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Autor Thema: Ost-in-Edhil  (Gelesen 8803 mal)

Eandril

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Re: Ost-in-Edhil
« Antwort #30 am: 26. Apr 2021, 22:41 »
Oronêl und Haleth aus dem Tal des Sirannon...

Wo sich vor nicht allzu langer Zeit noch von Gras und Gestrüpp überwucherte und beinahe verschwundene Ruinen befunden hatten, breitete sich jetzt eine Stadt aus. Oronêl war der Anblick des wiedererrichteten Ost-in-Edhil nicht neu, seit er und Kerry vor einiger Zeit auf ihrem Weg von Dunland hier abgewiesen worden waren, doch Haleth schnappte hörbar nach Luft, als sie die Stadt vor sich in der Abendsonne vor sich liegen sah.
"Ich hätte nicht erwartet, dass sie so schnell sind", sagte sie. "Ich habe eigentlich nur eine behelfsmäßige Mauer und ein paar Zelte erwartet, nicht... das."
"Die Manarîn sind erfahrene Baumeister", meinte Oronêl. "Soweit ich weiß hatten sie große Städte in den neuen Landen gebaut, bevor sie von dort fliehen mussten. Und sie sind zur Eile gezwungen, denn weder Sauron noch Saruman können zulassen, dass in diesen Landen ein neues Elbenreich ersteht."
Sie erreichten das östliche Tor noch bevor die Sonne den westlichen Horizont berührte. Weiter vom Gebirge entfernt war die Luft um einiges wärmer, und der Abend war beinahe frühlingshaft lau obwohl noch eine dünne Schneeschicht den Boden bedeckte. An den Mauern waren Elben in großer Zahl geschäftig dabei, die Verteidigungsanlagen der Stadt zu verstärken. Vor der Mauer wurde ein tiefer Graben ausgehoben, während die Mauerkrone von Ballisten verstärkt wurde. Oronêl betrachtete das Werk der Manarîn zufrieden. "Wenn sie gut verteidigt werden, werden die Orks große Schwierigkeiten haben, Ost-in-Edhil zu erobern." Er blickte zu den Bannern über den Toren hinauf, die sanft im Nordwind flatterten. "Und Faelivrin wird dafür sorgen, dass sie im Notfall gut verteidigt werden."
Am Torbogen wurden sie von zwei Elbenkriegern in silbernen Rüstungen angehalten. "Wer seid ihr, und was führ euch nach Ost-in-Edhil?", fragte einer der beiden Krieger, und warf einen misstrauischen Blick auf die Pferde. "Und wie kommt ihr an zwei unserer Rösser?"
"Mein Name ist Oronêl Galion, und meine Gefährtin ist Haleth, eine Waldläuferin aus dem Norden", erklärte Oronêl. "Was eure anderen Fragen angeht... Wir suchen den Rat der Ersten Ivyn und Farelyë und bringen Nachrichten über Geschehnisse an eurer Ostgrenze. Die Pferde sind eine Leihgabe von Prinzessin Isanasca, die sie uns zur Verfügung gestellt hat um so schnell wie möglich hier her zu gelangen. Genügt euch das?"
Der Wächter der ihn angesprochen hatte wirkte ein wenig überwältigt, und sein Partner beugte sich zu ihm hinüber und flüsterte ihm etwas in der Sprache der Manarîn zu. Oronêl glaubte die Worte Königin und Freund zu verstehen. Schließlich nickte er erste der Wächter und sagte: "Ihr dürft passieren, und seid willkommen in Ost-in-Edhil. Wenn ihr wünscht, könnt ihr die Pferde in den Stallungen beim nördlichen Tor unterbringen."
Ohne weitere Zwischenfälle passierten Oronêl und Haleth das Tor, und folgten der Straße entlang der Mauer in Richtung Norden. Zum ersten Mal hatte Oronêl Zeit, die Gebäude der Stadt näher zu betrachten. Die Häuser waren nicht so pracht- und kunstvoll wie die, die er in Imladris oder Mithlond gesehen hatte, doch soweit Oronêl es beurteilen konnte waren sie äußerst solide gebaut und ihre Bauweise sprach von einigem Geschick. Wenn dieses junge Reich überlebte, würde das wiederaufgebaute Ost-in-Edhil spätestens in einigen Jahrzehnten nicht weniger prachtvoll sein als die alte Stadt.
"Es ist eine offene Provokation gegenüber Mordor", sagte er leise vor sich hin. "Hier wurden die großen Ringe geschmiedet, und dafür machte Sauron die Stadt dem Erdboden gleich und vernichtete die Reiche von Eregion. Kein Wunde, dass er seinen Zorn nun gegen die Manarîn richtet." Er blickte auf zu den starken Mauern und den stolzen Bannern, und spürte seine eigene Entschlossenheit, dieses Reich und sein Volk zu verteidigen.
Während Oronêl an den Ställen die Pferde an einen der dort arbeitenden Elben übergab, sah sich Haleth auf dem belebten Platz vor dem Nordtor um. Plötzlich stieß sie ihn mit dem Ellbogen an und deutete mit dem Finger auf einen Punkt auf der gegenüberliegenden Seite des Platzes. "Sieh mal", sagte sie. "Ist das nicht..."
Oronêl folgte ihrem Blick, und blieb sofort an drei weiblichen Gestalten hängen, die gerade in eine der Straßen davon eilten - eine, die kleinste mit einem geflochtenen, blonden Zopf und die beiden anderen mit offenen, dunklen Haaren. Er griff Haleth am Arm und sagte: "Komm mit."
Sie folgten den dreien in einigem Abstand bis zu einem etwas einzeln stehenden Haus, das von zwei gerüsteten Kriegern bewacht wurde. Oronêl hielt Haleth zurück. "Warte", sagte er, und blieb ein wenig entfernt auf der anderen Straßenseite stehen, beobachtend und abwartend. Nach einem Augenblick ging eine der Frauen hinein - Elea, vermutete Oronêl, da sie eindeutig menschlich war und dunkle Haare besaß - während die anderen beiden draußen warteten. Oronêl fragte sich kurz, was es damit auf sich hatte, und wandte sich dann an Haleth. "Komm, aber leise." Er lächelte. "Vielleicht können wir sie überraschen."
Mit leisen Schritten näherten sie sich dem Haus, doch nicht vollkommen unbemerkt. Die etwas größere der Frauen wandte sich zu ihnen um, und Oronêl erkannte Farelyë. Sie lächelte, und ihre Augen wanderten kurz von Oronêl zu Kerry, die von einem Fuß auf den anderen trat und sich mit den Händen über die Arme fuhr, als ob sie fror. Schließlich schien sie es nicht länger aushalten zu können, und sie trat mit einem Fuß auf die Schwelle des Hauses. Im gleichen Augenblick drang eine männliche Stimme aus dem Haus, die Oronêl sehr bekannt vorkam, und er stockte für einen Augenblick.
"Ich hoffe, ich höre nicht was ich denke", sagte er, und Kerry fuhr so sehr zusammen, dass sie beinahe gestolpert wäre.
Sie drehte sich auf der Stelle, und auf ihrem Gesicht spiegelte sich eine derartige Bandbreite von Gefühlen, dass Oronêl gar nicht erst versuchte, sie zu deuten. Ihm genügte es, dass Überrschung und Freude überwogen.
"Du... das...", brachte Kerry nur hervor, bevor sie ihn so heftig umarmte dass Oronêl fürchtete, sie würde ihm die Rippen brechen. "Wo um alles in der Welt hast du gesteckt?", fragte sie dumpf, das Gesicht gegen sein Brust gepresst.
"Das ist... eine lange Geschichte", antwortete Oronêl, und löste sich sanft aus der Umarmung. Erst jetzt ließ er zu, dass ihn Erleichterung und Erschöpfung gleichermaßen durchströmten. Kerry musterte ihn von oben bis unten. "Du siehst jedenfalls furchtbar aus." Ihr Blick fiel auf Haleth, die ein wenig abseits stand. "Und Haleth! Wie kommst du hierher?"
Haleth lächelte erschöpft. "Hallo Kerry. Wie Oronêl sagt: Das ist eine lange Geschichte."
"Wir hatten beide einen Zusammenstoß mit einer Gruppe Orks, und sind erst in den Minen von Moria entkommen", fasste Oronêl knapp zusammen, bevor Kerry vor Neugierde und Sorge zu platzen drohte. "Genaueres würde ich gerne berichten, wenn alle dabei sind für die unsere Geschichte bedeutend ist - Faelivrin, Ivyn und Farelyë." Beim letzten Wort blickte er Farelyë an, die ihn aufmerksam aus ihren unergründlichen silbernen Augen musterte. Er hatte den Eindruck, dass sie bereits das ein oder andere ahnte, doch ihm war nicht klar, woher.
"Kerry... ist das Helluin, den ich dort drin höre?", fragte Haleth, und Kerry errötete leicht. "Es scheint jedenfalls so, nicht wahr?"
"Er hätte nicht hierher kommen sollen", sagte Oronêl leise. "Oder hat er sein Gedächtnis verloren?"
"Ich weiß nicht", gab Kerry zurück. Ihre Stimme klang mit einem Mal geradezu angriffslustig. "Aber du offenbar. Oder hast du vergessen, dass du ohne Helluin tot wärst?"
Oronêl spürte seinen Wangenmuskel zucken. "Ich habe nichts vergessen. Nichts." Er wandte sich ab und sagte halb an Kerry vorbei: "Es... ich freue mich, dass du sicher hier angekommen bist." An Farelyë gerichtet fügte er hinzu: "Es gibt viel bedrohliches und seltsames zu besprechen. Wir sollten zu Faelivrin gehen."
Farelyë nickte zustimmend, doch er glaubte in ihren Augen einen leichten Vorwurf zu sehen. "Ich werde dich zu meinem Haus führen", erwiderte sie. "Bevor du die Königin und Ivyn triffst, solltest du dich ein wenig... erfrischen."
Oronêl nickte nur stumm und wandte sich um, ohne Kerry anzusehen. Haleth blickte ein wenig verwirrt zwischen ihm und Kerry hin und her, sagte aber nichts. Ohne darauf zu achten ob sie mit ihm kam, folgte Oronêl Farelyë die Straße entlang.

Oronêl - Edrahil - Hilgorn -Narissa - Milva

Eandril

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Re: Ost-in-Edhil
« Antwort #31 am: 28. Apr 2021, 18:34 »
Nachdem er das kleine Tor, unter dem die Straße zum Palast hindurchführte, passiert hatte, blieb Oronêl für einen Augenblick stehen und ließ seinen Blick über den großen Vorplatz und den noch unfertigen, aber bereits beeindruckenden Herrschaftssitz mit der großen Rundkuppel schweifen.
"Die Manarîn waren wirklich nicht untätig", bemerkte er, und Farelyë sprach aus, was er bei der Ankunft in Ost-in-Edhil gedacht hatte: "Sie haben nicht viel Zeit und umso mehr tätige Hände und Geschick." Sie lächelte beinahe ein wenig schüchtern, und Oronêl war überrascht, wie sehr es ihr Gesicht veränderte. Einen Augenblick erinnerte sie ihn mehr an das Mädchen, dass sie in Carn Dûm gefunden hatten als an die Ehrfurcht gebietenden Elbenfrau, zu der sie zu plötzlich geworden war. "Nicht, dass ich viel von der Baukunst verstehen würde."
"Das tue ich selbst nicht. Aber ich kann Schönheit und Geschick erkennen, wenn ich sie sehe." Er strich ein wenig gedankenverloren über den fein gewebten Stoff der Kleidung, die Farelyë für ihn aufgetrieben hatte. Sie entsprach nicht ganz dem, was er normalerweise zu tragen bevorzugte. Normalerweise kleidete er sich lieber in Grün- und Brauntöne, doch hier dominierten helles grau und blau. Seine Kleidung die er aus Bruchtal mitgebracht hatte war jedoch in ihrem gegenwärtigen Zustand nicht angemessen um eine Königin zu treffen, also würde er sich nicht beschweren.
Langsam stieg Oronêl hinter Farelyë die breiten, flachen Stufen zum Palast hinauf. Oben angekommen neigte der Anführer der Wache, ein grimmig wirkender Elb mit einer silbernen Augenklappe respektvoll den Kopf vor Farelyë und sagte etwas im Dialekt der Manarîn.
"Mein Begleiter ist Oronêl Galion aus dem Waldlandreich, ein Freund der Königin", erwiderte Farelyë im Sindarin Mittelerdes. "Er bringt dringliche Nachrichten aus dem Osten."
Der Wächter trat zur Seite und gab den Weg durch die Tür frei. "Die Königin befindet sich mit eurer Meisterin im Thronsaal", sagte er, nun ebenfalls im Sindarin, und fügte an Oronêl gerichtet hinzu: "Ihr dürft den Palast betreten."
Oronêl folgte Farelyë in die große Vorhalle, von deren Säulen dutzende mächtiger Banner in verschiedenen Farben und mit unterschiedlichen Wappen hinab hingen. Er erkannte das Banner der Manarîn, doch auch noch andere die vermutlich die verschiedenen Stämme der Avari in Eregion symbolisierten. Es erinnerte ihn ein wenig an die königliche Halle von Aldburg, doch ungleich erhabener.
Farelyë führte ihn durch die Halle hindurch bis zu der großen Tür hinter der Oronêl den Thronsaal vermutete. Sie legte die flache Hand gegen einen der Türflügel, der scheinbar mühelos und ohne ein Geräusch aufschwang. Der Thronsaal war beinahe vollkommen leer. Am gegenüberliegenden Ende stand erhöht auf einem Podest mit sieben Stufen ein kunstvoller, von zwei hölzernen Sitzen flankierter, Thron, doch alle drei waren unbesetzt. In der Mitte des Saales befand sich ein großer, langgezogener Tisch, auf dem eine große Karte Eregions und der umliegenden Gebiete ausgebreitet lag. Als Oronêl und Farelyë näher traten, hob Faelivrin, die bislang, beide Hände auf den Tisch gestützt, auf die Karte gestarrt hatte, den Kopf.
"Oronêl!", sagte sie, und in ihrer Stimme mischten sich Überraschung und Erleichterung. "Wir hatten von deinem Verschwinden gehört - Morilië hat sich große Sorgen gemacht."
Oronêl verneigte sich, und antwortete: "Ich habe sie bereits auf dem Weg hierher getroffen, Herrin."
Faelivrin machte eine ungeduldige Handbewegung. "Ich erinnere mich, dir das Privileg verliehen zu haben, auf solche Förmlichkeiten zu verzichten. Davon nicht Gebrauch zu machen ist... unhöflich." Oronêl erkannte den Schalk, der bei den letzten Worten kurz in ihren Augen aufblitzte, und erwiderte: "Dann werde ich mir die Förmlichkeiten für offizielle Anlässe aufsparen."
Er wurde wieder ernst, als er an die Nachrichten dachte, die ihn herführten, und ließ kurz einen Blick über die übrigen Anwesenden schweifen. Faelivrin gegenüber stand ihr Enkel Anastorias, in voller Rüstung, und am Kopfende des Tisches stand die hochgewachsene Gestalt Ivyns, die Spitzen ihrer langen Finger leicht auf die Tischplatte gelegt. Es war auch Ivyn, die als nächste das Wort ergriff: "Ich fürchte, du bringst keine guten Nachrichten." Die eisblauen Augen der Ersten schienen ihn geradezu in ihrem Blick gefangen zu halten und vollständig zu durchschauen.
Oronêl schüttelte den Kopf. "Nein, ich fürchte es sind keine guten Nachrichten. Aber... wenn jetzt keine gute Gelegenheit ist, können sie warten." Er blickte kurz zu Anastorias, dessen Gespräch mit seiner Großmutter Oronêls und Farelyës Ankunft offenbar unterbrochen hatte, doch der junge Elb winkte ab. Faelivrin blickte langsam von Ivyn zu Farelyë und schließlich zu Oronêl. "Ich habe das Gefühl, dass deine Neuigkeiten nicht warten können", sagte sie schließlich.
Also begann Oronêl so kurz wie möglich zu erzählen, wie er in Gefangenschaft geraten und nach Moria gelangt war. Als er das eisige Gefängnis in der tiefsten Halle beschrieb, zog Farelyë neben ihm scharf die Luft ein und richtete den Blick mit einer heftigen Bewegung an die Decke weit über ihnen. Sie sah aus, als wäre ihr übel.
"Du bekommst deine Antworten", sagte Ivyn ernst und gleichermaßen rätselhaft, und bedeutete Oronêl mit einer Geste, fortzufahren.
Also berichtete er über das Ritual, dass die Orks durchgeführt hatten, und als er beschrieb wie das Wesen aus dem Eis gebrochen war, hatte Farelyë die Hände vor den Mund geschlagen.
"Ich... erinnere mich", stieß sie leise hervor. Ihr Gesicht hatte eine ungesunde Blässe angenommen, und sie atmete schnell und flach, wie unter Schock. "Das Eis, ich... Farel..." Sie holte zitternd Atem. "Ich... weiß nicht was dieses Wesen ist. Aber ich glaube ich bin ihm begegnet."
"Es hat keinen Namen", brach Ivyns Stimme das Schweigen, dass sich nach Farelyës letzten Worten über den Thronsaal gelegt hatte. "In den ersten Tagen nach dem Erwachen streiften viele merkwürdige Wesen durch die Welt. Einige waren freundlich, andere beachteten uns nicht, und einige... einige jagten uns. Ich kenne dieses Wesen, dass du beschreibst, Oronêl. Vor vielen tausend Jahren bin ich selbst ihm oder einem seiner Art begegnet, und um ihn Haar hätte mich das gleiche Schicksal ereilt wie Farelyë. Es gab viel Geflüster in den frühen Lagern der Quendi über Schatten aus Kälte und Eis, doch sie haben nie einen Namen erhalten. Wir nannten sie nur die namenlosen Schatten."
"Wie es heißt ist doch eigentlich bedeutungslos", meldete sich Anastorias zu Wort. "Wichtiger ist die Frage - wie besiegen wir es?"
"Viel dringlicher ist noch, welche Gefahr es für unsere Krieger in Rómen Tirion darstellt. Für Isanasca." Faelivrins Hände umklammerten die Tischkante so fest, dass die Knöchel weiß hervortraten, und zwischen ihren Augenbrauen hatte sich eine besorgte Spalte gebildet.
Oronêl strich gedankenverloren mit der Hand über das glatte Holz des Tisches, den Blick auf das kleine Symbol am Oberlauf des Sirannon, das Rómen Tirion darstellte, gerichtet. "Auf die zweite Frage kann ich vielleicht Antwort geben", sagte er. "Ich bin in meiner Erzählung nicht so weit gekommen, doch wir sind durch das Westtor von Moria geflohen. Ich habe die Anwesenheit des Schattens in der Nähe der Tore nicht gespürt und... ich glaube, dass wir es mit verschiedenen Parteien zu tun haben. Die Orks, die Eregion in diesem Moment angreifen sind Diener Sarumans, doch jene die den Schatten befreit haben, führten das Zeichen der Weißen Hand nicht. Ich denke, sie folgen Mordor."
"Also haben wir noch Zeit, bis dieser Schatten aus dem Gebirge kommt", meinte Anastorias zuversichtlich. Faelivrin hatte sich hingegen durch Oronêls Worte kaum entspannt. "Zeit, in der wir den Angriff Sarumans abwehren müssen. Ich glaube nicht, dass Saurons Diener uns danach viel Zeit zur Erholung lassen werden."
"Und dennoch hat Calanto recht", warf Ivyn ruhig ein. "Diese Tatsache verschafft uns wertvolle Zeit, Pläne zu schmieden. Vielleicht gibt es einen Weg..." Sie blickte zu Farelyë, die noch immer kurz vor einem Zusammenbruch zu stehen schien. Mit einem Mal wurde Oronêl bewusst, dass Farelyë zwar ebenso alt war wie Ivyn selbst, doch nur die Erfahrgungen aus wenigen Lebensjahren besaß. In dieser Hinsicht war sie trotz ihres erwachsenen Aussehens noch immer beinahe ein Kind.
Ivyn kam mit leisen Schritten um den Tisch herum und legte Farelyë eine Hand auf die zitternde Schulter. "Komm mit mir. Ich weiß einen Ort, an dem du dich erholen kannst..."

Als Ivyn und Farelyë den Thronsaal verlassen hatten, atmete Faelivrin tief durch und Oronêl konnte die unsichtbare Bürde auf ihren Schultern geradezu sehen. Schließlich sagte sie: "Oronêl, wenn du Moria durch das Westtor verlassen hast musst du durch das Tal des Sirannon gekommen sein. Hast du..."
"Wir sind deiner Tochter in Rómen Tirion begegnet. Sie hatten mit Orkangriffen zu tun und die Brücke zur Feste wurde weggeschwemmt als die Orks den See freigesetzt haben, doch sie schienen sich gut zu halten - ich glaube, dass Mathan mit seiner Truppe rechtzeitig dort eintreffen wird um den Turm zu halten."
Faelivrin nickte ein wenig abwesend, und starrte ebenfalls auf das kleine Turmsymbol auf der Karte. "Wie... wie ging es Isanasca? War sie verwundet, oder...?"
"Unverletzt, soweit ich es sehen konnte", antwortete Oronêl. Er bemerkte, dass auch Anastorias ihm aufmerksam zuhörte - natürlich, schließlich war Isanasca seine Mutter. "Ich glaube nicht, dass du dich um sie sorgen musst. Sie scheint eine fähige Kriegerin und Kommandantin zu sein."
"Das weiß ich, aber..." Faelivrin lächelte ein wenig traurig. "Sie ist ein unserer Besten, ich bin nicht blind für ihre Fähigkeiten. Aber sie ist auch meine Tochter, und ich werde mich immer um sie sorgen, wenn sie in Gefahr ist."
"Ich verstehe", meinte Oronêl leise, und es war nicht gelogen. Tatsächlich dachte er seit ihrem Treffen in Lórien oft daran wie es Mithrellas ging, und meistens waren diese Gedanken mit Sorge vermischt.
"Also...", brach Anastorias schließlich das lange Schweigen. "Diese Nachrichten über Banditen, Unruhestifter auf den Hängen im Nordosten. Was werden wir unternehmen?"
Bei seinen Worten straffte Faelivrin sich sichtlich, und richtete sich wieder zu ihrer vollen Größe auf. "Wir können uns es in der derzeitigen Situation nicht leisten, nicht zu reagieren. Du wirst fünfzig Kämpfer nehmen und herausfinden, was dort vor sich geht." Anastorias nickte knapp, und Faelivrin fügte hinzu: "Doch sei vorsichtig - deine Mission ist es nicht, einen offenen Kampf zu wagen, sondern zunächst nur herauszufinden, was dort vor sich geht. Nicht mehr."
Anastorias wirkte beinahe ein wenig enttäuscht, erwiderte aber: "Natürlich, ich habe verstanden. Ich werde eine Truppe zusammenstellen." Er wandte sich zum Gehen, doch Oronêl hielt ihn zurück.
"Ich werde mitkommen, wenn du erlaubst", sagte er kurzentschlossen. Eigentlich hatte er nicht vorgehabt, die Stadt so schnell wieder zu verlassen, doch die Tatsache, dass sich Helluin in Ost-in-Edhil befand, hatte seine Meinung umschlagen lassen.
"Es würde mich freuen", erwiderte Anastorias etwas überrascht. "Aber ich würde es verstehen, wenn du einige Tage der Ruhe vorziehen würdest." Oronêl war sich nur allzu bewusst, wie er aussehen musste - er hatte sich in Farelyës Haus Staub und getrocknetes Blut abgewaschen, doch dadurch waren seine zahlreichen Schrammen, Kratzer und Schnitte natürlich noch nicht geheilt. Dennoch winkte er ab. "Es sind keine ernstlichen Verwundungen, und sie werden unterwegs genauso schnell heilen wie hier. Wann brichst du auf?"
"Bei Sonnenaufgang." Anastorias warf Faelivrin einen fragenden Blick zu, und sie nickte. Oronêl tat es ihr gleich. "Also gut. Morgen bei Sonnenaufgang."
Sobald Anastorias den Raum verlassen hatte, löste Faelivrin ihren Blick von der Karte. "Gibt es einen Grund für deinen überstürzten Aufbruch?", fragte sie, und Oronêl schüttelte den Kopf. "Es ist nichts. Ich... sollte mich wohl ebenfalls ein wenig ausruhen."
Als erfahrene Diplomatin erkannte Faelivrin, wann es keinen Sinn hatte, weiter nachzubohren. "Ich bin sicher, es wird sich irgendwo im Palast ein Ort für dich finden lassen." Sie sah sich im Thronsaal um, als ob sie erst jetzt bemerken würde, dass er bis auf sie und Oronêl verlassen war. "Offenbar muss ich mich selbst darum kümmern. In der Zwischenzeit würde sich meine Mutter sicher freuen, dich zu sehen..."

