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Ost-in-Edhil

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Curanthor:
Trotz der hohen Betriebsamkeit, die seit der Ankunft der Hwenti - und nun auch die der Manarîn - herrschte, hatte Mathan es geschafft ein ruhiges Plätzchen zu finden. Dass auch seine Freunde zusammen mit dem Volk seiner Tochter zurückgekehrt waren, hatte ihn gefreut, doch wurde es ihm irgendwie zu viel auf einmal. Er hatte schon geahnt, dass Kerry weiterreisen wollen würde und auch ihn selbst zog es fort. Irgendwas schien ihn zu rufen, doch er wusste nicht was es war. Seufzend saß er in dem untersten Geschoss der Schmiede auf dem Bett seines Vaters und blickte auf die beiden Klingen der Silmacil. Ihm war aufgefallen, dass er die Klingen selten zusammenfügte, doch auch spürte er die Kälte der Waffe nicht mehr so stark. Aus der anderen Seite des Raumes hörte er seinen Vater, der noch immer an der Waffe arbeitete, die sie gemeinsam begonnen hatten. Amarin ließ ihn aber nicht herankommen, da er offensichtlich eine Überraschung plante. Mathan ahnte schon, was es für eine Art Überraschung war und erinnerte sich daran, dass sein Vater nie besonders gut darin war ihn zu überraschen.
„Was geht dir durch den Kopf? Du lächelst ja ein wenig“, stellte die belustige Stimme Halarîns fest und seine Frau trat neben ihn an das Bett.
„War nur der Schatten“, brummelte er zur Antwort, konnte jedoch nicht ernst bleiben und grinste schließlich, da seine Frau ihn durchgehend anlächelte. Er seufzte noch mal und strich schließlich sanft über die Wölbung ihres Bauches, das Grinsen verging ihm.
„Du brauchst es nicht zu sagen, ich weiß es schon“, sagte Halarîn und suchte seinen Blick.
„Ist das so offensichtlich?“, fragte Mathan und zog ein unzufriedenes Gesicht.
„Nein, aber ich würde auch so handeln und halte es für die richtige Entscheidung. Ich werde schon zu recht kommen, da ich weiß, dass du rechtzeitig zurückkehren wirst.“
Er seufzte, da sie vermutlich wieder einmal Recht hatte, wie so oft. Seine Frau hatte ein sehr gutes Gefühl was solche Dinge anging. Er streckte sich kurz, ehe er sprach: „Irgendwer muss ja unsere kleine Abenteurerin auf den richtigen Weg schubsen und sie langsam an die unangenehmen Dinge des Lebens heranführen.“
„Vergiss aber nicht die angenehmen Dinge“, sagte Halarîn mit einem eindeutigen Lächeln und strich sich über den schwangeren Bauch.
„Ich glaube da kennst du dich eher aus und wirst auch bessere Worte dafür finden. Bei mir wird das wohl in einer wortreichen Katastrophe enden“, winkte Mathan ab und schüttelte sich bei dem Gedanken, dass er mit Kerry über das Thema sprechen würde. Liebe unter Elben war wohl auch etwas Anders als bei Menschen, zumindest dachte er es sich. Irgendwie hatte er sich nie genau Gedanken darüber gemacht und wenn er jetzt daran dachte, erschien es ihn wie eine verpasste Gelegenheit, es nicht getan zu haben. Ein überraschender Kuss auf den Mund riss ihn aus der Grübelei, den er aber nach dem ersten Moment sanft erwiderte. Als sie sich lösten sagte er: „Ich verstehe schon. Keine Sorge, ich werde rechtzeitig wieder zurück sein und auf unsere kleine Ténawen aufpassen, bis ich…“
Halarîn verharrte vor seinem Gesicht und blickte abwechselnd in seine Augen. Er spürte ihren warmen Atem auf den Lippen und verlor den Faden, was er eigentlich sagen wollte. Gebannt blickte er in ihre Augen, bis sich ihre Lippen fanden und sie sich erneut küssten.
„Dass ihr selbst nach all den Jahren wie zwei frisch Verliebte turtelt ist wirklich bewundernswert“, ertönte die amüsierte Stimme Amarins und ließ sie beide zusammenfahren. Mathan unterdrückte einen Fluch und funkelte seinen Vater wütend an, Halarîn wirkte etwas peinlich berührt, da sie sich in dem Bereich befanden wo sein Vater eigentlich lebte.
„Lasst euch nicht stören“, sagte der alte Elb nur und verschwand pfeifend in der Schmiede.
„Manchmal könnte ich ihn…“, knurrte Mathan, während Halarîn eine Hand auf die Schulter legte, „Immerhin scheint er wieder ganz der Alte zu sein.“
„Offensichtlich“, stimmte ihm seine Frau zu und strich sich die Haare aus dem Gesicht, „Also wirst du mit ihr gehen“, wechselte sie das Thema.
„Ja, irgendwas-„
„Ruft dich“, unterbrach ihn Amarin überraschend und trat zu ihnen. Mathan kniff die Augen zusammen und starrte seinen Vater an, zweifelnd ob er nicht doch etwas Ruhe brauchte.
„Sieh mich nicht so an. Du konntest ein Saphirtor öffnen und das nicht nur einmal“, erklärte Amarin und nickte dabei zu den Silmacil, „Es ist logisch, dass es dich fortzieht. Du fragst dich vielleicht, warum das Gefühl nicht schon eher eintrat und wirst zu keinem Ergebnis kommen, darum verrate ich es dir: Die Macht der Ringe überlagert den Ruf des Nordwindes. Nun kannst du ihn spüren, so deutlich wie ein Flüstern im Wind, nicht war?“
Mathan und Halarîn starrten ihn eine ganze Weile lang an und wussten nicht, was sie sagen sollten. Es klang ganz so, als ob sein Vater selbst diese Erfahrung durchgemacht hatte. Nach einem langen Moment nickte Mathan zögerlich und rückte unruhig auf dem Bett umher. Eigentlich war er sich noch nicht ganz darüber im Klaren, aber ihm war der Nordwind schon öfters aufgefallen, seitdem er in dem Versteck im Eis war. Bisher hatte er dem aber keine besondere Bedeutung zugedacht und es nicht mit dem Drang zur Wanderschaft verbunden. Nach einer ungewohnten Stille, die nur von entfernten Gemurmel aus dem oberen Bereich stammte, sagte Mathan schließlich: „Was ist der Ruf des Nordwinds? Irgendwie werde ich das Gefühl nicht los, dass du weißt, wovon du sprichst.“
Amarin nickte nachdenklich und wollte sich über das Kinn streichen, verharrte jedoch in der Bewegung und stupste seinen Sohn gegen die Stirn. „Gebrauche deinen Kopf, die Winde des Nordens werden dir den Weg weisen. Mehr werde ich dir nicht verraten“, sagte sein Vater schließlich und zog den Stuhl heran, „Aber ich werde euch etwas Anders sagen, was ihr mich vielleicht fragen wolltet.“
Aufmerksam blickten die beiden Amarin an, der kurz zu zögern schien. In der Stille hörten sie Schritte, die wohl nur zu Adrienne gehörten, da alle anderen scheinbar ungern hier unten waren. „Ich werde hierbleiben und die anderen Elben anleiten. Außerdem kann ich Zeit mit meiner Enkelin verbringen und natürlich mit meiner bezaubernden Schwiegertochter über all die Dinge reden, die in der Zeit geschehen sind, in der ich verhindert war“, sagte Amarin schließlich und endete in dem Moment, indem Adrienne die Ecke betrat. Ihr Blick glitt rasch über die drei Elben und blieb kurz an Mathan hängen. Dabei bemerkte er, dass ihr Etwas auf dem Herzen lag, was auch den anderen beiden nicht verborgen blieb. Er erhob sich und nickte seiner Schülerin zu, die vorausging. Ehe sie sich abwandte konnte Mathan in ihrem Blick eine gewisse Anspannung erkennen, doch sie schwieg und wandte sich ab um an der Treppe zu warten. Er wechselte ein paar Sätze mit seinem Vater, der seine Neugierde nicht zurückhalten konnte, bis Halarîn das Gespräch, das über die Gondererin handelte übernahm. Während sie einen Teil der Geschichte des Mädchens erzählte, schnallte er sich seine Schwerter auf den Rücken und ging schließlich zu dem wartenden Mädchen.


