich hast du recht."
Oronêl nickte nur stumm. Tatsächlich wahr ihm selbst überhaupt nicht wohl dabei, einen Fluchtversuch hinauszuzögern, doch der Gedanke an Gûldraks Absichten jagte ihm einen Schauer den Rücken hinunter.
"Versuch ein wenig zu schlafen", sagte er schließlich an Haleth gewandt. "Ich fürchte, du wirst noch alle Kraft brauchen..."

Gûldrak kehrte früher zurück als Oronêl erwartet hatte, und öffnete das hölzerne Gitter. "Aufstehen, feine Herrschaften", knurrte der Ork, und trat der im Sitzen eingeschlafenen Haleth unsanft gegen das Bein. "Die Dunkelheit kommt früh heute. Zeit zum Rennen, hä hä."
Haleth blinzelte ein paar Mal, doch obwohl sie so unsanft aus dem Schlaf gerissen worden war, hielt sie geistesgegenwärtig ihre Hände auf dem Rücken zusammen und verbarg so die durchschnittenen Fesseln.
Draußen erkannte Oronêl den Grund für den verfrühten Aufbruch. Von den Bergen her war ein Scheesturm gekommen, und die dicken Wolken verdeckten jeden Sonnenstrahl. Weiße Flocken wirbelten umher, und bedeckten die Hügel.
Der Schnee machte das Laufen mühselig, selbst für Oronêl. Haleth erging es schlimmer, und als sie, die Dunkelheit war inzwischen hereingebrochen, einen steilen Abhang hinunter liefen, stolperte sie und fiel. Sie rollte einige Schritt weit den Hang hinunter, und bevor Oronêl bei ihr angelangt war, hatte Gûldrak sie bereits erreicht und zog sie unsanft am Arm auf die Füße. "Nicht liegen bleiben. Dafür ist noch nicht Zeit, hä hä." Seine Miene verfinsterte sich als er Haleths durchschnittene Handfesseln bemerkte. Beim Sturz war es ihr nicht gelungen, die Hände weiter auf dem Rücken zusammenzudrücken.
"Ah, tückische Waldläufer", knurrte der Ork, und versetzte Haleth mit der freien Hand einen Schlag ins Gesicht, der sie mit Sicherheit zur Seite geschleudert hätte, hätte sich ihr Arm nicht in Gûldraks eisernem Griff befunden. "Bindet sie, Jungs, aber etwas fester, hä hä." Nur kurze Zeit später waren Haleths Hände erneut fest auf dem Rücken zusammengebunden, und Gûldrak gab das Zeichen zum Aufbruch. Im Laufen wechselte Oronêl einen Blick mit Haleth. Zwischen Nase und Oberlippe hatte sich getrocknetes Blut gesammelt, und über ihrem linken Wangenknochen war die Haut aufgerissen und blutig. Die größten Sorgen bereitete Oronêl allerdings die Verzweiflung in ihren Augen - selbst wenn sie fliehen wollten, nun war es unmöglich.

Im Laufe der Nacht ließ der Schneesturm schließlich nach, und bald waren sogar vereinzelte Sterne zu sehen, was die Orks mit zornigem und unbehaglichen Zischen und Fluchen kommentierten. "Nur weiter, Jungs", spornte Gûldrak seine Schar im Laufen an. "Bald erreichen wir das Dunkel darunter, und dann können wir die Lichter nicht länger sehen. Also rennt!"
Tatsächlich schien das Erscheinen der Sterne die Orks zu größerem Tempo anzuspornen, und sie wurden immer schneller, je näher die mächtige Silhouette des Nebelgebirges rückte. Schließlich, nach Oronêls Schätzung nur kurz vor Sonnenaufgang, erreichten sie einen niedrigen Höhleneingang, versteckt zwischen zwei Bergkämmen inmitten einer finsteren, von kahlen Kiefern bestandenen Schlucht. Dies schien jedoch noch nicht das Ziel der Orks darzustellen, denn sie marschierten unbeirrt weiter, tiefer in die Finsternis der Höhle hinein, Oronêl und Haleth jetzt in der Mitte.
Immer tiefer marschierten sie, während der Gang zunächst schmaler und niedriger wurde, bis immer nur noch eine einzelne Person gehen geduckt hindurch gehen konnte. Während sich der Stein des Nebelgebirges um ihn schloss, spürte Oronêl, wie sich ein wenig Hoffnungslosigkeit in sein Herz schlich. Sein Vorhaben, mehr über die Pläne dieser Orks herauszufinden, erschien ihm mehr und mehr töricht, die Entscheidung, nicht bei erster Gelegenheit zu fliehen, immer mehr wie Wahnsinn.
Schließlich öffnete sich der Gang nach beiden Seiten und nach oben hin, und sie betraten eine eckige Halle. Fackeln spendeten schwaches, flackerndes Licht, und noch mehr Orks erwarteten sie.
Gûldrak wurde von zwei ihm sehr ähnlich sehenden Orks - soweit Oronêl das beurteilen konnte - in einer hässlichen, kehligen Sprache begrüßt, wobei viel in seine und Haleths Richtung gestikuliert wurde.
Oronêl nutzte die Gelegenheit, kurz nach seiner unfreiwilligen Gefährtin zu sehen, die schwer atmete und stumpf geradeaus blickte. "Kannst du noch stehen?", fragte er leise, und ihre Antwort war zur Hälfte ein Nicken, zur Hälfte Kopfschütteln.
"Nicht... mehr lange", stieß Haleth abgehackt hervor. "Wo... sind wir?" Oronêl warf einen raschen Blick durch den Raum. Die Wände waren, soweit er es erkennen konnte, eindeutig nicht natürlich entstanden, sondern behauen worden. "In Moria, nehme ich an."
"Moria, ja", mischte sich Gûldrak ein, der sein Gespräch beendet hatte und nun zu ihnen getreten war. "So nennt ihr das Dunkel darunter, hä hä. Bald ist der letzte Tag. Müssen alles vorbereiten, ja."
"Vorbereiten. Für was?", wagte Oronêl zu fragen, doch Gûldrak kicherte nur heiser. "Wirst es sehen, Elbenherr, hä hä." Er gab den übrigen Orks einen Befehl in seiner eigenen Sprache, und Oronêl und Haleth wurden unsanft in einen Seitenraum gestoßen und die Tür hinter ihnen zugeschlagen.