Oronêl - Edrahil - Hilgorn -Narissa - Milva

Thorondor the Eagle

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Überraschende Begegnungen
« Antwort #32 am: 29. Apr 2021, 21:54 »
Im Arrest bei Helluin:

Aus Sicht von Elea

Hunderte gar tausende Male hat sich Elea ausgemalt wie das Treffen mit Helluin sein würde nachdem sie ihn nach all den Jahren wiedersehen würde. Sie träumte davon, dass sie ihn in die Arme schließen und seine Wange an ihrem Gesicht fühlen würde. Sie wollte ihm behutsam über den Hinterkopf und den Rücken streichen und ihm die Geborgenheit geben, die ihm während den Jahren der Ausbildung entbehrt blieb. Und sie wünschte sich, dass seine kindliche Art sie wieder erheitern würde. Doch all diese Vorstellungen waren zerplatzt im letzten Jahr bei der Ratsversammlung in Aldburg. Ihr Herz blieb damals stehen, als sie in diese unterkühlten, seelenlosen Augen sah – in die Augen ihres Sohnes den sie nicht mehr kannte.
Ihre Erwartungen an ein weiteres Treffen waren nicht mehr sehr groß gewesen, aber Hoffnung hatte sie immer. Die Hoffnung, dass ihr Sohn oder sie selbst eines Tages aus diesem Albtraum aufwachen würden und die kleine Kerry, mit ihrem unschuldigen, tollpatschigen aber zutiefst ehrlichen Wesen hatte diese noch befeuert. Die Hände der Mutter zitterten, was sie versuchte zu unterdrücken. Ihr Herz hämmerte unentwegt gegen die Brust. Es schrie nahezu vor Aufregung als sie in die zwar erfahreneren, aber gleich verschmitzten blauen Augen von Helluin blickte.

„Mama“, entgegnete er überrascht und richtete sich auf seiner Pritsche sitzend auf.
Ihr fehlten die Worte und blieb still. Sie wollte auf ihn losstürmen, aber etwas hielt sie zurück.
„Was machst Du hier?“, fragte er verunsichert.
Ihre Lippen bewegten sich, aber erst nach kurzer Zeit stotterte sie: „Bist du es?“
Er starrte sie an, während seine Augen wässrig wurden. Ehe Tränen über seine Wangen kullerten sah er beschämt auf den Boden. Ohne jedwedes Zögern ging sie auf ihn zu und schloss ihn in den Arm.

Aus Sicht von Helluin

Mit Müh und Not konnte Helluin ein Schluchzen unterdrücken. Er saß noch immer auf seiner Schlafstelle, als ihn seine Mutter in den Arm schloss. Sein Gesicht drückte sie sanft gegen ihren Oberkörper, mit den Händen streichelte über sein Haupt. „Mein Schatz“, hörte er sie flüstern.

Er schämte sich so für alles was er getan hatte für jeden der Dunedain den er betrogen hatte und vor allem für die eiskalten Worte die er mit ihr zuletzt gewechselt hatte. Auch wenn er unter Sarumans Bann stand, so konnte er sich gut daran erinnern. „Es tut mir leid“, sagte er leise und kämpfte mit weiteren Tränen. „Schon gut. Alles ist gut.“ Für einen Moment verharrten sie so, dann setzte sie sich neben ihn. Längst hatte er Elea an Körpergröße eingeholt.
„Wie ist es dir ergangen?“, fragte sie los „Wie bist du hierhergekommen? Was ist passiert?“
„Ich… ich…“, er wusste nicht was er sagen sollte. Seine Vergangenheit als Verräter konnte er nicht erwähnen, dazu war er noch nicht bereit „Über Edoras und Aldburg kam ich von den Waldelben des Düsterwaldes. Es war eine lange Reise.“
„Und eine beschwerliche“, ergänzte sie ihn.
„Ja, das Glück war dankenswerter Weise meist auf meiner Seite und ich bin auf die Richtigen getroffen. Ein paar Elben und Menschen konnte ich zumindest überzeugen, dass ich nicht mehr so“, er stockte kurz „so bin wie früher.“
„Und dafür bin ich unendlich dankbar“, entgegnete sie.
„Zuletzt war es Aragorn der mir die Freiheit bescherte.“
„Aragorn?“, fragte sie ungläubig.
„Ja, dein Vetter.“
„Er lebt?“, die Überraschung dieser Nachricht überlagerte wohl die Freude die sie empfinden sollte „Du meine Güte, Arwen! Wir müssen es ihr sagen.“
„Sie war bereits bei mir“, entgegnete Helluin „Aber ich war so überrascht von ihrem Besuch.“
„Weißt du welche Last du von ihren Schultern nimmst, wenn du ihr davon berichtest?“, er nickte nur „Und wie ist er? Wie geht es ihm?“
„Aragorn hat sich verändert. Auch wenn ich nicht so genaue Erinnerungen an ihn habe, so ist sein Geist nun düsterer als noch in der Vergangenheit und die Jahre der Gefangenschaft haben ihn geprägt. Aber“
„Aber?“, unterbrach sie ihn.
„Er weiß um seine Aufgabe und um sein Schicksal und er kämpft weiter unerbittlich dafür.“
Sie lächelte ein wenig: „Das Blut von Numenor fließt in seinen Adern, so wie auch in deinen.“
Diese Worte verunsicherte den jungen Mann wiederum. Er war es nicht mal Wert im Schatten von Aragorn zu stehen, geschweige denn in einem Satz mit ihm erwähnt zu werden.
„Was ist los?“, fragte Elea ihn besorgt.
„Aragorn ist so stark und unbeugsam, selbst mir hat er vergeben und sich sogar auf meine Stufe gestellt. Niemals hätte ich seinen Platz einnehmen können, niemals hätte ich nur annähernd so großzügig und gerecht sein können wie er es ist. Denkst du sie werden mir irgendwann vergeben?“
„Wer?“
„Unser Volk.“

Aus Sicht von Elea

Diese Frage hatte die Frau immer sehr gequält. Was würde passieren, wenn die Dunedain – der Sternenbund – Helluin in die Finger bekommen würde. Würden sie ihn gerecht behandeln? Was wäre in ihren Augen gerecht für ihn. Aber sie unterdrückte ihre Zweifel und ihre Sorgen für diesen Moment sprach ihm gut zu: „Natürlich werden sie. Wenn sie erkennen, dass du wieder du bist, dann werden sie dir vergeben so wie auch Aragorn und ich dir verziehen haben.“
„Wer weiß schon, ob ich jemals wieder ich sein kann.“
„Das bist du mein Liebling. Eine Mutter spürt so etwas.“
Er lächelte ihr zuversichtlich und dankbar zu.
Elea konnte noch immer nicht fassen, dass sie Helluin endlich wieder vor sich hatte. So wie er war, so wie er sein sollte. Mit legte ihre Hand auf seine Schulter und strich dann langsam seinen Arm herab. Sie fühlte seinen Muskeltonus und ihr wurde klar, dass er mittlerweile erwachsen geworden war. Nicht nur körperlich, sondern auch im Geist, durch das was ihm alles widerfahren war.

„Kannst du Arwen etwas übergeben?“, fragte Helluin sie plötzlich.
„Arwen?“ wiederholte die Mutter.
„Ja. Aragorn hat mir etwas mitgegeben, eine Botschaft für seine Geliebte.“
„Ich denke, dass solltest du ihr selbst überreichen. Ich werde sie dir zu dir schicken. Wieso war sie bei dir?“
„Die Dunländer haben die fremden Elben beauftragt, Bruchtal über meine Ankunft zu unterrichten.“
„Und sie hat mir kein Wort gesagt“, antwortete Elea etwas ärgerlich.
„Sie nicht? Woher weißt du es dann?“
„Nun, von…“, sie unterbrach abrupt und erinnerte sich an die Vergangenheit von Kerry und Helluin „Nun das wirst du schon noch erfahren.“
Doch ehe er nachfragen konnten stand bereits die blonde Rohirrim in der Tür.

Aus Sicht von Helluin

„Kerry“, stieß es ihm überrascht heraus und sprang auf. Helle Freude überkam ihn als er in das vertraute, hübsche Gesicht sah.
„Mir ist es herausgerutscht“, antwortete sie verlegen.
„Das überrascht mich gar nicht“, entgegnete er lächelnd.
Plötzlich räusperte sich Elea.
„Entschuldige Mutter“, sagte er etwas förmlicher in Kerry’s Anwesenheit.
„In Aufrichtigkeit hat dir Kerry aber noch einiges voraus mein Lieber“, tadelte sie ihn mit schönen Worten „Aber ich weiß wann ich überflüssig bin und hier kannst du mir auch nicht mehr so leicht entwischen. Ich lasse euch ein paar Minuten alleine und komme dann nochmal zu dir.“
Er nickte ihr dankend zu und ließ sich von Elea auf die Wange küssen. Der Dúnadan lauschte noch den leiser werdenden Schritten auf dem Gang, als sie verstummt waren wandte er sich der jungen Frau zu.

„Endlich Kerry, endlich habe ich dich gefunden.“ Er war ganz aufgeregt.
Verlegen setzte sie ein zaghaftes Grinsen auf: „Wieso?“
„Weil du es warst die mir geholfen hat.“
„Ich habe dir geholfen?“
„Ja. Du warst es Kerry. Du hast mich von Saruman befreit.“
Ungläubig starrte sie ihn an: „Nein, du irrst dich.“
Er ging auf sie zu und packte sie sanft auf den Oberarmen: „Doch, mit dir hat alles begonnen Kerry. Wärst du nicht gewesen, hätte ich mich niemals von Saruman abgewandt und mich von ihm befreit.“
Er sah die Gänsehaut auf ihren Unterarmen aufgehen.
„Noch immer versucht er mich zu greifen, aber bisher konnte ich ihm entgehen.“
„Saruman versucht dich wieder auf seine Seite zu ziehen?“, entgegnete sie „Lass das ja nicht zu!“ Ihre Fäuste ballten sich dabei.
„Nein, nicht wenn du bei mir bist. Dann hat er keine Chance.“
„Einem Zauberer habe ich nichts entgegenzusetzen. Ich weiß nicht was du dir von mir erhoffst.“
„In dir steckt viel mehr als du glaubst.“ Erst jetzt bemerkte Helluin wie leicht er sich in Kerry’s Gegenwart fühlte und wie fröhlich er war „Das hat mir jeder auf meiner Reise bestätigt. Du bist etwas ganz Besonderes.“
„Ach was“, tat sie es ab.
Er zog sie zu sich und umarmte Kerry innig: „Danke Kerry. Danke für alles was du für mich getan hast. Und das du an mich geglaubt hast.“
Die Rohirrim antwortete nichts. Er spürte wie sich auch ihre Arme um ihn schlossen.
„Woher wusstest du, dass ich hier inhaftiert bin?“, fragte er als sie sich lösten.
„Arwen hat mir den Brief übergeben“, antwortete sie locker. Dann schnappte sie plötzlich nach Luft und vergrub ihren Mund in ihrer Hand.
„Den Brief von Aed?“, fragte er irritiert „Wieso sollte sie ihn dir geben?“
„Ich kenne die Elben hier gut“, stotterte sie nervös herum.
Was soll das? Ich meine, ich weiß Kerry hat einen besonderen Bezug zu den Elben, das hat sie damals schon gesagt und ihre Freundschaft mit diesem Oronel… Aber Arwen und der Bote von Bruchtal… Sie kennen hier auch alle. Etwas stimmt hier nicht.
„Was ist denn los?“, bohrte er nach.
„Es ist nichts.“
„Ein bisschen kenne ich dich aber schon.“
Sie seufzte: „Ach du findest es früher oder später ja doch heraus: Der Brief, er war für mich.“
Falten bildeten sich auf Helluin’s Stirn: „Für dich?“
Sie nickte.
„Du bist?“
„Irgendwie schon“, stotterte sie daher. Unbeabsichtigt zuckte Helluin ein wenig zurück.
„Es, es tut“, Kerry schien nicht so recht zu wissen was sie sagen soll.
„Alles ist gut“, beschwichtigte er sie „Du freust dich sicherlich, wenn er in ein paar Tagen hier ankommt.“
„Ich bin aber auch froh dich zu sehen.“
„Ja, natürlich“, sagte er. Er wurde traurig „Danke, dass du meiner Mutter Bescheid gegeben hast. Ich bin doch froh sie gesehen und mit ihr geredet zu haben.“
Sichtlich schuldig sah sie ihn an: „Ich werde meine Familie bitten die freizulassen und sie von deiner Befreiung von Saruman überzeugen.“
Es war eine merkwürdige Verabschiedung mit bitterem Beigeschmack.
1. Char Elea ist in Bree  -  2. Char Caelîf ist in Palisor

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Oronêls Rückkehr
« Antwort #33 am: 1. Mai 2021, 20:11 »
Ehe Kerry den Raum, in dem Helluin gefangen gehalten wurde verließ, dreht sie sich noch einmal um, und schloss ihn fest in die Arme. "Ich bin... einfach so froh, dass du hier bist," sagte sie leise, alle Gedanken für einen Moment aus ihrem Kopf verbannend. "Ich weiß, dass wir uns am Rande des Düsterwalds nicht gerade unter den besten Umständen verabschiedet haben... aber seitdem hatte ich, naja... sehr viel Zeit zum Nachdenken. Und... was du da vorhin gesagt hast, dass du dich wegen mir von Sarumans Kontrolle befreien konntest... ich verstehe noch nicht genau wieso, aber... es hilft mir, das Chaos in meinem Kopf ein wenig zu beruhigen." Kerry spürte, wie sie rot wurde. Wie lange hatte diese Umarmung jetzt schon gedauert? Aber sie wollte ihn noch nicht loslassen. Am liebsten überhaupt nicht mehr. Mit einem Mal konnte sie Elea sehr, sehr gut verstehen. Und obwohl Helluin noch kein Wort gesagt hatte, spürte oder ahnte Kerry doch, dass auch er die Berührung nicht unangenehm zu finden schien. Kerry wurde ruhiger. Das Durcheinander, das der Brief von Aéd und der Wirbel um Adrienne - und deren Kuss - in ihr ausgelöst hatte, legte sich so langsam. Sie hörte, wie Helluin den Mund öffnete, um etwas zu sagen, doch anstelle seiner Stimme war es die Stimme einer Frau, die an Kerrys Ohren drang:
"Es sieht ganz so aus, als hätte mich meine Intuition nicht getäuscht."
"E-Elea!" stammelte Kerry erschrocken und ließ Helluin los, machte einen hastigen Schritt von ihm weg.
Auch Helluin blickte etwas unbehaglich drein, doch er hielt dem Blick seiner Mutter stand. Elea war soeben in den Raum zurückgekehrt - oder war sie etwa schon eine Weile in der Türe gestanden? Kerry wusste es nicht. Sie selbst war in das improvisierte Verlies erst hinabgestiegen, als sie es trotz Haleths Gesellschaft draußen auf der Straße nicht mehr ausgehalten hatte.
"Ihr braucht gar nicht so verlegen drein zu blicken, ihr beiden," sagte Elea sanft. "Ich sagte doch, dass ich euch nur ein paar Minuten alleine lassen werde, um euch auszutauschen... da dachte ich mir schon, dass sich mein Verdacht bestätigt."
Kerry wusste nicht, was sie der Dúnadan darauf antworten sollte. Da ihr nichts Besseres einfiel, drängt sie sich mit hochrotem Kopf zum Ausgang durch und sagte: "D-dann werde ich jetzt dasselbe tun, und euch Zeit für einander geben! Und ich werde gehen, und mich bei meiner Schwester dafür einsetzen, dass du freigelassen wirst, Helluin, ich versprech's dir!"
"Pass dort draußen auf dich auf, Kerry," bat Helluin sie noch, dann nickte sie und ging.

Draußen fand sie noch immer Haleth vor. Die Waldläuferin blickte relativ nachdenklich drein. "Elea war gerade bei mir," sagte sie und schaut Kerry in die Augen. "Also stimmt es. Helluin hat seine Irrfahrt in den Osten überlebt und ist jetzt hier... Ich hoffe, du fällst nicht auf seine Täuschungsmanöver herein, Kerry."
"Wie meinst du das?" fragte Kerry erschrocken. "Er steht nicht länger im Banne Sarumans... das hat er mir selbst gesagt."
"Hat er das?" Haleth schüttelte mit einem mitleidvollen Lächeln den Kopf. "Du hast nicht gesehen, was ich gesehen habe. Zu was dieser junge Mann im Stande war. Kerry, er ist Schuld am Fall des Goldenen Waldes! Oronêls eigene Heimat, ist dir das klar?"
"Aber das war nicht ... nicht wirklich Helluin!" beteuerte Kerry. "Er wollte niemals dass es so weit kommt..."
"Wie kannst du das so sicher sagen?" verlangte Haleth zu wissen und stemmte die Hände in die Hüften. "Wer sagt, dass du nicht gerade einer gewaltigen Täuschung zum Opfer fällst?"
Kerry nahm Haleths Hände und schaute ihrer Freundin ins Gesicht. "Bitte, lass uns darüber jetzt nicht streiten," begann sie etwas zaghaft, aber mit Nachdruck in der Stimme. "Du bist verletzt, es ist kalt hier draußen und wir beide sind erschöpft, das kann ich sehen. Lass mich dich zu meiner Unterkunft bringen und mir deine Wunden ansehen... ich glaube, ein wenig ist von Irwynes Lektionen noch hängen geblieben. Was Helluin angeht, machst du dir am besten selbst ein Bild, oder sprichst mit seiner Mutter, wie sie es sieht... bis auf Weiteres halten die Manarîn ihn gefangen, und sollte er wirklich ein Betrüger sein... geht von ihm derzeit keine Gefahr aus."
Haleth hielt Kerrys Hände fest, ihr Blick zeugte von Überraschung, aber auch dass sie beeindruckt war. "Meine liebe Kerry," sagte sie dann, im vollkommen veränderten Ton, sanft und bewundernd. "Du bist gewachsen, Kleine. Stünden wir jetzt in Fornost, bin ich mir sicher, dass du mich auf Knien angefleht hättest, Helluin blind zu vertrauen. Aber irgendetwas muss dir auf deinen Reisen geschehen sein. Ich glaube, ich werde deinen Rat annehmen... den weisen Rat, einer Freundin. Du hast Recht - wir sollten nichts überstürzen, und... mein Bein tut verdammt weh. Etwas Warmes für den Magen wäre jetzt genau das Richtige, und danach... möchte ich schlafen, einfach nur schlafen... Ich verstehe nicht, wie Oronêl das macht. Er ist schon wieder losgerannt, und will sich ins nächste Abenteuer stürzen, kaum dass wir den Schrecken der Tiefen Morias entronnen sind."
"Naja, er ist eben Oronêl," erwiderte Kerry. "Und er ist ein Elb. Aber nun komm... wir sollten los." Für sich behielt sie, dass sie die dumpfe Ahnung hatte, dass Helluin der Grund war aus dem Oronêl so schnell wieder fortgehen wollte, und sie nahm sich vor, ihn zur Rede zu stellen, ehe er die Stadt verlassen konnte. Sie hatte ok hin das Bedürfnis, mit ihm über seine Erlebnisse seit ihrer Trennung im Norden  Eregions zu sprechen, und sie hatte ihn vermisst und wollte wissen ob es ihm gut ging.

In Farelyës Haus angekommen teilte ihnen die dort verweilende Arwen mit, dass Oronêl mit Farelyë vor einiger Zeit zum Palast gegangen war. Kerry war froh, Elronds Tochter zu sehen, denn Arwen war selbst eine ausgezeichnete Heilerin, und würde Haleths Verletzungen deutlich professioneller behandeln können, als es Kerry selbst möglich gewesen wäre. Dennoch half sie tatkräftig mit, als sich Arwen die Waldläuferin ansah, und bereitete ihr im Anschluss eine einfache, aber heiße Suppe zu. Haleth sprach nur wenig, und schließlich übermannte sie die Müdigkeit, nachdem sie ihre Suppe ausgelöffelt hatte. Mit etwas Mühe legten Arwen und Kerry Haleth in eines der Betten. Kerry war selbst ziemlich erschöpft, dabei hatte sie doch eigentlich noch so viel vor. Sie wollte unbedingt noch nach Adrienne sehen, und nach Halarîn... und dann war da natürlich noch Oronêl. 
"Du bist bei Helluin gewesen," stellte Arwen fest. Ihrem Blick blieb wohl nur wenig verborgen.
Kerry nickte. "Elea ist noch immer bei ihm. Ich hoffe, die Manarîn lassen ihn bald frei..."
"Ich nehme an, du hast vor, ihnen genau dies vorzuschlagen?"
"Ja..." bestätigte Kerry. "Aber zuerst gibt es Wichtigeres zu tun. Ich muss Oronêl finden, ich weiß dass er wieder in der Stadt ist... und ich mache mir Sorgen um ihn. Ich weiß nicht, was er durchgemacht hat, seitdem wir voneinander getrennt wurden. Und... naja, es ist so, ich...weiß, dass es anmaßend klingen mag, aber... mittlerweile kenne ich ihn ein bisschen, und... ich glaube, dass es etwas gibt, dass ich ihm sagen sollte. Sagen muss."
Arwen warf ihr einen Blick zu, der für Kerry vielerlei Dinge bedeuten konnte. "Dann musst du gehen, und zwar gleich. Du kannst ihm bei dieser Gelegenheit seinen Bogen bringen, den haben wir aus Imladris die ganze Zeit mit uns geführt und nun, da Oronêl wieder da ist, sollte er ihn zurückerhalten. Suche deinen Freund beim königlichen Palast, sprich mit ihm und händige ihm seine Waffe aus.“

Mittlerweile kannte Kerry den Weg zu Faelivrins Palast gut genug, um sich nicht zu verlaufen, und die Wachen kannten nun ihr Gesicht sowie das hellblaue Kleid nach Art der Manarîn, das sie noch immer trug. Man ließ sie ungehindert passieren, und der Hauptmann der Garde nickte ihr mit einem irgendwie aufmunternden Lächeln zu, als er respektvoll sagte: "Hírilya Morilië." Kerry blieb erstaunt stehen. Dieser Krieger, dessen Namen sie nicht einmal kannte, schaffte es, sie mit dem lockeren Klang seiner Stimme und seiner Miene so sehr aufzubauen, dass sie glauben musste, dass er über ihre gesamten Gedanken und Erlebnisse Bescheid wusste. Natürlich war dem nicht so - woher hätte er es auch wissen sollen? Dennoch nahm sie sich vor, in einer ruhigen Minute mit dem Gardekommandanten zu sprechen, und ihn kennenzulernen.
Doch dafür blieb nun keine Zeit. Sie musste Oronêl finden. Auch wenn sie nicht genau wusste wieso, gab es da ein Gefühl in Kerrys Herzen, das sie zur Eile drängte.
Im Inneren des Palastes herrschte eine gespenstische Leere. Doch dann hörte Kerry Schritte zu ihrer Linken. Einen langen, säulengerahmten Gang entlang fiel ihr Blick, und sie sah gerade noch, wie eine ferne Gestalt, die Oronêl hätte sein können, dort um die Ecke bog. Sie eilte los, so gut ihr Kleid es eben zuließ, und verfluchte sich dafür, dass sie sich nicht vorher umgezogen hatte. An der Ecke angekommen kam sie auf dem glatten Marmorboden schlitternd zum Stehen. Um die Biegung herum führte ihr Weg sie in einen weiteren, langen Gang. In großer Entfernung entdeckte sie Oronêl und Faelivrin, die eine der vielen Türen öffnete. Dann nickte Oronêl der Königin zu und betrat den Raum, noch während Kerry loslief. Faelivrin selbst bog in ein nahes Treppenhaus ein und verschwand. Beide waren noch immer so weit weg, dass Kerry fünf lange Minuten brauchte, bis sie endlich vor der Tür stand, hinter der Oronêl sich befinden musste. Sie keuchte und schwitzte, und gab vermutlich einen fürchterlichen Anblick ab, also hielt sie schwer atmend inne, und begann, ihren Zopf zu lösen und neu zu flechten, diesmal nicht nach der für sie so typischen Art der Rohirrim, sondern stattdessen nach Elbenart, wie sie es von Halarîn gelernt hatte. Das gab ihr Zeit, sich zu beruhigen, und als sie fertig war, klopfte sie fünfmal sachte, aber hörbar an die Tür.