Adrienne stand an der breiten Wendeltreppe, hatte eine Hand auf den Knauf des Schwertes gelegt und die Andere in die Hüfte gestemmt. Ihr Blick hing auf dem Wasserlauf im Boden, hob ihn aber sofort, als Mathan sich ihr näherte. Sie hatte sich einen lockeren Pferdeschwanz gebunden und nickte ihm zu, als er zu ihr trat.
„Ich werde ebenfalls hierbleiben“, eröffnete sie das Gespräch und blickte kurz zu der Ringschmiede, die weiter hinten in dem Raum lag, „Wenn ich noch weiter fortgehe, wird mein Bruder meinen Spuren nicht mehr folgen können. Zwar dürften seine Wunden nicht komplett verheilt sein, aber ganz so weit will ich mich doch nicht aus Eriador fortbewegen.“
Ihr Blick wirkte nachdenklich und sie kaute unsicher auf der Unterlippe herum. „Das ist verständlich“, beruhigte Mathan sie und lächelte aufmunternd, „Ich hatte mich schon gefragt, wann die Sorge um Acharnor zu groß wird um weiterzureisen. Es ist nur natürlich, immerhin ist er dein kleiner Bruder.“ Adriennes Gesicht erhellte sich etwas unter den elbischen Laternen und sie wirkte gelöster.  „Er ist ein Dummkopf“, grinste sie schließlich und wurde wieder ernster, „Aber er kann nicht so gut für sich selbst sorgen. Zwar habe ich einige Dinge auf unserer Reise gelernt aber…“
„Manche Dinge muss man selbst am eigenen Leib erfahren“, beendete Mathan den Satz für sie und nickte, „Ich bin eine sehr lange Zeit alleine umhergereist und habe meine eigenen Erfahrungen gesammelt, aber irgendwann zieht es einem doch wieder zurück zu der Familie.“
Sein Blick ging in die Ecke, in der Halarîn mit seinem Vater noch immer redete, zumindest glaubte er ihre Stimmen zu hören.
„Glaubst du, ich kann eine Weile hierbleiben? Vielleicht kann ich zwischen dem Sternenbund und den Elben Etwas vermitteln?“, murmelte Adrienne nachdenklich und ließ Mathan wieder den Kopf wenden.
„Ich glaube für den Anfang ist es zu früh um irgendwelche Pläne zu schmieden, immerhin müssen sie erst Fuß fassen. Die Manarîn unterscheiden sich doch etwas mehr von den Hwenti und den übrigen Avari als sie selbst gedacht hatten. Zuerst müssen sie wieder zueinander finden, was aber kein Problem darstellen sollte, immerhin war die Stimmung ausgesprochen gut als die Manarîn angekommen sind“, erklärte Mathan nachdenklich und bedeutete Adrienne mit nach oben zu gehen. Während sie die Stufen hochstiegen, merkte Adrienne an, dass die viele Elben sie kaum wahrnahmen, was ihn lächeln ließ. „Nun, manche aus meinem Volk sind nicht so offen wie Andere verstehst du? Sie mögen zwar intellektuell auf einer hohen Stufe stehen, doch berechtigt das niemanden auf Andere herabzusehen. In dem Punkt unterscheiden sich Elben und Menschen nicht groß, denn Menschen mit Macht und Wissen teilen diese Aspekte nur ungern. Wobei die Gier nach Macht bei den Elben äußerst selten zu finden ist…“ Er unterbrach sich, denn sie waren in einer Gruppe diskutierender Elben geraten. Sogleich hörte er die Stimme seiner Tochter heraus, die am Rand der Gruppe stand und mit Fanathr sprach. Genaueres konnte er nicht heraushören, doch ihm war es in dem Moment gleich, denn für Politik hatte er jetzt keine Nerven. Rasch nahm er Adrienne an die Schultern und schob sie sacht aus der Gruppe heraus, doch zu seinem Unmut hörte er hinter sich jemanden seinen Namen rufen. Mathan seufzte und beugte sich zu Adrienne herunter: „Das wird wohl eine Weile dauern, du kannst wieder runter gehen oder an die frische Luft, wie du beliebst.“ Sogleich war seine Schülerin auch aus seinem Sichtfeld verschwunden und er drehte sich zu Fanathr um, der ihn gerufen hatte. Neben ihm ging Faelivrin und einige Mitglieder des Hauses der Manarîn, aber auch ein paar Gesichter, die er dem Stamm der Hwenti zuordnen konnte.

Curanthor:
Mathan straffte sich, da er ahnte, dass ein kompliziertes Thema ihn erwartete. Höflich grüßte er Fanathr und die übrigen Elben, seiner Tochter küsste er jedoch rasch auf die Wange. Faelivrin lächelte ihn dabei an und erwiderte die Geste, nur um sogleich wieder ernster zu werden.
"Wir würde gerne Euch um Rat fragen", begann Fanathr das Gespräch und blickte dabei zu den umstehen Hwenti, "da mein Volk sich uneins ist."
Mathan gab ihm mit einem Nicken zu verstehen, dass er weitersprechen konnte.
"Da die Hwenti zahlenmäßig etwas mehr als die Manarîn sind, gibt es einige Stimmen, die Faelivrin nicht als ihre Herrscherin anerkennen. Versteht mich nicht falsch, viele respektieren sie für das, was Eure Tochter geschafft hat, jedoch bevorzugen einige der Avari lieber bei ihren eigenen Stamm innerhalb der Hwenti zu blieben. Ihr müsst wissen, dass wir kein großes Reich besaßen oder einen großen Herrscher. Wir blieben in kleinen Dörfern, jeder mit einem Anführer, den wir uns erwählten. Ich bin der Anführer des größten Dorfes und habe damit mehr Stimmen hinter mir." Fanathr drehte sich zu den anderen Elben um, die nun auf seiner Seite standen. Mathan bemerkte, dass Faelivrin nun in Begleitung ihrer Fürsten war, die im Gespräch hinzugestoßen waren. Mit gerunzelter Stirn stellte Mathan fest, dass sich hier langsam zwei Fronten bildeten, da auch einige der Hwenti auf Faelivrins Seite standen. Die Lage schien sich zuzuspitzen, zumindest erkannte er das auftretendes Problem sofort, jedoch schien der Grund tiefer zu liegen.
"Die Manarîn mögen zwar nicht zu der Mehrheit gehören, dennoch ist in der Zeit außerhalb Mittelerdes in uns eine neue Identität erwacht. Mein Volk ist geeint, wir stehen zueinander, egal in welchen Zeiten. Wir haben viele Verluste zu beklagen und selbst als wir am Rande des Abgrunds standen, konnten wir alle Kraft aufbringen und eine neue Bleibe suchen. Mein Volk steht hinter mir, was ich von den meisten Hwenti nicht behaupten kann und doch besteht die Chance, dass auch die übrigen Hwenti diese Mentalität in sich tragen", antwortete Faelivrin auf Fanathrs Ausführung, wobei man die Spitze im letzten Satz deutlich herazushören konnte. Der Elb verzog jedoch keinen Gesichtsmuskel und hielt den bohrenden Blick Faelivrins Blick stand. Mathan wollte schon Luft holen um die Situation zu entschärfen, doch eine andere Stimme erhob sich zur allgemeienm Überraschung: "Die Mentalität gibt es bereits, meine Liebe." Ivyn trat in die Runde und sorgte für erstaunte Gesichter, was sich meist in hochgezogenen Augenbrauen äußerte. Fanathr und die übrigen Hwenti verneigten sich respektvoll. " Es ist kein Zufall, der den Rest unseres Volkes in diese Lande führte. Die Manarîn sind geeint durch Schmerz, Verlust und Zeit, doch auch durch das Erschaffen von etwas Neuem. Sie erschufen auf einem Inselreich eine Welt nach ihren Vorstellungen. Jeder einzelne Elb, egal welcher Familie oder Stamm angehörig brachte sich ein und zusammen erschufen sie etwas Großartiges. Jedoch sind die Manarîn noch immer Avari, genau wie die Hwenti. Wir unterscheiden uns nicht, doch hat Faelivrin in einer Sache Recht: Die Manarîn sind geeint."
Fanathr atmete unmerksam scharf ein und senkte dann aber langsam den Kopf. Einige der Hwenti blickte sich an und wirkten nachdenklich. Mathan spürte, wie die angespannte Stimmung sich etwas lockerte, aber trüber wurde, denn die Blicke der Hwenti wurden düster.
"Verlust hatten auch eure Brüder und Schwestern zu erleiden", sprach eine unbekannte Elbin hinter Faelivrin, die jedoch zu Fanathrs Gruppe gehörte, "Warum muss man sich mit solch trivialen Dingen befassen und sich nicht dem bewusst werden, was wir wirklich brauchen: Einigkeit."
"Wie ist dein Name?", fragte Ivyn sogleich an die Elbe gewandt. Sie hatte dunkelbraunes Haar und Tränen glitzerten in den rehbraunen Augen.
"Das ist Amante, die Letzte ihrer Familie", stellte Fanathr sie mit leiser Stimme vor und er mied den Blick der Elbe, "aus dem Hause Maltahal."
"Was ist geschehen?", fragte nun Faelivrin mit sanfter Stimme, die sich zu Amante umgedreht hatte.
Die braunhaarige Elbe mit einem ähnlichen, rundlichen Gesicht wie Halarîn schien die Aufmerksamkeit zu viel zu werden. Hastig entschuldigte sie sich und stürmte davon, während ihr die Tränen über das Gesicht liefen. Mathan blickte ihr bestürzt hinterher und fragte sich, was den Hwenti wohl zugestoßen war. Was konnte ein ganzes Volk dazu bewegen, eine solch gefährliche Reise auf sich zu nehmen. Welche Schrecken mag Amante durchgestanden haben?