Oronêl und Haleth nach Moria...

Curanthor:
Mathan von den westlichen Hängen

Es war, als ob er eine unsichtbare Grenze überschritten hatte. Mathan verlangsamte seine Schritte, bis er letztendlich stehen blieb. Hier war seine Heimat, sein Geburtsland und der Ort, der für ihn stets den den Geruch des Unheils verströmte, das das Land erdulden musste. Als er mit seinen Gefährten vor einigen Wochen hierher zurückgekehrte, war es das erste Mal, dass Eregion nicht wie ein blutgetränkes Land für ihn roch. Er erinnerte sich, dass es ihm dennoch schwer gefallen war. Bedächtig setzte er den rechten Fuß nach vorn. Der feuchte Waldboden gab ganz sanft nach. Vor ihm breitete sich ein undurchdringlicher Tannenwald aus. Es roch nach feuchtem Waldboden, modriger Erde und Harz. Seine feine Nase nahm jedoch unterschwellig einen weiteren Duft war. Rauch. Mathan biss die Zähne zusammen, als seine Hände zu den kalten Schwertgriffen wanderten. Kurz verharrten sie dort, bis er sich erinnerte, dass er sie kaum nutzen konnte. Andere Waffen hatte er nicht dabei. Mit einem Fluch auf Westron beschloss er sich durch das Unterholz zu pirschen. Hin und wieder blieb er dabei stehen und sog die Luft ein. Es war dabei unheimlich still. Der beißende Geruch von brennenden, nassem Holz wurde stärker, je weiter er nach Westen eilte. Bedacht darauf so wenig wie Geräusche zu machen wie möglich, huschte er von Baumschatten zu Baumschatten. Das mumlige Gefühl in seinem Magen hatte sich inzwischen zu einer altbekannten Empfindung gewandelt, die er aus seinem langen Leben kannte: Der Gewissheit, dass etwas Großes im Gange war. Gleichzeitig war es, als ob ein Teil von ihm den Verlust von etwas Wichtigem verspürte und es drohte in die Dunkelheit zu stürzen. All das drückte auf seine Stimmung. Mathan fühlte sich um Jahrtausende in der Zeit zurückversetzt. Rasch unterdrückte er die aufkommenden Erinnerungen.

Nach einigen angespannten Augenblicken wurde der beißende Geruch stärker. Rauch umwaberte die Stämme der hochgewachsenen Nadelbäume und ließ die Wälder gespenstisch wirken, so als ob ein unnatürlicher Nebel aufgezogen war. Mathan überlegte kurz. Die Nacht war schon vorangeschritten und es war nicht mehr fern bis zum Morgengrauen. Unter normalen Umständen hätte er gewartet, doch die Sorge um seine Halarîn trieben ihn dazu, trotzdem voranzugehen. Lautes Knistern, durchsetzt von gelegentlichen Knacken bestätigte seine Befürchtungen. Hier brannte kein Lagerfeuer. Als er auf die große Lichtung trat, schlug ihm eine unglaubliche Hitze entgegen. Die Luft war erfüllt von beißenden Rauch. Vor ihm zeichnete sich ein Bild des Grauens ab. Das, was einmal ein Elbendorf gewesen war, ein Flammenmeer. Brennende Gerippe, was einmal Häuser gewesen waren, umbringten die Lichtung. In der Mitte brannte ein riesiger Scheiterhaufen, von dem die größte Hitze ausging. Mathan wandte den Blick von ihm ab. Er wusste, was dort bis zur unkenntlichkeit verbrannt lag. Die Hilflosigkeit, die in ihm aufstieg, wandelte sich zur Wut. Seine Hände ballten sich zu Fäusten. Auf dem trockenen Waldboden entdeckte er jedoch einen zerrissenen Wandteppich. Mathan ging daneben in die Hocke und schob die halb verbrannten, schlammbedeckten Fetzen aneinander. Es war nur die Ecke eines größeren Gebildes, aber die verschlungenen Zeichen der Hwenti erkannte er sofort. Neben dem Wandteppich erblickte er einen Fußabdruck in dem getrockneten Schlamm. Sofort erhob er sich und wandte sich gen Süden. Diese Fußabdrücke kannte er nur zu gut. Sie waren es, die Lórien verbrannten und nun waren sie in seine Heimat gekommen. Er hatte vor langer Zeit einen Fehler gemacht und seine Heimat und seinen Vater im Stich gelassen. Diesen Fehler würde er nicht noch einmal machen. Halarîn brauchte ihn, ihr ungeborenes Kind brauchte ihn, seine Tochter brauchte ihn und vielleicht sogar sein Volk. Waren es keine Noldor, so sind es noch immer Elben, so wie er selbst.
So schnell wie ihn seine Beine trugen eilte Mathan gen Süden, nach Hause.

Mathan nach Ost-in-Edhil

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