"Herein," kam Oronêls Stimme undeutlich zu Kerry durch, und sie schob die schwere, hölzerne und verzierte Türe auf. In dem kleinen Zimmer, was wohl für Gäste eingerichtet worden war, stand Oronêl und blickte über die Schulter zur Tür. Er hatte wohl gerade seine Habseligkeiten vor sich ausbreiten wollen. Als er Kerry sah, hörte sie, wie er tief einatmete. Dennoch wirkte er nicht abweisend. "Du bist also hier," stellte er ruhig fest.
"Ja, Oronêl, ich bin hier," sagte Kerry, betrat das Zimmer und schloss die Tür hinter sich. "Gut, dass ich dich hier treffe.“
„Mir scheint das kein Zufall zu sein, Kerry,“ erwiderte er ruhig.
„Wir hatten keine Zeit zu sprechen vorhin,“ begann Kerry vorsichtig. „Dabei hatte ich dich für vermisst gehalten und nun bist du wieder da. Was ist dir nur passiert?“
Oronêl musterte sie einen Augenblick lang. „Haleth und ich sind ein paar Orks in die Hände gefallen,“ erklärte er knapp. Er klang distanziert und relativ kühl, sodass bei Kerry alle Alarmglocken zu läuten begannen.
„Und ihr seid diesen Orks entkommen? Geht es dir gut, bist du verletzt?“ fragte sie besorgt.
„Es geht mir gut. Ich bin mir sicher, Haleth erzählt dir gerne die ganze Geschichte... ich habe das Gefühl, dass du noch aus einem anderen Grund hier bist.“
Erwischt, dachte Kerry. „Ich... hatte gehofft, dich noch zu erwischen, bevor du..."
"Bevor ich was, Kerry?"
"Bevor du wieder fortgehst," sagte sie leise. Sie konnte ihn nicht ansehen. "Ich verstehe es nicht, Oronêl. Du bist endlich wieder bei uns, in Sicherheit, und nun... willst du wieder gehen, nur... wegen Helluin?" Sie hielt es nicht mehr aus, sie musste ihren Verdacht einfach äußern.
Oronêls Blick war durchdringend, doch er bliebt ruhig, und weiterhin kühl. „Ich möchte ihn nicht sehen. Was er getan hat ist unverzeihlich," sagte Oronêl leise.
„Aber...“ begann Kerry.
„Dass er mir vielleicht das Leben gerettet hat macht seine bösen Taten nicht ungeschehen,“ stellte Oronêl klar.
"Erinnerst du dich an Tharbad?" fragte Kerry, die einen Einfall gehabt hatte. "An meinen... Streit mit Aéd, als es um die Feindschaft zwischen unseren Völkern ging?"
"Ich erinnere mich," sagte Oronêl langsam und hob die linke Augenbraue, dann verschränkte er die Hände vor der Brust, als er sich zu Kerry ganz umdrehte.
"Du warst es, der mich überzeugt hat, Aéd und den Dunländern eine zweite Chance zu geben. Du hast damals sogar von den Dúnedain gesprochen und von deiner Heimat. Und dass du nicht einem Einzelnen die Schuld daran geben wür-"
Oronêl brachte sie mit einem scharfen Blick zum Schweigen. Sie kannte ihn mittlerweile gut genug um zu sehen, dass es in dem Waldelb so langsam zu brodeln begonnen hatte, und die kühle Distanziertheit begann zu bröckeln. "Eine zweite Chance?" antwortete er leise und etwas heiser klingend. "Nur weil er glaubt, dass Sarumans Zauber nun nicht mehr auf ihm liegt?"
"Genau das ist es," hielt sich Kerry tapfer auf ihrem Posten. "Ich fordere dich auf, Helluin eine zweite Chance zu geben... genau wie ich Aéd und den Dunländern eine zweite Chance gegeben habe."
Oronêl musterte Kerry und sie ballte die Hände zu Fäusten. Sie würde nicht mit ihm streiten, nicht schon wieder. Aber sie würde ihm klar machen, dass er im Bezug auf Helluin falsch lag.
Sie hoffte nur, es würde ihr auch gelingen...
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Eandril

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Re: Ost-in-Edhil
« Antwort #34 am: 1. Mai 2021, 21:38 »
Oronêl atmete tief durch und versuchte den Zorn, der in ihm aufzusteigen drohte, unter Kontrolle zu halten. Er setzte sich auf die Kante des Bettes und deutete mit einer einladenden Geste auf den einzigen Stuhl in dem kleinen Raum.
"Kerry... ich möchte nicht mit dir streiten", sagte er leise, während sie sich zögerlich setzte, ohne ihn aus den Augen zu lassen. "Ganz besonders nicht wegen Helluin, denn das ist es nicht wert."
"Aber die Dunländer waren es", stellte Kerry fest, und Oronêl zögerte einen Augenblick, bevor er weiter sprach. Er fühlte sich ein wenig in die Ecke gedrängt.
"Du musst verstehen... es gibt einen Unterschied zwischen Aéd und den Dunländern und Helluin und seinen Verrätern. Helluins Verrat hat dazu beigetragen, meine Heimat zu zerstören. Seinetwegen sind Freunde und Verwandte von mir gestorben. Ich kann nicht..."
Kerry hatte den Blick abgewandt und starrte aus dem kleinen Fenster hinaus nach Süden. "Wo ist der Unterschied?", fragte sie, die Stimme in wenig erstickt. "Die Dunländer sind auf Sarumans Befehl in Rohan eingefallen. Sie hatten ebenso großen Anteil an der Zerstörung Rohans wie die Dúnedain am Untergang Lóriens - wenn nicht mehr. Trotzdem hast du mich überzeugt, ihnen eine zweite Chance zu geben, also... also bist du nicht bereit, Helluin diese Chance zu geben? Ist deine Heimat mehr wert als meine?"
Oronêl schüttelte den Kopf und sah zu Boden. "Nein, ich... das wollte ich damit nicht sagen." Als Kerry nichts erwiderte, sondern weiter aus dem Fenster blickte, sagte er: "Die Dunländer hatten eine zweite Chance verdient, weil sie ihre Ketten von selbst abgeworfen haben. Sie zeigten Reue für ihre Taten, und sie haben seitdem alles getan um ihre früheren Taten gutzumachen."
"Genauso sehe ich es bei Helluin", gab Kerry zurück, und Oronêl erwiderte schnell: "Bist du dir sicher, dass das alles ist? Und das nicht andere... Gefühle deine Urteilskraft trügen?"
Sofort bereute er, was er gesagt hatte, denn Kerry war aufgesprungen und hatte dabei den Stuhl umgeworfen. Sie warf ihm einen kurzen Blick zu, wandte sich sofort wieder ab und machte Anstalten, aus dem Raum zu stürmen. Oronêl sprang selbst auf die Füße, und packte sie am Arm um sie zurückzuhalten. "Kerry, warte. Es tut mir leid, das war... nicht in Ordnung."
Kerry blieb stehen, und blickte ihm direkt ins Gesicht. In ihren grünen Augen spiegelten sich Zorn, Verletztheit und auch eine kaum merkbare Portion Verlegenheit. "Nein", sagte sie schlicht. "Das war es nicht." Nachdem Oronêl ihren Arm losgelassen hatte, bückte sie sich um den Stuhl wieder aufzustellen und setzte sich dann. Oronêl ließ sich erneut ihr gegenüber auf der Bettkante nieder.
"Ich hatte nicht vor, fortzugehen", sagte er leise. "Jedenfalls nicht auf Dauer. Ich werde mit Anastorias an die Grenze im Nordosten gehen, einigen verdächtigen Nachrichten nachspüren." Er widerstand dem Impuls, Kerry Blick auszuweichen, und fügte hinzu: "Aber du hast Recht, es ist Helluins wegen."
"Ach, Oronêl... warum?" Endlich fand Kerry die richtigen Worte. "Warum bist du in der Lage, allen eine zweite Chance zu geben, nur Helluin nicht? Warum hasst du ihn so sehr, dass du ihn nicht einmal ansehen kannst?"
Oronêl richtete den Blick auf den Boden zwischen ihnen, und rieb seine verschränkten Hände aneinander. "Ich hasse ihn nicht", sagte er schließlich langsam. Er musste sich zwingen, diese Worte auszusprechen, obwohl es die reine Wahrheit war. "Wie könnte ich, ich kenne ihn nicht. Ich hasse was er getan hat, aber Helluin selbst..." Er schüttelte den Kopf, und hob den Blick wieder zu Kerry. "Nein."
"Aber wieso...", begann Kerry verständnislos, und Oronêl lächelte. Es war kein besonders fröhliches Lächeln. "Was Helluin getan hat, geht noch tiefer als du denkst. Ich hatte nie viel für Menschen übrig, bis ich in Dol Amroth an ihrer Seite gekämpft habe. Bis ich Amrothos fand, und wenig später Irwynes und Amrûns Freundschaft erlebte. Der Verrat der Dúnedain... er hätte beinahe alles wieder zunichte gemacht, wenn Irwyne, dein Vater - Cyneric, meine ich - und die Dunländer, Forath und Aéd nicht gewesen wären. Helluin hat sich von Saruman bei dem Versuch benutzen lassen, das letzte Vertrauen zwischen Elben und Menschen zu zerstören, und vielleicht ist es das, was ich nicht verzeihen kann."
Einen langen Augenblick herrschte Stille in dem kleinen Zimmer, bis Kerry das Schweigen schließlich brach. "Ich... verstehe, glaube ich", sagte sie tonlos. "Aber... ich erinnere mich an etwas, was du in Fornost gesagt hast, bei Ardans Verhandlung. Du hast versucht, Belen und die anderen davon zu überzeugen, die Dúnedain unter Sarumans Befehl wieder zu sich zu holen und ihnen zu vergeben. Weil... wenn sie sich gegenseitig bekämpfen nur Sauron gewinnt, und wenn sie sich gegenseitig bekämpfen, wir alle verlieren."
Oronêl musste wider Willen lächeln, und dieses Mal war sein Lächeln nicht bitter. "Du hast ein gutes Gedächtnis... und du vermagst deine Worte gut einzusetzen." Er erinnerte sich an diesen Tag, und er glaubte an das, was er damals gesagt hatte - nur nicht, wenn es um Helluin ging, und in diesem Moment erkannte Oronêl, dass er vielleicht einen Fehler machte.
"Ich werde keine Versprechen machen", fügte er schließlich hinzu. "Ein Teil von mir glaubt, all die zu verraten, die Heimat oder Leben in Lórien verloren haben, wenn ich Helluin nicht mit aller Macht weiterhin ablehne und verachte. Aber... vielleicht werde ich mit Helluin sprechen. Nicht jetzt gleich, aber... irgendwann."
Mit einem Mal fühlte er die Erschöpfung der letzten Tage vollständig über sich hineinbrechen. Kerry löste ihre Hände von den Armlehnen, die sie fest umklammert hatte, und ergriff seine Rechte. "Ich verstehe, dass es nicht einfach ist", sagte sie leise. "Und ich verstehe jetzt auch, warum. Aber falls es etwas bedeutet: Ich glaube wirklich, dass Helluin frei von Saruman ist, und dass er seine Taten bereut. Und das hat nichts mit irgendwelchen... Gefühlen zu tun."
Oronêl sah ihr in die Augen. "Tatsächlich bedeutet dein Urteil mir viel, Kerry. Du hast ein gutes Herz, und ein gutes Gespür dafür, wie es in anderen aussieht. Und was deine Gefühle angeht... nunja, vielleicht wäre das gerade ein Zeichen dafür, Helluin zu trauen." Als er sah, wie Kerry errötete, musste er leise lachen.
"Ich werde dich nicht mit Fragen danach quälen, das ist allein deine Angelegenheit. Aber du weißt, dass du immer mit mir reden kannst, wenn dir danach ist."
Kerry nickte langsam, bevor sie aufstand und sich neben ihm auf die Bettkante setzte.
"Oronêl..."
"Hm?"
"Ich bin froh, dass du wieder da bist... auch wenn du furchtbar unausstehlich sein kannst."
"Ich fürchte, da kann ich kaum widersprechen", erwiderte Oronêl. Eine Weile saßen sie in einträchtigem Schweigen da, bis Kerry sagte: "Jetzt möchte ich endlich wissen, was mit dir und Haleth passiert ist. Sie hat irgendetwas von Moria gesagt, aber..."
Oronêl warf ihr einen Seitenblick zu. "Es ist keine Geschichte, die ich gerne ein zweites Mal erzähle, aber... du hast es dir verdient zu erfahren, was passiert ist."

Als er seine Erzählung beendet hatte, glänzten Kerrys Augen verdächtig. "Ich weiß noch, wie Valandur nach Fornost kam. Und in der Schlacht stand er mit mir oben auf dem Turm, und... was wird Súlien sagen?"
Oronêls Herz zog sich bei dem Gedanken schmerzhaft zusammen. "Ich weiß nicht", erwiderte er leise.
"Und dieses Wesen... es hat irgendetwas mit Farelyë zu tun, glaubst du nicht?"
"Ich fürchte schon. Aber ich weiß nicht, wie uns dieses Wissen helfen kann, es zu besiegen, wenn es das Gebirge verlässt." Oronêl blickte Kerry an, und sie schüttelte den Kopf. "Oh nein. Schlag es gar nicht erst vor."
"Was? Ich wollte nur..."
"Du wollte vorschlagen, dass ich Eregion verlasse, und mich irgendwo in Sicherheit bringe - in Bruchtal oder Lindon vielleicht. Aber meine Familie ist hier, und die meisten meiner Freunde auch. Also gehe ich nirgendwohin."
Oronêl hob die Hände, und musste trotz allem lachen. "Schon gut, ich werde es gar nicht erst aussprechen. "Vielleicht ist es ohnehin besser wenn du in der Nähe bist, Kerry, denn du bist immer für irgendeine unerwartete Wendung gut..."

Oronêl - Edrahil - Hilgorn -Narissa - Milva

Curanthor

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Die Last der Krone und Angst einer Mutter
« Antwort #35 am: 1. Mai 2021, 22:50 »
Aus der Sicht Faelivrins

Nachdem sie Oronêl zu seinem Raum geleitet hatte, wuchs in ihr das Bedürfnis alleine zu sein. Faelivrin steuerte die Treppe zur zweiten Etage an, die erst vor kurzem fertig gestellt wurde. Hier würde später ihre Familie leben, doch noch war alles leer. Auf der letzten Stufe blieb sie stehen und starrte in den hohen Korridor. Generell war der Palast bis auf die Garde, ihre drei Zofen und eine Handvoll Elben, die alles in Ordnung hielten leergefegt. Alles war damit beschäftigt entweder sich für den Krieg zu rüsten, oder an den zahlreichen Baustellen zu arbeiten. Auf dem verlassenen Korridor befanden sich zahlreiche Türen zu ihrer linken, rechts reihten sich hohe Rundbogenfenster aneinander.
Ihre Gedanken schweiften wieder ab. Unbewusst legte sie sich ihre Hand auf die Brust. Ihr Herz verkrampfte sich. Faelivrin hatte überhastet gehandelt, als sie Isanasca und Sanas ausgeschickt hatte. Der Druck auf ihren Schultern hatte ihre Entscheidung beeinflusst. Irgendwas hatte sie tun müssen, um den übrigen Avari zu  zeigen, dass sie entschlossen handeln konnte. Ihr Herzschlag beschleunigte sich. Sie würde sich niemals verzeihen können, wenn ihnen etwas zustoßen würde. Und sie könnte nie wieder in die Augen ihres Enkels Calanto blicken. Ihre Hand ballte sich zur Faust. Vater, du musst Erfolg haben! Bringe mir mein Kind zurück und berichtige die dumme Entscheidung deiner Tochter, nur dieses eine Mal. Wenn es einer kann, dann du.
Eilig verließ sie den Korridor durch einen verborgenen Geheimgang hinter einem leeren Sockel. In dem engen Korridor, der nur ihrer Familie vorbehalten war, lehnte sie sich schwer atmend an die Wand. Hier war sie unbeobachtet. Alleine mit ihren Gedanken. Tränen stiegen ihr in die Augen. Faelivrin hieb mit der geballten Faust gegen die steinerne Wand. Ihre Hand pochte vor Schmerz, doch mochte er nicht die grausamen Bilder vertreiben, die Orornêls Erzählung ausgelöst hatte. Ein uraltes, namenloses Monster aus der alten Welt. Und ihre Tochter stand direkt vor dem Hort dieser Kreatur. Etwas Unbekanntes aus Dunkelheit, Kälte und Eis. Sie wollte Oronêl glauben, dass es noch nicht hervorkam, aber sie konnte die Furcht um ihre Tochter nicht verdrängen. Dazu noch die tausenden an Leben, die an ihren Entscheidungen hingen. Kraftlos sank sie an der Wand zu Boden und nahm den reich verzierten Haarreif von ihrem Kopf. Eine Bürde, die sie selbst gewählt hatte, zusammen mit Finuor. Faelivrin atmete durch und lehnte den Hinterkopf an den kühlen Stein. Ihr geliebter Gefährte hätte wohl anders entschieden. Er war viel vorausschauender gewesen als sie und er hatte das Königreich organisiert, viel effizienter als sie es je hätte tun können. Sie vermisste ihn jeden Tag. Und sie konnte es kaum erwarten ihn widerzusehen… doch wollte sie ihre Kinder nicht im Stich lassen. Die Worte Edanels hallten im ihrem Gedanken wider: „Du hattest eine Vision. Ambitionen. Ein Bild, von einem vereinten Stamm, nein, mehr noch, du wolltest die Wälle der Stämme zu Fall bringen.“
Wütend biss sie die Zähne zusammen. Nein, ich habe noch immer eine Vision. Ein Bild der vereinten Avari. Die Ambition ein Reich zu schaffen, in dem keine Grenzen zwischen den Stämmen herrschen. Und der Traum, dass meine Familie einen Fußabdruck in der Geschichte hinterlässt. Faelivrin ballte beide Hände um die schmale Krone. Sie könnte ihrem Mann niemals wieder in die Augen sehen, wenn sie wieder vereint waren, sollte sie hier scheitern. Mit einem tiefen Seufzer strich Faelivrin die Tränen aus den Augen und setzte sich wieder ihre Krone auf das Haupt.
Einen kurzen Moment verweilte sie noch am Boden und genoss die Stille, alle finsteren Gedanken von sich schiebend. Keine unaufdringlichen Augen, die ihr auf Schritt und Tritt folgten und keine Begleiter. Kurz schloss sie die Augen. Ihr Volk hatte den Zorn der Natur überstanden. Die Erde hatte gebebt, ganze Dörfer verschlungen. Es hatte Feuer geregnet, das ihre Felder und Ernten verbrannte. Das Meer hatte sich mit aller Macht aufgebäumt und versucht mit sich zu reißen und doch hatten sie all dem getrotzt und waren nun hier. Erneut ballte sie die Hände. Entschlossen, auch diese Katastrophe zu überstehen, ganz gleich was es war.

Faelivrin erhob sich und durchquerte durch die verborgenen Gänge, in denen nur eine Person Platz fand die obere Etage des gesamten Westflügels. Nach fast fünf Minuten erreichte sie das Ende des Flügels und trat in wieder in den Korridor, der an einer großen, schlichten Tür aus dunklen Eichenholz endete. Sie schmunzelte kurz, als sie bemerkte, dass jemand eine filigrane Krone aus Gold in das Holz geritzt hatte. Faelivrins Gemach empfing sie mit wohltuender Stille und einer gewissen Wärme. Bis auf ihre persönliche Zofe hatte niemand Zutritt. Sie schmunzelte, als sie das gemachte Bett sah, dass Tara offensichtlich in ihrer Abwesenheit aufbereitet hatte. Faelivrin atmete durch und verließ ihr Gemach wieder über den unfertigen Ostflügel. Ihre Schritte führten sie hinab ins Erdgeschoss, bis zum Ende des Ganges, den letzten Raum mit einer unscheinbaren Tür. Ohne zu klopfen platzte sie hinein. 
Das Studierzimmer war nur seit einigen Wochen eingerichtet, doch stapelten sich auf dem Tisch in der Mitte bereits Pergamente und eine erschöpft wirkende Elbe hob hinter dem Stapel den Kopf. Die Regale rechts und links an den Wänden waren nur von vereinzelten Büchern nicht einmal ansatzweise gefüllt.
„Majestät“, ertönte ihre müde Stimme, „Ich habe mich schon gefragt, wann du hier auftauchst.“
„Artana“ Faelivrin nickte knapp, wohl wissen, dass die Gelehrte nicht viel von Höflichkeitsfloskeln hielt, „Was gibt es Neues?“
Die Elbe strich sich ihre kastanienbraunen Haare zurück und nahm sich einen Haarreif, damit sie an Ort und Stelle blieben. Artanas blütenweißes Kleid war mit einigen Tintenklecksern versehen, man konnte sehen, dass sie den Raum nur äußerst selten verließ. Mit ernstem Blick ging sie die Pergamente durch. Faelivrin umrundete den Tisch und stellte sich neben sie.
„Vor kurzem ist eine Anfrage aus Tharbad angekommen. Sie wollen uns für die Hilfe bei der Befreiung und die Vertreibung Sarumans Schergen danken. Offenbar mit einen großen Streitwagen und sechs…“ Artana verstummte und las das zerknitterte Stück Pergament mit unsauberer Schrift erneut, „Ah, da. Zehn Kaltblüter. Glaube ich zumindest. Ich vermute, es sind Pferde… schaden kann es uns jedenfalls nicht.“
Sie wechselten einen nachdenklichen Blick. Faelivrin vertraute Artanas Urteil, weswegen sie auch hier war – eine Entscheidung, die sie viel zu lange vor sich hergeschoben hatte. Schließlich nickte sie nach einer Weile. Die Gelehrte nahm das als Zeichen ein unbeschriebenes Blatt zu nehmen und begann mit Tinte und Feder darauf in feinen, fast schon künstlerischen Schriftzeichen zu schreiben.
„Nur deswegen bist du doch nicht hergekommen oder?“, fragte Artana amüsiert, ohne von ihrem Werk aufzublicken, „Sonst hättest du auch bis zum Fürstenrat warten können.“
„Tatsächlich bin ich hier, um dich zur Hofmeisterin zu ernennen“, entgegnete sie mit einem leichten Grinsen, während Artana vor Überraschung fast das Tintenfässchen umstieß, „Oder um es offiziell zu sagen: Nehmt Ihr, Istime, genannt Artana, Tochter des Elental, die Verantwortung, Rechte und Pflichten des Titels Verwalterin des Reiches entgegen, dass Ihr dem Königreich Nutzen und Wohlstand bringt und stets im Sinne der Krone handelt?“
Ein kurzer Moment der Stille folgte, den Faelevrin mit einem freundschaftlichen, „Nimmst du an?“, brach, da sie wusste, dass ihr Gegenüber es erst als Scherz auffasste.
Die Gelehrte sprang fast von ihrem Stuhl auf und ging auf ein Knie, den Kopf gesenkt. „Ich weiß nicht, wie ich zu dieser Ehre komme, aber ich werde alles tun, um diese Chance zu ergreifen und deine Erwartung zu übertreffen! Danke, Majestät!“
Faelevrin lachte erleichtert und richtete sie auf. „Wenn einer diese Ehre verdient hat, dann du. Deine Studien der alten Schriften meiner Ahnen, die Amarin uns zur Verfügung gestellt hat, sind überlebensnotwendig für unser junges Reich. Und ich kann nicht alles alleine stemmen und über deinen Tisch gehen so oder schon die meisten Botschaften.“
Istime verneigte sich noch einmal knapp. Sie konnte Erleichterung auf ihrem Gesicht erkennen. Faelivrin hatte nicht deswegen gezögert, dass Artana ungeeignet war. Die alten Minen, die sie dank ihrer Arbeit wiederentdeckt hatten, haben ihnen einen großen Sprung nach vorn gegeben. Wahrscheinlich hätten sie noch nicht einmal einen einzigen Turm der Mauer fertiggestellt, ohne ihre Studien. Ihr Zögern lag eher daran, dass sie niemanden mit der Bürde der Verantwortung belasten wollte. Und doch hatten ihr die Worte Edanels gezeigt, dass es falsch gewesen war. Nach dem Tod ihres Mannes wollte sie alle Pflichten übernehmen und seinem Ansinnen gerecht werden. Sie hatte geglaubt, dass niemand außer ihr wusste, was er sich vorgestellt hatte. Dabei war sie blind für die vielen, helfenden Hände gewesen, die er hatte.
Sie wurde wieder ernster. „Wo wir von Amarin gesprochen haben, hat er es fertig gestellt?“
Artana nahm wieder Platz und begann wieder an der Antwort an Tharbad zu schreiben. Dabei nickte sie knapp und erklärte, dass er bald so weit sein würde, er aber seine Arbeit wegen einem Vorfall unterbrechen musste. Faelivrin hob eine Braue.
Die Gelehrte blickte wissend auf. „Es hat sich schon herumgesprochen. Bald musst du entscheiden, was wir mit ihr machen. Viele sehen in ihr eine massive Gefahr. Einige unter uns erinnern sich an Geschichten… uralte Monster, manche vage menschlich und mächtig, andere vage elbisch und von grausamer Schönheit. Das sorgt für Gerede.“
Faelivrin seufzte schwer und legte Artana eine Hand auf die Schulter. „Mein Herz wird schwer, wenn ich an sie denken muss. Ich hatte gehofft, dieser Entscheidung noch zu entgehen.“
Sie erinnerte sich an das Gespräch mit Amarin und Ivyn im Haus der Ruhe. Beide hatten sie gewarnt, dass das Wesen in Adrienne eine Macht besaß, die unberechenbar war. Jetzt mussten sie abwarten, welche Seite in ihr das Ringen über den Körper gewann. Und erst dann würde ihr Ivyn mehr erzählen.
Die neu ernannte Hofmeisterin strich sich nachdenklich über das Kinn und beschmierte sich dabei unbewusst mit Tinte. „Ich kann die Sorgen noch etwas beruhigen und die Stimmen nach einer Lösung zerstreuen… aber nicht für lange. Wenn sie nach einer Weile nicht aufwacht…“
Faelivrin verstand und bedankte sich, Adrienne stand ihr nicht besonders nah, aber sie schätzte sie als Gefährtin durch zahlreiche Gefahren. Und sie würde sie nicht einfach aufgeben. Faelivrin ging zur Tür und verharrte kurz. „Ein Abzeichen deines Ranges entsprechend wirst du bald erhalten.“
Artana nickte ernst, was mit der Tinte am Kinn ungemein komisch wirkte. Faelivrin schlüpfte zur Tür hinaus und erlaubte sich auf dem Korridor ein leises kichern. Dann atmete sie tief durch und machte sich wieder auf den Weg in den Thronsaal.