"Ich denke, wir sollten das in Ruhe noch einmal besprechen", wandte Faelivrin langsam ein und riss Mathan aus den Gedanken, "Aber ich werde niemanden meinen Willen aufzwingen. Wenn es Hwenti geben wird, die nicht unter meiner Krone stehen wollen, so werde ich sie nicht dazu zwingen. In diesen Landen gibt es genug Platz für uns alle."
Überraschendeweise schaltete sich Ivyn ein: "Das klingt sehr vernünftig. Ich werde mich nun in das Lager der Hwenti begeben und dort die restlichen Anführer zusammensuchen. Fanathr, würdet Ihr mir folgen? Euer Einfluss wird eine große Hilfe sein."
Der verdutzte Elb nickte stumm und folgte der hochgewachsenen Ersten nach draußen, gefolgt von einigen anderen Hwenti. Mathan atmete erleichert aus, da war er nochmal ungeschoren davongekommen. Er blickte zu seiner Tochter, die sich kurz mit ihren Fürsten beriet und diese dann fortschickte. Nach einer kurzen Zeit waren die beiden schließlich alleine und blickten nachdenklich hinab zu den Mosaik auf dem Boden.
"Wir werden eine Stadt bauen", sagte Faelivrin plötzlich und legte Mathan eine Hand auf die Schulter, "Willst du nicht hierbleiben? Wir können jede Hilfe gebrauchen und deine taktischen Kentnisse könnten wir gut für die Befestigung gebrauchen."
Mathan lächelte und legte seine Hand ebenfalls auf die seiner Tochter, doch er schüttelte dabei sachte den Kopf. "Ich muss gehen. Wir haben doch außerdem einen sehr begabten Baumeister in unserer Familie. Ich bin mir sicher, er wird etwas Großartiges erschaffen."
Seine Tochter senkte kurz den Blick und wirkte weniger wie eine Königin, sondern eher wieder wie das kleine Elbenmädchen, das er einst an der Hand gehalten hatte. Kurz verschwamm das Bild mit Kerrys Gesicht und er blinzelte. Nein, er musste gehen und sie beschützen. Faelivrin hat ein ganzes Volk hinter sich, das sie beschützen würde, seine andere Tochter jedoch nicht.
"Ich weiß es. Eines Tages wirst du mit ihr wieder zurückkehren und die schüchterne Ténawen ist eine mutige Frau, die viele Dinge gelernt und gesehen hat", sagte Faelivrin plötzlich und blickte ihn an, "Ich sehe es in ihren Augen, den Drang sich zu beweisen, dazu zu gehören und akzeptiert werden. Sie möchte wachsen. Hilf ihr dabei, Vater, leite sie, so wie du mich geleitet hast. Dann bin ich mir sicher, wird sie eine anständige und mutige Frau werden."
Anstatt einer Antwort nahm Mathan Faelivrin in die Arme und unterdrückte eine Träne, die sich davonstehlen wollte. Es war das Wunderschönste, was sie seit ihrer Ankunft in Mittelerde gesagt hatte.
"Es tut gut, dass du hier bist", sagte er erstickt und wandt sich bei dem Gedanken, all das hier lassen zu müssen. Seine Famile, seine neue Heimat und seinen Vater. Eine warme Hand schmiegte sich an seine freie Schulter und sein Blick erfasste Halarîn, die neben ihm stand. Er lächelte und ließ seinen Blick etwas weiter zur Seite schweifen, wo sein Vater stand, der zu seiner Überraschung Kerry an der Hand hielt. Amarin schmunzelte und nickte ihm wissend zu.
"Ihr seit alle hier... meine Familie", sagte er leise und blickte die Vier nacheinander an, die entweder lächelten oder stumm seine Hand hielten. Schließlich straffte er sich und wandte sich an seine jüngste Tochter: "Ténawen, ich werde mit dir gehen," die Augen des Mädchens blitzten kurz auf und er konnte nicht sagen, ob sie sich freute oder nicht, "Ich muss dich vorbereiten auf das, was auch immer kommen mag. Faelivrin, deine große Schwester wird von ihrem Volk beschützt und weiß die Dinge schon seit langem. Du magst dir zwar denken, dass die Zeit nicht reicht aber es sind andere Sachen, die ich dir zeigen will. Dinge, die man als Abenteurerin braucht um zu überleben in der Wildnis, oder unfreundlichen Gestalten aus dem Weg zu gehen."
Kerry schien zu merken, dass er bewusst das Wort "Feind" vermied und nicht von einer direkten Konfrontation sprach. Amarin wurde etwas ungeduldig und verkündete, dass er in der Schmiede noch etwas zu tun hatte. Er zögerte, führte jedoch sacht einen Finger an Kerrys Stirn und lächelte soweit es ihm möglich war. Nach einem Augenblick, in dem er Faelivrin einen Blick zuwarf verschwand er in der Treppe nach unten. Diese folgte ihren Großvater nach einem kurzen Moment und sagte, dass sie gleich wiederkommen würde.
"Ich werde hier auf euch warten", sagte Halarîn plötzlich und schmunzelte, "Ich denke, dass Faelivrin schon einige Dinge geplant hat, viel hat sie mir noch nicht verraten, aber wenn ihr zurückkehrt, werdet ihr es auch erfahren."
"Was denn für Dinge?", fragte Kerry sogleich neugierig und ließ Mathan grinsen. "Vielleicht erfährst du es ja wenn du nett fragst, Ténawen", antwortete er und knuffte sie sanft in die Seite.
"Kerry!", ertönte eine bekannte Stimme und Adrienne erschien, in ihrer Hand einen kleinen Korb, "Lass uns nach draußen gehen und etwas essen. Wir müssen ja deine sichere Rückkehr feiern."
"Komm mit, Amil", schlug Kerry sogleich vor und Adrienne nickte eifrig.
Mathan lächelte und streichelte seiner Frau über den Handrücken, bis sie ihre Hand von seiner Schulter löste und den beiden Mädchen nach oben folgte. Dabei nickte er den drei Frauen zu, als sie sich kurz zu ihm umwandten. Er seufzte kurz und begab sich schließlich hinab in die Schmiede, wo er Amarin mit Faelivrin sprechen sah. Die Beiden schienen sich gut zu verstehen, dafür, dass sie sichd as erste Mal trafen. Als er näher kam bekam er mit, wie die beiden über die östlichen Lande sprachen, dort wo einst die Hwenti lebten.
"Störe ich?", fragte Mathan höflich und setzte sich auf eine Arbeitsfläche.
"Nein, ich habe Großvater nur ein paar Dinge über Mutter gefragt. Du bist ja immer so verschwiegen", antwortete Faelivrin lachend und handelte sich einen gespielt säuerlichen Blick ein, über den sich selbst Amarin amüsierte. Seine Tochter erklärte jedoch rasch, dass sie noch viele Dinge vorbereiten müsste und huschte wieder in die obere Etage.
"Hmm, ich dachte du wolltest hier nur einige Wenige herunterlassen", merkte Mathan stichelnd an und sah seinem Vater in das gesunde Auge. Dieser zuckte jedoch mit den Schultern und murmelte, dass Familie eine andere Geschichte sei. Mit einem Handzeichen bedeutete Amarin ihn zu folgen und ging voraus in dem Teil, in dem sie zuvor an der Schmiede gearbeitet hatten.
"Ich habe Etwas für dich, denn dort wo du hingehen wirst, wirst du es brauchen", erklärte sein Vater und zog Etwas unter der Arbeitsplatter hervor. Sofort fiel Mathan ein goldener Schimmer auf, das Blitzen einer blanken Klinge und er ahnte, was sein Vater dort in der Hand hielt. Amarin reicht ihm die Waffe vorsichtig und Mathan packte sie an dem langen Griffstück. Der Stahl war kühl und besaß einen eigentümlichen Schimmer.
"Sternenstahl", murmelte Mathan leise und drehte die Waffe auf die Breitseite wo er feine Verzierungen erkannte, gefertigt aus Silber und Platin. Das Griffstück ging gerade über in die lange Klinge, der Stahl war vornehmlich aus Gold und einem gräulichen Silber. Es war die Art Waffe, mit der sein Vater gekämpft hatte, ein Stab mit einer langen Klinge. Durch den goldenen Schimmer kam ihm eine Idee: "Maltahal..."
"Ein schöner Name, der Klang kommt mir bekannt vor", kommentierte Amarin den Namen und wirkte kurz nachdenklich, klopfte ihm dann auf die Schulter, "Wie du damit umgehst muss ich dir ja nicht zeigen, ich denke, dass bekommst du auch gut alleine hin", sein Vater drückte ihm einen Scheide samt Gürtel in die Hände, "Ich hoffe, das Schmuckstück wird dir gute Dienste leisten."
Mathan nickte stumm und legte den Gürtel an, der quer über seine Brust lief, die Scheide lag auf dem Rücken, sodass der lange Griff über seiner rechten Schulter ragte. Vorsichtig wog er Maltahal in den Händen, wirbelte es umher und ließ es schließlich in der Scheide verschwinden.
"Finde sie", sagte Amarin schließlich mit leise Stimme und zog ihn ungestüm in die Arme, "An meiner Stelle."

Fine:
Kerry saß verträumt auf einem großen umgestürzten Stein, der gefährlich nahe an der abgebrochenen Kante lag, und ließ die Beine baumeln. Unter ihr ging es zwei Stockwerke in die Tiefe, wo hohes, wildes Gras gegen die verfallene elbische Ruine brandete, zu der Adrienne Kerry und Halarîn geführt hatte. Hier, am Rande der alten Stadt, war es ruhiger und weniger belebt als im Zentrum, wo sich die Schmiede befand. Kerry war ganz froh darüber. Der Trubel, der durch die große Anzahl von Avari entstanden war, erinnerte sie an Mithlond - eine andere, uralte Stadt, die ebenfalls voller Elben gewesen war. Sie hatte zwar viele glückliche Erinnerungen an die Grauen Anfurten, hatte aber bereits dort festgestellt, dass ihr die Wildnis und die Einsamkeit der rauen Nordlande in den Jahren, in denen sie sie mit Rilmir durchstreift hatte, mehr ans Herz gewachsen waren als jede noch so großartige Stadt. Sie war in einem kleinen Dorf aufgewachsen und war nur selten nach Edoras gekommen - meist, um ihren Vater dort zu besuchen, nachdem er in die königliche Garde aufgenommen worden war. Bree, die zweite große Stadt die Kerry in ihrem Leben besucht hatte, war ihr nie in guter Erinnerung geblieben, obwohl sie dort einige Freunde hatte. Doch in Bree waren ihr zu viele schlimme Dinge zugestoßen. Und Fornost... dort war sie eine Weile glücklich gewesen und hatte eine neue Familie gefunden - ehe die Schatten des Krieges sie eingeholt hatten. Sie hofft, dass die Dúnedain die Schäden der Belagerung bereits repariert hatten. Ihre Gedanken wanderten zu Ardóneth, den sie seit der Flucht aus Carn Dûm nicht mehr gesehen hatte. Ich frage mich, wie es ihm wohl gerade geht, und welchen Aufgaben er sich stellt. Ob er seinen Auftrag erfolgreich abgeschlossen hat? Bestimmt hat man ihm bereits eine neue Mission gegeben.

Adrienne berührte Kerry sachte an der Schulter und riss sie damit aus ihren Gedanken. Es war das Zeichen dafür, dass das Picknick fertig vorbereitet worden war. Halarîn hatte eine dicke Stoffdecke auf dem Steinboden ausgebreitet und einige Leckereien darauf verteilt. Ein leichter Wind zog durch die Stadt und verbreitete ein angenehmes, kühlendes Gefühl, während sie sich zu dritt über das mitgebrachte Essen hermachten. Dabei wurde nur wenig gesprochen. Doch nachdem Adrienne den letzten Bissen verschlungen hatte rutschte sie etwas näher an Kerry heran und sagte: "Erzähl' von deiner Reise nach Dunland. Was ist dort geschehen? Und vor allem: Wie ist es mit Aéd ausgegangen?"
Kerry verzog das Gesicht. Ein schneller Blick zu ihrer Mutter zeigte ihr deutlich, woher Adrienne überhaupt davon erfahren hatte. Halarîn grinste fröhlich in sich hinein während sie an einer Birne knabberte und schien sich nicht im Geringsten darum zu scheren, dass die Angelegenheit Kerry etwas peinlich war.
"Wie ich feststellen muss verbreiten sich gewisse Nachrichten schneller als man erwarten würde," sagte sie und versuchte, Halarîns Belustigung zu ignorieren. Adrienne ist meine Freundin, dachte sie. Damals, in Rohan, hatte ich auch Freundinnen, mit denen ich über solche Dinge getrascht habe. Sie erinnerte sich noch gut daran, wie einst der Neffe des Königs, Marschall Éomer, auf dem Weg nach Dunharg durch Hochborn geritten war. Unter den Mädchen hatte es in den folgenden Wochen kaum ein anderes Thema gegeben. Und als sie herausgefunden hatten, dass Éomer bereits eine Versprochene hatte, war ihre jugendliche Bestürzung umso größer gewesen. Das hier ist aber anders. Aéd ist anders.
Adrienne schaute sie noch immer erwartungsvoll an und verhielt sich einigermaßen untypisch, für ihre Verhältnisse. Sie schien es geschafft zu haben, ihre Schwermütigkeit für einen Augenblick abzulegen. Kerry wurde in diesem Moment klar, dass sie mit etwas so ... Gewöhnlichem wie dieser Sache vielleicht dafür sorgen konnte, dass Adrienne ihre schlimme Vergangenheit und die Wunden, die sie damals erlitten hatte, vielleicht noch etwas länger ausblenden konnte. Also lehnte Kerry sich entspannt gegen den Überrest der Wand der Ruine und begann, ausführlich von Oronêls Reise nach Dunland zu erzählen, bei der sie ihn und Finelleth begleitet hatte. Und sie ließ trotz einer nicht zu übersehenden Errötung, die ihr Gesicht inzwischen zierte, nichts aus; nicht einmal die Zeit, die sie mit Aéd verbracht hatte.
Adrienne schien sich nicht entscheiden zu können, worüber sie mehr schockiert war: Über Aéds Ernennung zum Wolfkönig, oder über die Tatsache, dass...
"...er hat dich wirklich geküsst? Oh, Morilië, es steht schlimmer um dich als ich angenommen hatte!" rief Halarîn und stellte damit klar, wovon sie mehr überrascht worden war.
"Nur ganz kurz, Amil," beschwichtigte Kerry mit einem leicht verärgerten Unterton. "Ich weiß auch nicht, was das zu bedeuten hat - oder zu was das führen wird. Ich denke, es wird ein Weilchen dauern, bis ich Aéd wiedersehe - nun, da ich mich entschieden habe, mit Finelleth ins Waldlandreich zu gehen."
"Ein Kuss hat normalerweise eine recht... eindeutige Bedeutung," meinte Adrienne mit einem verschmitzten Lächeln im Gesicht.
"Oronêl hat uns dabei gestört," erklärte Kerry. "Wusstet ihr, dass er gerne die privaten Gespräche anderer Leute belauscht? Wirklich, das hätte ich nicht von ihm erwartet."
"Oh, für diese Art von Abenteuer ist man nie zu alt," sagte Halarîn gut gelaunt. "Selbst nach tausenden von Jahren werden Liebeleien und Romanzen nie langweilig."
"Und ich dachte, mit dem Alter gewinnt man an Würde und Weisheit," stichelte Kerry.
"Würde und Weisheit sind etwas für Leute wie Ivyn oder Faelivrin," erwiderte Halarîn. "Du wirst es schon sehen: Sie werden dieses Land im Handumdrehen in eine wunderbare Heimat für mein Volk verwandeln... nachdem sie sich mit allen Anführern geeinigt haben."

"Ich habe gewisse Spannungen zwischen den Manarîn und den Hwenti bemerkt," sagte Adrienne und schlug wieder einen ernsteren Ton an. "Denkst du, sie werden Faelivrin als Königin akzeptieren?"
"Sie werden auf Ivyn hören," war sich Halarîn sicher. "Zumindest die meisten. Aber wir wissen noch immer nicht genau, was mein Volk dazu gebracht hat, seine Heimat in Sonuvien zu verlassen. Ich habe gesehen und gespürt, dass ihnen dort etwas Schreckliches zugestoßen ist, aber worum es sich dabei handelt, kann ich nicht sagen. Auch die Manarîn haben ihre Heimat verloren, und das könnte die beiden Volksstämme vereinen. Ihr müsst aber bedenken, dass die Avari und insbesondere die Hwenti nie einen König gehabt haben. Solange die Ersten noch bei ihnen waren, folgten sie deren Ratschlägen und Weisungen, doch Ivyn ging schließlich in die Neuen Lande. Die Hwenti haben schon immer in kleinen, verstreuten Dörfern gelebt, und nicht in großen prachtvollen Städten, wie sie die Manarîn erbaut haben. Was ich damit sagen will ist, dass es möglicherweise noch eine Weile dauern wird, bis beide Gruppe ihre Differenzen beseitigt haben."
"Ich bin mir sicher, sie werden es schaffen," sagte Kerry mitfühlend und legte Halarîn eine Hand auf den Arm. "Sie werden eine Heimat für alle schaffen, die hier leben wollen. Und für alle, die noch kommen werden." Ihr Blick fiel dabei auf Halarîns Bauch. Die Schwangerschaft war deutlich sichtbar geworden.
"Ich wünschte, ich könnte mit Mathan und dir weiterreisen," sagte Halarîn mit einem Anflug von Traurigkeit. "Meine Kleine zieht hinaus in die Welt, um Abenteuer zu erleben, und ich muss hierbleiben und mir Sorgen um sie machen."
"Sorge dich nicht, Amil", beschwichtigte Kerry sie. "Ich kann inzwischen gut auf mich aufpassen. Und ich werde weiter lernen. Dafür wird Ontáro sorgen. Außerdem ist die Reise, die vor mir liegt, nicht besonders gefährlich: Wir reisen von einem Elbenreich ins Nächste. Von Eregion über Bruchtal bis ins Reich Thranduils."
"Das unter Sarumans Kontrolle steht," warf Adrienne ein. "Vergiss' das nicht."
"Und ihr müsst den Hohen Pass überqueren," ergänzte Halarîn. "Finelleth hat mir erzählt, dass sie und Irwyne dort von Orks angegriffen wurden."
Das hatte Kerry nicht gewusst. "Also gut, vielleicht ist die Reise doch ein bisschen gefährlich," gab sie zu. "Aber ich werde ja nicht alleine gehen."
"Dass du alleine gehst würde ich auch niemals zulassen," stellte Halarîn klar. "Du weißt, ich werde mir immer Sorgen um dich machen, Morilië. Weil du mir wichtig bist. Aber ich vertraue darauf, dass du gut auf dich Acht gibst, und dich auf deine Freunde verlässt wenn Gefahr droht. Selbst wenn Mathan nicht in der Nähe sein sollte."
"Wie meinst du das?" fragte Kerry.
Halarîn druckste etwas herum bis sie schließlich sagte: "Sprich am besten während der Reise mit ihm darüber. Es gibt da etwas, worum er sich kümmern muss - und dabei werden sich eure Wege wahrscheinlich trennen."
Kerry blickte nachdenklich in die Ferne. "Nun, ich habe vor, mit Finelleth in ihre Heimat zu gehen, wo wir einigermaßen in Sicherheit sein werden."
"Gut," befand Halarîn und nickte. "Lass' uns für den Augenblick nicht mehr davon sprechen sondern die Zeit genießen, die uns noch bleibt ehe ihr aufbrecht."
"Genau meine Meinung," sagte Adrienne.
So wandten sie sich wieder einfacheren Themen zu und sprachen noch eine ganze Weile über dieses und jenes, was Kerry sehr genoss. Sie wusste, dass sie die beiden schon bald vermissen würde...

Am folgenden Tag brachen sie auf, um nach Norden, in Richtung von Bruchtal zu reisen.


Oronêl, Mathan, Celebithiel, Finelleth und Kerry zur Wildnis nahe Imladris

Fine:
Córiel, Jarbeorn und Sabri mit den Manarîn-Wachen aus Dunland


Córiel war auf ihren Reisen durch Mittelerde schon mehrere Male durch Eregion gekommen, hatte das Reich Celebrimbors jedoch niemals während seiner Blütezeit gesehen. Umso erstaunter war sie nun, es wieder von Elben bewohnt vorzufinden. Auf dem Weg zur Hauptstadt des sich im Entstehen befindlichen Reiches sahen sie mehrere Male in der Ferne kleine Ansammlungen von Zelten, die laut den Elbenwachen mit der Zeit zu Dörfern ihres Volkes werden würden. Außerdem begegneten ihnen zweimal weitere Gruppen von gut gerüsteten Soldaten, die offenbar an der südlichen Grenze Eregions wachsam patrouillierten.
Nachdenklich musterte Córiel die Krieger, die sie und ihre Begleiter an der Furt des Glanduin abgefangen hatten. Sie trugen Rüstungen, die zwar gut gearbeitet waren und sicherlich die meisten von Menschen gefertigten Rüstungen übertrafen, doch an die Arbeit der Noldor kamen sie, ihrer Einschätzung nach, nicht heran. Es handelte sich bei den Elben offenbar um Avari, wenn gleich Córiel sich nicht gut genug auskannte, um zu wissen, von welchem der verschiedenen Stämme dieses zerstreuten Volkes sie wohl kamen. Sie waren mit Schwertern, Bögen und Lanzen bewaffnet und blickten sich während der Reise zur Hauptstadt stets wachsam um, als würden sie nach allen möglichen Gefahren Ausschau halten.