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Eine Bitte an die Königin
« Antwort #36 am: 4. Mai 2021, 13:15 »
Kerry und Oronêl sprachen noch eine ganze Weile über ihre jeweiligen Erlebnisse, und so erfuhr Oronêl unter Anderem, was mit Adrienne geschehen war. Aéds Brief sowie ihre Absicht, bei ihrer Schwester für Helluins Freilassung einzutreten, behielt Kerry vorerst für sich. Sie wollte zuerst mit Faelivrin reden und hoffte, dass die Königin der Manarîn trotz der späten Stunde noch ein paar Momente Zeit finden würde. So verabschiedete sich von Oronêl und machte sich auf die Suche.

Der Palast hatte schon bei ihrem ersten Besuch dort groß und verwirrend auf Kerry gewirkt, doch mittlerweile waren die Bauarbeiten weiter vorangeschritten, und schließlich musste sie einen der Gardisten bitten, ihr den Weg zu Faelivrins Gemach zu weisen. Dieser schüttelte jedoch den Kopf. "Du wirst sie dort nicht finden, hírilya. Ich bringe dich zum Thronsaal."
Kerry blieb nichts anderes übrig, als dem Elb zu folgen, bis er sie zum Thronsaal geführt hatte. Und tatsächlich trafen sie dort auf Faelivrin, die beinahe so aussah, als hätte sie schon auf Kerry gewartet. Zumindest schien sie nicht im Geringsten davon überrascht zu sein, ihre Adoptivschwester zu sehen.
"Nésa," begrüßte die Königin sie herzlich und legte ihr die Hände auf die Schultern, nachdem sie Kerry kurz umarmt hatte. "Gut siehst du aus, wie es einer Dame deines Standes angemessen ist. Wenn auch ein klein wenig zerzaust." Faelivrin lächelte, und Kerry tat es ihr gleich.
"Was bin ich froh, dich zu treffen," stürzte Kerry sich gleich auf das Thema, über das sie mit der Herrscherin Eregions hatte sprechen wollen. "Ich weiß nicht, wieviel Zeit du hast, aber-"
"Für dich nehme ich mir die Zeit, Morilië. Was liegt dir auf dem Herzen?"
Kerry blickte sich im leeren Thronsaal um. Bis auf die beiden Gardisten die den Haupteingang bewachten, war der große Raum leer. Sie standen einander nahe gegenüber, kaum einen Schritt entfernt von der untersten der Stufen, die zum Thron selbst hinauf führten.
"Nun, also, es... es geht um Helluin," sagte Kerry und konnte nicht verhindern, dass sich eine gewisse Verlegenheit in ihren Tonfall schlich.
"Den Dúnadan, den uns die Dunländer auslieferten? Was ist mit ihm?"
"Ich habe es dir noch nicht erzählt - bislang hatten wir keine Zeit... aber ich kenne ihn, Faelivrin. Ich bin ihm im Düsterwald begegnet, als wir Finelleth dabei halfen, das Reich ihres Vaters zurückzufordern."
"Nun ist es ihr eigenes Reich, wie wir erfahren haben," merkte Faelivrin an. "Ich hoffe, sie schlägt sich mit ihrer neuen Verantwortung als Königin gut... ich weiß aus eigener Erfahrung, was für eine Bürde dies oft sein kann."
Kerry hielt inne und nahm Faelivrins Hände in ihre eigenen Hände. Sie sah, oder spürte vielmehr, wie sehr ihre Adoptivschwester die Last der Krone im Augenblick verspüren musste.
"Ich, ähm... denke, sie bekommt das schon hin," sagte Kerry. "Aber zurück zu Helluin... du musst ihn unbedingt freilassen, Nésa, hörst du? Er steht nicht mehr unter Sarumans Zauber... und er möchte helfen und seine Taten wiedergutmachen!"
Faelivrin betrachtete Kerry nachdenklich mit einem prüfenden Blick. "Wieso liegt dir so viel an der Freilassung dieses Waldläufers?"
"Weil ich... an zweite Chancen glaube," sagte Kerry überzeugt und rief sich ihre Unterhaltung mit Oronêl wieder in den Sinn.
"Das sehe ich," sagte Faelivrin, dann musste sie lächeln. "Aber das ist doch nicht der einzige Grund, nicht wahr?"
"N-naja..." stammelte Kerry, die nun nicht mehr verhindern konnte, dass sich ihre Wangen röteten. "Ich..." sie sah sich um, ob auch wirklich niemand in der Nähe war, und wisperte Faelivrin verlegen zu: "Ich wollte es ja Anfangs selbst nicht recht wahrhaben, aber... bei unserem Wiedersehen, dort in der notdürftigen Zelle in der die Elben in festhalten... als er all diese Dinge zu mir sagte, da..."
"Dinge?" fragte Faelivrin mit einem sehr wissenden Lächeln. "Dinge wie: Du bist etwas ganz Besonderes und Endlich habe ich dich gefunden?"
"W-was? Woher... wie hast du...." stammelte Kerry erschrocken.
Faelivrin lächelte wissend. "Eine Königin muss wissen, was in ihrer Stadt vor sich geht. Und ihr habt dort unten nicht gerade im gedämpften Ton miteinander gesprochen, selbst wenn keine Wachen mit Elbenohren vor den Türen gestanden hätten, hätten euch vermutlich andere gehört."
"A-also... weißt du über alles Bescheid..."
"Morilië, ich finde es bewundernswert, wie du für diejenigen einstehst, die du als deine Freunde bezeichnest," sagte Faelivrin lobend. "Und ich wäre eine schlechte Königin, wenn ich mich ausschließlich auf meine eigenen Meinungen und Einschätzungen verlassen würde, ohne jemals auch die Ansicht derer, die mir wichtig sind, in Betracht zu ziehen. Wenn du der Meinung bist, dass Helluin von den Dúnedain frei von Sarumans Bann ist und er vertrauenswürdig ist, dann werde ich ihn dank deiner Fürsprache auf freien Fuß setzen."
Kerry konnte ihren Ohren kaum trauen. Sie hatte erwartet, dass sie all ihre sorgfältig zurechtgelegten Argumente benötigen würde, um ihre königliche Schwester davon zu überzeugen, Helluin nicht länger gefangen zu halten. "Danke, danke danke!" sagte sie überschwänglich und umarmte Faelivrin liebevoll.
"Wenn wir etwas Ruhe haben, dann möchte ich jedes einzelne Detail von deiner Reise in den Düsterwald hören," sagte Faelivrin. "Ich bin mir sicher, dass du eine ganze Menge erlebt hast, und ich sehe, dass du an den Abenteuern, die du hinter dir hast, gereift bist. Bleib am besten in der Stadt, hier wird es am sichersten für dich sein, und vielleicht finden wir zwischen all dem Chaos ja tatsächlich mal etwas Zeit, um wirklich ... reden zu können. Aber solange Isanasca nicht sicher wieder zurück ist... " Sie schüttelte besorgt den Kopf.
"Wenn ich dir irgendwie helfen kann, musst du es nur sagen!" beteuerte Kerry sofort.
"Tatsächlich gibt es da etwas," sagte Faelivrin. "Bitte geh und sieh nach Adrienne, in Ordnung? Die Heiler sagen, dass du einen beruhigenden Einfluss auf sie hast."
"Das mache ich, versprochen," sagte Kerry, die ohnehin vorgehabt hatte, ihre Freundin regelmäßig zu besuchen.
"Gut. Das ist gut. Ich danke dir, Morilië. Das Letzte was wir jetzt gebrauchen können, ist noch mehr Chaos im Inneren der Stadt. Dann geh und sieh nach ihr, in Ordnung? Ich muss mich wieder meinen Aufgaben widmen."
"In Ordnung, ich gehe direkt zu ihr," sagte Kerry und ließ ihre Adoptivschwester los. Dann machte sie sich auf den Weg.

Adrienne lag nach wie vor im Haus der Ruhe, was Kerry auch recht leicht fand, nachdem sie einmal nach dem Weg hatte fragen müssen. Die Stadtwachen hatten sie verwundert gefragt, was sie zu so später Stunde noch alleine auf den Straßen tat, und Kerry hatte wieder einmal festgestellt, wie unterschiedlich die Manarîn sie wahrnahmen, wenn sie Nivims elbische Kleider trug, anstatt ihrer üblichen, recht mitgenommen aussehenden Reisekleidung. Der Saum ihres Kleids war zwar mittlerweile vom Staub der Straße bedeckt, doch anscheinend hatte sich mittlerweile herumgesprochen, dass die Adoptivschwester der Königin in Ost-in-Edhil war. Zwei Wächter brachten sie hilfsbewusst bis vor die Tore des Hauses der Ruhe und versprachen ihr, dort auf sie zu warten und sie später sicher zurück zu Farelyës Haus zu geleiten.
Kerry kam sich dabei etwas merkwürdig vor, mit einem Mal als eine so schützenswerte Person behandelt zu werden, aber sie beschwerte sich nicht. Es war besser, als der Umgang, den sie bei ihrer ersten Rückkehr nach Ost-in-Edhil von den Torwächtern erlebt hatte.
Sie fand Adrienne schlafend in ihrem Zimmer vor. Eine Heilerin war bei ihr, ging aber hinaus als Kerry sich neben das Bett gesetzt hatte. Sie atmete tief durch, dann fand sie langsam ein wenig zur Ruhe. So viel war in den letzten Tagen geschehen. Ihr fiel ein, dass sie Helluin noch nicht einmal die Nachricht von seiner Freilassung überbracht hatte und hoffte, dass Faelivrin sich mit dieser Anordnung selbst an ihre Wachen wenden würde.
"Arme Adri," murmelte Kerry mitfühlend, als sie sah, wie bleich ihre Freundin noch immer war. Aber Adriennes Atem ging ruhig und regelmäßig, und im Schlaf waren ihre Gesichtszüge friedlich. "Ich wünschte, ich könnte dir mehr helfen, könnte irgendetwas tun, um ... das was da in dir ist, zu vertreiben..." Sie nahm Adriennes Hand, die sich nicht mehr so kalt wie bei Kerrys letztem Besuch anfühlte. Kerry blieb eine ganze Weile sitzen und dachte nach. Beinahe wünschte sie sich, Adrienne zu wecken, um mit ihr über alles reden zu können. Und tatsächlich, noch während Kerry hinsah, öffneten sich Adriennes Augen und blickten sie an.
"Kerry," sagte sie leise.
"Ooh," machte Kerry etwas erschrocken "Du bist wach. Geht es... dir etwas besser?"
Adrienne blickte an sich herab. "Fühlt sich noch immer so an als wäre eine ganze Horde Reiter über mich hinweg getrampelt," murmelte sie. "Aber... denken kann ich wieder etwas klarer. Hab' nur... ständig Erinnerungen, die... ich noch nicht genau einordnen kann... von Dingen, die sehr lange her sind, glaube ich."
"Du kommst wieder in Ordnung," versprach Kerry ihr und drückte die Hand zärtlich. "Das weiß ich ganz genau."
Adrienne wich ihrem Blick aus. "Vielleicht... aber... was, wenn das Leid dann damit nur einfach weitergeht? Kerry, ich-" Sie hatte Kerry bei den letzten Worten wieder angesehen, doch dann schüttelte sie etwas hilflos den Kopf und beendete ihren Satz nicht.
Kerry wusste nicht recht, wie sie reagieren sollte. Sie ahnte, worauf Adrienne hinaus wollte - denn es gab noch immer eine ungeklärte Sache, die zwischen den beiden Freundinnen stand. "Woran denkst du?" fragte sie sanft.
Doch Adrienne überraschte sie. "An meinen Bruder," wisperte sie. "Ich mache mir Sorgen um ihn... und zweifle mittlerweile daran, ob wir wirklich miteinander verwandt sind, wenn ich..."
"Wenn du das?"
Adrienne schüttelte den Kopf. "Ich verstehe es selbst noch nicht... ich denke, ich bin noch nicht so weit. Tut mir Leid, Kerry..."
"Es ist in Ordnung, Adri. Erhol dich, und ich komme ein andermal wieder, in Ordnung?"
"Ja... ein andermal," wiederholte Adrienne. Dann ließ sie den Kopf zurück auf ihr Kissen sinken.
Kerry schloss die Türe lautlos hinter sich, als sie ging. Sie nahm sich vor, am nächsten Tag zurückzukehren.

Draußen vor dem Haus der Ruhe staunten die Wächter nicht schlecht, als sie sie bat, sie nicht zum Haus von Farelyë zu bringen, sondern zu den Verliesen. Sie musste Helluin unbedingt die Nachricht von seiner Freilassung überbringen...
RPG:

Thorondor the Eagle

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Im Arrest:
« Antwort #37 am: 6. Mai 2021, 22:23 »
Es war bereits Nacht hereingebrochen, als Helluin alleine auf seinem behelfsmäßigen Bett lag. Durch ein schlitzartiges Fenster der Kaserne kroch das fahle Mondlicht in das Zimmer und warf es in ein unheimliches blau. Der junge Dúnadan dachte an den heutigen Tag und die zahlreichen Begegnungen. Er hatte endlich Kerry wiedergefunden nach dieser elends langen Reise. Er lächelte beschwingt, als er an den Moment dachte als sie in der Tür stand. Seltsam diese Gefühle zu spüren, es war eine langerwartete Sehnsucht nach Sicherheit. Hier im Umfeld, in den Armen von Kerry würde Saruman ihn niemals erreichen können.
Plötzlich wurde ihm wieder klar, dass Aéd, den er mittlerweile sehr schätzte, Kerry als seine Gefährtin erwählt hatte und in sie verliebt war. Und Kerry? Was denkt Sie darüber? Sie schien nicht abgeneigt zu sein und sie lehnte den Brief nicht ab. Ja, ihre Finger krallten ihn richtig. Ob sie auch diese Gefühle für ihn hat? Was wird passieren, wenn er nach Ost-in-Edhil kommt?

Ruckartig setzte er sich in seinem Bett auf und spähte durch den Spalt. Der Mond hatte annähernd eine runde Form. Übermorgen, ja wenn nicht schon morgen Abend würde der Wolfskönig in die Stadt der Elbenkönigin kommen und er würde Kerry für sich gewinnen. Helluin versuchte diese düsteren Gedanken abzuschütteln und versuchte sie gezielt auf sein Wiedersehen mit seiner Mutter zu lenken.

Elea war so überaus liebevoll und fürsorglich zu ihm obwohl er sie sein ganzes Leben lang enttäuscht hatte.
„Mein Schatz“, sagte sie zu ihm „stets wusste ich um das Gute in deinem Herzen. Du warst auf Abwegen, verführt von einem der Zauberer, wenn nicht sogar vom größten unter ihnen. Aber niemals habe ich daran gezweifelt, dass du tief in deinem Inneren ein anderer bist als früher. Die Dúnedain werden das erkennen und dir vergeben.“
Wie konnte sie ihm nur so schnell verzeihen. Er hatte soviele Untaten vollbracht, er hat das eigene Volk verraten und hinrichten lassen, er hat blinden gehorsam eingefordert und jahrtausendealte Freundschaften in ihren Grundfesten erschüttert. Er war schuld am Fall von Lorien und an der Knechtschaft des Düsterwalds, des Auenlands und dem übrigen Eriador. Ihm grauste als er sich an das machtgierige Gesicht Sarumans erinnerte und an das schmierige Grinsen, dass er auf seinem Gesicht trug.
Elea schien das allerdings nichts auszumachen. Sie scheute sich nicht davor ihn sogleich wieder in die Arme zu schließen und ihm leise ins Ohr zu flüstern „Alles wird wieder gut“. In dem langen Gespräch beschwörte sie immer wieder die Gutmütigkeit der Waldläufer des Nordens, sie meinte, dass der größte Schritt bereits getan war, denn Aragorn – ihr König – hatte ihm vergeben und die anderen würden sein Urteil nie anzweifeln. Wenn ich der war, der die Dúnedain gespalten hat und Aragorn sie wiedervereint – vielleicht ist sein Urteil, dann das einzige das zählt. Vielleicht hat Mama ja recht. Gleich morgen werde ich Arwen das Elendilmir übergeben und die Nachricht über das Überleben ihres Geliebten. Sie wird die Nachricht nach Norden bringen und von mir berichten und meiner Reue.

„Ach wäre doch das alles nie passiert“, seufzte er leise vor sich hin.
Plötzlich hörte er Schritte draußen auf dem Gang vor seiner Zelle. Es waren schleichende und nur schwer hörbare. Ein leises Klacken öffnete die Verriegelung der Tür und sie öffnete sich einen Spalt breit.
„Ihr habt ein paar Minuten, nicht länger“, flüsterte eine fremde Stimme, ein Wächter.
Neugierig und leicht verängstigt starrte Helluin auf die Tür die sich langsam öffnete zwei Gestalten traten herein. Im Lichtschein einer kleinen Öllampe erkannte er das liebliche Gesicht von Kerry sowie die Silhouette einer zweiten Frau, vermutlich eine vertraute Begleiterin von Kerry. Schlagartig wurde seine Laune noch besser, er setzte sich auf und begrüßte sie überrascht: „Kerry“. Sie trug ein wunderschönes samtenes Kleid und ihre Haare waren geflochten.
Ihr Gesicht strahlte verborgene Freude aus: „Ich kann diese Nachricht keine Sekunde für mich behalten. Meine Schwester, ich habe mit ihr gesprochen. Sie ist so großherzig, dass sie dich wieder auf freien Fuß setzt.“
„Wirklich?“, fragte der junge Mann verwundert.
„Ja. Ich bin ihr so dankbar.“
„Wieso macht sie das?“
„Nur so“, tat es Kerry ab.
„Und wann?“
„Ich vermute noch morgen, aber genaueres haben wir nicht besprochen.“
„Das macht nichts, deinem Wort vertraue ich.“
Die Frau im Hintergrund schluckte laut, Helluin ließ sich aber nicht davon ablenken und ging einen Schritt auf Kerry zu, sie tat es ihm gleich. Er nahm sie dankbar in den Arm und presste ihren Köper fest an den seinen „Ich danke dir.“
„Keine Ursache“, sagte sie verlegen.
Am allerliebsten hätte er sie geküsst, wenn auch nur auf die Wange. Aber seine Unsicherheit bezüglich Aéd und Kerry hielt ihn ab.
„Wenn sie dich dann entlassen komm zu Farelyë’s Haus dort sind wir alle untergebracht. Auch deine Mutter ist dort mit…“, plötzlich unterbrach sie und wirkte irritiert „mit uns allen eben.“
Er nickte.
„Aber vielleicht erfahre ich noch wann sie dich frei lassen, dann holen wir dich ab.“
„Ist gut“, sagte er und berührte sie sanft am Oberarm „Ich werde euch jedenfalls finden.“
Die Frau im Hintergrund räusperte sich: „Wir sollten jetzt ohnehin gehen“, flüsterte sie und ging zurück zur Tür.

Helluin war überglücklich in diesem Moment. Er freute sich auf die kommenden Tage in Ost-in-Edhil, auf die Freiheit und auf Kerry. Er fürchtete den Konflikt mit Aéd nicht, aber er fürchtete, dass sich Kerry für den Wolfskönig entscheiden würde. Aber er war guter Dinge.