Jarbeorn ließ sein Pferd neben Córiels Ross hergehen. "Hör mal, Stikke," begann er im gedämpften Ton, "bist du dir auch sicher dabei? Diese Elben erinnern mich an Thranduils Volk, wenn ich ehrlich bin - das war ebenfalls ein ziemlich misstrauischer Haufen, der es nur ungerne gesehen hat, wenn Fremde über ihre Grenzen in ihr Reich kamen."
Córiel blickte geradeaus, während sie antwortete: "Sie werden uns nichts tun, wenn wir ihnen keinen Grund dazu geben. Es sind immer noch Elben, auch wenn sie von einem anderen Volk abstammen als ich."
"Ich hätte trotzdem gerne meine Axt zurück."
"Und ich vermisse meinen Speer. Aber ich versichere dir: Wir werden die Waffen zurückerhalten, wenn wir mit der Avari-Königin gesprochen haben."
Ein schwaches Nicken des Anführers der elbischen Grenzwachen zeigte Córiel, dass er alles mitangehört hatte, und ihrer Einschätzung zustimmte. Es war wichtig, jetzt als Gesandte Rohans aufzutreten, die eine wichtige Nachricht zu überbringen hatten. Immerhin mussten sie mit allen Mitteln versuchen, einen Krieg zu verhindern, der durch die Intrigen Vecas auszubrechen drohte.
Ich hasse das, dachte Córiel. Sie konnte Intrigen und Ränkespielchen nicht leiden. Am liebsten befand sie sich in einer Position, wo die Seiten klar verteilt waren. Sie wusste gerne eindeutig, wer Freund und wer Feind war. Denn daraus folgte für sie, wen sie töten konnte. Bei Jarbeorn war sie sich darüber im Klaren. Er war ihr Freund, und würde sie niemals verraten. Und ebenso unterschütterlich würde sie Rücken an Rücken mit ihm gegen alle kämpfen, die sich ihnen in den Weg stellen würden.
Sie warf einen raschen Blick auf ihren neusten Begleiter. Sabri, der trotz der angespannten Lage ein siegessicheres Lächeln im Gesicht trug. Er schien sich keinerlei Sorgen über die Situation zu machen, in der sich die drei Gefährten befanden. Er erwiderte Córiels Blick und schenkte ihr ein gewinnendes Lächeln. Sie verdrehte die Augen und wandte den Blick ab. Ich werde noch nicht ganz schlau aus diesem Burschen, dachte sie und fragte sich nicht zum ersten Mal, woher Sabri wohl stammte, und in wessen Auftrag er nach Dunland gekommen war.

Sie übernachteten in einem kleinen Zeltdorf, das auf halbem Weg zur Hauptstadt von Eregion lag. Am folgenden Tag legten sie den Rest der Strecke zurück, bis die Stadt in Sicht kam, die sich gerade im Bau befand. Erste Anzeichen einer Stadtmauer waren zu erkennen, doch noch bestand der Großteil der Stadt aus Zelten und Fundamenten von neuen Häusern. Die meisten Bewohner Eregions schienen im Augenblick hier zu leben - denn es war laut der Wachen der Furten der sicherste Ort im Land.
"Willkommen in Vincarna Maranwë, dem sich neu erhebenden Ost-in-Edhil," sagte der Anführer der Wächter, als sie die Stadt erreicht hatten. Ihre Ankunft hatte sich rasch herumgesprochen, und Córiel und ihre Gefährten ernteten viele erstaunte, aber teilweise auch offen misstrauische Blicke. Sie stellten ihre Pferde vor einem der größten Zelte ab, das von einer großen Gruppe schwer gerüsteter Gardisten bewacht wurde. Diese Elben waren anders gekleidet wie die Avari, die Córiel an den Furten begegnet waren und schienen zu einem anderen Stamm zu gehören.
Es dauerte eine ganze Weile, bis Córiel, Sabri und Jarbeorn schließlich ins Innere des Zeltes gebeten wurden. Sie passierten den Eingang, und kamen in ein relativ schlicht eingerichtetes Zelt, das offenbar als temporärer Thronsaal diente, denn am gegenüberliegenden Ende war ein Thron aus geschnitztem und verziertem Holz aufgestellt worden, in dem eine große Elbin saß und die drei Besucher eindringlich musterte. Dies musste die Königin der Avari sein, von der die Dunländer gesprochen hatten. Mehrere Berater umgaben die Königin. Einige sahen ihr so ähnlich, dass Córiel eine nahe Verwandschaft vermutete.
Vor dem Thron angekommen, beugten die drei Gefährten leicht das Haupt vor der Königin, die als Erste das Wort ergriff. "Ihr seid willkommen, Boten des Rates von Aldburg. Ich hörte, dass ihr dringende Botschaften für mich habt."
"So ist es, Majestät," begann Jarbeorn, der Córiel erneut damit überraschte, dass er sich in Situationen, in denen es darauf ankam, durchaus sehr gewählt und angemessen ausdrücken konnte. "Mein Name ist Jarbeorn, Sohn des Grimbeorn, und dies ist Córiel von den Noldor."
Córiel spürte, wie die Stimmung im Zelt etwas feindseliger wurde, denn einige der Elben warfen ihr nun offen ablehnende Blicke zu. Sie scheinen nicht viel von meinem Volk zu halten, schloss sie daraus.
"Und mich nennt man Sabri Ibn Eayan," stellte sich der Dritte im Bunde mit einer galanten Verbeugung vor. "Zu Euren Diensten."
"Ihr steht vor Scalyna Faelivrin Tu-Merenwen, Königin der Manarîn und der Hwenti," sagte einer der Elben mit strenger Stimme. "Was habt ihr zu sagen? Sprecht schnell."
Die Königin machte eine beinahe unmerkliche Geste mit der linken Hand, und der Berater verstummte. Ihr Gesichtsausdruck war reserviert, jedoch nicht unfreundlich. Mit einem Nicken forderte sie Jarbeorn auf, weiterzusprechen.
"Heermeister Faramir entsandte Córiel und mich nach Westen, denn es drangen Gerüchte von Krieg in Dunland an sein Ohr. Auch haben die Herren von Rohan seit vielen Wochen nichts mehr von jenen gehört, die nach dem Ende des Rates von Aldburg in Richtung Eriador aufbrachen. Wir sind hier, weil wir das Schicksal beider Gruppen ergründen sollen."
"Ich nahm für einige Zeit selbst am Rat in Aldburg teil," erklärte Königin Faelivrin. "Und ich kann zumindest einen Teil des Rätsels für euch auflösen. Jene Reisegruppe, die von Rohan in Richtung Lindon aufbrach und vom Herrn und der Herrin des Goldenen Waldes angeführt wurde, ist sicher an den Gestaden Círdans angekommen. Die Galadhrim leben nun dort in den Wäldern Harlindons. Und was Meister Elrond betrifft... wir haben gehört, dass er in seine Heimtstatt in Imladris zurückgekehrt ist."
"Dies sind gute Nachrichten," sagte Córiel. "Keine Nachricht über Meister Elronds Schicksal gelangte nach Rohan. Wir vermuten, dass der Krieg in Dunland dafür verantwortlich war." Sie machte eine kurze Pause und begegnete dem forschen Blick der Königin, ohne zu blinzeln. "Doch war Elronds Gruppe nicht die Einzige, die Aldburg kurz nach dem Ende der Ratssitzung verließ."
"Ich weiß, von wem Ihr sprecht, Córiel von den Noldor," unterbrach Faelivrin sie. "Diese Gruppe hatte einen wichtigen, geheimen Auftrag, der hier in Eregion zu einem erfolgreichen Abschluss gebracht wurde. Mehr kann ich dazu nicht verraten, denn ich bin mir nicht darüber im Klaren, wieviel jene, die an dieser wichtigen Mission teilnahmen, Euch, Córiel, davon mitgeteilt haben."
Es war eine ehrliche Aussage, und dennoch verärgerte sie Córiel. Ich habe dieses Gerede satt, dachte sie und versuchte, sich nichts anmerken zu lassen. Es wäre alles so viel einfacher, wenn wir solch wichtige Dinge frei und offen besprechen können. Dann würde das Ganze auch nicht so lange dauern.
"Wichtig ist im Augenblick nur, dass die Mission Lasserons erfolgreich war," sagte sie und wollte sich rasch dem nächsten Thema zuwenden, das ihr deutlich wichtiger vorkam. Bei der Erwähnung Lasserons zog für einen kurzen Augenblick ein leicht verwunderter Gesichtsausdrück über Faelivrins Gesicht, der jedoch so rasch wieder verschwand, wie er gekommen war. Dies brachte Córiel aus dem Konzept, sodass es schließlich Jarbeorn war, der wieder das Wort ergriff.
"Wir sind noch aus einem anderen, dringenderen Grund hier, euer Hoheit," sagte er und trat einen Schritt vor. Sofort regten sich die elbischen Gardisten, ehe sie erkannten, dass der Beorninger nicht versuchen würde, ihre Königin anzugreifen. "In Dunland ist etwas geschehen. Der Wolfskönig wurde beinahe ermordet, was von der tapferen Córiel gerade noch verhindert werden konnte. Als wir uns den Attentäter genauer ansahen, nachdem sie ihn getötet hatte, stellte es sich heraus, dass er einer vom Elbenvolk war. Ihr versteht sicher, dass manche der Dunländer nun Euch dafür verantwortlich machen."
Córiel fühlte sich sogleich an die Stimmung in Corgans Dorf erinnert, denn kaum hatte Jarbeorn seinen Satz beendet, begannen die Elben, lautstark durcheinander zu reden. Viele sprachen von "ungeheuerlichen Anschuldigungen" und bezichtigten den Beorninger der dreisten Lüge. Mehrere Minuten vergingen, ehe die Königin die Hand hob und ihre Berater zum Schweigen brachte.
"Berichtet mir alles, was in jener Nacht geschehen ist," verlangte sie mit Nachdruck in der Stimme. "Ich will ganz genau wissen, was passiert ist."
Jarbeorn kam der Bitte nur allzu gerne nach und erzählte in raschen Sätzen vom Angriff auf Aéds Leben und dem folgenden Tag, an dem sie herausgefunden hatten, dass es die Dunländerin Veca gewesen war, die sich als Drahtzieherin hinter dem Attentat bekannt hatte.
"Ich stimme eurer Einschätzung zu, dass jemand versucht, Eregion und Dunland gegeneinander auszuspielen, und bin froh, dass Aéd Wolfskönig das ebenfalls erkannt hat. Er ist klüger und besonnener, als ich bei unserer ersten Begegnung angenommen hatte," sagte Faelivrin. "Desweiteren halte ich es ebenfalls für wahrscheinlich, dass diese Veca eine Dienerin Sarumans ist. Doch was mir große Sorge bereitet, ist der Fakt, dass Elben in die Angelegenheit involviert waren.  Ich sehe, dass ihr nicht lügt, was bedeutet, dass tatsächlich einer der unseren - ganz gleich ob Avari oder Noldor - versucht hat, den Herrn der Dunländer zu ermorden. Dies ist in der Tat äußerst besorgniserrregend."
Eine Pause trat ein, in der die elbischen Berater leise miteinander in ihrer Sprache tuschelten. Es war ein Dialekt, den Córiel nicht verstand, weshalb sie vermutete, dass es sich dabei um die Sprache des Hwenti-Stammes handelte.
Sabri, der bislang noch kaum ein Wort gesagt hatte, brach unerwartet sein Schweigen. "Ich will nicht unhöflich sein, Herrin, aber... gibt es unter Eurem Volk vielleicht einige, die nicht mit Eurer Herrschaft einverstanden sind, oder es zumindest zu Beginn nicht waren?"
Das brachte die Elben schlagartig zum Schweigen, und Córiel erkannte, dass Sabri einen Nerv getroffen hatte. Faelivrin schien genau zu wissen. Sie musterte den Südländer aufmerksam, ehe sie sagte: "Interne Angelegenheiten wie diese gehen Euch nichts an, ebenso wenig braucht ihr zu wissen, wer unter meiner Krone steht und wer nicht. Als Zeichen meines guten Willens und als Dank für die Warnung, die ihr mir gebracht habt, werde ich euch jedoch sagen, dass es in der Tat einige Elben gibt, die nicht unter meiner Herrschaft stehen wollen. Das ist auch ihr gutes Recht, denn immerhin sind sie seit jeher ohne einen König oder Königin ausgekommen. Ich hatte nicht vor, ihnen dieses Joch aufzuzwingen und habe ihnen freigestellt, sich ihre eigene Existenz in diesem Land aufzubauen, denn es gibt hier genug Platz für alle von unserem Volk, und sie dürfen sich ansiedeln, wo immer sie wollen. Sie können ihre eigene Existenz aufbauen und diese Ländereien wieder aufleben lassen. Doch dass sie versuchen würden, einen Krieg auszulösen, kann ich noch nicht recht glauben."
"Das Wichtigste ist, dass nun rasch Klarheit geschaffen wird," meinte Jarbeorn. "Ein offener Krieg ist weder für euch noch für die Dunländer von Vorteil. Nur Saruman würde sich vor Freude die Hände reiben. Die wahren Drahtzieher müssen gefunden und bestraft werden, damit wieder Frieden einkehrt."
"Ihr sprecht wahr, Sohn des Grimbeorn. Ich werde Botschaften zu den entlegenen Dörfern entsenden und die Anführer dort zur Rede stellen. Wenn einer der Hwenti dahintersteckt, werde ich es bald herausgefunden haben."
"Und wir werden Veca jagen," ergänzte Sabri und sprach damit aus, was Córiel bereits gedacht hatte. Die Frau hatte bereits zugegeben, den Attentäter entsandt zu haben, und stand ganz offensichtlich mit einigen der Elben in Verbindung. Je früher sie sie fanden, desto besser.

Wenige Minuten später war die Audienz beendet. Faelivrin sicherte den drei Gefährten sicheres Geleit innerhalb ihrer Grenzen zu und lehrte sie einen Satz in der Sprache der Manarîn, der beweisen würde, dass sie mit dem Wohlwollen der Königin reisten. Córiel, Sabri und Jarbeorn erhielten ihre Waffen zurück und machten sich auf den Weg zu ihren Pferden. Es war bereits Mittag, und sie planten, Vecas Spur an den Furten des Glanduins wieder aufzunehmen. Als sie die Stallungen erreichten, die ebenfalls aus einem großen Zelt bestanden, wurden sie dort bereits von zwei ihnen unbekannten Elben erwartet. Eine der beiden war noch ein Kind.
"Wartet einen Augenblick, ehe ihr losreitet, und hört mich an," sagte eine hochgewachsene Elbin, deren Worte großes Gewicht zu haben schienen. Córiel erkannte, dass sie während der Audienz schweigend in der Nähe des Thrones gestanden hatte, sich aber nicht in die Diskussion eingemischt hatte. "Mein Name ist Ivyn von den Hwenti," sagte sie. "Ich weiß, wer ihr seid, und wohin euch eure Suche nun führen muss. Die, die ihr jagt, ist nicht länger in Dunland, wenn mich meine Sicht nicht trügt. Sucht im Osten nach ihr, an den ersten Ausläufern des Trennenden Gebirges."
Die Elbin besaß eine ehrfürchige Ausstrahlung, doch Córiels Blick blieb mehr an Ivyns junger Begleiterin hängen. Diese erwiderte Córiels Blick aus silbernen Augen und nahm überraschend ihre Hand. Die Berührung fühlte sich warm und tröstlich an, doch Córiel verstand nicht, weshalb. "Du trägst großen Zorn in dir," wisperte die Kleine. "Ich glaube... es gibt jemanden, der dir helfen kann. Finde ihn! Finde ihn bald, ehe dich der Zorn verschlingt!"
"Das genügt, Farelyë," sagte Ivyn leise, aber bestimmt. "Ihr solltet jetzt gehen. Eile ist geboten, denn ich fürchte, dass nicht alle so vernünftig wie der Wolfskönig und wie Scalyna sein werden. Reitet mit Hast!"
Sie nahm das Elbenmädchen an der Hand, und eilte rasch davon. Córiel und ihre Gefährten blieben etwas ratlos zurück.

"Das war die Weitsicht der Erstgeborenen, wenn mich meine Sinne nicht täuschen," sagte Sabri nach einer Minute des Schweigens. "Ich denke nicht, dass wir zu den Furten reiten sollten. Lasst uns Ivyns Rat befolgen und im Osten am Rand des Gebirges mit der Suche beginnen."
Jarbeorn hingegen schien Zweifel zu haben. "Ich weiß nicht recht," brummte er. "Das kommt mir alles sehr seltsam vor. Was, wenn es eine Falle ist?"
Córiel zog eine Augenbraue nach oben. "Du hast dich doch noch nie vor Fallen gefürchtet, Schwarzpelz," sagte sie neckend und überspielte damit ihre eigene Unsicherheit. "Ich würde sagen, es ist einen Versuch wert. Sehen wir nach, was es im Osten zu sehen gibt. Und wenn es wirklich eine Falle ist, dann lassen wir sie eben zuschnappen. Diesmal sind wir auf Veca und ihre Tricks vorbereitet."
"Das ist die richtige Einstellung!" lobte Sabri, der bereits im Sattel saß. Und so saßen auch Córiel und Jarbeorn auf. Ehe sie jedoch losreiten konnten, schloss sich ihnen ein weiterer Reiter an, der einen großen Hammer auf dem Rücken befestigt hatte und eine ähnliche Rüstung wie die Manarîn-Wachen trug.
"Mein Name ist Calanto. Ich werde mit euch gehen," rief er und klang dabei voller Tatendrang. "Es wird Zeit, dass jemand etwas unternimmt," fügte er hinzu.
Córiel und Jarbeorn tauschten einen zweifelnden Blick aus, doch schließlich gab die Hochelbin nach. "Also gut," stieß sie hervor. "Du kannst uns vielleicht behilflich sein, wenn du dich in diesem Land besser auskennst, als wir."
Calanto reckte die Faust zur Bestätigung, und trieb sein Pferd zum Galopp an. Rasch folgten ihm die drei Gefährten und ließen die Stadt der Manarîn schon bald hinter sich.


Córiel, Jarbeorn, Sabri und Calanto nach Osten zum Sirannon-Tal

Curanthor:
Aus der Sicht von Anastorias, zusammen mit Faelivrin und den übrigen Manarîn