Es vergingen einige Augenblicke als sich plötzlich die Türe wieder einen Spalt breit öffnete.
„Ausnahmsweise hast du noch ein paar Minuten“, sagte wieder die Stimme.
„Kerry?“, fragte Helluin in die Dunkelheit und sprang auf, aber es kam keine Antworte.
Eine Frau, den Bewegungen nach dieselbe die mit Kerry vorhin hier war, betrat den Raum. Sie hatte keine Lampe dabei.
„Nein, diesmal bin ich es alleine“, sagte sie kühl.
„Wer bist du?“
„Es ist lange her seit wir uns das letzte Mal gesehen haben“, langsam trat sie in den schwachen Schein des Mondlichtes. Er erkannte sie, aber ihr Name war ihr entfallen. Ihm war unbehaglich und er trat einen Schritt zurück.
„Was willst du hier? Du bist mit Kerry befreundet?“
„Ja das sind wir und mir graut vor dir, wenn ich sehe wie offen du diesem unschuldigen Wesen ins Gesicht lügst. Wie du ihr vorspielst, was du uns allen vorgespielt hast.“
„Ich spiele Kerry nichts vor“, beteuerte er.
„Ja, davon sind wir auch immer ausgegangen bis zu deinem grausamen Verrat. Dein eigenes Volk hast du abschlachten lassen. Deine Freunde hintergangen und ihre Heimat zerstört. Du hast Lorien niedergebrannt und die Elben des Düsterwalds gefoltert.“
Ein Knoten bildete sich in Helluin’s Magen, ihm wurde furchtbar übel.
„Haleth“, stammelte er heraus als ihm der Name wieder eingefallen war.
„Weißt du noch damals im Wald? Mit keiner Wimper hast du gezuckt, als du deinen Männern befohlen hast die deinen - dein eigenes Volk - zu töten.“
Düstere Erinnerungen kamen zurück in sein Gedächtnis. Er brachte kein Wort mehr heraus.
„Du bist Abschaum! Du bist ein Mörder, ja ein Monster“, sagte sie abschätzig „Auch wenn Kerry dir diese Masche abkauft und die Elben von Eregion und ach ja, deine Mutter dir verziehen hat. Keiner! Keiner der Dúnedain wird dir jemals vergeben.“
Helluin traten Tränen in die Augen: „Es tut mir leid“, presste er seine verschlossene Kehle hinauf.
„Ha, es tut dir leid?“, der Sarkasmus war nicht zu überhören „Unserem Volk wird es das nicht tun! Wage dich niemals zurück nach Fornost, du würdest es nicht überleben.“ Ihre Augen funkelten vor Hass und Wut ehe sie sich abwandte. Es war wohl Glück für Helluin, dass sie nicht mit einem Dolch hereinkommen durfte.
Sie ließ Helluin in der Dunkelheit allein zurück. Er krümmte sich auf seinem Bett zusammen vor Schmerz der so starkt war, dass ihm ein Dolchstoß mitten ins Herz wie eine Erleichterung vorkommen würde.. Die furchtbarsten Szenen seiner Vergangenheit holten ihn in dieser Nacht ein.

Niemals kann ich zurückkehren... Niemals.
1. Char Elea ist in Bree  -  2. Char Caelîf ist in Palisor

Eandril

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Re: Ost-in-Edhil
« Antwort #38 am: 8. Mai 2021, 13:38 »
"Guten Morgen!", wurde Oronêl von Anastorias begrüßt, als er sich zu der Truppe gesellte, die sich am Nordtor von Ost-in-Edhil versammelt hatte. Er trug wieder seine alte Ausrüstung, die die Manarîn in Windeseile gesäubert und geflickt hatten - sie Spuren von Moria waren kaum noch zu sehen. Mit Anastorias hatten sich ungefähr fünfzig Elben versammelt, die leichter gerüstet waren als jene, die mit Mathan nach Rómen Tirion marschiert waren. Anastorias schien Oronêls Gedanken zu erraten, und erklärte: "Unsere Aufgabe ist, herauszufinden, was im Nordosten vor sich geht, mehr nicht." Er rückte seinen kleinen Schild auf dem Rücken zurecht und fügte hinzu: "Aber wir sollten trotzdem vorbereitet sein."
"Wo genau sind diese Banditen gesichtet worden?", fragte Oronêl nach, und der junge Elb antwortete: "Es gibt Berichte von unterschiedlichen Orten. Sie scheinen sich vor allem an den Westhängend es Gebirges herumzutreiben, nah unserer nördlichen Grenze."
Oronêl nickte. "Ich kenne das Gebiet. Ich bin vor gar nicht langer Zeit auf dem Weg von Dunland nach Norden dort hindurchgekommen." Er erinnerte sich an diese Reise mit Orophin, nachdem sie Amrothos aus der Gefangenschaft befreit hatten. Damals waren sie zu tief in die Berge geraten, nachdem der Weg durch eines der Täler von einem Orkheer versperrt gewesen war. Oronêl hoffte, dass sie dieses Mal wenigstens kein Orkheer, sondern wirklich nur Banditen erwarten würden.
"Das wird nützlich sein", unterbrachen Anastorias' Worte seinen Gedankengang, bevor der junge Anführer stutzte. "Ténawen, was treibst du hier?" Oronêl folgte seinem Blick zu dem Haus in dem Helluin eingesperrt war - eingesperrt gewesen war, viel mehr, denn der Dúnadan verließ gerade, flankiert von Kerry und Elea, das Haus.
"Nésa hat Helluins Freilassung befohlen", erklärte Kerry, und warf Oronêl dabei einen knappen, prüfenden Blick zu. Oronêl betrachtete währenddessen aufmerksam Helluin. Es war einige Zeit vergangen, seit er den Verräter gesehen hatte, und die Erinnerung an jene Zeit gehörte nicht zu seinen schönsten. Seit dieser schicksalshaften Nacht am Rand des Grünwalds war Helluin ein wenig schmaler geworden und wirkte abgekämpft. Sein Gesicht war blass und er trug dunkle Ringe unter den Augen, als hätte er kaum geschlafen, und der Anblick verschaffte Oronêl eine tiefe Genugtuung. Er hatte Kerry versprochen, Helluin eine zweite Chance zu geben. Er hatte nicht versprochen, ihn zu mögen.
Anastorias wirkte unterdessen etwas verwirrt. "Freilassung? Ich habe das Gefühl, dass mir ein paar wichtige Details fehlen..."
"Helluin ist ein...", begann Oronêl, wurde allerdings von Helluin selbst unterbrochen. "Verräter. Ich habe die Dúnedain von Arnor unter Sarumans Befehl gebracht, und sie nach Lórien geführt." Helluins Stimme war leise, aber fest, und er wich den Blicken der Elben nicht aus. "Doch inzwischen bin ich frei von Sarumans Zauber, und... ich weiß nicht, ob ich eine zweite Chance verdiene. Doch ich werde alles tun um... ein wenig von dem Unheil, das ich angerichtet habe, wieder gutzumachen."
Bei den letzten Worten blickte er von Kerry zu Oronêl, doch Oronêl rührte sich nicht. Er musste seine widerstreitenden Gefühle, den Hass und Zorn, mit seinen Worten an Kerry in Einklang bringen, und das fiel ihm schwer.
"Schön, wenn meine Großmutter eure Reue für echt genug hält euch freizulassen, soll mir das auch genügen", sagte Anastorias gerade, doch seine Stimme klang kühl. Helluin ließ den Blick über die versammelten Elben schweifen. "Wohin geht ihr?", fragte er, doch Oronêl schüttelte den Kopf. "Das ist für dich nicht von Belang", erwiderte er, sich der Tatsache wohl bewusst, dass dies die ersten Worte waren, die er seit den Geschehnissen am Waldrand an Helluin richtete.
"Nein, wirklich nicht...", meinte Helluin langsam. "Wenn ihr gegen Sarumans oder Saurons Diener auszieht... dann würde ich euch gerne begleiten."
Oronêl blinzelte ein paar mal rasch hintereinander, und brauchte einen Augenblick um das gerade gehörte zu verarbeiten. Den übrigen Anwesenden schien es ähnlich zu gehen. Anastorias zeigte die geringste Reaktion, nur etwas Überraschung. Kerry schien vollständig überrumpelt und geschockt, als hätten Helluins Worte ihre sämtlichen Pläne zum Einsturz gebracht, während Elea fassungslos den Kopf schüttelte.
"Helluin, mein Sohn..." sagte sie so leise, das Oronêl es nur aufgrund seiner Elbenohren verstehen konnte. "Du kannst nicht... wieso willst du schon fortgehen? Noch dazu dich schon wieder in Gefahr begeben?"
"Ich... kann nicht anders", erwiderte Helluin ebenso leise, und blickte erwartungsvoll zu Oronêl und Anastorias. Letzterer ergriff Oronêls Schulter, und zog ihn ein paar Schritte zur Seite. "Ich weiß nicht, was ich tun soll", gestand er leise. "Normalerweise würde ich freiwillig angebotene Hilfe niemals ablehnen, doch in diesem Fall... Und mir ist nicht entgangen, dass die Situation zwischen ihm und dir ein wenig komplizierter zu sein scheint. Also solltest du entscheiden."
Oronêl presste die Lippen aufeinander, und zögerte. Er wollte Helluin nicht dabei haben, er wollte sein Gesicht nicht sehen. Und doch... welche Bedeutung hatte seine Aussprache mit Kerry gehabt, wenn er nicht in der Lage war, Helluin eine Gelegenheit zu geben, seine Reue zu beweisen, wenn dieser es schon freiwillig anbot?
"Wenn du seine Hilfe annehmen willst... werde ich mich nicht in den Weg stellen", antwortete er schließlich ein wenig unwillig.
Anastorias blickte ihn aufmerksam an. "Bist du sicher?" Oronêl atmete tief durch, und nickte dann.

Als sie zu der kleinen Gruppe Menschen zurückgekehrt waren, redeten Kerry und Elea gerade beide auf Helluin ein und wollten ihn offenbar dazu bewegen, nicht zu gehen. Anastorias bereitete dem ein Ende, indem er an Helluin gerichtet sagte: "Ihr dürft mit uns kommen. Doch eines... wenn sich zeigt, dass eure Treue vielleicht noch immer unseren Feinden gehört und eure Reue vorgetäuscht ist, ist euer Leben verwirkt."
Helluin, der noch immer sehr blass war, schluckte sichtlich, aber nickte. "Ich würde nichts anderes erwarten."
"Ihr werdet eine Waffe brauchen", meinte Anastorias. "Unbewaffnet werdet ihr keine Hilfe darstellen. Vielleicht..." Bevor er aussprechen konnte, hob Oronêl die Hand. Ihm war ein Gedanke gekommen, der ihm nicht sonderlich gefiel, doch er spürte, dass es der richtige Weg war. Er wandte sich an Elea. "Das Schwert, das ich dir in Imladris gab - würdest du es mir für einen Augenblick zurückgeben?"
Elea wirkte verwirrt, schnallte aber Amrûns Schwert ab und reichte es Oronêl. Er zog die Klinge mit einer Bewegung aus der Scheide, und richtete die Waffe auf Helluin. "Dieses Schwert gehörte meinem Freund Amrûn. Er fiel in Lórien, durch die Pfeile der Dúnedain wie ich hörte." Bei seinen Worten zuckte Helluin sichtlich zusammen, doch die Schuld in seinem Gesichtsausdruck verwandelte sich in Verwirrung als Oronêl das Schwert wieder in die Scheide stieß und ihm mit dem Griff voran entgegen streckte. "Nimm es", forderte er den jungen Dúndadan auf. "Nimm es und führe es gegen Sarumans und Saurons Schergen. Zeig mir, dass deine Reue echt ist, indem du Amrûns Kampf fortführst, denn deine Taten waren es, die sein Leben in Mittelerde beendeten."
Zögerlich nahm Helluin das Schwert entgegen. Seine Hand zitterte sichtlich, und schließlich blickte er Oronêl ins Gesicht. "Oronêl, ich..."
Oronêl unterbrach ihn. "Ich will es nicht hören, nicht jetzt." Er blickte zu Kerry, deren Augen jetzt wieder strahlten, und allein dieser Anblick war das Ganze beinahe wert.
"Ich hoffe, du täuschst dich nicht." Sie schüttelte entschieden den Kopf. "Das tue ich nicht, da bin ich sicher." Sie griff Oronêl am Arm, und führte ihn wie zuvor Anastorias einige Schritte von der Gruppe weg.
"Hör mal... versprich mir, dass du auf Helluin aufpasst, wenn... wenn er auf eurer Seite bleibt."
"Du verlangst viel, Kerry", erwiderte Oronêl leise. "Sehr viel."
"Ich weiß!", erwiderte sie mit einem Hauch von Verzweiflung. "Aber... tu es meinetwegen. Und für Elea." Kerry deutete auf Helluins Mutter, die leise mit ihrem Sohn sprach und zutiefst besorgt wirkte. "Helluin ist ihr einziger Sohn, alles was ihr von ihrer Familie geblieben ist. Wenn er euch verrät, tu was immer du willst mit ihm, aber wenn nicht... bitte, Oronêl."
Oronêl atmete tief durch. "Schön. Ich werde versuchen dafür zu sorgen, dass er heil hierher zurückkehrt. Ich gebe kein Versprechen, aber ich werde es versuchen."
"Das genügt mir schon", erwiderte Kerry, und umarmte ihn rasch. "Und achte auch auf dich selbst und Anastorias", flüsterte sie ihm dabei ins Ohr. "Ich wünsche mir, dass ihr alle unbeschadet zurückkehrt."

Als Oronêl und Kerry zu den anderen zurückkehrten, klopfte Anastorias ihm auf die Schulter. "Also... bereit zum Aufbruch?" Oronêl nickte, und Helluin, der sich gerade aus einer letzten Umarmung seiner Mutter gelöst hatte, tat es ihm gleich.
"Sehr gut", meine Anastorias, und hob dann die Stimme, sodass seine Soldaten ihn hören konnten: "Manarîn! Wir brechen auf!"

Oronêl - Edrahil - Hilgorn -Narissa - Milva

Thorondor the Eagle

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Vor dem Arrest
« Antwort #39 am: 19. Mai 2021, 22:51 »
Helluin hatte all seinen Mut und seine Aufrichtigkeit gepackt um Oronêl entgegen zu treten, doch als er das Schwert jenes Elben in die Finger bekommen hatte den vielleicht er selbst getötet hatte, wich jegliche Standhaftigkeit aus ihm. Mit Müh und Not hielt er sich auf den Beinen als bereits Elea wieder zu ihm stürmte.

„Bist du wahnsinnig?“, wiederholte sie ihre Frage nochmals eindringlich „Du stürzt dich gleich wieder in die Schlacht? Mit Mitstreitern die dich verachten?“
Der Dúnadan fühlte sich noch immer wackelig auf den Beinen.
„Keiner wird auch nur irgendetwas auf dein Leben geben. Du hast keinen Wert für sie.“
Sein Unterkiefer schob sich leicht nach vorne und er kämpfte mit den Worten: „Da haben sie wohl recht.“
„Sag so etwas nicht. Das ist nicht wahr“, sie war sichtlich entrüstet „Was ist nur geschehen, dass du so von dir denkst? Gestern Abend noch… du bist wie ausgewechselt.“
Er antwortete ihr nicht. Im Augenwinkel sah er Kerry wieder näherkommen, sie hatte einige Worte mit Oronêl gewechselt. Respektvoll wie sie war, hielt sie ein wenig Abstand. Ihre Augen fixierten aber die beiden Dunedain.

„Du bist wertlos in ihren Augen. Zweifelsfrei werden sie dich in die erste Reihe stellen und als Schutzschild benutzen.“
Er blickte ihr in die Augen: „Wenn das für mich vorgesehen ist, dann werde ich mich dem stellen.“
Sie war fassungslos. Tränen liefen ihr über die Wangen: „Geh nicht Helluin, geh nicht mein Schatz“, flehte sie ihn an und umarmte ihn dabei. Er erwiderte nicht.
„Elea“, unterbrach sie nun Kerry leise. Sie hatte eine ernste Miene: „Das wird nicht geschehen. Oronêl hat es mir versprochen und du kennst ihn.“
„Oronêl hasst Helluin. Er verhöhnt ihn indem er ihm noch das Schwert seines gefallenen Freundes übergibt.“
„Ich kenne Oronêl und so etwas würde er niemals tun. Er hat mir versprochen auf ihn Acht zu geben“, beteuerte die Rohirrim.
„Nein, nein! Ich lasse dich nicht gehen“, sagte sie wieder an Helluin gewandt. Ihr Ton war der strenge Befehlston einer liebenden Mutter.
„Das ist meine Entscheidung, Mutter“, antwortete er und versuchte jegliche Unsicherheit zu überspielen. Innerlich war er etwas erleichtert, weil Kerry dem Elben das Versprechen abgerungen hatte obwohl es seine Situation nicht wesentlich verbesserte.
„Ich werde Finjas bitten dich zu begleiten.“
„Finjas?“, fragte Helluin überrascht.
„Ja. Er wird mit dir kommen und auf dich aufpassen.“
„Das würde mich sehr wundern.“

„Bitte“, rief Elea noch zu Oronêl und Anastorias und ging ein paar Schritte auf sie zu. Der junge Waldläufer hörte noch Worte wie: Wartet noch mit dem Aufbruch. Finjas wird euch…
Oronêl und Anastorias wirkten überrascht, nickten ihr allerdings immer wieder verständnisvoll zu.
Es dauerte nur einen kurzen Moment ehe sie sich wieder an ihren Sohn wandte: „Du wartest hier!“ befahl sie und duldete keine Widerrede.

„Ähm Helluin“, begann nun Kerry vorsichtig „Finjas und deine Mutter sind, wie soll ich sagen…“ Ihre Wangen röteten sich leicht. „Sie sind ein Paar.“
„Finjas?“, fragte Helluin irritiert. Diese Nachricht hatte ihm gerade noch gefehlt. Er kannte ihn von früher. Als er die Stammesführung übernahm war Finjas ein Widersacher von ihm. Der Konkurrent hatte Ambitionen seinen Platz einzunehmen, darum hatte Saruman ihm eine andere Aufgabe zugeteilt. Helluin war sich lange Zeit nicht sicher ob er überhaupt noch am Leben war.
„Das ist gerade sicher nicht leicht für dich“, unterbrach Kerry ihn zaghaft.
Innerlich schüttelte er jeglichen Gedanken von seiner Mutter und Finjas als Paar von sich ab: „Überrascht? Ja, aber es ist ihre Entscheidung.“
„So wie du deine getroffen hast?“, der Vorwurf in dieser Aussage war kaum zu überhören.
„Ich hoffe du kannst mich verstehen.“
Er sah ihr an, dass sie ihm unzählige Sachen an den Kopf werfen wollte, aber sie schluckte es hinunter: „Ich habe Angst, dass dir etwas geschieht. Wirf dein Leben nicht sorglos zur Seite, denn es gibt viele Menschen denen du sehr viel Wert bist auch wenn du das nicht erkennen kannst.“
Der junge Mann war gerührt von ihren Worten.
„Ich weiß nicht was ich sonst tun kann. Nirgendwo kann ich hin. Das Volk von Eregion kennt meine Vergangenheit zum Teil und sie hegen keinen Groll gegen mich. Ihnen wurde hier ein Neuanfang gewährt, vielleicht habe ich auch eine Chance darauf. Wenn auch nur eine winzig kleine.“
„Wenigstens weiß ich, dass du bei meiner Familie in guten Händen bist und dass sie jene beschützen die uns am nächsten stehen.“
Ach wie gerne würde ich jetzt hier bei Kerry bleiben, in ihren Armen in Frieden. Aber Friede gibt es nicht, nicht hier und nicht in mir. Kerry, meine Kerry.

Einige Elben aus der Kaserne in der Helluin inhaftiert war brachten ihm seine Ausrüstung. Er legte das Kettenhemd sowie die Lederrüstung an und schnallte den Gurt enger. Behutsam hängte er das Schwert an seinen Gurt und fragte sich, ob das Schwert überhaupt seiner Hand folgen würde oder ob es sich seinem ‚Feind‘ widersetzen würde. Er verwarf den Gedanken augenblicklich wieder, obwohl man bei einem Elbenschwert wohl nie ganz sicher sein konnte.

Zwischenzeitlich war auch Arwen und Magor, der Gesandte von Imladris, eingetroffen. Elea hatte sie auf der Suche nach Finjas gesehen und ihnen von der Abreise berichtet. Die Elbe sprach den Kriegern, allen voran ihrem treuen Freund Oronêl, den Segen ihres Volkes aus und beschwor den Schutz der Valar. Die Anmut und Würde die sie dabei hatte, stand jener ihres Vaters in nichts nach. Ihre Stimme war jedoch wesentlich weicher und klang leicht melodisch.
Oronêl und die anderen anwesenden Elben verneigten sich dankbar vor ihr, Helluin jedoch ging in die Knie. Mit einem gezielten Griff in sein Reisegepäck holte er ein verwahrlostes Päckchen heraus. Er legte es in seine flachen Hände und streckte es der Elbe entgegen.
„Für mich?“, fragte sie überrascht.
Dem Dúnadan entging der misstrauische Blick Oronêls nicht, als Helluin nickte.
„Mir wurde aufgetragen euch dies zu überreichen.“
Sie schaute ihn fragend an und öffnete das geheimnisvolle Präsent. Der sanfte Schein des Elendil-Steins erhellte ihr Gesicht.
„Das Elendilmir? Bringst du es zurück damit wir es verwahren?“ Offensichtlich wusste Arwen, dass Helluin es früher als Zeichen seiner Abstammung und seines Ranges trug. „Gerne werden wir oder besser gesagt mein Vater dies an uns nehmen um es zu bewahren.“
„Nein Arwen. Es ist eine Botschaft an euch von König Elessar.“
Perplex starrte sie den jungen Mann an.
„Als er es mir in Edoras wieder übergab, bat er mich euch mitzuteilen, dass der Abendstern und der Stern des Nordens in Imladris verweilen sollten, bis ihre Träger dort wieder vereint sein würden.“
„Du hast Aragorn gesehen?“, ihr blieb beinahe der Atem weg.
„Ja, ich traf auf ihn unmittelbar nachdem er aus der Gefangenschaft entflohen ist. Gemeinsam mit Gandalf, dem Prinzen von Dol Amroth und drei recht sonderbaren Gefährtinnen machte er sich auf den Weg zur Schwanenstadt.“ Mit einem Lächeln im Herzen dachte er an die kurze Bekanntschaft mit Aerien, Narissa und Irwyne. In ihrer Gruppe hatte er sich erstmalig wieder gut aufgehoben gefühlt.
„Aragorn lebt!“, Arwens Gesichtsausdruck quoll über vor Freude und Glück „Meine Vorahnungen… ich hatte also Recht.“ Sie viel ihm in die Arme und Helluin konnte sich nicht erinnern sie jemals so überschwänglich gesehen zu haben. „Es ist unglaublich. Wie steht es um ihn?“, fragte sie neugierig nach.
„Die Zeit im dunklen Turm hat ihre Spuren hinterlassen, aber Aragorn ist unbeugsam. In ihm ist die Stärke und der Mut Elendils wiedererwacht.“
Stolz war im Gesicht der Elbe zu erkennen: „Ich danke dir Helluin, von ganzem Herzen: Vielen Dank.“

In diesem Moment war auch Elea wieder auf dem kleinen Platz aufgetaucht. Finjas stand gleich hinter ihr. Helluin erkannte ihn augenblicklich wieder. Überwältigt von dem Gefühlsausbruch Arwens fand sie keine Worte. Ehe sie sich in der Situation zurechtfand, sammelte Helluin all seinen Mut und begann mit fester Stimme: „Mutter, ich werde alleine gehen. Finjas, ich danke dir für deine Bereitschaft uns zu begleiten, aber sie ist nicht notwendig.“
Oronêl war gerade dabei Luft zu schnappen und seine Befehle zu unterbinden als ihm Kerry den Ellenbogen leicht gegen die Hüfte stieß. Er beließ es bei einem Räuspern.
„Aber, Hellu…“, begann Elea.
„Lass es sein“, wurde sie von Finjas unterbrochen.
Der junge Dúnadan umarmte seine Mutter zum Abschied: „Mach dir keine Sorgen“, flüsterte er ihr ins Ohr. Danach wandte er sich zu Kerry. Er sah in ihre hoffnungsvollen Augen, sanfte legte er eine Hand auf ihre Schulter. Er wollte sie in die Arme schließen, schwenkte im letzten Moment aber sein Gesicht zu ihrem und gab ihr einen flüchtigen Kuss auf die Lippen. Sein Herz raste dabei und seine Hände schwitzten leicht. Zahlreiche Gedanken schossen ihm durch den Kopf, unter anderem Aéd oder den Schmerz abgewiesen zu werden. Eigentlich war er neugierig auf die Reaktion von ihr, aber er wagte nicht abzuwarten bis sie sich von dieser Überraschung erholte. Er drehte sich schleunigst zu Oronêl, der etwas verdutzt dreinschaute sich aber nicht dazu äußerte. Der Dúnadan nickte ihm zu und gab ihm so zu verstehen, dass er für den Aufbruch bereit ist.