Hastig trieb er sein Pferd zur Eile an und hielt den Blick starr auf den Horizont gerichtet. Das Donnern der Hufe verstärkte in ihm den Drang seinen Hammer zu schwingen, leider hatte er bisher keine Möglichkeit dazu gehabt. Anastorias biss die Zähne zusammen und trieb sein Pferd weiter die Senke hinauf, die er gerade passierte. Er hatte keinen Blick für die Bäume oder die vereinzelten Blumen, welche ab und zu unter die Hufe seines Pferdes gerieten. Er war die ganze Nacht durchgeritten und merkte, dass seinem Reittier bald die Kraft ausging. Zu seiner Erleichterung kam er in die Gefielde, dier er schon kannte. Er ritt um einer größeren Gruppe Bäume herum, auf deren Äste er sich gern entspannte. Erste Elbengruppen, die Material zu dem riesigen Baugrund der Stadt schafften warfen ihn verwunderte Blicke zu. Seine müden Augen erfassten die ersten Zelte und er war froh, bald nicht mehr in einem schlafen zu müssen. Sein Onkel Luscora hatte bereits Pläne für jedes Familienmitglied erstellt, die sonst niemand kannte. Es war sogesehen ein Geheimnis der Nénharma. Je näher der Stadt kam umso deutlicher wurde es, dass in dem einen Tag seiner Abwesenheit offenbar die Baumaßnahmen deutlich beschleunigt wurden. Er wusste zwar nicht wie, aber irgendwie hatten es einige Elben geschafft bereits große Mengen an Steinen und anderen Baumaterialien zu beschaffen. Ihm fielen mehrere Standarten ins Auge, die sich vor dem großen Zelt der Königin im Wind drehten. Etwas zu spät zügelte er sein Pferd und kam fast schon schlitternd zum stehen. Anastorias wollte in aller Eile absteigen, doch verhedderte er sich im Steigbügel und rutschte fluchend vom Pferd zur Seite. Einer der Gardisten vor dem Zelt bemerkte es und erbarmte sich ihm zu helfen. Einen Dank murmelnd drängelte er sich an den beiden Männern vorbei.
"Herr, ihr könnt dort nicht hinein!", rief die Wache ihm hinterher, als er den Stoff zurückschlug.
"Unsinn, meine Nachricht ist hochwichtig und dort drinnen ist doch niemand außer...", er verstummte und brachte den Satz nicht zu Ende. "Oder doch?", murmelte er stattdessen und starrte in eine große Versammlung von Elben, die sich zu ihm umdrehten. Anastorias erkannte Fanathr, den Sprecher der meisten Hwenti; seine eigene Familie war ebenfallsanwesend, selbst sein Onkel Luscora, der Politik verabscheute und sich nie einmischte. Ivyn drehte sich mit Faelivrin zu ihm um, neben ihr standen die übrigen Fürsten der Manarîn, ebenso seine Mutter Isanasca und eine Handvoll Elben, die er nicht kannte.
"Ich hoffe, es gibt einen guten Grund einfach so hereinzuplatzen?", hob Faelivrin an, ein flüchtiges Schmunzeln nahm ihren Worten die Schärfe. Dennoch war ihr Blick ernst und forderte ihn zum Sprechen auf.
Sofort ging er auf ein Knie und hielt sich eine Hand auf das Herz. "Herrin, ich habe wie befohlen die drei Botschafter bis zur Grenze unseres Reiches begleitet."
Sofort hatte er die ungeteilte Aufmerksamkeit und die vereinzelten Gespräche zwischen den kleinen Gruppen erstarben, Ivyn nickte ihm aufmunternd zu.
Mit knappen Worten beschrieb er den vergangenen Vorfall und wiederholte Wort für Wort die Schilderung von der Hochelbe. Er erzählte von dem Überfall und das Gespräch zwischen Córiel und Veca. Als die Sprache auf die Avari und die Wörter "Verräterblut" und "Feiglinge" fielen, erfüllt das Zelt eine eiskalte, schweigende Aura. Es war so still, man hätte eine Nadel auf den Boden fallen hören können. Anastorias endete mit dem wahren Namen von Veca und erhob sich schließlich. Ein Blick zu Faelivrins Augen verriet ihm, warum es so still geworden war. Ihre Miene war zu einer emotionslosen Maske erstarrt, ihre Augen blitzen jedoch gefährlich. Fast meinte er dort einen silbernen Schimmer zu sehen, was nach einem Blinzeln verschwunden war.
"Ich schlage vor, das wir einen Hetztrupp aussenden. Sowas darf nicht ungesühnt bleiben", sagte Fanathr eisig und ballte immer wieder die Fäuste.
Andere Stimmen wurden laut und riefen nach dem Kopf der Abtrünnigen. Kurz darauf hatte sich ein lautstarkes Stimmgewirr erhoben, da mehr als zwanzig Elben sich über die Verräterin empörten. Anastorias hielt jedoch Faelivrin im Blick, die einen kurzen Blickkontakt mit Ivyn hatte. Sein Blick wurde von einer jungen Elbe mit dunkelbraunen Haar und rehbraunen Augen angezogen, die etwas Abseits stand und schweigend die streitenden Elben beobachtete. Als sie seinen Blickkontakt erwiderte, meinte Anastorias dort eine enorme Selbstsicherheit zu lesen.
"Genug!" Die Königin hatte nicht einmal die Stimme erhoben, doch ihr deutlich vernehmbarer Zorn ließ alle in dem Zelt zusammenfahren. Selbst die Hwenti, die nicht unter ihrer Krone standen schwiegen ehrfurchtsvoll. "Gelior, entsendet umgehend Kunde an alle Siedlungen, dass eine Elbe mit der Beschreibung von dieser Veca, oder Vaicenya - wie auch immer sie sich nennen mag- wegen Hochverrats gesucht wird. Setzt die Grenzmannschaften davon in Kenntnis. Niemand attackiert Botschafter anderer Völker in meinem Reich und kommt davon."
Der Angesprochene, ein Elb mit grauen Haaren, nickte und eilte in seiner langen schwarzen Robe so schnell aus dem Zelt wie es ihm nur möglich war.
"Ich denke, dass das alle Avari betrifft", hob Fanathr erneut an und erhielt zustimmendes Nicken der übrigen Elben, die unabhängig von der Krone waren, "Also werden wir die Manarîn unterstützen und die östlichen Gebiete zu den Bergen hin abdecken. Seht die Grenzen dort als gesichert an, Königin Faelivrin. Diese Verräterin hat nicht nur Euch, sondern auch uns alle beleidigt und Orkgesindel in unsere neue Heimat geführt, das ist unverzeihlich."
Faelivrin nickte ihm zustimmend zu, woraufhin die meisten der unabhängigen Avari das Zelt verließen. Mit strenger Stimme wandte sie sich an ihre Berater, die zwischen ihr und Ivyn standen: "Fürst Taniel und Fürst Túniel, verbreitet die Kunde von den Verrätern und schärft den Unseren ein, dass es unabdingbar ist, unsere Festungsanlagen so schnell wie möglich fertig zu stellen. Vermeidet aber von einem drohenden Krieg zu sprechen. Das gilt auch für euch alle." Sie wandte sich nun an den Rest und hob die Stimme leicht an,"Es wird keinen Krieg mit den Dunländern geben. Entsendet einen Boten zu Aéd Wolfskönig und überbringt ihm unsere neuerlichen Erkenntnisse. Nur er soll davon erfahren und betont, dass es Abtrünnige sind, die nichts, auch rein gar nichts mit uns zu tun haben."
Die Königin blickte alle der Reihe nach ernst an. Es war für Anastorias stets etwas merkwürdig, da die Hälfte des kleinen Hofstaats aus ihrer eigenen Familie bestand, doch stellte niemand die Autorität Faelivrins in Frage. Die Manarîn vertrauten ihren Urteilen und ihrer Führung. Er selbst fragte sich manchmal, woher sie immer diese Zuversicht nahm, die sie gerade ausgestrahlt hatte, als sie verkündete, dass es keinen Krieg mit den Dunländern geben würde..
Auf einen Wink der Königin hin verließen die meisten Elben das Zelt. Einzig Ivyn, Luscora, Isanasca und die merkwürdige Elbe mit den rehbraunen Augen und dunkelbraunen Haar blieben, ebenso wie Faelivrin selbst. Anastorias wollte ebenfalls gehen, wurde aber von einem Ruf seiner Mutter zurückgehalten.
"Komm her, mein Junge", sagte Isanasca stolz und schloss ihn etwas peinlich berührt in die Arme, "Gut gemacht."
Das Lob wirkte irgendwie falsch, da er nicht sonderlich viel gemacht hatte. Dennoch schwieg er und strich seiner Mutter flüchtig über den Rücken, als sie sich voneinander lösten.
"Ich hatte eigentlich damit gerechnet, dass du einfach mit ihnen weiterziehst", gestand sie schmunzeln und zwickte ihm in die Muskeln seiner starken Arme.
"Er wollte es nicht riskieren den Befehl seiner Königin nochmal zu missachten", warf Faelivrin leicht grinsend ein und drehte sich zu Luscora um.
Anastorias spürte, wie ihm leicht die Wangen glühten, denn seine Großmutter hatte damit auf seinen kleinen Ausflug nach Carn Dûm angespielt. Damit hatte er damals gegen ihre Anordnung verstoßen, in Lindon auf sie zu warten. Sein Blick fiel erneut auf die Elbe mit dunkelbraunen Haaren und rehbraunen Augen, die ihn heimliche Blicke zuwarf. Ein Gardist wollte diese gerade hinausgeleiten, als Anastorias die Hand hob. Warum er das tat, war ihm nicht klar. Es war seine Inuition gewesen. Der Wächter verharrte und verließ mit einem "Wie Ihr wünscht" auf den Lippen rasch das Zelt.
Faelivrin unterbrach dadurch aufmerksam geworden ihr Gespräch mit Luscora und blickte auf. Als sie die Elbe im Zelt bemerkte, legte die Königin den Kopf schief und sagte: "Ich kenne Euch. Ihr seid Amante aus dem Hause Maltahal.
Die Angesprochene lief rot an und überging sich in Entschuldigungen, dass sie gar nicht hier sein durfte. Dabei verhaspelte sie sich ständig, bis Ivyn hinter sie trat und ihr eine Hand auf die Schulter legte. Überrascht von der Berührung zuckte Amante zusammen. Isanasca warf indessen Anastorias einen vorwurfvollen Blick zu, den er mit einem Schulterzucken beantwortete. Ihre Lippen formten die Frage, ob er sie eingeladen hatte, was er mit dem Kopf schüttelnd verneinte. Leicht empört über die Frage seiner Mutter verschränkte er schmollend die Arme.
"Ich... Ich wollte nur mal sehen, wie es in so einem Rat zugeht", murmelte Amante schließlich scheu und wollte schon gehen, doch Ivyn hielt sie noch immer an der Schulter.
"Ich erkenne es, wenn ich jemanden aus der Zeit der Sterne treffe. Keine Frage, Ihr seid nicht so wie Ihr scheint."
"Nein, das ist sie nicht", ertönte plötzlich die Stimme Amarins und ließ alle zum Eingang blicken. Der Elb trug stets seine abgerissen Ausrüstung und würde selbst in einem Heerlager stets sehr einfach zu finden sein, befand Anastorias. "Sie ist zwar keine der Ersten wie Ihr, Gnädigste Ivyn, aber Amante ist einer der reinsten Geschöpfe, die ich kennengelernt habe", fuhr der alte Elb fort und trat ohne zu fragen ein.
Amante gab ihre Zurückhaltung auf und streckte sich. Sie reichte Ivyn fast bis zum Kinn und war somit erstaunlich groß und überragte Anastorias fast mehr als einen Kopf.
"Und was hat das zu bedeuten?" Die Frage Luscoras schien ihnen allen durch den Kopf zu gehen. Es war selten, dass er sich zu Wort meldete. Meistens dann, wenn sein Verstand die Dinge nicht begreifen konnten, so wie es jetzt der Fall war.
Amarin räusperte sich und nahm mit Respekt die Hand Ivyns fort. Zum Erstaunen der Anwesenden ließ diese es zu und tauschte einen langen Blick mit dem Elben. Es schien eine gefühlte Ewigkeit zu vergehen, bis die Erste kaum merklich nickte. Ohne weitere Worte trat sie aus dem Zelt hinaus. Anastorias war sich sicher, dass die beiden gerade sich irgendwie unterhalten hatten, ohne, dass die Anderen bemerkten.
"Aus Respekt vor der Königin kann ich aber sagen, dass Amante eine alte Freundin von mir ist", erklärte Amarin lächelnd und legte der wieder etwas scheu wirkenden Elbe eine Hand auf die Schulter, "Wir kennen uns schon aus alter Zeit."
"Ihr meint, aus Gondolin?", hakte Faelivrin nach und Anastorias erinnerte sich, dass es immer nur Gerüchte und Gerede über die Eltern des Ahnherrn gab. Woher diese genau kamen, wusste niemand.
Amarin lächelte, zumindest auf dem Teil des Gesichts, der nicht von einem Tuch bedweckt war. Die meisten Manarîn tuschelten schon seit längeren, dass der Elb in einem schweren Kampf eine Verwundung erlitten hatte, die nicht den Körper sondern dessen geistige Essenz verstümmelte. Anastorias hütete sich das jetzt zur Sprache zu bringen. Sein Blick ging zu den rehbraunen Augen von Amante, die ihn aufmerksam musterte.
"Schaut mich nicht so an, ich bin Euch keine Erklärung schuldig." Die Stimme von ihr war plötzlich in seinem Kopf. Verwunderte blickte er sich um, doch anhand des Blickkontakts mit Amante war er sich sicher, dass sie es war. Sie nickte kaum merklich, genauso wie Ivyn es vorhin getan hatte.
"Nun, wenn es so ist, vertrauen wir auf Euer Urteil, Amarin", sagte Faelivrin umgänglich und nickte Amante zu, "Fühlt Euch frei zu gehen wohin Ihr beliebt."
Anastorias fluchte leise, da er nicht mitbekommen hatte, was die Königin vorher besprochen hatte. Die braunhaarige Elbe dagegen verließ hastig das Zelt und warf ihm im Vorübergehen einen langen Blick zu. Er starrte noch eine Weile auf den Stoff, wo er noch kurz ihre schlanke Figur erkennen konnte. Dann war sie nach links aus dem Blickfeld gegangen.
"Calanto, hat du gehört?" Er drehte sich um und stieß fast mit Faelivrin zusammen, die ihn ernst anblickte. "Geh und hilf den anderen Elben beim Hauen der Steine für die Stadtmauer."
Mit den Worten verließ die Königin gefolgt von Ivyn, Amarin und Luscora das Zelt. Einzig Anastorias und seine Mutter blieben zurück. Isanasca strich sich ihre dunkelblonden Haare zurück und ließ sich seufzend auf einen Stuhl fallen.
"Irgendwie fehlt mir meine Stadt...", gab sie leise zu und zog ein zersplittertes Stück Stein aus ihren blauen Mantel.
"Eresion, die Stadt der ungezählten Edelsteine", bestätigte Anastorias und ging vor ihr in die Hocke, "Ich dachte, du hättest alles hinter dir gelassen?"
"Habe ich auch, nur sollte man manche Dinge aus seiner Vergangenheit wie Schätze behandeln und nicht wie ein Fluch."
Seine Mutter drehte das Stück Stein. Glitzernd reflektierten die Diamanten auf der glatten Seite, die makellos sich in die Sockel einfügten das Licht.
"Ich vermisse es auch", gab Anastorias leise zu und tätschelte seinen Hammer auf dem Rücken.
"Ich denke, weniger wegen der Waffe. Ich bin deine Mutter, du kannst mir nichts vormachen." Sie suchte seinen Blick. "Willst du mir vielleicht erzählen, was auf deinem kurzen Ausflug passiert ist?"
"Du weiß es doch. Eben habe ich alles erzählt und ..." Er verstummte, als seine Mutter den Kopf schüttelte. Anastorias seufzte und setzte sich im Schneidersitz hin. Isanasca fuhr ihm mit einer Hand durchs Haar und wartete, bis er erzählte. Doch Anastorias konnte sich nicht dazu überwinden.
"Ich weiß, dass es mit dem Mädchen zu tun hat. Lange blonde Haare, grüne Augen, schlanke Statur..."
"Alassindowen", sagte er kaum hörbar und spürte, wie ihm die Tränen in die Augen stiegen, "Immer wenn ich sie anblickte, habe ich nicht den Menschen, sondern die Elbe gesehen."
"Ich weiß", wiederholte seine Mutter und drückte ihm das Bruchstück aus Eresion in die Hand, "Versuche diese Erinnerung an sie nicht in anderen Elben oder Menschen zu sehen. Sie ist stets bei dir, in deinem Herzen. Dieser Stein ist nur ein Stein, wenn man ihm keine Bedeutung beimisst. Doch ich hege ihn wie ein Schatz, abgesehen von den Edelsteinen."
"Und du denkst, es schmerzt weniger, wenn ich die Erinnerungen an Alassindowen weniger Bedeutung beimessen würde?"
Die Vorstellung davon, zu vergessen wie ihre Haut nach dem Meersalz gerochen hatte, oder ihre Haare stets nach Honig dufteten, schmerzte so sehr, dass ihm einzelne Tränen herabliefen.
Seine Mutter schüttelte jedoch heftig den Kopf. "Ich bin nicht gut mit Worten. Ich meinte, dass du diese Erinnerungen an sie als einen Schatz aufheben solltest. So wie ich es mit dem Stein von Eresion mache. Sieh es als ein wertvolles Stück Geschichte, dass dich stets daran erinnern soll, was einst wahr. Doch solltest du nicht das was vor die liegt aus de Augen lassen. Geschichte ist Vergangenheit und dein Leben spielt im Jetzt."
"Es klingt so einfach und doch..." Er verstummte und wischte sich rasch die Tränen fort, "Ich brauche etwas Luft. Außerdem muss ich eine Stadtmauer bauen." Die letzten Worte waren grimmig gesprochen, doch es war ihm egal. Anastorias verfluchte den Tag, an dem er dem Mädchen mit dem Namen Kerry über den Weg gelaufen war. Sie hat begrabene Erinnerungen wachgerufen und ihn sogar darüber gebracht über sie zu sprechen.