Oronêl, Helluin und Anastorias mit dem Elbentrupp ins nördliche Eregion...
« Letzte Änderung: 21. Feb 2022, 23:08 von Fine »
1. Char Elea ist in Bree  -  2. Char Caelîf ist in Palisor

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Die Bedeutung von Eiden
« Antwort #40 am: 21. Mai 2021, 20:01 »
Es war das zweite Mal innerhalb weniger Tage, dass Kerry von jemandem auf den Mund geküsst wurde, und genau wie bei Adrienne vor Kurzem wandte sich nun auch Helluin rasch ab, ohne auf Kerrys Reaktion zu warten. Der Dúnadan trat zu Oronêls Gruppe, und die von Anastorias angeführten Manarîn setzten sich in Bewegung, durch das Nordtor der Stadt auf die Ebenen hinaus. Schon bald waren sie nur noch als kleine Punkte am Horizont zu sehen. Da endlich regte sich Kerry, als sie Eleas Hand sanft auf ihrer Schulter spürte. Helluins Mutter sprach kein Wort, doch Kerry wusste genau, weshalb Elea sie berührte. Sie drehte sich mit hochrotem Kopf um und nahm die Dúnadan in den Arm, legte ihren Kopf auf Eleas Schulter und hielt sie einfach eine Weile fest. Es war ein schönes Gefühl.

Schließlich war es Finjas, der sich räusperte. Elea ließ Kerry los und nahm stattdessen ihre Hände. Ihr Gesichtsausdruck war für Kerry schwer zu deuten. Sie sah dort dieselbe Sorge um Helluin, die Kerry selbst ebenfalls empfand, nur um ein Vielfaches gesteigert. Doch sie sah auch Freude und eine Art wissendes Lächeln, das für einen Augenblick über Eleas Gesicht huschte. Noch immer sagte die Dúnadan nichts, sondern hielt einfach nur Kerrys Hände. In diesem Augenblick fühlte Kerry sich ihr so sehr verbunden wie noch nie zuvor.
"Er wird zurückkehren," kam es dann endlich, wenn auch leise, von Elea.
"Natürlich wird er das," bekräftigte Kerry. "Oronêl wird auf ihn Acht geben."
Finjas brummte etwas vor sich hin, was Kerry erst im zweiten Moment verstand. Sie sah, wie der Waldläufer auf Arwen deutete, die ganz in ihrer Nähe stand und noch immer den Gegenstand in den Händen hielt, den Helluin ihr gegeben hatte, wie Kerry beobachtet hatte. Sie kam vorsichtig näher, gefolgt von Elea.
"Ist dies..." begann Elea staunend.
"Der Elendilmir des Nordens," sagte Arwen ehrfürchtig. "Und zwar der ursprüngliche Stein, der einst Isildurs Haupt zierte, ehe er verloren ging." Sie hielt eine Art dünnen, silbernen Reif hoch, sodass Kerry ihn genauer betrachten konnte. An der Stirnseite war ein weißer, leuchtender Edelstein eingefasst worden, der von kunstvollen Elbenrunen umgegen war.
"Ich habe so etwas schon einmal gesehen," sagte Kerry nachdenklich. "In Fornost. Der Anführer des Sternenbundes trug einen ähnlichen Reif..."
"Das war Valandils Reif," sagte Elea. "Er war von den Schmieden Bruchtals angefertigt worden, nachdem er ursprüngliche Reif, ein Erbstück aus Westernis, verloren ging. Wie ist nur dieser Stein wiedergefunden worden?"
Finjas rührte sich. "Der Zauberer steckt dahinter," sagte er knapp. "Er gab ihn deinem Sohn, nachdem er ihn zu unserem Anführer gemacht hatte."
"Dann war es also Saruman, der den Reif aus den Schwertelfeldern bergen ließ," meinte Arwen nachdenklich. "Und nun bringt ihn das Schicksal zu mir... mit dem Wind der Hoffnung. Dass Aragorn noch am Leben sein würde... ich hatte es all die Jahre nicht ausgeschlossen, aber... es war nur der Funke der Hoffnung."
"Nun ist daraus ein Leuchtfeuer geworden," sagte Elea gerührt.
Arwen nickte und auch sie schien den Tränen nahe zu sein, was Kerry von ihr kaum erwartet hätte. "Ja, so kann man es sagen," murmelte sie und erklärte Kerry: "Helluin hat ihn getroffen, in Rohan... und er ließ mir den Elendil-Stein bringen, als Zeichen der Hoffnung. Er ist in Dol Amroth, in Gondor..."

Elea und Arwen schienen noch mehr darüber sprechen zu wollen, doch sie wurden von dem lauten Geräusch marschierender Schritte unterbrochen, das immer näher kam. Auf der Straße außerhalb der Stadt erschien eine lange Reihe von Soldaten, die in Reih und Glied durch das Tor in die Stadt strömten. Rufe wurden unter den zusehenden Elben laut.
"Die Kronprinzessin ist zurück!"
"Feldherr Mathans Vorstoß zur Rettung von Rómen Tirion war ein Erfolg!"
Und tatsächlich konnte Kerry unter den vielen Soldaten Faelivrins Tochter Isanasca entdecken. So kehrten die Krieger, die zur belagerten Festung an der Ostgrenze ausgesandt worden waren, nach einer siegreichen, wenn auch verlustreichen Schlacht zur Hauptstadt zurück.
Ganz am Ende des Zuges kam Mathan selbst, inmitten einer Gruppe von Zwergen und Menschen. Inmitten der Gruppe fiel Kerry eine rothaarige Frau in ihrem Alter auf auf, die sich nahe bei Mathan zu halten schien. Als dieser Kerry sah, blieb er stehen und lächelte, auch wenn er dabei etwas müde wirkte. Es war das erste richtige Wiedersehen der beiden seit ihrer Trennung inmitten des Düsterwaldes. Die Frau folgte ihm einen Schritt, dann blieb sie zurück und schloss sich wieder dem Rest der Menschen inmitten des Heerzugs an. Kerry löste sich von Elea und ging zu Mathan hinüber,
"Du bist zurück," stellte sie unnötigerweise fest, dabei bemerkte sie, dass ihre Stimme ein wenig zitterte. "Wie... wie ist es dir ergangen?"
Mathan sagte erst einmal nichts. Er nahm sie fest in den Arm. Und obwohl er sich Zeit für die Begrüßung zu nehmen schien, spürte Kerry doch, dass ein Teil ihres Adoptivvaters unter Zeitdruck zu stehen schien. "Es ist... viel geschehen. Sowohl Gutes wie auch Böses. Ich erzähle es dir unterwegs, Ténawen," sagte Mathan leise. "Wir sollten uns auf den Weg zum Palast machen."

So geschah es. Kerry verabschiedete sich von Arwen und Elea und ging mit Mathan durch die Straßen von Ost-in-Edhil. Sie nahmen eine Abkürzung durch die kleineren Gassen, die für die heimkehrende Streitmacht zu groß waren und kamen so gleichzeitig mit Isanasca am Palast an. Unterwegs fasste Mathan für Kerry so gut es ging zunächst seine erstaunliche Reise zur Festung seiner Mutter im Hohen Norden und anschließend die Ereignisse rings um Rómen Tirion zusammen. Kerry konnte es kaum glauben, als ihr Adoptivvater davon berichtete, was er alles erlebt hatte, sowohl im Norden als auch nach seiner Rückkehr nach Eregion. Doch hauptsächlich war sie froh, dass es sowohl Mathan als auch Isanasca gut ging und dass die Rettungsmission, zu der Faelivrin ihren Vater ausgesandt hatte, ein Erfolg gewesen war.
Im Thronsaal angekommen gab es ein Wiedersehen mit der Königin, die ihre Tochter sichtlich erleichtert umarmte, dann aber einen vollständigen Bericht der Ereignisse einforderte. Kerry blieb an Mathans Seite, während unterschiedliche Kommandanten der Elben von den Geschehnissen und der Schlacht um Rómen Tirion berichteten. Als inoffizielles Mitglied der königlichen Familie war es Kerry gestattet, dabei anwesend zu sein, aber das meiste, was sie hörte, nahm sie nur am Rande wahr. Sie war in Gedanken bereits wieder bei Helluin und dem Kuss angelangt und überlegte hin und her, ob sie es Mathan erzählen sollte. Sie konnte nicht einschätzen, wie er darauf reagieren würde. Letzten Endes entschied sie sich, auf einen besseren Augenblick zu warten, immerhin kam Mathan gerade aus einer anstrengenden Schlacht heim und würde sicherlich erst einmal seine hochschwangere Frau sehen wollen.

Kerrys Vermutung erwies sich als richtig. Nachdem die Berichterstattung abgeschlossen worden war, entschuldigte sich Mathan, um zu Halarîns Unterkunft aufzubrechen. Auch die meisten anderen Elben verließen den Thronsaal wieder, bis nur noch Faelivrin, Isanasca und Kerry dort waren.
"Wären die Avari der übrigen Stämme an unserer Seite gewesen, wärest du gar nicht erst so in Bedrängnis geraten," sagte Faelivrin leise zu ihrer Tochter und Erbin. "Es ist frustrierend, immer nur Ablehnung von ihnen zu spüren zu bekommen."
Kerry näherte sich den beiden vorsichtig. "Haben die Elben nicht alle ein gemeinsames Ziel hier in Eregion? Dieses Land wieder aufzubauen und zu einer sicheren Heimat zu machen?" fragt sie.
"Man sollte es meinen," sagte Isanasca. "Das ist jedenfalls der Grund, weshalb wir alle hier sind."
"Wäre es vielleicht hilfreich, dieses gemeinsame Ziel irgendwie... sichtlicher hervorzuheben? In einer Art Proklamation, oder einem Schwur?" fragte Kerry. "In meiner Heimat Rohan gibt es die Geschichte über König Eorl, der die Rohirrim in die Riddermark führte. Er schloss ein Bündnis mit dem Truchsess von Gondor und schwor Eorls Eid, zur Besiegelung dieses Bundes. Seitdem sind Gondor und Rohan enge Verbündete und haben einander zahllose Male im Krieg unterstützt. Vielleicht... wäre ein ähnlicher Schwur für die verstreuten Stämme genau das Richtige, um sie zu vereinen?"
"Eide sind sehr mächtig und bindend," sagte Faelivrin nachdenklich. "Sie dürfen niemals leichthin geschworen werden. Ein Eidbrecher ist verflucht auf ewig."
"Und auf wen oder was sollten die Avari schwören?" fragte Isanasca. "Sie haben keinen gemeinsamen Anführer, und sie wollen Mutter nicht folgen."
Darauf wusste Kerry keine direkte Antwort. "Der Krieg bedroht uns alle," sagte sie daher. "Vielleicht ist das das Argument, das sie dazu bringen wird, sich gegen die Orks zu vereinen..."
"Wir werden es sehen. Der Vorschlag, sie einen Eid schwören zu lassen... ist nicht ganz abwegig. Ich werde es mir gut überlegen," sagte Faelivrin. "Schwester, ich hätte noch eine andere Frage an dich. Erinnerst du dich an meine Gardistin, Asea?"
"Ja," bestätigte Kerry etwas überrascht. "Ich sah sie erst vor Kurzem, sie war gemeinsam mit Anastorias unterwegs."
Mutter und Tochter blickten sie erstaunt an. "Ach, ist das so?" fragte Isanasca und lächelte versonnen.
"Dann hat sich meine Frage erledigt," meinte Faelivrin geheimnisvoll. "Vermutlich wird sie mit dem Stoßtrupp nach Norden gegangen sein."
Kerry fiel etwas anderes ein, als sie an Anastorias denken musste. "Er hat... mir in Mithlond erzählt, dass... ich ihn an jemand erinnere. An..."
"Alasindowen," sagte Isanasca leise. "Ja. Es ist uns allen gleich aufgefallen, als wir dich zum ersten Mal sahen. Für einige ist es noch immer nicht leicht, nicht sofort an jene, die verloren ging zu denken, wenn sie dich erblicken."
"Erzählt ihr mir, was damals wirklich geschehen ist?" wollte Kerry zaghaft wissen.
Faelivrin schaute ihre Tochter an. "Nur zu," sagte sie dann und trat ein paar Schritte weg. "Ich gebe euch den Freiraum, ich wollte ohnehin nach meiner Schreiberin sehen."
Isanasca führte Kerry dann aus dem Thronsaal heraus, in ein kleineres Nebenzimmer, das ein breites Fenster als Rückwand besaß. Man konnte die friedlich wirkenden Straßen Ost-in-Edhils hindurch sehen. Die Prinzessin der Manarîn nahm in einem der hölzernen Stühle Platz, die nahe des Fensters standen und bot Kerry an, es ihr gleichzutun und sich ihr gegenüber zu setzen. Dann begann sie zu erzählen...
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Vom Herrn der Wasser
« Antwort #41 am: 3. Nov 2021, 19:35 »
Kerry erfuhr nun in aller Ausführlichkeit von der Flutkatastrophe, die das Seereich der Manarîn zerstört hatte. Wie bereits Jahrzehnte zuvor die ersten Vorzeichen bemerkt und interpretiert worden waren. Wie die Königin mithilfe ihres Gemahls Finuor einen Versuch nach dem anderen unternommen hatte, das drohende Verderben noch aufzuhalten. Wie schließlich die größte Elbenflotte die die Welt seit Jahrhunderten gesehen hatte, gerüstet worden war, als es keinen Ausweg als die Flucht nach Mittelerde mehr gab. Wie die Verwüstung dann schneller als erwartet eingetreten und viele mit sich gerissen hatte... darunter auch Alasindowen, eine Elbenmaid von edler Abstammung, die die Geliebte des Anastorias gewesen war.
"Du bist ihr wie aus dem Gesicht geschnitten," sagte Isanasca und schaute Kerry in die Augen. "Eure Persönlichkeiten könnten allerdings kaum unterschiedlicher sein. Wo du oft etwas hastig oder gar stürmisch sein kannst, war Alasindowen besonnen und ließ nichts überstürzen. Dennoch umgibt dich eine ähnliche Aura wie sie, ihr seid beide in der Lage, für eine wohltuende Stimmung im Raum zu sorgen, wenn ich das so sagen darf."
Kerry wusste nicht recht, ob Isanasca ihr damit ein Kompliment machen wollte, weshalb sie erst einmal nur nickte, ohne zu antworten. Sie war tief betrübt von der Geschichte der Manarîn und dem Leid, das die Elben erlitten hatten. Es war schlimm genug, die eigene Heimat verlassen zu müssen, so wie es Oronêl ergangen war. Doch im Gegensatz zu den Inseln der Manarîn existierte der Goldene Wald noch, und die Elben Lothlóriens hatten zum Großteil nach Lindon übersiedeln können. Eine Rückkehr war für sie also nicht ausgeschlossen, wenn auch im Augenblick ziemlich unwahrscheinlich. Das Seereich von Königin Faelivrin hingegen war fort, getilgt vom Antlitz der Welt.
"Wir wissen nicht, ob wir den Zorn des Herrn der Wasser auf uns gezogen haben, oder ob Úlanno - so nennen wir ihn - nichts damit zu tun hatte,"  erzählte Isanasca gerade weiter. "Doch viele der Manarîn sind seinetwegen verbittert und sein Name wird unter unserem Volk nicht mehr in den hohen Ehren gehalten, die ihm einst zuteil kamen, als wir noch auf unseren Inseln lebten. Manche fühlen sich im Stich gelassen. Sind nicht alle Wasser und alle Meere seinem Willen untertan? So lehrten es uns unsere Vorväter, und so haben wir es unseren Kindern beigebracht."
"Du meinst..." sagte Kerry etwas angestrengt, sie hatte Mühe, Isanascas Ausführungen zu folgen. "...dass dieser Herr des Wassers die Katastrophe hätte verhindern müssen, wenn er, ähm.... wenn er doch die Meere beherrschen kann?"
Isanasca nickte. "So sehen es viele unter den Manarîn. Und es ist auch einer der Gründe, warum es bislang keine Pläne gibt, hier in Eregion einen Schrein für Úlanno zu errichten."

Kerry sah Isanasca an, als diese die Schultern hob. Sie wirkte, als trüge sie eine innere Anstrengung in sich. Die Unterhaltung der beiden kam für einige Minuten zum Erliegen, ehe Kerry Isanasca schließlich bat, ihr von den Ereignissen an der Ostgrenze zu erzählen. So hörte sie mit großer Sorge von den Angriffen aus dem Gebirge und der Tatsache, dass Eregion nun tatsächlich angegriffen wurde. Das Reich der Manarîn befand sich im Krieg, und die Hauptstadt wurde auf eine Schlacht vorbereitet.
"Und du bist wirklich auf einem Löwen geritten?" fragte Kerry, als sie diesen Teil der Geschichte gehört hatte. "Es sind heute schon eine Menge seltsamer Dinge passiert, aber das übertrifft einfach alles."
Isanasca brachte ein verschmitztes Lächeln zustande. "Ich hätte nicht gedacht, dass jemand aus dem Land der Pferde überhaupt weiß, was ein Löwe ist," neckte sie Kerry und stupste ihr mit dem Zeigefinger gegen die Nase.
Kerry packte zu und hielt den Finger fest. "Ich bin nicht so unwissend wie ich vielleicht aussehe," sagte sie und ihre Augen blitzten für einen Moment auf. "Mein Onkel hat mir viele Geschichten erzählt, er kannte sich mit allerlei fremdartigen Dingen aus. Löwen sind wunderschöne, mächtige Tiere, die den Körper einer Katze haben, aber groß wie ein Pferd sind. Und das Erkennungszeichen eines Löwens ist seine goldene Mähne."
Isanasca zog ihren Finger zurück und nickte anerkennend. "Löwen sind in diesem Teil Mittelerdes nicht heimisch, sie leben weit im Süden. Es muss unseren Feind viele Mühen gekostet haben, sie bis an die Grenzen Eregions zu schaffen."
Kerry nickte und versuchte sich vorzustellen, wie es wohl dazu gekommen sein könnte. Aber ihr fiel keine klare Antwort ein. Ehe sie noch länger darüber nachdenken konnte, sprach Isanasca weiter.
"Du hast angedeutet, dass heute bereits einige andere seltsame Dinge geschehen sind," sagte sie und beugte sich leicht vor. "Was habe ich verpasst?"
"Oh, ähm, das..." stammelte Kerry, überrascht und verlegen. Sie wurde rot. "Das... das war so..." Zuerst zaghaft, dann etwas beschwingter, erzählte sie Isanasca davon, was ihr mit Adrienne und Helluin geschehen war.
"Bei den Sternen," sagte Isanasca und musste leise lachen. "Jetzt wird mir einiges klar. Ich hatte schon von Beginn unserer Unterhaltung geespürt, dass dich etwas umtreibt, tief im Herzen. Nun weiß ich, was ich bei dir wahrgenommen habe. Gräme dich nicht - dass du davon überfordert bist, ist nicht deine Schuld. Vielen anderen wäre es ganz genauso ergangen. Dies sind ohnehin seltsame Zeiten..."
"Und was rätst du mir nun?" wollte Kerry prompt wissen.
Isancasca hielt einen Augenblick inne. "Ich denke... du solltest auf dein Herz hören."
Das war nicht das, was Kerry sich erhofft hatte. Sie hatte sich gewünscht, dass Isanasca ihr die Entscheidung abnahm oder ihr zumindest einen klaren Hinweis gab, wie sie nun mit der Situation umzugehen hatte. Die Enttäuschung war ihr gut anzusehen, denn Isanasca stand auf und legte die Arme um sie.
"Ich weiß nicht, wie das geht," sagte Kerry undeutlich. "Auf mein Herz zu hören, meine ich. Zumindest jetzt weiß ich es nicht. Es ist... alles so undeutlich, so widersprüchlich... dort drinnen."
"Es wird mit der Zeit alles deutlicher werden," sagte Isanasca tröstlich. "Der junge Dúnadan, der es dir angetan hat... er ist gegangen, nicht wahr? Und deine Freundin, die Schülerin Mathans, wird nun einige - oder viele - Tage der Ruhe benötigen. Du hast etwas Zeit, um deine Gedanken zu ordnen. Denn dies war die Bedeutung meines Rates: Höre auf dein Herz, aber gib ihm Zeit, die Geschehnisse einzuordnen, verstehst du? Und noch eines möchte ich dir raten. Du hast deine Familie, die dir mit Rat und Tat zur Seite stehen wird, und du bist von Freunden umgeben. Lass sie teilhaben an den Dingen, die dich beschäftigen, so wie du mich teilhaben ließest. Ich denke... du wirst deinen Weg gehen, Ténawen. Ganz egal wie schwer er werden wird. Du hast schon viel durchgestanden, und bist weit gereist. Und immer hattest du gute Freunde an deiner Seite, nicht wahr? Sie werden dich nicht im Stich lassen."
Kerry sagte nichts, doch sie verspürte große Dankbarkeit. Sie hatte das Gefühl, dass Isanasca gar nicht unbedingt eine Antwort von ihr hören wollte. Sie nahm war, oder glaubte zu spüren, dass die Elbin ihr die Gedanken im Gesicht lesen konnte.

Sie sprachen noch eine Weile miteinander, über unbeschwertere Themen. Schließlich wurde es Zeit für Kerry, sich zu verabschieden. Sie umarmte Isanasca und machte sich dann auf den Weg zum Ausgang des Palastes. Es war Abend geworden, und die orangene Sonne tauchte die Elbenstadt in ein melancholisches Licht, als Kerry die Stufen des Palastes hinabging. Die Gardisten nickten ihr freundlich zu, als sie an ihnen vorbeikam. Unten auf dem Vorplatz blieb sie einen Augenblick stehen, um sich zu orientieren. Da sprach sie mit einem Mal eine Stimme von links an.
"He, Kerry, hier drüben!"
Kerry wandte sich um und entdeckte Pippin, der auf einem Mäuerchen saß und ihr zuwinkte. Sie eilte zu ihm hinüber.
"Was machst du denn da?" wollte Kerry verwundert wissen. Ihr war nicht entgangen, dass der Hobbit einige interessierte Blicke der Elben auf sich zog, andere ihn aber auch mit einem gewissen Stirnrunzeln betrachteten.
"Nun, um ehrlich zu sein, wollte ich eigentlich längst auf dem Weg nach Rohan sein," sagte Pippin. "Aber die Elben sagen, dass der Weg nach Süden nicht sicher ist, solange Krieg droht. Das Ganze erinnert mich an eine ähnliche Situation, in der ich schon einmal war. Gandalf und ich saßen in einer Stadt fest, die mir fremd war - und deren Einwohner noch nie einen Hobbit gesehen hatten - und mussten darauf warten, bis der Krieg uns einholt. Nicht gerade angenehm, wenn du mich fragst."
Kerry bekam ein schlechtes Gewissen. Immerhin war es mehr oder weniger ihre Schuld, dass Pippin hier war. "Tut mir Leid," sagte sie und schaute zu Boden.
"Ach, du brauchst dich nicht zu entschuldigen," sagte Pippin leichthin. "Ich habe das Gefühl, dass diese Elben hier mit allem fertig werden können, was da kommen mag. Ich habe den Gardisten eine Weile bei ihren Übungen zugesehen. So etwas sieht man nicht alle Tage, das kannst du mir glauben!" Er nickte bekräftigend. "Zwar ist Gandalf nicht hier - wer weiß wo er sich diesmal herumtreibt - aber ich glaube, du wirst als sein Ersatz schon ausreichen."
"W-wie meinst du das?" stammelte Kerry, die nun befürchtete, sie müsste Pippin mit irgendwelchen Zaubertricks bei Laune halten.
Der Hobbit lachte. "Du solltest dein Gesicht sehen! Da fühle ich mich schon mindestens zur Hälfte dafür entschädigt, dass du mich hierher geschleppt und dann einfach vergessen hast. Aber keine Sorge. Alles was du tun musst, ist mir ein wenig davon zu erzählen, was hier so vor sich geht. Und mir Gesellschaft leisten, von Zeit zu Zeit. Komm, ich habe auf meinen Streifzügen durch die Stadt herausgefunden, wo die Elbenbrote gebacken werden, die die Gardisten als Wegzehrung bekommen, wenn sie die Stadttore nach draußen passieren. Hast du schon einmal davon probiert? Diese Elben scheinen ja irgendwie recht viel von dir zu halten, sicherlich kannst du dafür sorgen, dass dieser Hobbit hier heute Abend ein nettes Nachtmahl bekommt? Und falls nicht, benutzen wir dich eben als Ablenkung, während ich... nun, einige der Brote an... einen besseren Ort bringe. Komm, gehen wir!"
Kerry war von Pippins Gerede ziemlich überrumpelt worden, und ehe sie es sich versah, befand sie sich auch schon auf einem langen Spaziergang mit dem Hobbit, der sie quer durch Ost-in-Edhil führen sollte...
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Curanthor

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Re: Ost-in-Edhil
« Antwort #42 am: 4. Nov 2021, 19:15 »
Es war still in dem Palast, offenbar gönnten sich die Elben gerade eine Pause. Mathans Schritte verlangsamten sich, als er in den langen Korridor einbog, wo Halarîns und sein Zimmer lag. Sein Blick hing an der hohen Decke und ein Anflug von Melancholie überkam ihn. Er fühlte sich in der Zeit zurückversetzt, als er noch ein Heranwachsender gewesen war. Damals war er auch immer durch die langen Korridore in dem Palast gelaufen, um zu den Gemächern zu gelangen, in denen seinen Eltern und er gewohnt hatten. Sein Herz wurde schwer. Hätte er damals gewusst, was seine Mutter für eine Last trug, hätte er sich mehr dafür eingesetzt, dass sie zusammen blieben, sie alle drei. Er seufzte und vertrieb die Geister der Vergangenheit mit einem leichten Kopfschütteln. Seine Hand legte sich auf den kühlen Griff der Tür zu ihren Gemächern. Vorsichtig öffnete er. Im Inneren des Raumes strahlte in Halarîn geradezu entgegen. Sie saß mit einigen Kissen gestützt halbwegs aufrecht im Bett und hatte wieder etwas mehr Farbe im Gesicht.
"Ich wusste, dass du zu mir zurückkommst", begrüßte sie ihn mit einem Lächeln, „Das tust du immer."
Sie mussten keine Wörter wechseln. Sie wusste, dass er Erfolg gehabt hatte. Er erwiderte ihr Lächeln, trat zur ihr ans Bett und umfasste ihre dargebotene Hand. Er küsste sanft ihren Handrücken, dann legte sie seine Hand auf ihren runden Bauch. Mathan spürte die Wärme, die von ihr ausging, dann ein kleines Stupsen. Sein Lächeln wurde breiter. Es war ein kräftiger Tritt gewesen, ein Zweiter folge. Sie verweilten so einige Momente.

"Es ist unruhig", stellte er nach einer Weile fest und küsste Halarîn auf die Lippen, "Du hältst dich gut."
Sie lächelte schelmisch. "Ich bin ja auch nicht krank."
"Ich weiß... nur..." Er druckste etwas herum und sagte schließlich etwas leiser: "Du warst deutlich schwächer, als ich fortging."
Halarîns Gesicht verfinsterte sich für einen Augenblick. Mathan nahm seine Hand von ihrem Bauch und setzte sich neben ihr auf die Bettkante. Er spürte, dass ihr etwas auf dem Herzen lag. Er gab ihr Zeit, die richtigen Worte zu finden.
"Es ist das Böse, das sich im Schatten bewegt", sagte Halarîn schließlich und ihr bisher leuchtendes Gesicht wurde endgültig finster, "Ich spüre, wie es an mir nagt und zieht. Als du fort warst, war es besonders schlimm." Eine kurze, schwer lastende Pause folgten. "Es war, als ob sich eine dunkle Woge über das Land ergoss…" Ihre Stimme war fast nur ein Flüstern, "Ich kann es sehen, wenn ich die Augen schließe... Hier und da brandeten Felsen in der Dunkelheit auf. Leuchtende Fackeln, die dem Sturm trotzen." Ihre Pupillen nahmen einen silbernen Schein an, "Sterne im Schatten, die ihr trübes Licht auf das Land werfen. Bereit, ihr ganze Macht zu entfalten, warten sie..." Sie atmete tief ein, ihr Atem stockte. "Warten auf-"
Er ergriff vorsichtig ihre Hand. "Amandis", sagte er dabei sanft.
Der Glanz in ihren Augen erlosch. Sie schloss die Lider und atmete noch einmal tief ein und aus. "Nein, Marillindo, das ist noch nicht genug." Ein entschlossener Ausdruck trat auf ihrem Gesicht, ihre Lippen verkniffen sich. Sie öffnete die Augenlider erneut, das Silber nahm nun das Weiße in ihre Augen komplett ein. "Dort ist ein Leuchten, jenseits der Schatten im Osten. Es kommt näher. Und ein paar andere Lichter. Sie kommen hier her." Erneut stockte ihr Atem, diesmal blieb ihr für einige Herzschläge die Luft weg.
Mathan hatte genug und packte Halarîn an den Schultern. Sie blinzelte mehrmals und der Silberglanz erlosch. "Ich möchte nicht, dass du das noch einmal tust", sagte er vorwurfsvoll, "Nicht, solange du ein Kind unter dem Herzen trägst."
Halarîn sagte nichts, ihre Augenbrauen zog sie jedoch verärgert zusammen und senkte schuldbewusst den Kopf. "Es fing erst vor ein paar Tagen an...", sagte sie mit einer Mischung aus Ärger und Rechtfertigung, "Ich dachte, dass es uns helfen kann."
Mathan verstand ihre Beweggründe, fühlte sich aber nicht dabei wohl. Die Gabe zu Sehen war nichts, was man in ihrem Zustand leichtfertig nutzen sollte. Dies sagte er ihr auch und verwies auf Ivyn, die wohl bestimmt auch davor gewarnt hatte. Halarîn nickte zerknirscht und ließ sich tiefer ins Bett rutschen. Dabei murmelte, dass sie nicht so hilf- und nutzlos herumliegen wollte, die ganze Zeit beschützt zu werden passte nicht zu ihr. Mathan musste wieder lächeln und legte ihr eine Hand auf den Kopf.
"So wie es aussieht, dauert es nicht mehr lang", sagte er beruhigend.
"Ja...", stimmte sie in einem nachdenklichen Tonfall leise zu, "Ich... möchte noch etwas schlafen... Vielleicht solltest du nach Adrienne sehen."
Ein ungutes Gefühl beschlich Mathan, doch Halarîn hatte bereits die Augen geschlossen und atmete in tiefen Zügen. Vorsichtig erhob er sich und verließ ihr gemeinsames Zimmer. Ein letzter Blick auf die friedlich schlafende Elbe, dann schloss er leise die Tür.

Auf dem Korridor wollte er sich an den Kopf fassen, weil er noch so viele Dinge zu erledigen hatte, doch ein gerüsteter Gardist der Manarîn wartete dort auf ihn. Der Elb begrüßte ihn mit einer raschen Verneigung, die Mathan mit einem knappen Nicken erwiderte. Er informierte ihn, dass sein Vater ihn gerne sprechen würde, sobald es möglich war, außerdem sprach er eine Einladung der Königin aus, bei dem anstehenden Fürstenrat am Abend teilzunehmen. Der Elb verneigte sich noch einmal knapp und eilte davon, blieb aber dann noch einmal stehen und sagte: "Ach und... eine gewisse Valena wartet auf Euch in der Eingangshalle, zusammen mit einigen Zwergen aus den Roten Bergen."
Mathan zögerte, brummte dann aber zustimmend. Das Gespräch mit seinem Vater hatte er schon länger im Kopf, vor allem nachdem, was er bei seiner Mutter erlebt hatte. Im Gedanken versunken hörte er, wie sich die Schritte des Boten entfernten. Mathan selbst ging nur langsam in Richtung Eingangshalle. Das ungute Gefühl bei Adrienne wollte nicht weichen und er beschloss, so bald es ging sich nach ihr zu erkundigen. Sein Gefühl sagte ihm, dass irgendwas nicht stimmte. Er atmete durch und beschloss alles der Reihe nach anzugehen. Das Gespräch mit seinem Vater musste noch ein klein wenig warten. Zuerst sollte er sich um Valena kümmern - und um die drei Zwerge. Danach wollte er mit seiner Tochter sprechen und sich über das, was in seiner Abwesenheit geschehen war zu informieren. Grübelnd, was das wohl sein könnte, trat er in die große Eingangshalle.

Valena wartete nahe einer Wand an einer Bank und ging rastlos auf und ab. Sie trug einen elbischen Mantel über ihren eher schäbigen Kleid und schien sich unwohl zu fühlen, was er an ihren hochgezogenen Schultern bemerkte. Die drei Zwerge saßen hingegen auf der Bank und diskutierten mit dem schwer gerüsteten Elben, dessen spitz zulaufender Helm mit einem dunkelblauen Schweif Rosshaar geschmückt war. Der wallende, schwarze Mantel war mit dem königlichen Siegel in goldenen Garn bestickt: Ein Adler mit gespreizten Schwingen, der eine große Krone in den Krallen hielt, die von einem kunstvoll gearbeiteten Speer durchstoßen wurde. Mathan hatte schon von ihm gehört, der erste und bisher einzige Ritter des Hauses Manarîn. Es hieß, seine Kampfkunst könnte sich mit der seinen messen.
"Nammanor", sprach er ihn direkt an, "Wie ich sehe, habt Ihr bereits unsere Gäste kennengelernt."
Valena stoppte in ihren rastlosen umher Gelaufe und auch die rege Diskussion erstarb. Der Angesprochene richtete sich zu voller Größe auf und wandte sich um. Nammanor war genauso groß wie Mathan und trug eine kunstvoll gefertigte Rüstung, die mit einigen Rubinen verziert war. Selbst an seinem Schulterpanzer waren zwei Saphire eingelassen. Das Gesicht wurde von den nach vorn gebogenen Wangenklappen des Helms verborgen. Ein Paar bernsteinfarbene Augen blickten jedoch ihn mit einer Mischung aus Neugierde und... Herausforderung an.
"Feldherr", kam es äußerst knapp als Begrüßung, "Wie ich sehe, hattet Ihr Erfolg. Ich hatte gerade meine Mühe diesen ... Zwergen klarzumachen, dass hier keine Pfeifen oder Waffen geduldet sind. Und dieses Menschenmädchen davon abzuhalten nach Euch zu suchen."
Mathan antwortete nicht, sondern schwieg. Seine Hand wanderte zu seinem Gürtel. Nammanor tat es ihm gleich. Die Art wie sich der Ritter bewegte und auch wie er ihn nicht aus den Augen ließ... Ein flüchtiges Grinsen huschte Mathan über das Gesicht und er unterdrückte es, konnte aber nicht verhindern, dass seine Mundwinkel zuckten. Nammanor entging es natürlich nicht, eines seiner Augen zuckte. Mathans Hand umspielte den kühlen Griff von Halarîns Schwert. Ohne große Worte war eine gewaltige Spannung in der Halle, dass niemand es wagte laut zu atmen.
"Es heißt, Euer Können mit dem Schwert sei unerreicht", brach Nammanor die Stille und nickte zu Mathans Gürtel.
"Und von Euch hört man auch Beeindruckendes, dass ihr alle anderen der Palastgarde und der Leibgarde der Königin geschlagen habt. Der beste Schwertkämpfer der Manarîn",erwiderte Mathan und nickte dabei ebenfalls zu dem Langschwert an der Seite des Ritters.
Nammanor antwortete nicht, sondern machte einen Schritt nach rechts, Mathan spiegelte die Bewegung und schritt nach links. Langsam umkreisten sie sich. Die Füße der beiden Elben glitten über den Boden, jede Bewegung war so fließend, dass es so aussah, als ob sie über Eis schritten.
"Ich habe gehört", begann Nammanor dumpf durch den Helm und spreizte seine Finger über seinem Schwertknauf, "Dass Ihr es schon als Heranwachsender mit einem Troll aufgenommen habt."
Mathan runzelte die Stirn. Dies war schon sehr lange her und eher eine Geschichte, die er im alten Eregion erwartet hätte. Wahrscheinlich hatte sein Vater zu viel geplaudert. Er ging nicht darauf ein, sondern griff auf die Erzählungen der Manarîn zurück, mit denen er vor kurzem gekämpft hatte: "Und ich habe gehört, dass Ihr Euch mit der Prinzessin duelliert habt."
Der Ritter antwortete nicht, erst nach vier Umrundungen sagte er langsam: "Möglich."
Mathans Antwort bestand aus einem Heben eines Mundwinkels. Die ganze Zeit hatten sie sich nicht aus den Augen gelassen. Ein Geräusch aus dem Thronsaal durchbrach die Stille. Nammanor und Mathan zogen blitzschnell ihre Klingen, Stahl prallte auf Stahl. Keiner von ihnen zu spät oder zu früh. Die beiden Schwerter bildeten ein perfektes X, keiner von ihnen zitterte oder schob die Klinge hin oder her. Die Augen des Ritters verengte sich, als er offenbar grinste. Mathan musste ebenfalls grinsen.
"Es ist selten jemanden zu begegnen, der den Klingentanz so gut beherrscht", sagte Nammanor anerkennend und nickte knapp.
"Genau das wollte ich auch sagen", antwortete Mathan und erwiderte die Geste.
Der Ritter senkte sein Schwert und stieß es in die Scheide. "Wenn Ihr mich nun entschuldigt, Schwertmeister."
Mathan kam nicht umhin kurz das Gesicht zu verziehen. "Natürlich."
Während der Ritter sich mit wallendem Mantel und Rosshaarbusch entfernte, schob er ebenfalls Halarîns Schwert wieder langsam in die Scheide.
"Wenn das kein Hahnenkampf war, weiß ich auch nicht", sagte Grám amüsiert, konnte aber ein wenig Anerkennung in seiner Stimme nicht ganz unterdrücken, "Dabei ist Frau Valena bereits vergeben."
Die drei Zwerge lachten dröhnend, während Valena schnell sagte: "Unsinn, er folgt mir nur ständig."
Ihre Verteidigung kam etwas zu schnell, denn Lorim lachte feixend und hielt dagegen: "Ach, und deswegen habt Ihr Euch mit der Palastgarde angelegt, weil er nicht eingelassen wurde."
Valena wurde tatsächlich eine Spur rot, starrte die Zwerge einfach nur wütend an und wandte sich nach einem kurzen Moment mit einem Schnauben von ihnen ab. Mathan ahnte, dass es um den Jungen aus Minzhu handelte. Er ging aber nicht darauf ein, auch wenn er sich insgeheim fragte, was zwischen den beiden vorgefallen war. Stattdessen fragte er an die Zwerge gewandt: "Habt man euch bereits eine Unterkunft zugewiesen?"
Grám, der noch immer der Anführer des Trios war, nickte knapp, sagte aber, dass er bei dem Standard der Elben mehr erwartet hätte. Andak hielt kopfschüttelnd dagegen, dass die Elben hier gerade erst ihre Heimat gefunden haben.
"Gut, es ist nicht schlecht, zufrieden?" ,schnauzte Grám den Alten an und schüttelte nur den Kopf mit einem „Alter Besserwisser“ auf den Lippen. Dann wandte er sich an Mathan: "Nun, wir können nicht ständig hier bei den Spitzohren herumhängen, also würde ich gern darüber reden, wie wir diese Lebensschuld begleichen können. Und da haben wir schon ein paar Ideen... ich weiß aber nicht, ob das hier den feinen Elben in den Kram passt. Wir regeln im Osten manche Dinge etwas anders."
Erneut warf Andak ein, dass dies hier Avari waren und sie sich von den übrigen Elben unterschieden, woraufhin Grám ein entnervtes Knurren von sich gab.
Hastig ergriff Mathan endlich das Wort, ehe wieder was dazwischen kam: "Nun, ich würde mir gerne diese Ideen anhören. Vielleicht heute beim Abendessen, was haltet Ihr davon?"
Die drei Zwerge tauschten ein paar Blicke und sprachen in ihrem eigenen Dialekt, bis sie sich offenbar auf etwas rasch einigten. Grám nickte und sagte: "Dann beim Abendessen. Hoffentlich gibt es etwas anderes, als nur Grünzeug."
Mathan nickte vielsagend auf Valena und sagte, dass sie schon einige Gäste beherbergen, die einen anderen Geschmackssinn haben als Elben. "Wenn es recht ist, würde ich kurz mit ihr alleine sprechen, danach habe ich noch etwas Wichtiges zu erledigen."
"In Ordnung", stimmte Grám rasch zu, "Wir wollten so oder so uns mal nach diesem Elbenbrot erkundigen, wovon die Soldaten beim Weg hier her ständig gesprochen haben."
Damit verabschiedeten die drei Zwerge sich und ließen Mathan alleine mit Valena.

Curanthor

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Kindergeschichten und eine Hofmeisterin
« Antwort #43 am: 10. Nov 2021, 20:59 »
Gemeinsam blickten sie den Zwergen hinterher, die im Gehen sich aufmerksam den Baustil der Manarîn ansahen. Sie sprachen dabei in ihrer eigenen Sprache, die Mathan trotz seiner grundlegenden Kenntnisse nicht verstand. Als sich langsam die großen Flügel des Haupttores schlossen, wandte er sich an Valena, die bereits mehr oder weniger ungeduldig zu ihm aufblickte.
„Also…“, begann Mathan etwas unsicher das Gespräch, „was erhoffst du dir von mir? Warum der Treueschwur?“
Die direkte Frage warf die junge Kriegerin etwas aus der Bahn und sie blinzelte, um die Gedanken zu ordnen. Ihre Hände suchten etwas an der Hüfte, offen bar trug sie dort immer einen Gürtel mit Waffen. Doch sie griffen ins Leere, was ihr sichtliches Unbehagen bereitete.
„Das war bei mir im Dorf so üblich“, antwortete sie schließlich erstaunlich leise, reckte aber dann rasch das Kinn und setzte lauter nach: „Und ich habe keinen Platz wo ich sonst hingehen könnte… wieder zurück in den Süden… das hat mir schon einmal kein Glück gebracht. Ich möchte bei Euch bleiben und kämpfen! Wir haben einen gemeinsamen Feind.“
„Das haben wir. Sauron bedroht uns alle, leider haben das noch immer nicht alle begriffen“, bekräftigte er und nickte zu den Banner der Avari, „Du solltest dir darüber klar sein, dass diese Elben hier wilder sind, als jene, die beispielsweise Herrn Elrond folgen. Sie sind misstrauischer, unbeherrschter und … manche würden meinen eher den Menschen ähnlich. Emotionaler.“
Valena lächelte das erste Mal, wenn auch eher schwach und antwortete, dass ihr noch nie im ihrem Leben zuvor Elben begegnet waren. Für sie war Mathans Volk stets ein Teil von Geschichten, die in kalten Nächten an Lagerfeuern erzählt wurden. Geschichten, um kleine Kinder zu beruhigen, wenn die Orks des Gebirges sie des Nachts heimsuchten, während die Erwachsenen draußen kämpfen.
„Ach, und was erzählte man sich da so?“, hakte Mathan neugierig mit einem Schmunzeln nach.
Valenas Züge wurden weicher und sie erzählte, dass die Elben auf weißen Pferden durch das Unterholz jagten und die Orks niedermachten. Blass wie der Schnee stiegen sie von ihren Rössern und vertrieben die Kreaturen der Nacht mit dem dröhnenden Klang eines Horns. Das Horn des Jägers, geschmiedet aus den Stahl und Knochen der erschlagenen Finsterlinge. Ihr Blick ging ins Leere.
„Früher habe ich mir immer gewünscht, dieses Horn zu hören. Der Klang des Verderbendes für die Verdorbenen.“ Sie schüttelte sacht den Kopf, „… aber das waren nur Geschichten. Die Wirklichkeit ist hässlicher als man es sich ausmalt.“
Mathan, der interessiert zugehört hatte, setzte sich auf die freie Bank, Valena tat es ihm gleich. Nach kurzem Zögern legte er ihr sacht eine Hand auf die Schulter. Sie zuckte kurz zusammen, ballte die Fäuste. Rasch nahm er sie fort und sagte stattdessen: „Das mag sein, aber Geschichten haben immer einen wahren Kern.“
„Hmm“, machte sie nachdenklich und blickte dann auf, „Und gibt es dieses Horn vielleicht wirklich?“ Die Frage kam unerwartet, eine Spur kindliche Neugierde schwang in ihrer Stimme mit. 
Mathan runzelte unmerklich die Stirn, als er nachdachte, doch er konnte sich nicht entsinnen davon gehört zu haben. Er schüttelte den Kopf. „Nein, tut mir leid.“
Sie atmete durch und nickte, „Hatte auch nicht daran geglaubt.“ Anhand ihrer Tonlage hörte er heraus, dass sie ihre Enttäuschung überspielte, als sie rasch das Thema wechselte: „Ich möchte nicht undankbar erscheinen, wenn ich nach einer… passenderen Kleidung frage – und bei den Sternen bitte kein Kleid.“
„Das tust du nicht“, beruhigte er sie und musterte sie kurz eindringlich. Ihm war klar, dass sie das Kleid verachtete, so wie sie sich darin bewegte. „Und was schwebt dir so vor – außer Kleider?“
Sie grinste und schob die Ärmel ihrer Kleidung hoch. Ein gutes Dutzend breiter Narben kam zum Vorschein. „Etwas, dass so etwas verhindern kann, immerhin ist der Feind nicht weit.“
Mathan nickte mit einem sachten Schmunzeln und erklärte, dass er da schon jemanden wüsste, der ihr weiterhelfen könnte. Im Kopf beschloss er sie zu dem Gespräch mit seinem Vater mitzunehmen, der inzwischen wieder sämtliche Schmiedearbeiten in der Stadt beaufsichtigte. Er wüsste sicherlich, wo man Rüstung und Waffen für die junge Kriegerin auftreiben könnte. Sie nickte dankbar und verfiel in kurzes Schweigen. Ein Flügel des großen Tores öffnete sich und eine Delegation Avari betrat die Eingangshalle. Sie warfen ihnen Blicke aus den Augenwinkeln zu. Valena musterte die Elben, die in leichte Rüstungen gehüllt waren, einige trugen breite Stoffgürtel aus braun- und Grüntönen. Sie sprachen leise in ihrem eigenen Dialekt und warteten. Mathan bedeutete der jungen Kriegerin sitzen zu bleiben, als ein hochgewachsener Elb sich aus der Gruppe löste und sich scheinbar in ihre Richtung begab. Mathan hatte die Schritte aus dem Korridor links von ihnen bereits vernommen und wandte nur halb den Kopf. Aus dem Ostflügel des Palastes kam eine Elbe, die er schon öfters in Faelivrins Gefolge gesehen hatte. Sie hatte lange, kastanienbraune Haare, die sich über ihren Rücken ergossen  und von einem dünnen, silbernen Haarreif aus ihrem Gesicht gehalten wurden. Ihr scharfer Blick aus grünen Augen huschte kurz zu Mathan und Valena auf der Bank. Sie nickte unmerklich zum Gruß, wandte sich aber dann an den hervorgetretenen Avari in der Gemeinsprache: „Seid gegrüßt.“ Es war eine recht frostige Begrüßung, die der Avar nicht weniger kühl erwiderte. „Ich bin Istime, die Hofmeisterin und Verwalterin des Reiches. Die Königin erwartet demnächst zehn Pferde samt Gespann aus Tharbad. Ich hörte, dass Ihr in den Stallungen am Südtor noch freie Plätze habt, ja?“
Etwas unwillige nickte der Avar und schien eher den Kopf schütteln zu wollen, was Istime nicht entging. Sie lächelte und setzte nach: „Gut, dann wisst Ihr nun Bescheid.“
Mathan musste sich beherrschen, um nicht zu Glucksen, selbst Valena hielt sich rasch eine Hand vor dem Mund, um ihr Grinsen zu verbergen.
Der Avar – offenbar ein Cuind – wollte protestieren, doch Istime hob mit gespielter Überraschung die Brauen. „Habt Ihr doch kein Platz? Nun, das wäre natürlich ein Problem. Und Probleme nimmt man in diesem Palast sehr ernst. Und ernste Angelegenheiten nimmt sich die Kronprinzessin zurzeit hilfsbereiter Weise persönlich vor, um mich ein wenig zu entlasten.“ Das Lächeln wurde eine Spur schärfer. „Also, haben wir ein Problem?“
Der Cuind lächelte nun ebenfalls und verneigte sich knapp: „Aber nein, es ist nichts womit ich Anarálîn – die ehrenwerte Isanasca belasten würde.“
Die Hofmeisterin lächelte nun strahlend und klatschte leise in die Hände: „Ausgezeichnet. Ich bedanke mich im Namen ihrer Majestät für Eure Dienste.“
Der Avar verneigte sich noch einmal äußerst knapp und wandte sich abrupt um. Valena neigte sich indessen leicht zu Mathan hinüber und fragte flüsternd: „Als was hat er da gerade die Prinzessin bezeichnet?“
„Sonnengekrönte Löwin“, antwortete er ebenfalls flüsternd, während sich die Cuind um ihren Sprecher versammelten, „Es ist ein Titel und ein Name in Einem. Den hat sie sich im letzten Kampf verdient. Ein Zeichen des Respektes unter den Avari, um herausragende Taten zu verewigen.“
„Ach, deswegen…“, Valena verstummte, als die Gruppe Cuind geschlossen den Palast verließen und dabei zuvorkommend und mit einem Lächeln der Hofmeisterin hinausgeleitet wurden. Der Torflügel wurde von der Palastgarde wieder geschlossen. Istimes Lächeln wurde etwas spitzbübisch, als sie sich zu Mathan umwandte und auf die Bank zuging.
„Nun, der tapfere Feldherr gönnt sich seine wohlverdiente Ruhe?“, begrüßte sie ihn mit einem Augenzwinkern, „Und wen haben wir hier?“, fragte sie mit Blick auf Valena, „Ein neuer Schützling?“
„Dies ist Valena, eine junge Kriegerin aus … dem Norden“, antwortete er etwas unschlüssig und räusperte sich, „ Nicht direkt, sie verweilt bei uns für eine unbestimmte Zeit.“
Istime blickte aufmerksam zwischen ihnen hin und her und nahm unerwartet Valenas Hand, „Und hast du schon eine Unterkunft?“
Die junge Frau schüttelte den Kopf und blickte fragend zu Mathan, doch die Hofmeisterin seufzte nur. „Nun, das geht natürlich nicht. Ich werde hier schon eine Kammer für dich finden, du müsstest sie aber mit der anderen Schülerin des Schwertmeisters teilen, wenn sie wieder…“ Sie brach ab und blinzelte rasch, lächelte dann freundlich, „Wir bekommen das schon hin. Komm, wir suchen euch ein schönes Zimmer im Ostflügel, da dürften heute drei fertig geworden sein.“ Mit den Worten zog sie die etwas verdutze Valena von der Bank, die Mathan einen hilfesuchenden Blick zuwarf. „Ich leihe sie mir für den Abend aus, eine helfende Hand hat mir gerade gefehlt.“
Mathan, der ein wenig von der direkten und vor allem tatkräftigen Art der Elbe überrascht war, nickte nur, doch Istime hatte Valena bereits zum Ostflügel geschoben und erklärte ihr, dass sie als Schülerin eines Meisters auch in dessen Nähe bleiben musste. Den Protest, dass sie nicht in einem Palast wohnen könnte und sie keine Ahnung von höfischer Etikette hatte, ignorierte die Elben geflissentlich. Ein paar Momente hörte er noch die Stimmen der beiden im Korridor diskutieren, bis sie wohl in einen anderen Raum gingen. Mathan erhob sich und blickte zu den Lichteinlässen knapp unterhalb der Decke, wo orangene Strahlen die Eingangshalle in ein warmes Licht tauchten. Es war bereits später Nachmittag. Er beschloss sich einen Moment der Ruhe zu gönnen und machte sich auf dem Weg aus dem Palast zu seinem kleinen Rückzugsort.