"Was ist mit ihm?" Isanasca blickte kurz auf, als ihr Mann in das Zelt eintrat. Er war alleine und trug eine weite Tunika, die nicht so recht zu dem Wetter passte.
"Sein Geist der Vergangenheit, Sanas", erwiderte sie nachdenklich und hob das Bruchstück aus Eresion auf, das ihr Sohn verloren hatte, "Er hat damit noch immer zu kämpfen."
"Ist es wegen dem Menschenmädchen?"
"Wie wir bereits vermutet hatten, ja. So wie alle sich über ihn das Maul zerreißen."
"Nun, die Ähnlichkeit ist nicht von der Hand zu weisen."
Isanasca blickte Sanas in die grauen Augen. "Glaubst du an Inkarnation?"
"Es heißt, die Seele der Elben geht in den alten Westen... Nicht in einen Menschenkörper."
"Aber gilt das auch für Avari? Man nennt uns auch Dunkelelben, gilt das Gleiche Schicksal für alle Elben?"
Sanas kratzte sich ratlos am Kopf und zuckte mit den Schultern. Seufzend setzte er sich in dem Stuhl neben ihr. "Ich denke, es ist ein Scherz der Valar. Sie wollen unseren Sohn testen. Vielleicht zeigen sie ihm einen Weg, wie er seinen langen und tiefnsitzenden Kummer überwinden kann?"
"Nicht so. Nicht auf die Art, auf der Alassindowen umgekommen ist." Isanasca wandte ihm den Kopf zu und umschloss das Bruchstück mit Edelsteinen mit ihrer Hand, "Nicht wenn sie vor seinen Augen starb. Er ist fast noch ein Jüngling. Man kann nicht von ihm erwarten sowas einfach wegzustecken." Er legte ihre eine Hand auf die Schulter, da ihre Stimme immer lauter geworden war. Sie wussten beide sehr gut, dass ihr Sohn seine Gefühle fast meisterhaft verdrängen konnte. Umso schlimmer war es, wenn sie wieder an die Oberfläche drängten.
"Vielleicht kann Amante ihm ja helfen?", sagte Sanas zaghaft.
Isanascas Augenbrauen zogen sich soweit zusammen, dass sie fast einen durchgehenden Strich bildeten.
"Wie soll das denn bitte funktionieren? Und woher weiß du überhaupt von ihr?"
Trotz ihres ernsten Tons grinste ihr Mann schelmig.
"Gerüchte reisen schnell, besonders wenn es die Königsfamilie und potentielle Erben betrifft."
"Manchmal denke ich, dass ich im falschen Königreich bin", murmelte sie zur Antwort und schüttelte den Kopf, "Amante ist mir zu undurchsichtig. Außerdem ist sie viel zu alt für ihn."
"Isa, seit wann interessiert dich das Alter? Nur weil es dein Sohn ist?"
"Wir können es ihm nicht aufzwingen und sie hat scheinbar nicht so viel interesse an ihm... dass sie nur wegen ihm im Zelt verblieben ist glaube ich nicht. Das ist nur dummes Geschwätz, Sanas."
"Vielleicht hast du Recht..."

Sie verfielen in ein kurzes Schweigen, bis Isanasca sich erhob und dabei sich an ihre Pflichten erinnerte. "Ich muss die Soldaten mustern und neue Truppen ausheben. Einige werde ich in den Städtebau einbinden, der Winter kommt bald und da möchte man es gern warm haben. Ich denke, das ist ein guter Anreiz."
"Ebenso wie ein kommender Krieg", warf Sanas unbarmherzig ein.
"Das wohl eher weniger. Sollte uns jemand angreifen, wird er den geballten Zorn unseres Volkes zu spüren bekommen. Diese Veca-Verräterin hat sich einen schlechten Zeitpunkt ausgesucht jetzt ihre Spielchen zu treiben."
Isanasca hatte begonnen im Zelt umherzulaufen und dabei immer wieder nach draußen zu sehen.
Ihr Mann folgte ihr mit den Blicken, blieb aber ganz gelassen. "Du meinst die angespannte Lage zwischen Manarîn und Hwenti?"
"Wer weiß, vielleicht ist sie die benötigte Kraft, die unsere Völker wieder zueinander finden lässt. Ich habe in den vergangenen Woche noch nie gesehen, dass die übrigen Hwenti so schweigsam die Entscheidung von Faelivrin akzeptieren."
Sanas nickte zustimmend und strich sich seine schwarzen Haare hinter die Ohren. "Wer weiß was die Zukunft bringt. "

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