Curanthor

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Mathan, Isa und eine große Baustelle
« Antwort #44 am: 12. Nov 2021, 20:33 »
Der Nachmittag war relativ kühl und grau-weiße Wolken türmten sich im Norden. Mathan hielt die Nase in den Westwind, der sich wohl bald drehen würde. Er schloss kurz die Augen und dachte an den salzigen Geruch des Meeres. Die Zeit auf der Avalosse ging ihm wieder durch den Kopf. Und das Auftauchen des Ringes. Es war erst weniger als ein paar Monate her, und doch war es eine sehr einprägsame Reise gewesen. Das Portal des Palastes riss ihn aus dem Gedanken. Ohne hinzusehen eilte er zwischen die Säulen hindurch zur Ostseite an der breiten Front des Baus entlang. Ihm stand jetzt nicht der Sinn nach mehr kleinlichen Auseinandersetzungen zwischen Manarîn und übrigen Avari. Vor der Ecke des Palastes, dort wo der Ostflügel begann, befand sich ein unfertiger Baugrund. Der Größe nach, war es ein Rundturm für Gemächer. Wenn er fertig war, verdeckte er die Sicht auf den schmalen Korridor, der den großen Ostflügel mit dem massiven Hauptgebäude verband. Mathan verstand nicht viel von der Kunst des Bauens und konnte sich kein genaues Bild machen, wie der fertige Turm wohl aussehen würde. Achtzehn Elben bearbeiteten lange, halb durchgeschnittene Holzstämme neben dem Baugrund und schliffen die Rinde ab. Niemand nahm von ihm Notiz.Nachdenklich betrachtete er die Materialien, die ein Dutzend Elben unablässig über eine breite Rampe von dem Platz heraufschafften. Es waren helle Steine, die aus dem nordwestlichen Teil Eregions stammten. Mathan kannte den alten Steinbruch noch von früher, den er bei einem seiner Streifzüge entdeckt hatte. Die meisten Steine waren bereits in Form gebracht und sorgfältig auf Pferdewagen aufgereiht. Zehn Elben entluden die Wagen unablässig und gaben sie sofort weiter, wobei die größten Steine zu viert getragen werden mussten. Sie landeten in den Fundamenten. Mathan machte einen großen Bogen um die Arbeiteten und wich einem großen Trog aus, den ein Elb gerade abgestellt hatte. Eine gräulich-braune Masse wabbelte darin zähflüssig. Der junge Elb blickte kurz auf und murmelte eine Entschuldigung, dann trug er den Trog zu einer weitere Gruppe Elben, die begannen die zähe Masse in die Fundamente zu arbeiten.
Auf der Ostseite angekommen schlängelte sich Mathan durch das übrige Materiallager. Fein gearbeitete Holzbalken reihten sich aneinander, ebenso fast perfekt geschliffen Steinquader stapelten sich. Er duckte sich unter eine Reihe von Flaschenzügen, einige nur für das Lager, andere waren so hoch, dass sie in die obere Etage des Ostflügels reichten. Drei davon arbeiteten unablässig und hoben Stein und Holz hinauf. Einige der Elben nickten ihm knapp zu, wenn sie ihn im Augenwinkel bemerkten, doch Mathan wollte sie nicht weiter stören und steuerte auf die unfertige Nordseite des Ostflügels zu. Das arbeitsreiche Lärmen wurde etwas leiser, nur das stetige Hämmern der Meisel auf Stein hallte herüber.

Hier am nördlichen Teil des Palastes konnte man sehen, wie unfertig alles war. Der Westflügel endete in einem großen, pragmatisch wirkenden Gerippe aus Holzstützen, das sich über das gesamte Dach fortführte. Die Rückseite des Thronsaals bestand aus einem halboffenen Korridor, der eigentlich in einem großen Garten münden sollte, doch von dem war noch nichts zu sehen. Der Grund war zwar planiert, doch steinig und keine Spur von Grün. Mathan schloss die Augen und stellte sich vor, wie der Palast wohl aussehen würde. Von vorne dominierte der runde, säulengetragene Vorbau mit dem Balkon und Faelivrins Gemächern. Dahinter erhob sich die große Rundkuppel des Thronsaals. Rechts und links wurde das Bauwerk von den Palastflügeln flankiert, wobei große Rundtürme das Bild abrundeten. Hinter dem Thronsaal, zwischen den beiden Flügeln entstand in seinem Geist ein grüner, mit kleinen Teichen gestalteter Garten. Dieser führte schließlich zum eigentlichen Hauptgebäude, von dessen Ausmaße nur der planierte Grund Aufschlüsse gab. Mathan öffnete die Augen. Es würde gewaltig werden, würdig eines Herrschersitzes und in keinem Maße geringer als der alte Palast der Noldor.
„Und gefällt es dir?“, ertönte eine bekannte Stimme plötzlich hinter ihm.
Mathan blinzelte überrascht und drehte sich zu seiner Enkelin um. Sie trug noch immer eine Rüstung, einen kurzen, roten Mantel, der ihr bis zur Hüfte reichte und ihre Schwerter, wobei an ihrem Gürtel nur noch eines hing. Das Schwert an ihrem unteren Rücken zog  jedoch wieder seine Aufmerksamkeit an. Es war ein Griff, der mit roter Seide umwickelt war. Isanasca schien zu lächeln sagte entschuldigend: „Wie es scheint, habe ich deinen Fluss der Gedanken unterbrochen.“
Rasch blickte Mathan auf. Er bemerkte die blaue-violette Winterblume, die sie sich in das blonde Haar hinter das Ohr gesteckt hatte und schmunzelte unmerklich. „Wie ein Fluss, so kann man seine Gedanken nicht festhalten“, entgegnete er und blickte sich um, „Es wundert mich, dich hier zu treffen. Wo du doch deiner Mutter so eine große Hilfe bist.“
Sie nickte sacht. „Hin und wieder muss auch ich etwas Abstand nehmen. Wenn ich meine Mutter beobachte, so scheint mir das umso wichtiger.“
Er verstand worauf sie hinauswollte, sprach es aber nicht aus. Das musste er auch nicht. Die andauernden Spannungen der Elben lagen seit seiner Ankunft in der Luft.
„Dies ist mein kleiner Garten zum entspannen“, sagte Isanasca und lachte unvermittelt leise, „Nun, es ist noch kein Garten. Und eigentlich noch nicht einmal ein Ort… nur eine freigeräumte Fläche.“
„Eine leere Fläche, ja, aber es geht um die Bedeutung, die wir ihr beimessen“, Er scharrte mit dem Stiefel einige Steinchen unter seiner Sohle beiseite, „Für mich war dies der nördliche Teil der Stadt. Hier standen eine Kaserne und einer der großen Türme von Eregion. Wir durften uns ihnen nie nähern. Sie waren nur den Herrscher und seinen Vertrauten bestimmt.“ Mathan verstummte und beschloss das Thema ruhen zu lassen. Viele Erinnerungen kamen erst jetzt wieder, wenn er so dastand und nicht gerade etwas zu tun hatte. Die meisten riefen wieder die dunkelsten Stunden seines Lebens wach. Seine Enkelin schien zu spüren, dass er nicht darüber weitersprechen wollte und schwieg taktvoll.

Sie lauschten dem Klopfen, Hämmern, Sägen und Rufen von der großen Baustelle für eine längere Zeit. Hin und wieder konnten sie einige Elben in den Holzkonstruktionen herumklettern sehen. Als sie sahen, wie einige von ihnen mit Seil und Muskelkraft Balken in die Höhe hievten, begann Isanasca zu schmunzeln. Mathan wandte ihr halb den Kopf zu und hob fragend eine Braue. Sie lachte leise und sagte, dass sie nun wisse, von dem ihre Mutter diesen Gesichtsausdruck hatte. „Ich habe mich gerade an das Gespräch erinnert, das ich vorhin mit einigen der ehemaligen Gefangenen geführt hatte, die ihr befreit habt“, sagte sie schließlich und wandte sich von den Bauarbeiten ab, „Einige haben sich über die Kraft der Elben gewundert und über die Baugeschwindigkeit.“
Mathan wandte sich ihr ebenfalls zu und atmete unmerklich aus. Ein weitere Thema, dass sie lösen mussten, die Gefangenen. „So? Ich denke, dass die meisten noch nie Elben getroffen haben. Dazu kommt, dass die Manarîn erfahrene Baumeister und in Eile sind.“
Seine Enkelin nickte, noch immer amüsiert, „In der Tat haben einige ständig auf meine Ohren gestarrt. Manche haben auch unsere Sprache nicht verstanden. Ich vermute, dass sie aus anderen Winkeln Mittelerdes kommen.“
Er antwortete, dass er sich sogar ziemlich sicher ist, dass dies der Fall war. Nach einer kurzen Pause fragte er schließlich ernster: „Und was machen wir mit ihnen?“
Isanasca blickte ihn überrascht an. Es war das erste Mal, dass sie ihn so anblickte und gleichzeitig so sehr an Faelivrin erinnerte. Eine Mischung aus Unerbittlichkeit und Sanftmut lag in ihren Augen. Sie fing sich rasch und strich sich über das Kinn. Nachdenklich murmelte sie, dass sie das eigentlich in dem Fürstenrat ansprechen wollte. Auf Mathans Frage hin, warum es im Rat ansprechen, schien sie zu zögern. Dann seufzte sie und schien ihre entspannte Laune zu verlieren. „Wir stehen mit dem Rücken zur Wand. Und damit meine ich alle in diesem Land.“ Sie legte ihre Hand um ihren Schwertgriff, „Die tagelange Schlacht um Rómen Tirion war gar nichts, verglichen mit dem, was uns erwartet.“ Ihre Hand packte fest zu, sodass ihre Knöchel weiß hervortraten. „Wir werden jedes Schwert, jeden Pfeil, jede Hand die sich gegen den Feind wendet brauchen, wenn sich die Flut aus dem Gebirge über uns ergießt. Dann müssen wir bereit sein. Ich bin es.“
Mathan legte ihr beruhigend eine Hand auf die Schulter - er wusste, dass sie sich um Sanas sorgte. Ihre Hand löste sich von ihrem Schwertgriff und sie atmete schwer aus.
„Isansca“, begann Mathan, doch sie korrigierte ihn rasch mit einem flüchtigen Lächeln: „Isa. Ja?“
Er erwiderte das Lächeln, nickte und blickte zu ihrem Schwert, das sie sich hinterm Rücken festgebunden hatte, „Was hat es mit der Klinge auf sich, Isa?“, fragte er mit einem leichten Grinsen.
„Oh, das?“, sie tippte mit einem Finger auf den Griff, „Das ist Fâncrist.“
„Hmm Sindarin… Nebelspalter?“, murmelte er und musterte den mit roter Seide umwickelten Stahlgriff, an dessen Knauf ein matter Bernstein funkelte.
Isa nickte und sagte, dass dies ein Geschenk von einem sehr alten Freund für Amarin gewesen war, zur altvorderen Zeit. Woher die Waffe kam, wusste er aber selber nicht, nur, dass sie sehr alt war und niemals stumpf wurde.
Mathan grinste und sagte mit gespieltem Ernst, dass sein Vater sicherlich das Schwert selbst geschmiedet hatte, um besser dazustehen und geheimnisvoll zu wirken. Diese Art von Humor hatte er schon früher an sich gehabt, erinnerte er sich mit leichtem Wehmut. Isa gab indessen einen amüsierten Laut von sich und wurde rasch wieder ernst: „Fâncrist werde ich nur bei jenen Feinden ziehen, bei denen ich mir geschworen habe sie zu vernichten, ganz gleich was es kostet.“ Sie strich sich eine lange Haarsträhne aus dem Auge. „Seine Klinge ist das, was den Nebel des Ungewissen zerteilt, hatte dein Vater mir gesagt als er mitr die Waffe bei unserer Ankunft überreichte, also benetze ich es nicht unnötig mit schmutzigen Blut.“
Etwas in Mathans Erinnerung klingelte bei den Worten, doch wollte es ihm nicht in den Sinn kommen. Ein Teil von ihm war sich immer noch sicher, dass sein Vater sich wieder darüber amüsierte, eines seiner Werke einem mysteriösen Hintergrund anzudichten zu haben. Seine Enkelin machte auch keine Anstalten ihm das Schwert zu zeigen, weshalb er auch nicht danach fragte.
„Zu deiner Frage: Die Gefangenen sind für eine Weile unsere Gäste“, sagte Isa unvermittelt und kniff die Lippen zusammen, offenbar unwohl bei dem Gedanken, „Wir können es uns nicht leisten, dem Feind Einzelheiten über den Aufbau unserer Stadt, unsere Truppenstärke oder Verteidigungsanlagen zukommen zu lassen. Niemand von ihnen verlässt Ost-In-Edhil.“

Mathan nickte ernst, auch wenn er unter normalen Umständen sicherlich Einwände gehabt hatte, aber in der momentanen Lage war es das Klügste, den Fluss an möglichen Spionen und Informationen so gering wie möglich zu halten. Ein unerklärlicher Schauer lief ihm den Rücken hinab. Ein Zeichen von drohender Gefahr. Besorgt blickte er sich um, doch abgesehen von seiner Enkelin war er alleine auf dem großen Baugrund. Isa spürte seine Unruhe und fragte, ob etwas nicht stimmte. Mathan kniff anstatt einer Antwort die Augen zusammen und suchte die Umgebung ab. Hinter ihnen war ein großer Stapel mit Steinen und Holz. Er nickte in die Richtung. Noch weiter hinten konnte man die Mauerkrone der dicken Stadtmauer erkennen. Gemeinsam eilten sie auf leichten Elbensohlen zu dem Stapel, beide mit einer Hand am Schwert. Mathan war sich sicher, dass sie alleine waren, doch man konnte nie vorsichtig genug sein. Als er die Steinquader umrundete, wartete Isanasca bereits auf ihn auf der Rückseite, die Arme verschränkt.
„Es hätte mich auch sehr gewundert, wenn wir jemanden gefunden hätten. Dafür müsste man die Stadtmauer und die Gräben unentdeckt überwinden“,  befand sie und nickte zu den funkelnden Elbenhelmen von der Wache auf der Mauer, wo sich die senkende Nachmittagssonne reflektierte, „Und ohne Kletterhaken wäre das ziemlich schwer.“
„Hmm“, machte Mathan nachdenklich und entspannte sich, „Trotzdem, man kann nie vorsichtig genug sein.“
Seine Enkelin nickte düster. „Nachdem, was an der Ostwacht passiert ist…“ Sie schüttelte den Kopf, „Du hast Recht.“ Langsam wandte sie sich zum Palast und ging gemächlichen Schrittes vor, er holte rasch auf, als sie weitersprach: „Ich kann nur hoffen, dass Lissailin und die andere verborgene Stadt unentdeckt bleibt.“
Mathan verschränkte die Arme hinter den Rücken und sah sich rasch um. „Selbst ich weiß nicht wo sie liegt. Und von der zweiten Stadt höre ich gerade das erste Mal, vielleicht sollten wir das in einem privateren Ort besprechen.“
Isanasca schaute sich ebenfalls um, doch sie befanden sich auf der großen, planierten Fläche des zukünftigen Gartens, wo es keine Möglichkeit gab sie zu belauschen. Sie rückte etwas näher an ihn heran, sodass sich ihre Schultern bei jedem Schritt berührten. Mit gesenkte Stimme sagte sie: „Lissailin liegt jenseits von Talath Neldor. Ich denke, du kannst damit etwas anfangen. Die zweite Stadt … das bespricht du besser mit der Königin – ich meinte, mit Mutter.“ Sie lächelte flüchtig. Er legte ihr dankbar eine Hand kurz auf die Schulter und wollte sich schon verabschieden, da er das Gespräch mit seinem Vater angehen wollte.
Isa spürte es, hielt ihn jedoch kurz zurück. „Was glaubst du, was Oronêl da unten getroffen hat? Wird es hier zu uns kommen?“
Er zögerte, sie warf ihm daraufhin einen äußerst besorgten Blick zu, woraufhin Mathan tief ausatmete: „Ich weiß es nicht, aber so wie er es beschrieben hat… ist es uralt und durch und durch böse.“ Sein Blick senkte sich unwillkürlich auf seine Hände, „Und ich hoffe es bleibt dort, aber ich befürchte, dass es nicht so einfach wird.“
Isanasca nickte und wechselte taktvoll das Thema: „Immerhin ist dein Freund diesem Ding entschlüpft. Er wirkte zwar erschöpft, als ich ihn traf, aber ihm fehlte nichts.“
Er nickte erleichtert und lächelte: „Ja, er ist ziemlich unverwüstlich, der gute Oronêl. Wenn er wiederkehrt, werde ich uns ein Fässchen Wein anstechen, immerhin sind wir beide wohlbehalten zurückgekehrt.“
Seine Enkelin lachte und bot an, eines aus dem Lager ihrer Mutter zu besorgen, was er auch nicht ablehnte. „Und Kerry“, sagte sie plötzlich mit einem amüsierten Funkeln in den Augen, „Sie ist auch wohlbehalten zurückgekehrt.“
Mathan grinste und sagte, dass er sie schon getroffen habe und sie wahrscheinlich den Wein nicht so gut vertragen würde. Isa nickte und schien kurz nachzudenken, dann erzählte sie ihm von dem Gespräch mit seiner Adoptivtochter, während sie in den Westflügel eintraten. Sie wichen einigen Elben aus, die geschliffene Holzstämme hoch in die oberen Etagen hievten. In dem fertig gestellten Bereich, wo auch seins und Halarîns Zimmer lag, endete sie mit der Erzählung über den Schwur von Eorl. „Der Gedanke daran lässt mich nicht los. Die Kleine hat in meinen Gedanken da etwas angestoßen, das ich ehrlich nicht erwartet hätte – etwas Gutes. Und das, obwohl ihr so viele andere Dinge durch den Kopf gehen.“ Isa schien höchst nachdenklich und blickte in die Ferne.
Mathan nahm den letzten Satz mit besonderer Notiz zur Kenntnis und achtete darauf das nicht zu vertiefen. Wenn Kerry mit ihm darüber reden wollte, würde sie selbst zu ihm kommen. Stattdessen sagte er, dass er von dem Schwur weiß, aber nichts Genaueres. Isa nickte und schien wieder im Gedanken zu sein. Unvermittelt murmelte sie, dass es noch zu früh war, es im Rat zu sagen. Mathan stimmte ihr zu und blinzelte rasch, als ihm etwas einfiel, das er fast vergessen hatte: „Die drei Zwerge hätten einige Ideen uns zu helfen“, sagte er rasch und bog mit Isa um die Ecke, die große Eingangshalle lag am Ende des Korridors, „Allerdings befürchten sie, dass einige feine Elben nicht damit einverstanden wären. Wir treffen uns zum Abendessen.“
Isanasca warf ihm einen überraschten Seitenblick zu. „Tatsächlich? Ich habe gehört, dass es nicht üblich ist, dass Zwerge ihr Wissen oder gar Ideen mit anderen teilen. Also sollten uns es sicherlich anhören – ganz gleich was es ist. Wir sind auch nicht so hochwohlgeboren, wie sie denken.“
Mathan stimmte ihr nur mit einem knappen Nicken zu, da er den letzten Satz nicht bekräftigen wollte. Er fand, dass die Manarîn sich ziemlich hervortaten es den Hochelben nachzutun. Das behielt er jedoch für sich und verabschiedete sich von seiner Enkelin, die auch wieder ihren Pflichten nachgehen musste. Seine Schritte führten ihn zum Thronsaal, wo Faelivrin Hof hielt. Sie würde sicherlich wissen, wo sein Vater war, da er keine Lust hatte in der ganzen Stadt und in den Schmieden nach ihn zu suchen.
« Letzte Änderung: 13. Nov 2021, 22:22 von Curanthor »